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Armadale

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Ehe ich wußte, was der Doctor jetzt zu thun gedachte, hatte es keinen Zweck, nach Hause zu gehen und mit Bashwood zu sprechen. So wanderte ich mit einem dumpfen, der Erstarrung ähnlichen Gefühle, das nicht nur jedes Denken, sondern auch die Empfindung körperlicher Ermüdung verhinderte, in der Gegend umher, neue Straßen und Plätze auf und ab. Ich erinnerte mich, daß mich vor Jahren ganz das nämliche Gefühl übermannte, damals als ich von den Gefängnißbeamten vor den Gerichtshof geführt ward, um hier auf Tod und Leben gerichtet zu werden. Auf die seltsamste Art trat mir diese ganze Scene wieder vor die Seele, als wäre es eine Scene gewesen, in der eine andere Person die Hauptrolle gespielt hätte. Ein paarmal wunderte ich mich in dumpfer Gleichgültigkeit, daß man mich nicht gehängt hatte!

Ins Sanatorium zurückgekehrt, vernahm ich, daß der Doctor seit einer halben Stunde wieder zu Hause sei und in seinem Zimmer mich sehnsüchtig erwarte.

Ich trat dort ein und fand ihn, den Kopf geneigt und die Hände auf seinen Knieen, am Feuer sitzen. Neben ihm auf dem Tische sah ich außer Armadales Brief und meinem Billet ein aufgeschlagenes Eisenbahncursbuch liegen, gerade im kleinen Lichtkreise, den die brennende Lampe warf. Dachte er an Flucht? Auf seinem Gesichte, als er auf- und mich anblickte, war unmöglich zu lesen, über was er nachsann, oder welchen Schlag ihm die Kunde von Armadales Leben versetzt hatte.

»Setzen Sie sich hier ans Kamin«, redete er mich an. »Es ist heute sehr rauh und unfreundlich.«

Schweigend nahm ich Platz, schweigend saß seinerseits, sich die Kniee am Feuer wärmend, der Doctor da.

»Haben Sie mir nichts zu sagen?« fragte ich.

Er stand auf und nahm plötzlich den Schirm von der Lampe, sodaß das volle Licht auf mein Gesicht fiel.

»Sie sehen nicht wohl aus«, sprach er. »Was fehlt Ihnen?«

»Mein Kopf ist mir schwer und meine Augen schmerzen«, erwiderte ich. »Wohl das Wetter.«

Es war merkwürdig, wie wir uns beide immer weiter und weiter von dem einen alles Andere absorbierenden Gegenstande entfernten, zu dessen Besprechung wir doch ausdrücklich zusammengekommen waren!

»Ich denke, eine Tasse Thee würde Ihnen gut thun«, bemerkte der Doctor.

Ich meinte es auch, und er bestellte den Thee. Bis dieser kam, ging er im Zimmer auf und nieder und ich blieb ruhig am Feuer sitzen, und keins von uns sprach ein Wort.

Der Thee belebte mich und der Doctor bemerkte, daß ich besser auszusehen beginne. Dann setzte er sich mir gegenüber an den Tisch und fing endlich zu sprechen an.

»Hätte ich jetzt tausend Pfund«, sagte er, »ich würde sie bis zum letzten darum geben, wenn ich mich in Ihre verzweifelte Speculation auf Mr. Armadale’s Tod nicht mit eingelassen hätte!«

Ganz seiner gewöhnlichen Manier zuwider stieß er diese Worte auffallend kurz, fast heftig heraus. War er selbst in Angst oder wollte er mir Angst einjagen? Er sollte sich darüber von vornherein erklären, das stand bei mir’fest. »Halt, einen Augenblick, Doctor«, sagte ich deshalb. »Glauben Sie, daß ich an dem Geschehenen schuld bin?«

»Bestimmt nicht«, entgegnete er steif. Weder Sie noch irgendwer konnte voraussehen, was passiert ist. Wenn ich sage, ich würde tausend Pfund darum geben, wenn ich aus dem Handel heraus wäre, so mache ich Niemand einen Vorwurf als mir selbst, und wenn ich Ihnen dann sage, aß ich, einmal für allemal, nicht zulassen werde mich Mr. Armadale’s Wiederaufstehung aus der See ruinieren soll, ohne daß ich dagegen ankämpfe, so spreche ich so deutlich und wahr, wie nur je ein Mensch deutlich und wahr gesprochen hat, meine beste Dame. Glauben Sie nicht, daß ich in der Gefahr, welche uns jetzt gemeinsam droht, selbstsüchtig meine Interessen von den Ihrigen scheide; ich gebe Ihnen einfach den Unterschied in der Gefahr an, die jedes von uns läuft. Sie haben nicht alle Ihre Mittel in ein Sanatorium gesteckt, und Sie haben keine falsche Erklärung vor der Behörde abgegeben, die vom Gesetze ganz wie Meineid bestraft wird.«

