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2. Kapitel: Die Schlacht um den Turm
Wir blieben auf dreitausend Metern, bis wir uns über dem Stadtzentrum befanden, und gingen dann herunter. Inzwischen waren einzelne Gebäude und Straßenzüge wieder erleuchtet. Der Turm der Nationalbank stach als riesiger Zeigefinger in die Nacht. Das gab dem Landeanflug noch einmal eine gewisse Pointe. Dann sanken wir senkrecht nach unten und setzten schließlich auf der Independence Plaza auf. Die Turbinen liefen aus, als der Erste Pilot die Aggregate drosselte.
»Alle System bleiben online«, sagte ich. »Wir sind in Kriegsgebiet. Bei Alarm will ich in dreißig Sekunden in der Luft und in drei Minuten im Orbit sein.«
Die Crew nickte einhellig. Ich teilte die drei Mann für den Schichtbetrieb ein. Außerdem ließ ich mir von den beiden Hundertschaften, die wir mit heruntergebracht hatten, vier Mann abstellen, um die Geschütztürme zu besetzen. Das Schiff war gefechtsbereit und online mit dem verschlüsselten Kanal der Bodentruppen. Auch zum Mutterschiff und dem Rest der Flotte im Raum hielten wir eine Breitbandverbindung.
»Die Stadt ist in unserer Hand«, spottete General Rogers. »Und der Planet ist es in vierundzwanzig Stunden oder wie lange immer hier ein Tag-und-Nacht-Zyklus dauern mag!«
»Sicher ist sicher«, sagte ich. »Das habe ich bei meinem Chefausbilder gelernt.«
»Das muss ja ein ganz schöner Paranoiker gewesen sein!«
»Ich weiß nicht, ist schon lange her.« Ich zwinkerte ihm zu. »Er hieß Rogers!«
»Kenn ich nicht.« Der Alte stapfte zur Schleuse.
Auf den Schirmen verfolgten wir, wie er nach unten fuhr und ausstieg. Seine Adjutanten folgten ihm. Das Korps ging über die Heckrampe raus, nahm in ordentlicher Formation Aufstellung und wurde dann an den Kommandanten der Bodentruppen überstellt. In Kampfgruppen zu fünf oder sieben Mann unterteilt, verschwanden die Soldaten in der Nacht. Sie sickerten in die Wohngebiete ein, die Block für Block, Haus für Haus, Wohnung für Wohnung durchkämmt werden mussten. Die Leute waren nicht zu beneiden. Wir hatten das Leuchten der Erleichterung in den Augen ihrer Kameraden gesehen, die wir auf die Geschütztürme der Enthymesis geschickt hatten. Vor ihnen lag, soweit man es sagen konnte, eine ruhige Wache, während die anderen Jungs in die Hölle des Häuserkampfs geschickt wurden. Der Widerstand der Laya war nach militärischen Gesichtspunkten nicht mehr allzu stark, aber äußerst zäh und verbissen. Sie nutzten jeden taktischen Vorteil geschickt aus und verwandelten jede Ladenzeile und jeden Hof in einen potenziellen Hinterhalt.
Dann betraten auch wir die Elevatorkanzel.
Die Nacht war schwülheiß. Als wir die Enthymesis verließen, fiel uns das Klima an wie ein besonders hinterlistiger und bösartiger Feind. Aus den offen stehenden Luken des Schiffes wallte weißer Dampf und selbst die integrierten Aggregate unserer Anzüge spien Schwaden ab, die wie unstoffliches Lametta um unsere Schulter und Rückenteile waberten. Zweischichtige selbstklimatisierende Anzüge der dritten Generation, aber man bekam Lust, sie sich vom Leib zu reißen und ins Meer zu springen. Von dem Platz aus, auf dem wir niedergegangen waren, führte eine breite Allee direkt nach Norden, eine einzige kilometerlange Rampe, die sich verführerisch dem nächtlichen Ozean dieser Welt zuneigte.
