Читать книгу: «Eine Schale Getreide verändert die Welt», страница 3

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Unsere Begleiter auf der Hinreise fuhren über dieselben Straßen zurück, auf denen wir gekommen waren. Julie und ich beschlossen, uns auf das Wagnis eines Flugs mit einem Militärhubschrauber einzulassen – eine Möglichkeit, von der uns die Norweger erzählt hatten. Man riet uns, zu einer nahe gelegenen Landestelle zu fahren und dort auf den Hubschrauber zu warten. Am ersten Tag kam er nicht. Die Soldaten, die mit uns warteten, klärten uns auf, das läge daran, dass keine nüchternen Piloten aufzutreiben waren. Ich hatte natürlich gedacht, dass sie Witze machten, doch als der riesige Hubschrauber am nächsten Tag dann endlich landete, war die ukrainische Belegschaft, die ausstieg, um die Fracht abzuladen, tatsächlich eindeutig sehr betrunken.

Unsere norwegischen Freunde hatten uns informiert, dass keiner ohne schusssichere Weste mitfliegen dürfe. Wir hatten aber nichts dergleichen. Einem freundlichen UNO-Beobachter, der ebenfalls auf eine Mitfluggelegenheit zurück nach Split wartete, erklärten wir das Problem, und er überließ uns freundlicherweise ein paar blaue Postsäcke: Er meinte, sie sähen von Form und Farbe her genauso aus wie die üblichen kugelsicheren Westen. „Nehmt sie einfach in die Hand, wenn ihr einsteigt, die Crew wird nichts merken“, riet er uns.

Er hatte recht. Als wir in den riesigen, höhlenartigen Frachtraum des Hubschraubers einstiegen, glotzten uns die Männer von der Besatzung mit leerem, betrunkenem Grinsen und wässrigen Augen an, und mir wurde klar, dass wir wahrscheinlich irgendetwas in der Hand hätten halten können oder auch gar nichts – aufgefallen wäre es ihnen nicht. Das Monster verschluckte uns wie damals der Wal den Propheten Jona, und dann hob es ab. Wir wurden in dem riesigen Metallfass hin und her geschleudert, denn die Piloten flogen „taktisch“ – also grässlich tief –, sie blieben nah an den Bergflanken oder schwenkten im Zickzackkurs von einer Seite des Tals zur anderen. Wahrscheinlich war das nötig, um das Risiko zu verringern, abgeschossen zu werden, aber ich fragte mich schon auch, wie viel einfach nur auf Trunkenheit am Steuerknüppel zurückzuführen war. Jedenfalls wünschte ich insgeheim, wir hätten beschlossen, ebenfalls über die Waldstraßen zurückzufahren. Aber irgendwann landeten wir dann doch sicher in Split und fanden Mary, unseren riesigen Truck, die treu und brav darauf wartete, uns heimbringen zu dürfen. Wir hätten sie umarmt, wenn unsere Arme lang genug gewesen wären.

II.
Eine Frau, bekleidet mit der Sonne

Es ist unehrlich, an etwas zu glauben und nicht entsprechend zu leben.

(Mahatma Gandhi)

Unsere ganze Kindheit über und auch noch später war der Fluss Orchy eigentlich immer unser Freund, vor allem an Tagen wie diesen, wenn er aufgrund unaufhörlicher Regenfälle und Hochwasser führender Zuflüsse so anstieg, dass er die einzige Zufahrtsstraße zu unserem Anwesen überflutete. Es war für uns immer richtig aufregend, wenn der Fluss drohte, über seine Ufer zu treten und uns vom Rest von Dalmally abzuschneiden. Vor allem dann, wenn das bedeutete, dass wir einen Tag lang nicht in die Schule mussten. Wir nutzten den Fluss in unserer Kindheit zu jeder Jahreszeit als Wasserspielplatz. An warmen Sommertagen trugen wir unser Schlauchboot nach Corryghoil hinauf, einer ruhigeren Wasserstelle mit Sandstrand, wo wir im kühlen tiefen Wasser schwammen. Manchmal lud Dad das kleine Boot auch auf den Anhänger seines Geländewagens und brachte es ein Stück weiter das Tal hinauf, dann ließen wir uns über Wasserfälle und unter überhängenden Ästen hindurch den ganzen Weg bis zur alten Steinbrücke treiben. Manchmal war der Fluss im Winter dick zugefroren, und wir konnten uns mit unseren Freunden, die auf der anderen Seite lebten, auf dem Eis treffen, in unseren Turnschuhen „eislaufen“ oder mit unseren Shinty-Stöcken und einem Stein als Puck „Eishockey“ spielen. Im Herbst verbrachten wir viele Stunden damit, Lachse zu fangen, die sich zu ihrem Laichplatz den Strom hinaufarbeiteten. Auch wenn es lang dauerte, bis man einen fing, so lohnte es sich doch zu warten – wir kamen dann strahlend mit einem köstlichen silbernen Fisch nach Hause und konnten aufregende Geschichten darüber erzählen, wie wir ihn gefangen hatten.

