Читать книгу: «Celsissimus: Salzburger Roman», страница 6
Zweifelnd besah der Kastellan diese, eher an einen Bettler denn einen Geistlichen gemahnende Gestalt. „Ich weiß, daß der Jodoker Kurat zur Audienz befohlen ist. Was aber will Er denn hier auf Hohenwerfen?“
Vor Müdigkeit, ermattet vom beschwerlichen Marsche aus dem Gebirge herab, bat der alte Mann, sich setzen zu dürfen.
„Das fehlte noch! Im Burghof dulden wir keine Bettler, das Almosen wird unten im Dorf gereicht!“ rief grob der Vogt.
„Mit Verlaubnis, Herr! Ich bin ja der Kurat von Skt. Jodok und hier ist mein braves Weib, das der gnädige Herr gleich mir zu sehen wünscht!“
„Haha! Das glaube, wer will! So ein Hungerleider will geistlich sein und hat in seiner Not gar noch ein Weib! Flink auf und hinunter, oder ich mache Euch Beine!“
Unter dem Thorbogen der Burg erschien Salome, in ein kostbar Gewand gekleidet, das Blondhaar offen tragend über die Schultern gleich einem Strahlenkranz von hellem Golde. Salome hatte die rauhe Aufforderung gehört, und Mitleid erfaßte sie beim Anblick des gebrechlichen Paares, insonders fühlte Salome Erbarmen für die Greisin, die den ängstlichen Blick auf den Vogt gerichtet und wie zum Schutz die knöcherige Hand auf das Haupt des Gatten gelegt hatte. Mit heller Stimme rief Salome: „Vogt! Sind die Leute von Skt. Jodok, so führt sie herein in die Erkerstube; der gnädige Herr hat Mann und Weib befohlen!“
Wie umgewandelt zeigte sich der Burgvogt, höflich verbeugte er sich und erwiderte unterwürfig: „Der Mann sagt wohl, er wär der Jodoker Kurat, sein Aussehen straft seine Rede Lügen! Mich will bedünken, in dem Verzug darf niemand vor dem gnädigen Herrn erscheinen!“
Salome war näher getreten und richtete an die Greisin liebreich und mild die Frage: „Seid Ihr das Kuratenpaar von Skt. Jodok?“
Vor Freude bewegt meinte das runzelige, kleine Weiblein: „I freilich, schönes Fräulein! An die vierzig Jahre hausen wir schon oben in der Einöd', der Welt völlig entfremdet und doch zufrieden! Was nur der Herr Erzbischof von uns will?“
„Das wird der gnädige Herr Euch schon selber sagen! Kommt nur mit, und vor dem Empfang soll eine Kanne Weines und ein Bissen Brot Euch noch erquicken!“
„I, ist das schöne Fräulein aber gut und lieb! Der Himmel soll's Euch lohnen dereinst an Euren Kindern!“
„Pst, pst!“ mahnte der Kurat.
„I, freilich! Solche Schönheit wird nicht lange ledig bleiben! Oder seid Ihr gar schon Ehefrau, gern will ich's glauben! Hab' meiner Lebtag' so schönes Haar und Gesicht nicht gesehen und ich leb' schon lang! Freilich, viel herumgekommen bin ich nicht, allweil oben in der Einöd' und um meinen Brummbären besorgt, der ist aber die gute Stund' selber und mit dem Beißen hatt' es nie Gefahr!“
Silberhell lachte Salome auf und geleitete das zappelnde, frohbewegte Paar ins Innere der Burg. Rasch besorgte ein Diener Wein und Brot; Salome goß die Becher voll und hieß die Leutchen trinken.
Der Kurat stellte den erhaltenen Becher vor sich auf den Tisch und murmelte erst ein Gebet, eh' er zugriff; dann sprach er: „Gott vergelt' Euch den Willkomm und die frohe Spende! Der Labtrunk ist den Müden und Durstigen eine Wohlthat, die wir ehrlich Euch verdanken! Gott zu Ehr' und Preis und auf Eure Gesundheit, Glück und Wohlergehen hienieden!“
„Vergelt' Gott Euch alles Gute auf der Erden!“ lispelte die Greisin und nippte dann vom goldigklaren Wein.
„Dank' Euch für die frumben Wünsche! In der Einöd' habt Frömmigkeit Ihr nicht verloren und die Gottesfurcht, das will ich loben!“ sprach Salome, der es ein wohlig Bedürfnis war, mit den schlichten Leuten aus dem Volk zu sprechen. Zufällig richtete Salome den Blick durch das Erkerfenster in den Burggarten, durch welchen Wolf Dietrich in Begleitung des Domkapitulars Lamberg eben schritt. Diese Wahrnehmung veranlaßt Salome, dem Greisenpaar zu sagen, daß der Empfang nun wohl in wenigen Augenblicken werde stattfinden, es möge sich das Paar daher fertig machen.
