Читать книгу: «Tatort Ostsee», страница 7

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Tina sprang fast aus dem Stuhl. »Schwanger?«

Sophie nickte traurig. »Ich habe es erst wirklich kapiert, als mein Frauenarzt mir bei einer Routineuntersuchung gratuliert hat.«

»Du hast es doch nicht etwa wegmachen lassen?«

Sophie sah sie empört an. »Natürlich nicht! Ich war nicht gerade sofort begeistert, um die Wahrheit zu sagen. Nach ein paar Tagen habe ich gemerkt, dass ich mich freue. Ich hatte Angst mit Felix zu sprechen, aber ich wusste, dass ich es tun muss.« Sophie schwieg kurz, um sich zu sammeln. »Ach Tina, ich weiß auch nicht, was ich erwartet habe. Sicher nicht, dass er vor Glück ausflippt und seine Familie verlässt, aber … ich habe nicht erwartet, dass er so ein Arschloch ist.« Sie konnte die Tränen nicht länger zurückhalten. Tina sprang vom Stuhl und nahm sie in den Arm. Sophie schluchzte auf. »Er wollte, dass ich es abtreiben lasse! Wir haben uns schrecklich gestritten. Ich habe ihm gesagt, dass er mich kreuzweise kann, und dass ich das Baby auch ohne ihn bekomme. Er ist aufgesprungen und hat seine Jacke genommen. An der Tür hat er sich umgedreht und mich wissen lassen, dass ich erst wieder mit ihm rechnen könne, wenn ich nicht mehr schwanger wäre, ohne Nachwuchs natürlich. Ich hab ihm hinterhergebrüllt, dass er sich nie wieder blicken lassen soll. Und das wars.« Tina sah sie fassungslos an. »Ich hab die ganze Nacht geheult und gehofft, dass er anruft und sich entschuldigt. Dass er einfach durchgedreht ist, weil er einen Schock hatte oder so.« Sophie zündete sich mit zitternden Händen noch eine Zigarette an. »Als mir klar wurde, dass alles aus ist, habe ich mich zusammengerissen, für das Baby.« Sie schluchzte laut auf. »Aber dann waren da diese Blutungen. Im Krankenhaus dachte ich, ich will sterben. Als im Fernsehen dann ein Beitrag über Felix und sein perfektes Familienglück gesendet wurde, habe ich beschlossen, dass ich nicht die Einzige sein sollte, die leidet. Ich wollte mich rächen!«

13

Sonntag

Stefan und sein Kollege Robert Feller warteten im Sektionssaal des Rechtsmedizinischen Instituts darauf, dass Lutz Franck mit der Obduktion beginnen würde. Sie blickten wie versteinert auf das Gesicht der toten Frau auf dem Stahltisch. Franck ging um den Tisch herum und sprach in sein Diktiergerät. »Wir haben hier eine weibliche Leiche, 1,75 m groß, etwa 65 Kilo schwer. Äußerlich auffällig sind leichte Hämatome im Brustbereich. Wir machen jetzt einen Abstrich und öffnen dann.«

Stefan wippte ungeduldig auf und ab. Robert war blass geworden. Stefan hatte den sonst immer so gut gebräunten Kollegen noch nie so gesehen.

»Die Leiche wurde am Strand von Gold auf Fehmarn gefunden«, diktierte Franck weiter. »Ich öffne jetzt den Brustkorb.«

Stefan war schon oft Zeuge dieses Y-Schnitts gewesen.

»Wir entnehmen nun die inneren Organe.« Lutz drückte auf die Stopptaste. »Besonders interessant ist natürlich die Lunge.« Robert nickte übertrieben und verließ überraschend den Sektionssaal.

»Er ist noch nicht so lange dabei«, verteidigte Stefan seinen Kollegen. Gegen die leichte Schadenfreude kam er nicht an.

