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3.5.4 Mehrsprachiges Schreiben
Es wird auch heute noch oft fälschlicherweise davon ausgegangen, dass der Schritt von der mündlichen Kommunikation zum Verfassen schriftlicher Texte alleine und ohne Hilfe von den Lernenden vollbracht werden kann. Dem ist nicht so, es kann aufgrund der veränderten sozialen und gesellschaftlichen Struktur nicht mehr vorausgesetzt werden, dass die Bildungssprache als bereits erworben in den schulischen Alltag mitgebracht wird (Feilke 2012a: 5f.). Mehrsprachiges Schreiben kann hier als eine Übungsphase verstanden werden, in der unterschiedliche Möglichkeiten der Teststrukturierung in der Mehrsprachigkeit erkannt, geübt und kritisch reflektiert werden. Auch in Bezug auf die komplexe und vielschichtige kommunikative Realität unserer Gesellschaft übernimmt im schriftlichen Bereich besonders der Aspekt der Pluri-/Multi-Literacy eine zentrale Rolle. Im Bereich der Entwicklung von Schreib- und Lesekompetenzen soll daher das mehrsprachige Verfassen von Texten zur Förderung derselben durch sprach- und textvergleichende Maßnahmen unterstützt werden. So können auch komplexe Texte entschlüsselt und der Vergleich zwischen den Sprachen ermöglicht werden. In seiner Summe liegt hier ein erweitertes und facettenreicheres Bild fremdsprachlicher Didaktik vor. Es liegt nahe aufgrund der hier vorgestellten neuen Erkenntnisse, fremdsprachlichen Unterricht entlang neuer Bahnen zu planen und zu organisieren.
Man gewinnt beim Lesen Beaccos den Eindruck, dass Schwerpunkte neuer kompetenzorientierter didaktischer Ansätze gesammelt und zusammengeführt wurden, um eine neue Form der mehrsprachigen Kompetenzaufgabe zu entwickeln. Allerdings sind die Anstöße und Vorschläge sehr allgemein gehalten und Details müssen herausgelesen werden. Problematisch wird die Umsetzung dieser neuen Forderungen durch die gängigen und bislang implementierten pluralistischen Ansätze, die sich grob in drei Gruppen einteilen lassen:
Intercultural Approach
Awakening to Languages
Integrated Didactic Approaches
Auch diese beschränken sich größtenteils darauf, dass Sprachen auf grammatischer und lexikalischer Ebene verglichen werden und Sprachsensibilisierung geschaffen wird, und das, obwohl es sich hierbei nur um die erste Stufe eines langen Lernprozesses im Bereich Transkulturalität und Mehrsprachigkeit handelt und dies auf keinen Fall das ausschließliche Ziel eines pluralistischen Ansatzes sein kann. So scheint es, dass alle unterrichtspraktischen Ansätze weit hinter den theoretischen Forderungen der EU nachhinken. Die Vorgaben sollen einen Beitrag leisten, Mehrsprachigkeit curricular festzulegen, dabei wird aber völlig versäumt darzustellen, wie konkret die Umsetzung im Unterricht aussehen soll. Es ist klar, dass selbst Methoden wie die Interkomprehension oder das Tertiärsprachenlernen aufgrund ihrer Eigenschaften und Ausrichtung nicht als geeignete Instrumente dafür angesehen werden können. Allein im Bereich der Dramendidaktik hat es in diese Richtung innovative Studien und Unterrichtsversuche gegeben (z.B. Fasse 2015; Henning 2015; Surkamp 2007; Grabes 2000).
