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4.Distillery: Eine Schnapsfabrik, die jetzt cooles Bummel-Karree ist

Mal raus aus Torontos City und rein in ein liebevoll restauriertes Fabrikgelände. Zum Naschen bester Schokolade, zum Stöbern in Boutiquen und Galerien und zum Chillen bei guter Musik, eingerahmt von warmen Backsteinwänden – das alles geht im Distillery District.


Distillery District

Gut möglich, dass hier gleich der Fabrikbesitzer in Frack und Zylinder um die Ecke biegt, wo seine Droschke mit angespannten Pferden samt Kutscher auf ihn wartet. Solche Kopfkino-Szenen entstehen schon nach den ersten Minuten in Torontos Distillery District – inmitten sattwarmer viktorianischer Rotklinkerbauten, verwitterter Rumfässer und leise im Wind quietschender Kran-Dinos. Das weitläufige Gelände mit 47 Produktions- und Lagergebäuden war um 1900 die größte Schnapsfabrik der Welt: Acht Millionen Liter Sprit flossen hier in den besten Jahren aus den Tanks – vor allem in Richtung USA und Südamerika. Doch der Erste Weltkrieg und vor allem die US-Prohibition der 1920er-Jahre waren dann die Anfänge vom Ende. Nach mehreren Fusionen, Produktionsauslagerungen und Umstrukturierungen wurde die „Dis“, wie die Torontonians sagen, 1990 geschlossen. Seit 2003 beherbergt sie Galerien, Cafés und kleine Stöberläden. Blackbird Vintage etwa ist eine Fundgrube für „Alte-Zeiten-Schwärmer“ und Flohmarktfans: Opas Schreibmaschine steht da, Seifen und Düfte von früher sind im nachgebauten Lilians Beautyshop drapiert. Bei Soma gibt es erlesene Schokoladenspezialitäten aus eigener Manufaktur, raffiniert gemixt mit Chili-Pfeffer, Orangenschale und Vanille oder Trüffel veredelt mit Olivenöl. Pfiffige Filztaschen von Ladymosquito oder coole Ringe und Ketten von Filip Vanas findet man bei Corktown Design. Für große Marken und die in jedem Shoppingcenter ansässigen Ladenketten hingegen gilt im Distillery District dasselbe wie für Hunde beim Schlachter: „Wir müssen leider draußen bleiben“.


Stöberladen in Distillery District

Auf diese Weise entdecken Distillery-Bummler tatsächlich in vielen der kleinen Läden etwas Neues und machen nicht auf deren Schwelle schon kehrt mit dem Satz „Ach, kenne ich, hab ich ja letzte Woche schon in der City-Filiale gesehen“. Im Unterschied zur hektischen Betriebsamkeit in Downtown Toronto schaltet man hier zurück in den Schlendermodus, lässt sich über ehemalige Fabrikstraßen wie die Trinity Street treiben und findet eigentlich immer einen Platz in der Sonne auf dem Trinity Square, von wo es nur ein paar Schritte ins nächste Café sind – das Balzac etwa mit schwarz-weißen Kacheln und Riesen-Lüster unter der Decke. Oder das deutlich rauere Furbo mit unverputzten Wänden und cooler Bestuhlung. Musiker spielen auf kleinen Bierkisten-Bühnen, insbesondere Ende August, wenn abends ab 18 Uhr die Music City Summer Series-Konzerte steigen, mit Swing, Jazz, Country und Blues, gespielt von hoffnungsvollen Nachwuchskünstlern. Kaum haben die Gitarristen ihre Verstärker abgebaut, sind meist Kunsthandwerker und Winzer mit ihren Ständen da, ebenso wie der regelmäßige Sunday Market jeden Sonntag ab 12 Uhr mit lokalen Händlern aus Toronto und Umgebung. Von kurz vor Weihnachten bis Ende Januar wird im Distillery District der schönste Weihnachtsmarkt der Stadt aufgebaut: The Toronto Christmas Market.