Ich unterbrach ihn wieder. Seine Selbstsucht that mir wohler als sein Thee, sie hob meine Stimmung gewaltig. »Wie wär’s«, sagte ich, »wenn wir Ihr Risico und mein Risico jetzt beiseite ließen und zur Sache kämen? Was meinen Sie, wenn wir darum kämpfen? Ich sehe ein Eisenbahncursbuch da auf Ihrem Tische Heißt darum kämpfen etwa fortlaufen?«

»Fortlaufen?« wiederholte der Doctor. »Sie scheinen zu vergessen, daß jeder Heller, den ich auf Erden mein nenne, in dem Etablissement hier steckt.«

»Sie bleiben also hier?« fragte ich.

»Ohne Zweifel!«

»Und was meinen Sie, wenn Mr. Armadale nach England kommt?«

Eine einsame Fliege, die letzte ihres Geschlechts, welche der Winter verschont hatte, summte matt dem Doctor um das Gesicht herum. Er fing sie, ehe er mir antwortete, und hielt sie, in seiner geschlossenen Hand über den Tisch hin.

»Wenn diese Fliege da Armadale hieße«, sagte er, »und wenn Sie ihn so erwischt hätten, wie ich sie erwischt habe, was würden Sie dann thun?«

Seine Augen, mit denen er mich ernst fixierte, hefteten sich darauf bezeichnend auf meine Wittwentracht; ich auch sah darauf, als er hinblickte. Ein Schauer von dem alten tödtlichen Hasse und dem alten mörderischen Entschlusse durchrieselte mich wieder.

»Ich würde ihn umbringen«, gab ich zur Antwort.

Die Fliege noch immer in der Hand, sprang der Doctor von seinem Sitze auf und sah mich, etwas zu theatralisch, mit dem Ausdrucke höchsten Schreckens an.

»Ihn umbringen!« wiederholte er in einem Anfall tugendhafter Bestürzung »Gewaltthat, mörderische Gewaltthat in meinem Sanatorium! Sie machen mich sprachlos vor Erstaunen!«

Ich erhaschte einen Blick seines Auges, während er mit studierter Beredtsamkeit seinen Schrecken ausdrückte, wie es mich mit einer forschenden Neugier ansah, die mit der Heftigkeit seiner Sprache und mit dem Feuer seines Tons einigermaßen contrastirte. Als sich unsere Augen begegneten, lachte er unbehaglich und nahm, noch ehe er seine Lippen zum Weitersprechen öffnete, sein sanftes, vertrauliches Wesen wieder an.

»Ich bitte tausendmal um Verzeihung«, sagte er. »Ich hätte Sie besser kennen sollen, als daß ich eine Dame zu buchstäblich beim Worte zu nehmen hätte. Erlauben Sie mir indeß zu erinnern, daß die Umstände zu ernster Natur sind, um irgend etwas zu rechtfertigen, was wie Uebertreibung oder gar wie Scherz aussieht. Ohne weitere Vorrede sollen Sie hören, was ich vorschlage.« Er hielt inne und brauchte wieder die noch immer in seiner Hand gefangen gehaltene Fliege zum Gleichniß. »Da ist Mr. Armadale. Ich kann ihn herauslassen oder festhalten, ganz wie es mir beliebt, und er weiß es. Ich sage zu ihm, fuhr der Doctor fort, die Fliege anredend: Garantieren Sie mir, Mr. Armadale, daß weder gegen diese Dame hier noch gegen mich selbst Schritte irgendwelcher Art gethan werden sollen, und ich will Sie aus meiner Hand herauslassen. Versprechen Sie mir das nicht, so werde ich Sie, sei die Gefahr, welche sie wolle, darin behalten. Können Sie noch zweifeln, was Mr. Armadale früher oder später sicher antworten wird? Können Sie zweifeln; fuhr er fort und gab der Fliege, um dem Worte die That folgen zu lassen, ihre Freiheit wieder, »daß es zur völligen Genugthuung aller Parteien so enden wird?«

»Zuvörderst will ich nicht sagen, ob ich zweifle oder nicht«, antwortete ich. »Erlauben Sie mir, mich vor allem zu versichern, ob ich Sie recht verstehe. Wenn ich nicht irre, so schlagen Sie vor, Mr. Armadale hier in diesem Hause einzusperren und ihn nicht eher wieder herauszulassen, als bis er sich mit den Bedingungen einverstanden erklärt, welche wir ihm in unserm Interesse auflegen müssen? Darf ich Sie unter diesen Umständen fragen, wie Sie ihn in die Falle zu bringen denken, die Sie für ihn hier aufgestellt haben?«