„O,“ meinte die Greisin, „fertig sind wir allzeit, da giebt's kein Putzen mehr und keinen Tand! Was wir am alten Leibe tragen ist Festgewand und Alltagskleid zugleich! Doch sagt: Er ist wohl ein gestrenger Herr, der Erzbischof? Schlimm wie der Dechant von Werfen? O, das ist ein böser Herr, hart und streng, ein Weiberfeind gar wohl!“
„Nun, das ist unser gnädiger Herr gerade nicht!“ lächelte Salome.
Ein Edelknabe riß die Thüre zur Erkerstube auf und trat dann zur Seite, um den Fürsten und seinen hinterdrein schreitenden Begleiter einzulassen. Wolf Dietrichs rascher Blick nahm sofort Salome und das Paar wahr und verwundert sprach der Fürst: „Ei, Salome und in Gesellschaft?“
„Verzeiht mir, gnädiger Herr! Das Kuratenpaar von Jodok, müde vom beschwerlichen Marsch wollt' rasch stärken ich mit einem Labetrunk, eh' vor Euer Gnaden die Leute wollt empfangen! In der Eil' sind in diese Stube wir geraten!“
„Ein Samariterwerk, das zieret Euer warmfühlig zartes Herz! Nun gut, so wollen wir Audienz erteilen gleich in dieser Stub'!“
Graf Lamberg wollte sich zurückziehen, ebenso Salome, doch Wolf Dietrich bat, anwesend zu bleiben. Er winkte lediglich dem Edelknaben, der sogleich verschwand.
Leutselig und herablassend, wohlwollend wandte sich der Fürst an den ehrerbietig und demutsvoll vor ihm stehenden Kuraten: „Wie lang seid Ihr schon Priester?“
„Hochwürdigste Gnaden, Primiz feierte ich als Jüngling mit zweiundzwanzig Jahren. Lang ist die Zeit seither und um Johanni werd' ich wohl etliche vierzig Jahre Kurat sein in der Einöd'. Auf der Jährlein eines oder zwei weiß ich's genau nicht mehr.“
„Vierzig Jahre in der Einöd'!“ sprach mit besonderer Betonung Wolf Dietrich und nickte Salome zu.
Voreilig meinte die Greisin: „In steter Arbeit, Treu' und Lieb rinnen die Jährlein wie der Bergbach geschwind!“
Abwehrend dem Redefluß sprach der Kurat: „Verzeihet, Hochwürdigste Gnaden! Es ist mein Weib und eilig ist des Weibleins Zunge! Ich bitt', nehmt's nicht ungut, ist halt Weiberart!“
„Sein Weib! Er sagt das ruhig und gelassen; weiß der Kurat nichts von Cölibat und päpstlicher Verordnung?“
Der alte Leutpriester ließ das Haupt sinken und stand demütig, zerknirscht vor dem Erzbischof. Leise nur wagte er zu stammeln, daß damals, vor reichlich vierzig Jahren der Vorgänger des jetzigen Dechanten ihn getraut habe, wie es Brauch ist, und keinen Anstoß genommen habe an der Priesterehe.
„Beklagenswerte Zustände im Landklerus!“ sprach Kapitular Graf Lamberg.
Zitternd blickte der Kurat zum Fürsten auf, in dem das Mitgefühl sich regte und den wohl auch der Gedanke an sein eigenes Verhältnis zu Salome bewegen mochte.