Die vorliegende Studie nimmt die großen Herausforderungen der Mehrsprachigkeitsdidaktik an, neue Ansätze für einen mehrsprachigen Unterricht zu entwickeln, die die grammatisch-lexikalische Stufe hinter sich lassen und der Vielfältigkeit mehrsprachiger Verarbeitungsprozesse, so wie von Beacco beschrieben, im Unterricht gerecht werden. Dabei müssen auch Aspekte wie die Sprachbiographie der einzelnen Schülerinnen und ihre Auswirkung auf die emotionale Bindung zu einer Sprache berücksichtigt werden, wie sie bislang nur im Kontext von Migration Eingang gefunden haben. Die vorliegende Arbeit versteht sich als ein erster Versuch, durch eine umfassendere Unterrichtsform ein holistisches Instrument zur Vermittlung von Mehrsprachigkeit und Interkulturalität zu schaffen. Besonders in jungen Menschen soll das Bewusstsein für Sprachenvielfalt, für die Vermittlung interkultureller Werte und der Partizipation am mehrsprachigen Diskurs gestärkt werden mit dem Ziel aktiver Teilhabe an den gemeinschaftlichen sozialen und politischen Prozessen.
3.5.5 Forderung nach neuen didaktischen Ansätzen
Die Form des Task als Unterrichtsverfahren gibt auf diese Forderungen eine konkrete und didaktisch gut operationalisierbare Antwort, da task-based teaching (Hallet 2006, 2008; Nunan 2004) sich dadurch auszeichnet, dass Diskursfähigkeit und Zuwachs kommunikativer Kompetenzen Ziel des Handelns im Unterricht sind. Im Rahmen der Studie wird die Frage in den Raum gestellt, welche Kompetenzen, Dispositionen, Strategien und Ressourcen junge Menschen entwickeln sollen, nicht nur, um sich in einer mehrsprachigen Lebenswelt zurecht zu finden, sondern auch um einen Lernprozess zu initiieren, der schrittweise auf das Kompetenzniveau der mehrsprachigen Bildungssprache und die damit einhergehenden mehrsprachigen kognitiven, motivationalen und emotionalen Prozesse übergeht. In diesem Sinne versteht sich die Studie als wegweisend für die Entwicklung neuer Unterrichtsmethoden, die mehrsprachiges Arbeiten in eine komplexe Kompetenzaufgabe einbaut und die mehrsprachige Diskursfähigkeit in den Fokus der Unterrichtspraxis stellt.
Dabei wird an den kommunikativen Ansatz angeknüpft, der anhand der ursprünglich für den einsprachigen Sprachunterricht konzipierten komplexen Kompetenzaufgabe für den mehrsprachigen Unterricht adaptiert wird. Dadurch wurde eine neue mehrsprachige Unterrichtsform entwickelt, die die grammatisch-lexikalischen Ansätze zwar mit einbezieht, jedoch Raum für neue Lernwege und Lernergebnisse öffnet (Hallet 2012a: 11). In diesem Sinne wird durch mehrsprachige, kompetenzorientierte Aufgabenstellungen ein Lernprozess ausgelöst, der die Bewältigung komplexer, mehrsprachiger Herausforderungssituationen vorsieht. In diesem Prozess entstehen Aushandlungsprozesse, die sich aus den plurilingualen Unterlagen ergeben und daher den mehrsprachigen Diskurs fördern. Dadurch wird die Teilhabe an einem reellen kulturellen Diskurs möglich, der aufgrund der gesellschaftlichen Entwicklung in zunehmendem Maße durch Mehrsprachigkeit gekennzeichnet ist. Diese Teilhabe erfordert besondere kommunikative Kompetenzen, Fähigkeiten und Strategien, die sich im einsprachigen Sprachunterricht nicht entfalten können, die jedoch zur Bewältigung mehrsprachiger alltäglicher oder beruflicher Situationen unabdingbar sind und maßgeblich zur Entwicklung der Persönlichkeit beitragen können. Es handelt sich hier um neue kommunikative Kompetenzen und Strategien, die von großer Bedeutung sind, aber bislang für den Unterricht nicht empirisch erforscht wurden (vgl. Burwitz-Melzer 2003, 2004a).