»Zunächst schlage ich vor«, erwiderte der Doctor, die Hand aus das Eisenbahncursbuch legend, »nachzusehen, zu welcher Stunde jeden Abend dieses Monats die mit der Flut correspondirenden Züge von Dover und Folkstone an der Station von London-Bridge eintreffen; sodann Jemand, der Mr. Armadale kennt und dem wir beide trauen dürfen, dorthin zu postieren, damit er die Ankunft der Züge abwartet und unsern Mann empfängt, sobald dieser aus dem Waggon steigt.«

»Haben Sie schon daran gedacht«, fragte ich, »wer diese Person sein soll?«

»Ich habe«, sagte der Doctor und nahm Armadale’s Brief in die Hand, »an die Person gedacht, an welche dies Schreiben gerichtet ist.«

Die Antwort frappierte mich. War es möglich, daß er und Bashwood sich kannten? Das fragte ich auf der Stelle.

»Bis heute habe ich nie den Namen des Herrn nennen hören«, entgegnete der Dotter. »Ich habe einfach den inductiven Proceß des Geistes verfolgt, den wir dem unsterblichen Bacon verdanken. Wie kommt dieser höchst wichtige Brief in Ihren Besitz? Ich kann Sie nicht mit der Annahme kränken, daß Sie ihn gestohlen haben; folglich haben Sie ihn mit Erlaubniß und Autorisation des betreffenden Adressaten an sich genommen; mithin ist dieser in Ihrem Vertrauen und folglich ist er die erste Person, an welche ich denke. Sie sehen den Geistesproceß, nicht wahr? Gut. Gestatten Sie mir nun, ehe wir weitergehen, ein paar Fragen in Betreff Mr. Bashwood’s.«

Wie immer gingen die Fragen des Doctors direct auf die Sache los. Meine Antworten theilten ihm mit, daß Mr. Bashwood zu Armadale im Verhältnisse eines Intendanten stehe; daß er diesen Morgen den Brief in Thorpe-Ambrose empfangen und mit dem ersten Zuge ihn mir überbracht; daß er vor seiner Abfahrt weder mit Major Milroy noch sonst Jemand gesprochen, noch weniger den Brief irgendwem gezeigt; daß ich mir diesen seinen Dienst nicht durch Offenbarung meines Geheimnisses erkauft; daß ich mit ihm als Armadale’s Wittwe correspondirt und verkehrt; daß er unter diesen Umständen den Brief einzig und allein geheim gehalten, weil ich ihm geboten, wenn irgend etwas Besonderes in Thorpe-Ambrose vorfallen sollte, sich still zu verhalten, bis er zuerst meinen Rath eingeholt, und daß ich endlich als Grund, warum er in dieser Angelegenheit wie in allen andern streng nach meinen Instructionen gehandelt habe, nur den angeben könne, daß Mr. Bashwood mir und meinen Interessen blind ergeben sei.

 

Die Augen des Doktors sahen mich unter seiner Brille hervor mißtrauisch an.

»Worin«, fragte er, »liegt das Geheimniß dieser blinden Hingebung Mr. Bashwoods an Ihre Interessen?»

Aus Mitleiden mit Bashwood, nicht mit mir zögerte ich einen Augenblick. »Wenn Sie es denn wissen wollen«, antwortete ich, »Mr. Bashwood ist in mich verliebt.«

»Ach, ach!« rief der Doctor mit einer Miene der Erleichterung aus. »Jetzt fange ich an zu begreifen. Ist er ein junger Mann?«

»Ein alter.«

Der Doctor warf sich in seinen Stuhl zurück und kicherte leise. »Um« so besser!« sagte er. »Das ist ganz der Mann, den wir brauchen. Wer wäre so gegeeignet wie Mr. Armadale’s Intendanz ihn bei seiner Rückkunft auf dem Bahnhofe zu empfangen, und wer besser im Stande, Mr. Bashwood auf die gehörige Art zu beeinflussen, als der reizende Gegenstand von Mr. Bashwood’s Bewunderung?«

Daß Bashwood der rechte Mann war, um den Plan des Doctors zu fördern, und daß mein Einfluß ihn dazu vermögen würde, darüber konnte kein Zweifel obwalten. Hierin lag die Schwierigkeit nicht, sie lag in jener unbeantwortet gebliebenen Frage, ich dem Doctor vor einer Minute vorgelegt hatte. Ich stellte sie ihm von neuem.

