Читать книгу: «Kirchliche Loyalitätspflichten und die Europäische Menschenrechtskonvention», страница 7

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bb. Kollisionsrechtlicher Ansatz

Das BVerfG geht vielmehr davon aus, dass die Eigenständigkeit der Kirchen als besonders schützenswert anzusehen ist. Das bedeutet, dass innerhalb der kircheneigenen Angelegenheiten grundsätzlich von der kirchlichen Kompetenz auszugehen ist, die ihre Grenze dann findet, wenn kircheneigene Regelungen Grundprinzipien wie das Willkürverbot (Art. 3 GG), das Verbot der Sittenwidrigkeit (§ 138 BGB) oder den ordre public (Art. 6 EGBGB, ehemals Art. 30 EGBGB) verletzen.343

Insbesondere die letztgenannte Einschränkung des ordre public zeigt deutlich das Verständnis des Art. 137 III 1 WRV als Kollisionsnorm. Art. 6 EGBGB lautet: „Eine Rechtsnorm eines anderen Staates ist nicht anzuwenden, wenn ihre Anwendung zu einem Ergebnis führt, das mit wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts offensichtlich unvereinbar ist. Sie ist insbesondere nicht anzuwenden, wenn die Anwendung mit den Grundrechten unvereinbar ist.“ Verhindert werden sollen mit dieser Norm unerträgliche Ergebnisse, die durch die ansonsten gebotene Einbeziehung einer Privatrechtsnorm ausländischen Ursprungs entstehen könnten.344 Der durch die Nennung des ordre public-Grundsatzes hier erreichte Vergleich der Religionsgemeinschaften mit souveränen Staaten betont daher deutlich die Eigenständigkeit der Kirchen, den weit reichenden Schutzbereich des Art. 137 III 1 WRV und die inzidente Bestätigung, dass hier ein originär der Kirche zustehender, nicht vom Staat abgeleiteter Rechtsbereich geregelt wird.345 Der Staat behandelt die Kirchen gewissermaßen als befreundete Macht.346 Man kann also von einer „staatskirchenrechtlichen ordre-public-Klausel“ sprechen: „Nicht jede staatliche Norm kommt daher als Kontrollmaßstab in Betracht, auch nicht jede Verfassungsnorm.“347 Damit spricht das BVerfG einen grundsätzlichen Vorrang der Kirchenkompetenz aus, der aber eben nicht grenzenlos gewährt ist.348

cc. Verfassungsrecht als das für alle geltende Gesetz

Aus dem oben zitierten Wortlautargument zieht eine letzte Ansicht die Essenz, dass als Schranke nur das allgemeine Gesetz gemeint sein könne: die Verfassung, das Grundgesetz als Ausdruck der staatlichen Rechtsordnung.349 „Das Selbstbestimmungsrecht der Kirche bricht sich demnach an den Rechtspositionen, die Verfassungsrang haben und dem Selbstbestimmungsrecht der Kirche entgegenstehen: am kollidierenden Verfassungsrecht.“350 Dies ergebe sich daraus, dass Art. 137 III 1 WRV die Kirchen zwar privilegieren, nicht aber vollständig immunisieren wolle.351

Diese Meinung begegnet aber schwerwiegenden systematischen und materiellen Bedenken. In systematischer Hinsicht wird verkannt, dass für einen Rückgriff auf kollidierendes Verfassungsrecht der ausdrückliche Vorbehalt des Art. 137 III 1 WRV obsolet wäre. Dieser klare Wortlaut kann auch nicht mit der Entstehungsgeschichte als Inkorporation der Artikel aus der WRV, die eine Beschränkung durch kollidierendes Verfassungsrecht so noch nicht kannte, hinwegdiskutiert werden.352

Materiell ist dieser Ansatz in zweierlei Hinsicht abzulehnen. Zunächst überzeugt die Konzeption des Art. 137 III 1 WRV als „vorbehaltloses Freiheitsrecht der Institution“353 gerade nicht, da der Schutz aus den Kirchenartikeln eben über den der anderen Grundrechte hinausgeht. Zudem ist auch der tatsächliche Erkenntnisgewinn eher gering. So werden die getätigten Einschränkungen oftmals, wenn nicht gar überwiegend auf verfassungsrechtliche Wertungen zurückgehen. Die Lösung ist zudem starr, wo sie flexibel und flexibel, wo sie starr sein müsste, indem jegliches Verfassungsrecht als Schranke genügen, jegliches einfache Recht aber ausgeschlossen sein sollte.

