Читать книгу: «Die Rede von Gott Vater und Gott Heiligem Geist als Glaubensaussage», страница 2
Auch wenn in den beiden Konferenzen nicht alle denkbaren Aspekte behandelt werden konnten, so liegt nun mit den beiden »Credo-Bänden« eine durchaus ambitionierte, facettenreiche und vor allem konsequent interdisziplinäre Gesamtdeutung des Apostolischen Glaubensbekenntnisses vor, das wohl schon aufgrund seines verbreiteten Gebrauchs das bekannteste und wichtigste Bekenntnis der Kirche sein dürfte. Die beiden Bände bringen sehr unterschiedliche Perspektiven auf die einzelnen Topoi miteinander in ein mitunter |12|recht kontroverses Gespräch und ermöglichen hoffentlich in einer breiten Rezeption eine neue Weise der Annäherung an alte Inhalte. Das gilt auch und wohl vor allem für diejenigen, die als Studierende der Theologie auf ihrem Weg ins Pfarramt auf die Bekenntnisse der Kirche ordiniert oder als Religionslehrerinnen und Religionslehrer mit der Vocatio durch die Landeskirchen doch zumindest auf diese Bekenntnisse vor ihrem Gewissen verpflichtet werden. Wer, wenn nicht sie, müsste sprachfähig werden, um darüber in den jeweiligen Berufsfeldern zeitgemäß Auskunft geben zu können! Und zwar so, dass Menschen in den Bekenntnissen nicht (nur) verstaubte Inhalte sehen, die man eben irgendwie glauben müsse, um Christ oder Christin sein zu können. Vielmehr geht es darum zu entdecken, welchen weiten Raum des Glaubens und des theologischen Denkens Bekenntnisse eröffnen, welche Möglichkeiten und Ermutigungen, den je eigenen Glauben zu formulieren und bewusst mit dem »Glauben der Alten« in einen kritischen und innovativen Dialog zu bringen. Die von Anne Käfer und Jörg Frey formulierten und jedem thematischen Teil vorangestellten Leittexte sowie die sich an die Themenbeiträge anschließenden Fragen zu weiterführender theologischer Arbeit sollen insbesondere Studierenden der Theologie Anregungen geben, den Weg eigener Entdeckungen mit dem Bekenntnis zu beschreiten.
Schließen möchte ich mit einer persönlichen Bemerkung. Als ich selbst mich vor mehr als dreißig Jahren auf das erste theologische Examen vorbereitete, ist mir ein Satz aus einer Vorlesung zu den lutherischen Bekenntnisschriften besonders in Erinnerung geblieben, dessen Bedeutung mir zwar zunächst verschlossen blieb, der aber für mein theologisches Arbeiten wie für meine Glaubensweise dann zunehmend wichtig geworden ist: Bekenntnisse seien dazu da, sich selbst überflüssig zu machen.[4] In jemandem, der »Theologie |13|durchaus studiert, mit heißem Bemühn«[5], regt sich natürlich sofort der Widerspruch: Bekenntnisse sind doch schließlich die Grundlage des Glaubens und der Kirche, auf die man ordiniert wird und damit eine bleibende Verbindlichkeit erlangen. Warum um alles in der Welt sollten sie sich selbst überflüssig machen? Vielleicht helfen ja die Beiträge der beiden »Credo-Bände«, gerade diese Dimension des Bekenntnisses zu entdecken und sie als Herausforderung anzunehmen. In seinem Beitrag zu diesem Band spricht Michael Beintker etwas ganz Ähnliches an, wenn er im Hinblick auf Theologinnen und Theologen von der lebenslangen Aufgabe des Glaubens spricht, nämlich zu lernen, was es mit dem Bekenntnis und den darin formulierten Verheißungen auf sich hat: »Die Beschäftigung mit dem Glaubensbekenntnis ist nicht das Privileg von Theologinnen und Theologen, aber gerade Theologinnen und Theologen sollten sich auf diesen lebenslangen Lernprozess einstellen. Weil sie durch ihr Studium und ihre Profession über gewisse Erkenntnisvorsprünge verfügen und ihnen beachtliche Theoriestrategien zur Verfügung stehen, können sie schneller übersehen, dass auch sie Lernende bleiben und mit dem Entdecken und Verstehenwollen nicht aufhören dürfen« (566).