»Gesetzt auch, Mr. Armadale’s Intendant findet seinen Herrn auf dem Bahnhofe«, sagte ich, »darf ich noch einmal fragen, wie Mr. Amadale überredet werden soll, hierher zu kommen?«

»Halten Sie mich nicht für ungalant«, versetzte der Doctor in der artigsten Manier von der Welt, »wenn ich meinerseits frage, wie können die Männer zu neun Zehnteln zu ihren thörichtsten Handlungen vermocht werden? Durch Ihr reizendes Geschlecht. Die schwache Seite jedes Mannes ist seine weibliche Seite. Wir haben nur diese weibliche Seite Mr. Amadale’s ausfindig zu machen, ihn sanft daran zu kitzeln und ihn an seidener Schnur auf unsern Weg zu leiten. Ich sehe hier«, fuhr er fort, während er Armadale’s Brief aufmachte, »eine Anspielung auf eine junge Dame. Das erscheint mir vielversprechend. Wo ist das an Miß Milroy gerichtete Billet, von dem Mr. Armadale spricht ?«

Anstatt ihm zu antworten, sprang ich in plötzlicher Erregung auf. Im Augenblicke, wo er Miß Milroy’s Namen nannte, kam mir Alles, was ich von Bashwood über Miß Milroy’s Krankheit und die Ursache der letzteren gehört hatte, auf einmal wieder ins Gedächtniß. So deutlich, wie ich den Doctor an der andern Seite des Tisches mir gegenüber sitzen und seine Verwunderung über die plötzlich in mir vorgehende Veränderung sah, ebenso deutlich sah ich jetzt das Mittel vor mir, um Armadale in das Sanatorium locken zu können. Welch eine Wollust war es, daß endlich Miß Milroy meinen Zwecken dienstbar zu machen vermochte!

»Lassen wir das Billet!« sagte ich. »Um alle Zufälligkeiten zu vermeiden, habe ich’s verbrannt. Ich kann Ihnen Alles und mehr sagen, als was Sie aus dem Billet ersehen haben würden. Miß Milroy endet alle Schwierigkeiten! Sie ist insgeheim mit ihm verlobt, hat die falsche Kunde von seinem Tode vernommen und ist seitdem ernstlich krank in Thorpe-Ambrose gewesen. Wenn ihn Bashwood auf dem Bahnhofe trifft, so ist sicher feine allererste Frage —«

»Ich sehe es!« fiel der Doctor rasch ein. »Mr. Bashwood hat nichts weiter zu thun, als der Wahrheit ein ganz klein wenig Dichtung zuzusetzen. Wenn er seinem Herrn sagt, daß die falsche Nachricht bis zu Miß Milroy gedrungen ist, so braucht er nur hinzuzufügen, daß der Schlag ihren Kopf angegriffen hat und daß sie sich unter ärztlicher Pflege hier befindet. Vortrefflich! Vortrefflich! So rasch, wie ihn nur der rascheste Droschkengaul von London hierher bringen kann, werden wir ihn in unserm Sanatorium haben. Und bedenken Sie, keine Gefahr, nicht die Nothwendigkeit, uns andern Leuten anvertrauen zu müssen! Das Sanatorium ist kein Irrenhaus, kein concessionirtes Etablissement und keine ärztlichen Atteste sind erforderlich! Meine verehrte Dame, ich gratuliere Ihnen, ich gratuliere mir selbst. Gestatten Sie mir, Ihnen das Eisenbahncursbuch mit meinen besten Empfehlungen für Mr. Bashwood zu übergeben. Aus weiterer Rücksicht für ihn habe ich ihm schon die richtige Seite darin eingeknickt.«

Es fiel mir ein, daß ich Bashwood schon sehr lange hatte auf mich warten lassen. Ich nahm das Buch und wünschte dem Doctor ohne weitere Ceremonie guten Abend. Als er mir höflich die Thür aufmachte, kam er, ohne die geringste Nothwendigkeit und ohne daß ich meinerseits nur durch ein Wort dazu Anlaß gegeben hatte, wieder auf den Ausbruch tugendhafter Entrüstung, der ihm zu Anfang unserer Unterredung entschlüpft war.