Und ehe Wolf Dietrich noch den Mund geöffnet, wagte Salome zu sagen: „Ein von der Kirche gesegneter Bund trotz Vorschrift und päpstlichem Gebot! Getraut das Paar, glücklich das Eheweib trotz Kummer und Sorgen in langen Jahren! In Armut und Not, wie ausgestoßen von der Menschheit hoch droben in der Einöde, und doch ein glücklich Weib, getraut von Priesters Hand!“ Ein Seufzer begleitete diese Worte. Das Weiblein plapperte eilig: „I freilich, schöne Frau! Zufrieden und glücklich lebten wir in fleißiger Arbeit, haben gedarbt und Gott gepriesen alle Zeit, daß er uns hat zusammengegeben! Glücklich waren wir, bis der schlimme Pfarrherr uns brachte den Unfried in unsere Hütte! O Gott! Was hab' ich da gelitten! Verjagt bin ich worden wie ein räudiger Hund, ausgetrieben und verflucht, ein Amtsbruder meines Gatten hatt' nur Fluch und Verdammnis für mich, der Dechant, der doch auch Gottes Wort predigen und den Leuten ein gutes Beispiel von der Nächstenliebe geben soll! Ein harter Herr! Gott sei's geklagt! Und bin ich nach seinem Abzug wieder heimgeschlichen, wohin ich gehöre als treues Eheweib, zum Gatten, der jeglicher Pflege bedarf, – kein Stündlein bin ich sicher und sie jagen mich wieder fort und in den Tod! Sagt, schöne Frau, muß ein Eheweib nicht ausharren durch alle Not des Lebens beim Manne, den uns Gott gegeben vor dem heiligen Altar?“
Wolf Dietrich nahm das Wort: „Das päpstliche Gebot bestand, es ist ein Konzilsbeschluß, und für den Kuraten gab's keine exceptio! Geschlossen ist der Bund, der Mensch kann ihn nicht trennen, und wie es ist, gehört zum Mann das Weib! Doch seh' ich selbst: Zeit ist's zu schaffen Zucht und Ordnung, das Erzstift muß purifizieret werden!“
Angstvoll rief Salome: „Gnädiger Herr!“
Der Fürst verstand den Sinn des Angstrufes gar wohl und erwiderte: „Beruhige dich, Salome! Nicht will ich grausam trennen ein gottergeben greises Paar, wenngleich nur schlimm kann wirken solches Beispiel! Ich gedenk' in dieser Stunde wohl der Macht der Liebe, die alles überwindet! Bleibt in Ehren ein christlich Ehepaar und dankt der besten Fürsprecherin, die ihr gefunden in Salome!“
Graf Lamberg wollte mahnen: „Exempla trahunt!“
Lebhafter werdend rief Wolf Dietrich: „Das mag im allgemeinen gelten, und ich verschließe mich nicht der Wahrheit dieses Satzes! Doch will mich bedünken: In jener unwirtlich schaurigen Einöd' wird die Gefahr der Verführung junger Kleriker nicht werden übergroß. Bleibt der Alte in seinem Bergnest wie zuvor, soll leben er in Gottesnamen mit seinem ehelich angetrautem Weibe. Ein nunqam aber allen andern! So kehret heim mit Gott, ihr alten Leute! Und der Hitzkopf im Widum zu Werfen soll lassen Euch in Ruhe!“
Glückstrahlend haschte das Weiblein nach Salomens Händen und dankte in innigster Herzlichkeit, indes der alte Kurat den Kuß der Ehrfurcht auf die Rechte des Erzbischofs drückte und seinen Dank stammelte.
Zu Salome gewendet, sprach Wolf Dietrich lächelnd: „Hab' ich's nach Wunsch gethan? Nun aber sorg' für Atzung, schick' das Paar zum Küchenmeister!“
„O, heißen Dank, gnädiger Herr und Gebieter!“ lispelte erglühend Salome und verließ, gefolgt von den alten, glückseligen Leuten die Erkerstube.
Der Fürst nahm Platz auf einer Truhe im Erker und lud durch eine Handbewegung den Kapitular ein, dasselbe zu thun und ihm Gesellschaft zu leisten. „Nun, Freund Lamberg? Was sagt jetzund der Kapitelherr von Salzburgs Stift und Dom?“
„So der gnädige Fürst und Herr gesprochen, hat der Unterthan nichts zu sagen, zu schweigen und zu gehorchen!“
„Ja, du, Lamberg, bist die treue, einzige Stütze, die ich habe im Kapitel! Allzeit ergeben, gefügig stets dem Willen des Fürsten! Dennoch möcht' deine Meinung hören ich ad hoc! Daß nach Salomens Sinn ich hab' gehandelt, deß' bin ich mir nicht im Zweifel. Die Gute ist beglückt von meinem Spruch und Entscheid zu Gunsten des alten Paares! Was aber sagt mein Freund?“
„Ich fürchte, gnädiger Herr, es ist Zwietracht gesäet in diesem Falle!“
„Nicht Unglück krächzen, Lamberg! Du weißt, ich hör' derlei nicht gern. Hab' ich gefehlt nach deiner Meinung?“
„Kaum hätt' ich anders mich erkläret; zu rührend ist der Bund, die Lieb' und Treu des alten Paares! Und dennoch! Es darf das Herz nicht länger dominieren, zu arg ist eingerissen all' der Unfug! Es geht nicht länger so, und eingreifen muß des Herrschers Hand kraftvoll und hart, soll Ordnung werden im Erzstift!“
„Ich fühl' es selber und kann nicht länger mich verschließen solcher Einsicht!“
„Je früher, gnädiger Herr, desto besser! Und wenn Hochfürstliche Gnaden ein Wort noch wollen mir verstatten, sei es die Bitte: Bleibet fest auch gegen….“
„Du meinst Salome!“ sprach hastig Wolf Dietrich. „Du bist klug und weit reicht dein Blick voraus! Meine süße, liebe Salome! Im Widerstreit stehet mir Kopf und Herz! Leicht zu erraten ist, daß Salomens kluger Sinn wird die Konsequenz zu finden wissen. Was ich dem alten Paar verstattet, soll verweigern ich dem Liebsten, was ich hab' auf Erden! Ich soll mir selbst nicht erlauben, wessen ein armes, altes Weib seit einem Menschenalter sich erfreut: der Legitimität des Bundes!“
„Nur das nicht, gnädiger Herr! Gedenket allzeit meiner Warnung! Mag paradox es klingen: Die Trauung wird zum Unheil werden meinem gnädigen Fürsten! Drum meidet sie, solang' Ihr atmet!“
Den Blick in die Ferne gerichtet, verstummte Wolf Dietrich und überließ sich völlig tiefem Sinnen.