4. Zwischenfazit

Das allgemeine Gesetz kann also nur die Rechtsnormen beinhalten, die für die Kirche dieselbe Bedeutung haben wie für den Jedermann. Wird die Kirche aber gerade in ihrer religiösen Besonderheit härter getroffen als die übrigen Normadressaten und damit in ihrem geistig-religiösen Selbstverständnis beeinflusst, so kann die Rechtsnorm keine Schranke i.S.d. Art. 137 III 1 WRV darstellen. Dies beinhaltet keine pauschale Grenzziehung. Vielmehr ist die als Schranke in Frage kommende Rechtsnorm ihrerseits wieder im Lichte der kirchlichen Selbstverwaltungsgarantie zu interpretieren, so dass beide in Konkordanz zu bringen sind. Konkordanz bedeutet in diesem Fall aber keine gleichberechtigte Abwägung. Stattdessen ist a priori von einer stärkeren Gewichtung der Kirchenautonomie auszugehen. Dies führt zu einem eindeutigen Abwägungsprinzip: Je näher die streitgegenständliche Maßnahme am forum internum, am Kernbereich kirchlicher Selbstbestimmung anzusiedeln ist, desto schwerer wiegt dieselbe auch; je weiter man sich vom Kernbereich entfernt und vorrangig staatlichen Regelungsbereichen annähert, desto eher sind eben die Maßstäbe des staatlichen Rechts heranzuziehen.354

Im Ergebnis bedeutet dies schließlich auch, dass das Verbot der Sittenwidrigkeit (§ 138 BGB), das Willkürverbot (Art. 3 GG) und der ordre public (Art. 6 EGBGB) grundsätzlich als Schranken i.S.d. Art. 137 III 1 WRV anzusehen sind. Der Stufenlehre des BAG ist bereits hier eine Absage zu erteilen.

B. Konkrete Ausgestaltung im Arbeitsrecht
I. Regelung der Arbeitsverhältnisse als Ordnen und Verwalten eigener Angelegenheiten

Bereits oben wurde – spätestens als Folge der Anerkennung der kirchlichen Dienstgemeinschaft – dargelegt, dass die Besonderheiten des kirchlichen Arbeitsrechts der Selbstverwaltungsgarantie unterfallen. Diese „gilt nicht nur für die kirchliche Ämterorganisation, sondern allgemein für die Ordnung des kirchlichen Dienstes.“355

Aus dem Gesagten folgt ebenfalls ohne weiteres, dass das staatliche Arbeitsrecht als Bestandteil des für alle geltenden Gesetzes und damit als geeignete Schranke der Selbstverwaltungsgarantie des Art. 137 III 1 WRV anzusehen ist. Die für die hier vorliegende Frage relevanten § 626 BGB sowie die §§ des KSchG finden damit zunächst einmal Anwendung. Wählt die Kirche also statt des ihr ebenfalls offen stehenden kirchlichen Ämterrechts die Privatautonomie zur Begründung von Rechtsverhältnissen zu den für sie tätig werdenden Personen, so muss auch das staatliche Arbeitsrecht als „schlichte Folge einer Rechtswahl“ Anwendung finden.356 Dies entspricht im Übrigen auch dem Selbstverständnis der katholischen Kirche, wie dem can. 1286 Nr. 1 CIC zu entnehmen ist: „Die Vermögensverwalter haben bei der Beschäftigung von Arbeitskräften auch das weltliche Arbeits- und Sozialrecht genauestens gemäß den von der Kirche überlieferten Grundsätzen zu beachten“.357

Nach dem vorgegebenen Vorgehen kann man hier aber nicht stehen bleiben.358 Vielmehr ist nun in einem zweiten Schritt zu ermitteln, inwieweit die Wechselwirkung Einfluss auf die Schrankenqualität nimmt; m.a.W.: Was ist der Einfluss der Kirchenautonomie auf das staatliche Kündigungsschutzrecht? „Die Einbeziehung der kirchlichen Arbeitsverhältnisse in das staatliche Arbeitsrecht hebt […] deren Zugehörigkeit zu den „eigenen Angelegenheiten“ der Kirche nicht auf.“359

