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Sie eilte in ihr Zimmer hinauf mit einem aufkeimenden Mißtrauen gegen sich selbst, welches ihr zurief, zu handeln und nicht zu grübeln. Ohne so lange zu warten, bis sie ihren Shawl abgethan oder ihren Hut heruntergenommen hatte, öffnete sie ihr Schreibzeug und schrieb, so rasch nur die Feder über das Papier fliegen konnte, folgende Zeilen an Hauptmann Wragge.

Sie werden das Geld, das ich Ihnen versprach, im Einschluß finden. Mein Entschluß hat sich geändert. Das Entsetzen, ihn heirathen zu müssen, ist mehr, als ich ertragen kann. Ich habe Aldborough verlassen. Haben Sie Nachsicht mit meiner Schwäche und vergessen Sie mich.

Lassen Sie uns einander nie wieder begegnen.

Mit klopfendem Herzen, mit hastig zitternden Fingern zog sie ihr kleines, weißseidenes Täschchen aus dem Busen und nahm die Banknoten heraus, um sie in den Brief zu legen. Ihre Hand fuhr Ungestüm suchend umher, sie hatte fast ihr Tastgefühl verloren. Sie knitterte den ganzen Inhalt des Täschchens in einen Haufen Papiere zusammen und zog sie heftig heraus, die einen zerreißend, die andern aus ihrer Form bringend. Als sie dieselben vor sich auf den Tisch warf, war das Erste, was ihr in die Augen fiel, ihre eigene Handschrift. Sie sah näher darauf und sah die Worte, welche sie aus ihres seligen Vaters Briefe abgeschrieben hatte – sah den Brief des Advocaten und dessen schreckliche Erklärung dazu an dem unteren Ende des Blattes ihr entgegenleuchten:

Mr. Vanstones Töchter sind Niemandes Kinder, und das Gesetz überläßt sie hilflos der Gnade ihres Oheims:

Ihr klopfendes Herz stockte, ihre zitternden Hände wurden eisig ruhig. Die ganze Vergangenheit stand vor ihr auf, ein einziger stummer überwältigender Vorwurf! Sie nahm die Zeilen, welche ihre Hand vor kaum einer Minute geschrieben hatte, in die Höhe und sah auf die Tinte, welche noch nicht einmal trocken war, mit gedankenloser Ungläubigkeit.

Die Farbe, welche sich auf ihren Wangen gezeigt hatte, erstarb darauf noch ein Mal. Die harte Verzweiflung schaute aus ihren thränenlosen Augen abermals heraus, kalt und blitzend. Sie legte die Banknoten sorgfältig wieder zusammen und steckte sie wieder in ihre Tasche. Sie drückte die Abschrift von ihres Vaters Brief an ihre Lippen und brachte sie wieder an ihren Platz, samt den Banknoten. Als das Täschchen wieder auf ihrem Busen war, wartete sie einen Augenblick, die Hände vor ihr Gesicht gedrückt, dann zerriß sie entschlossen die an Hauptmann Wragge gerichteten Zeilen. Ehe die Tinte noch trocken war, lag der Brief in tausend Fetzen auf dem Boden.

– Nein! sprach sie, als ihr das letzte Stückchen des zerrissenen Papiers aus der Hand fiel, – auf dem Wege, den ich gehe, ist keine Umkehr!

Sie stand gefaßt auf und verließ das Zimmer. Als sie die Treppe hinunterstieg, begegnete sie Mrs. Wragge, die heraufkam.

– Schon wieder ausgehen, meine Liebe? frug Mrs. Wragge. Darf ich mit Ihnen gehen?

Magdalenens Geist war wo anders. Anstatt auf die Frage zu antworten, antwortete sie auf ihre eigenen Gedanken.

– Tausende von Frauen heirathen nach Geld. Warum sollte ich nichts auch?

Die verlegene Verwirrung auf Mrs. Wragges Angesicht, wie sie diese Worte gesprochen hatte, ermunterte sie, sich wieder in der Gegenwart zu fühlen.