Dieses Projekt setzt sich zum Ziel, kommunikative Vorgänge während der mehrsprachigen Aushandlungsprozesse und den Outputs zu erfassen und eine Modellierung eben dieser mehrsprachigen kommunikativen Handlungskompetenzen zu erstellen. Das spiegelt die realen Situationen wider, in der Menschen, die nicht dieselbe Muttersprache haben, miteinander kommunizieren. Dazu werden nicht die Indikatoren des FREPA herangezogen, die, wie bereits erwähnt, eine Zusammenschau der Erkenntnisse bisheriger didaktischer Forschungen sind, sondern es werden Erkenntnisse aus dem Bereich der Psycholinguistik, insbesondere der Mehrsprachenforschung herangezogen, um die durch das plurilinguale Unterrichtsdesign entstandenen Lernprozesse zu erforschen. Es soll gezeigt werden, welche Prozesse in einem kompetenzorientierten mehrsprachigen Unterrichtssetting zur Entwicklung mehrsprachiger kommunikativer Handlungskompetenzen beitragen.
Teil II Theoretische Modellbildung
4 Theoretische Modellierung Mehrsprachiger Kommunikativer Kompetenzen (MKK)
Im folgenden Abschnitt wird eine theoretische Modellierung vorgenommen, die die zentralen Aspekte mehrsprachiger kommunikativer Kompetenz zusammenfasst und veranschaulicht. Sie soll Kompetenzbereiche umreißen, innerhalb welcher sich MKK entwickeln, jene Kompetenzen also, die für erfolgreiches Kommunizieren in einem mehrsprachigen Umfeld erforderlich sind. Es kristallisierten sich insgesamt fünf Bereiche heraus: symbolische Kompetenz, Sprach(en)bewusstheit, Emotion und Mehrsprachigkeit, mehrsprachige Gesprächspraktiken, Formen sozialen Lernens. Einleitend wird der Begriff Kompetenz, wie er für diese Studie verstanden wird, umrissen und definiert.
4.1 Kompetenz: Eine Begriffsdefinition
Die Definition des Begriffes Kompetenz selbst bezieht sich zunächst in diesem Zusammenhng auf Weinert (Weinert 2001). Laut Weinert sind Kompetenzen erlernbare Fähigkeiten, Probleme in unterschiedlichen Situationen zu lösen. Motivationale, volitionale und soziale Aspekte spielen dabei eine wichtige Rolle (Weinert 2001: 27ff.). Laut Weinert dienen Kompetenzen zur Bewältigung von anspruchsvollen, in der Regel neuen Anforderungssituationen ohne Vorwissen (Weinert 2001; Hartig & Klieme 2006; Hartig et. al 2008; Canale 1983). Diese bereichsspezifischen kognitiven Leistungsdispositionen lassen sich, so Weinert, in drei Bereiche unterteilen: fachliche Kompetenzen, fachübergreifende Kompetenzen und Handlungskompetenzen (Weinert 2001: 28). Durch ihre Kontextgebundenheit und Lernbarkeit werden diese in der Bildungspsychologie klar vom allgemeineren Begriff der Intelligenz abgegrenzt (Hartig & Klieme 2006: 130). In dieser Bedeutung wurde der Begriff Kompetenz bei der Ausarbeitung des GER als auch der Bildungsstandards in Deutschland sowie der Rahmenrichtlinien für den Unterricht an Südtirols Schulen herangezogen, wobei ausschließlich der kognitive Kompetenzaspekt als Bildungsziel berücksichtigt wurde.
In Anlehnung daran bezog sich die Definition der kommunikativen Kompetenz von Piepho auf die sozialphilosophische Theorie kommunikativer Kompetenz von Habermas (Habermas 1981) und unterschied zwischen kommunikativem Handeln und Diskurs (Piepho 1974, 1979). Kommunikatives Handeln entspricht in groben Zügen der Definition von Weinert als die Fähigkeit des Individuums, sich in einem thematischen und situativen Rahmen mit angemessenen Mitteln und Strategien verständlich zu machen und andere verstehen zu können (Legutke 2008: 19; 2010). Allerdings wird bei Piepho der Begriff der kommunikativen Kompetenz durch zwei neue Aspekte erweitert, nämlich die metakommunikative und reflexive Fähigkeit, was bedeutet, dass das eigene sprachliche Handeln im Lernprozess problematisiert, analysiert und legitimiert werden soll (ibid.: 20).
