Читать книгу: «Menschen im Krieg – Gone to Soldiers», страница 15

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Er bedauerte es, als die Heeresleitung beschloss, der Marine die Entschlüsselung von Purpur zu entziehen und ganz der Armee zu überlassen, denn das hieß, dass er Friedman nicht mehr regelmäßig sah. Er hatte eine Schwäche für den adretten kleinen Mann mit den förmlichen Manieren und der Aura, nicht ganz dazuzugehören. Er war froh, Friedman etwas Gutes bringen zu können, das Neueste von Baron Oshima, dem japanischen Botschafter in Berlin. Oshimas Kabel nach Tokio waren eine ausgezeichnete Informationsquelle über die Deutschen, denn seit der Unterzeichnung des Dreimächtepakts zwischen Deutschland, Italien und Japan hatten die Nazis Oshima in ihre Vorbereitungen und Kriegspläne eingeweiht. Der Baron war der beste Agent, den die Amerikaner in Berlin hatten. Durch Oshima hatten sie im Voraus gewusst, dass Hitler den Angriff auf die Sowjetunion plante, erfuhr Daniel, aber amerikanische Versuche, die Sowjets zu warnen, waren an Stalins strikter Weigerung gescheitert, das zu glauben.

Friedman saß mit geschürzten Lippen an seinem Schreibtisch, und sein Blick verlor sich in innere Fernen, die kleinen, zerbrechlich wirkenden Hände spielten mit einem Bleistift. Als Friedman ihn schließlich bemerkte, schien ihm seine Geistesabwesenheit fast ein wenig peinlich zu sein, doch er hatte Daniel wie auch seinem eigenen Stab beigebracht, ihn nicht zu stören, wenn er ein Problem durchdachte. Daniel hätte eher den ganzen Tag dagestanden, als ihn unterbrochen.

»Wann findet Ihr Umzug statt?«, fragte Friedman und überflog rasch das Bündel Papiere. Die Marine zog in eine frühere Mädchenschule, Mount Vernon, so wie Friedmans Dienst in eine andere zog, Arlington Hall. Offenbar gab es um Washington herum ein Übermaß an ehemaligen Mädchenpensionaten, die höheren Töchtern den letzten Schliff verleihen sollten, sinnierte Daniel. Vielleicht waren ihnen die höheren Töchter ausgegangen.

»Wir hoffen, nächsten Monat umzuziehen, wenn hoffen das richtige Wort ist. Da draußen sind nicht mal Insektengitter an den Fenstern.«

»Dann werden Sie mehr Beschäftigte haben, als Sie bislang zählten, und neunundneunzig Prozent davon werden sechs Beine haben und stechen. Sie sollten sich einen guten Insektenführer besorgen und sich an der Vielfalt freuen.«

Daniel wusste nicht genau, ob Friedman im Scherz sprach, da sein Gesicht sachlich blieb und er immer noch den Abzug überflog. Er machte einige Randnotizen. »Ich dachte gerade«, sagte er, »dass Juden sich vielleicht so rasch Sprachen aneignen, weil sie unabhängig vom Geburtsort schon früh mehrere lernen.«

Daniel brachte das ein wenig aus der Fassung. Er hatte einen Kommentar zu dem Kabel des Barons erwartet, aber Friedmans Gedanken waren bei Daniels Japanisch, eine Sprache, so hatte ihm Friedman erzählt, die er zu seinem Bedauern aus Zeitmangel nicht hatte lernen können. Daniel schaltete um. »Ach, Sie meinen, weil wir Hebräisch lernen. Und Jiddisch oder Ladino oder was immer zu Hause gesprochen wird. Dann die Landessprache. Innerhalb meiner eigenen Familie müssen die vier Brüder meines Vaters und ihre Familien zehn Sprachen sprechen. Vielleicht mehr.« Er begann, sie im Geiste zu zählen.