Hingucker: Rostiger Pick-up-Laster

So viel Leben in der alten Schnapsfabrik – undenkbar noch vor 25 Jahren. Denn da hatte die Gooderham & Worts Distillery gerade nach gut 150 Jahren dicht gemacht, und das heruntergekommene Gelände taugte nur noch als Drehort für Filme – in „Chicago“ etwa ist eine hier aufgenommene Straßenszene mit Oldtimern zu sehen. Insgesamt etwa 1700 Kino- und TV-Produktionen entstanden hier. Doch nach einem Jahrzehnt hatte eine Gruppe von zehn Investoren und Stadtentwicklern einen kühnen Plan: Sie wollten aus der „Dis“ eine historische Mini-Stadt machen – aber nicht als Open-Air-Museum, sondern mit der Coolness und dem Lebensgefühl, das wieder hergerichtete Stadtteile wie der Meatpacking District oder SoHo in Manhattan versprühen. Das ist gelungen. Wer sich die Geschichte der Distillery erzählen lassen oder gar tiefer in sie eintauchen will, bekommt Angebote, angefangen von sorgsam restaurierten Artefakten aus dem Fabrikalltag wie historische Feuerlöscheinrichtungen, dem rostrot leuch-tenden Pick-up-Transporter oder Vorrichtungen zum Schnapsabfüllen. Die self guided tour führt näher ran und gibt mehr Infos als die an den Häusern prangenden Plaketten. Segway-Touren mit Themenschwerpunkten wie Prohibition oder Whiskyherstellung runden das Angebot ab.

Und nach solchen Touren soll der Distillery-Besucher nicht nach Hause fahren, sondern noch in eines der wirklich schönen Restaurants einkehren. Etwa in den Pub der Mikro-Brauerei Mill Street, wo man zur „Beer School“ gehen kann. Im Pure Spirits Oyster Pub, einem mehrfach preisgekrönten Fischrestaurant, isst man seine Austern auf historischem Terrain. Denn genau in diesen Räumen versteckten die Distillery-Gründer Gooderham und Worts zu Zeiten der US-Prohibition reichlich Whisky, den sie an US-Gangster verkauften, die ihn dann über den Lake Ontario in die USA schmuggelten.

Info

Lage: Der Distillery District liegt östlich von Torontos City und wird eingerahmt von Cherry Street, Mill Street und Parliament Street.

Anfahrt: Von der Union Station (Hauptbahnhof) aus mit dem Bus Nr. 121 zur Haltestelle Mill Street/Cherry Street fahren.

Öffnungszeiten: Montag bis Mittwoch 10 bis 19 Uhr, Donnerstag bis Samstag 10 bis 20 Uhr, Sonntag, 11 bis 18 Uhr

Eintritt: kostenlos

•Einen Plan für die unentgeltliche self guided tour gibt es unter distilleryheritage.com/selfguidedtour/En/Heritage_tour.pdf

•Segway-Touren mit verschiedenen Themenschwerpunkten von 21 bis 79 CAD unter gotourscanada.com

•Die „Beer School“ in der Mill Street Brewery kostet 25 CAD, millstreetbrewery.com

Webseite: thedistillerydistrict.com

5.Toronto Islands: Fotostopp, grüne Oase und autofrei

Kaum eine Millionen-Metropole hat seine Urlaubsinseln so direkt vor der Haustür. Mit der Fähre statt dem Flieger geht es rüber, nach nicht mal zehn Minuten beginnen lange Ferien oder das Kurzpicknick– am Strand, auf Radwegen oder beim Frisbee-Golf.

