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Der erste Urwald aus Schachtelhalm, Bärlapp und Farn absorbierte dermaßen viel Kohlendioxid aus der Luft, dass der CO2-Gehalt während des Devon und noch mehr im darauffolgenden Karbonzeitalter rapide absank: auf Werte, die dem heutigen CO2-Gehalt der Luft entsprechen. Üppige Schichten abgestorbenen Pflanzenmaterials aus diesen Erdzeitaltern verdichteten sich unter Luftabschluss in sauerstoffarmem Flachwasser zwischen Schlammschichten und verwandelten sich so über Jahrmillionen in Kohle. In ihr finden sich reichhaltige Fossilienfunde, die das damalige artenreiche Meeresleben sowie die Schachtelhalm-Farn-Bärlapp-Urwälder belegen.
Auch der Sauerstoffgehalt der Luft veränderte sich markant durch die Fotosyntheseleistung dieser riesigen Urwälder: Er stieg im Verlauf von siebzig Millionen Jahren auf ganze 25 bis 35 Prozent an. Der heutige Luftsauerstoffgehalt beträgt dagegen lediglich 21 Prozent.
Die Menschheit macht heute durch die Verbrennung von Kohle und Erdöl diese Prozesse wieder rückläufig. Das uralte und über Jahrmillionen entstandene Pflanzenmaterial wird wieder in die Lüfte entlassen, wobei nun genau die Umkehrreaktion entsteht, also Sauerstoff verbraucht wird und in großen Mengen CO2 entsteht. Die dabei freigesetzte Wärme oder Energie ist im Grunde Sonnenkraft aus dem Devon- und Karbonzeitalter.
Winterschachtelhalm-Sporenkolben (Equisetum hiemale L.) mit Sporenflug.
So stellt man sich den allerersten Vierfüßer vor: Modell des Ichthyostega im Naturhistorischen Museum Bern.
Versteinerte Blätter eines Calamiten (einer Schachtelhalmart) mit farnlaubiger Pflanze aus dem späten Karbon, ca. 300 Millionen Jahre alt. Naturhistorisches Museum Bern.
FÜNFZEHN MALE MASSENAUSSTERBEN – ER ÜBERLEBT
Doch dann, gegen Ende des Devonzeitalters, vor ungefähr 372 Millionen Jahren, kam es schlagartig zu einem dramatischen Ereignis in der Erdgeschichte, dem fünfzig bis fünfundsiebzig Prozent der Zeitgenossen der Schachtelhalme zum Opfer fielen, vor allem die Bewohner flacher Gewässer. Viele Korallen, viele der zahlreichen Trilobitenarten und zahlreiche Fische. Es muss, wie heute angenommen wird, zu einer rapiden Abnahme des an der Basis der Nahrungspyramide stehenden Phytoplanktons (vor allem Algen) durch Sauerstoffmangel gekommen sein. Extreme Vulkantätigkeiten mit Giftgasausstößen und riesigen Aschewolken, Meteoriteneinschläge mit Sonnenverdunkelungen und dramatische Änderungen der Sonneneinstrahlung mit raschen Veränderungen der Meeresspiegelhöhe werden als Ursache diskutiert. Schachtelhalme, Farne und Bärlappe jedoch überlebten.
Wieder entstanden über die folgenden Millionen Jahre viele neue Arten, manche entwickelten sich aus ein paar Restarten, die dieses Ereignis überlebt hatten, und passten sich noch besser an die Umweltbedingungen an.
Doch für Erdzeitalterverhältnisse »nur« ein paar Millionen Jahre später gab es erneut ein Aussterbeereignis, noch verheerender als das letzte. Ihm fielen die mit ungefähr einhundert Arten doch sehr erfolgreichen und mit ihren starren Kopf- und Brustplatten gut bewehrten Panzerfische sowie einige weitere Zeitgenossen gänzlich zum Opfer und starben komplett aus. Man findet die Panzerfische heute nur noch als Versteinerungen.
In den darauffolgenden 359 Millionen Jahren bis zur heutigen Zeit, die in sechs weitere Erdzeitalter eingeteilt wird, fanden noch ungefähr vier drastische, nach manchen Autoren auch bis zu dreizehn solcher Massenaussterbeereignisse statt, durch die jeweils vierzig bis sogar neunzig Prozent der Arten ausgerottet wurden. Und so sind von den Zeitgenossen der ersten Schachtelhalme im Devon fast alle ausgestorben. Die in einer riesigen Fülle und Artenzahl vorkommenden schillernden Ammoniten sind gänzlich verschwunden. Von ihrer einstigen Vielfalt erzählen heute nur noch gut erhaltene Versteinerungen.
