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3. Empirische Zugänge zur Pluriarealität – das Projekt ‚Variantengrammatik des Standarddeutschen‘
3.1. Gebrauchsstandard als Untersuchungsgrundlage

Die Untersuchungsbasis der ‚Variantengrammatik des Standarddeutschen‘ – d.h. das, was man als Standarddeutsch ansehen kann – ist der sogenannte „Gebrauchsstandard“ (Ammon 1995: 88, 94), der auf standardsprachliche Kommunikation abzielende (aber [noch] nicht in Nachschlagewerken kodifizierte) Formen meint. Diese Formen sind pro Areal funktional äquivalent (vgl. Scherr & Niehaus 2013: 78–79), d.h. areal unterschiedliche Varianten haben die gleiche Funktion, der Kommunikation auf Standarddeutsch zu dienen, und befinden sich deshalb alle innerhalb des Standarddeutschen (das gilt nicht nur arealübergreifend, sondern auch für Mehrheits- und Minderheitsvarianten innerhalb eines Areals). Genau genommen gibt es also nicht den Gebrauchsstandard, sondern mehrere Gebrauchsstandards, wobei nach pluriarealer Vorstellung die Anzahl dieser nicht von vornherein fest ist (im Gegensatz zum nach Nationen einteilenden plurizentrischen Ansatz). Diese Definition von Standarddeutsch geht vom Sprecher und Schreiber, nicht vom Rezipienten aus.

Die Vorgehensweise des Projekts ‚Variantengrammatik des Standarddeutschen‘, die ich im Folgenden näher erläutere, beschränkt sich auf die geschriebenen Gebrauchsstandards des zusammenhängenden deutschsprachigen Raums. Ich gehe hier noch weiter auf die Eingrenzung geschriebener Gebrauchsstandards ein, indem ich die Quellenauswahl begründe. Die areale Zusammensetzung bzw. Sektoralisierung der Quellen beschreibe ich dann im folgenden Schritt, im Kapitel über das Korpusdesign.

Es besteht mittlerweile weitgehend Einigkeit darüber, dass man das Deutsch, das in Zeitungen verwendet wird, als Standarddeutsch klassifizieren kann. Eisenberg (2007: 217) will dies noch auf überregionale Zeitungen beschränkt wissen. Diese Beschränkung scheint nicht ganz nachvollziehbar, wenn man der Definition des Gebrauchsstandards folgt, denn Eisenbergs Quellenauswahl suggeriert, der Sportteil der Frankfurter Allgemeinen wäre standarddeutsch, der Politikteil einer Regionalzeitung hingegen nicht unbedingt (vgl. Dürscheid et al. 2011: 126). Auch andere Gründe sprechen gegen die Beschränkung auf überregionale Zeitungen: So scheint es durchaus zulässig, nicht nur die relativ kleine schreibende Elite der Journalisten, sondern auch die große Menge regionaler Journalisten in den Blickpunkt einer Analyse zu rücken. Dass diese in Zeiten, da in der öffentlichen Kommunikation in Ländern mit Deutsch als Amtssprache kaum eine andere Varietät als Standarddeutsch akzeptiert wird, tatsächlich nicht standarddeutsch schrieben, erscheint äußerst unrealistisch (und entspricht außerdem wohl kaum ihren Intentionen).

Hinzu kommt noch ein weiterer Vorteil bei der Analyse von Regionalzeitungen: eine erhöhte Wahrscheinlichkeit, überhaupt auf areale Varianten der deutschen Standardsprache zu stoßen. Denn, so meint etwa Hugo Moser, diese fänden sich „vor allem im Deutsch der Zeitungen, namentlich in den regionalen, viel weniger in den überregionalen und auch für Leser anderer Gebiete bestimmten Blättern wie im wissenschaftlichen und schönen Schrifttum“ (Moser 1982: 328).1 Gerade also, wenn man Antworten auf die Frage nach der Arealität des Standarddeutschen sucht, sollte man sich auf die Regionalzeitungen konzentrieren – auch, um etwa Entscheidungen zugunsten eines arealen Modells (Plurizentrik vs. Pluriarealität) auf empirischer statt politischer Basis zu fällen.