Das Inselparadies wurde geschaffen von einem heftigen Sturm: Am 13. April 1858 zieht er auf, als John Quinn gerade mitten in den Vorbereitungen für eine Party steckt. Feiern will er, nach vorangegangenen Stürmen, die Renovierung seines Hotels auf Torontos Peninsula. Halbinsel – so nannten Torontonians das Stück Land, das vorn an der Waterfront gelegen nur durch einem schmalen Sandstreifen mit dem Stadtgebiet verbunden war. Der nun aufziehende, nächste Orkan wütet damals so heftig, dass Hotelier Quinn seine Vorbereitungen abbricht und zunächst die Angestellten auf kürzestem Weg per Boot in die sichere Stadt bringt. Auf die Peninsula zurückgekehrt, kann er seine Frau und die siebenjährige Tochter gerade noch retten, als sie sich im steigenden Wasser an Holzbalken klammern. Wenig später reißt die enge Landverbindung für immer. Wo sie war, können kurze Zeit später bereits Schiffe zwischen Festland und den abgetrennten Toronto Islands durchfahren.


Toronto Islands

Gerade mal zehn Minuten braucht die Fähre auf diesem Törn heute vom Bay Street-Anleger zu den Inseln Ward's Island, Algonquin Island und Centre Island. Als Mini-Archipel zusammenhängend liegen sie in Form einer umgedrehten Pistole im Lake Ontario. Schon auf diesem Kurztransfer wird deutlich, warum sich die Überfahrt lohnt: Torontos glitzernde Skyline erscheint in fotogener Panoramabreite vor Smartphone-Kameras und dauerklickenden Spiegelreflex-Objektiven. Auf einer der Inseln angekommen, wartet Bullerbü statt busy city: Bunt gestrichene, zumeist hölzerne Cottages ducken sich hinter hohen Bäumen auf zugewachsenen Grundstücken. 262 solcher Häuser gibt es, bewohnt von etwa 600 Insulanern. Manuel Cappel ist einer von ihnen. Der gebürtige Deutsche wanderte mit seinen Eltern 1955 aus, im Alter von vier Jahren. Die Familie zog auf die Toronto Islands, und Manuel ist für immer hiergeblieben.


Fähre zu den Toronto Islands

Heute ist der 67-Jährige ein Unikum, kümmert sich ehrenamtlich um das gut 200 Jahre alte Gibraltar Lighthouse, eines der ältesten Bauwerke Torontos, das 1808 aus Natursteinen errichtet wurde und mit John Paul Radelmüller schon damals einen Deutschen als ersten Leuchtturmwärter hatte. Bis er von britischen Soldaten erschlagen wurde – angeblich, weil er ihnen kein weiteres von seinem selbstgebrauten Bier ausschenken wollte. Radelmüllers Geist soll heute noch im Leuchtturm herumspuken, erzählt manch ein guide. Nicht so Manuel Cappel. Er zeigt Gästen lieber seine alte Schule, die er zur Künstlerwerkstatt umgewandelt hat. Selbst konstruierte Fahrräder und dazu passende, teils kuriose Lastenanhänger schweißt und schraubt er hier: einer ist die originalgetreue Nachbildung eines alten Torontoer Straßenbahnwaggons, ein anderer die der historischen Fähre The Bluebell. Ach ja, und Widerstandskämpfer war Manuel Cappel auch: Zusammen mit vielen Insulanern wehrte er sich mehr als 30 Jahre lang gegen Pläne von Torontos Stadtverwaltung, alle Bewohner von den Inseln zu vertreiben, um daraus eine reine Parklandschaft zu machen. 1993 schließlich gaben die Politiker nach und den „Hausbesetzern“, wie sie genannt wurden, ein Pachtrecht für 99 Jahre.


Holzhaus mit Mosaik

Dadurch konnten viele Attraktionen erhalten werden, deretwegen Besucher heute hinüber schippern: Das gemütliche Rectory Café mit seinem schattigen Garten, etwa – idealer Anlaufpunkt für alle Stippvisiteure, die aus Zeitgründen schon bei der Ankunft die Fähre zurück im Blick haben. Manuel Cappel hat das Café mal geleitet, diesen Job aber vor Jahren abgegeben, auch um mit der Restaurierung alter Überlandbusse voranzukommen, die er regelmäßig kauft, aber auf den Inseln nicht fahren darf, denn benzinbetriebene Fahrzeuge sind hier verboten – mit wenigen Ausnahmen: Umzüge und andere Großtransporte, Schneeräumer und der Schulbus. Auch einen Laden gibt es auf den Toronto Islands nicht. Die Insulaner müssen ihren täglichen Bedarf auf dem Festland kaufen und per Fähre und Fahrrad nach Hause transportieren. Sehr zum Vorteil von ruhesuchenden Gästen, denn so können sie sich ungestört von Motorengeräuschen und Abgasen erholen.