Ehe die Lektüre der Beiträge begonnen wird, sei noch auf vier Abkürzungen hingewiesen, die vielleicht nicht allen Lesenden so geläufig sind wie den Autorinnen und Autoren. Diese verweisen vielfach auf Artikel aus den beiden großen theologischen Lexika TRE (Theologische Realenzyklopädie, Berlin/New York 1977–2004) und RGG (Religion in Geschichte und Gegenwart, Tübingen 1998–2007). Die Abkürzungen BSLK und BSELK weisen auf zwei unterschiedliche Ausgaben der lutherischen Bekenntnisschriften hin, die beide in Göttingen erschienen. Die ältere Edition trägt den Titel »Die Bekenntnisschriften der evangelisch-lutherischen Kirche« (BSLK) und stammt aus dem Jahr 1930. 2014 wurde eine vollständige Neuedition unter dem Titel »Die Bekenntnisschriften der Evangelisch-Lutherischen Kirche« (BSELK; hg. v. I. Dingel) publiziert.
Fußnoten
1
Vgl. J. Herzer/A. Käfer/J. Frey (Hg.), Die Rede von Jesus Christus als Glaubensaussage. Der zweite Artikel des Apostolischen Glaubensbekenntnisses im Gespräch zwischen Bibelwissenschaft und Dogmatik (UTB 4903), Tübingen 2018.
2
Vgl. dazu auch R. LEONHARDT, Die Bedeutung von Bekenntnissen in Theologie und Kirche zwischen Anspruch der Tradition und aktuellen Herausforderungen, in: Herzer/Käfer/Frey, Die Rede von Jesus Christus (s. Anm. 1), 55–82.
3
Vgl. dazu den Beitrag von Peter Gemeinhardt in diesem Band.
4
Vgl. dazu E. JÜNGEL, Bekenntnis und Bekennen (1968), in: DERS., Ganz werden. Theologische Erörterungen V, Tübingen 2003, 76–88, 88: »Bekenntnisse sind also kein Besitz für immer. Sie sind für die jeweilige Zeit und gehören zum täglichen Brot. Sie sind dem wahr machenden Worte Gottes folgsame menschliche Worte, die nichts anderes wollen können, als andere menschliche Worte zu derselben Folgsamkeit gegenüber dem Worte Gottes zu ermuntern und zu verpflichten. Sie sind also gerade im Gebrauch dazu da, sich selber überflüssig zu machen. Aber eben dazu sind sie da. Und je besser ein Bekenntnis sich selbst überflüssig und Gottes wahr machendes Wort allein notwendig macht, desto bleibender ist seine Bedeutung.«
5
J. W. von Goethe, Faust. Der Tragödie erster und zweiter Teil, hg. v. K.-M. Guth, Berlin 2015, 16. Aus hier nicht zu erörternden Gründen setzt Goethe in diesem berühmten Text des Gelehrten Faust bekanntlich ein »und leider auch« vor die Theologie, das hier bewusst nicht mit zitiert wird, weil das Theologiestudium natürlich alles andere als eine bedauerliche Veranstaltung ist, sondern eines der interessantesten und anregendsten studiorum, die man sich vorstellen kann.