Lutz nickte. »Selbst Schölzel war gestern fix und fertig, aber er war bei dem Baby dabei. So was muss ich zum Glück auch nicht alle Tage machen. Sonst wäre ich schon in der Klapsmühle. Weiter!« Seine Hände verschwanden in dem geöffneten Brustkorb. Er entnahm das erste Organ. Stefan würde sich nie daran gewöhnen. Außerdem ärgerte es ihn, dass er bei Obduktionen immer an seine Hochzeitsreise denken musste. Sie hatten die Flitterwochen in Thailand verbracht. In Bangkok hatten sie den Markt in Chinatown besucht und kaum glauben können, was der Mensch so alles essen kann. Die unterschiedlichsten Innereien warteten in der schwülen Hitze auf Kunden. Mit viel Geschnatter wurden sie von den Verkäuferinnen auf die Waage geworfen und anschließend in Plastiktüten auslaufsicher verpackt.

»Das ist in der Tat merkwürdig!«, rief Lutz plötzlich.

Stefan war schlagartig wieder bei der Sache. »Was?«

Lutz schüttelte den Kopf und gab ihm ein Zeichen, sich noch einen Moment zu gedulden. Dann zerschnitt er den Lungenflügel und betrachtete die Schnittfläche. »Stefan! Das solltest du dir ansehen!«

Widerwillig stellte er sich neben Franck und starrte auf die zerschnittene Lunge.

»Und?«

»Hier die Schnittfläche! Trocken!«

»Trocken? Sie ist gar nicht ertrunken?«

»Doch, doch, aber der Befund sollte indifferent sein.«

»Indifferent? Verdammt, Lutz, sprich Deutsch mit mir!«

»Die Schnittfläche dieser Lunge sollte normal sein. Ostseewasser hat einen Salzgehalt, der dem des menschlichen Körpers ungefähr entspricht. Obwohl diese Frau definitiv ertrunken ist, würde sich die Lunge auf den ersten Blick nicht von einer – auf Deutsch – Landleichenlunge unterscheiden.«

Stefan sah ihn fragend an.

»Osmotischer Austausch! Bei Salzwasser ist die Lunge voll mit Wasser, weil das Salz die Körperflüssigkeiten in die Lunge zieht. Das ist wie beim Kochen. Man soll sein Steak auch nie vor dem Braten salzen, weil es dann an Geschmack verliert. Na, jedenfalls wäre die Schnittfläche bei einer Salzwasserleiche feucht! Es würde Flüssigkeit raustropfen.«

Stefan wurde fast schlecht bei dem Gedanken. Musste Franck ihm auch noch den Appetit auf sein geliebtes Steak nehmen?

»Hörst du mir eigentlich zu?«

Er riss sich zusammen und nickte.

»Bei Süßwasser verhält sich die Sache wieder ganz anders. Weil der Körper einen höheren Salzgehalt hat, wird das Wasser automatisch aus der Lunge gezogen.«

Stefan reichte der Unterricht für heute. »Und wie ist das Ende der Biologiestunde?«, fragte er eine Spur zu aggressiv.

»Das ist Chemie!«, antwortete Franck beleidigt. »Was ich zu erklären versucht habe, ist Folgendes. Die Schnittfläche dieser Lunge ist trocken! Die Frau kann nicht in der Ostsee ertrunken sein!«