Schattiger Garten des Rectory Café

Während der 35-minütigen Toronto Island Tram Tour etwa – in Minibussen mit Elektromotor. Oder bei einer Partie Frisbee-Golf – auf einem eigens dafür eingerichteten Course auf Ward's Island. Oder mit einer Runde Stand-up-Paddeling. Seit mehr als 30 Jahren richten die Toronto Islands zudem ihr eigenes Drachenboot-Rennen aus – immer eine Attraktion im Juni. Fußballfeldgroße, grüne Wiesen, von Radwegen durchzogen, laden ebenso zum Relaxen ein wie die Strände. Der schönste ist der Centre Island Beach. Nicht weit entfernt davon kommt der Centreville Theme Park als historischer Rummel daher – mit museumsreifen (aber sicheren) Karussells, Sky Rides und Streichelzoo. Tennis- und Beachvolleyball-Plätze gibt es in der Nähe von Hanlans Point, Grillplätze mit fest installierten Barbecues vielerorts auf den Inseln. Nur Fleisch, Kohle und Anzünder muss man selbst mitbringen.


Im Centreville Theme Park

Sogar im Winter lohnt ein Abstecher auf die Toronto Islands – für Skilanglauf, Schneewanderungen und Schlittschuh-Ausflüge auf den Lagunenseen, die bei oft eisigen Temperaturen zwischen den insgesamt 15 Inseln zufrieren. Unbedingt Proviant mitbringen, denn im Winter hat keines der Restaurants offen! Und warm einpacken, denn am Fähranleger gibt es keine geheizten Schutzhäuschen. Die Überfahrt ist im Winter nur mit der Ward's Island-Fähre möglich. Benannt ist die Insel übrigens nach William Ward, der hier im Mai 1862 zu einem Segeltörn aufbrach und dabei alle fünf Schwestern im Sturm verlor. Nach diesem traumatischen Erlebnis engagierte er sich bis zu seinem Tode als Rettungsschwimmer und rettete in den Gewässern rund um Toronto angeblich insgesamt 160 Menschen vor dem Ertrinken.


Paddelboote aller Art ...


Blick auf Downtown

Info

Lage: im Lake Ontario, 10 Min. mit der Fähre ab Toronto Central Business District. Toronto Islands, Toronto, M5J 1A1

Anfahrt: Mit dem Bus oder der U-Bahn zur Union Station fahren; von dort in der 509er Harbourfront- oder der 510er Spadina-Straßenbahn zur Haltestelle Bay Street/Queens Quay. Der Fähranleger befindet sich südlich der Bay Steet.

Öffnungszeiten: 24/7, aber Besuche der Islands sind abhängig von den Fahrzeiten der Fähren.

Eintritt: kostenlos

• Tramtour: Kinder (2-12 J.) 3,50 CAD, Erwachsene 6,50 CAD

• Der Eintritt in den Centreville Theme Park ist ebenfalls frei, aber die Karussells kosten.