3.2. Korpusdesign und korpuslinguistische Methodik

Die ‚Variantengrammatik des Standarddeutschen‘ hat zum Ziel, eine Grammatik in Form eines stichwort-alphabetischen Nachschlagewerks vorzulegen, das für Laien wie für Forscher gleichermaßen verständlich und zugänglich ist. In einem ersten Schritt wird dazu zunächst online ein Wiki erstellt, das derzeit mit Lemmaeinträgen gefüllt wird1 und bisher in geschlossener Form betrieben wird, schließlich aber öffentlich einsehbar sein soll. Eine Printversion ist ebenfalls angestrebt.


Abb. 2: Screenshot des ‚Varianten-Wiki‘

Die ‚Variantengrammatik‘ bezieht ihre Daten aus einem kompilierten Großkorpus, das Crawls aus 69 Online-Regionalzeitungen (ca. 600 Mio. Textwörter, 1699115 einzelne Zeitungsartikel) der Zeit 2012–2013 umfasst. Dabei wurden die Regionalzeitungen nach einem Arealschlüssel gesammelt, der in Tab. 1 wiedergegeben ist.

Diese Einteilung orientiert sich – mit einigen kleineren Abweichungen – am VWB (vgl. Ammon et al. 2004: XVIII-XIX). Allerdings ist die Einteilung im ‚Variantengrammatik‘-Projekt datengesteuert und somit dynamisch handzuhaben, sowohl in ihrer grundsätzlichen Gliederung als auch im Einzelfall: So wird etwa die Schweiz nicht weiter in Kantone oder dialektale Kleinräume untergliedert. Eine dialektale Gliederung wurde zunächst im Korpusdesign des Projekts verankert, dann jedoch aufgegeben, weil eine solche Untergliederung nicht statistisch abgesichert nachgewiesen werden konnte.


ArealbezeichnungRegionen
Deutschland NordwestSchleswig-Holstein, Hamburg, Bremen, Niedersachsen
Deutschland NordostMecklenburg-Vorpommern, Brandenburg (ohne Region Niederlausitz), Berlin, Region Altmark (Sachsen-Anhalt), Region Magdeburger Börde (Sachsen-Anhalt), Landkreis Jerichower Land (Sachsen-Anhalt)
Deutschland MittelwestNordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz (ohne Region Rheinpfalz), Hessen
Deutschland MittelostRegion Harz (Sachsen-Anhalt), Region Halle (Saale) [Sachsen-Anhalt], Thüringen, Sachsen, Region Niederlausitz (Brandenburg)
Deutschland SüdwestRheinpfalz (Rheinland-Pfalz), Saarland, Baden-Württemberg
Deutschland SüdostBayern
Österreich WestVorarlberg, Tirol (inkl. Osttirol), Bezirk Zell am See/„Pinzgau“ (Bundesland Salzburg)
Österreich MitteBundesland Salzburg (ohne Bezirk Zell am See/„Pinzgau“), Oberösterreich
Österreich SüdostKärnten, Steiermark
Österreich OstWien, Niederösterreich, Burgenland
Schweizgesamt
Ostbelgiengesamt
Liechtensteingesamt
Luxemburggesamt
Südtirolgesamt

Tab. 1: (derzeitige) Einteilung der deutschsprachigen Regionen in Areale im ‚Variantengrammatik‘-Projekt