Ben schob die Schiebetür zur Seite, um frische Luft reinzulassen. Der Himmel war wolkenlos und der Morgen schon jetzt angenehm warm. Das würde ein guter Tag werden. Nicht alle Tage waren gut. Oft wünschte er sich sein anderes Leben auf Phuket zurück. Auch wenn ihm diese Zeit dort mittlerweile fast unwirklich erschien, überfiel ihn die Sehnsucht mit einer solchen Heftigkeit, dass es ihm den Atem nahm. Dann sah er plötzlich wieder alles genau vor sich. Den Bang Tao Beach, die Palmen und die Surfer. Er vermisste die Tempel und die freundlichen Menschen, den Duft von Räucherstäbchen und das wunderbare Essen. Und ihm fehlte das Gefühl der unendlichen Freiheit, wenn er durch das kristallklare Wasser surfte. Er vermisste dann sogar die Dinge, die er dort manchmal verflucht hatte. Die aufdringlichen Verkäufer am Strand, das warme Bier, die Regenzeit und die Hitze in manchen Nächten. Wie oft hatte er gejammert, wenn er in seinem kleinen Bungalow ohne Klimaanlage nicht schlafen konnte und sein Bettlaken schweißnass war? Manchmal hatte er sich dann nach kalten Wintern und dicken Daunendecken gesehnt. Doch dieser Wunsch hatte nie lange angehalten. Spätestens am nächsten Morgen hatte er gewusst, dass es keinen schöneren Platz geben konnte. Er war damals glücklich, auch wenn seine Lebensweise sehr einfach war. Seine Behausung war spartanisch. Ein einfacher Holzbungalow mit wenigen Möbeln. Außer einem Bett, einem Tisch, einem Stuhl und einem kleinen Kühlschrank besaß er nichts. Doch er hatte seine Hütte geliebt und sie mit bunten Sarongs und Kerzen zu seinem Heim gemacht. In der kleinen Surfschule hatte er zwar nicht viel Geld verdient, doch irgendwie hatte es immer gereicht. Zwischendurch hatte er Privatstunden gegeben. Die Touristinnen hatten sich ihm regelrecht an den Hals geworfen. Er hatte selten eine Nacht allein verbracht. Er konnte sich unmöglich an Namen oder Gesichter erinnern. Sicher waren alle sehr süß gewesen, doch er hatte sich nie verliebt. Er war immer fair gewesen und hatte keiner Hoffnungen gemacht. Für ihn stand fest, dass er sich aus irgendeinem Grund nicht verlieben konnte. Bis zu diesem besonderen Moment, als er Lamai zum ersten Mal gesehen hatte. Er war eines Abends zum Essen in ein Strandrestaurant gegangen. Dieses bezaubernde Mädchen war an seinen Tisch gekommen, um seine Bestellung aufzunehmen. Er hatte auf Thai bestellt. Grünes Curry mit Huhn. Mühsam hatte er den auswendig gelernten Satz herausbekommen. Lamai hatte angefangen zu lachen. Nicht böse, sondern zauberhaft. Er hatte sie verzweifelt angesehen und dann mitgelacht. Nachdem er seine Bestellung ein paar Mal in verschiedenen Betonungen wiederholt hatte, hatte sie lächelnd genickt und ihm kurze Zeit später das gewünschte Gericht gebracht. Nach dem Essen hatte Lamai ihm erzählt, dass sie mit ihren Kolleginnen später noch auf ein Glas in einer Strandbar namens ›Coconuts‹ verabredet war. Er hatte sie fragend angesehen. Sie hatte mit den Schultern gezuckt und gelächelt. Natürlich war er auch dorthin gegangen. Von da an hatte er sie jeden Abend von der Arbeit abgeholt. Er hatte sie in verschiedene Restaurants eingeladen oder einfach nur zum Picknick am Strand. Er hatte nur noch den Wunsch, jede freie Minute bei ihr zu sein. Irgendwann hatten sie sich zum ersten Mal geküsst. Er hatte sich gefühlt, wie ein Teenager und die ganze Nacht nicht schlafen können. Er war nie zuvor so glücklich gewesen. Und dann kam der Tag, der ihm sein Glück nahm. Am Vorabend hatten sie zusammen am Bang Tao Beach Weihnachten gefeiert. Lamai war zwar Buddhistin, doch sie hatte darauf bestanden. Er hatte ihr einen Ring geschenkt, den er für sie hatte anfertigen lassen. Ein schlichtes Stück mit einem Tigerauge. Der Stein sollte sie beschützen, wenn er nicht bei ihr sein konnte. Am nächsten Morgen war Lamai an den Kamala Beach gefahren, um sich mit einer Freundin zu treffen. Es war der zweite Weihnachtstag und er hatte frei. Er hatte gerade seinen Bungalow verlassen, um in einem Strandrestaurant zu frühstücken, als er die Schreie hörte. Dann hatte er das Wasser kommen sehen.