Ich tauschte einen Blick mit Jennifer. Einst waren wir hier mit einem schnellen zweisitzigen Scooter entlanggebrettert, waren über das Wasser gejagt, das sich in abendlicher Dünung hob und senkte, und hatten unsere eigene kleine Insel angesteuert, wo wir einen ungestörten Honeymoon verbringen wollten. Der Rest war Geschichte und doch war es seltsam, jetzt wieder hier zu stehen, exakt an der Stelle, von der alles seinen Ausgang genommen hatte, Jahre später, die durch unsere Wiederkehr verschwanden. Alles schien viel länger her, als es dem Kalender nach war, und zugleich näher, wie wenn man ein Blatt zusammenfaltete und die entgegengesetzten Enden flach aufeinanderlegte. Der Sprunggenerator erzeugte einen solchen Effekt im Raum: Er klappte Regionen, die Lichtjahre voneinander entfernt waren, zusammen und brachte sie so dicht heran, dass sich keine physische Entfernung mehr zwischen ihnen befand. Das Gleiche taten wir nun in der Zeit: Wir verschmolzen das Sin Pur unserer Erinnerung mit dem von heute.
Der Platz hatte geradezu riesige Ausmaße. Selbst ein Koloss wie die Enthymesis fiel auf diesem nicht weiter auf. Die Landungstruppen der ersten Welle hatten einen doppelten Ring um den Platz gelegt, der als Erstes gesichert worden war. Von dort aus kämpften sie sich sternförmig in die Stadtteile und Außenbezirke Pura Citys vor. Man hörte gelegentlich noch die peitschenden Schüsse und grollenden Explosionen, die sich die endlosen Straßenschluchten entlangarbeiteten. Die Laya leisteten erbitterten Widerstand. Nicht, dass sie gegen das Erste Eingreifkorps der Union den Hauch einer Chance gehabt hätten, aber sie schienen entschlossen, ihre Haut so teuer wie möglich zu verkaufen und es den Besatzern, die wir in ihren Augen waren, so schwer wie möglich zu machen. Das brachte ihnen hohe Verluste und es zog die Sache für uns in die Länge.
An der Schmalseite des Platzes ragte das höchste Gebäude des Planeten in den schwitzenden Himmel, eines der imponierendsten der ganzen Galaxis: der mehrere hundert Stockwerke hohe Turm der Nationalbank von Sin Pur. Ein Monolith aus Obsidian. Dunkle Ringe bänderten ihn, wo Abschnitte von zwanzig oder dreißig Etagen im tiefen Schwarz eines Blackouts lagen. In anderen Geschossen wurde gekämpft. Brände reckten die Fäuste aus den zersprengten Fensterfronten aus unzerstörbarem Elastalglas und gestikulierten über den teilnahmslosen Abgründen. Wir nahmen ihren Protest ins Protokoll. Eine Eliteeinheit war damit beschäftigt, das Gebäude zu sichern, das eine vertikale Stadt in der Stadt war. Offenbar gab es ein paar versprengte Unverbesserliche, die ihnen das Leben schwer machten. Sie würden in wenigen Augenblicken niedergekämpft sein. Dann ging es darum, das Allerheiligste in unseren Besitz zu bringen: den Tresorraum der Nationalbank von Sin Pur.
Wir standen da und sahen zu dem Stroboskop der Schusswechsel auf, das sich zweihundert Etagen über unseren Köpfen abspielte wie ein besonders fesselndes und lebensechtes Action-Holo. Kaskaden von Glasscherben rieselten die kilometerhohen Stahlflanken herunter. Explosionen blitzen. Das Echo von gegellten Kommandos rankte sich wie eine grelle Girlande um den schweigenden Obelisken. Schwere Gegenstände und schreiende Kämpfer stürzten in die Tiefe.
Wir standen herum wie die Touristen, die wir einst gewesen waren. An strategisch sensiblen Punkten wie dem Raumhafen, den Raffinerien, den Kasernen und anderen neuralgischen Stätten wurde noch gekämpft. Alle Informationen dieser nach Dutzenden zählenden Kriegsschauplätze liefen bei General Rogers zusammen, der hundert Meter weiter im Schatten unseres Schiffes war und ein interaktives Mehrebenen-Gefechtshologramm bediente. Wir selbst konnten nichts tun als abwarten.
Ich glich die Bilder mit meinen Erinnerungen ab. Auch damals war der Platz umstellt und von Eliteeinheiten gesichert gewesen. Auch damals hatte es irgendwo Schüsse gegeben. Auch damals lag der ganz spezielle Geruch von Tod und Gefahr in der Luft. Damals hatte die Lunte zu schwelen begonnen, die wenig später die halbe Galaxie in Brand setzte. Dennoch war etwas anders gewesen. Der Turm!
Jennifer war meinen Blicken und meinen Gedanken gefolgt.
»Sie haben aufgestockt«, sagte sie nur.
Tatsächlich hatte man dem monströsen Gebäude, das wie ein steingewordenes Fanal in den trüben Nachthimmel ragte, mehrere Dutzend neue Etagen aufgesetzt.