Doch an jenem Spätherbsttag im Jahr 1983 machten wir uns ernsthaft Sorgen, als wir beobachteten, wie das Wasser auf den Feldern unterhalb unseres Hauses immer höher stieg, und wir bemerkten, dass unsere Nachbarn Alasdair und Donald ihre Schafe höher hinauf trieben, denn am nächsten Morgen sollten wir unseren sehnlichst erwarteten Flug nach Jugoslawien erreichen. Schon lang bevor wir zu unserer Nachtfahrt zum Heathrow Airport aufbrechen mussten, war der Fluss über die Ufer getreten und die Straße unter einem unpassierbaren reißenden Sturzbach verschwunden. Aber da eröffnete uns Dad, dass er vorgesorgt hatte: Er hatte unser Auto schon früher jenseits der Stelle geparkt, die jetzt überflutet war, und war dann zu Fuß zurückgekommen. Er drückte uns Taschenlampen in die Hand und wies uns an, den matschigen Pfad am Hang oberhalb der überfluteten Straße entlangzugehen. Das Abenteuer, das unser Leben verändern sollte, begann also mit einem Gang durch Dunkelheit und strömenden Regen, knöcheltief im Schlamm, mit unserem Gepäck auf dem Rücken, und wir mussten darüber lachen, dass unser Dad immer einen Schritt vorausdachte.

Alles hatte wenige Wochen zuvor begonnen. Wir saßen nach dem Frühstück um den Küchentisch. Ruth, meine Schwester, die gerade ihre Universitätsferien zu Hause verbrachte, schaute von ihrer Zeitung hoch und sagte: „Schaut euch das an! Hier heißt es, es gäbe Berichte, dass die Jungfrau Maria ein paar Teenagern in einem Ort namens Medjugorje in Jugoslawien erschienen ist!“ Eine aufgeregte Diskussion folgte. Wir waren eine fromme katholische Familie und kannten berühmte Orte wie Lourdes, wo die Gottesmutter vor langer Zeit erschienen war. Im Jahr zuvor hatten wir sogar an einer Familienwallfahrt zum Marienheiligtum im portugiesischen Fatima teilgenommen. Aber dass die Muttergottes heute, in unserer Zeit, erscheinen sollte, war etwas, das wir uns überhaupt nicht vorstellen konnten.

„Mum, wenn es auch nur die geringste Wahrscheinlichkeit gibt, dass das stimmt, dann müssen wir hin!“, bettelten wir. Unsere Eltern erklärten uns, sie könnten zu den bevorstehenden Weihnachtsfeiertagen nicht weg, weil in unserem Gästehaus viel zu tun war (unser Haus war eine traditionelle Unterkunft für Jäger und Fischer). Wir hörten nicht auf zu betteln, und zu unserem Entzücken schlugen sie schließlich vor, dass wir doch allein fahren sollten. Ruth und ihr Freund Ken waren schon neunzehn, mein Bruder Fergus und ich waren sechzehn beziehungsweise fünfzehn. Zwischen diesem Gespräch beim Frühstück und dem Tag der Flut fanden wir heraus, dass das Dorf Medjugorje in der Nähe der Stadt Mostar lag, aber wo genau, das konnten wir auf der Karte nicht sehen. Wir hatten auch keine Ahnung, wie wir vom Flughafen Dubrovnik dorthin kommen sollten oder wo wir während unseres Aufenthaltes wohnen würden. „Das gehört zu einem Abenteuer dazu“, dachten wir – und einige unserer Cousins und Cousinen sowie einige befreundete Studienkollegen von Ruth und Ken, die gefragt hatten, ob sie sich uns anschließen könnten, waren derselben Meinung. So kam es dann schließlich, dass wir als Gruppe von zehn Leuten – einige von der Hüfte abwärts reichlich verdreckt – in das Flugzeug von Heathrow nach Dubrovnik stiegen.