»Hoffentlich«, sagte er, »werden Sie meinen gänzlichen Mangel an Takt und Verständniß gütig vergessen und vergeben, den ich – kurz den ich mir zu Schulden kommen ließ, als ich die Fliege fing. Ich erröthe, wahrhaftig, ich erröthe förmlich über meine eigene Dummheit, den kleinen Scherz einer Dame buchstäblich zu nehmen! Gewaltthat in meinem Sanatorium!« rief der Doctor aus, mich von neuem mit seinen Blicken fixierend, »Gewaltthat in unserm aufgeklärten Jahrhundert! Hat es je so etwas Lächerliches gegeben? Nehmen Sie den Mantel fest um, ehe Sie hinausgehen – es ist so kalt und rauh! Soll ich Sie begleiten? Soll ich Ihnen meinen Diener mitgeben? Ach, Sie sind immer selbstständig gewesen, immer Ihr eigener Schutz! Soll ich morgen früh bei Ihnen vorkommen und hören, was Sie mit Mr. Bashwood ausgemacht haben?«

»Ja«, sagte ich und machte mich endlich von ihm los. Auf meinem Zimmer wartete der ältliche Herr, wie das Dienstmädchen sagte, noch immer ruhig auf mich.

Viel Worte über das zu verschwenden, was zwischen mir und Bashwood vorging, habe ich entweder den Muth nicht oder die Geduld, ich weiß nicht, welches von beiden. Es war so leicht, so verächtlich leicht, die Fäden an der armen alten Puppe zu ziehen, wie man nur wollte! Ich stieß auf keine der Schwierigkeiten, auf die ich bei einem jüngeren oder einem vor Verliebtheit minder blinden Mann gestoßen sein würde. Ihm die Anspielungen auf Miß Milroy, die ihn natürlich verdutzt hatte, zu erklären, das überließ ich einer späteren Zeit, ich gab mir nicht einmal die Mühe, einen plausiblen Grund zu erfinden, warum er Armadale auf dem Bahnhofe ablauern und ihn durch eine Kriegslist in des Doctors Sanatorium locken sollte. Alles, was ich zu thun für nothwendig erachtete, war, daß ich ihn auf das verwies, was ich ihm bei meiner Ankunft geschrieben und was ich ihm nachmals gesagt hatte, als er im Hotel erschienen war, meinen Brief persönlich zu beantworten.

»Daß meine Ehe keine glückliche gewesen ist«, sprach Ich, »wissen Sie schon. Machen Sie sich hieraus selbst Ihren Schluß und drängen Sie mich nicht, Ihnen zu sagen, ob mir die Kunde von Armadale’s Errettung aus der See so willkommen ist, wie sie von Rechtswegen seiner Gattin sein sollte!« Das genügte, sein altes, welkes Gesicht in Glut zu setzen und seine welken alten Hoffnungen neu zu beleben. Ich brauchte nur hinzuzusetzen, »Wenn Sie thun wollen, was ich von Ihnen verlange, einerlei, wie unbegreiflich und mysteriös, Ihnen mein Begehren erscheinen mag, und wenn, meinen Versicherungen glauben, daß Sie selbst Gefahr laufen und die rechte Erklärung zur rechten Zeit erhalten werden, dann werden Sie sich einen solchen Anspruch auf meine Dankbarkeit und Rücksicht erworben haben, wie ihn noch nie ein Mann auf Erden hatte.« Nur diese Worte hatte ich zu sagen und sie mit einem Blicke und einem verstohlenen Händedruck zu begleiten, und er lag mir zu Füßen, blindlings bereit, mir zu willfahren. Wüßte er, woran ich selbst dachte – doch das macht nichts aus, er wußte eben nichts.

Schon sind Stunden vergangen, seit ich ihn mit den nöthigen Verhaltungsmaßregeln, mit dem Cursbuche und mit seinem Gelöbniß des Stillschweigens nach dem nahe dem Bahnhofe gelegenen Hotel geschickt habe, wo er warten soll, bis Armadale auf dem Perron erscheint. Alle Aufregung von diesem Abend ist verschwunden und das dumpfe, beklemmende Gefühl beherrscht mich wieder. Erschöpft sich meine Energie, gerade wo ich sie am nöthigsten brauche? Das möchte ich wissen. Oder will mich eine Ahnung Von kommendem Unheil beschleichen, das ich noch nicht recht begreife?

Ich wäre in der Stimmung, über solchen Gedanken und Aufzeichnungen noch stundenlang zu sitzen, wenn es nur mein Tagebuch zulassen wollte. Allein meine Feder ist so fleißig gewesen, daß das Ende des Buchs da ist. Ich bin am letzten freien Plätzchen der letzten Seite angelangt, und ich mag nun wollen oder nicht, diesmal muß ich das Buch für immer zumachen, wenn ich’s heute Abend schließe.

Fahre wohl, du mein alter Freund und Genosse an so manchem elenden Tage! Ich besitze sonst nichts, was ich lieben könnte, es scheint mir daher fast, als wenn ich dich unvernünftigerweise lieb hätte.