Offensichtlich kann hier also nicht das staatliche Arbeitsrecht ohne jede Veränderung angewendet werden, ließe dies doch den durch die Kirchenautonomie vorgegebenen Schutzstandard vermissen – auch wenn das staatliche Kündigungsschutzrecht als Rechtsgut mit Verfassungsrang das Sozialstaatsprinzip des Grundgesetzes in seinem Rücken weiß.360 Es handelt sich hier nämlich nicht um ein Arbeitgeberprivileg, sondern um ein Recht der Religionsgemeinschaften.361 Der Einfluss des kirchlichen Propriums auf das Kündigungsrecht ist demzufolge zu berücksichtigen.362 Als denklogische Folge der rechtlichen Anerkennung der kirchlichen Dienstgemeinschaft muss es den Religionsgemeinschaften also möglich sein, zur Wahrung ihrer Glaubwürdigkeit die Einhaltung religionsspezifischer Loyalitätsobliegenheiten von ihren Arbeitnehmern verlangen zu dürfen.363 Wiederum angelehnt an die beschriebene Wechselwirkung darf die kircheneigene Kompetenz zur Auferlegung von Loyalitätsobliegenheiten aber nicht grenzenlos sein; eine „Klerikalisierung“ des kirchlichen Arbeitnehmers gilt es genau wie die Wandelung eines Arbeitsvertrages zum „kirchlichen Statusverhältnis“ zu verhindern, auch wenn sich nach den von den verfassten Kirchen anerkannten Maßstäben richten soll, welche Loyalitätsobliegenheiten nun konkret erwartet werden dürften.364 Die Grenze der kircheneigenen Kompetenz bilden daher die Grundprinzipien der Rechtsordnung, in nicht abschließender Aufzählung also das Willkürverbot des Art. 3 GG, das Verbot der Sittenwidrigkeit gemäß § 138 BGB sowie der ordre public, der in Art. 6 EGBGB niedergelegt ist.365

Für den Kündigungsschutzprozess bedeutet dies: Ist unter Beachtung der dargestellten Vorgaben ein Verstoß gegen eine Loyalitätsobliegenheit, welche nicht gegen die o.g. Schrankentrias verstößt, festgestellt und dessen Schwere nach den kirchlichen Vorgaben bewertet worden, was im Übrigen auch eine mögliche Abstufung derselben umfasst, so unterliegt die weitere Prüfung der §§ 1 KSchG, 626 BGB umfassender arbeitsgerichtlicher Anwendungskompetenz.366 Den Arbeitsgerichten obliegt es auch, den Sachverhalt unter die „kirchlicherseits vorgegebenen, arbeitsrechtlich abgesicherten Loyalitätsobliegenheiten zu subsumieren.“367

II. Vertragliche Natur der Loyalitätsobliegenheiten: Grundrechtsverzicht durch kirchliche Arbeitnehmer

Damit ist aber noch nicht alles Notwendige gesagt. Die Darstellung krankt hier oft an einer gewissen Unvollständigkeit. Mag die Kirchenautonomie es den Religionsgesellschaften auch ermöglichen, religionsspezifische Loyalitätsobliegenheiten festzuschreiben, was zu gleichen Teilen auf der Privatautonomie wie eben auf der Selbstverwaltungsgarantie basiert,368 so ist in der Tatsache, dass die eine Vertragspartei ein bindendes Angebot tätigen kann, noch keine Aussage darüber enthalten, ob die andere Partei, die Arbeitnehmer, dieses auch annehmen kann.369 Dies ist umso mehr untersuchungsbedürftig, als dass die Loyalitätsobliegenheiten grundrechtssensible Bereiche des täglichen Lebens berühren.370 Daher ist die Frage nach der Rechtswirksamkeit vertraglich vereinbarter Loyalitätsobliegenheiten auch im Rahmen eines Grundrechtsverzichts zu prüfen.371