In der umwerfend schönen Stadt Dubrovnik mit ihrer alten Stadtmauer, direkt an der glitzernd blauen Adria gelegen, gelang es uns, eine Unterkunft bei einem Mann zu finden, der lediglich einen einzigen englischen Satz beherrschte – wahrscheinlich hatte er ihn beim Anschauen amerikanischer Filme gelernt. „Take it easy, sonofabitch!“, rief er mit einem breiten Lächeln als Antwort auf jede Frage, die wir ihm stellten. Wir nahmen an, dass seine Pension illegal war, ein kleines privates Unternehmen, das es in diesem kommunistischen Land eigentlich gar nicht geben durfte.

Am nächsten Morgen stellten wir fest, dass über die Feiertage keine öffentlichen Verkehrsmittel fuhren. Es blieb uns also nichts anderes übrig, als einige Autos zu mieteten, um unseren Zielort zu erreichen. Bald kurvten wir die wunderschöne Küste entlang und dann durch eine steile Berglandschaft in Richtung Mostar, und immer noch mussten wir über den „Sonofabitch“-Mann lachen, bei dem wir übernachtet hatten. Man hatte uns einige Male gewarnt, dass die Polizei und die kommunistischen Behörden von den Erscheinungen, die in Medjugorje stattfanden, ganz und gar nicht begeistert waren und es auch nicht gerne sahen, dass Ausländer dorthin reisten. Kurz vor unserer Abreise aus Schottland hatten unsere Eltern sogar Anrufe von der jugoslawischen Botschaft bekommen: Man gab ihnen zu verstehen, es sei unverantwortlich von ihnen, uns die Reise zu erlauben. Wir waren daher auch nicht allzu erstaunt, als wir ein paar Kilometer vor Medjugorje von Polizisten angehalten wurden, die uns über die Gründe unseres Aufenthalts ausfragten. Nach wenigen Minuten ließen sie uns weiterfahren. Sie sahen aber wenig begeistert aus, als Ken die Kühnheit besaß, sie nach dem Weg zum Dorf zu fragen.

Dann endlich kamen wir in der kleinen Streusiedlung aus Steinhäusern inmitten von Weinbergen und Tabakfeldern an und parkten vor einer weißen Kirche mit zwei Türmen, die für das winzige Dorf viel zu groß wirkte. Was uns außerdem sofort ins Auge fiel, war ein riesiges Kreuz auf der Spitze des Bergs, an dessen Fuß das Dorf lag. An jenem Werktagsabend betraten wir dann die Kirche. Sie war zu unserer Überraschung voll besetzt bis auf den letzten Platz. Die Leute beteten den Rosenkranz, und wir sahen, dass wohl gleich die Messe beginnen würde. Wir hatten den Eindruck, dass alle Kirchenbesucher außer uns aus dem Dorf stammten. Große, wettergegerbte Männer mit riesigen Bauernhänden, alte Frauen in Schwarz und Familien mit Kindern sangen und beteten aus ganzem Herzen. Es war eine Messe, wie wir sie so noch nie erlebt hatten, und wir waren sehr bewegt von diesem erstaunlichen Glaubenszeugnis. Nach der Messe kam der Priester auf uns zu, stellte sich uns als Pater Slavko vor und fragte uns, woher wir kämen. Er war überrascht, als er erfuhr, dass wir von Schottland hierher gekommen waren, und fragte uns, wo wir vorhatten zu übernachten. Wir sagten ihm, wir wüssten es noch nicht, und er erklärte uns, dass es im Dorf keine Hotels oder Pensionen gäbe. Er stellte uns seiner Schwester und deren Familie vor, und sie sagte sofort, dass wir mit ihr kommen und bei ihr wohnen sollten. In der Familie gab es drei Söhne, die ungefähr so alt waren wie wir. Ihre Cousine Gordana war für die Weihnachtsferien aus Australien gekommen. Sie dolmetschte für uns mit Engelsgeduld und hörte in den nächsten paar Tagen auch nicht damit auf. Wir sprachen über italienischen Fußball – eine Leidenschaft, die wir mit den Söhnen der Familie teilten – und über die außerordentlichen Ereignisse, die sich in diesem Dorf zugetragen hatten.