|15|Vom Werden des Apostolikums
Peter Gemeinhardt
1. Die apostolische Schöpfung des Credos – Dichtung und Wahrheit
Das Faltblatt mit dem Programm der Tagung, auf der dieser Text vorgetragen wurde, zeigte einige der zwölf Apostel mit Büchern, auf deren Seiten einzelne Zeilen des Apostolikums zu lesen sind. Die Bilder stammen von einem 1424 geschaffenen Altar aus der Kirche des Barfüßerklosters in Göttingen.[1] Zwar steht die Kirche seit fast zweihundert Jahren nicht mehr, der Altar befindet sich im Niedersächsischen Landesmuseum in Hannover. Er leitet aber die hier zu verfolgende Fragestellung auf kongeniale Weise ein: Setzt er doch eine, ja die Vorstellung des abendländischen Mittelalters vom Werden des Apostolikums ins Bild. Und dieses beginnt, wie mancher vielleicht überrascht zur Kenntnis nehmen wird, mit dem Pfingstwunder:
»Danach ›kehrten‹ die Jünger des Herrn ›nach Jerusalem zurück‹ und ›hielten einmütig fest am Gebet‹ (Apg 1,12.14) bis zum zehnten Tag, welcher Pfingsten ist und der Fünfzigste genannt wird, einem Sonntag; und an diesem Tag zur dritten Stunde ›geschah plötzlich vom Himmel ein Geräusch wie das eines gewaltigen herbeikommenden Windes und erfüllte das ganze Haus, in dem‹ die Apostel ›saßen. Und es erschienen unter ihnen zerteilte Zungen wie von Feuer, und dieses saß auf jedem einzelnen von ihnen, und alle wurden sie erfüllt vom Heiligen Geist und begannen in anderen Zungen zu sprechen, wie ihnen der Heilige Geist zu reden eingab‹ (Apg 2,2–4), und sie stellten ein Symbol zusammen, nämlich dieses:
Petrus sagte: ›Ich glaube an Gott, den allmächtigen Vater, den Schöpfer des Himmels und der Erde.‹ – Johannes: ›Und an Jesus Christus, seinen eingeborenen Sohn, unseren Herrn.‹ – Jakobus: ›Empfangen aus dem Heiligen Geist, geboren aus der Jungfrau Maria.‹ – Andreas: ›Gelitten unter Pontius Pilatus, gekreuzigt, gestorben und begraben.‹ – Philippus sagte: ›Er stieg |17|hinab in die Unterwelt.‹ – Thomas: ›Am dritten Tage erstand er von den Toten auf.‹ – Bartholomäus: ›Er stieg hinauf zum Himmel; er sitzt zur Rechten Gottes, des allmächtigen Vaters.‹ – Matthäus: ›Von dort wird er kommen, um die Lebenden und die Toten zu richten.‹ – Wiederum Jakobus, (Sohn) des Alphäus: ›Ich glaube an den Heiligen Geist.‹ – Simon Zelotes: ›Die heilige katholische Kirche.‹ – Judas, (Sohn) des Jakobus: ›die Gemeinschaft der Heiligen, die Vergebung der Sünden.‹ – Ebenso Thomas: ›die Auferstehung des Fleisches, das ewige Leben. Amen.‹«[2]
Wie unschwer zu erkennen ist, tritt in dieser Erzählung das Apostolikum an die Stelle, die in der Apostelgeschichte die Pfingstpredigt des Petrus (Apg 2,14–36) einnimmt. Statt eines individuellen folgt ein kollektiver Sprechakt: Nicht einer spricht für alle, vielmehr sind alle Apostel namentlich und mit einem jeweils präzise benannten Beitrag an der Verkündigung des Evangeliums beteiligt. Genauer gesagt nehmen sie teil an der Verfertigung des »Symbols«, d.h. des »Leitfadens« oder der »Richtschnur« für diese Verkündigung, das zugleich auch als |18|»Passwort« verstanden werden konnte, das den Taufbewerbern den Weg zum Empfang des Sakraments eröffnet – wir kommen auf diese Praxis weiter unten zu sprechen. Hier sei zunächst festgehalten: Das Apostolikum, wie wir es bis heute kennen und im Gottesdienst der evangelischen und katholischen Kirchen gebrauchen, ist ein Gemeinschaftswerk aller zwölf Apostel.
