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Читать книгу: «Als Mariner im Krieg», страница 25

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Batterie Seeheim

Ich hatte mich bei Herrn v. Hippel ab- und bei Herrn Korvettenkapitän Schröder angemeldet und dabei einen siebentägigen Urlaub durchgesetzt. Annemarie fuhr mit mir nach Hamburg, und dann weiter nach Berlin, und dann nach Halle, wo wir im Hotel Sachsenhof ehepaarten und dann nach Leipzig, Hotel Könighof. Überall begrüßten mich liebe Menschen, und wenn ich mich mit ihnen ausgesprochen hatte, zog ich nachts mit Annemarie los. Nach schwerer Trennung von ihr — sie hatte ein Engagement ans Thaliatheater in Chemnitz erhalten — reiste ich weiter nach München. Es gab dort noch Butter und Strichs und Lotte Pritzel und Maler Coester, Horsmann, Foitzick, Dr. Kaiser, Falckenberg und Schauspieler G. Schröder. Dieser letztere überredete mich, auf der Rückfahrt mit ihm in Bremen auszusteigen. Er wollte mich in seiner luxuriösen Behausung fürstlich bewirten. Er versetzte mich dann aber am Bahnhof, und ich stand mit zehn Mark in der Tasche da und hatte Galle im Herzen. Ich fuhr nach Seeheim. Eine Maschinengewehrbatterie, die ebenso wie die in der Nähe gelegene 3,5 Revolverkanonenbatterie Nordheim mir künftig unterstellt sein sollte. Nordheim lag eine Stunde weit von Duhnen ab, Seeheim noch eine Viertelstunde weiter, beide zwischen Sanddünen und Kiefergebüsch versteckt. In Duhnen war jetzt Kapitänleutnant Reye als mein Kompanieführer. Ich stapste mit bangen Gefühlen dorthin und fand Reye noch banger und mißgelaunter. Er übermittelte mir den Befehl des Herrn Schröder, mich schleunigst und intensiv mit dem Maschinengewehr, der Revolverkanone und dem Batteriebetrieb vertraut zu machen. Ich wußte ja schon mancherlei davon, aber viel nicht, und die Materie reizte mich herzlich wenig. So trug ich zunächst einmal dafür Sorge, mein Wohnzimmer und mein Schlafzimmer freundlich einzurichten. Diese Räume befanden sich in einem Steinhaus, sonst gab es nur noch Holzbaracken in Seeheim. Mein Wohnraum lag im Parterre; ein Flügel stand darin, der meinem Vorgänger gehörte, dem musikalischen Sänger und Leutnant de Harde. Der war krank ins Lazarett gekommen. In Seeheim unterstanden mir vorläufig zwei Feldwebel, ein Obermaat und dreiundzwanzig Mann. In Nordheim war ein B.-G.-Entfernungsmesser und ein Horchtrichter. Ich ließ mir alles erklären, ließ mir Meldungen erstatten und hatte den ganzen Tag Befehle zu unterschreiben. Seeheim war vor dem Kriege ein Kindererholungsheim gewesen und mit Bettzeug, Porzellan, Glas usw. reichlich ausgerüstet. Ein hoher eiserner Turm neben den Baracken trug eine Windmühle, die das elektrische Licht speiste und das Brunnenwasser pumpte. Auch ein großes Terrarium fand ich vor, dessen Scheiben zerschlagen waren. Ich ließ es sofort ausbessern von dem geschickten bayrischen Obermaat Brandmeier, der für alles Rat wußte. Es wurde derzeit eine Abteilung von Reserveoffiziersaspiranten in Seeheim ausgebildet. Dafür war Bobby als Kommandant ersehen. Das war mir gar nicht recht, ich wollte am liebsten dort allein herrschen. Der Umstand, daß meine Vorgesetzten mehr als eine Stunde weitab in Duhnen lebten, hatte mir Seeheim sofort sympathisch gemacht. Gerade weil ich allein war, ging ich mit größtem Eifer an meine Arbeit.