Ich nickte.
»Weiß man, wie viel Kapital hier liegt?«
»Vielleicht werden wir es diese Nacht erfahren.« Jennifer grinste.
Bis jetzt konnten wir nur Mutmaßungen anstellen. Es hieß, dass die Sineser nicht unbeträchtliche Mittel hier geparkt hatten. Zur Zeit des trügerischen Friedens von Lombok unterhielt Sin Pur beste Geschäftsbeziehungen zu dem Imperium, dem es offiziell nie angehörte. Ebendas machte es für die Sineser interessant, die hier das Geld aus ihren verbrecherischen Transaktionen wuschen und lagerten. Als Sina aufhörte zu existieren, sahen die Laya diese Mittel als ihr legitimes Erbe an. Wie uns das politische, war ihnen das finanzielle Vermächtnis einer galaktischen Großmacht in den Schoß gefallen. Dass sie ihrer Nationalbank ein paar zusätzliche Geschosse spendierten, war der harmlosere Effekt davon. Bedenklicher war, dass der einst unbedeutende Casinoplanet mit einem Mal auch strategische Ambitionen entwickelte. Man rüstete massiv auf, und als man glaubte, die Union auf dem falschen Fuß erwischen zu können, besetzte man den Nachbarplaneten Musan, um die Grundlage für ein kleines, aber aufstrebendes interstellares Reich zu schaffen.
Diesen Zahn waren wir im Begriff ihnen zu ziehen. Und als kleinen Nebeneffekt würden wir hoffentlich endlich Einblick in die Bücher ihrer Nationalbank bekommen, die schon traditionell nichts anderes getan hatte, als unsaubere Gelder in saubere zu verwandeln und das organisierte Verbrechen auf einem Dutzend Welten zu finanzieren.
»Es müssen viele Milliarden sein«, sagte Jennifer. »Alte Währung. Wie viel das Zeug noch wert ist, weiß im Augenblick niemand.«
Natürlich war die Börse geschlossen. Sämtliche Werte des kleinen Inselstaates befanden sich im freien Fall. Die Union würde auch hier ein Protektorat einrichten, eine Garnison auf den Planeten legen, Finanz und Politik gleichschalten – und zum nächsten Unruheherd weiterziehen.
Aber so weit war es noch nicht!
Irgendwo wurde Alarm gegeben. Sirenen heulte los. Soldaten schrien und gestikulierten.
Dann hörten wir auch schon das tiefe Dröhnen von Turbinen.
»Scheiße!« Wir warfen uns auf den Boden und kauerten uns in den Schutz der vorderen Steuerbordstelze. Die Krallen, die die Enthymesis in die gepflegten Rabatten geschlagen hatte, waren so groß wie Wohnhäuser. Sie boten auch bei einem Luftangriff eine gewisse Sicherheit.
Und darum handelte es sich.
Ein Jagdbomber donnerte im Tiefflug die lange Aufmarschstraße entlang. Er zog unglaubliche Mengen an Feuer auf sich. In regelmäßigen Abständen waren Geschütze entlang der Magistrale postiert. Der doppelte Ring um die Independence Plaza war mit schweren Luftabwehrkanonen versehen. Und auch unser Explorer nannte zwei Zwillingsläufe sein Eigen, die auf Gefechte im Raum ausgelegt waren. All diese Batterien begannen nun ihre pumpende Arbeit. Sie spien mehr Energie aus, als die totgefallene Stadt in diesem Augenblick verbrauchte. Der Boden bebte. Aus den umliegenden Gebäuden wurden Fassadenelemente herausgesprengt. Der Luftdruck des Jägers ließ alles an Glas zerbersten, was sich noch in seinen Fassungen befunden hatte. Über Kilometer wurde die Innenstadt in ein Inferno umherfliegender Scherben verwandelt. Die zahllosen Geschütze schossen sich auf ihn ein. Aber er war zu schnell und zu tief. Außerdem musste er über eine beeindruckende Abschirmung gebieten. Das Feuer floss von seinen Flanken ab wie der Schaum von den Finnen eines springenden Delfins.
»So ein Bastard!«, hörte ich General Rogers quer über den riesigen Platz brüllen. »Warum bringt ihn nicht endlich jemand zur Strecke?« Dann beeilte er sich, in seinen durch Kraftfelder gesicherten Unterstand zu hechten.