Friedman beendete die Durchsicht. »Das hier kommt mir eher wie eine Wunschliste Hitlers vor als wie irgendetwas Reales, aber ich nehme an, es ist durch den Dienstweg gegangen?«

»Ja, Sir, selbstverständlich.«

»Sie haben seit Ihrer Ankunft an Purpur gearbeitet. Zu schade, dass wir Sie nicht einfach hierher versetzen können.«

»Das wäre mir sehr lieb«, sagte Daniel offen. »Lieber als alles andere. Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass die Marine sagt: Klar, gehen Sie und arbeiten Sie für die Armee. Wir werden Sie morgen überstellen, denn das ist eine vernünftige Entscheidung.«

»Manchmal benimmt die Marine sich, als wären die anderen Heeresgattungen ihre schlimmsten Feinde.« Friedman seufzte. »Früher waren alle Gattungen arme Verwandte, gingen mit der Mütze in der Hand zum Kongress und baten um Futter für ihre Maulesel und um Farbe für ihre rostenden Kähne. Sie haben in erstaunlicher Weise Gefallen an der Macht gefunden.«

»Führt der Krieg nicht automatisch dazu? Alle Macht dem Militär?«

»Die Briten und die Sowjets haben die Entscheidungsgewalt nicht an das Militär abgetreten, sondern die Politiker haben das Sagen – ob zum Guten oder zum Schlechten. Als Einzige unter den Verbündeten überlassen wir politische Entscheidungen den Generälen.«

Nach beendeter Audienz ging Daniel zurück und war glücklich. Wenigstens würde Friedman ihn nehmen, wenn er die Möglichkeit hätte, und das war das größte Kompliment, das er je erhalten hatte. Später an dem Tag sah er Friedman mit einer Gruppe hoher Tiere der Armee vor dem Zeughaus stehen, mit Drei- und Viersternegenerälen, alles bullige, vierschrötige Männer, mit denen er offensichtlich gerade eine halb-historische Konferenz gehabt hatte. Friedman stand abseits und lächelte leicht gedankenverloren. Er wirkte, als wäre er durch einen unglücklichen Zufall unter die Generäle geraten, eine geschmeidige asiatische Katze, eine Siamkatze, die sich plötzlich in einer Herde schnaubender Bullen wiederfindet, vorsichtig deren Hufe meidet und nicht recht weiß, in welcher Sprache sie anzureden sind. Doch Daniel wusste, wenn Friedman den Militärs einen Lagebericht gab, dann hörten sie zu. Friedman wusste sehr wohl, wie er mit ihnen reden musste, damit sie ihn verstanden, denn er hatte seit Jahren ihre Offiziere ausgebildet. Er hatte ihr gesamtes Ausbildungssystem für Funkverschlüsselung und Geheimcodes aufgebaut.

Purpur loszuwerden verringerte keineswegs den Druck auf Sektion 20-G; die Spannung stieg, bis das Büro davon glühte. Es war, als jaulte eine hohe Stimme aus der Decke ständig: Los, los, los, los, los. Die japanischen Marinecodes mussten vorgestern entschlüsselt sein; die lebenswichtigen Funksprüche mussten entziffert und übersetzt sein. In Pearl Harbour war ein so großer Teil der amerikanischen Flotte vernichtet worden, dass es kein einziges Schlachtschiff mehr gab und nur noch vier Flugzeugträger. Die Admiräle Kind und Nimitz mussten wissen, was die Japaner taten, und zwar, bevor sie es taten, denn nur dann konnten sie ihre paar Figuren über die weite blaue Tafel an die richtige Stelle schieben. Selbst dann waren sie an Feuerkraft noch unterlegen, aber ohne dieses Vorauswissen hatten sie nicht die geringste Chance, weitere japanische Invasionen zu verhindern.

Deshalb arbeiteten sie unaufhörlich, unterbesetzt, bis weitere junge Offiziere aus den Sprachprogrammen in Boulder und Harvard entlassen wurden. Deshalb arbeiteten sie die Nächte durch. Deshalb arbeiteten sie an sieben Tagen in der Woche. Deshalb saß Daniel eines Samstagabends mit einer Speisekarte der Südstaatenküche vor der Nase in einem Restaurant und bemühte sich verzweifelt, sie zu entschlüsseln, konnte nicht glauben, dass sie meinte, was sie sagte, und wusste beim besten Willen nicht mehr, was diese Wörter, die sich in einzelne Buchstaben und dann in schwarze Chiffren aufzulösen schienen, bedeuten mochten.

Die Spannung setzte allen zu. Rodney, dem sonst nie ein lautes Wort entschlüpfte, schmiss sein Lexikon auf den Boden und fluchte, während die heißblütigeren Kryptologen sich gegenseitig Beleidigungen an den Kopf warfen. Eine der älteren Frauen, Sonia, weinte, und Ann verbarrikadierte sich hinter einer Wand aus Büchern, über die hinweg kein Blick mehr auf ihre geschmeidige asiatische Schönheit zu erhaschen war. Ann verlor nie die Beherrschung; sie zog sich nur immer weiter in sich selbst zurück angesichts der wie reife Eiterbeulen aufplatzenden Exzesse. Mehrere beantragten ihre Versetzung, und einige der Marineoffiziere erhielten sie und enteilten glücklich zum Einsatz auf ein Schiff.