– Meine arme, liebe Freundin! sprach sie, ich bringe Sie in Verlegenheit, nicht wahr? Achten Sie nicht darauf, was ich sage, – alle Mädchen sprechen Unsinn, und ich bin nicht besser als die Uebrigen. Kommen Sie, ich will Ihnen einen Schmaus geben. Sie sollen sich ergötzen solange der Hauptmann fort ist. Wir wollen eine lange Spazierfahrt für uns machen. Setzen Sie ihre pfiffige Haube auf und kommen Sie mit mir nach dem Hotel. Ich will der Wirthin sagen, sie soll ein hübsches kaltes Mittagsessen in eine Schachtel packen. Sie sollen alle die Dinge haben, die Sie gern essen – und ich will Ihnen vorlegen. Wenn Sie eine alte, alte Frau sein werden, so werden Sie freundlich an mich zurückdenken, nicht wahr? Sie werden sagen: »Sie war kein übles Mädchen, Hunderte waren schlimmer als sie und lebten und waren glücklich, und kein Mensch wirft einen Stein auf sie«. Da, da, gehen Sie und setzen Sie Ihre Haube auf.... Ach, mein Gott, was wird aus meinem Herzen! Wie es lebt und immer noch lebt, wo andere Mädchenherzen schon längst aufgehört hätten zu schlagen!

Eine halbe Stunde später saßen sie und Mrs. Wragge zusammen im Wagen. Eins von den Pferden zog beim Abfahren nicht an.

– Geben Sie ihm Eins mit der Peitsche, rief sie zornig dem Kutscher zu. Worüber erschrecken Sie! Geben Sie ihm die Peitsche! – Wenn nun der Wagen umstürzte, sprach sie, plötzlich zu ihrer Gesellschafterin gewandt, und wenn ich nun herausgeworfen und auf der Stelle todt wäre? Unsinn, sehen Sie mich nicht so an. Ich bin wie Ihr Mann; ich habe eine Anwandlung von Humor, und ich mache nur Scherz.

Sie waren den ganzen Tag weg. Als sie wieder heimkamen, war die Nacht schon hereingebrochen. Die langen in der frischen Luft zugebrachten Stunden hinterließen bei Beiden das Gefühl der Müdigkeit. Auch in dieser Nacht schlief Magdalene den tiefen traumlosen Schlaf der Nacht zuvor. Und so ging der Freitag zu Ende.

Ihr letzter Gedanke in der Nacht war derjenige gewesen, der sie den ganzen Tag aufrecht erhalten hatte. Sie legte ihr Haupt auf das Kissen nieder mit derselben Entschlossenheit, sich der nahen Prüfung zu unterwerfen, die sich bereits in Worten ausgesprochen hatte, als sie und Mrs. Wragge sich zufällig auf der Treppe begegneten. Als sie am Sonnabend Morgen aufwachte, war ihre Entschlossenheit wieder verschwunden. Die Freitagsgedanken, – sogar die Freitagsereignisse waren aus ihrem Gedächtnisse ausgelöscht. Abermals rieselte es ihr trotz ihrer Jugend kalt durch die Adern, sie fühlte wieder das tödtliche Heranrücken der Verzweiflung, die in dem schwindenden Mondenscheine ihr nahegetreten war und die ihr in der erhabenen Stille ins Ohr geflüstert hatte.

– Ich sah das Ende, wie es kommen mußte, sprach sie zu sich selbst, in der Donnerstagsnacht. Ich bin seitdem immer auf dem falschen Wege gewesen.

Als sie und ihre Gesellschafterin an diesem Morgen zusammenkamen, erneuerte sie ihre Klage wegen des Zahnwehs, sie lehnte das Erbieten der Mrs. Wragge, Arznei zu holen, abermals ab und verließ das Haus nach dem Frühstück wieder in der Richtung nach der Apotheke, wie sie den Morgen zuvor gethan hatte.

Dies Mal trat sie in den Laden, ohne einen Augenblick zu zögern.

– Ich habe einen Anfall von Zahnweh, sprach sie abgerissen zu einem ältlichen Manne, der hinter dem Ladentische stand.

– Darf ich Ihren Zahn besehen, Miss?

– Es ist nicht nöthig, ihn zu besehen. es ist ein hohler Zahn. Ich denke ich habe es von Erkältung.

Der Apotheker empfahl verschiedene Mittel, wie sie seit fünfzehn Jahren in Aufnahme wären. Sie mochte aber keins davon kaufen.

– Ich habe immer gefunden, daß Opium den Schmerz besser hebt, als irgend etwas Anderes, sagte sie, indem sie mit den Flaschen auf dem Ladentische spielte und dieselben ansah, während sie sprach, anstatt den Apotheker anzublicken. Geben Sie mir etwas Opium.

– Ganz wohl, Miss. Erlauben Sie mir aber eine Frage, es ist nur der Form wegen. Sie wohnen in Aldborough, nicht wahr?

– Ja. Ich bin Miss Bygrave von Nordsteinvilla.

