Читать книгу: «die Nacht, der Falter und ich», страница 2
Wunschkonzert
der Wind
pfeift mir
heute was
Gleichschritt
noch
stolpert
der Tag
der Nacht
hinterher
doch
bald schon
wird er
sie einholen
Nachwärme
im Sommer
riecht das Gras
gelb
und das Holz
des Brückengeländers
wärmt
lange nachdem
die Sonne
schlafen gegangen ist
immer noch
meine Hand
Juli
kurze Kleider
kurze Nächte
l
ä
n
g
s
g/e/s/t/r/e/i/f/t/e/r
Honigmond
Schädlingsbekämpfung
ein Zeichenblatt
ein Notenblatt
ein Ahornblatt
eine Blattlaus
eine platt-Laus
Zauberei
der Sand
in meiner Hand
verschwand
bis ich ihn wiederfand
an einem fernen Strand
Hochspannung
»Hier«, sagst du, deutest auf ein großes Loch im Maschendraht und schlüpfst voraus hindurch.
Ich zögere.
»Na los«, rufst du, also ducke ich mich schnell hinter dir durch die Öffnung und hoffe, an keinem der vielen rostigen Drahtenden hängen zu bleiben.
Das Gras reicht uns bis über die Knie, es ist braun und sticht. Die Sonne steht hoch und ich spüre, wie sie mir die Haut auf Schultern und Wangen verbrennt. Ich hätte meine Kappe mitnehmen sollen. Überall sind Grashüpfer, sie springen kreuz und quer vor mir, es müssen unzählige sein. Bei meinen Füßen raschelt es, »Mäuse«, erklärst du, obwohl ich nicht gefragt habe.
Über unseren Köpfen durchschneiden Starkstromleitungen den Himmel, sie surren und ich bilde mir sogar ein, auch ein leichtes Vibrieren zu spüren.
»Na los«, drängst du wieder, weil ich stehen geblieben bin und zum Himmel schaue, eine Hand zum Schutz der Augen an die Stirn gelegt. Ich zähle zwei Flugzeuge und habe plötzlich den Geruch von Heu in der Nase.
Erst als wir direkt vor dem kleinen Holzhaus stehen, kann ich erkennen, wie verfallen es ist. Die Fensterscheiben sind zerbrochen und der Balkon neigt sich gefährlich, als könnte er jeden Moment herabstürzen. Die Tür hängt schief in den Angeln. »Komm«, sagst du, rüttelst kurz daran und sie schwingt auf.
Drinnen knarzt das Holz des Bodens, als wir unsere Füße daraufsetzen. Ein paar Bretter sind aus ihren Verankerungen gesprungen, einige fehlen ganz. Es ist kühl und dunkel, die Fenster sind von innen mit Pappkarton zugeklebt.
»Gibt es hier Fledermäuse?«, frage ich.
Du zuckst mit den Schultern. »Wahrscheinlich.«
Es sind nur zwei Zimmer und bis auf ein paar Möbel sind sie leer. Ich entdecke eine Kommode, einen Schaukelstuhl, einen Tisch mit zwei Stühlen und einen Vitrinenschrank, dessen Türglas vollkommen von Staub bedeckt ist.
»Hier geht‘s nach oben«, erklärst du und deutest auf die schmale, gewundene Treppe. Steigst hoch, ich hinter dir her.
Oben ist es deutlich wärmer. An ein paar Stellen fällt die Sonne durch kaputte Dachziegel und bildet helle Lichtsäulen. Außer einem alten Bettgestell aus Eisen und ein paar Truhen steht hier nichts.
»Hast du schon mal reingeschaut in die Truhen da und in die Schränke unten?«, frage ich. Du nickst.
»Und?«, will ich wissen.
»Nur Kram«, antwortest du, »nutzlos.«
Da, wo früher mal die Balkontür gewesen sein muss, ist keine mehr, nur noch der Türrahmen. Du deutest mir mitzukommen.
»Da raus?«, frage ich entgeistert und sehe für eine Sekunde das Bild von krachenden Balken in meinem Kopf.
Du grinst. »Keine Angst, der Balkon hält.«
Dann trittst du hinaus und lehnst dich lässig ans Geländer. Ziehst aus deiner Hosentasche eine Packung Zigaretten, zündest dir eine an und hältst mir fragend die Schachtel hin.
Ich schüttle den Kopf.
»Du bist also oft hier«, sage ich schnell und bleibe vorsichtshalber im Zimmer stehen.
»Geht so«, nuschelst du, die Zigarette im Mundwinkel hängend.
»Hin und wieder eben.«
»Allein?«, frage ich.
»Ja«, sagst du. Und dann: »Nur einmal war ich mit Lea da. Hab gedacht, sie fände es genauso cool wie ich. Aber sie hat‘s blöd gefunden.«
»Lea?«
Du nimmst einen Zug. »Wir sind mal miteinander gegangen.«
»Das wusste ich gar nicht.«
»Nur für ein paar Wochen«, erklärst du und zuckst mit den Schultern.
»Ist auch schon eine Weile her.«
Geräuschvoll bläst du den Rauch aus.
»Und du?«, fragst du dann.
»Was?«, gebe ich zurück.