1. Grundsätzliche Möglichkeiten des Grundrechtsverzichts

Die grundsätzliche Zulässigkeit von Einwilligung bzw. Grundrechtsverzicht ist weitgehend anerkannt.372 Wurden in früherer Rechtsprechung die Grundrechte noch als objektive Werteordnung dergestalt verstanden, dass ein Abweichen hiervon und ergo ein Grundrechtsverzicht aufgrund des „unverzichtbaren Charakters der Grundrechte“ nicht möglich sei,373 setzte sich doch alsbald zu Recht die Meinung durch, dass ein Grundrechtsverzicht nichts anderes darstellen könne als die Ausübung eben desjenigen Grundrechts.374 Schließlich kann – solange Rechte Dritter nicht berührt werden – grundsätzlich nicht vorgeschrieben werden, auf welche Weise das Individuum seine grundrechtlich abgesicherte Freiheit ausüben möchte. Ob dies dogmatisch nun auf das einschlägige Freiheitsrecht selbst, auf die allgemeine Handlungsfreiheit des Art. 2 I GG oder das allgemeine Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 I i.V.m. 1 I GG zurückzuführen ist, kann hier dahingestellt bleiben.375

Dennoch ist heute ebenfalls anerkannt, dass ein Grundrechtsverzicht nicht bei allen Grundrechten im gleichen Umfang möglich ist. Die durch die Grundrechte gesetzte Werteordnung dient auch öffentlichen Interessen, denen bestimmte Grundrechte in hervorgehobenem Maße dienen.376 Letztlich ist damit die zulässige Reichweite der Einwilligung abhängig vom konkreten Grundrecht. So erfüllen die Art. 3 II, 5 I 2, 6 I und 9 III GG gesamtgesellschaftliche Ziele und stehen daher zumindest nicht vollständig zur Disposition des Einzelnen.377 Dies ist also die erste Voraussetzung: Ein Grundrechtsverzicht ist nur insoweit möglich, als der Berechtigte verfügungsbefugt über dieses Grundrecht ist.

Eine weitere Grenze der Dispositionsbefugnis stellt der unveräußerliche Menschenwürdegehalt des Art. 1 I GG dar. „Die Würde des Menschen ist ein objektiver, unverfügbarer Wert, auf dessen Beachtung der einzelne nicht wirksam verzichten kann.“378 Nicht dispositionsfähig ist daher der Gehalt eines jeden Grundrechtes, der auf die Garantie des Art. 1 I GG zurückzuführen ist.379 Ob dem im Zusammenhang mit der Wesensgehaltsgarantie des Art. 19 II GG überhaupt eine eigenständige Bedeutung zukommt, ist zweifelhaft; jedenfalls handelt es sich aber um eine Ausnahme nur für Extremfälle.380

Schließlich muss der Verzicht freiwillig erfolgen.381 Strittig ist hierbei, ob rechtliche Freiwilligkeit ausreichen soll382 oder ob bereits jegliche Zwangslage oder Druckausübung auf den Entscheidungsträger hier schädlich sein solle.383 In Anlehnung an die Möglichkeiten des Zivilrechts aus den §§ 104 ff, 119, 123, 142 BGB scheint die erstgenannte Ansicht zwar vorzugswürdig. Diese gehen jedoch von einer Gleichordnung der Vertragspartner aus.384 Mit Hinsicht auf das tatsächlich vorherrschende Ungleichgewicht auch und gerade im Arbeitsrecht ist daher die zweite Ansicht unter Beachtung einer gewissen Hemmschwelle zu befolgen.385

2. Konkret: Grundrechtsverzicht durch kirchliche Arbeitnehmer?

Die Einbeziehung der kirchlicherseits festgeschriebenen Loyalitätsobliegenheiten in den Arbeitsvertrag386 könnte also einen Grundrechtsverzicht durch die betroffenen Arbeitnehmer darstellen. Dazu müssten die betroffenen Grundrechte im von den Loyalitätsrichtlinien vorgegebenen Maße zur Disposition des Grundrechtsträgers stehen und dieser weiterhin in einem hinreichenden Grad an Freiwilligkeit handeln.

a. Dispositionsbefugnis über einschlägige Grundrechte

Isensee bezeichnet die Selbstverwaltungsgarantie als „bereichsspezifische Bastion der Privatautonomie“387 mit dem Ergebnis, dass die Bindung an die vertragsbegründeten Loyalitätsobliegenheiten eine legitime Folge des Vertragsschlusses der Arbeitnehmer mit dem kirchlichen Arbeitgeber sei, welcher im Übrigen selbst die Wahrnehmung von Grundrechten, namentlich der Berufs- und Religionsfreiheit darstellt.388 Ähnlich wird argumentiert, dass allein die Selbstverwaltungsgarantie Grund für die Zulässigkeit der vertraglichen Vereinbarung von Loyalitätspflichten sein könne.389 Der Grundrechtsverzicht der Arbeitnehmer sei damit rechtmäßig.

