Читать книгу: «¡PARAGUAY, MI AMOR!», страница 4
VALESKA
Carmen, die Köchin, hat wieder voll aufgefahren. Abends, so erklärt Jost es mir, gibt es hier die Hauptmahlzeit, die fast immer warm ist.
Es stehen Enchiladas, Reissalat, selbst gebackenes Fladenbrot, feurige Hackbällchen mit Soße und ein riesiger Kuchen auf dem Abendbrottisch.
Hungrig bediene ich mich, als Ramón den Raum betritt.
Ich versuche, mir mein Unbehagen nicht anmerken zu lassen, ich habe mich ja so lächerlich gemacht! Jost begrüßt ihn auf Englisch mit den Worten: „Schön, dass du uns auch noch beehrst Ramón.“
„Muss mich ja auch mal ausruhen nach der harten Arbeit“, erwidert dieser ungehalten, weicht meinem Blick aus und setzt sich konsequenterweise nicht auf den freien Platz neben mir, sondern zwei Plätze weiter weg auf meiner Seite des Tisches, so dass wir uns auch nicht zufällig ansehen können.
„Bist du nicht in Form?“, neckt Juanita den älteren Bruder.
„Doch, nur der 1. Tag ist immer hart! Ich kann nicht meine kompletten Ferien faulenzen, so wir Jorge und du!“
„Ich bin auch sieben Jahre jünger als du und minderjährig und lasse mir nicht wie du von Mama und Papa meine Wohnung und mein luxuriöses Leben in Asunción bezahlen“, kontert sie gelassen.
„Unsere Eltern werden dir auch alles bezahlen, wenn du dein Studium absolvierst“, entgegnet er.
„Ja, aber ich werde Model und dann müssen sie mir gar nichts zahlen, weil ich dann viel mehr verdienen werde, als ihr alle zusammen!“, ruft sie trotzig aus.
Das ist der Moment, in dem sich Isabella ruhig auf Spanisch einmischt, ihre Tochter zur Ordnung ruft und die Wogen glättet.
„¡Comemos, niños!“, beendet sie ihre Ausführung und alle widmen sich wieder dem köstlichen Essen. Die Unterhaltung plätschert dahin. Es kränkt mich irgendwie schon, dass Ramón mich konsequent ignoriert und sich nur mit den anderen unterhält.
Alle – bis auf mich – sind verwundert, als Ramón nach dem Nachtisch verkündet, er würde sich zurückziehen und schlafen gehen.
Es ist klar, dass er mir aus dem Weg geht!
Wir spielen eine Runde Scrabble, wobei wir uns köstlich amüsieren, da wir sowohl deutsche als auch spanische Wörter zulassen. Dann schütze ich Müdigkeit vor und gehe mit einem „¡Buenas noches!“ in mein Zimmer.
***
„¡Buenos días, hermana!“, ruft es am nächsten Morgen gut gelaunt in mein Zimmer.
Etwas verschlafen setze ich mich auf und frage auf Deutsch, was los ist.
„Heute ist unser Shopping-Tag!“ ruft Juanita begeistert und sorgt dafür, dass ich unter die Dusche gehe. Dreißig Minuten später erscheine ich mit etwas Make-up, Jeans und T-Shirt sowie bequemen Turnschuhen erfrischt und gutgelaunt am Frühstückstisch.
Eine Stunde später sind wir Richtung Bus unterwegs, der uns nach Ciudad del Este bringen soll.
Wir laufen die notdürftig asphaltierte Straße hoch, bis wir zu einer Hauptstraße kommen. Irgendwann bleibt Juna abrupt stehen.
„Was gibt’s?“, will ich wissen.
„Hier fährt unser Bus“, erklärt sie bestimmt.
„Ach, tatsächlich!“, erwidere ich verblüfft.
Nach circa 10 Minuten nähert sich ein recht neu aussehender Omnibus auf dem als Ziel „Ciudad del Este“ steht.
„Okay du musst jetzt gleich in den Bus springen, wenn ich es sage. Sie halten nicht an, sondern verlangsamen nur ihr Tempo“, erklärt Juna.