Still saß ihm gegenüber Graf Lamberg, hoffend auf Erkenntnis der schwierigen Lage seines Gebieters, vertrauend auf die Klugheit des genial veranlagten Fürsten, und doch wieder bangend vor dem Einfluß der schönen Salome.
IV
In der Bischofstadt gärte es im milden Lenz ärger, denn in den Tagen, da der junge Fürst ein Reformationsedikt erlassen, welches die bedeutendsten und reichsten Kaufleute zwang, Salzburg zu verlassen. Im Kapitel waren wohl Stimmen laut geworden, Mahnungen, just diese steuerkräftigen Leute im Lande zu behalten, ihren Handel eher zu begünstigen, denn zu schädigen, und Salzburg vor einem unausbleiblichen finanziellen Ruin zu bewahren. Allein Wolf Dietrich stieß sich am Ton dieser Stimmen, er erblickte eine Auflehnung seines Kapitels wider die Fürstengewalt und außerdem brauchte er Geld. Vielleicht wäre der Fürst den Mahnungen zugänglicher gewesen, wenn nicht der bischöfliche Fiskal bald nach der Erwählung Wolf Dietrichs in den Büchern die Entdeckung gemacht hätte, daß die Ausgaben des Erzstiftes dessen Einnahmen überstiegen. Die Thatsache einer Unterbilanz konnte den Fürsten nur veranlassen, auf neue Einnahmequellen zu sinnen und die Hofkammer zu beauftragen, Steuermandate zu konzipieren. Die Weinbesteuerung hatten die Salzburger zu einem Teile selbst heraufbeschworen durch massenhaften Verbrauch und die Klagen des Bürgermeisters über den „Saufteufel“. Es konnte Wolf Dietrich also ganz berechtigt spotten, daß die Unterthanen nur dankbar sein sollten, wenn er ihnen den Weinteufel abfasse. Wie die Steuer aber zur Einführung gebracht wurde, das bekundete ein hervorragendes Verständnis für finanzielle Erträgnisse, denn das Mandat faßte die wohlhabenden Klassen und zog dann auch alle jene zur Besteuerung heran, die bei einer direkten Steuer der Anlage entgangen wären. Alle Arten von Wein, gleichviel ob diese im Lande selbst gebaut5 oder von auswärts eingeführt waren, wurden steuerpflichtig erklärt; von allem ausgeschenkten Wein mußte der zehnte Teil, von dem im eigenen Hause verbrauchten der zwanzigste Teil des Wertes in Barzahlung jeden Monat, bei Großkonsumenten oder Händlern jedes Quartal an die Hofkammer abgeliefert werden.
Diese Verfügung wurmte die Salzburger, die Ankündigung aber, daß die Weinsteuer „für ewige Zeiten“ Geltung haben solle, brachte das Blut auch der Sanftmütigen in Wallung. Die hohe Steuer sollte aber nicht nur Bürger und Kaufleute, sondern auch die Geistlichkeit und den Adel treffen, und das machte die Landschaft rebellisch.
Es regnete Proteste in die Hofkammer, wie das schon Dr. Lueger durch den Domkapitular Grafen Lamberg dem Fürsten melden ließ.
Zugleich aber war eine Erhöhung der Mauten und Zölle für Kaufmannswaren verordnet worden, die auch auf die von Mauten bisher befreiten Kaufleute der Stadt Salzburg in der Absicht ausgedehnt wurde, den durch ihre Hände gehenden partiellen venetianischen Handel zu treffen.
So mußte es denn kommen, daß Bürger- und Kaufmannschaft, Adel und Geistlichkeit sich gegen die neuen Mandate auflehnten und den Beschwerdeweg beschritten.
