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Der folgende Tag beginnt mit der Morgenroutine. Einmal im Kreis um die Wohneinheit zu laufen, dauert elf bis zwölf Minuten, wobei etwa 3000 Meter zurückgelegt werden – eine hervorragende Distanz, um den Kreislauf in Schwung zu bringen. Als Erster läuft Michael los, daraufhin Habib, zuletzt schließt sich Kostja an. Normalerweise bestellt Samantha genau zu dieser Zeit das Frühstück für alle und nimmt regelmäßig Verbindung zu den Läufern auf, um die Bestellung mit den Daten des Personal Trainers abzustimmen, der die Chemie des Organismus im Auge behält.
Der Organismus gewöhnt sich rasch an das Leben auf der Station. Wenn er nicht gestört wird, funktioniert das System stabil. Auf der Erde gibt es zu viele Faktoren, die das menschliche Befinden beeinflussen, und normalerweise kann der Mensch diese Einflüsse nicht kontrollieren. Daneben treten zahlreiche sekundäre Einflüsse auf, die im Grunde nicht vorhersagbar sind: Wo und wie wird man von Magnet wellen durchdrungen oder von UV-Strahlen verbrannt? In der Summe nennt sich das „Extremum“. Das Leben findet dann in einer Extremsituation statt, wenn alles, wirklich alles um einen herum nicht zum eigenen Wachstum beiträgt, sondern die eigene Existenz aktiv beeinträchtigt.
Nachdem sie genügend Informationen eingeholt hat, bestellt Samantha das Frühstück beim Küchenroboter TKB – die Abkürzung steht für „Technischer Küchenbetreiber“. In dessen Aufgabenbereich fällt alles, was mit dem Essen und der Organisation dieses Prozesses zu tun hat. Er vergisst nie etwas, ist sorgfältig, pflichtbewusst und – darin sind sich alle einig – ein äußerst organisierter Roboter. Im Idealfall nimmt er selbst zu allem Kontakt auf.
Normalerweise sind die morgendlichen Treffen in der Küche Briefings, bei denen aktuelle Fragen erörtert und gemeinsame Maßnahmen besprochen werden. Trotzdem sind alle auch im Laufe des Tages online über den Hauptserver „ISS“ miteinander verbunden. Dieser wiederum wird von der elektronischen Schaltzentrale „ALL“ verwaltet.
Dabei handelt es sich um einen Super-Quantencomputer, der die Kommunikation sämtlicher Systeme und Mechanismen der ISS aufeinander abgestimmt. Seine Möglichkeiten sind noch nicht gänzlich erforscht, er befindet sich im Stadium der Selbstvervollkommnung, und niemand weiß genau, wie lange das dauert. Es ist auch heute noch beeindruckend, wozu die künstliche Intelligenz in der Lage ist. Wie verwundert wären doch unsere Vorfahren gewesen, hätten sie die Möglichkeiten dieses Systems mit eigenen Augen gesehen!
In der Regel können nur wenige mit außergewöhnlichen Erfolgen prahlen, wenn sie auf ihren bisherigen Lebensweg zurückblicken. Insbesondere mit einigem zeitlichen Abstand erscheint der zurückgelegte Weg leicht und wenig komplex, und alle Drehungen und Wendungen kommen einem nur allzu bekannt und verständlich vor. Viele von uns haben darüber nachgedacht, ob sie diesen Weg im Wissen um alle Wendungen, die er mit sich bringen würde, schnell und ohne Verluste hätten zurücklegen können. Ist es da nicht viel angenehmer, an einer echten Geschichte teilzunehmen und zu erleben, wie präzise jeder einzelne Schritt im multiplen Raum der möglichen Lösungen abgemessen wird? Dadurch lässt sich meine Vision gewissermaßen rechtfertigen. Ich möchte Sie nicht in die Geschichte der Ereignisse einweihen, die der Bildung unserer vor Diplomanden gruppe auf der ISS vorangegangen sind. Die wichtigsten Momente ihres Lebens spielen sich nämlich genau hier ab und bilden den Anfang einer neuen Ära auf der progressiven Leiter der menschlichen Evolution.