Sie erklärten uns, dass am 24. Juni 1981 zwei Teenager aus dem Dorf, die am Abend auf der Straße unterwegs waren, eine Dame am Berghang stehen sahen, die sie als die „Gospa“ (das kroatische Wort für Gottesmutter) erkannten. An den folgenden Tagen wurden sie von vier weiteren Kindern begleitet, die die Gottesmutter ebenfalls sahen und hörten, wie sie zu ihnen sprach. Sie sagte ihnen, sie sei die Jungfrau Maria, die Königin des Friedens. Gleich zu Beginn teilte sie ihnen mit: „Ich bin gekommen, um der Welt zu sagen, dass Gott existiert. Er ist die Fülle des Lebens, und um dieser Fülle teilhaftig zu werden und Frieden zu erlangen, müsst ihr zu Gott umkehren.“ Von da an sahen diese sechs Kinder die Gottesmutter täglich und sprachen mit ihr, und innerhalb weniger Tage versammelten sich Tausende von Menschen aus der Region am Berg, um bei den Kindern zu sein, wenn sie auf die Knie fielen und mit jemandem sprachen, den alle anderen Anwesenden nicht sehen konnten. Als sich diese Nachricht allerdings ausbreitete und auch Menschen von weiter her eintrafen, fühlten sich die kommunistischen Behörden von diesen öffentlichen Bekundungen religiösen Eifers provoziert und griffen rigoros durch. Die Jugendlichen wurden in eine psychiatrische Klinik eingewiesen, wo sie verhört und mit Haftstrafen bedroht wurden, doch alle blieben bei ihren Aussagen – sogar der Jüngste, der erst neunjährige Jakov Colo. Die Versammlungen am Berg wurden verboten, woraufhin die Massen begannen, stattdessen allabendlich in die Kirche zu strömen. Nun hatten die Kinder dort ihre Erscheinungen. Inzwischen war der Gemeindepriester, Pater Jozo Zovko, der anfänglich bezüglich der Behauptungen der Kinder skeptisch gewesen war, ihnen aber mittlerweile glaubte, für drei Jahre inhaftiert worden, weil er sich für sie eingesetzt hatte.

Unsere Gastgeber erklärten uns – immer gedolmetscht von der endlos geduldigen Gordana –, wie diese unglaubliche Kette von Ereignissen in ihrem Dorf abgelaufen war, und sie erzählten uns auch von den vielen außerordentlichen Wundern, deren Zeugen sie zusammen mit vielen anderen Einheimischen geworden waren. So hatten sie beispielsweise häufig gesehen, wie sich die Sonne am Himmel drehte (was an das berühmte Wunder erinnerte, das Zehntausende in Fatima fast siebzig Jahre zuvor erlebt hatten). Außerdem waren viele Menschen von allen möglichen Leiden geheilt worden.

Wir waren völlig fasziniert von diesen Berichten, die uns in einer ganz sachlichen Art geschildert wurden, von einer offensichtlich vernünftigen, ausgeglichenen Familie. Sie sagten, es gäbe noch viele weitere Wundergeschichten und auch einige wilde Gerüchte, aber sie würden uns nur Dinge erzählen, von denen sie wüssten, dass sie stimmten. Wir waren von der Freundlichkeit dieser Familie völlig überwältigt. Erst nach der ersten Nacht bemerkten wir zu unserer größten Verlegenheit, dass sie uns ihre eigenen Betten zum Schlafen überlassen und selbst auf dem Boden übernachtet hatten. In den nächsten Nächten unseres kurzen Aufenthalts gelang es uns nicht, sie dazu zu überreden, uns auf dem Boden schlafen zu lassen, so sehr wir uns auch bemühten.

Die Familie kannte die Seher gut. Marko, einer der Brüder, erklärte uns, dass Mirjana, die Älteste der sechs, sogar seine feste Freundin war. Sie bestanden darauf, es für uns zu organisieren, dass wir in den kleinen Seitenraum der Kirche kommen könnten, wenn die Seher die Erscheinung hätten. Und tatsächlich waren wir dann an den nächsten beiden Abenden in einem kleinen, dicht besetzten Raum direkt neben dem Altar. Gemeinsam mit der größeren Menschenmenge im Kirchenschiff beteten wir zusammen mit den jungen Sehern, die ungefähr in unserem Alter waren, den Rosenkranz. Dann plötzlich hörten die Seher auf zu beten und schauten gleichzeitig zur Wand hoch. Schweigen breitete sich aus. Wir sahen, wie sie glücklich lächelten und sprachen, konnten aber ihre Worte nicht hören. Sie waren offenbar in einem tiefen Gespräch mit jemandem, den wir nicht sehen konnten. Ich saß so nah bei ihnen, dass ich Marija hätte berühren können, während sie für jemanden lautlos Worte mit den Lippen formte und offenbar ganz und gar ergriffen und beseligt war. Das dauerte einige wenige Minuten, dann hörten die Jugendlichen auf, nach oben zu schauen, und nahmen wieder die Menschen um sich herum wahr. Zusammen setzten wir den Rosenkranz fort.