Der Jäger donnerte über uns hinweg. Er beschrieb eine Haarnadelkurve, die selbst Jennifer den Atem stocken ließ. Dann klinkte er zwei Torpedos aus und beschleunigte in der Gegenrichtung, dass der Überschnallknall die Luft in unseren Lungen wanken ließ.
»Achtung!«
Ich presste mich, so dicht es ging, an den kühlen Stahl der Enthymesis. Dann brach die Hölle los. Die Explosion war ein Schock. Obwohl die gesamte Masse des Explorers zwischen uns und dem Projektil lag, war es, als hätte ich einen Kopfstoß vor die Brust bekommen. Mir blieb der Atem weg. Ich hörte auch nichts mehr! Dann war da ein Rasseln und Keuchen, das nichts Menschliches mehr hatte, bis ich begriff, dass ich selbst es war, der nach qualvollen Sekunden wieder Luft bekam. Flüssiges Feuer troff rings um uns von den Flanken unseres Schiffes.
War es ein atomarer Gefechtskopf gewesen?
Brandgeruch breitete sich aus. Ich schloss das Helmvisier meines Anzugs und ging auf interne Versorgung. Es dauerte ein paar Sekunden, bis der Kanal der lokalen Kommunikation sich aufbaute. So lange krachte und knirschte es ohrenbetäubend.
»Bist du okay?« Das war Jennifers Stimme.
Sie kauerte neben mir auf allen vieren und folgte gerade meinem Beispiel.
»Ich denke schon.« Ich ließ einen raschen Systemcheck über den Anzug laufen. »Was war das?«
»Aerosol.« Sie stand auf, wobei sie für schreckliche Sekunden wie eine alte Frau aussah, die die Hüfte nicht mehr richtig hochkriegte.
»Es waren zwei.« Ich spähte durch den Vorhang aus Feuer, der von der Seite der Enthymesis herabwallte. Allmählich lichteten sich die Flammen. Durch ihr Wabern, das uns umgab wie ein riesiges Zelt, sah ich auf den Platz hinaus. Der zweite Torpedo hatte Rogers und seinen improvisierten Gefechtsstand getroffen. Die Kraftfeldkuppel über dem elektronischen Feldherrnhügel schien gehalten zu haben. Aber mehrere Soldaten, die sich außerhalb davon aufgehalten hatten, waren zur Unkenntlichkeit verbrannt.
Wir jagten die Abschirmungen unserer Anzüge bis zum Anschlag hoch und traten durch das Feuer ins Freie. Der Jäger entfernte sich mit röhrenden Turbinen in nördlicher Richtung. Inzwischen waren zwei Abfangjäger zur Stelle, die sich an sein Heck hefteten. Und dann brachen mehrere Scyther aus der schwülen Nacht. Gegen diese Übermacht hatte er keine Chance. Die Verfolger schossen ihn zusammen. Die Maschine verging in einem weißen Ball, dessen Donner aufs Meer hinausrollte. Aber er hatte uns gezeigt, dass wir noch lange nicht die Kontrolle über diesen Planeten hatten.
»Norton ruft Brücke«, keuchte ich in die Lokale, »Meldung!«
»Hier Brücke«, antwortete der Erste Pilot erstaunlich prompt. »Überlastung sowie Spannungsrückschlag im Bereich des Geschützturms auf der Backbordseite. Ich fürchte, die Jungs haben was abgekriegt.«
»Sonst?«
»Sonst keine weiteren Schäden.« Der Mann räusperte sich. »Wir könnten hier einen oder zwei Sanitäter gebrauchen.«
»Schon unterwegs.« Ich leitete die Anforderung an den allgemeinen Gefechtskanal weiter. Auch auf dem Platz kamen gerade mehrere San-Staffeln angerannt, um sich um die Opfer des Luftangriffs zu kümmern.
Ich sah Rogers, der aus seinem Unterstand herauskam und ungerührt über die verkohlten Leichen hinwegstieg. Er musste die Meldung auch bekommen haben. Ich winkte und rief ihn gleichzeitig über die Lokale. Dann sah ich, dass er einer Sanitätsabteilung ein Zeichen gab und sie in unsere Richtung wedelte. Die Leute kamen herübergelaufen. Ich dirigierte sie in den Elevator der Backbordstelze.
»Hilfe ist unterwegs«, sagte ich.
Dann gingen wir über den Platz zu Rogers.
»Gesichert, ja«, rief ich, als wir auf Steinwurfweite heran waren. »Die Stadt ist in unserer Hand?!«
Zwanzig Meter vor dem Unterstand hielt ich an. Die Verheerungen des Angriffs waren gewaltig. Rogers’ halber Stab war ausradiert.