Das nächste morgendliche Briefing in der Küche unterschied sich durch nichts von den Vorhergehenden. Kostja, welcher der physischen Vorbereitung diesmal etwas mehr Zeit gewidmet hatte, begab sich eilends in die Küche. Sein Personal Trainer teilte ihm Folgendes mit: „Kostja, nehmen Sie Brötchen nur in Maßen zu sich, Ihr BMI und Ihre Eiweißwerte liegen dagegen im Normbereich.“
Er bedankte sich beim Provider und beschleunigte seinen Schritt. Zu diesem Zeitpunkt befanden sich alle weiteren Gruppenmitglieder bereits im Saal.
Als Kostja das Zimmer betrat, fiel sein Blick sofort auf Samantha, deren Gesicht einerseits Verwunderung, andererseits Empörung zum Ausdruck brachte.
Kostja, der sich die Hände abtrocknet, meint:
„Anscheinend haben wir eine interessante Woche vor uns. Wer hat sich die letzte Zusammenfassung von der Erde angesehen?“
Samantha lächelte und fuhr mit dem Frühstück fort.
Habib sah mit starrem Blick auf das vor ihm stehende Frühstück, als würde er die in den Lebensmitteln enthaltenen Moleküle zählen.
Julias Blick trifft auf den von Michael, welcher zustimmend mit dem Kopf nickt und spricht:
„Der schläft noch halb.“
Mit monotoner Stimme meint Habib:
„Wir müssen die Daten der Sahara Proben noch einmal überprüfen und sie mit den Daten der Subtropen abgleichen.“
Julia trinkt ihren Cocktail fertig und schaltet das Übersicht Display in der Mitte des Tisches ein:
„Schauen wir uns die Nachrichten an.“
In den Nachrichten wurde von der Aufhebung bedeutender Systeme im Bereich der zwischenstaatlichen Beziehungen berichtet, wenngleich die Existenz von Staaten aus juristischer Sicht bereits lange vorher abgeschafft worden war. Dasselbe gilt auch für die Grenzen zwischen solchen.
Die Sprecherin las die wesentliche These eines Dekrets über die Erde vor, das zuvor lange ausgearbeitet worden war. Die These war kurz und verständlich: „Die Erde stellt eine unteilbare Einheit dar, die weder einzelnen Gruppen noch Rassen gehören kann.“
Anschließend wurde knapp über den erneuten Einsturz der Erdoberfläche an mehreren Stellen berichtet. In Anbetracht der Gesamtlage erweckten derartige Berichte einen durchaus beunruhigenden Eindruck.
Michael schlug vor, die Nachrichten auszuschalten und den Arbeitstag gemeinsam abzustimmen. Er las folgende Mitteilung vor:
„ALL schlägt vor, dass zwei von uns die gestern eingetroffenen Studenten mit der ISS vertraut machen sollen.“
Kostja und Samantha tauschten Blicke aus und erklärten sich dazu bereit.
„Habib fährt mit dem Abgleich der Daten von der Erde fort, und du, Julia, machst die biochemischen Test Analysen der Kapsel Proben fertig“, sagte Michael.
Kapsel Proben stellen eine Innovation in der Erforschung der oberen Schichten der Planeten des Sonnensystems dar. Auf diese Methode kommen wir später noch detailliert zurück.
Michael selbst wollte sich der Erstellung des Zeitplans für die Referate zu den im vergangenen Monat durchgeführten Untersuchungen widmen. Am Wochenende war eine Telekonferenz mit dem wissenschaftlichen Beirat anberaumt, bei der die Gruppe von den Ergebnissen ihrer Arbeit berichten und konkrete praktische Untersuchungen für ihre Diplomarbeit vorschlagen sollte. Alle Gruppenmitglieder sind erfahrene Forscher, die sich darüber im Klaren sind, dass die Regeneration der Erdkruste mehrere Jahrhunderte dauern kann. Den Luxus, auf die natürliche Regeneration zu warten, kann sich die Menschheit nicht leisten, vielmehr werden neue Algorithmen zur Prozessbeschleunigung benötigt, denn das irdische Potential ist signifikant gesunken. In diesem Zusammenhang werden schon heute Ergebnisse benötigt.