Während dieser wenigen Tage in Medjugorje empfand ich eine tiefe Freude, wie ich sie noch nie zuvor verspürt hatte. Ich fühlte mich wie berauscht. Die Gottesmutter war gekommen, um uns mitzuteilen, dass Gott existiert. Ich glaubte ihr mit jeder Faser meines Wesens. Ich beschloss, auf die Einladung der Muttergottes so gut ich konnte mit meinem Leben zu antworten.

Die anderen in unserer kleinen Gruppe machten offenbar ganz ähnliche Erfahrungen. Wir lachten viel in dieser Woche, und wir weinten auch. Es fühlte sich an, als würden wir herausfinden, wer wir wirklich waren.

Im weiteren Verlauf der Woche sahen wir selbst, wie sich die Sonne drehte und kräftige Farben von ihr ausgingen und sich über den ganzen Himmel verbreiteten. Das war ein unglaublicher Anblick, aber bei all dem, was sich in unseren Herzen ereignete, war es mit Sicherheit nicht die faszinierendste Erfahrung dieser Woche.

Als wir nach Schottland zurückkehrten, waren wir sehr müde und sehr glücklich. Mum und Dad und unsere Großeltern, die bei uns lebten, sowie zwei mit uns befreundete Priester erwarteten uns – bewaffnet mit einem Tonbandgerät und vielen bohrenden Fragen. Sie bestanden darauf, dass wir sie beantworteten, bevor wir ins Bett gingen. Sie wollten absolut sichergehen, dass wir nicht Opfer irgendwelcher böser Streiche oder noch schlimmerer Dinge geworden waren, und sie wollten unsere Eindrücke sorgfältig mit den Lehren der Kirche abgleichen. Mum und Dad waren allerdings überhaupt nicht skeptisch. Tatsächlich glaube ich im Nachhinein, dass wir wahrscheinlich alle von dem Augenblick an, als Ruth damals beim Frühstück den kleinen Artikel vorgelesen hatte, tief in unserem Herzen wussten, dass es alles stimmte. Ich kann mir nicht vorstellen, wie Mum und Dad uns sonst hätten ermutigen können, hinzufahren und selbst nachzuschauen. Aber jetzt wollten sie einfach selber sicher sein, und sie wollten gut auf die Fragen anderer vorbereitet sein, die bestimmt auf uns zukommen würden.

Sie waren beeindruckt von den Informationen und Antworten, die sie von uns erhielten, aber noch mehr von den Veränderungen, die mit uns passiert waren, wie sie in den Tagen darauf ganz deutlich sehen konnten. Ihre Teenager-Sprösslinge waren jetzt diejenigen, die sie dazu aufforderten, gemeinsam zu beten – davor war es immer umgekehrt gewesen. Sie sahen ganz deutlich, dass wir tiefe Erfahrungen gemacht hatten.

Ruth hatte mittlerweile einen Artikel über unsere Reise geschrieben, der im Catholic Herald publiziert wurde. Am Ende des Artikels gab die Redaktion unsere Adresse an, und wir bekamen viele Briefe, in denen wir um weitere Informationen gebeten wurden. Über tausend Briefe trudelten in den nächsten Wochen bei uns ein, und während wir zurück an die Universität und zur Schule gingen, verfassten Mum und Dad auf jeden Brief handschriftlich eine Antwort. Ein Brief kam von einer Frau namens Gay Russell in Malawi. Sie schrieb, sie sei eine Pilotin, die mit einem kleinen Flugzeug in Südafrika unterwegs sei, und bat um weitere Informationen. Mum schrieb ihr einen Brief. Von all den Briefen war das derjenige, an den wir uns am deutlichsten erinnerten, obwohl wir dann nicht wieder von ihr hörten. Das Bild von einer Frau, die kreuz und quer durch Südafrika fliegt und jedem von Medjugorje erzählt, wurde zu einem Familienwitz. Wir konnten damals nicht wissen, dass wir zwanzig Jahre später unter ganz anderen Umständen Gay tatsächlich in ihrer afrikanischen Heimat treffen würden, und dass sich aufgrund dieses Treffens etwas ganz Außerordentliches ereignen sollte.