Der Apotheker verbeugte sich, wandte sich sofort zu seinen Schränken und füllte ein gewöhnliches Halbunzenfläschchen mit Opium. Indem der Besitzer des Ladens den Namen und die Wohnung des Kunden vorher erfragte, erfüllte er eine Vorsichtsmaßregel, welche bei dem Stande der Gesetzgebung zu damaliger Zeit keineswegs unter solchen Umständen allgemein war.

– Soll ich Ihnen etwas Watte auf das Opium legen? frug er, nachdem er ein Zettelchen an die Flasche befestigt und in großen Buchstaben ein Wort darauf geschrieben hatte.

– Wenn Sie so gut sein wollen, ja. Was haben Sie auf die Flasche geschrieben?

Sie stellte die Frage in scharfem Tone mit eben soviel Mißtrauen als Neugier in ihrer Art und Weise.

Der Apotheker beantwortete die Frage, indem er einfach den Papierstreifen nach ihr zu drehte. Sie las darauf m großen Buchstaben geschrieben: Gift.

–Ich gehe gern sicher, sprach der alte Mann lächelnd. Sonst sehr ehrenwerthe Leute sind oft unselig nachlässig, wo es sich um Gifte handelt.

Sie begann wieder mit den Flaschen auf dem Ladentische zu spielen und stellte mit schlecht verhohlener Spannung eine andere Frage.

– Ist bei so einem kleinen Tropfen Opium, fragte sie, von Gefahr die Rede?

– Es ist genug, um den Tod hervorzubringen, Miss, versetzte der Apotheker ruhig.

– Bei einem Kinde oder bei einer Person von schwacher Gesundheit?

– Tod bei dem stärksten Manne in England, wer es auch sein möge.

Mit diesen Worten siegelte der Apotheker das Fläschchen in seine Hülle von weißem Papier und reichte das Opium, Magdalenen über den Ladentisch hinüber. Sie lachte, als sie es von ihm in Empfang nahm, und bezahlte es.

– Es wird auf Nordsteinvilla keine Gefahr zu fürchten sein, sprach sie. Ich werde das Fläschchen in meinem Putztische verschlossen halten. Wenn es den Schmerz nicht hebt, so muß ich wieder zu Ihnen kommen und es mit einem andern Mittel versuchen. Guten Morgen.

– Guten Morgen, Miss.

Sie ging geradewegs nach Hause, ohne einmal auf zusehen, ohne zu bemerken, ob Jemand und wer neben ihr ging. Sie streifte in der Flur an Mrs. Wragge vorbei, als ob sie an einem Stück Möbel vorbei gestreift wäre. Sie ging die Treppe hinaus und verfing ihren Fuß zwei Mal in ihren Kleidern wegen ihrer Unachtsamkeit auf die gewöhnliche Vorsicht, sie in die Höhe zu nehmen. Die alltäglichen Interessen und Sorgen des Lebens hatten bereits ihre Macht auf sie verloren.

In der Stille ihres Zimmers nahm sie das Fläschchen aus seiner Hülle und warf das Papier und die Watte ins Kamin. In dem Augenblicke, als sie Das that, geschah ein Klopfen an die Thür. Sie versteckte die kleine Phiole und schloß ungeduldig auf. Mrs. Wragge kam ins Zimmer.

 

– Haben Sie Etwas für Ihr Zahnweh, meine Liebe?

Ja.

– Kann ich Ihnen irgendwo zur Hand sein?

– Nein.

Mrs. Wragge zögerte noch unruhig an der Thür, Ihr Benehmen verrieth deutlich, daß sie noch Etwas auf dem Herzen hatte.

– Was gibt es? frug Magdalene mit scharfem Tone.

– Seien Sie nicht Böse, sprach Mrs. Wragge. Ich bin in meinen Gedanken noch nicht ruhig über den Hauptmann. Er ist ein fleißiger Briefschreiber – und doch hat er noch nicht geschrieben Er ist schnell wie der Blitz, – und doch ist er noch nicht zurück. Heute ist Sonnabend, und noch kein Zeichen von ihm. Ist er auf und davon gegangen, was meinen Sie? Ist ihm Etwas begegnet?

– Ich glaube es nicht. Gehen Sie wieder hinunter; ich will sogleich kommen und mit Ihnen davon sprechen.—

Sobald Magdalene wieder allein war, stand sie von ihrem Stuhle auf, ging auf einen Schrank im Zimmer zu, der verschlossen war und hielt einen Augenblick zögernd inne, die Hand am Schlüssel. Mrs Wragges Erscheinen hatte ihren ganzen Gedankengang in Verwirrung gebracht. Mrs. Wragges letzte Frage, so nichtssagend sie auch war, hatte sie am Rande des Abgrundes stutzig gemacht, hatte die alte schwache Hoffnung auf Erlösung durch einen Zufall aufs Neue in ihr rege gemacht.