Laut Piepo bedeutet kommunikative Kompetenz nämlich:
Weder in der einen noch in der anderen Auslegung das Erreichen bestimmter Normen, sondern die Fähigkeit, sich ohne Ängste und Komplexe mit sprachlichen Mitteln, die man durchschaut und in ihrem Wirkungen abschätzen gelernt hat, zu verständigen und kommunikative Absichten auch dann zu durchschauen, wenn sie in einem Code gesprochen sind, den man selbst nicht beherrscht und der nur partiell im eigenen Idiolekt vorhanden ist. (Piepho 1974: 9f.)
Dieser Auffassung von kommunikativer Kompetenz liegt zugrunde, dass Unterricht nicht als ein Ort des Fertigkeitserwerbes betrachtet wird, sondern vielmehr als ein Erziehungsprozess, der die gesamte Persönlichkeit der Lernenden motivierend unterstützt und gestalterisch aktiv mit einbezieht. Persönlichkeitsentfaltung und Erziehung zu mündigen BürgerInnen sind folglich Ziel eines Unterrichts, der Lernende in ihrer Individualität und ihren Neigungen respektiert und als vollwertiges Gegenüber wahrnimmt. Als Konsequenz wird von einer normativen Gestaltung des Unterrichtes Abstand genommen, Entscheidungsprozesse sollen durch Konsensfindung gemeinsam bewältigt werden. Mitgestaltung wird so integraler Teil des Unterrichtes und soll als kritische Haltung gegenüber der Gesellschaft über das Klassenzimmer hinausgetragen werden. Daher ist laut Legutke Unterricht „für ihn (Piepho) ein pädagogischer und sozialer Prozess, der, zwar gebunden an reale Verhältnisse und Kontexte mit vielen Schwierigkeiten und Hemmnissen für die Entfaltung der kommunikativen Kompetenz der Lerner, dennoch zur gesellschaftlichen Veränderung beitragen kann“ (ibid.: 21f.). Auf den von Piepho entworfenen Begriff der „Diskurstüchtigkeit“ geht Hallet (Hallet 2008: 76) näher ein: Die metakommunikative Ebene beim Fremdsprachenlernen werde hier erstmals in ihrer Wichtigkeit für den Fremdsprachenunterricht erkannt. Sie verhindere die unreflektierte, akritische Sprachreproduktion, wie sie oft im traditionellen Fremdsprachenunterricht gefordert wird. Indem Lernende als kritische Aktanten im Unterricht tätig werden, können sie „gesellschaftliche, kulturelle und diskursive Prozesse aktiv und selbstbestimmt mitgestalten – auch in einer Fremdsprache“ (ibid.: 77).
Diese Formen der Reflexion und Metakommunikation führen zwangsläufig zu einer kulturellen und gesellschaftlichen Kontextualisierung und ermöglichen so im Unterricht, die in einer Gesellschaft vorhandenen Formen der Kommunikation zu vereinen und zu vernetzen. Nur dadurch kann auch da eine Discourse Communitiy entstehen (Hallet 2008: 81), denn wahre Kommunikation bedarf eines kulturellen und sozialen Umfeldes und aller im Laufe der Zeit erworbenen Sprachformen einer Gemeinschaft, in der sie stattfindet, weshalb sie als „ways of being in the world, of forms of life that integrate words, acts, values, beliefs, attitudes, and social identities“ bezeichnet werden kann (Kramsch 1998: 61).