Ein Seegefecht war im Gang, die wenigen amerikanischen Schiffe versuchten, der japanischen Invasionsflotte den Zugang zu Port Moresby an der Südküste Neuguineas zu verwehren, nur dreihundert Seemeilen von Australien entfernt. Sektion 20-G hatte genug vom japanischen Marinecode (mit Spitznamen Rot) entschlüsselt, um ungefähr zu wissen, was die Japaner vorhatten, und Admiral Nimitz Vorwarnung gegeben. Doch während der Schlacht, die in den Zeitungen »Die Schlacht im Korallenmeer« hieß, vermochten sie nur wenige der japanischen Funksprüche zu entziffern. Und noch als die Schlacht vorüber war, schien sie vielen in der Sektion ergebnislos verlaufen zu sein, zumal ihnen gleichzeitig klar wurde, dass die japanische Marine einen neuen und größeren Coup plante. Die Zeitungen bezeichneten die Schlacht als einen Sieg, doch Sektion 20-G wusste, wie verzweifelt die amerikanische Marine nach wie vor einen Sieg brauchte. Diesmal war es keiner, aber es war auch keine Niederlage. Die japanische Invasion war für diesmal abgewendet. Vielleicht mussten sie sich damit zufrieden geben, Nichtniederlagen zu feiern.

Das Beste an der Schlacht war, dass sich bei so viel abgefangenen Funksprüchen genug Vergleichsmaterial angehäuft hatte, um im Laufe des nächsten Monats die Aufschlüsselung vieler Codegruppen zu ermöglichen. Im Büro herrschte eine Atmosphäre mühsam bezähmter hysterischer Lachlust, denn zum einen wussten sie nun genau, worauf sie hinarbeiteten, und zum anderen hatten sie der Admiralität, die ihrer Arbeit eher misstrauisch gegenüberstand, bewiesen, dass sie nicht nur nützlich, sondern notwendig waren. Das verringerte nicht den Druck, denn ihre Frist hatte ihnen Yamamoto persönlich gesetzt, der große japanische Seelord, der den Überfall auf Pearl Harbour geplant und geleitet hatte.

Yamamoto befand sich auf dem Flaggschiff Yamato, und von diesem ultramodernen Schlachtschiff aus versammelte er zweihundert weitere Schiffe für einen bevorstehenden Angriff, der die amerikanische Flotte endgültig auslöschen sollte. Bis Mitte Mai konnten sie – Washington und der Marinenachrichtendienst in Pearl Harbour – neunzig Prozent aller wichtigen Funksprüche mitlesen. Bisher hatte Daniel fünf Flugzeugträger, elf Schlachtschiffe, sechzehn Kreuzer und neunundvierzig Zerstörer ausgemacht. Die Amerikaner hatten drei Flugzeugträger, null Schlachtschiffe, acht Kreuzer und vierzehn Zerstörer. Auf der großen Karte markierten bunte Stecknadeln die neuesten bekannten Positionen der zusammenströmenden japanischen Streitmacht. Der Marinenachrichtendienst erfand eine Kriegslist, die bewies, dass die Japaner im Begriff standen, Midway anzugreifen.

Nach und nach wurden die Codes durchlässig, und nach und nach erschloss sich Daniel der Sinn seiner Arbeit. Einsatzbefehle wurden über Funk durchgegeben. Konnten die Amerikaner erst einmal die japanischen Funksprüche mitlesen, dann wussten sie zur gleichen Zeit wie die japanischen Offiziere, was die Japaner vorhatten. Endlich zahlte sich der ungeheure Berg an Arbeit rund um die Uhr in dieser missgelaunten Hektik aus, denn die meisten der seltsamen Klumpen aus fünf Buchstaben bedeuteten nun etwas Konkretes.