Als ich mich mittags zu kurzer Rast auf meinen Diwan ausstreckte, kam mein Bursche Becker gelaufen und rief: »Herr Leutnant! Herr Leutnant! Es kommen Offiziere.« Ich wollte mich vor meinen Vorgesetzten nicht auf dem Diwan überraschen lassen und beeilte mich also, diesen und meine Uniform in Ordnung zu bringen. Die Neuankommenden waren zwei Offiziere und ein Flugmeister, die im Nebel mit einem Flugzeug abgestürzt waren. Das Flugzeug war aufs Watt gestürzt. Die drei Insassen waren lebend davongekommen und hatten, nur nach dem Kompaß sich richtend, den sechsstündigen, schwierigen und gefährlichen Weg durch Nebel und Priels gefunden. Geradezu ein Wunder, das außerdem nur bei Ebbe möglich war. Nun trafen sie mit Schmutz bedeckt und aus vielen Wunden blutend bei mir ein. Selbstverständlich setzte ich alle Hebel in Bewegung, gab ihnen Waschgelegenheit, ließ ihre Kleider reinigen, und weil unser Sanitätsgast gerade abwesend war, rief ich telefonisch den Stabsarzt Kneise aus Duhnen herbei. Es stellte sich heraus, daß dieser humorvolle und begabte Herr mit mir entfernt verwandt war. Mein Vorgänger de Harde hatte außer dem Flügel auch einen stattlichen Weinvorrat zurückgelassen, und es war mir keine leichte Selbstverständlichkeit gewesen, diesen Privatbestand nicht anzurühren. Nun lag hier aber ein Unglücksfall vor, und so saßen denn die Abgestürzten und der Stabsarzt mit mir bald bei Rührei und Wein, und wir tranken eine Flasche nach der andern, so daß wir in die harmonischste Stimmung gerieten. Sie erzählten, daß das Flugzeug sich tief ins Watt eingebohrt hätte, total zerschmettert und nicht mehr zu brauchen wäre. Sie hatten nur Chronometer und andere wertvolle kleine Gegenstände mitgenommen. Sie hatten Notraketen abgeschossen, die aber von Neuwerk nicht bemerkt waren. Ich ließ ein Auto aus Cuxhaven kommen und die Verwundeten ins Lazarett fahren. Heimlich hatte ich mir in den Kopf gesetzt, das Flugzeug oder wenigstens seinen wertvollen Motor zu bergen. Am siebenten April drei Uhr morgens machte ich mich mit sechs Mann und einem Handwagen auf. Wir liefen im Laufschritt — um vor der Flut noch zurück zu sein — über das Watt, mußten häufig tiefe Priels durchwaten. Manchmal wurden diese so tief, daß wir umkehren und sie in weitem Bogen umgehen mußten. Dann wieder ging es durch tiefen Schlamm, dann über Muschelbänke oder über festen, überrieselten und durch das Rieseln hübsch gemusterten Boden. Vom diesigen Hintergrund hoben sich Reiher und Möwen ab. Indes fanden wir das Flugzeug nicht, und es war ein Glück, daß ich einen kleinen Kompaß bei mir hatte. So konnten wir vor der Flut zurückeilen. Aber nachmittags mit Ebbe zogen wir abermals aus. Obermaat Brandmeier riß mit seiner Begeisterung die anderen mit, die sonst, besonders in den kalten Prielwassern, wohl ihren Mut verloren hätten. Endlich sichteten wir das Wrack in der Ferne, und wenn wir es auch für diesmal nicht erreichen konnten, so merkten wir uns doch Weg und Richtung. Auf dem Rückzug fanden wir eine angeschwemmte, offene Kiste mit Butter, davon allerdings die Hälfte schon von den Möwen ausgepickt war. Den Rest machten wir uns genießbar, indem wir ihn mit Brotstücken ausbrieten. Auch für Seife blieb etwas übrig. Bei der dritten Expedition erreichten wir, die letzte Strecke mit Hurra zurücklegend, das Wrack, ein großes Wasserflugzeug, das sich tief in den harten Grund eingebohrt hatte und so zersplittert war, daß wir gar nicht begriffen, wie die Insassen mit dem Leben davongekommen waren. Wir führten Äxte und Sägen mit uns und machten uns nun geschwind daran, die Trümmer zu zerkleinern und abzutragen und den Motor herauszuhauen, den wir am nächsten Tag mit einem Wagen holen wollten. Denn die Flut kam schon. Wir beeilten uns, nahmen aber jeder etwas »Weggeschwemmtes« zum Andenken mit, ich einen Pelzmantel, ein Lederkissen und einen Kompaß in kardanischer Aufhängung.

Von Annemarie traf ein jammernder Brief ein. Sie fühlte sich an der neuen Schmiere sehr unglücklich. — Das Essen in Seeheim war mäßig, aber der Küchenmaat Sonnen gab sich viel Mühe, wie denn überhaupt alle Leute viel Eifer entwickelten. Mein Bursche Becker, ein Bergmann von Dudweiler, ging nie langsam, wenn er etwas für mich tat, sondern lief im Galopp, und es gelang mir nie, ihm das abzugewöhnen. Er sprach auch nur das Notwendigste, und das leise, wie verlegen, und er war sehr erstaunt, wenn ich ihm von meinem Privatproviant etwas abgab.