Wie thöricht ich bin!«

Viertes Kapitel

Am Abende des zweiten December nahm Mr. Bashwood zum ersten Male seinen Beobachtungsposten auf dem Bahnhofe der Südostbahn ein. Es war sechs Tage früher als der Zeitpunkt, welchen Allan selbst zu seiner Rückkunft bestimmt hatte; allein der Doctor hatte es nach seiner ärztlichen Erfahrung gerade für wahrscheinlich gehalten, daß »Mr. Armadale in seinem beneidenswerthen Alter so eigensinnig sein möchte, eher zu genesen, als sein Arzt vorausgesehen hätte«. Der Vorsicht halber wurde daher Mr. Bashwood angewiesen, sein Warten auf dem Bahnhofe schon tags darauf, nachdem er den Brief seines Herrn empfangen, zu beginnen.

Vom zweiten bis zum siebenten December wartete der Verwalter pünktlich auf dem Bahnhofe, sah die Züge ankommen und überzeugte sich zu seiner Genugthuung Abend für Abend, daß ihm die Reisenden sämtlich fremd waren. Vom zweiten bis zum siebenten December empfing Miß Gwilt – um auf den Namen zurückzukommen, unter dem sie uns am besten bekannt ist – seinen täglichen Bericht, den er manchmal persönlich abstattete, manchmal brieflich übersandte. Der Doctor, welchem die Berichte mitgetheilt wurden, nahm sie seinerseits bis zum Morgen des achten mit unerschüttertem Vertrauen in die getroffenen Vorsichtsmaßregeln entgegen. An diesem Tage hatte die Aufregung der beständigen Ungewißheit Miß Gwilt’s wandelbare Stimmung sehr zum Schlimmen verändert, was Jeder in ihrer Umgebung wahrnahm und was merkwürdig genug sich in dem Wesen des Doctors ebenso auffällig widerspiegelte, als er ihr seinen gewöhnlichen Besuch machte. Durch ein so außerordentliches Zusammentreffen, daß seine Feinde es überhaupt für ganz und gar kein Zusammentreffen gehalten haben dürften, kam an dem Morgen, wo Miß Gwilt die Geduld auszugehen begann, dem Doctor zum ersten Male sein Vertrauen abhanden.

»Natürlich keine Nachricht«, sagte er, indem er sich mit einem schweren Seufzer niederließ. »Gut! gut!«

Miß Gwilt sah ihn von ihrer Arbeit her aufgeregt an.

»Sie scheinen mir heute Morgen wunderbar kleinlaut«, sagte sie. »Vor was fürchten Sie sich denn jetzt?«

»Einem Manne«, antwortete der Doctor, »selbst wenn er einem so wesentlich friedlichen Berufe angehört, wie es der meinige ist, macht man nicht so leichthin den Vorwurf der Furcht. Ich fürchte mich nicht, ich bin nur, wie Sie zuerst richtiger bemerkten, kleinlaut. Sie wissen, ich bin von Natur sanguinischen Temperaments und erkenne nur heute, was ich ohne gewohnte Zuversicht schon vor acht Tagen erkannt haben würde und erkannt haben müßte.«

Ungeduldig warf Miß Gwilt ihre Arbeit hin. »Wenn Worte Geld kosteten«, versetzte sie, »so würde dies Ihnen zu einem sehr kostspieligen Luxus werden.«

»Was ich vor acht Tagen erkannt haben würde und erkannt haben müßte«, wiederholte der Doctor, ohne von der Unterbrechung die geringste Notiz zu nehmen. »Um mich deutlicher auszusprechen, ich fühle mich keineswegs mehr so sicher, wie ich’s war, daß Mr. Armadale sich ohne Widerstreben den Bedingungen fügen wird, die ich ihm in meinem Interesse – in geringerem Grade auch in Ihrem – auferlegen muß. Merken Sie wohl auf! Ich stelle es nicht in Frage, daß es uns gelingen wird, ihn in das Sanatorium zu locken, ich zweifle blos, daß er ganz so traitable sein wird, als ich ursprünglich annahm, wenn wir ihn drin haben. Denken Sie«, fuhr er fort, zum ersten Male aufblickend und Miß Gwilt forschend fixierend, »denken Sie, er ist verwegen, halsstarrig, wie Sie’s nennen wollen, und hält aus, hält wochenlang, monatelang aus, wie Menschen in einer der seinigen ähnlichen Lage schon ausgehalten haben. Was folgt daraus? Die Gefahr, ihn in gezwungenem Versteck zu halten, ihn, wenn ich so sagen soll, zu unterdrücken, wächst in steigender Potenz und wird enorm! Im Augenblick ist nun mein Haus wirklich zur Aufnahme von Kranken bereit; schon im Laufe einer Woche dürften Patienten sich einstellen, dürften mit Mr. Armadale oder Mr. Armadale dürfte mit ihnen verkehren, ein Billet könnte herausgeschmuggelt und der Commission zur Feststellung des Wahnsinns in die Hände gespielt werden. Selbst in dem Falle eines nicht concessionirten Etablissements wie das meinige ist, haben diese Herren – nein, diese patentierten Despoten in einem Lande der Freiheit – nur den Lordkanzler um einen Befehl anzugehen, um ohne weiteres in mein Sanatorium einzudringen und das ganze Haus vom Dache bis zum Keller zu durchsuchen. Um Himmelswillen, in mein Sanatorium eindringen! Ich verzage nicht, ich will Sie nicht erschrecken, ich behaupte nicht, daß die Mittel, die wir zu unserer eigenen Sicherheit ergreifen, nicht die besten sind, welche uns überhaupt zur Verfügung stehen, ich bitte, sich nur die Commission in meiner Anstalt denken und die Folgen davon ins Auge fassen zu wollen. Die Folgen!« wiederholte der Doctor, indem er sich ernst erhob und seinen Hut nahm, als wolle er das Zimmer verlassen.