– Und warum nicht? sprach sie. Warum sollte Einem von ihnen nicht Etwas zugestoßen sein können?

Sie stellte das Opium in den Schrank, verschloß diesen und steckte den Schlüssel in ihre Tasche.

– Noch Zeit genug bis Montag, dachte sie, – ich will warten, bis der Hauptmann zurückkommt.

Nach einigem Hin- und Herreden im unteren Zimmer wurde ausgemacht, daß das Dienstmädchen die Nacht aufbleiben und, bis ihr Herr zurückkehrt, warten sollte. Der Tag verging ruhig ohne Ereignisse irgendwelcher Art. Magdalene träumte die Stunden hinweg, indem sie in einem Buche las. Die Geduld des Harrens und Wartens war über sie gekommen, die stechende Qual des Grübelns war endlich der Betäubung und Abstumpfung gewichen. Sie brachte den Tag und den Abend im Wohnzimmers hin, mit einem unbestimmten Gefühl, das sie warnte, in ihr eigenes Zimmer zu gehen. Als die Nacht herankam, als das Geräusch draußen und im Hause aufhörte, begann ihre Unruhe aufs Neue. Sie versuchte, sich durch Lesen zu zerstreuen. Allein die Bücher vermochten nicht ihre Aufmerksamkeit zu fesseln. Die Zeitung lag in einer Ecke des Zimmers; sie versuchte es nun mit der Zeitung.

Sie blickte zerstreut auf die Ueberschriften der Artikel, sie blätterte ohne Aufmerksamkeit Seite auf Seite durch, bis ihre umherschweifenden Blicke auf die Schilderung einer Hinrichtung in einem entfernten Theile von England fielen und angezogen wurden. Es war Nichts in der Geschichte des Verbrechens, das sie irgendwie anging, und doch las sie dieselbe. Es war eine gewöhnliche, entsetzlich gewöhnliche Mordgeschichte – die Ermordung einer Bauernmagd durch einen Knecht, der eifersüchtig auf sie war. Er war durch keinen außerordentlichen Beweis überführt worden, und man hatte ihn dann unter keinen außergewöhnlichen Umständen aufgeknüpft Er hatte sein Geständniß abgegeben, wie andere Verbrecher seiner Classe, als er sah, daß keine Hoffnung mehr für ihn war, und die Zeitung hatte dasselbe am Schlusse des Artikels in folgenden Worten veröffentlicht:27

Ich stand mich mit der Verstorbenen ungefähr ein Jahr lang gut. Ich sagte, ich würde sie heirathen, wenn ich erst Geld genug hätte. Sie sagte, ich hätte jetzt Geld genug. Wir hatten einen Streit. Sie weigerte sich, mit mir wieder auszugehen; sie wollte Nichts mehr von meinem Bier wissen, sie ließ sich mit meinem Kameraden, dem Knecht David Crouch, ein. Ich ging am Sonnabend zu ihr hin und sagte, ich wolle sie heirathen, sobald wir nur aufgeboten werden könnten – wenn, sie Crouch aufgeben wollte.

Sie lachte mich aus. Sie drängte mich aus dem Waschhause hinaus, und die Anderen sahen, wie sie mich hinaussteckte. Ich war nicht mehr bei mir selber. Ich ging fort und setzte mich auf ein Thor, das Thor auf der Wiese, die sie »Pettits Stück« nennen. Ich dachte, ich müßte sie. erschießen. Ich ging und nahm meine Flinte her und lud sie. Ich ging wieder hinaus auf die Wiese. Ich hatte mir es fest vorgenommen, mit mir aufs Reine zu kommen. Ich dachte, ich könnte mein Glück versuchen, – ich meine, das Schicksal fragen, ob ich sie todt machen sollte oder nicht – indem ich die Pflugschar in die Luft würfe. Ich sagte zu mir, wenn sie flach fällt, so will ich ihr das Leben schenken, wenn sie aber mit der Spitze in die Erde fällt, so will ich sie todt machen. Ich schwang sie tüchtig herum und warf sie in die Höhe. Sie fiel mit der Spitze in die Erde. Da ging ich denn und schoß sie nieder. Es war ein schlechter Spaß, aber ich that es. Ich that es, weils, wie man zu sagen pflegt, Bestimmung war. Ich hoffe, der Herr wird Gnade mit mir haben. Ich wünsche, daß meine Mutter meine alten Kleider erhält. Ich habe Nichts mehr zusagen.