Die Überlebenskünstler heute (oben): Riesenschachtelhalm (Equisetum telmateia Ehrh.), Wurmfarn (Dryopteris sp.), Waldbärlapp (Lycopodium annotinum L., unten).
Versteinerte Ammoniten aus der Ausstellung des Naturhistorischen Museums Basel.
Viele der Gliederfüßer, die variantenreichen Trilobiten und die monsterhaften Seeskorpione teilen gleichfalls dieses Los. Ebenfalls ausgestorben ist die große Artengruppe der Stachelhaie, und auch die Geradhörner existieren nur noch als Versteinerungen.
Nachbildung eines Quastenflossers (Latimeria), Naturhistorisches Museum Bern.
Überlebenskünstler Schachtelhalm, hier Sumpfschachtelhalm (Equisetum palustre L.), im Frühjahr.
Bei den Quastenflossern dachte man zunächst ebenfalls, dass sie ganz ausgestorben seien, bis 1938 und 1997 je eine überlebende Art an den Küsten Südafrikas und Sulawesis entdeckt wurde. Von ihnen haben also gerade mal zwei von damals ungefähr siebzig Arten überlebt. Wie die Schachtelhalme werden auch sie als lebende Fossilien bezeichnet. Von den insgesamt neunhundert Nautiloideen-Gattungen oder Perlbooten hat nur eine einzige Art überlebt, von den Lungenfischen gerade mal zwei Gruppen.
Zwischen diesen Erdkatastrophen entstanden jedes Mal neu riesige Mengen an Arten von Tieren und Pflanzen, die immer ausgefeilter und komplexer wurden. Einprägsam sind die ungefähr 140 Millionen Jahre nach den Schachtelhalmen erstmals auftauchenden Dinosaurier, die es immerhin fast 200 Millionen Jahre lang gab. Schachtelhalme stellten für so manches dieser Riesentiere eine der nahrhaftesten Futterquellen dar, wie anhand fossiler Funde gezeigt werden konnte.
Es hat wohl seine Gründe, dass man Ackerschachtelhalm heute oft an Bahngleisen sieht. Dieser Standort muss ihn an seine gemeinsame Zeit mit den Dinosauriern erinnern, als diese tonnenschweren Tiere sicher ähnlich schnell wie Züge herangerast kamen. Bei ihrem Getrampel hat der Boden wohl auch vibriert und wurde unter der Tonnenlast extrem verdichtet. Der Dinosaurierkot war zudem eine gewaltige Ladung Dünger, vergleichbar vielleicht mit (zumindest früher) regelmäßig entleerten Zugtoiletten. Sogar die Geräusche der Dinos könnten sich so ohrenbetäubend kreischend angehört haben wie Eisenbahnräder auf kurvigen Gleisen.
Vielleicht hat der Schachtelhalm aus den Saurierzeiten gelernt, sich an Monsterhaftes anzupassen, und damit spätere Katastrophen besser überlebt? Bis heute jedenfalls erträgt der Ackerschachtelhalm die extremen Bedingungen stark verdichteter Böden unter schweren Zügen, Steinen oder riesigen modernen Landmaschinen und widersteht selbst so manchem ausgeklügelten chemischen und hochgiftigen Unkrautvernichter. Dazu tankt er wohl Energie aus den kleinen stärkehaltigen Wurzelknöllchen, die er bis zu einem Meter tief unter der Erde bildet.
Vor 66 Millionen Jahren fand erneut und noch ausgedehnter ein Massensterben statt, das vermutlich durch einen monströsen Meteoriteneinschlag verursacht wurde. Verschiedene Forscher zeichnen hierzu ein globales Katastrophenszenario, das schon einige Regisseure und Science-Fiction-Autoren zu Filmen und Büchern inspiriert hat. Weltweite großflächige Brände mit riesigen Rauchwolken und ein schlagartiger Temperaturanstieg werden diskutiert, dazu eine Sonnenverdunkelung und ein schlagartiger Abfall auf Eiszeitniveau. Durch die weltweite Erderschütterung ausgelöste massenhafte Vulkanausbrüche mit Giftgas- und Aschewolken und nachfolgendem Sauerstoffabfall erscheinen außerdem plausibel. So oder ähnlich muss es wohl zugegangen sein, als die meisten Dinosaurier ziemlich plötzlich ausstarben. Übrig blieb nur eine Gruppe, die sehr wahrscheinlich die Vorfahren heutiger Vögel waren.