»Bastarde!«, spuckte er uns sein Lieblingswort vor die Füße.
»Wo kam er her?«, fragte Jennifer.
»Das versuchen wir gerade festzustellen«, knurrte der General. »Er hat sämtliche Vorfeldaufklärung unterlaufen.«
»Der Atomschlag«, sagte ich. »Wir haben unsere eigenen Instrumente geblendet.«
»Rede kein dummes Zeug, Frank«, blaffte er.
»Dummes Zeug!« Ich wies auf die verbrannten Körper, bei denen jede Hilfe zu spät kam. Man konnte sie zusammenkehren und ins Meer kippen.
»Irgendwo muss er ja hergekommen sein!« Jennifer entrollte wieder das große Gefechtsdiagramm, eine interaktive Holografie von der Breite eines Direktorenschreibtischs. »Als er geortet wurde, befand er sich schon innerhalb des Erfassungsradius unserer Flugabwehr.«
»Wie kann das sein?« Ich beugte mich über die Darstellung.
»So ein Scheißkerl!« Rogers war noch nicht in der Lage, von der Schimpfkanonade zur Analyse überzugehen.
»Er kam sehr tief herein«, sagte ich. »Wir hatten Glück, dass er nicht unter dem Bauch der Enthymesis durchgeflogen ist!«
»Zwischendurch ist er gestiegen«, bestätigte Jennifer meine Beobachtung. »Aber am Anfang war er wahnsinnig tief.«
»Das erklärt manches, aber nicht alles«, grollte Rogers.
»Er ist unterhalb des Meersspiegels angeflogen.« Jennifer ging in den Aufzeichnungen zurück.
»Wie kann das sein?«
»Die Dünung geht immer noch sehr hoch. Zwischen Wellenkämmen und -tälern bis zu zehn Metern.« Sie sah mich an. »Er ist in einem der gekrümmten Wellentäler angeflogen, die von der Atomexplosion aufgeworfen wurden!« Wider Willen schien sie dem Fliegerass Bewunderung zu zollen. Das war ein Manöver ganz nach ihrem Geschmack.
»Aber das reicht nur als Erklärung für die letzten paar Kilometer«, sagte Rogers, der sich langsam abkühlte. »Aber wo kam er her? Ist er vom Himmel gefallen.«
»Es war ein planetarer Jäger«, sagte Jennifer. »Luftverteidigung. Kein Schiff aus dem Orbit.«
»Er kam vom Meeresgrund.« Ich kratzte mich am Kopf, aber es ging nicht, weil ich das Visier noch geschlossen hatte.
Rogers und Jennifer sahen mich an. Der General glotzte verständnislos. Jennifer dachte eine Weile nach und nickte dann.
»Du könntest recht haben.«
»Das Meer ist zwischen den Inseln nicht sehr tief«, erklärte ich dem perplexen Rogers. »Aus der Zeit, als Sina Hegemonialmacht war, gibt es überall unterseeische Basen und Laboratorien.«
»Wir haben eines davon erkundet«, fiel Jennifer ein. »Aber wir sind nicht dazu gekommen, die Untersuchungen systematisch auszuweiten.«
Rogers hatte die Hand gehoben, um uns zum Schweigen zu bringen. »Ich entsinne mich dunkel«, sagte der Held von Persephone. »Ihr hattet da etwas gefunden. Aber ihr wurdet entführt und später sind wir der Sache nie mehr richtig nachgegangen.«
Jeder grübelte still vor sich hin.
»Aber ihr habt recht, verdammt. Aus sinesischer Zeit können unzählige Unterwasserbunker und sonstige Anlagen vorhanden sein.«
»Scheiße!«, stöhnte ich.
»Das müssen wir klären.« Rogers stiefelte zu seinem Gefechtsstand zurück. In der Kommunikation konnten wir hören, wie er sich an seine Kommandanten vor Ort wandte. Er wies sie an, Kampftaucher und marine Drohnen einzusetzen.
»Herrje, das sind Millionen Quadratkilometer an Meeresboden«, stöhnte ich. »Es dauert Jahre, das alles zu erkunden.«
»Ich denke, dass sich die strategisch interessanten Anlagen auf den Äquator und die Umgebung der Hauptstadt konzentrieren«, sagte Jennifer. »Im Übrigen kontrollieren wir den Orbit.«
Ich nickte. Aber schon damals war es uns äußerst schwergefallen, die Anlagen aufzuspüren, selbst mit Satellitenunterstützung. Alles, was tiefer als dreißig oder vierzig Meter im Wasser lag, war auch aus dem Orbit nur schwer zu orten.