Ein Hoffnungsschimmer.
Als sich alle bereits vom Tisch erheben wollten, bat Kostja um kurze Aufmerksamkeit:
„Mir ist morgens eine Nachricht von den Geodäsien ins Auge gefallen, hört mal kurz zu. Von der Station für übertiefe Bohrung wurden vollkommen neuartige Verbindungen unbekannter Mikroorganismen entdeckt. Früher war man davon ausgegangen, dass es in solcher Tiefe kein Leben geben kann.“
Kostjas Mitteilung rief bei allem Interesse hervor, und man beschloss, eine Anfrage nach sämtlichen Informationen über diesen Fund zu stellen. Jeder begab sich an seinen Platz, doch der Gedanke an neue Mikroorganismen ließ niemanden gleichgültig. Diese Neuigkeit hatte das Potential, die Untersuchungen in eine ganz andere Richtung zu lenken.
Michael begab sich in seine persönliche Kabine, die ihm als Büro mit Arbeitstisch diente, und sandte eine Anfrage an ALL, nachdem er zuvor mit ihm über dieses Thema gesprochen und darum gebeten hatte, Informationen über sämtliche Proben der übertiefen Bohrung einzuholen.
Um sich ein allgemeines Bild von der Geodäsie machen zu können, muss man über alle mehr oder weniger erfolgreich durchgeführten Bohrungsarbeiten der übertiefen Bohrstationen Bescheid wissen. ALL teilte mit, dass solche Bohrungen aufgrund fehlender kaufmännischer Interessen äußerst selten durchgeführt würden, da man davon ausgehe, dass es jenseits des Oberen Mantels nichts gebe, was sich verarbeiten und produzieren lasse. Mit anderen Worten: Eine betriebswirtschaftliche Grundlage sei nicht gegeben. Die geologische Forschungsabteilung weise in ihrer Bilanz jedoch eine experimentelle Gruppe aus, die eine spezielle Technik entwickelt habe – autonome Roboter, die in der Lage seien, derartige Arbeiten durchzuführen. Die Testmodelle hätten einen ausgezeichneten Eindruck hinterlassen. Der Kombiroboter könne an jeder beliebigen Stelle landen und die notwendigen Arbeiten auch unter Wasser durchführen.
Von dieser Gruppe seien schon viele Arbeiten durchgeführt worden, momentan finde die operative Wassersuche dort statt, wo solches noch nie vorhanden gewesen sei, da das Grundwasser stets in zu großer Tiefe gelegen habe. Dadurch ließen sich mehrere Hunderttausend Menschen vor der Dehydrierung des Organismus retten. Michael meinte: „Die sind echte Helden“, während ALL die weiteren Verdienste der Gruppe aufzählte.
Daraufhin erwiderte Michael:
„Bitte schick alles, was du darüber weißt, zu mir ins Büro, ich muss mir ein detailliertes Bild davon verschaffen.“
Die Mannschaft erhält Zuwachs.
In der Zwischenzeit trafen Kostja und Samantha sich mit den Neuankömmlingen. Treffen dieser Art finden normalerweise in der Haupthalle statt, in der sich alle Bewohner der ISS in ihrer Freizeit treffen. Dann geht es zu wie auf einer Party, auf der die Leute tanzen oder einfach Spaß haben. Eine lebhafte Diskussion ist durch nichts zu ersetzen – sie ist wie eine Gruppentherapie, bei der jeder jeden heilt. Der Saal wird auch für Telekonferenzen verwendet, wobei ALL bei den beteiligten Forschungsgruppen von der Erde den Eindruck erweckt, sie seien bei wichtigen wissenschaftlichen Gesprächen unmittelbar vor Ort. Auf der Erde kam diese Methode endgültig zum Durchbruch, als den Menschen klar wurde, dass es sinnlos war, sich voreinander zu verstecken, geheime Untersuchungen durchzuführen und Errungenschaften zu verheimlichen. Dies führt nicht zur Weiterentwicklung der Zivilisation, denn der wissenschaftlich-technische Fortschritt betrifft uns alle und ist lebensnotwendig.