Sophie schlug die Augen auf. Sie war nass geschwitzt und ihr Herz hämmerte. Jemand quetschte sie an die Wand. Sie konnte sich kaum noch bewegen. Etwas Feuchtes drückte sich an ihren Hals. Vorsichtig tastete sie hinter sich. Pelle! Er war trotz Verbot in ihr Bett gesprungen. Erleichtert drehte sie sich um. »Pelle, du Blödmann!« Eigentlich sollte sie ihn hochkant rauswerfen, aber er sah einfach zu niedlich aus. Seine Pfoten zuckten und er knurrte leise. Wahrscheinlich verfolgte er im Traum ein Kaninchen. Vorsichtig schob Sophie den großen Hund etwas zur Seite und griff nach ihrem Handy, um auf die Uhr zu sehen. Sie drückte auf die Tastatur und sofort leuchtete das Display blau auf. 10 nach acht! Sophie rappelte sich verwundert auf. Sie hätte nicht gedacht, dass es schon so spät war. Der Kitekurs begann in knapp zwei Stunden. Sophie ließ sich zurück in ihr Kopfkissen fallen. Sie würde sich sputen müssen, aber fünf Minuten wollte sie sich noch gönnen. Plötzlich schreckte sie wieder hoch. Da war noch was auf dem Display! Sie hatte eine neue Nachricht. Schnell rief sie die SMS auf: ›Definitiv ertrunken! Lutz!‹ Sie hatte sich zum Narren gemacht. Stefan würde sich totlachen. Sie seufzte und las weiter: ›Nicht in der Ostsee‹. Sophie setzte sich kerzengerade auf. Ihr Puls raste. Was hatte das denn zu bedeuten? Nicht in der Ostsee? Sie hatten sie doch am Strand gefunden. Ihr war rätselhaft, was Lutz damit meinte. Ihre eigenen Worte fielen ihr wieder ein: ›Sie sieht irgendwie hingelegt aus‹. Irgendjemand hatte die Frau an den Strand gelegt, nachdem sie woanders ertrunken, nein, ertränkt worden war. Wo? In einem See oder einem Swimmingpool? Eigentlich war das im Moment fast egal, denn eine Tatsache stand wohl fest. Die junge Frau war nicht von selbst an den Strand gekommen. Irgendwer hatte sie, bereits tot, dort abgelegt. Es war Mord! Und Stefan hatte sie für eine oberschlaue Wichtigtuerin gehalten. Er sollte ihr dankbar sein! Ohne ihre Nörgelei am Tatort wäre die ganze Geschichte vielleicht nie ans Licht gekommen. Am liebsten hätte sie ihn sofort angerufen. Aber dann würde sie Lutz verpetzen und damit ihre Informationsquelle verraten. Sie musste unbedingt mehr über die Sache erfahren. Lutz wollte nicht, dass sie ihn anrief, aber eine SMS würde sie ihm schicken. Entschlossen tippte sie eine Nachricht. Lutz würde anrufen, da war sie sich sicher. Sophie sprang aus dem Bett und ging ins Bad. Sie sollte heute beim Kurs Augen und Ohren offen halten und sich ganz unauffällig in der Szene umschauen. Schließlich hatte sie die perfekte Tarnung. Sie machte nur einen Schnupperkurs. Als sie herunterkam, stand Tina in der Küche und hatte Finn auf dem Arm. Gleichzeitig balancierte sie Aufschnitt, Milch und Marmelade aus dem Kühlschrank.