Webseiten:

www.torontoisland.com mit allen Infos, auch zu den Fährverbindungen

•Karte zum Download unter www.toronto-travel-guide.com/support-files/toronto-islands-map.pdf

•Übernachten: torontoisland.org/i-want/accommodation-b-bs

•Café: therectorycafe.com

•Fahrradverleih: torontoislandbicyclerental.com

•Paddelbootverleih: paddletoronto.com

•Stand Up Paddeling: torontoislandsup.com

•Dragon Boat Festival: dragonboats.com

•Infos über Manuel Cappel: manuelcappel.com

•Ausleihe von Winterausrüstung: mec.ca/en/stores/toronto?open_tab=toronto-gear-rentals

6. Bata Shoe Museum: Napoleons Socken, Marilyns Stilettos und Elton Johns Plateaustiefel

In dem eigenwillig designten Gebäude sind nicht nur extravagante Promi-Treter, sondern erzählte Schuh-Geschichten zu sehen – von altägyptischen Sandalen bis zu Spezialschuhen, die Astronauten bei Flügen in den Weltraum trugen.


Das Bata Shoe Museum

So so, ein XXL-Schuhkarton soll das also sein. Beim ersten Blick auf das Bata Shoe Museum kommt einem eher die Mehrzweckturnhalle aus der Schulzeit oder ein fensterloses Lagerhaus in den Sinn. Zugegeben, beides hätte wohl keine Kunstwerke an seinen Außenfassaden und auch keinen gläsernen Eingang. Aber das Bata Shoe Museum als großen architektonischen Geniestreich zu sehen (wie vielfach beschrieben), das fällt dann doch etwas schwer. Einmal drinnen, gewinnt der steinerne Schuhkarton dann aber schnell. Auf fünf Etagen, verbunden durch eine (nun aber wirklich) an gestapelt Schuhkartons erinnernde Holztreppe ist nahezu alles zu sehen, was Menschen sich seit etwa 4500 Jahren über Zehen, Hacken und Spann streifen.

Ötzis Fellfetzen an den Füßen und altägyptische Sandalen etwa, von denen nur die Bastsohle übrig ist. Sie könnten das Unterteil moderner Espadrilles sein könnte. Oder der spitze Metallstiefel mittelalterlicher Ritter: Genaugenommen nicht zur Fortbewegung geeignet, sondern um den gesellschaftlichen Status des schwer bewehrten Edelmanns deutlich zu machen. Aus der Neuzeit stehen brokatbesetzte Schuhe aus den 1920er-Jahren da, manche erstmals in den Absätzen mit Brillanten verziert. Abenteuerlich hohe Stilettos – etwa von Marilyn Monroe – gibt es und Plateaustiefel, die nicht nur Orthopäden an kompliziert verknackste Knöchel und gerissene Sehnen denken lassen. Apropos: auch die Kuh kann nicht ohne Schuh – jedenfalls nach einer Bein-Operation. Dann streift ihr der Tierarzt einen – ebenfalls ausgestellten – Lederschuh über, der dafür sorgen soll, dass die Wunde schneller heilt. Insgesamt etwa 13.000 Schuhe lagern im Bata Shoe Museum, die meisten davon in Regalen im Keller. Nur ein Bruchteil ist in der permanenten Ausstellung „All about shoes“ und in zeitlich befristeten Sonderausstellungen zu sehen.


Elton John


Marilyn Monroe

Zu verdanken hat Toronto dieses einmalige Museum einer Frau namens Sonja Bata. Schuhmacher sei ihr Mann gewesen, hat sie zeitlebens gerne gesagt. Dabei war Tomas J Bata ein Nachfahre der Familie mit gleichnamiger Schuhfabrik, die bereits vor dem Zweiten Weltkrieg Niederlassungen in vielen europäischen Ländern hatte. Nach 1945 verstaatlichten die Tschechen den Hauptsitz der Firma. Tomas und Sonja gingen ins Ausland, bauten sich eine neue Existenz auf – unter anderem in Toronto. Seit den 1940er-Jahren habe sie Schuhe gesammelt, vor allem während vieler Reisen auf alle Kontinente, erzählte die im Februar 2018 verstorbene Sonja Bata gern, wenn sie Besucher durch ihr Museum führte. Entstanden ist es in den frühen 1990er-Jahren, der Grund wird vielen Frauen einleuchten: Sonja Bata hatte einfach zu viele Schuhe gesammelt und brauchte einen Ort, um sie unterzubringen. Und weil sie wusste, dass voluminöse Behältnisse nötig sind, um Schuh-Armeen zu transportieren, ist auch ein Louis-Vuitton-Koffer mit 30 Einzelfächern und einem für Stiefel zu sehen.