Während sie auf die Halle zuging, fragte Samantha ALL nach den Personalien dreier Studenten, die im Rahmen eines Praktikums im Bereich Weltraumforschung eingetroffen waren. Kostja bat den Kommunikator, ihm die Informationen über die Studenten vorzulesen, und wunderte sich darüber, dass er nur zwei Sätze zu hören bekam: Geschlecht, Alter, Fakultät und Forschungsgebiet. Als sie die Halle betraten, erblickten sie drei junge Personen in enganliegenden, türkisfarbenen Overalls: zwei Männer und eine junge Frau, die etwa dieselbe, ihrem Alter entsprechende Körpergröße hatten. Kostja hob den Arm und begrüßte seine ergebenen Vasallen wie ein Anführer. Er gab sich jede Mühe, einen steinernen Gesichtsausdruck beizubehalten, konnte ein Lächeln jedoch kaum zurückhalten. Samantha hingegen lächelte offenherzig, streckte ihnen die Hand entgegen und hieß sie mit warmen Worten auf der ISS willkommen. Als sie ihre bleichen Gesichter bemerkte, fragte sie vorsichtig, wie ihnen die Teleportation bekommen sei.
Einmütig erwiderten die Studenten:
„Ganz normal, eigentlich wie immer...“
Damit brachten sie das Eis bei Kostja endgültig zum Schmelzen. Er wäre fast in Lachen ausgebrochen und meinte:
„Jetzt aber mal ehrlich!“
Samantha entgegnete sofort:
„Vergiss nicht, wie es bei dir war.“
Kostja blickte die Neuen an und sagte:
„So etwas vergisst man nicht. Anfangs hätte ich mich selbst kaum erkannt und meinen Organismus auch nicht.“
Samantha meinte:
„Den persönlichen Bereich kennt ihr schon, nun steht die Bekanntschaft mit der Crew an. Die Steuerungstafel ist nämlich direkt nebenan. Danach kommt das Laborgebäude. Alles Weitere erledigen ALL und euer persönlicher Kommunikator. Kostja und ich sind aus der mikrobiologischen Abteilung und helfen euch immer gerne, falls irgendwelche Fragen auftauchen. Und jetzt wartet schon die Plattform an der Transportlinie auf uns. Wahrscheinlich habt ihr die Markierung gesehen, als ihr hierhergelaufen seid.“
Die Studenten nickten einmütig.
„Dem bleibt nur noch hinzuzufügen, dass es auf der ISS zwei Typen gibt: Transportlinien und Passagier Linien. Der Kommunikator sagt euch immer, wie ihr am besten wohin gelangt, und organisiert den Transport.“
Die durchsichtigen Türen öffneten sich, und eine Passagier Plattform für sechs Personen kam zum Vorschein. Die Mädchen nahmen auf der einen Seite Platz, die Jungen gegenüber.
Kostja wollte witzig sein und meinte:
„Legt die Gurte an.“
Es regte sich jedoch keiner, da alle wussten, dass dies überflüssig war.
Während des Fluges nimmt man die Geschwindigkeit gar nicht wahr, und der Wind pfeift nicht in den Ohren – ein unbeschreibliches Gefühl, und einen Augenblick später ist man dort, wo man hinwollte.