In den glücklicheren Tagen ihres Lebens würde Magdalene den Bericht von der Hinrichtung überschlagen haben samt dem gedruckten Geständnis das ihn begleitete; der Gegenstand würde sie nimmer angezogen haben. Jetzt aber las sie die entsetzliche Geschichte, las sie mit einem ihr selbst unerklärlichen Interesse. Ihre Aufmerksamkeit, welche über edlere und bessere Gegenstände hinweggegangen war, folgte jedem Satze in dem abscheulich unumwundenen Geständnisse des Mörders von Anfang bis zu Ende. Wenn der Mann oder das Frauenzimmer ihr bekannt gewesen wären, wenn der Ort irgend ein Interesse für sie gehabt hätte, so hätte sie der Erzählung nicht aufmerksamer folgen oder einen tieferen Eindruck auf ihr Gemüth davontragen können. Sie legte die Zeitung hin, verwundert über sich selbst, sie nahm sie noch einmal in die Hand und versuchte einen andern Theil ihres Inhalts zu lesen. Der Versuch war vergeblich, ihr Geist schweifte sogleich wieder ins Weite. Sie warf das Blatt weg und ging in den Garten hinaus. Der Abend, war dunkel, die Sterne waren nur einzeln und schwach zu sehen. Sie konnte nur den Kiesweg erkennen und auf ihm zwischen der Hausthür und dem Gartenthore auf- und abgehen.

Das Geständnis; in der Zeitung hatte sich ihrem Geiste auf schauerliche Weise eingeprägt. Wie sie ans dem Wege dahinschritt, that sich die schwarze Nacht über dem Meere auf und zeigte ihr den Mörder auf dem Felde, wie er die Pflugschar in die Lüfte schwang. – Sie eilte schaudernd ins Haus zurück. Der Mörder folgte ihr ins Wohnzimmer – Sie ergriff den Leuchter und ging auf ihr Zimmer hinauf. Das Wahngebild ihrer eigenen gestörten Phantasie folgte ihr bis zu dem-Orte, wo sie das Opium verborgen hatte – und verschwand dort…

Es war Mitternacht, und noch gab es kein Zeichen von der Rückkehr des Hauptmanns.

Sie nahm aus dem Schreibzeuge den langen Brief, welchen sie an Nora geschrieben hatte und las ihn langsam durch. Der Brief beruhigte sie. Als sie die leer gelassene Stelle am Schlusse erblickte, wandte sie rasch um und begann von vorne wieder zu lesen.

Es schlug Eins an der Kirchthurmuhr, und noch ließ der Hauptmann sich nicht blicken.

Sie las den Brief zum zweiten Male; sie wandte dann verzweifelt und beharrlich abermals um und las ihn zum dritten Male. Als sie nun wieder an die letzte Seite gekommen war, blickte sie nach ihrer Uhr. Es war ein Viertel vor Zwei. Sie hatte gerade die Uhr in den Gürtel ihres Kleides zurückgesteckt, als weit aus der Ferne durch die Morgenstille das Geräusch rollender Räder an ihr Ohr drang.

Sie ließ den Brief fallen, und schlug die Hände im Schooße zusammen und lauschte. Das Geräusch kam näher und näher, rascher und rascher. Für alle Anderen ein alltägliches Geräusch, für sie die Posaune des jüngsten Gerichts. – Es ging längs des Hauses hin, es fuhr noch eine Strecke weiter, es blieb halten. Sie hörte ein lautes Pochen, dann das Aufgehen eines Fensters, dann Stimmen, dann lange Stille, dann die Räder wieder, zurückkommend, dann das Oeffnen der Thüre unten und den Klang der Stimme des Hauptmanns auf der Flur.

Sie konnte es nicht länger ertragen. Sie öffnete ihre Thür ein klein wenig und rief ihn an.

Er eilte augenblicklich die Treppe herauf, erstaunt, sie noch auf zu finden. Sie sprach mit ihm durch die enge Spalte der Thür, indem sie sich selbst dahinter verbarg; denn sie fürchtete sich, ihm ihr Gesicht zu zeigen.

– Ist Etwas schlecht gegangen? frug sie.

– Beruhigen Sie sich, antwortete er. Nichts ist schlecht gegangen.

– Kann binnen heute und Montag kein widriger Zufall eintreten?

– Ich wüßte keinen; Die Vermählung ist bereits eine fertige Thatsache.

– Eine Thatsache?

– Gewiß.