Am dritten Juni begann die Schlacht, wie Sektion 20-G und der Marinenachrichtendienst es Nimitz vorausgesagt hatten, und Daniel wartete mit den anderen in dem grauen, mit IBM-Ausdrucken überhäuften Raum. Sie hatten so viele der Gefechtcodes, die in der Schlacht im Korallenmeer benutzt worden waren, entschlüsselt, dass sie die Kampfhandlungen anhand der japanischen Funksprüche verfolgen konnten. Nach stundenlangen, enttäuschenden Entschlüsselungen wäre Daniel lieber gewesen, sie hätten es nicht gekonnt. Nichts als Berichte von wirkungslosen Angriffen, die ohne weiteres abgewehrt wurden. Ein Angriff nach dem anderen, aber keine einzige Verlustmeldung, überhaupt keine Verluste abgesehen von japanischen Berichten über abgeschossene amerikanische Flugzeuge. B-17-Bomber griffen von der Insel Midway aus die japanischen Schiffe an, ohne irgendwelchen Schaden anzurichten. Amerikanische Jagdflugzeuge, die versuchten, die japanischen Bomber zu vertreiben, wurden von den überlegenen Zeros dezimiert. B-26-Bomber stiegen donnernd von Midway auf und verfehlten ihre Angriffsziele. Avengers und Devastators von den beiden amerikanischen Flugzeugträgern erreichten die japanischen Schiffe, warfen ihre Bomben, verfehlten und wurden abgeschossen. Eine Kampfformation von Vindicators aus Midway ereilte das gleiche Schicksal. Daniel nahm das Hühnchensandwich, das ihm ein Maat mitgebracht hatte, legte es unangebissen hin und dachte, wir werden diesen Krieg verlieren. Ich werde nie nach Asien zurückgehen. Asien wird uns eine Generation lang verschlossen bleiben. Wir verlieren. Wir haben zu spät mit zu wenig angefangen.

Daniel konnte die japanischen Funksprüche mitlesen und den Amerikanern sagen, was Yamamoto plante, aber Sektion 20-G konnte keine versagenden amerikanischen Torpedos zur Explosion bringen; konnte keine Flugzeuge besser machen, als sie waren; konnte keine Kriegsschiffe hervorzaubern oder Piloten, die so erfahren waren wie die japanischen. Und nach der totalen Vernichtung der ersten Torpedostaffeln sah es auch nicht so aus, als würden amerikanische Piloten mit ihren wirkungslos verpuffenden Torpedos und ihren weniger wendigen Flugzeugen, den schwerfälligen Devastators, lange genug überleben, um so viel Erfahrung zu sammeln.

Dann kam eine Nachricht vom Kapitän der Akagi, einem der japanischen Flugzeugträger: Sein Schiff war schwer getroffen und stand in Flammen. »Wir haben eins«, schrie Daniel, und alle jubelten, als übertrüge das Radio ein Baseballspiel und die Senators schlügen endlich einmal die Yankees. Die Dauntless-Sturzbomber von den amerikanischen Flugzeugträgern waren eingetroffen.

Sie sprachen immer noch über den Treffer, als ihm ein Maat eine weitere Meldung aushändigte. Er überflog sie rasch. »Die habe ich schon gesehen, Maat.«

»Sir … das ist nicht dieselbe.« Der Maat schluckte.

Daniel schaute noch einmal. Eine Gruppe war anders. Diesmal war die Kaga getroffen. Etwas Erstaunliches geschah auf der anderen Seite der Welt, etwas, was sie mit ihren Listen von Vier- und Fünfbuchstabengruppen und mit ihrem ständigen Wühlen in japanischen Lexika und Spezialwörterbüchern für japanische Marineausdrücke wundersamerweise vorbereitet hatten. Die Amerikaner hatten die Überraschung auf ihrer Seite und schienen ausnahmsweise einmal zu gewinnen. Daniel merkte an seinem benommenen Schock, dass er ein gutes Ende nicht mehr erwartet hatte; vielleicht hatten sie sich alle schon zu sehr an Niederlagen gewöhnt. Sie sahen einander offener und freier an als bisher, bevor sie sich wieder in ihr übliches hektisches Treiben stürzten.

Ann, seit Monaten hinter Büchern verschanzt, entfernte einen Teil der Barrikade. Als er ihr zulächelte, zwinkerte sie rasch und schenkte ihm das winzige Aufblitzen eines Lächelns, bevor sie den Blick senkte. Wie zart sie war, wie erlesen und zerbrechlich. Inmitten des Schlachtgetümmels hielt Daniel inne und überlegte, wie er diesen Schutzwall durchbrechen konnte. Sie erschien ihm wie eine edle Prinzessin aus der Geschichte vom Prinzen Genji.