Die Plattform machte vor einer riesigen Raumanlage Halt, hinter der man außer den gewöhnlichen Lichtreflektoren, die an allen Trennwänden und übrigen Konstruktionen der ISS angebracht sind, keinerlei schützende Kulisse ausmachen konnte. Dies sorgte für Verwunderung bei den Neuankömmlingen, die sich flüsternd darüber austauschen, wie das möglich sei, den Technologien dieser Art waren noch unerforscht. Ein ganzes Modul kann verschwinden und zusammen mit den anwesenden Personen, Gegenständen und Steuerungssystemen das Aussehen verändern, was die Studenten überraschte.
Kostja meinte:
„ALL, autorisieren Sie den Zutritt zur Zentrale und informieren Sie den Kapitän.“
ALL erwiderte:
„Der Zutritt ist genehmigt, der Kapitän erwartet euch.“
Den verblüfften Studenten erklärte Kostja:
„Diese Technologie ermöglicht es, den unabhängigen Betriebsmodus der Steuerungszentrale aufrechtzuerhalten. Bei Beschädigungen oder in Extremsituationen transformiert ALL die Zentrale in einen sicheren Raum, um das Fortbestehen der Station zu gewährleisten.“
An der Stelle, wo noch eine Sekunde zuvor eine Wand gewesen war, bildete sich ein Durchgang in der Größe einer Doppeltür, durch den alle ungehindert ins Innere des Raumes gelangen konnten. Wie aus dem Nichts tauchte der Kapitän auf und trat auf die Gruppe zu. Er schüttelte allen die Hand und sah sich die Gesichter der jungen Studenten aufmerksam an. Er wusste nur allzu gut, dass die heutigen Studenten schon morgen zu rechtmäßigen Bewohnern der Station werden konnten, mit denen er kooperieren musste.
Mit leicht zusammengekniffenen Augen fragte der Kapitän:
„Wie war die Teleportation?“
Einstimmig und munter erwiderten die jungen Leute:
„Ausgezeichnet, Kapitän, wir können gleich loslegen.“
Der Kapitän entgegnete:
„Nein-nein, wir müssen uns an die Regeln halten. Das gesamte innere System eures Organismus gewöhnt sich momentan an die neue Umgebung, dabei sollten wir es nicht stören. ALL, öffne das Front Panorama für uns.“
In Sekundenbruchteilen verwandelte sich die matte Wand hinter dem Kapitän in ein riesiges Fenster mit Aussicht in den Weltraum. Eigentlich konnte man gar nicht von einem Fenster sprechen, denn es gab keinerlei Barrieren. Man gewann den Eindruck, man sei Teil eines riesigen, grenzenlosen Raumes – ein Zustand, der gleichzeitig Angst, Freude und Entzücken hervorruft und sich kaum beschreiben lässt. Der Kapitän schlug vor, näher an den Rand zu treten. Kostja und Samantha, die schon mehr als sechs Monate auf der ISS verbracht hatten, verschlug es in Anbetracht einer solchen Schönheit genauso die Sprache wie den Neuen, denen beinahe die Beine versagten. Der Kapitän bemerkte natürlich, dass alle völlig verblüfft waren – er ließ ihnen etwas Zeit, lächelte und trat langsam auf das Panorama zu.
Einer der Studenten fragte:
„Ist das kein Hologramm?“
Der Kapitän antwortete:
„Nein, das ist eine unverzerrte Direktansicht. Unsere Station ist im Bereich wissenschaftlich-technischer Perfektion zu Außergewöhnlichem fähig. Viele Technologien lassen sich auf der Erde einfach nicht anwenden, aber hier laufen sie völlig reibungslos. In gewissem Sinne führt jedes noch so kleine Element der Auskleidung der ISS sowohl innen als auch außen ein Eigenleben. Und ALL kontrolliert sie alle, er kann über 100.000 Programmbezeichnungen sowohl einzeln als auch gemeinsam transformieren. Falls es uns gelingt, jenseits unseres Sonnensystems Retranslatoren als Tageslicht Beschleuniger einzurichten, kann ALL die Station an jeden Punkt der Galaxie befördern. Das ist die Zukunft, dann muss keiner mehr Raumschiffe bauen.“
Die Studenten standen da und hörten dem Kapitän mit offenem Mund zu. Schließlich bedankten sie sich für den interessanten Bericht und meinten, zeit ihres Lebens noch nichts Derartiges erlebt zu haben.