Dr. Lueger wußte sich gegen dieses Anstürmen nicht anders zu helfen als durch Berichterstattung an den Fürsten, und seine Meldung veranlaßte Wolf Dietrich, den Hofstaat schleunigst von Hohenwerfen nach Salzburg zu verlegen, wohin auch kurze Zeit später Salome wieder übersiedelte.
Zunächst hörte der Fürst den Vortrag Luegers mit Aufmerksamkeit und Ausdauer und notierte sich die wichtigsten Punkte. Bezüglich der zu treffenden Maßnahmen und Verbescheidung der Beschwerdeschriften jedoch berief Wolf Dietrich den treubewährten klugen Freund Lamberg zu gemeinsamer Beratung im Arbeitsgemache des Keutschachhofes, wohin die Aktenstücke verbracht wurden, über welchen nun Wolf Dietrich stundenlang saß und studierte trotz aller Bitten Salomens, sich doch einige Erholung zu gönnen.
Liebreich doch bestimmt wies der Fürst auf die Notwendigkeit eines raschen Eingreifens hin, ansonsten in Salzburg ein allgemeiner Aufruhr losbreche, worauf Salome sich in ihre Gemächer zurückzog.
Inmitten eifrigsten Studiums ward Graf Lamberg gemeldet und sogleich vorgelassen.
Wolf Dietrich hatte eben die Beschwerde des Salzburger Stadtrates in Händen und rief dem Freunde zu: „Komm nur schnell heran, setze dich zu mir an den Sorgentisch, höre und dann gieb deine Meinung kund. Hier habe ich die Beschwernis des Stadtrates über Verletzung alter Freiheiten! Sie wollen die neuen Mauten und Zölle nicht zahlen und beklagen sich in einem Tone, in einer Sprache, die ich nicht anders bezeichnen kann, denn aufzüglich, undeutlich und bar der schuldigen Ehrfurcht!“
Vorsichtig fragte der kluge Edelmann und Kapitular: „Auf welche Privilegien beruft man sich?“
„Die Freiheiten gehen um einige Säkula zurück!“
„Dann ist mit Sicherheit anzunehmen, daß sothane Privilegia unter den früheren durchlauchtigsten Fürsten ihre Kraft und Wirksamkeit längst eingebüßt haben.“
„Das scheinet auch mir zweifellos, auch fehlet es an Zeit, all' das im Archiv feststellen zu lassen. Ich bin nicht gewillt, auch nur eine von den Errungenschaften aus früheren Zeiten, so sie die jeweiligen Fürsten gewonnen und sich erstritten haben, aufzugeben. Und ein nunquam gegen eine Erneuerung alter, längst erloschener Rechte!“
Lamberg antwortete lediglich durch eine Verbeugung.
„Mich deucht, aus dem Handel mit Venedig können die Kaufleute Salzburgs nur Nutzen gezogen haben; ein Gegenteil würde die klugen Krämer sicherlich veranlaßt haben, die Beziehungen mit Venedig abzubrechen. Ist der Nutzen also erwiesen, und mich deucht, der Gewinn ist perpetuell, – so muß es vollkommen berechtigt erscheinen, die Zollsteigerung auch auf die Salzburger Kaufmannschaft auszudehnen.“
„Euer Hochfürstliche Gnaden argumentieren völlig richtig!“
Seinem Temperament entsprechend rief hastig und laut Wolf Dietrich: „So werd' ich den Querulanten zu wissen thun, daß es verbleibt beim Mandat der Mauten und Zölle!“
Lamberg blieb stumm, sein Antlitz zeigte Falten, die den Fürsten, als er eben auf den Freund einen Blick richtete, veranlaßten zu fragen: „Du hast Bedenken? Sprich, Lamberg!“
„Schwer ist es in heiklen Dingen, eine Meinung zu äußern, zumal bemeldte Angelegenheiten sich völlig entziehen meinem gewohnten Wirkungskreise.“
„Keine Ausflüchte, Lamberg! Du siehst klar, hast ein trefflich Urteil!