Eine pluriareale innerschweizerische Gliederung kann bislang nicht (statistisch) bestätigt werden;2 die areale Grundgliederung wurde entsprechend im Projektverlauf angepasst. Dadurch, dass die Sitze der jeweiligen Zeitungen als Metadaten erhoben wurden, sind von Fall zu Fall sogar noch kleinräumigere Einteilungen möglich (etwa, wenn die Zeitungen aus Altbayern – also nur einem Teil des Areals Deutschland Südost – und Österreich einen ähnlichen Sprachgebrauch aufwiesen). Der Vorteil dieser Vorgehensweise ist evident: Nationale Grenzziehungen im plurizentrischen Sinne sind dank der Annotation der jeweiligen Ländernamen weiterhin möglich, aber solche Grenzziehungen sollen nur noch dort zum Einsatz kommen, wo sie tatsächlich quantitativ nachweisbar sind. Dass dabei bisher ‚nur‘ die Schweizer Areale (ursprünglich unterschied das Projektteam in West, Ost und Süd) wieder zusammengefasst worden sind, lässt an dieser Stelle bereits erahnen, dass die pluriareale Anlage für Deutschland und Österreich bisher der Empirie angemessener scheint. (Dazu gleich mehr, wenn es um einzelne Phänomene geht.) Abschließend hierzu sei noch thematisiert, dass auch die ‚regionalen‘ Einteilungen mehrheitlich geopolitische sind, sich nämlich an Bundesländern und Bezirken orientieren. Man kann dies mit einer radikalen Auslegung des pluriarealen Ansatzes durchaus kritisieren und stattdessen rigoros historische und dialektale Sprachräume als Areale fordern (wobei sich auch diese ja ebenfalls bereits in historischen politischen Einheiten ausgeprägt haben können). Bedenkt man jedoch, dass Standarddeutsch (v.a. in Deutschland) zu einem beträchtlichen Teil in föderalen Schulstrukturen vermittelt wird, sich zudem (v.a. in Österreich) kulturelle Schranken mit kleineren politischen decken können (z.B. im Falle des Salzburger Pinzgaus, der anders als das übrige Salzburger Land sprachlich-kulturell eher dem Westen Österreichs zuzuordnen ist) und außerdem die Verbreitung der Printversionen der herangezogenen Zeitungen mit kommunalen oder Landesgrenzen zusammenfallen kann (v.a. bei ehemaligen DDR-Bezirks-Zeitungen, die heute als Regionalzeitungen weiterbestehen3), macht eine Einteilung nach Bundesländern und Bezirken durchaus Sinn.

Die Texte, einzelne Online-Zeitungsartikel, wurden sowohl nach den außersprachlichen Metadaten (Zeitung, Areal [‚Sektor‘], Land) wie auch linguistischen Aspekten (pos-Tagging, rfpos-Tagging, Satz- und Teilsatztagging, sowie Tagging nach dem topologischen Modell) automatisch annotiert. Mittels der Plattform CQPweb kann nun das gesamte Datenmaterial digital per Suchmaschine durchsucht werden, als Suchsyntax dienen reguläre Ausdrücke (was auch Platzhalter- und Zeichenabstand-Operatoren miteinschließt).


Abb. 3: Screenshot CQPweb (Abfrage für feminines Genus bei [E-]Mail)4

Um areale Varianten identifizieren zu können, wurde eine Datenbank erstellt, in der Hinweise auf bestehende areale Variation aus Gegenwartsgrammatiken und Stilratgebern gesammelt wurden. Diese mutmaßlichen bestehenden arealen Varianten wurden zunächst per Suchsyntax gesucht. Die Belege für Varianten werden dabei strikt nach ihrer Frequenz beurteilt. Das heißt: Standarddeutsch definiert sich nach diesem Ansatz nicht explizit, aber faktisch vorrangig nach Frequenz – was nicht frequent genug ist, kann zwar auch standarddeutsch sein, wird jedoch nicht von der ‚Variantengrammatik‘ beschrieben. Da die ‚Variantengrammatik‘ nur areale Varianten beschreiben möchte, die häufig genug sind, um sich mit ihrer Verwendung in einem bestimmten Areal möglichst unauffällig zu äußern, fallen also niederfrequente Varianten einem Frequenz-Bias ‚zum Opfer‘.