– Gute Nacht.

Sie reichte ihm die Hand durch die Thür. Er ergriff sie mit einiger Ueberraschung: es war in seiner Erinnerung nicht oft vorgekommen, daß sie ihm aus eigenem Antriebe ihre Hand gab.

– Sie sind zu lange aufgeblieben, sagte er, als er den Druck ihrer kalten Finger fühlte. Ich fürchte, Sie werden eine schlechte Nacht haben, ich fürchte, Sie werden nicht schlafen.

Sie schloß leise die Thür.

– Ich werde, sprach sie, eher schlafen, als Sie es denken.

Es war über zwei Uhr, als sie sich in ihr Zimmer einschloß. Ihr Stuhl stand an seinem gewöhnlichen Platze am Putztische Sie setzte sich einige Minuten gedankenvoll nieder, öffnete dann ihren Brief an Nora und wandte sich an den Schluß, wo die leere Stelle war. Die letzten Zeilen, die über dieser Stelle standen, lauteten folgendermaßen:

… Ich habe mein ganzes Herz vor Dir bloß gelegt, ich habe Dir Nichts verborgen. Es ist bis dahin gekommen. Das Ende, das ich herbeizuführen gesonnen habe ans Kosten meines edleren Selbst, muß ich erreichen oder sterben. Es ist eine Erbärmlichkeit, es ist eine Tollheit, – nenne es, wie Du willst – aber es ist so. Es liegen jetzt zwei Gänge vor mir, zwischen denen ich die Wahl habe. Wenn ich ihn heirathen soll, – der Gang zur Kirche. Wenn meine Selbstentwürdignng zu schmachvoll ist, als daß ich sie vollbringen kann, – der Gang ins Todtenbett.

Unter diesen letzten Satz schrieb sie folgende Zeilen:

Meine Wahl ist entschieden. Wenn es das grausame Gesetz Dir gestatten will, so leg mich zu Vater und Mutter auf den Kirchhof daheim. Leb wohl, meine Liebe! Bleib immerdar unschuldig, sei immer glücklich. Wenn Frank je nach mir fragt, so sage ihm, ich starb und vergab ihm. Gräme Dich nicht lange um mich, Nora, – ich verdiene es nicht.

Sie siegelte den Brief zu und richtete ihn an ihre Schwester. Die Thränen sammelten sich in ihren Augen, als sie ihn auf den Tisch legte. Sie wartete, bis ihr Blick wieder klar war und nahm dann die Banknoten abermals aus dem kleinen Täschchen auf ihrem Busen. Nachdem sie dieselben in einen Bogen Briefpapier eingeschlagen hatte, schrieb sie des Hauptmann Wragge Namen auf den Umschlag und setzte noch folgende Worte darunter:

– Schließen Sie die Thür meines Zimmers und lassen Sie mich, bis meine Schwester kommt. Das Geld, das ich Ihnen versprach, ist hierin. Sie haben keinen Vorwurf verdient, es ist meine Schuld und nur die meine. Wenn Sie sich meiner freundlich erinneren wollen, so seien Sie um meinetwillen gut gegen Ihre Frau.

Nachdem sie diesen Umschlag neben den Brief an Nora gelegt hatte, stand sie auf und sah sich im Zimmer um. Ein paar kleine Gegenstände waren darin nicht an ihrem Platze. Sie stellte sie in Ordnung und zog die Vorhänge auf beiden Seiten am Kopfende ihres Bettes. Ihr Anzug war der nächste Gegenstand ihrer genauen Betrachtung. Er war so fein und rein und wohlgeordnet, wie immer; Nichts an ihr in Verwirrung, außer ihr Haar. Einige Flechten waren auf der einen Seite ihres Kopfes locker geworden und herunter gefallen, sie legte sie sorgfältig mit Hilfe ihres Spiegels wieder an ihren Platz.

– Wie bleich ich aussehe! dachte sie mit einem schwachen Lächeln. Werde ich noch bleicher aussehen, wenn sie mich früh finden?…

Sie ging gerade auf die Stelle los, wo das Opium verborgen war, und nahm es hervor. Das Fläschchen war so klein, daß es ganz gut in die hohle Hand ging. Sie ließ es eine Weile drin und stand in Betrachtungen davor.