Ackerschachtelhalm (Equisetum arvense L.), unter der Tonnenlast eines Zuges im Juni.
Rekonstruktion von Dinosauriern, Urweltmuseum, Holzmaden.
Manchen Schätzungen zufolge sind bis heute insgesamt 95 Prozent der früheren Arten ausgestorben, nicht jedoch die Schachtelhalme. Als uralte Zeugen erlebten sie die Besiedlung des Landes durch Pflanzen und Tiere, die gesamte Entwicklung und Ausformung aller Wirbeltiere wie auch des Menschen von Anbeginn an. Sie sind Zeugen der Entwicklung von Blütenpflanzen, Bäumen und der ganzen Erdgeschichte seit etwa vierhundert Millionen Jahren.
Befasst man sich mit den Schachtelhalmen, erfährt man Entstehungsgeschichten stets neuer Arten und Lebewesen, die meist nach einigen Millionen Jahren wieder verschwanden, um gegen neue Arten ausgetauscht zu werden – ein stetes Entstehen und Vergehen. Es ist äußerst beeindruckend, dass Schachtelhalme, Farne und Bärlappgewächse alle diese Katastrophen wie Dunkelzeiten, Giftgaswolken, Wellen verschiedenster Weltraumstrahlungen, rapide Temperaturstürze, die wiederholten Wechsel von Eiszeiten und Heißzeiten, Meteoriteneinschläge, Sintfluten und wüstenartige Trockenperioden überlebt haben.
Wie haben diese Pflanzen das nur geschafft? Und welche Heilwirkungen entwickeln sich wohl in solchen Überlebenskünstlern? Um all das soll es in diesem Buch gehen. Wie keine andere Pflanzenfamilie tragen die Schachtelhalme, wie auch Farne und Bärlappgewächse, das Thema des schier ewigen, Hunderte Millionen von Jahren alten Lebens und der Wiederauferstehung in sich.
Könnte man den Schachtelhalm fragen, was er zu den heutigen Sorgen in Bezug auf Klimaveränderungen, CO2-Ausstoß, Weltraumstrahlen, Anstieg der Meeresspiegel und noch so manch anderer Endzeitbefürchtung zu erwidern hätte, würde er wohl recht gelassen antworten. Vielleicht würde dieser alte Weise ganz gelassen erwidern, dass er mit den Farnen und Bärlappgewächsen verschiedenerlei Klimaveränderungen erlebt und überlebt habe. Dass die aktuellen Klimaveränderungen dagegen nicht besonders extrem wären, zumindest nicht im Vergleich zu all dem, was er schon erlebt habe. Dass es immer wieder Wechsel gegeben hätte, von Warmzeiten und Kaltzeiten, von Zeiten mit viel und wenig Sauerstoff und Kohlendioxid, von viel und wenig Sonneneinstrahlung, hohen und tiefen Meeresspiegeln. Vielleicht würde er anfangen, alle die Arten aufzulisten, deren Entstehen und Vergehen er miterlebt hat. Oder beschreiben, wie es kam, dass die ersten Menschen sich entwickelten, und wie sie so lebten.
Ja, es wäre spannend, könnte man diesen Zeitzeugen zu den sagenhaften Urgeschichten befragen, die doch wahr sind. Und wenn ich mir das vorzustellen versuche, schillert ein personifiziertes Pflanzenwesen mit langen weißen Haaren und weißem Bart in meiner Vorstellung, ein uralter und doch ewig junger Weiser mit äußerst beruhigender Ausstrahlung.
Die Kraft seines immerwährenden Überlebens gelangte auf mysteriöse Weise in die Volksmythologie. Man fragt sich dabei, woher die ersten Geschichtenerzähler aus grauer Vorzeit von dieser extremen Wiederauferstehungsfähigkeit der Schachtelhalme wussten, die ja in Zeiten lange vor Erscheinen der Menschheit auf der Erde zurückreicht. Auch die Wurzeln des volksheilkundlichen Pflanzenwissens gehen oft sehr weit in die Vorzeit zurück. So manche Parallelen durchziehen die Pflanzenerzählungen und Pflanzenverwendungen in Bezug auf die Schachtelhalme bei weit entfernt lebenden Völkern wie den nordamerikanischen Indianern und den Eurosibiriern. Sie lassen erahnen, dass der Ursprung auf gemeinsame Urzeiten gründet, die teilweise auf das Ende der letzten Eiszeit deuten, also bis zu zehntausend Jahre vor unserer Zeitrechnung zurückreichen könnten. Dennoch ist dieser für die Menschheitsgeschichte riesige Zeitraum aus Sicht der Schachtelhalme nur ein Wimpernschlag, gerade mal ein winziges Zehntausendstel ihres Daseins.