Die Festlegung beschreibenswerter Varianten fußt auf statistischen Tests wie dem Chi-Quadrat-Test. Bei hohen Belegzahlen (bei über 500 Belegen) werden bspw. Stichproben von 20 % der Belege gezogen und per Hand ausgezählt. Darüber hinaus berücksichtigt die ‚Variantengrammatik‘ Fehlerquoten beim Tagging (i.d.R. liegen diese bei 2 % und weniger). Für die folgende Darstellung sind v.a. die Verbalisierungen relevant, mit denen die ‚Variantengrammatik‘ für einzelne Varianten arbeitet:


‚mehrheitlich verwendet‘:51 %+ der Variable
‚gebräuchlich‘:21–50 % der Variable
‚kommt (selten) vor‘:5–20 % der Variable
‚sporadisch‘:<5 % der Variable

Dabei ist ein Punkt essenziell: Falls nicht genügend absolute Belege, nämlich mindestens 10, für die Varianten einer Variable (oder für eine Variante ohne klar zu benennende Gegenvariante[en]) innerhalb eines Sektors zu finden sind, oder falls sich die Gegenüberstellung der Varianten als statistisch nicht signifikant herausstellt, wird die gesamte Variable als nicht untersuchbar bzw. nicht darstellbar bewertet. Die absolute Marke der 10 Belege wird auch bei Phänomenen vermerkt, die in anderen Arealen genügend Belege erreichen. D.h., falls dennoch in einem bestimmten Sektor für die Varianten weniger als 10 Belege vorliegen, werden diese Ergebnisse mit ‚(u.S.)‘ (‚unter Schwellenwert‘) markiert. Ohne einen solchen Hinweis darf der Leser davon ausgehen, dass die absoluten Belegzahlen höher liegen. ‚(u.S.)‘-Ergebnisse werden zudem nur sekundär in die Interpretation arealer Gegebenheiten miteinbezogen. Die Angabe ‚(k.B.)‘ drückt aus, dass sich in einem Sektor ‚keine Belege‘ für die gesamte Variable finden, in anderen Arealen aber sehr wohl. Alle Tests, Schwellenwerte und Bezeichnungen wurden im Projektverlauf erarbeitet und anschließend in der Praxis erprobt, es handelt sich also nicht um vorher festgelegte Vorgaben.

Die von der ‚Variantengrammatik‘ verfolgte quantitative Methodik zur Beschreibung des Standarddeutschen ist sicherlich diskutabel. Immerhin ist es jedoch die m.W. erste größere ihrer Art, die gänzlich auf statistisch-korpuslinguistischen Verfahren basiert und zudem nicht mit a-priori-Klassifizierungen arbeitet, sondern mit einer im Verlaufe des Projekts erarbeiteten und angepassten, darum hinreichend getesteten Methodik.

4. Grammatische Fallbeispiele

In diesem Kapitel präsentiere ich einige grammatische Phänomene, die areal im Standarddeutschen variieren. Ich habe diese zum einen danach ausgewählt, ob die Ergebnisse bereits hinreichend ausgewertet waren, zum anderen habe ich versucht, möglichst aus unterschiedlichen grammatischen Bereichen Beispiele zu zeigen: aus der Flexionsmorphologie (Pluralbildung mit -e vs. -s am Beispiel Balkon), aus der Morphosyntax (Genusvariation am Beispiel [E-]Mail), aus der Wortbildung (Adverbienbildung -Ø vs. -s am Beispiel durchweg-) und nicht zuletzt aus der Syntax (Trennbarkeit von Verben, hier widerspiegeln). Alle Ergebnisse sind als statistisch signifikant getestet. Die Treffer sind fast ausnahmslos grammatisch eindeutig, d.h. nicht ambig (mit einer durchschnittlichen Quote von ‚false positives‘ unter 2 %), die Treffer sind – wo dies vom Aufwand her möglich war – teilweise alle zusätzlich per Hand einzeln überprüft (z.B. sind bei 4.1 die Belege für Balkons so verifiziert), mindestens aber 20 % der Treffer.