Hallet fasst die Bedeutung dieser Erkenntnisse für den Unterricht wie folgt zusammen:
Didaktisch ist hierin eine außerordentlich bedeutsame Ausweitung des Diskursbegriffes enthalten: Kommunikation lässt sich demzufolge nicht mehr reduzieren auf einen sprachlichen Akt, auf den Vorgang die Nutzung (fremdsprachlicher) Zeichen oder auf die Beherrschung von Skills, sondern es handelt sich um nichts weniger als um eine soziale und kulturelle Praxis, an der jeder Kommunikationsakt teilhat. „Kommunikanten“ sind daher immer auch kulturelle Aktanten, die an der Erzeugung eines diskursiven Zusammenhangs beteiligt sind, die ihre Position in einer discourse communitiy bestimmen und darüber letztlich den Grad ihrer gesellschaftlichen Teilhabe entwickeln. (Hallet 2011:31)
Laut Hallet spielen zudem Faktoren wie Kommunikationsbereitschaft, Wissen, Verstehen, Problemlösen und Handeln, Erfahrungen, Einstellungen und Motivation bei der Beschreibung von kommunikativer Kompetenz eine grundlegende Rolle (Hallet 2008: 83).
Bei der Modellierung mehrsprachiger kommunikativer Kompetenz (MKK) ziehen wir es vor, dieses durchlässige, für die individuelle Entfaltung der Lernenden geeignete und flexible Verständnis von kommunikativer Kompetenz heranzuziehen, wie es von Piepho für den monolingualen Fremdsprachenunterricht ausdifferenziert und von Legutke/Hallet weiterentwickelt wurde. Wie in der vorliegenden Studie gezeigt wird, ändert diese, eingebettet in ein mehrsprachiges Unterrichtsdesign, nicht grundsätzlich ihre Beschaffenheit, sondern wird durch eine Vielzahl neuer Aspekte mehrsprachiger kommunikativer Kompetenz bereichert und erfährt dadurch eine Erweiterung und Umformung. Denn der größere Facettenreichtum und die Komplexität, die durch die Vernetzung mehrerer Sprachen im Diskurs entstehen, führen zu erhöhten Anforderungen an die Lernenden, sobald diese vor die Herausforderung gestellt werden, mehrsprachige Formen des Diskurses und deren Besonderheiten zu bewältigen.
MKK ist in einer vielsprachigen Gesellschaft mehr denn je an multiple Diskurse gebunden, die vernetzt miteinander bedeutungsstiftend sind. Mehrsprachige Diskursfähigkeit impliziert deshalb auch den Umgang mit Bedeutungsvielfalt und Wahrnehmungserweiterung und Ambiguitätstoleranz. Dazu müssen mehrsprachige Diskurse in ihren Eigenschaften und Merkmalen erkannt und ihre Dynamiken durchschaut und richtig gelesen werden. Ziel ist es letztendlich, die Lernenden dazu zu befähigen, mit Hybridität und Fluidität im mehrsprachigen Diskurs umzugehen, zur Reflexion darüber anzustiften, und sich dieses Diskurses zu bemächtigen. Denn gesellschaftliche Partizipation kann sich nur entlang eines bewussten Umgangs mit der transkulturellen und mehrsprachigen lebensweltlichen Umgebung entwickeln, in der die Lernenden sich befinden und durch die sie geprägt sind. In der Schulklasse spiegelt diese Gegebenheiten, weshalb den Lernenden die Gelegenheit gebeben werden muss, sich mit dieser neuen Realität auseinander zu setzen und zu lernen, sich darin zurecht zu finden. Gutzmann definiert Mehrsprachigkeit in diesem Sinne als „neue kommunikative Kompetenz“ (Gutzmann 2004: 45), die es im Unterricht anzustreben gilt.