WIEDERAUFERSTEHUNG IN DER VOLKSMYTHOLOGIE
Auch die Märchen und Mythen verschiedener Völker sprechen vom Schachtelhalm. Ein Beispiel dafür findet sich im russischen Märchen vom Schachtelhalmmädchen, dessen Quelle vor langer, langer Zeit irgendwo im eurosibirischen Raum zu vermuten ist und das heute in verschiedenen Varianten erzählt wird. Es betont die außergewöhnliche Wiederauferstehungsfähigkeit der Urzeitpflanze Schachtelhalm.
DAS VOLKSMÄRCHEN VOM SCHACHTELHÄLMCHEN
Eines Tages, früh am Morgen, so erzählt man sich, ging ein kleines altes Weiblein, das fünf schwarz gefleckte Kühe besaß, hinaus aufs Feld. Wie sie auf den weiten Acker kam, sah sie einen Schachtelhalm mit fünf Trieben stehen. Den grub sie aus, schön behutsam Würzelchen für Würzelchen. Sie verletzte nicht den Stängel und nicht die Triebe, trug ihn in ihre Jurte und legte ihn auf ein Kissen. Dann ging sie wieder hinaus, um ihre Kühe zu melken. Und während das kleine alte Weiblein so saß und melkte, hörte sie auf einmal in der Jurte Glöckchen und Schellen klingeln. Sie sprang auf, stieß an den Melkeimer, der kippte um, die Milch lief aus, sie aber eilte in die Jurte. Dort war alles wie zuvor: Auf dem Kissen lag der Schachtelhalm, ein Kräutlein wie jedes andere. Da machte sich das alte Weiblein wieder an die Arbeit. Und abermals drang der Klang von Glöckchen und Schellen an ihr Ohr. Wieder eilte sie, warf den Melkeimer um, verschüttete die Milch und als sie in die Jurte gelaufen kam, saß da ein Mädchen auf dem Bett, ein Mädchen, so schön, dass man es nicht sagen und nicht beschreiben kann. Wie Edelsteine leuchteten ihre Augen, die Brauen schimmerten wie schwarzes Zobelfell, ihre Zöpfe hingen wie Fuchsschwänze bis auf den Gürtel hinab. Aus dem Schachtelhalm war ein wunderschönes Mädchen geworden. Wie freute sich da das kleine alte Weiblein, denn sie fühlte sich schon lange sehr einsam. Wollte sie sich unterhalten, musste sie mit ihren schwarz gefleckten Kühen sprechen oder mit der silbern bemoosten Zirbelkiefer hinter der Jurte. Aber was waren das schon für Gespräche!
Einmal nun streifte der junge Jäger Bar-Chara durch die Taiga, ein schlohweißes Eichhörnchen hatte seine Jagdleidenschaft geweckt, das wollte er schießen. Vom Morgen bis zum Sonnenuntergang jagte er dem Eichhörnchen nach und traf es doch nicht. Behände kletterte es von der Tanne auf die Birke und weiter über die Föhre auf die Lärche, bis es sich gegen Abend auf die silbern bemooste Zirbelkiefer setzte, nicht weit von der Jurte des kleinen alten Weibleins. Bar-Chara spannte den Bogen, doch wieder verfehlte er sein Ziel, und der Pfeil flog geradewegs in das Rauchloch der Jurte. »Rasch, bringt mir den Pfeil heraus!«, rief Bar-Chara. Aber niemand kam. Zornrot wurde da sein Gesicht, ärgerlich sprang er vom Pferd und stürmte in die Jurte. Und da sah er das Schachtelhälmchen, und sie war schön wie ein Sommertag. Bar-Chara vergaß seinen Pfeil, vergaß das schlohweiße Eichhörnchen, ja, für einen Augenblick vergaß er sogar das Atmen. Wie angewurzelt blieb er am Eingang der Jurte stehen. Dann stürzte er hinaus, sprang aufs Pferd und jagte in sein Dorf zurück. »Vater!«, rief er. »Mutter! Das kleine alte Weiblein, das die fünf schwarz gefleckten Kühe besitzt, hat ein Mädchen bei sich, wie ich noch keines gesehen habe. Wenn sie spricht, fallen gewiss rote Perlen aus ihrem Mund und schwarze Zobel werden dort aus der Erde springen, wo sie ihren Fuß hinsetzt. Rasch, schickt die Brautwerber zu der Jurte hinter der silbern bemoosten Zirbelkiefer. Erbittet sie für mich zur Frau! Gebt, was für sie verlangt wird, denn ohne sie kann ich niemals glücklich sein.«
Die Eltern taten, wie Bar-Chara es verlangte. Der Vater ließ neun prächtige, gescheckte Hengste satteln, neun ehrwürdige Männer wurden als Brautwerber bestimmt. Unverzüglich machten sie sich auf den Weg, das schöne Mädchen als Braut einzuholen. Zu dem kleinen alten Weiblein kamen sie geritten, das die fünf schwarz gefleckten Kühe besaß, sie sahen das Mädchen und waren gefangen von seiner Schönheit. Wie es die Sitte gebietet, hielten sie um Schachtelhälmchens Hand an. »Ich habe nichts dagegen«, antwortete das kleine alte Weiblein. Danach fragten sie Schachtelhälmchen, und auch sie hatte nichts dawider, denn der junge Jäger hatte ihr gut gefallen.