 

»Haben Sie mir nichts weiter zu sagen?« fragte Miß Gwilt.

»Haben Sie Ihrerseits einige Bemerkungen zu machen?« erwiderte der Doctor.

Den Hut in der Hand stand er wartend da. Eine volle Minute sahen sich beide schweigend an.

Miß Gwilt nahm zuerst wieder das Wort.

»Ich glaube Sie zu verstehen«, sagte sie, mit einem Male ihre Fassung wiedergewinnend.

»Verzeihen Sie gefälligst«, entgegnete der Doctor, die Hand ans Ohr legend. »Was haben Sie gesagt?«

»Nichts.«

»Nichts?«

»Sollten Sie zufällig heute Morgen wieder eine Fliege fangen«, sagte Miß Gwilt ihren Worten einen bitter-sarkastischen Nachdruck gebend, »so wäre ich vielleicht im Stande, Sie wieder durch einen kleinen Scherz in Schrecken zu jagen.«

Höflich protestierend hielt der Doctor beide Hände empor und sah aus, als wollte sich seine gute Laune wieder einstellen.

»Es ist grausam«, murmelte er sanft, »daß Sie mir selbst jetzt noch nicht meinen unseligen Mißgriff vergeben haben!«

»Was haben Sie mir sonst noch zu sagen?« sprach Miß Gwilt »Ich wartete darauf.« Mit höhnischer Miene drehte sie ihren Stuhl nach dem Fenster um und nahm, während sie sprach, ihre Arbeit wieder auf.

Der Doktor stellte sich hinter sie und legte seine Hand auf die Lehne ihres Stuhls.

»Zuerst möchte ich eine Frage an Sie richten«, sagte er, »und sodann eine nothwendige Vorsichtsmaßregel vorschlagen. Wenn Sie mich mit Ihrer Aufmerksamkeit beehren wollen, stelle ich jetzt zuvörderst meine Frage.«

»Ich bin ganz Ohr.«

»Sie wissen, daß Mr. Armadale noch am Leben ist, und wissen auch, daß er nach England zurückkehrt. Warum tragen Sie nach wie vor Ihre Witwenkleidung?«

Ohne einen Augenblick zu zögern, antwortete sie ihm, emsig fort nähend:

»Weil ich wie Sie sanguinischen Temperaments bin; ich denke mich bis zuletzt auf das Kapitel der Zufälligkeiten zu verlassen. Mr. Armadale kann ja noch auf seinem Heimwege sterben.«

»Gesetzt aber, er kommt lebendig nach Hause, was dann?«

»Dann bleibt immer noch eine andere Chance übrig.«

»Bitte, was für eine?«

»Er kann in Ihrem Sanatorium sterben.«

»Madame!« remonstrirte der Doctor in dem tiefen Baß, den er für seine Ausbrüche tugendhafter Entrüstung aufzusparen pflegte. »Halt! Sie haben vom Kapitel der Zufälligkeiten gesprochen«, ging er weiter, in seinen sanfteren Conversationston zurückfallend. »Ja, ja! Natürlich! Diesmal Verstehe ich Sie. Selbst die Heilkunst ist von Zufälligkeiten abhängig, selbst solch ein Sanatorium wie das meinige kann vom Tode überrascht werden. Ganz richtig, ganz richtig!« sagte der Doctor, in höchster Unparteilichkeit diese Concession machend. »Es gibt ein Kapitel der Zufälligkeiten, ich räume das ein, wenn Sie sich darauf verlassen wollen. Geben Sie Acht! Ich sage ausdrücklich, wenn Sie sich darauf verlassen wollen.«

Abermals trat ein Moment des Schweigens ein, eines so tiefen Schweigens, daß im ganzen Zimmer kein Laut zu vernehmen war, als der Ton, welchen Miß Gwilt’s Nadel hervorbrachte, wenn sie den Faden durch die Leinwand zog.