Diesbezüglich äußert sich deshalb Cummins skeptisch bezüglich traditioneller Unterrichtsdesigns:
From the perspective of multiliteracies, the exclusive focus within schools on linear text-based literacy in the dominant language of the society represents a very limited conception that fails to address the realities of a globalized, technologically sophisticated knowledge-based society. In urban contexts across North America and Europe, the student population is multilingual and students are exposed to, and engage in many different literacy practices outside school (…). Within school, however, he teaching of literacy is narrowly focused on literacy in the dominant language and typically fails to acknowledge or build on the multilingual literacies or the technologically- mediated literacies that form a significant part of students‘ cultural and linguistic capital. (Cummins 2006: 53)
Der mehrsprachige Dialog, so wie er im mehrsprachigen aufgabenorientierten Unterricht praktiziert wird, befähigt zu einer MKK in mehrerlei Hinsicht. Das heißt, der Begriff der kommunikativen Kompetenz wird im mehrsprachigen Unterricht durch eine Reihe von Aspekten erweitert, die im Folgenden im Einzelnen aufgezeigt und erläutert werden. Die Modellierung der MKK erfolgt zunächst, indem relevante Ergebnisse der Mehrsprachigkeitsforschung in diesem Bereich aufgezeigt werden. Diese werden anschließend mit den Ergebnissen der diskursanalytischen Untersuchung der mehrsprachigen Aushandlungsprozesse abgeglichen und in einem Abstraktionsprozess zur Modellierung der MKK herangezogen.
4.2 MKK und symbolische Kompetenz
Eine Definition von MKK ist nicht möglich, ohne die Perspektive des CLT (Communicative Language Teaching) zu überwinden und durch die symbolische Dimension des Spracherwerbs und -gebrauchs zu erweitern, wie sie Claire Kramsch erstmals umrissen hat. Wie bereits erwähnt, betrachtet CLT Sprache als Medium der sozialen Interaktion, ein formelles Konstrukt also, dessen Regeln und Anwendungsmuster es im Fremdsprachenunterricht zu vermitteln gilt. Hauptanliegen dieser Form des Unterrichts ist es, Lernende zu befähigen, die nötigen sprachlichen und pragmatischen Kompetenzen zu erwerben, um durch Sprache korrekt, angemessen und erfolgreich sozial interagieren zu können. Dazu muss Sprache zunächst kognitiv erfasst und verinnerlicht werden, um anschließend als Medium der Kommunikation in einer Reihe von sozialen Kontexten je nach Bedarf und Zielsetzung Anwendung zu finden (Canale & Swain: 1980). Sprache wird hauptsächlich als Instrument und als Werkzeug verstanden, um bestimmte pragmatische Ziele zu erreichen. Zu diesem Zweck setzt der CLT-Unterricht den Fokus auf realistische Interaktion im Klassenzimmer, indem Alltagssituationen zunächst vorgeführt und dann im Idealfall in einem kommunikativen Unterrichtssetting nachgestellt werden.
4.2.1 Die symbolische Form als Baustein für die Identitätsbildung
Der Begriff der symbolischen Kompetenz entstammt einem Verständnis von Sprache nicht nur als formales Konstrukt, sondern auch als „lebendige Verkörperung der Realität“ (engl.: lived embodied reality, Kramsch 2009: 4). Sprache ist für Kramsch in vielerlei Hinsicht symbolisch, wobei sich der Begriff „symbolisch“ über die Jahre für Kramsch um vieles erweitert hat. Symbolisch bedeutet zunächst die Darstellung von Realität, wie sie durch Sprache erfolgt, diese entfaltet sich laut Kramsch auf drei Ebenen (Kramsch 2011: 357):
Die Ebene der Darstellung: Sie beinhaltet grammatikalische und lexikalische Strukturen, die als konzeptionelle Darstellungen Aufschluss geben über die Funktionsweise des Geistes.
Die Ebene der Handlung: In Form von Sprechakten, Genres und symbolischen Interaktionsregeln gibt sie Aufschluss über die Wirksamkeit von Worten und Absichten der Sprechenden.
Die Ebene der Macht: Durch Intertextualität werden Werte einer Gesellschaft, ihres kollektiven und individuelles Gedächtnisses, Ideologien, Emotionen und Erwartungen offen gelegt (vgl. Bourdieu 1991: 163).