4.1. Variation der Pluralbildung: Balkon

Bei einigen Wörtern kann die Bildung des Plurals areal im Standarddeutschen variieren. Der Gebrauch des -e-Plurals kann dabei dem des -s-Plurals gegenüberstehen, so z.B. bei den aus dem Französischen entlehnten Substantiven Balkon, Ballon und Karton (vgl. auch im VWB, Ammon et al. 2004: 44–45). Ich behandle hier nur den Fall Balkon; bei Ballon und Karton können areale Präferenzen zwar ähnlich, aber schwächer zum Vorschein kommen als bei Balkon. Die Beschreibung des VWBs lässt erwarten, dass der Plural Balkone eher im Süden des Sprachgebiets gebraucht wird, wohingegen Balkons eher im Norden verwendet wird, analog zu den Aussprachepräferenzen [bal’koːn] im Süden und [bal’kɔŋ] und [bal’kõː] im Norden (vgl. Ammon et al. 2004: 44–45).

Für Balkon als Simplex wie als Grundwort (Determinativum) einer Komposition liegen 219 Fälle von Plural auf -s vor (Balkons/ -balkons) gegenüber 1824 Fällen von Plural auf -e (Balkone/-balkone). Die areale Verteilung zeigen Tab. 2 und Abb. 4.


ArealBalkon-eBalkon-s
Deutschland Nordwest159 (94 %)11 (6 %)
Deutschland Nordost431 (83 %)90 (17 %)
Deutschland Mittelwest258 (93 %)19 (7 %)
Deutschland Mittelost328 (82 %)72 (18 %)
Deutschland Südwest171 (97 %)5 (3 %)
Deutschland Südost222 (93 %)16 (7 %)
Österreich West51 (98 %)1 (2 %)
Österreich Mitte49 (98 %)1 (2 %)
Österreich Südost46 (92 %)4 (8 %)
Österreich Ost5 (83 %, u.S.)1 (17 %, u.S.)
Schweiz84 (100 %)0 (0 %)
Ostbelgien4 (100 %, u.S.)0 (0 %, u.S.)
Liechtenstein0 (0 %, k.B.)0 (0 %, k.B.)
Luxemburg2 (67 %, u.S.)1 (33 %, u.S.)
Südtirol14 (100 %)0 (0 %)

Tab. 2: relative Verteilung von Balkons vs. Balkone innerhalb der einzelnen Areale im ‚Variantengrammatik‘-Korpus1


Abb. 4: Relative Verteilung von Balkons vs. Balkone innerhalb der einzelnen Areale im ‚Variantengrammatik‘-Korpus2