Zwei Monate später, nachdem alle Antworten geschrieben waren, besuchten auch Mum und Dad Medjugorje. Sie machten dort ähnliche Erfahrungen wie wir. Als sie zurückkehrten, waren sie ebenfalls davon überzeugt, dass Maria, die Mutter Jesu, tatsächlich in unserer Gegenwart auf der Erde erschien, mit einer Botschaft für die Menschen. Sie spürten, dass Gott sie bat, unser Haus und das Gästehaus in ein „Gebetshaus“ umzuwandeln, einen Ort, wohin Menschen sich zurückziehen und Zeit mit Gott verbringen konnten. Sie fingen an, gewisse Zeiten für normale zahlende Gäste zu blockieren (die meisten waren bisher gekommen, um zu fischen und zu jagen) und Einkehrtage zu organisieren. Unser größter Raum wurde bald zur Kapelle, der Billardtisch wurde durch einen Altar ersetzt und wenige Monate später war aus dem Gästehaus Craig Lodge das Familien-Gebetshaus Craig Lodge geworden. Viele Besucher kamen für einen oder zwei Tage, andere blieben länger. Bald war eine kleine Gemeinschaft entstanden, die Krizevac-Gemeinschaft, benannt nach dem Kreuzberg in Medjugorje. Sie bestand aus jungen Leuten, die kamen, um mit uns zu leben, die eine gewisse Zeit dafür verwenden wollten, um ihr geistiges Leben zu vertiefen und herauszufinden, wozu sie berufen waren, oder die vielleicht auch einfach nur einen Zufluchtsort brauchten, um sich von dem zu erholen, was ihnen das Leben bislang zugemutet hatte.

Nun verwandelte sich also unser idyllisches Landhaus in einen wahren Bienenstock. Seit ich denken kann, habe ich in einem Gästehaus, in einem Hotel gelebt, und ich war daran gewöhnt, dass daheim immer auch fremde Menschen waren. Es war auch nicht das erste Mal, dass Mum und Dad eine Entscheidung fällten, die das Leben der Familie grundlegend veränderte. Zwei Jahre davor hatten wir Mark in die Familie aufgenommen, einen siebenjährigen Jungen mit einer fürchterlichen Hautkrankheit, der in einem Krankenhaus in Glasgow ausgesetzt worden war. Ich war damals zwölf, und es war neu und unangenehm für mich, nicht mehr länger das „Nesthäkchen“ zu sein. Plötzlich hatten wir einen kleinen Jungen mit gravierenden Verhaltensproblemen in unserer Mitte, der zu ungeheuerlichen Wutanfällen neigte. Wir lernten von diesem Stadtkind schnell eine ganze Bandbreite von Flüchen und diverse Methoden, Leute zu beleidigen. Aber bald wurde Mark unser heiß geliebter kleiner Bruder, und es dauerte nicht lang, bis wir ihn adoptierten. Er wurde nicht nur zu einem ständigen Mitglied unserer Familie, sondern auch für uns alle zu einem unglaublichen Segen.

Mums und Dads aktuelle Entscheidung, ihre Türen zu öffnen, hatte nun allerdings eine neue Art von Invasion in unseren Familienkreis zur Folge; eine angenehme, freundliche Invasion, die ich trotzdem nicht immer leicht fand. Unaufhörlich strömten Besucher ins Haus, und die Grenzen um den privaten Familienraum herum wurden manchmal ziemlich undeutlich. Mein soziales Leben spielte sich hauptsächlich mit Freunden ab, mit denen ich im Dorf Dalmally aufgewachsen war. Als Teenager verbrachte ich die meiste Zeit außerhalb von Craig Lodge, entweder beim Sport oder im Dorf-Pub. In dieser Gesellschaft sprach ich praktisch nie von meinem Glauben, vom Einkehrhaus oder von meinen Erfahrungen in Medjugorje. Es fühlte sich fast so an, als würde ich beginnen, zwei voneinander getrennte Leben zu führen. Ich verlor nie meinen Glauben und betete immer noch jeden Tag, aber außer meiner Familie gab es niemanden, mit dem ich darüber reden konnte.