»Als Brautgeld«, sprach das kleine alte Weiblein, »werdet ihr mir so viele Pferde und Kühe hertreiben, dass es ihnen auf meinem Feld zu eng wird.« So wurden dann in aller Eile Pferde und Kühe herbeigetrieben, gar nicht zu zählen, wie viele. Das kleine alte Weiblein öffnete unterdessen ihre hölzerne Truhe, holte ein perlenbesticktes Hochzeitsgewand hervor und begann, das Schachtelhälmchen gar prächtig zu schmücken. Dann ward ein falbes Ross vorgeführt, man zäumte es mit silbernem Zaumzeug, deckte es mit silberner Decke, sattelte es mit silbernem Sattel, und an seiner Seite eine silberne Gerte hing. Bar-Chara nahm die Braut bei der Hand, führte sie aus der Jurte, setzte sie auf das falbe Ross und ritt mit ihr heimwärts.
Und so ritten sie.
Plötzlich gewahrte Bar-Chara am Weg eine eisgraue Füchsin. Da hielt es ihn nicht, er rief: »Ich muss dieser Füchsin nachjagen. Du aber reite getrost auf diesem Weg weiter. Bald wird er sich gabeln. Nach Osten zu hängt ein Zobelfell und nach Westen ein Bärenfell mit weißem Kragen. Dorthin darfst du nicht einbiegen! Nimm den Weg, wo das Zobelfell hängt!« Sprach᾿s und sprengte davon. Das Mädchen ritt weiter. Bald kam sie an die Weggabelung, doch sie hatte unterwegs vergessen, was Bar-Chara ihr aufgetragen. So schlug sie den Weg ein, wo das Bärenfell hing, das Bärenfell mit dem weißen Kragen. Nach einer Weile kam sie an eine große eiserne Jurte. Aus ihr heraus trat die Dschelbege. Ihr Kleid war aus Eisen. Ihr einziges Bein war krumm, ihr einziger Arm war krumm, auf ihrer Stirn saß ein trübes Auge, bis über die Brust hing die Zunge lang und schwarz. Sie packte Schachtelhälmchen, zog sie vom Pferd, riss ihr die Haut vom Antlitz und legte sie über ihr eigenes Gesicht. Die prächtigen Brautgewänder zerrte sie ihr vom Leib, schlüpfte selbst hinein, und das Mädchen warf sie über die eiserne Jurte. Dann setzte sich die Teufelstochter auf das falbe Ross und ritt gen Osten.
Bar-Chara holte die Braut ein, als sie nicht mehr weit von der Jurte seines Vaters entfernt war. Er merkte nichts, nicht einmal eine böse Ahnung regte sich in ihm. Vor der großen weißen Hochzeitsjurte hatten sich schon alle Anverwandten eingefunden, die Braut zu begrüßen. Vom Pferdepfahl bis zur Jurte war der Weg mit grünem Gras bestreut. Neun schmucke Burschen standen bereit, die Braut zu empfangen, acht schöne Jungfrauen traten herbei, ihr den Gruß zu entbieten. Und sie sprachen untereinander: »Schön wie der Himmel ist Bar-Charas Braut. Schöne rote Perlen werden bei jedem Wort aus ihrem Mund zur Erde rollen!« Und sie hielten Schnüre bereit, um die Perlen aufzureihen. Und es dachten die Burschen: »Wo die Braut ihren Fuß hinsetzt, werden prächtige schwarze Zobel aus der Erde springen.« Und sie hatten Pfeil und Bogen zur Hand, um die Zobel zu erlegen.