Die Gegenmeinung vertritt derweil die Ansicht, dass derartige Grundrechtsverzichte nicht ohne weiteres möglich seien.390 Begründet wird dies entweder damit, dass der Kündigungsschutz als solcher nicht abdingbar sei,391 oder aber mit behaupteten Verstößen bezüglich der einzelnen Grundrechte. So sei beispielsweise die Verpflichtung auf die katholische Ehelehre ein Verstoß gegen Art. 6 I GG, der nach dem oben Gesagten auch einen gesellschaftlichen und damit nicht abdingbaren Inhalt enthält.392 Zudem ließe sich auch auf den Menschenwürdegehalt rekurrieren oder darauf hinweisen, dass Art. 4 I GG vorbehaltlos gewährt wird.393

Diese Gegenargumente überzeugen jedoch durchweg nicht. Dem erstgenannten Argument ist entgegenzuhalten, dass es den Gegenstand der Frage schlichtweg verkennt: Es wird nicht etwa der Kündigungsschutz abbedungen, vielmehr ist die Frage, wie er zu interpretieren ist. Der Arbeitnehmer begibt sich auch nicht seines Grundrechts aus Art. 6 I GG; eine unzulässige Zölibatsverpflichtung liegt keinesfalls vor. Selbst wenn man außer Acht lässt, dass der Arbeitnehmer in seiner Freiheit zur Eheschließung rechtlich nicht eingeschränkt ist und diese lediglich mittelbar Folgen entfaltet,394 so begibt er sich jedenfalls nicht von vornherein seines Rechtes zur Eheschließung; vergessen werden darf ja auch nicht, dass die katholische Kirche gerade ein besonders starkes Familienbild propagiert.395 Zuletzt trifft auch ein vorbehaltlos gewährtes Grundrecht keine rechtliche Aussage über seine Abdingbarkeit.

Die Antwort ist daher viel naheliegender: Ein Grundrechtsverzicht ist in dem Maße möglich, wie er ohne Verletzung des ordre publics vereinbart werden kann. M.a.W.: Die Reichweite der Selbstverwaltungsgarantie und die Möglichkeiten zur vertraglichen Selbstbindung des Arbeitnehmers stellen hier zwei Seiten derselben Medaille dar. Die Ausübung des Selbstverwaltungsrechts kann also die Grundrechte der Arbeitnehmer nie völlig ignorieren. Liegt folglich ein unzulässiger Grundrechtsverzicht vor, dann verstößt die kirchliche Richtlinie auch ohne weiteres gegen die Schrankentrias und ist damit vom Selbstbestimmungsrecht nicht mehr gedeckt – und umgekehrt. Dies lässt sich bereits ohne nähere inhaltliche Auseinandersetzung mit der Schrankentrias festhalten.396

b. Freiwilligkeit

Am Vorliegen der zu fordernden Freiwilligkeit kann im Grundsatz nicht gezweifelt werden.397 Dagegen mag vorgebracht werden, dass der Grundrechtsverzicht im Arbeitsrecht auch aufgrund des dort vorherrschenden strukturellen Ungleichgewichts zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer besonders problematisch sei – nicht zu verkennen ist auch, dass die Loyalitätsobliegenheiten ohne Teilhabe der Arbeitnehmer arbeitgeberseitig vorgegeben werden398 –, und dass die zumindest regional vorliegende Quasi-Monopolstellung in karitativen Bereichen dem Arbeitnehmer wenig Entscheidungsspielraum lässt.399

Die Selbstverwaltungsgarantie stellt jedoch, wie bereits dargelegt, gerade kein Arbeitgeberprivileg dar,400 und auch das Argument einer regionalen Quasi-Monopolstellung kann zumindest vor dem Hintergrund der heutigen Mobilitätsgesellschaft nicht als schlagend angesehen werden.