Mein engster Gefährte war mein Bruder Fergus. Wir gehörten beide zu einer eng verbundenen Gruppe von Freunden, die zusammen im Dorf aufgewachsen waren. Bereits in frühester Jugend waren wir alle fanatische Shinty-Spieler (Shinty ist ein für die schottischen Highlands typischer Sport, der eigentlich zu Unrecht den Ruf hat, brutal zu sein), und die meisten Samstage waren wir für unser Dorf-Team Glenorchy unterwegs. Shinty ist eng verwandt mit dem irischen Spiel Hurling und wird von denen, die es zum ersten Mal miterleben, gern als Feldhockey ohne Regeln bezeichnet. Aber Shinty war meine absolute Leidenschaft. Ich liebte sowohl das Spiel selbst als auch die Tatsache, dass fast alle meine Mannschaftskameraden Jungen waren, mit denen ich aufgewachsen war. Wir hatten in der Grundschule einmal den Scottish Cup gewonnen und waren seither eine eingeschworene Gemeinschaft. Unser früher Ruhm hatte uns glauben lassen, dass wir eines Tages Landesmeister werden könnten, was unser Dorf bislang noch nie geschafft hatte. Doch als die Jahre vergingen, ließ unser Erfolg nach. Wahrscheinlich lag das vor allem daran, dass wir mehr Zeit im Pub verbrachten als beim Training auf dem Shinty-Feld.

Nach dem Spiel saßen wir die meisten Samstagabende in unserem Dorf-Pub, oder wir fuhren in eine der umliegenden Ortschaften zu einem Ceilidh (einer Veranstaltung, bei der schottische Tänze getanzt werden) oder einer Party. Sonntagmorgens schafften es Fergus und ich häufig nicht, rechtzeitig zum Gottesdienst bei uns im Dorf aufzustehen, sodass wir die Sonntagnachmittage häufig im Auto unterwegs waren, um eine Abendmesse zu finden, da es in unserer Nähe keine gab. Verpasst haben wir den Sonntagsgottesdienst nie, aber meistens nahmen wir mit Kopfweh und trockener Kehle daran teil. Oft redeten wir miteinander über unseren Glauben und beteten zusammen – wir hatten das schon seit meiner frühesten Kindheit getan, als wir noch ein gemeinsames Kinderzimmer hatten –, aber mit unseren anderen Freunden sprachen wir über diesen Teil unseres Lebens nie, obwohl sie uns so nahestanden.

Es wurde immer schwieriger, dieses Doppelleben zu führen, und mich machte das immer unglücklicher. Dabei habe ich meinen Glauben oder meinen tiefen Respekt vor meinen Eltern und ihren Entscheidungen nie verloren. Ich konnte sehen, dass das, was sie taten, etwas sehr Schönes war, etwas, das das Leben vieler Menschen veränderte. Unter weltlichen oder wirtschaftlichen Gesichtspunkten waren ihre Entscheidungen sinnlos; wer zu uns kam, war eingeladen, einen Betrag zur Deckung der Kosten zu spenden, aber nie wurden Menschen weggeschickt, die nichts geben konnten. Um finanziell über die Runden zu kommen, verkauften sie irgendwann die Lachsfischerei, die ihnen am Orchy gehörte, und hießen weiterhin jeden mit einem Lächeln willkommen. Mums hausgemachte Suppe wurde weit und breit berühmt, und noch mehr Dads „Bären-Umarmungen“.

Mittlerweile immatrikulierte ich mich an der Stirling University für ein Geschichtsstudium, obwohl ich eigentlich Argyll gar nicht verlassen wollte. Einen Großteil meiner Kindheit und Jugend hatte ich mit Jagen und Arbeiten im Freien verbracht, ich hatte auch nie das Bedürfnis verspürt, in eine Stadt umzuziehen, und genauere Karrierepläne hatte ich sowieso nicht. Außerdem blieben meine besten Freunde alle in Dalmally und fanden dort Jobs. Aber ich hatte einen guten Schulabschluss, und weil man es offenbar von mir erwartete, bewarb ich mich eben an der Universität. Geschichte war mein Lieblingsfach gewesen, also beschloss ich, Geschichte zu studieren.