»Ein seismisches Profil des Planeten wäre hilfreich«, dachte ich laut nach.
»Dazu müsste man ihn bombardieren«, sagte Jennifer.
»Wir sind sowieso gerade dabei.« Ich sah sie an. »Aber wenn wir nun wissen, wonach wir suchen, genügt auch ein kleines Kaliber, irgendwo weit draußen im Ozean.«
»Hier sind wir jedenfalls nicht sicher.«
Mit gemischten Gefühlen sahen wir zu, wie die Sanitäter mit den beiden Verletzten aus der Elevatorkanzel kamen. Die Männer hatten Verbrennungen an den Armen erlitten, als der Spannungsrückschlag ihren Feldgenerator krepieren ließ. Außerdem standen sie unter Schock.
»Wohin mit Ihnen?« Der Chef der San-Staffel sah mich fragend an.
»Ins Basement«, sagte ich nach kurzem Überlegen.
Ich hatte gesehen, dass Rogers seine Siebensachen zusammenpackte und auf den Tower der Nationalbank zumarschierte. Seinen Gefechtsstand in den Fundamenten eines Gebäudes zu errichten, wo zweihundert Stockwerke über seinem Kopf noch gekämpft wurde, das war eine Sache nach seinem Geschmack. Und warum nicht?
»Die Vorhalle und die Basis sind gesichert«, sagte ich. »Auch die ersten einhundert Etagen, soweit ich das von hier aus beurteilen kann. Richten wir dort einen Verbandsplatz und eine neue Zentrale ein.«
Wir betraten die Nationalbank von Sin Pur über den Haupteingang. Von dem fünf Stockwerke hohen Portal aus musanischem Marmor waren mächtige Brocken heruntergebrochen. Die Glastüren, die einst in den steinernen Bogen eingelassen waren, existierten nicht mehr. Die Aufhängung einer Drehtür baumelte noch lose in ihrem Lager, ein flügellahmer Ventilator. Überall ragten Kabel der ehemaligen Sicherheitselektronik ins Leere. Wir schritten über das Chaos aus Splittern und Fetzen hinweg und passierten das Kraftfeld, das anstelle der alten Eingangsüberwachung installiert worden war. Es registrierte automatisch unsere IDs und ließ uns durch. Wären wir nicht Offiziere der Union gewesen, hätte es uns ohne Vorwarnung zu Asche verbrannt.
In der Vorhalle erwartete uns ein breughelsches Höllengemälde. Überall lagen Verwundete herum. Die beiden Aerosolbomben und der mit Überschallgeschwindigkeit über den Platz peitschende Hagel aus Glasscherben hatten ganze Arbeit geleistet. Die Soldaten waren verbrannt, durchsiebt, ihrer Gliedmaßen beraubt, zur Unkenntlichkeit verstümmelt. Die wenigen Sanitäter taten, was sie konnten. In Lachen aus Blut und Erbrochenem watend, setzen sie in fast fließbandartiger Routine Betäubungsinjektionen, um wenigstens das ohrenzerfetzende Gebrüll der Verletzten zu dämpfen. Doch ständig schleppten sich neue Opfer herein oder wurden von ihren traumatisierten Kameraden in die Halle geschleift. Die Handvoll Ärzte und Pfleger waren hoffnungslos überfordert. Jennifer griff sich aufs Geratewohl eine Injektionspistole, lud sie mit dem Anästhetikum, das sich auf vielen Kriegsschauplätzen bewährt hatte, und ging dann mit leerer Miene von einem Verwundeten zum anderen. Im Sekundentakt war das charakteristische Zischen zu hören, mit dem die Morphine wieder einen, der sich die Seele aus dem Leib schrie, von seinen Qualen erlöste. Vorläufig. Denn was mit all den Leuten passieren sollte, wenn sie in ein paar Stunden wieder zu sich kamen, war im Augenblick nicht zu sagen.