Dalai Lama

Viele Besucher im Museum bestaunen vor allem die von Prominenten überlassenen Exemplare: Björn Borgs ausgetretenen Tennis- und Pierce Brosnans Bond-Schuhe, die Flipflops des Dalai Lama, Justin Biebers Sneakers, Napoleons seidene Socken, Queen Victorias Hochzeits-Ballerinas oder Elton Johns silberne Stiefel aus seinem schrillen Bühnen-Outfit. All diese Ausstellungsstücke sind aufwendig gesichert, denn im Jahr 2016 fehlte plötzlich ein Paar, und zwar ein sehr wertvolles: Die mit Gold, Diamanten und Rubinen besetzten Schuhe eines indischen Prinzen aus dem 19. Jahrhundert. 25.000 Dollar Belohnung setzte die Bata-Familie aus, um sie zurückzubekommen. Offenbar um sie zum Verkauf anzubieten, ließen die Diebe Bilder der Schuhe in einem Fotokopierladen drucken, sodass ihnen die Polizei auf die Spur kam und die Täter festnehmen konnte.


Altägyptische Sandalen

Über das dauernde Sammeln von Schuhen hinaus hat die Bata Foundation auch viele internationale Forschungsprojekte initiiert und finanziert – vor allem in Kulturen und Regionen der Erde, die nicht im Fokus stehen: Die Traditionen der Fußbekleidung bei den Inuit etwa, den Einwohnern Sibiriens oder nordamerikanischen Indianerstämmen: Navajos trugen offenbar vorzugsweise Mokassins ohne Verzierungen, die Apachen welche mit Perlen in Regenbogen-Farben und die Cheyenne verzierten sogar ihre Sohlen. Was aber ist mit Schuhen der Firma Bata? Immerhin trägt das Museum ja den Namen dieses bis heute weltweit operierenden Herstellers? Nicht einmal zehn Paare stehen in Torontos Schuhkarton-Ausstellung. Nein, man wolle kein Marken-Museum sein – das war immer Sonja Batas Credo. Sehr angenehm!

So, zum Schluss noch einmal in der Promi-Abteilung vorbeischauen. Die Menschentrauben mit ihren Smartphone-Kameras sind weg, und damit ist die Sicht frei auf Robert Redfords ausgelatschte Stiefel, die er im Film „Jenseits von Afrika“ trug und auf einen von John Lennons Chelsea Boots – einer dieser schwarzen, knöchelhohen Stiefel, die der Beatle Anfang der 1960er-Jahre kaufte und in der Hamburger Zeit trug, als die Band noch ihr Lederjacken-Image pflegte – mit aufmüpfiger Tolle statt Pilzkopf.

Info

Lage: 327 Bloor Street, Toronto ON M5S 1W7, in einem fünfstöckigen Gebäude

Anfahrt: Mit der U-Bahn-Linie 1 zur Station St George Street fahren, dort zum südlichen Ausgang, nach einer knappen Minute Fußmarsch ist das Museum erreicht.

Öffnungszeiten: 24/7, außer am Karfreitag und 1. Weihnachtstag, montags bis mittwochs und freitags sowie samstags 10 bis 17 Uhr. Donnerstags 10 bis 20 Uhr, sonntags 12 bis 17 Uhr

Eintritt: Kinder (5-17 J.) 5 CAD, Erwachsene (ab 18 J.) 14 CAD. An jedem Donnerstagabend zwischen 17 und 20 Uhr gilt die sogenannte pay-what-you-can admission: Jeder Besucher zahlt, was er kann und möchte.