Von den nassen Märschen waren meine Beine steif und meine Füße wund. Dennoch zogen wir — diesmal vierzehn Köpfe stark — wieder übers Watt, und es gelang uns, den schweren Motor auf einen Wagen zu laden. Der Rücktransport war sehr beschwerlich. Immer saß der Wagen bis über die Achsen im Schlick. Dann zogen wir und schoben und schwitzten und mußten in der nächsten Minute die Last durch eiskaltes Prielwasser schleppen, und hinter uns stieg die Flut. Aber schließlich gelang es. Der Motor ward in Seeheim aufgestellt und von Brandmeier sauber gereinigt. Ich sandte Berichte an das Kommando und nach der Flugzeugstation Norderney.

Ich trank Apfelwein, denn ich mußte mit meinem Geld in Seeheim sparsam umgehen. — Zwei Offiziere besuchten mich, von der Berliner Artillerieversuchskommission. Sie stellten Beobachtungen an, während die »Lange Berta« von Altenwalde her über unsere Köpfe hinwegschoß. Bum! Bum! — Bobby besuchte mich. Er bewunderte mein Zimmer, das ich mir hübsch und behaglich eingerichtet hatte. Bunte Kissen, die schöne rote Decke, die Landschaft von Wanjka, altes Zinngeschirr und Fotografien von Lygia Romero, Lona Kalk, Annemarie und Tante Michel.

Mein Terrarium war fertig. Ich hatte es mit viel Tierliebe eingerichtet und alles wohl vorbedacht. Nun fing ich die erste Kreuzotter und die erste Eidechse in dem an Seeheim angrenzenden Wernerwald, der aus niedrigem Nadel- und Laubholz bestand. — Ich stiefelte durch den hohen weichen Sand nach Duhnen, wohin ich zur Geheimbücherrevision der zweiten Kompanie befohlen war. In der 8,8-Batterie suchte ich Reye und Pich auf, und ich ging über Salenburg, um dort meine ehemalige Einstundenliebste Hermine Strohsal wiederzusehen. Sie war inzwischen verheiratet. Es dauerte lange, bis sie sich vor dem Leutnant auf den Maaten Hester besann. Abends hielt ich einen Haßvortrag oder einen Aufklärungsvortrag in Nordheim. Nachts schrieb ich bei starkem Bohnenkaffee an meinem Drama »Der Flieger«.

Dreiundzwanzig junge R.-O.-A.s, darunter zwei Maate, trafen ein. Sie sollten einen Maschinengewehrkursus durchmachen. Nun fürchtete ich täglich, daß dazu Leutnant Bobby nach Seeheim kommandiert würde. Ich hatte mich doch so glücklich in meine Einsamkeit eingelebt. Eine meiner Hauptfreuden war das Terrarium. Es wies die verschiedensten Landschaften auf. Harte oder poröse Felsen, Heidelandschaft, Wiesengelände mit Gänseblümchen, feuchten Moosgrund, einen Kletterbaum, unterirdische Gänge und eine eingegrabene Suppenterrine als Teich. Täglich mehrmals, aber jedesmal nur auf ein Viertelstündchen, lief ich in den Wald oder auf die Wiesen mit Einmachgläsern und einem Fangnetz. Jedesmal brachte ich Schlangen, Eidechsen oder Insekten zurück. Bald wußte ich genau, wo ich Kupferottern, wo ich Ringelnattern oder Grashüpfer zu suchen hatte. Ich wußte Tümpel mit ganz kleinen Fröschen oder Molchen, und ich baute Fallgruben an den Waldwegen, aus denen ich morgens Fetthennen, Mistkäfer, Sandböcke und Raupen holte. Und ich tat Regenwürmer, ein Stück faules Holz und etwas Kuhfladen in das Terrarium. Später verband ich dieses durch ein Gazerohr mit einer Insektenfalle. Das Lockmittel war Apfelwein. Die Fliegen und Käfer fingen sich, vom Teller aufschwirrend, in einem Glasballon und der einzige Ausweg von dort führte in das Terrarium, wo nun immer ein weithin hörbares Urwaldgesumme war. Oh, ich war sehr glücklich. Und das ward auch nicht durch den Umstand vermindert, daß ich jetzt weniger Gehalt bekam und manchmal hungrig zu Bett ging. Der Dienst machte mir Freude. Alles war mir eifrig zu Diensten. Nachts schrieb ich am »Flieger«. Ich war ein Fürst. — An Annemarie schrieb ich eine Karte, auf der ich, ganz aus der Luft gegriffen, sagte: »Justizrat Friedemann läßt Dich grüßen, und auch Exzellenz läßt Dir sagen, daß er jederzeit zu Deiner Verfügung stände.« Bampf teilte mir im nächsten Brief mit, daß diese Karte bei ihren Kolleginnen und bei dem schikanösen Direktor die gewünschte Wirkung getan hätte.