Die Atmosphäre mühsam unterdrückten Schuldbewusstseins, die über dem Büro gehangen hatte, löste sich auf, und die feuchtwarme Juniluft Washingtons ließ sich leichter atmen. Alle redeten einander plötzlich mit Namen an und blickten einander in die Augen. Sonia bot ihm die Hälfte von ihrem Roastbeefsandwich an, Rodney griente ihm zu. Irgendwann in der halben Stunde zwischen der Nachricht, dass die Soryu getroffen war, und der Nachricht, dass sie sinkend aufgegeben werden musste, begannen die Menschen in dem langen Raum, sich weniger wie verdammte Seelen in der Hölle zu fühlen, dachte Daniel, und mehr wie eine Gemeinschaft. Sie begannen, auf ihre Arbeit und aufeinander stolz zu sein. Diese Schlacht war auch ihr Sieg.

Jeff 2
Das Kriechtier aus dem Sumpf von Alabama

Jeff hatte mit vierzehn schießen gelernt. Der Professor hatte es ihm nicht beigebracht; sein Vater billigte so etwas nicht. Jeff war einsam, hatte aber keine Lust, sich immer mit den anderen Lehrerskindern herumzudrücken. Nach dem Tod seiner Mutter fing er an, die Umgebung zu durchstreifen, manchmal auf seinem Fahrrad, manchmal als Mitfahrer auf dem Trittbrett eines klapprigen Ford T über Schotterstraßen, manchmal auf der Ladefläche eines bäuerlichen Kastenwagens. Er suchte das Entrinnen, und die Herumtreiberei mit den Kindern auf den Farmen in den Bergen verschaffte ihm einen Fahrschein aus seinem Jammer. Dort war er nicht mehr schüchtern, weil sie ihn nicht als schüchternen Bücherwurm kannten. Dort war er frei, sich als Abenteurer auszugeben. Er war etwas Besonderes, der mit den vielen Einfällen, ein Anführer, der sich in einer den anderen Jungen nur allzu vertrauten Umgebung neue Abenteuer ausdachte.

Er lernte jedes Seitensträßchen und jeden Fußpfad in den Bergen kennen, die alle Entrinnen, Abenteuer, Kameradschaft bedeuteten und die er nach und nach zu lieben begann, anfangs mit dem Bleistift, dann mit Wasserfarben, schließlich mit Ölfarben. Vielleicht hatte ihn sein Bedürfnis, diese Landschaft zu besitzen und zu preisen, zum Maler gemacht.

Er hatte schießen gelernt, und obwohl es für ihn immer schwierig geblieben war, Vögel und andere Tiere zu töten, tat er es, weil es erwartet wurde und weil die Ablehnung durch seine Freunde den Ausschluss aus seinem selbsterkorenen Abenteuer zum Preis gehabt hätte. Rotwild mochte er nicht jagen, aber er ging mit seinen Freunden auf Enten- und Gänsejagd und schoss Kaninchen und Eichhörnchen. Er zog das Tontaubenschießen vor, mit dem er im College anfing. Zach war ein recht guter Schütze, aber Jeff war besser. Da er sich über die Jahre so viele Gewehre und Schrotflinten von anderen geliehen hatte, erfasste er rasch die Eigenarten einer jeden Waffe und stellte sich darauf ein. Als er auf der Ferienranch arbeitete, ließ Quinlan ihn mit einem 44er Colt zum Ergötzen der Gäste ein Schauschießen veranstalten und hin und wieder Unterricht im Scheibenschießen geben.

Es blieb der Armee vorbehalten, seinen langen Flirt mit Feuerwaffen zu bestrafen, denn er saß in Alabama fest, gelangweilt bis hinunter zum intellektuellen Niveau der Schimmelpilze, die ihm zwischen den Zehen und hinter den Ohren wuchsen, er trank viel zu viel und fieberte etwas von einer leichten Infektion, einem Rückfallfieber, das ihn schwächte, aber nie fest aufs Krankenbett warf. Er war Ausbilder am M-1-Gewehr. Seine Klassen kamen und gingen, aber ihm wuchs Moos auf dem Rücken.

Das Einzige, was ihn damit aussöhnte, war gerade nach Übersee verschifft worden, seine Krankenschwester Betty Jo, die einen vollen Dienstgrad höher stand als er. Sie war ein Rotschopf aus Tennessee und konnte ihn unter den Tisch trinken, die derbmäulige, braunäugige Tochter eines Bergmanns. Aus zusammengekniffenen Augen und mit aufeinandergepressten Lippen starrte Betty Jo auf die Welt, bis sie die Schuhe auszog, dann kam eine deftig liebevolle Person zum Vorschein, ebenso überraschend wie ihr weicher Körper unter der Uniform. Er hatte Betty Jo kennengelernt, als einer seiner Schüler ihm in den Arm schoss. Der Soldat konnte nicht verstehen, warum Jeff ihn nach dem Unfall nicht schurigelte.