Webseite: www.batashoemuseum.ca

7. Straßenbahn-Oldie: Rote Rakete mit singendem Sandmann

Durch Ontarios Millionenmetropole quietschen noch heute 40 Jahre alte Straßenbahnen. Darin zu fahren ist Sightseeing im Retro-Stil. Mit Glück sitzt Curt am Steuer, der bestgelaunte Fahrer der Stadt. Auf Wunsch singt er die Haltestellenansagen.

Ja, die 504 lächelt heute. Ihre kleinen, runden Funzel-Scheinwerfer sind die Augen, der größere in der Mitte ist die Nase und darunter, dieser helle Bogen auf der Front, das ist der lächelnde Mund dieser 40 Jahre alten Dame. Sie hat schon alles gesehen in Toronto und rollt immer dennoch tapfer überall dort, wo die Verkehrsbetriebsplaner sie täglich einsetzen. Heute auf der Linie 504, einer Ost-West-Verbindung durch die City, und in diesem Moment an die Haltestelle auf der King Street East. Die vierteilige Falttür vorn öffnet. „Hello, good morning and welcome on board!“, begrüßt Fahrer Curt Richards jeden, der neu zusteigt. Und strahlt dabei mit seinem makellosen weißen Gebiss, als liefe gerade die Kamera für einen Zahnpasta-Spot. Wer keine Monats- oder Tageskarte vorzeigt, dem verkauft Richards einen Einzelfahrschein, den er von einem Brett abreißt. Touchpads für Kreditkarten? Oder Münzautomaten? Gibt es hier nicht.


Unterwegs in der ganzen Stadt: die Red Rocket

Ebenso wenig wie das (typisch deutsche) Schild über der Frontscheibe, dass man den Fahrer nicht ansprechen darf, während die Bahn rollt. Muss heute in der 504 auch keiner, denn Curt Richards plaudert von selbst mit seinen Fahrgästen. Zuerst über die auf der Frontscheibe ächzenden Scheibenwischer, das Schmuddelwetter und darüber, dass jeder trotzdem gute Laune behalten soll. So wie der 56-Jährige, der vor mehr als zehn Jahren vom TV-Moderator eines Lokalsenders zum Tram-Fahrer umschulte. „Ich steuere am liebsten diese alten Bahnen“, sagt er, „die neuen haben Fahrerkabinen, da drin fühle ich mich eingesperrt – ich brauche direkten Kontakt zu den Leuten.“ Dass er ihn weiter haben kann, verdankt Curt der Firma Bombardier. „Bei diesem kanadischen Hersteller haben unsere Verkehrsbetriebe etliche neue Bahnen bestellt, aber Bombardier hat Lieferprobleme“, erzählt Curt grinsend: „Darum müssen insgesamt mehr als 70 der alten Bahnen noch ein paar Jahre durchhalten.“ Auch sehr zur Freude vieler Torontonians, denn diese kirschroten Oldie-Trams gehören zum Inventar der Stadt, haben schon ewig den Spitznamen „Red Rocket“, sie prangen auf T-Shirts, Glückwunschkarten, Graffiti und Kaffeetassen.


Curt stellt die Weiche manuell.

Kurz vor der nächsten Kreuzung stoppt Curt Richards seine „rote Rakete“, schnappt sich einen etwa hüfthohen, olivgrünen Metallknüppel neben der Fahrertür und springt auf die Gleise. Darin fuhrwerkt er mit dem Brecheisen kurz herum und kommt zurück. „Handbetrieb“, sagt er nur beim Losfahren und wartet ab, bis alle Nicht-Einheimischen unter den Augenzeugen geschaltet haben: Moment, der Fahrer hat da gerade eine Weiche so hingebogen, dass die Bahn um die Kurve fahren kann …? „Ja, es ist genauso, wie du denkst“, sagt Curt, „bei manchen Weichen fällt die Fernsteuerung aus, dann hängt im Stromkabel ein Schild, dass ich raus muss.“ Schon hat der Mann in akkurater, taubenblauer Uniform seine Finger wieder auf dem abgewetzten Armaturenbrett und steuert die Bahn, indem er 13 verschiedene, rechteckige Tasten drückt. Rote setzen die „Rakete“ in Bewegung oder stoppen sie, grüne öffnen und schließen die Türen, gelbe knipsen die Lichter an und aus. Fast wie an der Modelleisenbahn in Kindheitstagen. Jetzt drückt Curt eine der weißen Tasten, und schont erklingt das Ding-Ding-Ding, mit dem Straßenbahnen früher warnend um die Ecke kamen, mit ohrenbetäubendem Gequietsche der Metallräder in den Schienen, das die „Red Rocket“ jetzt auch von sich gibt.