»Hier ist ja schon was los!«

Tina rollte mit den Augen. »Meine Nacht war um halb sechs zu Ende. Finn wollte nicht wieder einschlafen und dann sind die Großen aufgewacht. Ich brauch dringend einen Kaffee! Lass uns erst mal frühstücken!«

Sophie hörte gar nicht mehr zu, sondern starrte auf die Schlagzeile der Sonntagszeitung:

›Kiterin ertrunken! Schon der zweite furchtbare Unfall in dieser Saison. Sarah M. trainierte auf Fehmarn für die Deutschen Meisterschaften und galt als Favoritin. Wie ihre Sportkameradin Sandra L. ertrank auch Sarah M. nachts‹.

14

Olli putzte sich in seinem komfortablen Wohnmobilbad unter der Dusche die Zähne. Ihm ging es endlich etwas besser. Er hatte die ganze Nacht durchgeschlafen. Seine Hände zitterten nicht mehr und der latente Kopfschmerz war verschwunden. Er durfte nur nicht an Sarah denken. Jede Erinnerung schmerzte zu sehr. Es war gut, dass er arbeiten musste. Wenn er abgelenkt war, konnte er nicht durchdrehen. Olli wickelte sich in ein Handtuch und machte sich in der kleinen Küche einen Kaffee. Dann zog er sich eine Badeshorts und ein T-Shirt an, setzte sich in seine gemütliche Sitzecke und sah sich um. Alles war wieder sauber und ordentlich, fast so, als wäre überhaupt nichts passiert. Olli liebte sein Motorhome. Hier hatte er alles, was er brauchte. Vom Bett aus konnte er sogar den Strand sehen. Das Wohnmobil war sein Refugium und er musste es mit nichts und niemandem teilen. Er war gerne mit Menschen zusammen, doch er brauchte gleichzeitig seine Unabhängigkeit.

»Unabhängigkeit!«, murmelte Olli vor sich hin. Wenn er etwas nicht war, dann unabhängig. Er machte sich doch nur was vor. Irgendwann würde auch dieser Sommer zu Ende sein und dann musste er wieder auf dem Hof seiner Eltern leben, in seinem alten Kinderzimmer. Er würde sich wie jeden Winter um die Kühe kümmern. Seine Eltern hofften noch immer, dass er eines Tages den Hof übernehmen würde. Er hatte ihnen oft gesagt, dass er sich ein anderes Leben vorstellte. Das Problem war nur, dass er nicht wirklich wusste, was er eigentlich wollte. Er hatte es mit einem Studium versucht und sich für ein Wintersemester BWL eingeschrieben, doch das Studieren war auch nicht sein Ding. Seine Eltern versüßten sein Leben mit großzügigen Schecks und vor zwei Jahren hatten sie ihn an seinem Geburtstag mit dem Wohnmobil überrascht. Sie ließen ihm wirklich seine Freiheit. Er genoss es, ohne Druck die Sommermonate genießen zu können und auf einem Parkplatz am Strand zu leben. Mittlerweile fragte er sich aber selbst, wie seine Zukunft aussehen würde. Das Leben war schließlich kein ewiges Ferienlager. Durch Sarah war ihm klar geworden, dass er nicht für immer ein Surfboy bleiben konnte. Er hatte das erste Mal daran gedacht, dass ein erwachsenes Leben zu zweit, zu dem auch ein solider Job gehörte, vielleicht doch nicht so spießig sein musste, wie er immer befürchtet hatte. Er hatte ernsthaft überlegt ein Surferhotel zu eröffnen und Verantwortung zu übernehmen. Sarah! Nach so vielen Jahren hatte er sich tatsächlich wieder verliebt. Vorher hatte es mit keiner anderen wirklich gefunkt. Am Anfang hatte er sich fast schuldig gefühlt, so, als hätte er seine wahre Liebe verraten. Aber er war damals erst 15 gewesen. Kein Mensch würde erwarten, dass er für alle Ewigkeit allein blieb. Und seine Kleine hätte das am wenigsten gewollt. Trotzdem war er eines Nachts ans Wasser gegangen und hatte sie gebeten, ihm zu verzeihen. Er wollte frei sein für Sarah. Und nun war Sarah tot. Alles war umsonst gewesen. Er war wieder allein und stand vor demselben Problem. Wenn er nur sein Leben so aufräumen könnte wie sein Wohnmobil! Er sollte endlich damit anfangen. Er hatte sich damals geschworen, die Insel nie zu verlassen. Sie sollte immer wissen, wo er war. Aber nun? Er musste endlich aufhören, sich an Erinnerungen zu klammern. Warum konnte er nicht sein wie Ben? Einfach mal abhauen! Der schien nie zu zweifeln. Ben handelte einfach und fürchtete nie die Konsequenzen. Er wurde anscheinend mit allem fertig. Olli ärgerte sich über seine eigene Feigheit. Wenn er doch nur den Mut aufbringen könnte, endlich mal etwas zu ändern. Es würden noch andere Frauen in sein Leben treten und dann würde er alles richtig machen. Seine große Liebe würde nie zurückkehren, das war ihm nach 15 Jahren klar. Es würde kein Wunder geben. Er musste aufhören, sich schuldig zu fühlen. Er musste aufhören, eine Tote zu lieben.