Auf Befehl Reyes mußte ich mit vielen Leuten durch Sturm und Wolkenbruch nach Duhnen patschen, um dort stehend und durch und durch naß in einem ungeheizten Saal einen Kriegsanleihevortrag von Leutnant Schaumkell anzuhören. Ich trocknete mich dann bei Pich, philosophierte mir meinen Verdruß hinweg und erbeutete auf dem Heimwege viele schöne Kröten, die ich in der Hosentasche heimbrachte. Bobby traf ein, diesmal allerdings immer noch als Besuch. Er war in einem Wagen herausgefahren, der abgemagerte Gaul fiel in Seeheim um.

Selten fuhr ich auf meinem Dienstrad nach Cuxhaven, eigentlich nur, wenn ich dort etwas Dienstliches zu tun hatte. Dann besuchte ich Gürkchen und Dorrit, die betrübt waren, weil sie ihre Männer und den Bampf vermißten. Am siebzehnten April hatte ich einen Matrosen, der in der Villa des Rentiers Schleper Einbruchdiebstähle begangen hatte, vor einem Feldkriegsgericht zu verteidigen. Vorher ließ ich mir den Mann vorführen und bedeutete ihm, daß er mir vertrauen dürfte, ja, sogar müßte. Ich überzeugte mich bald von seiner völligen Unschuld und arbeitete eine großartige Verteidigungsrede aus, auf deren Effekt ich mich mit Wichtigkeit freute. Aber bei der Verhandlung trat es sofort klar zutage, daß der Angeklagte ein häufig vorbestrafter, raffinierter und auch diesmal ganz offensichtlich schuldiger Gauner war. Aus meiner pompösen Rede ward ein klägliches, für mich blamables und gar nichts bedeutendes Gestotter. Ich suchte dann einen Lungenkranken auf, um eine D.-B.-Verhandlung aufzunehmen, der Kranke war aber infolge einer schweren Operation nicht vernehmungsfähig. Ich sprach auch Leutnant de Harde im Lazarett und erzählte und bezahlte ihm die Weinangelegenheit. Bei Prüters aß ich Karnickel, und im Kasino saß ich mit Erfling beim Wein. Ich kehrte nach Seeheim zurück, mit einer Kreuzotter im Taschentuch und einem Nagel im Pneumatik.

Es gab Hühner und Kaninchen in unserer Batterie. Ich fing einen jungen Hasen und tat ihn zu einer zahmen Kaninchenfrau und deren Jungen. Doch ließ ich die Mutter erst nach einiger Zeit hinzu, damit das Häschen erst einmal Stallgeruch bekäme. — In Nordheim wurden meine 3,7-Kanonen-Schüler durch den Kompanieführer besichtigt. Reye richtete während der Vorführung eine sehr fachmännische technische Frage an einen Mann. Ich merkte, daß er diese Frage und ihre Antwort vorher fest eingepaukt hatte und daß er von der Materie sonst nichts weiter wußte. Er besah sich hinterher in Seeheim den geborgenen Flugzeugmotor. Ich benutzte den günstigen Moment, um die Einrichtung einer Schmiede für Brandmeier zu befürworten. — Ich fing viele Wasserkäfer, Frösche und Schlangen, pirschte vergebens einem Fuchs nach, schlug Feuerlärm zur Übung für meine Leute und erlaubte ihnen dann, bis zwölf Uhr nachts statt bis zehn Uhr aufzubleiben. Am Sonntag unternahm ich einen Spaziergang über Berensch nach Arensch, zwei Bauernansiedlungen. Ich ging zu Thalmann. Das war ein Soldat meiner Batterie, den man aus landwirtschaftlichen Rücksichten zu dreiviertel vom Dienst befreit hatte. Seine Familie setzte mir Milch und Gebäck aus Buchweizenmehl vor. Im Stall entdeckte ich eine altertümliche geschnitzte Truhe, die ich näher betrachten wollte, aber Thalmanns stellten sich unruhig dazwischen, um sie zu verbergen, und ich merkte endlich, daß die Kiste geheime Vorräte an Speck und Schinken enthielt. Da ich Thalmanns häufig Freundlichkeiten erwiesen hatte, so boten sie mir nun die Truhe zum Geschenk an, unter der Bedingung, daß ich ihnen einen ebenso großen Holzkasten lieferte. Ich hatte Fachleute genug. Die zimmerten mir eine ebenso große, viel solidere und wohlbehobelte Tauschtruhe. — Der Kaffee ging mir aus. Ich konnte deshalb eine Zeitlang nicht mehr am »Flieger« schreiben. Ich darbte auch sonst, während ich meine R.-O.-A.s in fetten Heimatspaketen wühlen sah. Dann aber bescherte auch mich die Post wieder, und zwar gleichzeitig mit Kaffee, Eßwaren, Wein und Geld. Im übrigen streifte ich weiter im Wald und in Dünen herum und wurde mit aller Natur so vertraut, wie ich es nur als Kind und damals natürlich gedankenloser gewesen war. Mein Terrarium belebte sich immer mehr und sah romantisch aus. Oft stand ich mitten in der Nacht auf und lief dorthin und betrachtete das Nachtleben meiner Tiere beim Scheine einer Taschenlampe. Aber manchmal, und besonders wenn ich lange nachts bei starkem Kaffee geschrieben hatte, befiel mich eine nervöse, unheimliche Angst vor Motten und Nachtfaltern und sogar vor meinen Giftschlangen, die ich doch größtenteils selbst und meist mit der Hand gefangen hatte.