Zu erkennen ist, dass prinzipiell beide Pluralvarianten in fast allen untersuchten deutschsprachigen Regionen in Verwendung sind (wenn auch mit Werten u.S. für Luxemburg, Ostbelgien und Ostösterreich und gar keinen für Liechtenstein), und sich dies für Deutschland und Österreich auf die jeweils gesamte Landesfläche aufteilt. D.h., weder kann man von einem Gegensatz ‚österreichisch‘ Balkone vs. ‚bundesdeutsch‘ Balkons sprechen noch von einem solchen ‚süddeutsch-österreichisch-schweizerisch‘ Balkone vs. ‚norddeutsch‘ Balkons. Das mag etwas überraschen, hätte man ja auf der Basis unterschiedlicher Aussprachestandards, die der Duden online angibt,3 vor allem letztere Verteilung erwartet. Vielmehr zeigt sich jedoch, dass die Variante mit Plural auf -e, Balkone, stets die mehrheitlich bis ausschließlich verwendete Variante ist. Das VWB (Ammon et al. 2004: 44–45) suggeriert hier eine Zweiteilung des Sprachgebiets, die sich so nicht in den Daten bestätigt und die auch nicht so rigoros von der Aussprache abhängig gemacht werden kann. Letzteres zeigt sich erst bei der Betrachtung arealer Details: Im nord- und mittelöstlichen Deutschland häufen sich die Belege für den -s-Plural. Balkons kommt dort also eher vor als in anderen Arealen Deutschlands. Dies lässt sich durchaus analog zu einer Aussprachevariante des Gebiets – der ehemaligen DDR – sehen: Nach dem ‚Atlas zur Aussprache des deutschen Gebrauchsstandards‘ lässt sich der Nordosten und Mittelosten Deutschlands als Kerngebiet der Aussprachevariante [bal’kɔŋ] interpretieren (gegenüber eher westlich-südlichem [bal’koːn] und gelegentlichem [bal’kõː]).4 So oder so lässt sich der relativ häufige Gebrauch des -s-Plurals bei Balkon als spezifisch innerdeutsche Variation bezeichnen. Dies kann mit der pluriarealen Gliederung präzis beschrieben werden.

4.2. Genusvariation: (E-)Mail

Für die Variation im Bereich des Genus wurde der Fall (E-)Mail herausgegriffen, nicht nur aufgrund seines Bearbeitungsstatus, sondern auch ob seiner Prominenz. In Elspaß et al. (2013: 50–51) konnten nach Auswertung von DeReKo-Daten prinzipiell die Angaben zur arealen Verteilung im VWB (Ammon et al. 2004: 48, 152) bestätigt werden: (E-)Mail als in Deutschland feminin, in Österreich neutral und in der Schweiz zwischen beidem variierend (vgl. Elspaß et al. 2013: 50–51). Allerdings ließe sich dabei nach der Untersuchung von Elspaß et al. weiter differenzieren: Erstens würden beide Genera in allen drei Ländern verwendet (über kleinere Regionen und Länder kann dabei aufgrund des zugrundeliegenden Korpus, dem DeReKo in damaliger Form, nichts ausgesagt werden), zweitens sei die Verwendung als Neutrum – das Mail o.Ä. – in Österreich nur knapp mehrheitlich (und schon gar nicht absolut) verwendet (vgl. Elspaß et al. 2013: 50–51). Und drittens zeige sich innerhalb Österreichs ein klarer Verwendungsanstieg neutraler Formen im Osten des Landes (vgl. Elspaß et al. 2013: 51).

All dies lässt sich mit Hilfe des weitaus größeren und areal differenzierteren ‚Variantengrammatik‘-Korpus bestätigen und auch statistisch untermauern. Gesucht wurden sämtliche denkbaren Formen, von Simplizia wie E-Mail und Mail, über unterschiedliche (und generisch nicht ambige) Formen mit Artikeln und Attributen bis hin zum Gebrauch von .mail als Grundwort einer Komposition. Allgemein finden sich im ‚Variantengrammatik‘-Korpus 4415 Belege für eine Verwendung mit femininem Genus (die E-Mail, eine Mail o.Ä.) gegenüber 589 Belegen für eine neutrale Verwendung (das E-Mail, ein Mail o.Ä.). Die areale Distribution zeigen Tab. 3 und Abb. 5.