Wirklich aller? Wer genau hinsieht, bemerkt, dass einer, nämlich Thomas, zwei Redebeiträge liefert. Es treten also nur elf Sprecher auf, obwohl doch dem Narrativ der Apostelgeschichte zufolge ein neuer zwölfter Apostel, Matthias, bereits vor dem Pfingstereignis ausgelost worden war (Apg 1,15–26) und sich an der geistbewegten Formulierung des Symbols hätte beteiligen können, ja sollen. Hat der Verfasser der Erzählung diesen Ergänzungsspieler übersehen oder bewusst übergangen? Oder gibt es einen inhaltlichen Grund dafür, dass ausgerechnet Thomas eine so prominente Rolle einnimmt? Schon Ferdinand Kattenbusch vermutete, Pirmin lege nicht zufällig beide Erwähnungen der resurrectio – die bereits erfolgte Christi und die noch erwartete der Gläubigen – dem Auferstehungszweifler Thomas in den Mund.[3] Das ist eine ansprechende Vermutung, die freilich in der Quelle keinen ausdrücklichen Anhalt findet. Auch wenn man andere mittelalterliche Texte einbezieht, in denen eine solche zwölfteilige Formulierung des Apostolikums zu finden ist, wird die Sache nicht eindeutiger: Manche gewähren ebenfalls Thomas einen doppelten Auftritt, andere nicht; dort kommt, wie zu erwarten wäre, Matthias zu Wort. Darüber hinaus lässt sich die jeweilige Reihenfolge der apostolischen Wortmeldungen nur in einigen Fällen auf die im Neuen Testament bezeugten (schon hier voneinander abweichenden) Apostellisten (Mt 10,1–4 parr Mk 3,13–19 und Lk 6,12–16; Apg 1,13f.26) zurückführen; andere Texte, so auch der eingangs erwähnte Göttinger Barfüßeraltar, ordnen die Redebeiträge der Apostel ohne erkennbaren biblischen Bezug an.[4] Halten wir also als ein weiteres |19|vorläufiges Ergebnis fest: »Die« Geschichte von »der« gemeinsamen Formulierung des Glaubensbekenntnisses für die individuell zu leistende, aber kollektiv zu verantwortende Mission gibt es nicht.
Dieser Befund lässt sich generalisieren: »Das« Werden »des« Apostolikums, von dem dieser Beitrag handeln soll, ist nicht mit knappen und eindeutigen Strichen zu beschreiben. Denn das Apostolikum war über Jahrhunderte im Werden. Der oben zitierte Text stammt von Pirmin, der im späten Merowingerreich das Kloster Hornbach am Rande der Vogesen gründete und dort bis zu seinem Tod 753 wirkte. Pirmins Scarapsus gilt oft als erster Zeuge für das Apostolikum, genauer: für dessen textus receptus, also für denjenigen Text, der als »Normtext« für die abendländischen Kirchen gelten kann, insofern er im Ordo Romanus aus dem Jahr 1568 und in den 1580 kodifizierten lutherischen Bekenntnisschriften zu finden ist.[5] Das trifft cum grano salis auch zu, wenn man über einige marginale Abweichungen hinwegsieht[6] und wenn man die Frage der möglichen Priorität anderer Kandidaten mangels eindeutiger Indizien für eine Entscheidung auf sich beruhen lässt: Praktisch buchstabenidentische Textfassungen finden wir in einem ohne Kontext überlieferten Text des Credos, in einem Sakramentar aus der sogenannten Collectio Gallica Vetus (dazu sogleich) |20|und in zwei pseudaugustinischen Predigten, von denen eine sogar auf das 6. Jahrhundert zurückgehen mag.[7] Wie dem auch sei: »Der« Text »des« Apostolikums ist erst am Übergang von der Spätantike zum Frühmittelalter bezeugt, und er war nur einer von zahlreichen Texten, die unter dem Label »apostolisch« kursierten. So hat der Textbestand des Bekenntnisses, das wir bis heute als »Apostolisches Glaubensbekenntnis« liturgisch verwenden, zwar ein stolzes Alter von immerhin über 1200 Jahren, aber er reicht in keinem Fall volle 2000 Jahre, also in die Zeit der Apostel, zurück – und, wie wir sehen werden, auch nicht in die Zeit der Apostelschüler oder -enkel.