Die Braut sprach, doch da krochen schwarze Kröten aus ihrem Mund, und wo sie hintrat, liefen Ratten und Mäuse über den Weg. Da wunderten sich die Anverwandten, und die Eltern wiegten erschrocken den Kopf. Doch was sollte man dazu sagen? Hatte sich Bar-Chara doch gerade dieses Mädchen ausgewählt. So begann das Hochzeitsfest, man schmauste und trank und war guter Dinge. Drei Tage dauerte das Fest. Am Ende hatten sich alle an die seltsame Braut gewöhnt, und niemandem kam es in den Sinn, dass es die falsche Braut sein könnte.
Nicht lange danach ging das kleine alte Weiblein abermals auf das weite Feld, um die Kühe zu melken. Und wie sie hinsah, war doch an derselben Stelle ein neuer Schachtelhalm gewachsen, ein Schachtelhalm mit fünf Trieben, aber schmucker noch und zierlicher als zuvor. Den grub sie fein säuberlich mit allen Würzelchen aus, trug ihn in die Jurte und legte ihn aufs Kissen. Dann ging sie hinaus und fing an, die Kühe zu melken. Auf einmal hörte sie in der Jurte Glöckchen und Schellen klingeln, und wie sie hineinging, saß auf dem Bett dasselbe Mädchen, bloß noch viel schöner als vorher. »So bist du wieder da, Schachtelhälmchen«, rief da das kleine alte Weiblein. »Aber sag, wie kommst du hierher, und warum bist du zurückgekommen?« »Ach, Mutter, als Bar-Chara mich von hier fortführte, sprach er zu mir: Ich setze im Wald der Füchsin nach, du aber reite auf dem Weg, wo das Zobelfell hängt, meide den Weg, wo das Bärenfell hängt! Doch ich vergaß es und ritt den falschen Weg, der brachte mich zu der eisernen Jurte. Heraus trat die Dschelbege. Sie riss mir die Haut vom Gesicht und tat sie auf ihr eigenes, den Brautputz zerrte sie mir vom Leib, zog ihn selbst an, und mich warf sie über die eiserne Jurte. Dann stieg sie auf mein falbes Ross und ritt an meiner Stelle. Graue Hunde packten mit ihren Zähnen meinen Leib und schleppten mich auf das weite Feld bei deiner Jurte. Und so ward ich wieder ein Schachtelhalm. Aber sag, was soll ich jetzt tun? Und werde ich Bar-Chara noch einmal sehen?« »Gräme dich nicht«, tröstete sie das kleine alte Weiblein, »du wirst ihn schon wiedersehen. Bis dahin bleibst du bei mir und bist meine Tochter wie vorher.« Und so blieb das Mädchen bei der alten Frau.
Nun hatte aber das falbe Ross irgendwie erfahren, dass das Schachtelhälmchen wiederaufgelebt war. Und es wandte sich an Bar-Charas Vater und sprach mit menschlicher Stimme: »Dein Sohn ließ unterwegs das Mädchen allein. Sie ritt bis zum Wegkreuz und wandte sich dorthin, wo das Bärenfell hing mit dem weißen Kragen. So kam sie zu der eisernen Jurte. Heraus sprang die Dschelbege, riss ihr die Haut vom Gesicht, bedeckte damit ihr eigenes, zerrte ihr das Brautgewand vom Leib, putzte und schmückte sich selbst, die Braut aber warf sie über die eiserne Jurte. Und nun haust diese Tochter des achtbeinigen Teufels in deiner Jurte und nennt sich deine Schwiegertochter. Meine Herrin aber ist wieder zum Leben erstanden. Hol sie heim, führe sie in deine Jurte, gib sie deinem Sohn zur Frau, sonst wird großes Unglück geschehen – die Dschelbege zerstört euer Heim. Sie macht euch das Leben zur Hölle und bringt dich und die Deinen ins Grab.«
Dies hörte der Alte, und sogleich eilte er in die Jurte. »Mein Sohn, weißt du, wer das Weib ist, das du zu uns brachtest?« »Nun, sie ist die Tochter des kleinen alten Weibleins, das die fünf Kühe besitzt.« »Das falbe Ross sagt, du hättest seine Herrin allein gelassen. Von der Weggabelung, sagt es, sei sie zur eisernen Jurte gelangt. Die Dschelbege habe sie vom Pferd geworfen, ihr die Haut vom Gesicht gerissen, damit das eigene bedeckt und sich die schönen Brautgewänder angelegt. Durch Lug und Trug hat sie dich gewonnen. Geh hin zu dem kleinen alten Weiblein und bitte Schachtelhälmchen, sie möge zu uns kommen. Bring sie her. Die Dschelbege aber binde an den Schweif eines wilden Pferdes und jage es ins offene Feld. Ihre Knochen sollen in alle Winde verstreut werden, sonst wird sie uns alle verderben, Mensch und Vieh!«
Die Dschelbege hatte alles mit angehört. Schon wurde sie schwarz vom Kopf bis zum Fuß. Zum Ausgang der Jurte schlich sie. Bar-Chara aber, zornentbrannt, warf sich ihr in den Weg. Er riss ihr die Kleider vom Leib, zog die falsche Haut herunter, da sahen alle das Ungeheuer in seiner wahren Gestalt. Und der Zorn kannte keine Grenzen. Sie banden die Dschelbege an den Schweif eines wilden Pferdes, das galoppierte übers offene Feld, seine Hufe trafen die Teufelstochter, ihr schwarzer Körper zerfiel, es blieben nur Schlangen und Würmer, die sammelte man ein und verbrannte sie.