Nahe bei Nordheim, auch am Strande, nach Duhnen zu, lag das Privathospital Nordheimstiftung. Ich stattete der Oberin einen Besuch ab. Sie war eine ältere, aber frisch aussehende Dame mit blanken Zähnen und einer duftigen Schürze. Sie lud mich ein, sie wieder zu besuchen, um mit ihr Kunst zu pflegen. Da sie dabei aber nur an Musik dachte, ging ich nicht wieder hin. Häufiger als mir lieb war, bekam ich Besuch aus Duhnen oder Cuxhaven. Bickenbach und andere Leute, die offenbar rochen, wie wohl ich mich in Seeheim fühlte, und die selbst nicht mit sich allein auskamen. Ich wies solche Besucher manchmal geradezu schroff und unhöflich ab. Es war so friedlich einsam bei mir in Seeheim und doppelt schön, weil ich viel Dienst hatte. Revolverkanonen in Nordheim, Maschinengewehre in Seeheim und Manöver und Schreibladen, Scheinwerfer, Feldwebel, Horchtrichter, Postenkontrolle, Vorträge, Besichtigung, Windmotor, Küche, Schmiede, Mannschaftsbetreuung, Appells mit allem verantwortlichen Drum und Dran und mit vielen Wegen zwischen Duhnen, Cuxhaven, Nordheim und Seeheim. Da ich der Oberste und allein war, befand ich mich in der Lage, den andern manchmal in ganz unüblicher Weise Vergünstigungen zu erweisen.

Im Tagesbefehl Nummer siebenundneunzig sprach der Admiral mir und den dreizehn Leuten, besonders genannt den Obermaschinistenmaat Brandmeier, seine Anerkennung für die Bergung des Flugzeugmotors aus. Das war für die Betroffenen eine hervorragende Ehre. Bald darauf besichtigte der Admiral auch persönlich meine beiden Batterien. Ich mußte ihm ein 3,7-Schießen mit Leuchtspurgranaten vorführen. Das Ziel waren rote Papierballons, die mit Spiritusflammenhitze aufgetrieben wurden. Reye war zugegen und verlor etwas den Kopf. Es ging aber alles so gut, daß ich abends nach Cuxhaven radelte und mit Reye in Sekt badete. Als ich gegen zwei Uhr nach Seeheim zurückkehrte das letzte Stück im Dünensand mußte ich mein Rad schieben — war ich ziemlich erledigt, dennoch, oder gerade deshalb bezwang ich meine Müdigkeit, schnallte meinen Säbel um, zog meinen ölfleckigen, aber warmen Fliegerpelz an und schlich mich nach Nordheim, um den Posten dort zu kontrollieren. Gegen Postenvergehen war ich sehr streng, denn so unkriegerisch es in Seeheim und Nordheim zuging, so konnte es doch auch einmal anders kommen, und ich erlaubte den Posten zu rauchen und wußte selbst aus meiner langen Erfahrung bei der Kriegs- und Handelsmarine, wie beglückend und befriedigend es ist, nachts, und sei es beim schlimmsten Wetter, einsam, mit sich und seinem Gott allein, Wache zu stehen. Der Posten in Nordheim hatte sich von den Dünen entfernt, in einen Schuppen verkrochen und schlief tief. Er bat mich flehend, ihn nicht zu melden. Ich wetterte die Feldwebel heraus und schlug einen mordsmäßigen Krach in der Batterie. Von einer Meldung sah ich aber ab. Mit Hilfe der Taschenlampe fing ich mir noch unterwegs Kröten und Kolbenkäfer.