Der Kapitän setzte ein breites, natürliches Lächeln auf, welches man bei älteren Personen häufig dann sieht, wenn sie kleine Kinder mit einem trockenen Streich hinters Licht geführt haben.
Dann sagte er:
„Und jetzt ruht euch aus.“
Kostja erwiderte:
„Aber Kapitän, wir müssen ihnen noch das Laborgebäude zeigen.“
Der Kapitän antwortete:
„Aber nur ganz kurz, überfordert die Jungs nicht.“
Kostja, Samantha und die Studenten bedankten sich beim Kapitän und gingen dorthin zurück, von wo sie gekommen waren. Der Ausgang tat sich genau dort auf, wo sich die Plattform befand. Nun war allen klar, dass ALL jeden Teil der ISS und jede Zwischenwand der Modulverbindungen öffnen und verschließen konnte.
Samantha nahm über das interne Kommunikationssystem flüsternd Kontakt zu Julia auf und erzählte ihr von der Steuerungszentrale und dem breiten Panoramafenster mit Aussicht in den offenen Weltraum. Sie erklärte ihr, dass ein solcher Eindruck mit nichts zu vergleichen sei und dass kein Bordfenster einen solchen Anblick biete.
Samantha fragte:
„Warst du schon zu Gast beim Kapitän?“
Julia antwortete:
„Ja, aber das Panorama hat er mir nicht gezeigt. Wir haben uns über Musik unterhalten, anscheinend spielt er Querflöte, das hat mich sehr beeindruckt.“
Noch bevor sie zu Ende gesprochen hatte, machte die Plattform vor einem riesigen Modul namens „Laborgebäude“ Halt. Dieses stellt einen großen Organismus dar, in dem eine Vielzahl von Mikro Robotern für verschiedene Arbeitsabläufe verantwortlich sind. Sie befördern Objekte und Gegenstände zwischen einzelnen Geräten hin und her und führen komplizierte chemische Reaktionen durch. Jeder Quadratzentimeter der Labor Oberfläche weist einen Wirkungsgrad von 100 % auf. Direkt unter der Kuppel dieses Raumes befindet sich ein oval förmiges Zimmer, in das man über eine spezielle Rolltreppe gelangt. Dort angekommen, waren die Studenten nicht weniger verblüfft als im Deckshaus des Kapitäns.
Kostja sprach:
„Hier könnt ihr sämtliche Arbeitsabläufe und jeden einzelnen Untersuchungsvorgang verfolgen.“
Die Studenten fragten:
„Also nach unten schauen und beobachten, was die Roboter machen?“
Samantha reagierte als Erste:
„ALL, aktiviere das Klassifikationsschema.“
Sofort wurde eine vertikal entlang der Zimmerwände verlaufende Schautafel mit Tabellen sichtbar, auf der die gegenwärtigen Maßnahmen, aktiven Prozesse und eine Vielzahl weiterer, den jungen Spezialisten bisher unbekannter Bezeichnungen abgebildet waren.
Kostja fuhr fort:
„All das wird von ALL kontrolliert, allerdings solltet auch ihr wissen, wie und was hier vor sich geht, daher dient eure Anfangszeit im Labormodul der Adaptation. Euer persönlicher Kommunikator erzählt und zeigt euch alles en Detail. Und natürlich sind Samantha und ich ebenfalls für euch da.“
Die Erschöpfung in den Gesichtern der jungen Leute war kaum zu übersehen, daher bot Samantha ihnen an, sie zu ihren Appartements zu bringen. Sie wollte sich selbst davon überzeugen, dass die persönlichen Räumlichkeiten bei allen in Ordnung waren.