Aber ich hielt es in Stirling nicht lange aus. Es stellte sich heraus, dass meine Schüchternheit, mit der ich bisher ganz gut hatte leben können, indem ich immer in Gesellschaft meiner engen Freunde blieb, in dieser neuen Umgebung zu einem argen Hindernis wurde. Ich konnte mit den anderen Studenten einfach nicht reden, ganz zu schweigen davon, dass ich mich mit ihnen angefreundet hätte. So trampte ich jedes Wochenende nach Hause, um meine Freunde zu treffen und Shinty zu spielen. Mit meinen geliebten Glenorchy-Streifen und dem Shinty-Stock in den Händen wurde ich für neunzig Minuten wieder glücklich und selbstbewusst. „Klasse gespielt, großer Mann!“, riefen die älteren Männer, die von der Seitenlinie aus zuschauten, wenn ich einen Zweikampf gewann oder den Ball über das Feld schlug (glücklicherweise hatten Mannschaftskameraden wie Foxy, Heekor und Pele fantasievollere Spitznamen bekommen). Dann fuhr ich zurück zum Universitätscampus und verkroch mich in meinem Zimmer.

Nach sechs Monaten brach ich meiner Mutter fast das Herz, indem ich aufgab und mich exmatrikulierte. Ich kam nach Argyll zurück, um wieder draußen zu arbeiten. Ich pflanzte Bäume für die Forstverwaltung, stapelte Bretter in einer Sägemühle und wurde dann irgendwann Lachszüchter. Sechs Jahre lang gehörte ich zu einem kleinen Team, das nach den Lachsen schaute, die im Loch Craignish, einem fernab gelegenen tiefen See, vier Meilen von der nächsten Asphaltstraße entfernt, in riesigen, treibenden Netzkäfigen schwammen. Es war ein Ort großen Friedens, und ich genoss die zwar anstrengende, doch stille tägliche Routine. Ein guter Ort zum Nachdenken und zum Beten war es außerdem, und die Jungs, mit denen ich zusammenarbeitete, wurden mir auch gute Freunde. Ich nahm an, dass ich wahrscheinlich den Rest meiner Tage in diesem Teil von Schottland leben und arbeiten würde, und war eigentlich ganz zufrieden mit dieser Perspektive, obwohl die langen, dunklen, kalten Winter häufig eine Sehnsucht nach exotischen, wärmeren Ländern und neuen Erfahrungen aufkommen ließen.

Doch dann, eines regnerischen Abends im November 1992, gingen Fergus und ich in unsere Stammkneipe auf ein Bier. Es war ungewöhnlich still. An diesem Tag hatte es kein Shinty-Match gegeben, weil das Spielfeld vom Regen völlig durchweicht war, und nur wenige von unseren Kumpeln waren aufgetaucht. Wir redeten über das, was wir am frühen Abend im Fernsehen gesehen hatten. Eine Reportage hatte das Leid der Menschen in Bosnien-Herzegowina gezeigt, die vor ethnischen Säuberungsaktionen geflohen waren und jetzt in Flüchtlingslagern lebten. Das Jugoslawien, das wir als Teenager besucht hatten, riss sich selbst in Stücke. Im Jahr 1991 hatten Slowenien und Kroatien ihre Unabhängigkeit erklärt; ein Schritt, der einen Krieg zwischen den Serben, der im jugoslawischen Staat dominierenden Volksgruppe, und denjenigen entfachte, die sich davon lösen wollten. Ein Jahr später brach in Bosnien-Herzegowina, Heimat von Kroaten, Muslimen und Serben, ein Bürgerkrieg aus – vor den Kameras der Welt nahm ein entsetzlicher Konflikt seinen Lauf. In Medjugorje erschien die Gottesmutter, die Königin des Friedens, den sechs jungen Leuten immer noch. Der Titel, mit dem sie sich selbst bezeichnet hatte, gewann nun eine neue Bedeutung. Über die Jahre hinweg handelten ihre Botschaften immer wieder vom Weg zum Frieden, darüber, wie Kriege vermeidbar wären, wenn wir nach der Botschaft des Evangeliums lebten. Auf den Tag genau zehn Jahre, nachdem sie diesen sechs Kindern in Medjugorje erschienen war, fielen die ersten Schüsse dieses Krieges. Während der Horror sich ausbreitete und ein Strom von Reportagen über blutige Massaker, ethnische Säuberungen und Massenvergewaltigungen das moderne Europa schockierte, wurden der Grund für einige Botschaften der Gottesmutter und die Dringlichkeit, mit der sie sie formuliert hatte, sehr viel klarer. Vielleicht hatten einfach zu wenige von uns, die wir das Privileg gehabt hatten, ihre Botschaften zu hören und zu glauben, diese in ihrem Leben praktisch umgesetzt.

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9783702236076
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