Der erste heiße Tag. Im Terrarium war Hochbetrieb. Die Kupferottern lagen mit Ringelnattern und Eidechsen verschlungen in der Sonne, andere Eidechsen jagten sich herum. Hummeln und Fliegen summten. Überall kroch und krabbelte etwas. Wenn es einer Ringelnatter einfiel, in den Teich unterzutauchen, kam sofort Willibald heraus und verkroch sich anderwärts. Willibald war ein großer Frosch, der schon mehrmals von Schlangen halb verschlungen war, nur halb, denn er war für sie zu groß, es hatte ihn noch keine ganz hinunterwürgen können, obwohl sich alle bis schier zum Platzen darum bemühten. Manchmal war er gleichzeitig von zwei Seiten von zwei Schlangen angefressen worden. Es war gewiß ein grausiger Anblick, wenn die Nattern, sich vorschnellend, einen Frosch packten, der dann jämmerlich schrie, und sie würgten ihn ganz langsam hinunter, etwa erst den Kopf, dann ein Vorderbein, dann langsam das zweite Vorderbein. Der Frosch spreizte in letzter Verzweiflung die Hinterbeine weit auseinander, aber auch die schlossen sich schließlich unter der Muskelkraft des Schlangenmauls und verschwanden in dem Schlund. Man konnte am Umfang verfolgen, wie das Fröschlein in der Schlange weiterglitt. Was die Kupferottern fraßen, wußte ich anfangs nicht, ich hatte gehört, sie lebten von Mäusen, aber das leuchtete mir nicht ein, und außerdem fing ich keine Mäuse. Nun beobachtete ich, wie eine Kupferotter eine Eidechse, mit der sie zuvor friedlich Leib an Leib in der Sonne gelegen hatte, plötzlich am Kopf packte und hinterfraß. Und die Eidechsen wieder schnappten sich behend Fliegen und Mücken und Käferchen. Manchmal stürzten sie, in ihrer Gier sich überschätzend, auf eine Hummel oder auf einen jungen Mistkäfer zu und zogen dann verärgert ab, weil sie damit nichts anfangen konnten. Fetthennen liefen geschäftig umher, und aus dem Kuhfladen lebten Würmerchen und Käferchen auf.

Mit Hilfe der vielen Leute legte ich mir in wenigen Tagen ein Gärtchen an. Hinterm Maschinenhaus wurde ein großes Quadrat mit Draht und Reisig eingezäunt und gegen Sandwehen mit Moos und Steinen geschützt. Aus dem Walde wurde Erde beschafft. Wir legten Beete an, die wir mit gestohlenem Kunstdünger und Kalk düngten. Wir säten Radieschen, Eiszapfen, Sonnenblumen und Kresse. In die Mitte des Gartens grub ich einen großen Waschkessel ein, der ein Teich für Frösche- und Krötenzucht werden sollte. Ich versah ihn mit Sand, Schlamm, Steingrotten, Froschlaich und Wasserpflanzen. Den Teich und ein Stück Wiese und Sand drum rum überzog ich mit engmaschigem Drahtgitter. Ferner wurde ein großer Kasten für Hummel-, Bienen- und Wespenzucht gebaut; denn in meinem Terrarium hatten diese Tiere keine Bedeutung und kamen auch nicht auf ihre Rechnung, während ich den neuen Bau mit einem hohlen Baumstamm und Erdhöhlen versah und ihn täglich mit frischen Blüten, Klee, Zucker, Kunsthonig und Apfelwein versah, ihn außerdem beliebig nach der Sonne umstellen konnte. Mein Bursche und ich brachten es zu einer großen Routine darin, Hummeln und Bienen mit einer leeren Streichholzschachtel zu fangen und sie in eine Selterflasche einzusperren. Wenn wir nur zehn Minuten lang über eine nahe Wiese liefen, kamen wir jedesmal mit reicher Beute zurück, und das Hummelhaus war weithin zu hören. Ich träumte von Waben und Honig. Der Tischler zimmerte mir einen Gartentisch mit einem Bänkchen davor. Brandmeier schmiedete die Angeln zu meinem Gartentor, und vor das Tor pflanzten wir zwei Bäume aus dem Walde ein. Auch das Terrarium wurde in das Gärtchen versetzt.