Curt vor seinem Arbeitsplatz

Curt zeigt auf ein von der Sonne ausgebleichtes Anzeigefeld in seinem Armaturenbrett: „Da sehe ich, dass die Räder durchdrehen, meine Bahn quietscht, weil sie die leichte Steigung nicht hochkommt. Darum muss ich sofort Sand in die Schiene streuen, um den Rädern so Griffigkeit zu geben.“ Ob er jetzt wieder raus muss? Nein, ein paar Mal auf einen roten Knopf drücken, das reicht. „Du hockst übrigens auf dem Sand“, sagt Curt, strahlt wieder und klappt an der nächsten Haltestelle kurz den vordersten, rechten Sitz hoch. Tatsächlich, darunter ist eine Mini-Sandkiste. „Oh, muss an der Endhaltestelle mal wieder was reinschippen“, meint Curt. Auch auf diese Knochenarbeit scheint sich der 56-jährige Einwanderer aus Jamaika zu freuen.

Vier bis fünf Touren muss er pro Arbeitstag fahren, seit Jahren oft die selben Strecken. Wird ihm dabei auch mal langweilig? „Nie“, antwortet er ohne Zögern, „Straßenbahnfahren ist für mich wie Theater – da draußen vor der Frontscheibe wird auf jeder Tour ein neues Stück aufgeführt, und ich sitze in der ersten Reihe, kriege mit, wie die Stadt sich verändert und worüber die Leute reden.“ Wer Curt kennt, bittet ihn schon mal, die nächste Haltestellen-Ansage zu singen. „Spaaaadeiiiiiinahhhhh!“ schmettert er dann etwa an der Spadina Avenue durch den Waggon. Hat der passionierte Gospelsänger, Akkordeonspieler und Gitarrist in seinen ersten Jahren an jeder Haltestelle gemacht und erst damit aufgehört, als automatisierte Ansagen eingeführt wurden – 2010 sei das gewesen, erinnert er sich.


Glücklicher Bahnkapitän

Wahrscheinlich, weil zur selben Zeit eines Tages diese hübsche, asiatisch aussehende Frau in seine Bahn stieg. Und schnell ganz verunsichert auf einem der vorderen Sitze saß. Warum schaut mich der Fahrer per Rückspiegel dauernd an? Ich habe doch bezahlt. Beim Aussteigen sprach Curt die Frau an, und es gelang dem Charmeur, ihr im Vorbeigehen seine Telefonnummer mitzugeben. Doch die gebürtige Thailänderin meldete sich zunächst nicht. Dann, nach einer endlos erscheinenden Woche des Wartens klingelte Curts Telefon. „Ich traf mich mit ihr, einen Monat später waren wir verlobt, neun Monate später verheiratet“, erzählt er und strahlt noch mal sein breitestes Lächeln.

Info

Lage: Torontos TTC-Straßenbahnnetz zieht sich durch die ganze Stadt.

Eintritt: Tagespässe für die Straßenbahn gibt es zum Beispiel in U- Bahnstationen, nicht jedoch bei den Fahrern der Red Rocket-Bahnen. Sie verkaufen nur Einzelfahrscheine.

Webseite: www.ttc.ca

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Дата выхода на Литрес:
23 декабря 2023
Объем:
278 стр. 198 иллюстраций
ISBN:
9783948097295
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