Sie war auch einsam. Jeff kam dahinter, warum die Armee alle Krankenschwestern zu Offizieren ernannte. Sie konnte mit keinem der Mannschaftsränge ausgehen, denn die Dienstvorschriften verboten solche Mischung. Und so war die Verleihung des Offiziersranges ein Weg, die Krankenschwestern für alle außer männlichen Offizieren sexuell zu verbotenem Terrain zu erklären. Manchmal waren die Wege der Armee unergründlich, dann wieder waren ihre Absichten erbarmungslos deutlich.

Nun war sie fort und ließ Jeff deprimiert zurück. Sein Leben glich einer Reihe von stehenden Lagunen, die durch kaum fließende Stichkanäle verbunden waren. Als er sich zum Militär gemeldet hatte, dachte er anfangs oft an einen gewaltsamen Tod, aber jetzt dachte er, dass er an Langeweile und Trägheit zugrunde gehen würde, durchfaulen wie ein im Moorwasser versunkener Baumstumpf. Der Sommer war nie seine Lieblingsjahreszeit gewesen, und der Sommer kam hier im April. Schwüle war Dauerzustand.

Er musste säuerlich lächeln bei dem Gedanken, dass er Brachvogel erzählt hatte, es ziehe ihn in eine grünendere, südlichere Landschaft. Anfangs hatte er hier zu malen versucht, aber Papier wie Leinwand verwelkten und vermoderten. Sein Kommandeur machte ihm das Leben schwer und rief ihn immer mit ›Hey, Rembrandt‹. Schließlich übermannte ihn die Trägheit, und er dachte nicht mehr an Licht und Farbe. Morgens erwachte er nicht mehr mit jenem Gefühl des Besessenseins, von Formen, die in seinem Kopf Gestalt annahmen, von Farben, die immer lebendiger wurden. Er sah keine Bilder mehr, und er malte nicht mehr. Er war ein Tier, nicht mal ein Hund oder ein Waschbär, sondern etwas Niederes und Schläfriges wie ein Salamander in verrottendem Laub.

Er ersuchte um Versetzung, aber nichts geschah. Die Armee sprang mit kleinen Leutnants so um, wie er mit benutzten Rasierklingen verfuhr. So war er erstaunt, als ihn ein Brief von einem unbekannten Hauptmann Cunningham erreichte, der anfragte, ob er zum Amt für Strategische Dienste, dem Office of Strategic Services, wechseln wollte, und die übliche Menge an Armeebewerbungsformularen beifügte. Er füllte sie aus und schickte sie ab und fragte sich, worum es sich drehen mochte. Im Armeechinesisch konnten strategische Dienste auch das Ausliefern der Post oder das Organisieren von Freizeitvergnügungen für die höheren Chargen sein. Nichts würde herauskommen bei seinem neuerlichen Versuch, dieser Wasserschlangenfalle zu entrinnen.

Zehn Tage später zitierte ihn sein Kommandeur zu sich. »Sie haben sich rausgewieselt, Rembrandt. Ich weiß nicht, wen Sie da kennen, aber es klingt nach einem gemütlichen Schreibtischpöstchen in Washington.«

Sein Befehl lautete schlicht, sich am kommenden Montag beim OSS in Washington einzufinden. In der verbleibenden Zeit übertrug ihm der Alte die schmutzigsten Sonderkommandos, die er sich ausdenken konnte, und er musste mit den Männern in die Sümpfe marschieren und einen Tag lang Dschungelkrieg üben und eine Nacht lang im Freien kampieren, worin Jeff lediglich eine Methode sah, die Moskitos zu füttern. Sein Fieber stieg, bis ihm in der Hitze, die so greifbar war wie eine erstickende, nasse Wolldecke, die Zähne klapperten.