Sag' deine Meinung mir als treubewährter Freund!“
Zögernd begann der Kapitular zu sprechen: „Die Zeit ist schlimm, die Erregung groß in vielen Kreisen. Der Mandate von einschneidender Wirkung sind zu viel in kurzer Zeit erflossen; es gärt allenthalben, und weder Adel noch Geistlichkeit sind eine feste Stütze für den gnädigen Fürsten….“
„Herr bin ich und stark genug, jeglichem Widerstand zu trotzen!“
„Gewiß, Euer Hochfürstliche Gnaden! Ein starker Herr und weiser Fürst! Doch aller Stützen kann füglich nur der Allmächtige über alle entraten! Was ist ein Thron, wenn Bürger, Adel und Geistlichkeit ihn stürzen wollen und zum Wanken bringen?!“
„So greif' ich zum Schwert und werfe mit bewaffneten Scharen die Rebellen in den Sand!“
„Verzeiht mir, gnädiger Fürst und Herr! Ich bin zu weit abgekommen vom Thema, das zu erörtern ich sollte beflissen sein. Darf ich als treuergebener Unterthan raten, so möchte ich submissest bitten, in bemeldter Zollangelegenheit nicht zu scharf vorgehen zu wollen.“
„Wie soll ich die Grenze finden? Wohlwollen an Unwürdige verschwendet, ist Dummheit! Auch kann ich dir, dem treuen Freunde nicht verhehlen: wir brauchen Geld!“
„Trotzdem möcht' ich um Milde bitten der Kaufmannschaft gegenüber! Ein partieller Nachlaß der geplanten Steuer würde als Wohlwollen dankbarst empfunden werden, und sothanes Wohlwollen könnte zum Beispiel immer noch gut ein Dritteil Zollerträgnis in die Hofkammer liefern.“
„Lamberg! Ich werde dich zum Chef des Steuerdepartements ernennen! Der Rat an sich will gut mich bedünken, doch zu groß scheint mir sothanes Wohlwollen! Wo ich alles fordern kann, ist Begnügung mit dem Dritteil nicht am Platze! Jeder Steuerpflichtige jammert vor dem Zahlen!“
„Hochfürstliche Gnaden werden hinfüro solches Wohlwollen in mehrfacher Hinsicht von Segen begleitet finden.“
„Wie meinst du das, Freund Lamberg?“
„Ein Nachgeben just jetzt dämpft die Erregung, macht den Ständeausschuß gefügig für die Weinsteuer, und die Ermäßigung der Zoll- und Mautgebühren könnte zur Sicherung des immerhin noch stattlichen Ertrages durch Bestimmungen fixiert werden. Auch meine ich submissest und unmaßgeblichst, daß beregtes Wohlwollen manchen Kaufherrn abhält vor – Auswanderung!“
Wolf Dietrich stutzte. Was Lamberg da andeutete, haben Stimmen im Kapitel auch schon betont, nur nicht so diplomatisch klug und ganz und gar nicht ehrerbietig. Nach kurzer Überlegung sprach der Fürst: „Niemals ist es meine Absicht gewesen, Leute zum Verlassen des Erzstiftes zu zwingen. Auswanderung ohne Genehmigung werde ich zu strafen wissen!“
„Ein Edikt kann desgleichen verhüten! Ermäßigung der Mauten und Zollgebühren wäre eine Gnade, deren Mißbrauch mit Aufhebung der Begünstigung geahndet werden kann. Ebenso wäre Erlaß einer Instruktion zur Durchführung der Weinsteuer empfehlenswert.“
„Erst muß ich ja das Votum der Landschaft haben!“ warf Wolf Dietrich ein, und grollend klangen seine weiteren Worte: „Traurig genug, daß der regierende Fürst das Volk um Zustimmung angehen muß! Ging' es nach meinem Kopf, ich schickte die Stände heim für immer!“
„Das können Hochfürstliche Gnaden bei nächster Gelegenheit thun im Wege einer harmlosen Entlassung. Nimmer aber könnte ich ob der Folgen zu einer Auflösung raten!“
„Ein kluger Rat fürwahr! Entlassung für immer! Auf die Wiederberufung können sie warten bis – in Salzburg nichts Neues mehr zu bauen ist!“
Überrascht fragte Lamberg: „Hochfürstliche Gnaden beabsichtigen größere Bauten?“
„Will ich, ja, habe aber jetzt dazu kein Geld! Wird sich hoffentlich später finden! Muß ja für Salome ein ihrer Schönheit würdiges Heim schaffen! Roma parva! Und kein Geld! Meine Weihsteuer6 hab' ich auch noch einzufordern —!“
„Darf ich hiezu ein Wort in schuldiger Ehrfurcht mir verstatten?“ fragte Graf Lamberg, welcher die Gefahr dieser Steuereinhebung nur zu genau kannte.