Die bisherigen Bemerkungen sollten deutlich gemacht haben, dass die Frage nach dem »Werden des Apostolikums« von der Existenz einzelner Textzeugen ausgehen muss, die teils unmittelbar durch die handschriftliche Überlieferung, teils in indirekter Bezeugung in späteren literarischen oder liturgischen Kontexten zugänglich sind. Wir müssen also beachten, was in welcher Zeit und in welchem geographischen Raum »wurde« und wo sich Ähnlichkeiten, ja Konvergenzen ergeben. Um bei den bisher genannten Texten zu bleiben: Diese werden in der Forschung übereinstimmend in Gallien verortet; daher kam Pirmin, und dort entstand auch das bereits erwähnte, in der Collectio Gallica Vetus erhaltene Sakramentar, in das vielleicht schon in der Mitte des 7. Jahrhunderts der Textus receptus des Apostolikums eingefügt wurde. Auch hier spricht nicht Matthias, sondern Thomas den letzten Satz.[8] John N.D. Kelly hat vor fast einem halben Jahrhundert mit Blick auf das mehrfache frühe Auftreten dieses Textes die These vertreten, dass das Apostolikum in seiner später universal gültigen Form im Laufe des 7. Jahrhunderts in Südwestgallien entstanden sei; im Zuge der Reformmaßnahmen in der Zeit Karls des Großen sei es im Frankenreich als Taufbekenntnis quasi kanonisiert und im 10. Jahrhundert auf fränkischen Druck dann auch – »endlich!«, so |21|mag man zwischen den Zeilen lesen – in Rom übernommen worden.[9] Ob der Überlieferungsbefund eine so eindeutige Lokalisierung zulässt, ist allerdings fraglich. Es bieten sich auch andere Kandidaten an: Den ersten Text, der der später normativen Fassung erkennbar ähnelt und der in der Forschung klassischerweise als »Romanum« bezeichnet wird, findet man schon im 4. Jahrhundert, allerdings ausgerechnet in einem im Jahr 341 nach Rom gerichteten Brief und obendrein in griechischer Sprache. Ob mit dieser Schrift etwas Neues nach Rom kam oder im Gegenteil etwas Römisches durch einen in Rom um Hilfe nachsuchenden Kleinasiaten zitiert wurde, ist Thema einer angeregten Forschungskontroverse in jüngerer Zeit und wird unten eingehender diskutiert werden.
In den Jahrhunderten zwischen diesem ersten Auftreten des Romanums und der textlichen Stabilisierung des Apostolikums bieten die Quellen eine regionale Vielfalt von mehr oder weniger voneinander abweichenden Texten des Glaubensbekenntnisses, das den Aposteln zugeschrieben wird. Liuwe Westra hat vorgeschlagen, diese Varianten als konkrete regionale »Typen« zu verstehen.[10] Das erklärt manches, aber nicht alles. Mögen auch, wie schon Kelly betonte, die Zeugen für den späteren Textus receptus überwiegend aus Gallien stammen, so trifft dies für den ersten bekannten Zeugen der Zuweisung einzelner Sätze an die Zwölf nicht zu: Es handelt sich um eine anonyme Schrift aus dem 5. oder 6. Jahrhundert, die weder in Rom noch in Gallien, sondern in Norditalien entstand. Unter dem Titel »Über den Glauben an die Trinität, auf welche Weise man ihn auslegt«[11] beginnt dieser Text mit einer Einleitung, die wörtlich mit den ersten Sätzen des Athanasianums übereinstimmt,[12] lässt dann das »apostolische« Credo folgen und schließt mit einer Reflexion der |22|Trinität, die stark an das Nizäno-Konstantinopolitanum erinnert und in knapper Form das entfaltet, was man als lateinischen Neunizänismus bezeichnen kann.[13] Diese Zusammenstellung erinnert an das Neben- und Miteinander der tria symbola Apostolikum, Athanasianum und Nizänum in den lutherischen Bekenntnisschriften, nur dass hier alle drei Zugänge zum Glauben in einen textlichen Zusammenhang gebracht werden. Für das frühe Mittelalter ergibt sich damit ein wichtiger Hinweis: Auf unterschiedliche Weise entstandene Texte werden zusammen gelesen und ergeben ein de facto nicht spannungsfreies, aber offenbar als kohärent wahrgenommenes Ensemble, und zwar insgesamt mit apostolischer Autorisierung. Wir müssen also nicht nur zwischen verschiedenen Textvarianten und -formen des werdenden Apostolikums unterscheiden, sondern auch die Einbettung dieser Texte in ihre Kontexte bedenken, denn ein apostolisches Pedigrée wurde offensichtlich auch weiteren Texten zugeschrieben.
Damit dürften hinreichend Warnschilder aufgestellt sein, um endlich in medias res gehen zu können. Im Folgenden will ich dem Werden des Apostolikums in drei Schritten nachspüren: Ein erster Gang führt uns vom apostolischen Kerygma zur Entstehung als apostolisch deklarierter Glaubensbekenntnisse (Abschnitt 2.). Sodann kommen frühe Formen des späteren »Apostolikums«, insbesondere das jüngst wieder diskutierte »Romanum« in den Blick; es ist dabei zu fragen, ab wann wir mit welchen Gattungen rechnen können und wo »Römisches« und »Apostolisches« zusammenfinden (Abschnitt 3.). Schließlich muss untersucht werden, was dem Glaubensbekenntnis vom frühchristlichen Kerygma bis zum »fertigen« Apostolikum an Glaubensgehalten zugewachsen ist – das ist vor allem eine entfaltete Summe des Christusgeschehens, aber auch die communio sanctorum (Abschnitt 4.).