Sophie versuchte, zumindest ein Brötchen zu essen. Eigentlich war sie viel zu aufgeregt. Dass auch die erste Frau nachts ertrunken war, war beunruhigend. Zwei tote Frauen in drei Tagen, das konnte doch kein Zufall sein! Antonia und Paul tobten schon durch das Esszimmer. Sophie trank den letzten Schluck Kaffee und stand auf. »Ich sollte jetzt abzischen! Ich will Pelle am Strand noch etwas müde toben, damit er keinen Mist baut, wenn ich auf dem Wasser bin.« Im selben Moment knallte es. Tina zuckte zusammen.

»Nichts passiert, Mami!«, krähte Antonia. »Pelle braucht eine Brille! Der hat den Stuhl umgerannt.«

Sophie lachte. »Das nützt auch nichts, fürchte ich. Aber es würde toll aussehen.«

»Es vergeht eigentlich kein Tag mehr, an dem nichts zu Bruch geht«, seufzte Tina. Die Kinder waren schon wieder dabei, Pelle um den Tisch zu jagen. »Sophie? Bevor du gehst …«, Tina suchte nach den richtigen Worten. »Über eins musste ich die ganze Nacht nachdenken.Wenn ihr euch nicht mehr gesehen habt, Felix und du, dann muss er doch davon ausgehen, dass du noch schwanger bist.«

»Ja, theoretisch schon. Aber er wird sich erkundigt haben. Mach dir um ihn keine Sorgen. Er ist doch immer über alles im Bilde.«

»Ich werde seine dumme Show jedenfalls nie wieder einschalten!«

»Da sind wir ja schon zwei! Wenn das so weitergeht, wird die wegen schlechter Quote noch eingestellt.«

Tina grinste. »Was ich an dir immer bewundert habe, ist dein rabenschwarzer Humor. Ich hab dich vermisst. Versprich mir, dass wir uns in Zukunft häufiger sehen, ja?«

»Ganz bestimmt!«

»Wir fahren heute Nachmittag an den Strand. Stefan versucht, rechtzeitig zu Hause zu sein. Und heute Abend grillen wir. Sei pünktlich zurück, sonst gehst du leer aus.«

»Natürlich bin ich rechtzeitig da! Ich mach den Salat. Ich werde bestimmt Hunger haben wie ein Wolf! Außerdem habe ich Antonia und Paul doch was versprochen.«

»Ach ja, der Geheimdeal!«, erinnerte Tina sich. »Tu mir doch den Gefallen und denk dir wieder einen aus.«