»Fahren Sie fort«, sprach endlich Miß Gwilt. »Sie sind noch nicht fertig.«

»Allerdings«, sagte der Doktor. »Nachdem ich meine Frage gestellt, muß ich Ihnen jetzt meine Vorsichtsmaßregel vorschlagen. Daß ich meinerseits nicht gesonnen bin, mich auf das Kapitel von den Zufälligkeiten zu verlassen, werden Sie daraus ersehen. Ich habe mir überlegt, daß Sie und ich, räumlich gesprochen, für eine Eventualität nicht so passend situirt sind, als es der Fall sein sollte. Vor der Hand sind in dieser indeß rasch aufblühenden Gegend Droschken noch eine Seltenheit; ich habe zwanzig Minuten zu Ihnen, Sie haben zwanzig Minuten zu mir zu gehen. Wie Sie wissen, kenne ich meinerseits Mr. Armadale’s Charakter nicht; es kann daher die Notwendigkeit, die sehr dringende Nothwendigkeit eintreten, einmal rasch an Ihre genauere Kenntniß desselben zu appellieren. »Wie aber soll ich das bewerkstelligen, wenn wir uns nicht immer, unter einem und demselben Dache, erreichen können? In unserm beiderseitigen Interesse erlaube ich mir deshalb, meine verehrte Dame, die Bitte, daß Sie auf eine gewisse Zeit eine Insassin meines Sanatoriums werden möchten.«

Miß Gwilt’s behende Nadel kam plötzlich zum Stillstand. »Ich verstehe Sie«, sagte sie, wieder so ruhig wie zuvor.

»Entschuldigen Sie«, entgegnete der Doctor, der in einem neuen jähen Anfall von Taubheit abermals die Hand vor das Ohr hielt.

Sie lachte vor sich hin – ein entsetzliches heimliches Lachen, das selbst den Doctor erschreckte, sodaß er schnell die Hand vom Ohre wegnahm.

»Eine Insassin Ihres Sanatoriums?« wiederholte sie. »Sie nehmen doch sonst in allen Stücken auf den Anstand Rücksicht und suchen den Schein zu wahren – meinen Sie dies zu thun, wenn Sie mich in Ihr Haus aufnehmen?«

»Ganz gewiß!« versetzte der Doctor enthusiastisch. »Ich bin erstaunt, daß Sie nur so fragen können! Haben «« Sie je einen bedeutenden Mann meines Berufs gekannt, der dem äußern Schein ins Gesicht schlug? Wenn Sie mir die Ehre erzeigen, meiner Aufforderung Folge zu leisten, so werden Sie mein Sanatorium in dem Charakter beziehen, der von allen am wenigsten bemäkelt werden kann «– als Patientin.«

»Wann wünschen Sie meine Antwort zu erhalten?«

»Können Sie sich heute noch entschließen?«

»Nein!«

»Morgen?«

»Ja. – Haben Sie mir sonst noch etwas zu sagen?«

»Nichts mehr.«

»So verlassen Sie mich also. Ich kümmere mich nicht um den Schein. Ich will allein sein und sage dies. Guten Morgen!«

»Ach, das Geschlecht, das Geschlecht!« rief der Doctor in wieder vollkommen guter Laune aus. »So entzückend impulsiv, so entzückend ohne Rücksicht auf das, was die Leute sagen und wie sie es sagen! Ja, ja! Guten Morgen!«

Als die Hausthür sich hinter ihm geschlossen hatte, trat sie ans Fenster und sah ihm voll Verachtung nach.

»Zuerst ist’s Armadale selbst gewesen«, sagte sie, »der mich dazu getrieben hat. Dann war’s Manuel. Du feiger Schurke da unten, sollst du mich zum dritten und letzten Male dazu treiben?«

Sie wandte sich vom Fenster ab und betrachtete sich ihre Wittwenkleidung gedankenvoll im Spiegel.

Die Stunden des Tages vergingen, und sie konnte sich zu nichts entschließen. Die Nacht kam heran, und sie schwankte noch immer. Der neue Morgen dämnrerte, und die fürchterliche Frage war noch ungelöst.

Da brachte die Morgenpost ihr einen Brief. Es war Mr. Bashwood’s gewöhnlicher Bericht. Wieder und wieder hatte er vergeblich aus Allan’s Ankunft gewartet.

»Ich will länger Zeit haben«, rief sie leidenschaftlich. »Kein Mensch auf der Welt soll mich mehr drängen, als ich will!«

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