Ich stütze mich bei alledem auf neuere Forschungen zu den Glaubensbekenntnissen aus dem zurückliegenden Vierteljahrhundert, insbesondere aber auf die 2017 erschienene, umfassende Quellensammlung »Faith in Formulae« von Wolfram Kinzig und auf dessen |23|weitere Arbeiten, denen nicht nur die Erschließung und Einordnung bisher unbeachteten Materials, sondern auch neue Erkenntnisse und Hypothesen zum Thema zu verdanken sind.[14] Doch stellt gerade die erwähnte Quellensammlung die Komplexität der Überlieferungs- und Interpretationsgeschichte vor Augen und macht en passant deutlich: Über das Apostolikum und seine zahlreichen Verwandten ist das letzte Wort noch nicht gesprochen. Es kann naturgemäß auch im begrenzten Rahmen dieses Beitrags nicht gesprochen werden. Was Dichtung und was Wahrheit des Apostolischen am Apostolikum ist, hoffe ich freilich aufzeigen zu können; damit den Rahmen für die weiteren Beiträge im vorliegenden Band abzustecken, ist das Ziel meines Beitrags, weshalb dessen Einsichten in der Schlussbemerkung (5.) noch einmal pointiert zusammengefasst werden.[15]
2. Vom apostolischen Kerygma zu apostolischen Glaubensbekenntnissen
2.1. Das eine Symbolum und die vielen Apostel
Die Vorstellung, die auf dem Göttinger Barfüßeraltar dokumentiert ist, dass die zwölf Apostel je einen Satz zum authentischen Bekenntnis des christlichen Glaubens beisteuerten, begegnet – wie gesagt – erst am Ausgang der Spätantike. Der Gedanke einer gemeinsamen Verantwortung der Apostel für den von ihnen zu verkündigenden Glauben und seine Formulierung ist jedoch erheblich älter. Das Missionsnarrativ der Apostelgeschichte wurde seit dem 2. Jahrhundert |24|einerseits im Blick auf das individuelle Geschick der ersten Jünger Jesu fortgeschrieben – das Ergebnis ist das Corpus der sogenannten apokryphen Apostelakten.[16] Doch gilt schon dem 1. Clemensbrief (verfasst um das Jahr 100 n. Chr.) auch die kollektive Tätigkeit der Apostel als fundamental für die Ausbreitung des Evangeliums:
»(Die Apostel) wurden durch die Auferstehung unseres Herrn Jesus Christus mit Gewißheit erfüllt und durch das Wort Gottes in Treue gefestigt, zogen dann mit der Fülle des Heiligen Geistes aus und verkündeten die frohe Botschaft vom Kommen des Gottesreichs.«[17]
Ein Dreivierteljahrhundert später stellt Irenaeus von Lyon († nach 190 n. Chr.) fest, die christliche Wahrheit sei nirgendwo anders als in der Kirche zu finden, »denn die Apostel haben in ihr wie in einem großen Vorratsraum alles in größter Vollständigkeit zusammengetragen, was zur Wahrheit gehört, so daß jeder, der will, aus ihr den Trunk des Lebens nehmen kann (vgl. Offb 22,17).«[18] Tertullian († nach 215) beschreibt, wie Christus seine zwölf Jünger als »Lehrer für die Heiden bestimmte«,[19] und postuliert (wie bereits Irenaeus), dass die rechte christliche Lehre in den von den Aposteln selbst gegründeten Gemeinden zu finden sei, da die Wahrheit das sei, »was die Gemeinden von den Aposteln, die Apostel von Christus, Christus von Gott empfingen.«[20] Wir beobachten hier jenen Prozess der Formierung kirchlicher Identität, den Georg Kretschmar vor dreißig |25|Jahren treffend als »Sammlung um das apostolische Evangelium« bezeichnet hat,[21] den man in moderner Diktion aber auch als Institutionalisierung beschreiben könnte, als Entwicklung von Formen und Medien der Gewährleistung von Dauerhaftigkeit im Wandel.[22] In einer Phase der Herausbildung trennscharfer Unterscheidungen von »Orthodoxie« und »Häresie« – was voraussetzt, dass solche Differenzbestimmungen material und kategorial eben noch nicht fixiert waren – diente die Berufung auf »das Apostolische« als Kriterium,[23] und zwar gerade nicht aufgrund der individuellen, sondern der kollektiven Verkündigung der Apostel. Die rechten Jünger Jesu konnten in Bezug auf den ihnen von Christus anvertrauten Glauben auf keinen Fall uneins gewesen sein!