»Ich werde es versuchen! Bis heute Abend!« Sie rief Pelle und verließ mit ihm das Haus. Die Sonne brannte bereits vom Himmel. Sophie öffnete das Verdeck ihres Cabriolets und stieg ein. Eigentlich sollten sie nach Gold laufen, doch sie hatte Angst, dass sie am Abend zu kaputt sein würde, um den Weg noch einmal zu gehen. Sophie gab Gas und brauste los. Sie parkte ihren Wagen auf der Wiese neben dem freien Campingplatz und lief an den Strand. Die ersten Surfer und Kiter waren bereits auf dem Wasser. Bunte Schirme zogen über den blauen Himmel und weiter draußen rasten Surfer durch die Bucht. Sophie nahm Pelles Lieblingsball aus der Jackentasche und schleuderte ihn in die See. Begeistert stürmte der braune Labrador los. Kraftvoll schwamm er dem Ball hinterher, schnappte ihn und brachte ihn stolz zu ihr zurück. Sophie bekam ein schlechtes Gewissen. Eigentlich müsste sie mit ihm jeden Tag in den Stadtpark zum See gehen. »Wenn wir wieder in Hamburg sind, gehen wir öfter schwimmen. Versprochen!« Pelle bellte ungeduldig. »Ja, ich weiß! Ich soll hier keine Rede halten, sondern den Ball werfen.« Die Sonne kitzelte ihr Gesicht. Sie würde über Felix hinwegkommen. Vielleicht ja sogar schneller, als sie es sich je hätte vorstellen können. Und das Baby? Der Arzt hatte ihr gesagt, dass mehr als 15 Prozent der Embryonen in den ersten Schwangerschaftswochen abgingen – aus verschiedenen Gründen. Sie sollte sich keine Schuld geben. Sie hatte sich aber schuldig gefühlt, weil sie darüber nachgedacht hatte, das Baby erst gar nicht zu bekommen. Ihr war es wie eine Strafe Gottes vorgekommen. Wieder und wieder feuerte sie den Ball ins Wasser. Mit jedem Wurf fühlte sie sich etwas besser, als ob sie die trüben Gedanken mit ins Meer werfen würde. Felix war der Falsche gewesen. Wie hatte sie sich überhaupt jemals in den Mistkerl verlieben können? Sie würde sich zwingen, nicht mehr daran zu denken, was gewesen wäre, wenn … Und irgendwann würde sie bestimmt eine Familie haben. »Komm jetzt! Ich muss zum Kurs!« Pelle kam angerannt und sie umarmte den nassen Hund. »Na, Dicker, es ist wirklich toll hier, oder? Kaum zu glauben, dass hier gestern noch eine Leiche gelegen hat.«

Hanjo hantierte in der Küche herum. Die Gäste in der Gaststube waren dabei, das Buffet zu plündern. Bei diesem Wetter würden die Leute in Scharen kommen und gerade heute hatte sich seine Aushilfe krankgemeldet. Sie hatte sich den Knöchel gebrochen und würde diese Saison mit Sicherheit nicht mehr arbeiten können. Es nützte nichts, er würde für die Sommermonate eine andere Servicekraft finden müssen. Ohne Freya würde sonst alles im Chaos versinken. Sie musste für drei gearbeitet haben. Ihm war das nie aufgefallen. Bei ihr hatte alles immer so leicht ausgesehen. Hanjo seufzte und riss sich zusammen. Die Gäste hatten Hunger. Seine Stimmung besserte sich. Er hatte auch keinen Grund zu jammern, wenn er das Schicksal außer Acht ließ. Es war Sommer und er war tagtäglich von jungen, gut gelaunten Menschen umgeben. In dem ganzen Trubel war er manchmal fast glücklich. »Hanjo?«, Ben steckte seinen Kopf in die Küche. »Der Käse ist alle. Ach, und der Orangensaft auch. Warte, ich helfe dir!« Ben öffnete den Kühlschrank und legte neue Scheiben auf die leere Platte. »Wir brauchen noch Gläser.«