„Sprich, Freund!“
„Submissest würde ich bitten, jetzt und auch für das nächste Jahr in Gnaden abzusehen von einer Eintreibung der Weihsteuer, die, nebenbei bemerkt, auch für den hochseligen Erzbischof und Fürsten Georg von Küenburg noch nicht bezahlt ist….“
„Nun also! Die Grundholden machen Schulden über Schulden, und der Fürst muß darben! – Warum widerratet Lamberg einer Einhebung der vollauf berechtigten Weihsteuer?“
„Gnädigster Fürst! Das vergangene Jahr brachte dem Erzstift das Glück Eurer Erwählung zum Gebieter und Landesherrn. Leider ward dieses allseitig tiefempfundene Glück getrübt durch Mißwachs, die Unterthanen, an sich nicht reich, sind andurch schwer geschädigt und kaum im stande, neue Steuern zu tragen. Die Eintreibung der restierenden Weihsteuer müßte vielen, großen Schwierigkeiten begegnen, müßte den neuen Herrn und Gebieter im Lichte der Hartherzigkeit dem armen Volk gegenüber erscheinen lassen, und unseren erhabenen Herrn möchte ich geliebt wissen allenthalben!“
Weichgestimmt reichte Wolf Dietrich dem Freunde die Hand und dankte für das ehrlich offene Wort. „Gut denn! Es soll nach deinem Rat geschehen! Will Freund Lamberg zu Tisch verbleiben? Salome wird sich freuen, dich begrüßen zu können!“
Ausweichend erwiderte Lamberg: „Wenn Hochfürstliche Gnaden verstatten, möchte ich jetzund einige Herren des Landschaftsausschusses aussuchen, um eine Zustimmung zur Weinsteuer zu propagieren!“
„Das hat wohl Zeit bis morgen! Wir wollen vergnügt zusammen speisen und haben solche Erquickung vollauf verdient nach schwerer Beratung. Dieweilen ich die Hauptpunkte noch rasch fixiere, soll Graf Lamberg meiner Salome Gesellschaft leisten!“ Dies sprechend gab der Fürst ein Klingelzeichen und gebot dem eintretenden Kämmerer, den Domkapitular der Fürstin anzumelden und dorthin zu geleiten. „Auf Wiedersehen, Graf, bei Tisch!“
Unter genauester Beobachtung des Hofceremoniells verließ Lamberg das fürstliche Arbeitsgemach und folgte den Kämmerer in die Apartements der Favoritin, auf welchem Wege der Graf sowohl in reichgeschmückten Zimmern als auch an den Korridorwänden viele neue Gemälde erblickte, die Wolf Dietrich wohl erst vor kurzem mußte angeschafft haben und welche vielfach Darstellungen poetischer Fabeln, idealisierter Frauengestalten aus der Mythologie enthielten und dem Geschmack des Fürsten alle Ehre machten. Vor einer Venus hielt Lamberg einen Augenblick inne und widmete dem Bild eine flüchtige Betrachtung, das eine treffliche Kopie eines vom Kapitular im Palast des Kardinals Marx Sittich zu Rom gesehenen Originals zu sein schien.
Dienstbereit glaubte der Kämmerer sagen zu sollen, daß dieses Bild erst vor wenigen Tagen aus Rom für den gnädigen Fürsten angekommen sei.
Lamberg erwiderte kühl: „Ich kenne das Original zu Rom!“
„Das wäre etwas für die Salzburger, welche glauben, im Palazzo eines Erzbischofes dürfen nur Heiligenbilder sein!“ meinte der Kämmerling.
„Es wird ausschließlich eigene Angelegenheit des durchlauchtigen Fürsten sein, den Palast nach Gutdünken auszuschmücken!“ sprach abwehrend Graf Lamberg und schritt weiter, um sodann in einem luxuriös ausgeschmückten Gemache des Bescheides zum Empfang zu harren, indes der Kämmerling sich behufs Meldung zur Kammerfrau Salomes begab.
Lamberg, der viel in Rom gewesen und in vornehmen Häusern verkehrt hatte, wunderte sich über die kostbare Ausstattung der fürstlichen Gemächer keineswegs, da selbe welschem Geschmack und italienischer Prachtliebe entsprach; aber der Kapitular brachte den Luxus in Zusammenhang mit der eben gehörten Klage des Fürsten über den herrschenden Geldmangel, und in diesem Sinne war die Ursache der Kassenleere unschwer zu erraten. Lambergs Gedanken bewegten sich denn auch in dieser Richtung und führten zu Bedenken schwerer Art für die Zukunft. So kurze Zeit der Fürst regiert, er ist bereits auf gefährlichem Wege, und seine Liaison mit der Kaufmannstochter wird sicher noch zu den ärgerlichsten Folgen führen. Daß Rom daran noch keinen Anstoß genommen, vermag sich Lamberg nur aus der kurzen Spanne Zeit seit Entrierung dieses Verhältnisses sowie aus dem Umstand zu erklären, daß der Nuntius bislang nicht in Salzburg gewesen ist. Einen guten Ausgang kann aber diese Liaison nimmer nehmen, darüber ist sich Lamberg klar und deshalb entschlossen, nach Möglichkeit wenigstens eine wirkliche Ehe zu verhindern und damit den drohenden baldigen Sturz des Freundes.