Die Frage ist nun, in welcher Form der apostolische Glaube zugänglich war, den die Apostel den Gemeinden hinterlassen hatten. Für spätere Generationen galt diese Frage längst als geklärt. Ambrosius von Mailand (†397) leitete seine Explanatio Symboli ad initiandos, eine Darlegung des bei der Taufe zu bekennenden Glaubens, die um 390 geschrieben wurde, mit einer Bezugnahme auf die Gestalt dieses Glaubens ein:
»Die heiligen Apostel kamen also zusammen und verfertigten eine kurze Zusammenfassung des Glaubens, damit wir in knapper Form die folgerichtige Anordnung des ganzen Glaubens erfassen sollen. Kürze tut nämlich not, damit dieser stets im Gedächtnis und in lebhafter Erinnerung gehalten werden möge.«[24]
|26|Wenige Zeilen später spricht Ambrosius ausdrücklich von einem symbolum – einem »Erkennungszeichen« für Christen, mit dem die Katechumenen, an die er seine Predigt richtete, vertraut gemacht werden sollten.[25] Zutreffend leitet Ambrosius den Begriff symbolum aus dem Griechischen ab, bestimmt seine Bedeutung im Lateinischen aber irrigerweise als collatio, dessen Etymologie nicht zu σύμβολον, sondern zu συμβολή führt.[26] Auch Rufin von Aquileia (†411/12) referiert die fälschliche Ableitung, bietet daneben als Alternative jedoch die zutreffenden Synonyme indicium und signum.[27] Der Begriff symbolum, den später auch Pirmin verwendet, begegnet im Christentum seit Tertullian, jedoch erst seit dem späten 4. Jahrhundert mit Bezug auf einen fixierten Text.[28] So definiert der jüngere Zeitgenosse des Ambrosius, Niketas von Remesiana († ca. 414), symbolum wie folgt:
»Ein symbolum ist ein Medium der Erinnerung an den Glauben und ein heiliges Bekenntnis, welches gemeinschaftlich von allen gehalten und gelernt wird.«[29]
Hier und ebenso bei etwa zeitgleich wirkenden Theologen wie Rufin oder Augustin (†430), aber schon bei Ambrosius sind die symbola, die Katechumenen erklärt werden, Glaubensbekenntnisse im Sinne feststehender Texte, die dem uns bekannten Apostolikum mehr oder weniger ähneln. Auf die Textgestalt(en) kommen wir noch zu sprechen. Hier sei zunächst darauf hingewiesen, dass die Autorisierung durch alle Apostel, die schon im frühen Christentum zu beobachten ist, bei Ambrosius noch durch die Präzisierung als zwölf Apostel erweitert wird: »Da es nun also zwölf Apostel sind, gibt es auch zwölf einzelne Sätze«[30] – die dann auch zitiert werden, aber ohne sie in |27|diesem Text ausdrücklich mit Namen zu verbinden. Umgekehrt zählen die zwischen 375 und 400 n. Chr. in Antiochien aus teils viel älterem Material kompilierten Apostolischen Konstitutionen namentlich alle zwölf Apostel (nach Mt 10,1–4 und Apg 1,26) auf, referieren aber ohne eine konkrete Aufteilung in Bekenntnissätze »die katholische Lehre als Stütze für euch, denen die Aufsicht über die ganze (Kirche) anvertraut ist.«[31] Eine ähnliche Transformation ist im 4. Jahrhundert in frühchristlichen Kirchenordnungen zu verzeichnen: So wurden Textteile aus der um 100 n. Chr. verfassten Didache in mindestens zwei Fällen auf elf (!) Apostel aufgeteilt.[32] Es lag offensichtlich nahe, auch das dem Apostelkollektiv zugeschriebene symbolum des Glaubens zu (re-)individualisieren.