Die Post traf ein. Briefe von Timmy und Annemarie. Eine Liebesgabe für alle Mann, und zwar Kirschwasser, das aber höheren Orts verwässert zu sein schien. — Richthofen war nach seinem achtzigsten Luftsieg gefallen. — Die Deutschen hatten wieder sechstausendfünfhundert Feinde gefangen. — Ich schrieb von zehn Uhr abends bis vier Uhr morgens am »Flieger« und schritt dann, vom starken Kaffee erregt, nach Nordheim, wo ich den Posten diesmal auf dem Posten fand. Auch den Seeheimer Strandposten kontrollierte ich, und es lockte mich, sein Gewehr zu nehmen und einen Schuß über das stille Watt abzufeuern.

Neben meinem Wohnraume lag die Küche. Wenn ich nachts dort eintrat und plötzlich das Licht anknipste, waren die Wände und Tische schwarz von Tausenden von Kakerlaken. Ich fing sie für meine unersättlichen Eidechsen.

Reye und Hauptmann Brokhaus besuchten mich zu Pferd. Ich mußte lachen, als die Pferde vor meinen Hummeln und Schlangen scheuten. Andermal kam Prüter mit dem Oberinspektor Nürnberg heraus. Dann kam ein Storch nach Seeheim geflogen. Im nahen Walde gurrten die wilden Tauben. Die Jungen waren bald flügge. Nachts schrieb ich am »Flieger«, und bevor ich mich schlafen legte, ging ich noch in das Maschinenhaus und leuchtete in mein Terrarium. Da saßen die Kröten mit goldumränderten Augen und unbeweglich und sahen aus wie erstarrte Redner oder verwunschene Könige. Über mir klapperten die eisernen Flügel des Windmotors. Im Bett dankte ich Gott dafür, wie gut es mir ging.

Ich legte mir ein Treibhaus an, Ziegelsteine, Glasscheiben aus Doppelfenstern, Kuhmist, Kürbis, Gartenmohn, Reseda, Kornblumen. Brandmeier richtete mir elektrische Gartenbeleuchtung ein.

Ich unternahm Ausflüge mit meinem Dienstrad oder zu Fuß und manchmal mit meinen Einjährigen nach Salenburg, wo Strohsals uns Milch und Butterbrot vorsetzten. Ich fuhr nach Cuxhaven und tauschte von Möbus Kaffee, Käse und Schnaps gegen meinen Flugzeugkompaß ein. Möbus hatte ein Motorboot gekauft. Aber wie froh war ich, als ich wieder in meinem Königreich Seeheim anlangte. Brandmeier spielte Ziehharmonika vor dem Maschinenhaus, und meine Frösche quakten dazu.

Die R.-O.-A.s exerzierten und schossen. Einige von ihnen waren zu Obermatrosen befördert. Sie erbaten die Erlaubnis, ein Faß Bier aufzulegen. Das wurde eine lustige Kneiperei in Seeheim. Meine beiden Feldwebel und der Feuerwerker Becker aus Nordheim nahmen daran teil. Ich war Präses. Spaßmacher trugen Lustiges vor, und als ich mich einmal davonschlich und heimlich meine Uniform mit der des Wachtpostens vertauschte, war zufällig gleichzeitig ein dreister R.-O.-A. auf den ähnlichen Gedanken verfallen, sich meinen bekannten Leutnantspelz anzuziehen und eine Leutnantsmütze aufzusetzen. Das gab dann ein komisches Doppelspiel. Andern Tags mußten die R.-O.-A.s nach Duhnen zu einem Schießen der 8,8-Batterie.