In Deutschland, Ostbelgien und Luxemburg sowie in Südtirol wird mehrheitlich bis fast ausnahmslos die feminine Variante verwendet. Für Österreich und die Schweiz fallen die Ergebnisse anders und variabler aus: In der Schweiz wird mehrheitlich die neutrale Variante geschrieben, in Österreich ergibt sich eine aus den bisherigen Untersuchungen erwartbar knappe Mehrheit für das/ein (E-)Mail (o.ä. flexivisch eindeutige Formen). Allerdings zeigt sich hier wie schon bei Elspaß et al. (2013: 50–51) ein deutlicher Unterschied zwischen Westösterreich und den östlicheren Arealen Österreichs: In Westösterreich überwiegt sogar – wie im angrenzenden deutschen Südosten und in Südtirol, wenn auch nicht so deutlich – die feminine Variante die/eine (E-)Mail o.Ä. Diejenigen Areale, die also eigentlich das Bild einer ‚österreichischen‘ Präferenz des neutralen Genus bei (E-)Mail prägen, sind die übrigen, östlicheren Areale, und selbst dann ist noch auf den österreichischen Südosten hinzuweisen, bei dem das Verhältnis von femininem und neutralem Genus ausgeglichen ist. Keineswegs also ließe sich der Fall vereinfachen zu nationalen Varianten: das/ein (E-)Mail in Österreich, die/eine (E-)Mail in Deutschland – nicht unbedingt, weil in Deutschland das neutrale Genus so häufig wäre, sondern vielmehr weil umgekehrt das feminine Genus in Österreich fast die Hälfte des Gebrauchsstandards ausmacht.


ArealNeutrum – das (E-)MailFemininum – die (E-)Mail
Deutschland Nordwest4 (1 %)500 (99 %)
Deutschland Nordost7 (1 %)593 (99 %)
Deutschland Mittelwest4 (1 %)595 (99 %)
Deutschland Mittelost5 (1 %)552 (99 %)
Deutschland Südwest13 (3 %)472 (97 %)
Deutschland Südost19 (2 %)884 (98 %)
Österreich West33 (37 %)56 (63 %)
Österreich Mitte79 (55 %)64 (45 %)
Österreich Südost148 (50 %)147 (50 %)
Österreich Ost20 (69 %)9 (31 %)
Schweiz155 (63 %)91 (37 %)
Ostbelgien1 (2 %)46 (98 %)
Liechtenstein2 (40 %, u.S.)3 (60 %, u.S.)
Luxemburg1 (5 %)19 (95 %)
Südtirol3 (14 %)19 (86 %)

Tab. 3: Verteilung von das/ein (E-)Mail vs. die/eine (E-)Mail innerhalb der einzelnen Areale im ‚Variantengrammatik‘-Korpus


Abb. 5: relative Verteilung von das/ein (E-)Mail vs. die/eine (E-)Mail innerhalb der einzelnen Areale im ‚Variantengrammatik‘-Korpus

Interessant ist dabei, dass die insgesamt überwiegend gebrauchte Variante mit femininem Genus der tendenziellen (und bisher ungeklärten) Bevorzugung des Neutrums bei Fremdwörtern – unabhängig von der Ursprungssprache – widerspricht (Schulte-Beckhausen 2002: 75). Da die Genuszuweisung für Fremdwörter nicht eindeutig geregelt (oder genormt) ist, können sich im Laufe der Zeit – und mit zunehmender Integration des Fremdworts in das grammatische System des Deutschen – Varianten ergeben (vgl. Gregor 1983: 170); d.h., die hier areal auftretende Variation könnte auch den gegenwärtigen Stand einer diachronen Entwicklung darstellen. Nichtsdestoweniger ist der areale Unterschied zwischen Österreich, Liechtenstein und der Schweiz zu den übrigen Sektoren erklärungsbedürftig. Durch eine Analyse der Genusvariation bei weiteren Anglizismen sollte es der ‚Variantengrammatik‘ jedoch möglich sein, den Einfluss der Arealität zu bestätigen oder zu widerlegen. Die bisherigen Ergebnisse hierzu, auf die ich im gegebenen Rahmen nicht weiter eingehen kann (z.B. zu die/das App und die/das SMS), sprechen jedenfalls dafür, dass eher eine einzellexematische Variation vorliegt.

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