Dann ritt Bar-Chara zu der Jurte bei der silbern bemoosten Zirbelkiefer. Wie freute sich das kleine alte Weiblein, als er vom Pferd sprang. Als wäre ein verlorener Sohn heimgekehrt, als wäre ein Toter aus dem Grabe auferstanden, so freute sie sich! Vom Anbindepfahl bis zur Jurte schüttete sie grünes Gras auf, sie schlachtete die fetteste Mastkuh und das Pferd mit der fleischigsten Brust. So richtete sie den Hochzeitsschmaus. Schachtelhälmchen aber weinte, als sie Bar-Chara sah. »Jetzt kommst du zu mir? Hast du nicht der Dschelbege erlaubt, mein Blut zu vergießen, meine zarte Haut zu zerreißen, hast du mich nicht den grauen Hunden zum Fraß gelassen? Und nach allem hoffst du, hier eine Frau für dich zu finden? Es gibt mehr Mädchen als Barsche in den Flüssen, es gibt mehr Frauen als Plötzen in den Seen, such dir unter ihnen eine Frau! Ich will dich nicht!«
»Ich habe dich nicht zur Dschelbege geschickt«, versetzte Bar-Chara. »Ich habe dich nicht den grauen Hunden zum Fraß gelassen! Ich ritt in den Wald, der Füchsin nach, und wies dir den Weg. Und ich sagte nicht: Reite dorthin, wo der Tod ist!« Das kleine alte Weiblein wischte sich aus jedem Auge eine Träne, setzte sich in die Mitte zwischen die beiden und sagte: »Vom Tode bist du auferstanden, nach langer Trennung habt ihr euch wiedergefunden, ist es denn möglich, dass ihr euch da nicht freut? Habt euch lieb so wie früher! Seid gut miteinander so wie früher! Hört auf mich und tut, was ich euch sage!« Da sagte Schachtelhälmchen leise: »Es ist gut. Ich will es tun und alles vergessen.« Wie sprang Bar-Chara da vor Freude in die Höhe, wie tanzte und sprang er umher, wie umarmte er seine Braut und küsste sie. Dann ward das falbe Ross gesattelt mit silbernem Sattel, gezäumt mit silbernem Zaumzeug, bedeckt mit silberner Decke, an seiner Seite eine silberne Gerte hing. Schachtelhälmchen legte von Neuem das Brautgewand an, und sie machten sich auf den Weg. Sie ritten lange. Es kam der Winter mit Schnee auf den Wegen, es kam der Sommer mit warmem Regen, es kam der Herbst mit Nebelgrau. So ritten sie. Schließlich kamen sie zu der Jurte von Bar-Charas Vater. Alle Anverwandten warteten schon auf das Brautpaar. Vom Pferdepfahl bis zur Hochzeitsjurte lag ein Streifen von grünem Gras. »Wenn die rechte Braut kommt«, dachten die jungen Männer, »werden schwarze Zobel auf den Weg springen bei jedem Schritt, den sie tut.« Und sie schnitzten Pfeile und schnitzten so emsig, dass ihnen die Haut von den Händen abging. Die Mädchen flochten Schnüre und zwirnten so eifrig, dass ihre Fingerspitzen bluteten. Während sie auf die Braut warteten, dachten sie: »Wenn sie spricht, werden rote Perlen aus ihrem Mund zur Erde rollen!« Dann brachte Bar-Chara die Braut. Zwei Mädchen banden die Pferde fest. Sie hoben die Braut aus dem Sattel und stellten sie sacht auf den Boden. Da sprach die Braut mit wohlklingender Stimme und rote Perlen fielen aus ihrem Mund. Die Mädchen lasen sie auf und reihten sie auf die Schnüre. Die Braut schritt zur Jurte und wo sie hintrat, da sprangen schwarze Zobel über den Weg. Die Pfeile der Burschen reichten nicht aus, sie zu erlegen. Da riefen alle: »Ah, Bar-Chara, das ist die richtige Braut!« Die Braut ging in die Jurte und zündete mit drei jungen Lärchenwipfeln das Herdfeuer an.