In diesen Gedanken versunken war Lamberg tiefernst geworden und schreckte fast zusammen, als der Kämmerling meldete, daß die Gebieterin bereit sei, den Grafen zu empfangen.
Lamberg zwang sich zu höfischen Formen und scheuchte die ernsten Gedanken hinweg. Ganz Höfling und mit lächelnder Miene trat er in das mit fürstlichem Prunk ausgestattete Empfangsgemach, in welchem Salome auf einem goldgestickten Tabouret mit einer Perlenarbeit beschäftigt saß. In blaue Seide gekleidet, sah die Favoritin im Goldschmuck ihres blonden Haares wahrhaft entzückend aus, und Lamberg mußte den Fürsten in diesem Augenblick wirklich entschuldigen.
Salome hatte den eintretenden Kapitular mit schnellem, forschendem Blick gemustert, dann aber sprach sie lächelnd: „Willkommen, Graf, in meinem Reich!“ und lud durch eine Geste den Besucher ein, an ihrer Seite Platz zu nehmen.
Nach tiefer Reverenzerweisung folgte Lamberg dieser Einladung und erwiderte: „Seine Hochfürstliche Gnaden haben mich zur Tafel befohlen und mir aufgetragen, vorher in diesen Räumen meine submisseste Aufwartung zu machen!“
Salome hatte augenblicklich die Situation erfaßt und schnell sprach sie: „So kommt Graf Lamberg nicht freiwillig, gehorcht lediglich einem Befehl des gnädigen Fürsten?!“
„Gewiß!“ klang es trocken, doch fügte der Kapitular sogleich hinzu: „Wie sollte auch ein schlichter Unterthan zur hohen Gnade eines Empfanges ohne Befehl gelangen!“
„Graf Lamberg darf doch wohl stets freundlichen Empfanges gewärtig sein!“
Sich dankend verbeugend sprach der Kapitular: „Ich kann nur heißen Dank für die wohlwollende Gesinnung zu Füßen legen der ebenso schönen als guten gnädigen Frau!“
„Frau?! Ihr wißt so gut wie ich, daß keinen Anspruch ich genieße auf dieses Ehrenwort, und offen sei's gesagt: Ich leide schwer unter sothanem Mangel der Legitimität!“
„Gnädige Gebieterin leiden zu wissen, berührt schmerzlich Dero unterthänigsten Diener!“
„Wenn Ihr heget Mitgefühl, so leiht Euren Arm, weihet mir Eures Geistes Kraft, helft mir erreichen das ersehnte Ziel!“
„Ihr überschätzet wohl im heißen Drange meine schwache Kraft, gnädige Gebieterin! Wie sollt' ein Unterthan vermögen des hohen Herrn Pläne zu beeinflussen?!“
„Graf Lamberg ist des Fürsten Freund und gewichtig jedes Wort! Warum nur will Graf Lamberg nicht sein auch meines Wesens warmfühlender Freund?“
Der Kapitular richtete blitzschnell einen forschenden Blick auf Salome, senkte dann wieder die Lider und sprach leise: „Was könnt' meine Freundschaft Euch auch nützen?!“
„Mein Ohr vernimmt das ‚Nein‘, so warm auch klingt der Ton der leise abwehrenden Rede!“
„Nicht doch, gnädige Gebieterin!“
Salome richtete sich auf, fest im Ton sprach sie: „Ihr wollet nicht, ich ahnt' es längst! Mir sagt mein Herz, Graf Lamberg ist der Feind des legitimen Bundes!“
Jetzt gab auch der Kapitular in der Erkenntnis, durchschaut zu sein, das Spiel mit Ausflüchten auf, trocken erwiderte er: „Streng und scharf umzogen ist der Bereich meines Wirkens! Spräch' ich im Amte, mißbilligen müßt' ich jeglichen Bund im Sinne kirchlicher Gesetze. Unmöglich ist jedoch die Legitimität, die Strafe Roms wird folgen rasch solch verhängnisvollem Schritt!“
Höhnisch klangen der Favoritin Worte: „Die Strafe Roms! Wie straft Rom wohl einen Marx Sittich und sein unkirchlich Leben?“
Erstaunt, völlig überrascht rief Lamberg: „Ihr wißt davon?!“
„Jawohl! Warum nahm des Papstes Heiligkeit keinen Anstoß an der Ehe des verwandten Kardinals? Entspricht der tolle Lebenswandel seines Sohnes Robert und der Tochter Althäa den Gesetzen, die auch für einen Kardinal gelten müssen?“
„Marx Sittich ward Vater, ehe der Kardinalspurpur ihn bekleidete! Und Rom ist nicht Salzburg!“