General Rogers hatte keinen Blick an das Desaster verschwendet. In Begleitung seines zusammengeschmolzenen Stabes stiefelte er nach hinten in die einstige Lobby des Instituts. Im Schatten des mächtigen Nordpfeilers, der die gewaltige Fassade des Turmes trug und der Schutz gegen Beschuss von außen bot, schlug er einen neuen Befehlsstand auf. Ein hochgewachsener Offizier baute sich vor ihm auf und machte Meldung. Ich war zu weit entfernt, um sein Namensschild zu sehen oder seine Worte zu verstehen, aber es konnte nur Colonel Tariq sein, der Oberkommandierende der Bodentruppen. Er und Rogers begannen, aufeinander einzubrüllen. Der Colonel war einen Kopf größer als der untersetzte General, aber an Stimmgewalt waren sie einander ebenbürtig.
Ich beschloss, mich vorerst um den Aufbau des Verbandsplatzes zu kümmern. Der leitende Arzt des Sanitätsteams hatte mich schon entdeckt. Sein weißer Kittel sah wie die Schürze eines Metzgers aus. Auch er hatte eine Injektionspistole in der Hand, mit der er unkontrolliert herumfuchtelte.
»Nehmen Sie Haltung an und machen Sie Meldung!«, sagte ich. Alles konnten wir jetzt brauchen, aber keine Führungsoffiziere, die den Kopf verloren.
Er holte tief Luft und riss sich zusammen.
»Conrad Draeger«, sagte er dann, den Blick fest auf meine Brusttasche geheftet, die ihn darüber informierte, wer vor ihm stand. »Stabsarzt.« Er knirschte mit den Zähnen. »Bei allem Respekt, Sir, aber so eine Sauerei habe ich noch nicht erlebt!«
Ich verkniff mir die Frage, was er überhaupt schon erlebt hatte. Aber er las mir anscheinend von der Stirn ab, was ich hatte entgegnen wollen.
»Ich habe den Vormarsch in Sina City begleitet. Ich bin wahrlich kein Greenhorn und ich verliere auch nicht gleich die Nerven. Aber das hier …« Er ließ eine Geste der Ohnmacht über die Ansammlung von Schwerverletzten gleiten, die allmählich zur Ruhe kamen.
Jennifer drückte einem der Sanitäter die Injektionspistole in die Hand und kam zu uns herüber. Ihre Miene war leer, traurig und unvorstellbar müde. Draeger nickte ihr respektvoll zu. Sie bedachte ihn mit einem abwesenden Blick. Dann sah sie mich mit einer Skepsis an, die mich frösteln ließ.
»Wir sind hier, um Ihnen zu helfen«, sagte ich rasch. »Machen Sie eine Aufstellung, was Sie brauchen. Dann werden wir es umgehend anfordern und unverzüglich nach unten bringen. Das Mutterschiff …«
Ich kam nicht dazu, den Satz zu beenden. Draußen wurde wieder Alarm gegeben.
»Was wir brauchen«, äffte der Stabsarzt. Sein Ton lavierte hart am Rand zur Insubordination. »Alles brauchen wir. Alles! Es ist von allem zu wenig da.«
Er verstummte und lauschte auf die Sirenen. Irgendwo schien wieder ein feindlicher Flieger im Anflug zu sein.
»Vor allem würde mich interessieren, wer dieses Himmelfahrtskommando angeordnet hat.«
»Das ist nun nicht Ihr Problem«, sagte ich.
»Und ob es mein Problem ist!« Er wischte sich mit der blutbefleckten Hand über das Gesicht. »Ich muss die Schweinerei schließlich zusammenkehren, die dabei entsteht.«
»Reißen Sie sich zusammen, Mann!« Ich sah ihm fest in die Augen. »Eine Aufstellung, was Sie benötigen, nach Prioritäten gestaffelt, und wir werden sehen, was wir für Sie tun können.«
Er zwang sich, meinem Blick standzuhalten, auch wenn seine Lider flatterten und seine Augen immer wieder seitlich ausbrechen wollten.
»Wir sollten hier lieber weggehen«, sagte Jennifer leise.
Sie zog uns ein paar Meter tiefer in die Halle hinein.
Soldaten brüllten Kommandos. Die Kraftfelder, die die zerstörte Glasfront ersetzten, knisterten, als ihre Leistung bis zum Anschlag hochgefahren wurde. Dann war wieder das nervenzermahlende Röhren einer Turbine zu hören. Die Abwehrgeschütze auf dem Platz begannen, aus allen Rohren zu feuern. Auch der verbliebene Turm der Enthymesis schoss sich auf die anfliegende Maschine ein. Wie in einer Abfolge einzelner Standbilder sahen wir die ausgeklinkten Torpedos, die sich selbsttätig ihre Ziele suchten und dann mit der Wucht sterbender Sonnen krepierten. Aber auch das vereinigte Sperrfeuer war nicht wirkungslos. Der Jagdbomber war getroffen. Er überschlug sich, kreiselte ein paarmal um seine Achse und explodierte dann.