Sprache ist für Kramsch zudem für das Individuum in zweierlei Hinsicht symbolisch: Einerseits, weil sie durch ihre symbolischen Formen als konventionelles Medium zur Realitätsdarstellung dient und andererseits, weil eben diese symbolischen Formen durch Wahrnehmung, Emotionen, Haltungen und Werte die subjektive Realität jedes einzelnen konstruieren (Kramsch 2009: 7). So werden sprachliche symbolische Formen zu Bausteinen für die Bildung einer sozialen Identität. Dieser Identität wohnt die Sehnsucht und das Bestreben inne, sich mit dem anderem, dem Fremden zu identifizieren, sei dies nun ein anderer Sprecher, eine andere Sprache oder ein anderes Selbst. Eine solche Sehnsucht wird von Kristeva als desire bezeichnet (Kristeva 1980: 203) bzw. als Wunsch, aus den Einschränkungen der eigenen sprachlichen Realität zu entfliehen und nach Selbsterfüllung zu streben (Kramsch 2009: 14).
Sprache ist also ein symbolisches Medium, mittels welches Gegenstände, Handlungen, Kontexte und Menschen dargestellt werden. Symbolisch ist daher für Kramsch auch die Konstruktion von Wahrnehmung, Einstellungen, Glauben, Werten, Bestrebungen und Sehnsüchten, die darin Ausdruck finden (ibid.: 6). Besonders junge Menschen haben laut Kramsch das Bedürfnis, ihren innersten Gefühlen und Wünschen Ausdruck zu verleihen, da sie sich auf der Suche nach der eigenen Identität und ihrer Positionierung in der Erwachsenenwelt befinden. Im Sprachenunterricht können sie sich erstmals ihrem eigenen Sprachgebrauch kritisch gegenüberstellen und die enge Beziehung zwischen ihrer Sprache, ihrem Körper und ihren Gedanken erkennen (ibid.: 5). Durch MKK gelingt es Lernenden, beeinflusst durch die unterschiedlichen Bedeutungen, die in Sprachgemeinschaften zur Beschreibung von Ereignissen Anwendung finden, diese symbolische Dimension von Sprache zu begreifen und eine neue Selbstwahrnehmung zu entwickeln.
Da Subjektivität teils aus der bewussten, im Geistigen verankerten und teils unbewussten körperlichen Bedeutung besteht, die wir selbst dank der Vermittlung symbolischer Formen geben, ist das sprechende Subjekt durch diese Eigenschaft bestrebt, sich selbst und die anderen nicht nur als das zu sehen, was sie im Augenblick darstellen, sondern auch deren Vergangenheit und deren Geschichte. Ebenso kann zukünftiges sprachliches Handeln erahnt werden. Ein Subjekt zu werden bedeutet für Kramsch, ein Bewusstsein für die Leerstellen zwischen den Wörtern und Sprachen zu entwickeln und für die möglichen vergangenen und zukünftigen Bedeutungen, die darin liegen (ibid.: 18).
Durch die soziale Interaktion ergibt sich Intersubjektivität, denn jedes Subjekt kann sich selbst nur vollständig erkennen, wenn es sich in einem anderen spiegelt. Intersubjektivität kann nur durch strukturierte und an einen Kontext gebundene Gesprächspraktiken erfolgen, unter Voraussetzung eines geteilten Weltwissens. Sie wird gestaltet durch Gesprächsroutinen und Strategien, die ständig angepasst und verändert werden müssen. Es werden dabei in dem Augenblick, in welchem durch Sprechakte soziale Realität geschaffen wird, soziale und kognitive Anforderungen an die Sprechenden gestellt (vgl. Gumperz 1982; Duranti & Goodwin 1994). Diese Realität wird in einem bestimmten Kontextualisierungsrahmen und vor dem Hintergrund eines geteilten Auslegungssystems anhand spezifischer Sprechverhalten konstituiert.