»Gehst du mit jemandem?«
»Nein.« Ich schlucke.
Du grinst. Als würdest du mir nicht recht glauben.
»Sicher?«, hakst du nach, und ich: »Ganz sicher.« Und werde rot.
Du lachst und schüttelst dabei den Kopf. »Kommst du jetzt raus oder was?«
Ich mache einen vorsichtigen Schritt durch den Türrahmen. Unter meinen Füßen ächzen die morschen Balken. Aber sie halten.
»Na also«, meinst du zufrieden. Dann stehst du einfach da, schaust in die Ferne und rauchst.
Ich mache noch einen Schritt in deine Richtung, wage mich schließlich nach vor bis an die Brüstung. Sehe hinunter. Der Balkon ist nicht so hoch, wie ich dachte. Könnte man sogar überleben, schießt es mir durch den Kopf.
Durchs hohe Gras schleicht eine Katze, in der Ferne tuckert ein Traktor.
»Es gibt hier sogar Füchse«, sagst du, »ich hab mal nachts einen gesehen.«
»Du warst auch schon nachts hier?«, frage ich und versuche, mir meine Verwunderung nicht anmerken zu lassen.
Du siehst mich kurz an, dann wieder weg. »Wenn sie daheim mal wieder zu viel schreien«, murmelst du. »Davon kriege ich Kopfweh.« Ich wüsste gerne, wer genau da schreit und mit wem und warum. Aber fragt man sowas?
»Wieso hast du mich mitgenommen?«, frage ich stattdessen. »Hierher, meine ich.«
Du zuckst mit den Schultern. »Einfach so«, erklärst du. Und dann: »Weil du nicht so viel quatschst. Vom Quatschen kriege ich auch Kopfweh.« Ich bin froh, vorhin nicht weiter nachgebohrt zu haben.
»Pass auf«, rufst du, »ich zeig dir was.«
Mit zwei flinken Bewegungen bist du auf der Brüstung. Balancierst über den schmalen Querbalken, die Arme rechts und links weit von dir gestreckt.
Ich weiche ein paar Schritte zurück, um dich nicht zu behindern.
Mir wird mulmig und meine Hand klammert sich wie automatisch am Türstock fest. »Was wird das?«
Du hältst in der Mitte der Brüstung an, stehst jetzt direkt unter dem Giebel. Blickst seelenruhig in den Himmel.
Mein Blick folgt deinem, tastet sich die Stromleitungen entlang, bis sie sich am Horizont in der flimmernden Luft aufzulösen scheinen.
»Jetzt!«, schreist du plötzlich und machst gleichzeitig einen Schritt nach vorne ins Leere.
Im selben Moment schreie ich. Springe mit einem Satz zur Brüstung, schaue nach unten. Sehe noch, wie du dich geschickt über die Schulter abrollst.
»Bist du wahnsinnig?«, brülle ich, und weiß nicht, ob ich wütend oder erleichtert sein soll.
Du kommst auf die Beine, drehst dich zu mir um und lachst. »Hab ich schon hundertmal gemacht«, meinst du lässig. »Außerdem hab ich sieben Leben, wie eine Katze.«
»Ja, klar«, erwidere ich und verdrehe die Augen.
»Holen wir uns was zu trinken, ich hab Durst«, brummst du und wischst mit einer Handbewegung weg, was gerade passiert ist.
Ich stehe immer noch da und weiß nicht, wie ich mich fühlen soll. Schließlich nicke ich.
»Dann komm«, sagst du. »Oder … spring!« Du grinst mich auffordernd an.
Ich sehe dir in die Augen und grinse zurück. Dann klettere ich, ohne weiter darüber nachzudenken, auf die Brüstung. Wundere mich, wie leicht es geht.
»Hey, warte mal«, sagst du und deine Stimme klingt jetzt nervös, »ich hab das immerhin geübt …«
Mit wackeligen Schritten balanciere ich bis zur Mitte des Balkens. Strecke dann die Arme zur Seite.
»Komm schon, lass den Scheiß, echt!«, rufst du, und als ich zu dir hinabsehe, habe ich das Gefühl, dass dein Gesicht blasser aussieht als gerade eben noch.
Du machst den Mund auf und schreist.
Ich mache eine leichte Drehung und – springe.
Unter meinen Füßen kracht es, aber das Holz hält stand. Ich stehe wieder auf dem Balkon.
»Blödmann!«, höre ich dich fluchen, dann lachen. Ich spüre plötzlich, wie sich eine große Leichtigkeit in mir breitmacht. Mit einem Satz bin ich im Zimmer, dann am Ende der Treppe und zur Tür hinaus.
»Na los«, rufe ich dir zu, renne an dir vorbei und dann voraus durchs hohe Gras. Du hinter mir her, immer noch lachend. Versuchst mich einzuholen.
»Shit, ich hab meine Zigaretten oben vergessen«, keuchst du plötzlich und bleibst stehen, ich auch, und dann kichern wir beide, als hättest du gerade den besten Witz deines Lebens gemacht.
Ich lasse mich ins Gras fallen und sehe nach oben zu den Hochspannungsleitungen. Es surrt. Über und unter und in mir.
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