Der riesige Platz war bloß noch ein Wühlen blutiger Flammen. Die Kraftfelder stauten eine Woge magnetischen Feuers und drängten sie stöhnend zurück. Über der Independence Plaza wütete ein Inferno, dessen Dröhnen uns in die Knie gehen ließ. Um die Enthymesis machte ich mir im Grunde keine Sorgen. Beim Atmosphäreneintritt war das Schiff stärkeren Belastungen ausgesetzt gewesen. Aber die Soldaten, die noch dort draußen unterwegs waren, hatten keine Chance. Der kilometerhohe Turm, in dessen Eingangshalle wir uns befanden, wankte. Der Boden zitterte wie ein Sterbender in den Krämpfen des Todeskampfes. Die Flammenwand löste sich auf. Tonnenschwere Trümmer regneten vom Himmel und zerschellten auf dem zu Ruß verbrannten Platz.
Ich hatte mich unwillkürlich geduckt. Als ich mich wieder aufrichtete, spürte ich Draegers Blick auf mir liegen. Der Mann sah mich durchdringend an, aber er sagte kein einziges Wort.
Ich suchte Jennifer. Sie stand ein paar Schritte abseits, hatte ihr Display aktiviert und fragte den Gefechtskanal ab.
»Er kam von Süden«, sagte sie. »Die Ortung erfasste ihn, als er keine drei Kilometer vom Stadtrand entfernt war.«
»Angesichts der Geschwindigkeit hat die Abwehr gut gearbeitet«, brummte ich.
»Er ist durchgebrochen«, sagte Jennifer.
»Immerhin haben sie ihn zur Strecke gebracht.«
Die Plaza lag jetzt im stillen Schweigen eines nächtlichen Friedhofs. Ganz am gegenüberliegenden Ende, nur eine Silhouette mit gesenktem Kopf, harrte die Enthymesis aus. Sie schien unversehrt. Ich verkniff es mir, die Brücke zu rufen. Im Moment gab es andere Dinge zu tun.
»Wir müssen Unterstützung bei Reynolds anfordern«, sagte ich. »Hier unten gehen wir ein.«
Jennifer nickte. Kein Mensch konnte wissen, wie viele Jäger die Laya noch aus ihren submarinen Basen auf uns hetzten.
»Die Aufstellung!«, rief ich zu Draeger, der unschlüssig herumstand und mit glasigen Blicken die Verwundeten musterte. Der Zustrom an neuen Verletzten war zum Erliegen gekommen. Die gewaltige Explosion hatte alles Leben auf dem Platz und im Stadtzentrum ausgelöscht. Die Soldaten, die sich in die Halle hatten retten können, waren ruhiggestellt. Wenigstens hörte so das Geschrei auf, das an den Nerven zerrte.
»Schnell!« Ich beschrieb eine wedelnde Handbewegung.
Auf dem Kommunikator rief ich die Marquis de Laplace. Es dauerte unangenehm lange, bis der Kanal sich aufbaute. Das Schiff war gerade auf der anderen Seite des Planeten und die Relais nach der Orbitalschlacht nur bedingt funktionstauglich. Wie in vorsintflutlichen Zeiten mussten wir uns mit einer einfachen akustischen Leitung begnügen. Und wie selbstherrlich waren wir in diese Schlacht gegangen!
»Norton an Brücke«, sagte ich. »Könnt ihr mich hören?«
Es krachte ein paarmal. Dann besann sich die Technik anscheinend, in welchem Jahrhundert wir uns befanden, und ließ endlich sich dazu herab, mich durchzustellen. Wir entbehrten jetzt schmerzlich des Tloxi-Kontinuums. In der kurzen Phase der einvernehmlichen Zusammenarbeit hatten Probleme dieser Art für uns aufgehört zu existieren. Jetzt waren wir auch hier weit zurückgeworfen.
»Hier John Reynolds! Ich höre dich, Frank.«
»Gott sei Dank.« Ich atmete auf.
»Was ist denn da unten bei euch los?«
»Hier ist die Kacke am Dampfen!«
»Wir registrierten mehrere schwere Explosionen, darunter mindestens eine atomare.«
»Letztere geht auf Rogers’ Konto. Wie weise die Entscheidung war, lasse ich dahingestellt.«