– Tod! sprach sie, in diesem Tropfen braunen Trankes – Tod! Sowie diese Worte über ihre Lippen gekommen waren, erfaßte sie augenblicklich ein unaussprechliches Entsetzen. Sie ging unruhig durch das Zimmer, mit einer wahnsinnigen Verwirrung im Kopfe, mit einer erstickenden Angst im Herzen. Sie faßte nach dem Tische, um sich daran zu halten. Das schwache Geräusch von dem Fläschchen, als es leicht aus ihrer offenen Hand heraus fiel und an ein Porzellangeschirr auf dem Tische anrollte, drang ihr wie ein Dolchstich durchs Gehirn. Der Ton ihrer eigenen Stimme, herabgesenkt zu einem Flüstern, wie sie das eine Wort: Tod aussprach, drang in ihr Ohr wie Sturmesbrausen. Sie schleppte sich ans Bett und lehnte am Boden sitzend ihren Kopf darauf.

 

– Ach, mein Leben, mein Leben! dachte sie, was ist denn mein Leben Werth, daß ich so daran hänge?

Es trat eine Pause ein, und sie fühlte darauf, daß ihre Kraft wiederkehrte. Sie erhob sich auf ihre Kniee und verbarg ihr Antlitz auf dem Bette. Sie versuchte zu beten, um Vergebung zu beten dafür; daß sie ihre letzte Zuflucht zum Tode nahm. Wahnwitzige Worte fielen von ihren Lippen, Worte, die wie Schmerzensrufe geklungen hätten, hätte sie dieselben nicht in den Betten erstickt. Sie sprang auf ihre Füße, Verzweiflung verlieh ihr jählings die Kräfte einer Wüthenden. In einem Augenblicke war sie am Tische zurück, in einem weiteren Augenblick war das Gift noch ein Mal in ihren Händen.

Sie nahm den Kork heraus und hob das Fläschchen an ihren Mund.

Bei der ersten kalten Berührung des Glases an ihre Lippen bäumte sich ihr starkes junges Leben in ihrem Blute auf und kämpfte mit der ganzen Wucht seiner Verzweiflung gegen den nahen Todesschrecken an. Jede Fiber der üppigen Lebenskraft, die ihr beiwohnte, erhob sich in Empörung gegen das Werk der Zerstörung, das ihr eigener Wille an ihrem eigenen Leben zu begehen im Begriffe stand. Sie hielt inne, zum zweiten Male hielt sie inne wider ihren Willen. Da stand sie in der herrlichen Blüthe ihrer Jugend und Vollkraft, da stand sie zitternd an der Grenzscheide des menschlichen Daseins, den Kuß des Erbfeindes alles Lebens dicht vor den Lippen, für sich die Natur, die treu ihrem geheiligten Anrecht bis zuletzt um ihre Erhaltung kämpfte!

Kein Wort kam über ihre Lippen. Ihre Wangen errötheten tief, ihr Athem flog in immer stärkeren Zügen. Mit dem Gift noch in ihrer Hand, mit dem Gefühl, daß sie im nächsten Augenblick ohnmächtig werden würde, bewegte sie sich nach dem Fenster hin und zog den Vorhang auf, der es bedeckte.

Der junge Tag war angebrochen. Die breite graue Morgendämmerung strömte über das ruhige östliche Meer zu ihr herein.

Sie sah die Wasser mächtig und still in der nebelverhüllten Meeresstille sich heben und wälzen, fühlte den frischen Hauch der Morgenluft kühl über ihr Antlitz fächeln. Ihre Kraft kam zurück, ihr Geist wurde heller. Beim Anblick der See erinnerte sich ihre Seele des nächtlichen Spaziergangs im Garten und des Schreckbildes, das ihre gestörte Phantasie auf den schwarzen Grund gemalt hatte. Sie sah im Geiste das Bild wieder, sah den Mörder die Pflugschar wieder in die Luft werfen und Leben oder Tod des Weibes, das ihn verlassen hatte, aus den Zufall des Fallens der Spitze setzen. Der schreckliche Wahn dieses Menschen wirkte ansteckend auf ihren Geist, so jählings wie der junge Tag vor ihren Augen angebrochen war. Die Hoffnung aus Erlösung von dem Schrecken ihres Zauderns, die sie darin erblickte, erhob die letzte Willenskraft, die sie in ihrer Verzweiflung noch in sich fand. Sie entschloß sich den Kampf zu endigen, indem sie Leben oder Tod auf die Entscheidung des Zufalls setzte…