Hanjo deutete auf die Spülmaschine. »Da sind frische drin. Der Kaffee ist auch gleich durch. Hast du alles im Griff?«

»Ich bin die geborene Oberkellnerin! Mach dir keine Sorgen. Unsere Gäste erwarten keine Fünf-Sterne-Behandlung. Sie sind alle gut gelaunt.«

»Danke, mein Junge! Ich verspreche dir, gleich morgen such ich jemanden für die Saison.«

»Mir macht das Spaß! Alles ist ein bisschen improvisiert und lustig. Mich erinnert das an Thailand.«

Hanjo nickte lächelnd. »Wo ist Olli? Hat er sich wieder im Griff?«

Ben sah ihm direkt ins Gesicht. »Er bemüht sich. Zumindest hat er aufgehört, sich volllaufen zu lassen. Er wird damit fertig, Hanjo. Bestimmt ist er gleich hier.«

Ben schnappte die Käseplatte und verschwand. Hanjo atmete tief durch und räumte das saubere Geschirr aus der Maschine. Das benutzte stapelte sich bereits. Ohne Ben hätte er heute Morgen die Nerven verloren. Der Junge war in Ordnung. Beide Jungs. Sie kümmerten sich gewissenhaft um die Surfschule, leiteten die Kurse und pflegten die Ausrüstung. Als Freya krank wurde, kümmerten sich die beiden auch um das Bistro. Während er bei seiner Frau war, hatten sie Lebensmittel bestellt und ihr Bestes gegeben. Sie hatten improvisiert, die Speisekarte umgeschrieben und mit ihrer guten Laune die Gäste davon abgelenkt, dass längst nicht alles so perfekt lief. Ohne die Jungs hätte er sicher aufgegeben. Hanjo lächelte. Gut, dass ihm eingefallen war, den beiden alles zu vererben. So fühlte er sich nicht schuldig und sie hätten nicht umsonst so hart gearbeitet. Schade, dass er nicht miterleben würde, wenn sie es erführen. Es wäre auch in Freyas Sinn gewesen, da war er sich hundertprozentig sicher. Aber jetzt war es erst mal wichtig, dass die hungrigen Mäuler gestopft wurden. Er musste an die hübsche Frau mit dem netten Hund denken. Ob sie schon da war? Hanjo brachte das Rührei in die Gaststube, grüßte ein paar bekannte Gesichter und sah sich um. Tatsächlich, alles lief wie am Schnürchen. Ben stand hinter dem Tresen und bongte die Rechnungen für die verschiedenen Tische ein. Nebenbei flirtete er mit zwei jungen Mädchen. Olli war nun auch da. Er räumte das benutzte Geschirr von den Tischen. Hanjo fiel ein Stein vom Herzen. Er hatte sich Sorgen gemacht, dass das Verhältnis zu dieser Sarah tiefer gegangen war. Der Verlust eines geliebten Menschen war die Hölle und er wusste das. Olli war fast wie sein eigener Sohn. Er kannte den Bengel schon so lange. Damals war er fast noch ein Kind gewesen. Die Surfschule hatte es noch gar nicht gegeben, nur sein kleines Café und ein paar Bretter und Segel, die für ein paar Stunden gemietet werden konnten. Olli war schon damals besessen gewesen von der Surferei. Er hatte sich fast täglich Surfbrett und Segel geliehen. Statt mit Geld hatte er mit kleinen Dienstleistungen bezahlt. Wasser und Wind waren schon damals seine Leidenschaft gewesen – und Fee. Er hatte Fee viel zu sehr geliebt.

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Дата выхода на Литрес:
23 декабря 2023
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1014 стр. 7 иллюстраций
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9783734994883
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