Am Montag erfuhr er in Washington wenig mehr, als dass OSS genauso viel Papierkram produzierte wie andere Armeeabteilungen und von den Mitarbeitern nur OSS genannt wurde, niemals der, die oder das OSS. Er gab auf fünf verschiedenen Formularen seinen Bildungsweg an und seine nächsten Verwandten auf sechs. Ein Major Cod hielt ihm eine strenge Begrüßungsansprache und betonte, die ihm bevorstehenden Aufgaben schlössen das Sammeln von nachrichtendienstlichen Informationen hinter den feindlichen Linien ein und seien vertraulicher und höchst gefährlicher Natur, und die OSSAusbildung sei sowohl anstrengend als auch riskant und erfordere geistige Widerstandskraft und körperliches Durchhaltevermögen. Der Major sprach gerne in Bandwurmsätzen. Jeff schloss aus dem Vortrag, dass OSS eine Art Kommandoeinheit war, und fragte sich, wie man auf ihn gekommen war.

Er wurde auf ein Gelände gefahren, das aussah wie ein ehemaliger Country Club. Auf immer noch deutlich erkennbaren Tennisplätzen waren Zelte errichtet. Der Hauptausbilder, ein Hauptmann Spinnaker mit vorzeitiger Glatze, obwohl kaum dreißig, sagte ihm, er würde den Sonderoperationen zugeteilt und habe bis dahin seine Fähigkeiten im Guerillakrieg und im Sammeln geheimdienstlicher Meldungen zu schulen.

Dann übergab ihm Hauptmann Spinnaker einen versiegelten Umschlag. In diesem steckte ein weiterer, ebenfalls versiegelter Umschlag. Jeff rechnete schon damit, dass darin wieder ein versiegelter Umschlag steckte und dann noch einer und noch einer, bis schließlich im Innersten eine kleine Pille mit der Anweisung ISS MICH zum Vorschein kam und ihn in einen Schmetterling verwandelte.

Doch in dem zweiten Umschlag steckte ein kurzer Brief, hastig in einer sehr vertrauten Handschrift hingeworfen.

Alter Jeff,

höre, du hattest was mit einem Alligator zu laufen, den du bei einem Ringkampf kennengelernt hast. Tut mir leid, dass ich mich einmische, aber Mutter braucht dich, und Alligatoren sind berüchtigt für ihre Wankelmütigkeit.

Dieser Verein müsste dir geistig und gesellschaftlich ein bisschen mehr liegen. Bring die Ausbildung hinter dich. Traue niemandem und halte deinen Mund fest geschlossen, außer um Getränke zu dir zu nehmen. Geh davon aus, dass du nicht die Freiheit hast, Blödsinn anzustellen, bis du mit der Ausbildung fertig bist, ab welchem Zeitpunkt du es wie wir Übrigen ungestraft und unablässig tun kannst.

Z

Das große Z stand nicht für Zorro. Also Zach steckte hinter der plötzlichen Anfrage von Hauptmann Cunningham und seiner Versetzung. Jeff fragte sich, in was Zach ihn diesmal hineingezogen hatte; aber aus was Zach ihn herausgezogen hatte, stand ihm deutlich vor Augen, und er segnete seinen Freund, wo immer er gerade sein mochte.

Dieser neue Einsatz, auch wenn er mindestens so geheimnisumwittert war wie frühere Jungensspiele, schien die erste vernünftige Entscheidung, die die Armee über ihn gefällt hatte. Jeder in seiner Gruppe beherrschte zumindest eine europäische Sprache. Er sprach ausgezeichnet Französisch und konnte sich auf Spanisch, Italienisch, Deutsch und Griechisch verständigen. Seine OSS-Ausbilder waren sich offenbar im Unklaren, ob sie ihn zum Spion schulten oder zum Guerillakämpfer, doch beide Tätigkeiten schienen ihm angetan, sein Gehirn in Gang und seinen Körper wach zu halten. In Alabama hatte er im Sterben gelegen.

Das Rückfallfieber verschwand in der gesünderen Luft von Washington. Sie hatten tagsüber Unterricht und nachts Übungen, stolperten durch die Wälder, um sich an Wachposten anzuschleichen, die auf sie warteten, sie versuchten, ein Nebengebäude zu erobern, das eine feindliche Befehlsstelle darstellte, oder mit Übungssprengladungen einen Schuppen in die Luft zu jagen, der ein Munitionslager darstellte. Sie überfielen aus dem Hinterhalt Fahrzeuge, die auf der nahe gelegenen Straße hin- und herfuhren, und hetzten einander durch die Wälder und über den Golfplatz, auf dem das Gras inzwischen kniehoch wuchs. Sie übten Minenlegen an den Wänden des Schwimmbeckens.