Junger Schachtelhalm im Morgenlicht.
Nun konnte das Hochzeitsfest beginnen. Und es kamen Gäste von überallher, aus allen Dörfern. Und es kamen Sänger, und Tänzer waren dabei, auch Springer, Ringer und Märchenerzähler.
Eine Woche lang dauerte die Hochzeit, und es gab ein Gastmahl, dass der Rauch bis in den Himmel aufstieg und in den Wolken hängen blieb. Dann ritten die Gäste nach Hause, und für Bar-Chara und seine Frau begann ein Leben in Glück, von dem ihre Kindeskinder noch heute erzählen.4
DER SCHACHTELHALM UND DAS GOLDENE ZEITALTER
In der griechischen Tradition wurden das Prinzip und der Kreislauf des Werdens und Vergehens mithilfe der Gottheit Kronos ausgedrückt. Ihm entspricht im alten Rom die Gottheit Saturn. Bei beiden findet sich das Thema der Wiederauferstehung, des Lebens im Glück oder des ewigen Lebens. Die alten Kräuterheilkundigen müssen geahnt oder auch gewusst haben, welche Urpflanze sie da vor sich hatten, als sie den Schachtelhalm diesen Göttern zuordneten.
Wie bereits bei der Zeitreise zu den Ursprüngen der Schachtelhalme und ihrer unglaublichen Überlebensgeschichte durch sämtliche Katastrophen hindurch könnte auch bei diesem Thema der heutzutage meist digital geeichte menschliche Verstand ins Schleudern kommen. Denn diese Gottheiten drücken etwas aus, das man als schreckliches, stets neues Absterben und genauso gut als wohltuendes ewiges Wiederauferstehen oder gar ewiges Leben bezeichnen könnte. Die Gottheit Kronos wurde als eine Gottheit beschrieben, die ihre eigenen Kinder frisst, denn was mit der Zeit entsteht, vergeht auch wieder mit der Zeit.
Saturn beziehungsweise Kronos galten als Herrscher des Goldenen Zeitalters. Dieser alte Mythos einer paradiesischen Zeit findet sich in der griechisch-römischen Kultur ebenso wie in jüdischen, christlichen und muslimischen Texten. Mit dem Goldenen Zeitalter verbunden ist die Vorstellung des Gartens Eden auf Erden. Eine Zeit, in der Mensch und Tier in Frieden miteinander lebten, ohne mühevolle Arbeit und ohne Besitztum. Die Menschen hätten sich nicht bekleidet und vegetarisch von Früchten und Pflanzen ernährt. Die Qualitäten Einfachheit, Unschuld und Genügsamkeit wurden mit dieser goldenen Zeit verknüpft.
Das Goldene Zeitalter ist wohl längst vorüber. Doch heißt es in manchen Mythen, Kronos herrsche immer noch, dieses Goldene Zeitalter sei nur in einer anderen Sphäre »am Rande der hiesigen Welt«.
Saturn, der Planet am äußersten Rand unseres Sonnensystems, ist mit dem bloßen Auge noch sichtbar. Interessanterweise besitzt er eine Sechseckstruktur an seinem Nordpol, wie Satellitenaufnahmen zeigen. Und eine solche Sechseckstruktur weisen auch die Sporenkolben der Schachtelhalme auf.
Saturn galt als weiser Alter, der am Rand des Einflusses unserer Sonne steht, um von dort die kosmischen Kräfte des Universums zu empfangen und auf die Erde zu strahlen. Ein Gott des Ackerbaus, der für Fleiß, Ordnung und Disziplin stand und die feuchten, wilden bis ausufernden Kräfte der dem Wasser zugeordneten Mondenergien ins Lot bringen konnte.
Vielleicht weil er so weit draußen steht und als so weise und alt galt, quasi über den Tellerrand unseres Universums hinausblickend, wurde er für wertfrei, also »harmlos«, nicht bewertend gehalten. Er stand über allen Dingen, hatte den Überblick, urteilte deshalb nicht, sondern brachte seelenruhig alles immer wieder in die göttliche Ordnung. Culpeper beschrieb die Saturnpflanze Schachtelhalm ebenfalls als »sehr harmlos«.
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