Auch die jederzeitige Widerruflichkeit des Grundrechtsverzichts stellt hier kein Problem dar. Zum einen bleibt der – den Grundrechtsverzicht beinhaltende – Arbeitsvertrag für den kirchlichen Arbeitnehmer selbstverständlich frei kündbar, zum anderen droht als schwerste Konsequenz „lediglich“ die Kündigung und damit gerade die Beendigung des Grundrechtsverzichts. Dies folgt zwanglos aus der Rechtsnatur der kirchlichen Loyalitätserwartungen als Obliegenheiten.

Voraussetzung für die Freiwilligkeit ist allerdings tatsächlich, dass der Arbeitnehmer die Folgen seiner Einwilligung hinreichend konkret abschätzen kann.401 Dies bedeutet, dass die einschlägigen Loyalitätsrichtlinien hinreichend bestimmt formuliert sowie in geeigneter Art und Weise zugänglich gemacht werden müssen, sowie dass ein Zusammenhang zum Wesen der Kirche notwendig und damit auch darlegungsfähig sein muss.402

3. Zwischenfazit

Kirchliche Arbeitnehmer verzichten in dem Maß auf den Schutz durch ihre Grundrechte, in dem die Loyalitätsrichtlinien der Religionsgemeinschaften nicht gegen die dargestellte Schrankentrias verstoßen. Dies ist nicht erst auf Ebene der Abwägung zu beachten, sondern vielmehr eine schlichte Vorbedingung für das wirksame Eingehen derartiger arbeitsvertraglicher Verpflichtungen.403

III. Grenze der Loyalitätsobliegenheiten

Als Grenze der religiösen Kompetenz zur verbindlichen Festlegung kündigungswesentlicher Loyalitätsobliegenheiten sind also die Grundprinzipien der Rechtsordnung zu nennen, nicht abschließend also insbesondere das allgemeine Willkürverbot als Art. 3 I GG, das Verbot der Sittenwidrigkeit gemäß § 138 BGB und der ordre public, geregelt in Art. 6 EGBGB.404

Fraglich ist, ob darüber hinaus auch eine Inhaltskontrolle durchgeführt werden kann, wie von einigen Autoren gefordert.405 So wird vorgeschlagen, dass die Folgerichtigkeit und Plausibilität kirchlicher Vorgaben von den Fachgerichten zu überprüfen seien.406 Herangezogen wird dazu die Entscheidung des BVerfG zum Körperschaftsstatus der Zeugen Jehovas407: Das BVerfG würde auch hier inhaltlich prüfend tätig werden.408 Diese Begründung trägt aber gerade nicht. Vielmehr erkennt das BVerfG hier die religiösen Vorgaben ausdrücklich und vollumfänglich an und prüft lediglich in Hinblick auf deren mögliche Auswirkungen.409 Zudem kann auf die strukturellen Unterschiede zum allgemeinen Tendenzschutz sowie insbesondere auf das staatliche Neutralitätsgebot verwiesen werden, das keine staatliche Kirchenhoheit – und damit Überprüfung von kirchlichen Vorgaben – gestattet. Täuschen lassen sollte man sich allerdings auch nicht: Die Messung an den Grundprinzipien der Rechtsordnung ist nichts anderes als eine – wenn auch äußerst rudimentäre – inhaltliche Überprüfung.

Sicherlich kann aber auch hier festgehalten werden: In formeller Hinsicht kann dieser Meinung entgegengekommen und ein Kompromiss erreicht werden, der nicht zu Lasten der Kirchenautonomie geht. Zwar sind die kirchlichen Vorgaben nicht über das Gesagte hinaus materiell zu bewerten, erwartet werden kann aber eine umfangreiche Darlegung und Beweisführung seitens der kirchlichen Arbeitgeber sowohl bezüglich der religionsspezifischen Notwendigkeit der Loyalitätspflichten und bezüglich der Frage, ob diese in hinreichendem Maße die Interessen der Arbeitnehmer berücksichtigen, als auch bezüglich ihrer korrekten Anwendung im Einzelfall.

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