Es war nicht unbedingt eine interessante Landschaft, die mit weißen Schindeln verkleidete Offiziersmesse, die Garagen und die in aller Eile errichteten Nissenhütten, die neuer Nutzung zugeführten Nebengebäude, aber er ertappte sich dabei, wie er die Eichen vor der Veranda skizzierte, das Glitzern des Sonnenlichts auf den langen Lanzen des Magnolienlaubs. Niemand hier nannte ihn eine Schwuchtel, wenn er zeichnete.

Von den Männern seiner Gruppe zog er zwei den anderen vor. Carey war ein in kleinen Zeitschriften veröffentlichter Dichter gewesen, Aaron Graveur. Beide sprachen fließend Französisch, und der Graveur Aaron konnte Holländisch, denn er war Holländer gewesen, ein jüdischer Emigrant, für den Verwandte in den Vereinigten Staaten gebürgt hatten, nachdem ihm die Flucht nach Schweden gelungen war. Ein Jahr lang hatte er nun in Sicherheit gelebt. Er war eins fünfundsechzig groß, kräftig gebaut, mit karottenroten Haaren, die Jeff an seine Krankenschwester Betty Jo erinnerten, und katzenartigen Topasaugen. Er war ein auffällig aussehender Bursche, aber hielt nichts von Palaver. Selbst bei den Übungen im Töten war er effizient, aber phlegmatisch.

Carey redete genug für alle drei. Er hatte an einer Mädchenschule Englisch unterrichtet, im nördlichen Teil des Staates New York, was für ihn dem Nordpol gleichkam. Er stammte aus dem Shenandoahtal in Virginia, obwohl seine Mutter, so erzählte er ihnen bei jeder Gelegenheit, eine Culter aus Roanoke war. Er war mit seiner zweiten Kusine dritten Grades verlobt gewesen und häufig mit ihr ausgeritten, doch sie hatte ihm den Laufpass gegeben und einen Marineflieger vorgezogen. Er war ganz entzückt, wieder in der Zivilisation zu sein, die in Maryland begann und hinter North Carolina aufhörte, mit Ausnahme von Savannah, das er kultiviert fand, und vielleicht noch Charleston, obwohl er dort entsetzliche Verwandte hatte, ausgesprochen kläffige Leute, wie Hunde.

Jeff dachte, wahrscheinlich war Carey das, was Zach ihn schwul zu nennen gelehrt hatte, aber von ihm wollte Carey nur brüderliche Zuwendung. Jeff hatte gelegentlich Sex mit Männern gehabt, angefangen beim gegenseitigen Masturbieren mit dreizehn in einem Heuschober. Nur ein einziges Mal hatte er mit einem Mann den Liebesakt vollzogen, und das war mit Zach. Er fand im Geschlechtsverkehr mit einem Mann keine sinnliche Befriedigung, und er hatte den Verdacht, dass Zach ihn keineswegs überwältigend attraktiv fand. Zach mochte sie roh und rau. Er meinte, dass Zach ihn verführt hatte, um so seine Vorlieben darzutun und um eine Art droit de seigneur auszuüben. Jeff liebte Zach auf eigene Art, und dieser kurze Anfall sexueller Bindung im Alter von zwanzig war Teil seiner Erziehung gewesen. Von Zeit zu Zeit, in einer seiner Landstreicherphasen, hatte er Geschlechtsverkehr mit einem Mann als Mittel, für eine Mitfahrt oder ein Nachtquartier zu bezahlen. Mit Männern geschlafen zu haben war Teil seiner Bildung, ein Code, den er gelernt hatte und der Dingen einen Sinn gab, die sonst an ihm vorbeigegangen wären.

So hatte er nun fast ohne sein Zutun zwei Freunde. Viele der Männer, die mit ihm in der Ausbildung waren, sah er als Mitglieder künftiger Altherrenriegen: Sie gehörten der gleichen Verbindung an. Dieser ehemalige Country Club bot eine andere Atmosphäre als die Brutalität und das Plattwalzen auf den niedrigsten gemeinsamen Nenner seiner ersten Militärerfahrungen oder das kleinliche und rücksichtslos wetteifernde Durchschlängeln in den Offizierslehrgängen. Hier dagegen war Grips nicht etwas, was einem unbedingt ausgeprügelt werden musste. Vielleicht war dies hier die Truppe der schwarzen Schafe, dachte er oft, und dann fielen ihm die durchreisenden Wirtschaftsjuristen auf und die jüngeren Söhne von Bankiers.

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Дата выхода на Литрес:
22 декабря 2023
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1360 стр. 1 иллюстрация
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9783867548724
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