Aber auf welchen Zufall?…

Das Meer zeigte ihn ihr. Nur undeutlich konnte sie durch das Dunkel des Nebels eine kleine Flottille von Küstenschiffen erblicken, die langsam auf das Haus zufahren, alle dieselbe Richtung mit der günstigen Strömung der Fluth verfolgend. In einer halben Stunde, vielleicht noch eher, mußte die Flotte an ihrem Fenster vorüberkommen. Die Zeiger ihrer Uhr wiesen auf Vier. Sie setzte sich dicht ans Fenster, mit ihrem Rücken gegen die Gegend, aus der die Schiffe gegen sie herantrieben, das Gift auf das Fensterbrett gestellt, die Uhr auf ihrem Schooße liegend. Noch eine halbe Stunde beschloß sie zu warten und die Schiffe zu zählen, wenn sie herankämen. Wenn dies Mal eine gerade Zahl an ihr vorüberkäme, sobald das Zeichen gegeben, so sollte es ein Zeichen zum Leben sein. Wenn die ungerade Zahl herrschte, so sollte Tod das Ende sein.

Mit diesem letzten Entschlusse lehnte sie ihr Haupt an das Fenster und wartete auf das Vorüberziehen der Schiffe.

Das erste kam, hochragend, dunkel und nahe in dem Nebel, geräuschlos durch die schweigende See gleitend. Eine Pause – und das zweite folgte mit dem dritten hinterdrein. Eine zweite Pause, länger und länger ausgesponnen – und Nichts kam vorüber. Sie sah auf ihre Uhr. Zwölf Minuten und drei Schiffe… Drei…

Das vierte kam, langsamer als die übrigen, größer als die übrigen, weiter ab in dem Nebel als die übrigen. Die Pause folgte, abermals eine lange Pause dann zog das nächste Fahrzeug vorbei, das dunkelste und nächste von allen… fünf … die nächste ungerade Zahl.

Sie sah wieder auf ihre Uhr neunzehn Minuten und fünf Schiffe… zwanzig Minuten… einundzwanzig zwei… drei… und kein sechstes Schiff… vierundzwanzig, und das sechste kam vorbei fünfundzwanzig, sechsundzwanzig, siebenundzwanzig, achtundzwanzig und die nächste ungerade Zahl – die unheilvolle Sieben – zog langsam herauf… Noch zwei Minuten bis zu Ende der halben Stunde… und sieben Schiffe…

Neunundzwanzig, und Nichts folgte im Kielwasser des siebenten Schiffes. Der Minutenzeiger der Uhr bewegte sich halbwegs zu dreißig und noch blieb die weiße schwellende See eine neblige leere Fläche. – Ohne ihren Kopf vom Fenster zu drehen, nahm sie das Gift in die eine Hand und hob die Uhr in der andern. Wie die raschen Secunden einander abzählten, so rasch sahen ihre Augen von der Uhr aufs Meer, vom Meer auf die Uhr, sahen zum letzten Male aufs Meer – und – sahen das achte Schiff!

Leben, im letzten Augenblicke Leben!

Sie rührte sich nicht mehr, sie sprach nicht mehr. Der Tod der Gedanken und Gefühle schien bereits über sie gekommen zu sein. Sie stellte das Gift gedankenlos wieder auf das Brett des Fensters und sah wie im Traume dem Schiffe zu, wie es sanft seinen stillen Weg dahinzog, dahinzog, bis es dämmernd in dem Schatten verschwand – dahinzog, bis es im Nebel verschwunden war.

Der Druck auf ihrem Geiste ließ nach, als der Bote des Lebens aus ihrem Gesichtskreise entschwunden war.

– Vorsehung? flüsterte sie leise vor sich« hin, Vorsehung oder Zufall?

Ihre Augen schlossen sich, und ihr Haupt sank zurück. Als das Gefühl des Lebens ihr zurückkam, war die Morgensonne warm auf ihrem Angesichte, blickte der blaue Himmel auf sie nieder und war das Meer eine Fluth von Gold.

Sie sank auf ihre Kniee am Fenster und brach in Tränen aus.

. . . . . . . . . . . . .

Gegen Mittag desselben Tages wurde der Hauptmann, als er unten wartete und keine Bewegung in Magdalenens Zimmer merkte, unruhig über das lange Schweigen. Er befahl, daß das Mädchen mit ihm hinausginge, und, indem er aus die Thür zeigte, sagte er ihr, daß sie sachte hineinsehen und nachsehen sollte, ob ihre Herrin erwacht sei.

Das Mädchen trat ins Zimmer, blieb einen Augenblick darin und kam dann wieder heraus, indem es die Thür leise wieder zumachte.

– Sie sieht schön aus, Sir, sagte das Mädchen; und sie schläft so ruhig, wie ein neugeborenes Kind.

27Authentisch, vgl. Allgem. Zeitung, 3. August 1862, Correspondenz ans London. W
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