Ich fand einen toten Frosch in meiner Suppe. Vielleicht hatte mir ein Küchenmatrose, den ich als unbrauchbar abkommandiert hatte, einen Schabernack spielen wollen. Ein ekelhafter Sturm überschüttete Seeheim mit Dünensand. Sand in der Suppe, Sand in den Augen, Sand in den Zähnen, auf meinem Aquarium und auf den Gartenbeeten. — Die Eidechsen häuteten sich. Ihre Hüllen lagen da wie ausgeglühte Strümpfe von Gasglühlicht. Ich beobachtete Eidechsen, die ihre Jungen auffraßen oder kleinere Geschwister hinunterwürgten. Die Schlangen fraßen Frösche und bissen die Kröten blutig. Mord allerorts. — Ich las »Macbeth«. — Ich arbeitete bis weit in den Morgen am »Flieger« und radelte dann gegen den kalten, Sand pustenden Ostwind nach Salenburg zu Hermine Strohsal. Sie hieß jetzt Frau Maak. Wieder erhielt ich Milch und weißes Brot. Ich schrieb Hermine etwas in ein Poesiealbum. Aber ihr dummbäurisch modernes Wesen mißfiel mir. In Seeheim fand ich einen Befehl von oben vor, Brandmeier sei abkommandiert, hätte sich »morgen zu gestellen — U-Bootsbau —« Ich fuhr sofort nach Duhnen und weiter nach Cuxhaven und erreichte endlich, daß man mir meine Batterieperle ließ. Ich hing aber auch an den meisten anderen Leuten und konnte ihnen manches Gute und Nützliche erweisen. Manchmal wußte ich ihre Stimmung durch kleine, harmlose Scherze zu heben, für die ich, wenn sie aufgekommen wären, von meinen Vorgesetzten sehr gerügt oder gestraft worden wäre; ich gab beispielsweise einem Mann ein Gewehr und sagte: »Schießen Sie mal in die Windmühlenflügel.« Er freute sich, zu schießen. Schießen macht ja so viel Vergnügen. Und peng — da sah man ein Loch im Eisenblech des einen Flügels. Die Flügel bekamen mit der Zeit noch viele Löcher, aber sie funktionierten genauso weiter. Ich malte mir aus, daß nach Jahren ein Lehrer auf sie deuten und zu seinen Schulkindern sagen würde: »Seht ihr dort die Spuren des unseligen blutigen Weltkrieges?!« Meine Soldaten waren aber auch nett zu mir. Sie brachten mir unaufgefordert Schlangen, Insekten und Frösche.

Mucky Reemi teilte mir ihre Verlobung mit. Ich schickte ihr zur Antwort zwei gepreßte »Tränende Herzen«, die ich am selben Tage von Annemarie erhalten hatte. — Die Engländer hatten einen offenbar sehr schneidigen und erfolgreichen Angriff auf Ostende unternommen.

Eine der komischsten Erscheinungen in Seeheim war Feldwebel Dabbert. Er war sozusagen überzählig und überflüssig, denn mein etatsmäßiger Feldwebel Reinhardt versah seinen Dienst mit hervorragender Tüchtigkeit und hatte mein völliges Vertrauen. Weil Dabbert gute Manieren hatte, wohlangezogen war und sichtlich Wert darauf legte, als gebildeter Mensch genommen zu werden, hatte ich von ihm erwartet, daß er sich selbst eine ihm passende Beschäftigung aussuchen und sich der mit Fleiß widmen würde, gerade, weil ich ihn nicht ausdrücklich dazu anhielt. Statt dessen bemerkte ich bald, daß er den ganzen Tag über schamlos faulenzte. Also sprach ich ihn eines Tages an: »Herr Dabbert, was tun Sie eigentlich?«

»Ach, Herr Leutnant«, sagte er mit einer gefälligen Stimme, »ich habe leider gar keine Beschäftigung hier.«

»Gut, Herr Dabbert, übernehmen Sie doch die Verwaltung der Artillerie- und Gewehrmunition. Lassen Sie sich von Brandmeier die Listen übergeben. Überholen Sie die Bestände und führen Sie künftig, selbstverständlich verantwortlich, die Bücher.«

»Jawohl, Herr Leutnant!« sagte Dabbert erfreut, und ich freute mich über ihn. Aber im Laufe der Zeit stellte ich fest, daß er sich absolut nicht um die Munition kümmerte, sondern schlief oder sich sonnte oder sich pflegte. Ich ging zu ihm, um ihn zur Rede zu stellen. »Herr Dabbert, wie steht es nun eigentlich mit Ihrer Verwaltung?«

»Herr Leutnant«, sagte Dabbert sehr traurig, »das ist ja doch nichts für mich. Ich möchte richtig arbeiten. Dies bißchen Artillerieverwaltung ist ja in zehn Minuten zu erledigen. Mir fehlt eine ausfüllende Arbeit.«

»Sehr brav, Herr Dabbert«, sagte ich perplex und sann einen Moment nach. »Übernehmen Sie dann auch die Verwaltung der Materialien und zwar von Seeheim und auch von der Batterie Nordheim. Es ist nur gut, wenn das alles in einer Hand liegt und zumal, wenn ein gebildeter—«

Dabbert schlug die Hacken zusammen. In seinem Gesicht leuchtete Geschmeicheltsein und Dankbarkeit.

Wochen vergingen. Dabbert rührte keinen Finger, sondern faulenzte schamlos weiter. Wutgeladen ließ ich ihn rufen. »Feldwebel Dabbert, Sie reden immer vom Arbeiten. Sie arbeiten ja aber nicht!«

Возрастное ограничение:
12+
Дата выхода на Литрес:
30 августа 2016
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530 стр. 1 иллюстрация
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