„Wie bitte?!“, protestiere ich noch schwach, aber da ist er schon heran und auf ihr „Jetzt“, nehme ich konzentriert allen Mut zusammen und springe in den Eingangsbereich. Fast gleichzeitig landet Juna geschickt neben mir und kauft mir ein Ticket für die Hin- und Rückfahrt.
Sie selbst zeigt so etwas wie eine Dauerkarte vor.
Wir lassen uns im hinteren Bereich nieder und meine Halbschwester informiert mich, dass wir in circa 50 Minuten im „Centro de comprar“ ankommen werden.
„Ich wusste nicht, dass Busfahren in Paraguay so aufregend ist.“
„Ach, man gewöhnt sich daran und es ist ungemein praktisch, weil wir keine festen Haltestellen haben. Es gibt auch keinen regulären Fahrplan. Es gibt halt festgelegte Routen und Linien, auf denen der Bus beliebig oft oder aber nach Bedarf anhält.
Er fährt je nach Beliebtheit der Strecke zwischen 12- und 48mal am Tag.
In Asunción und allen anderen großen Städten ist die Taktung noch besser.
Nur der Schulbus fährt leider zu festen Zeiten und wenn man den verpasst, gibt es Ärger“, schließt sie betrübt.
Unser Gespräch plätschert so dahin, bis sie plötzlich fragt:
„Wie sieht es mit dir und den Jungs aus? Hast du einen festen Freund?“
„Du bist aber neugierig!“, weiche ich aus.
„Nein, ich bin deine kleine Schwester! Ich möchte von dir lernen, wie man die Jungs beeindrucken kann!“
„Oh!“ Ich fühle mich etwas überfordert von dem Schnellzug namens Juanita, der mich da gerade überrollt.
„Da bin ich die denkbar schlechteste Person. Bei mir lief noch nicht so viel.
Ich hatte kurz vor dem Abi einen Freund. Wir waren aber nur drei Monate zusammen.“
„Ach wie schade!“, sagt sie und es bleibt unklar, ob sie mich bedauert oder ob sie sich mehr Erfahrung mit Männern von ihrer großen Schwester gewünscht hätte.
„Wie hieß er denn?“
„Er heißt Damian und ist so alt wie ich.“
„Habt ihr es gemacht?“
„Na klar, nur leider wurde mir irgendwann klar, dass er es nicht so ernst meint, wie ich.
Für ihn war es Spaß, während ich mich in ihn verliebt hatte. Dabei hätte ich mir denken können, dass ein so gutaussehender Junge wie Damian nicht ernsthaft an mir unscheinbarem Mauerblümchen interessiert sein kann.
Zuerst schwebte ich wie auf Wolken. Es war Ende November und wir waren mit einer Gruppe unseres Jahrgangs feiern gegangen. Ich hatte mit Damian nur wenige gemeinsame Kurse und so kannten wir uns nur sehr flüchtig. An diesem Abend jedoch hatten wir beide uns den ganzen Abend blendend unterhalten und er hatte immer wieder Annäherungsversuche gemacht, die von mir aber recht unbemerkt geblieben waren.
Als er mich fragte, ob wir frische Luft schnappen wollten, folgte ich ihm unbedarft nach draußen. Ich war einfach ein Spätzünder in Sachen Jungs – leider.
Draußen nahm er mich in einer abgelegenen Ecke des Parkplatzes in die Arme und fing an, mich zu küssen. Mich störte nicht, dass er ziemlich nach Alkohol roch, denn ich hatte auch zwei Cocktails intus und war dementsprechend enthemmt.“
„Wie war der Kuss?“
„Ach, es war einfach nur wunderschön und ich erwiderte ihn leidenschaftlich. Das schien ihm sehr zu gefallen und er wurde immer drängender und fing an, mich gegen eine Wand zu pressen und unter mein Oberteil zu fassen.
Ich fühlte mich einfach nur geehrt, von diesem hübschen Jungen begehrt zu werden und war selbst schon ziemlich erregt, so dass ich alle Bedenken fallenließ, als er heiser flüsterte:
‚Valeska, bitte, komm mit zu mir!‘
Ich zögerte noch kurz, aber dann ging ich mit ihm mit.
Er wohnte bei seinen Eltern, aber sein Zimmer war im Keller, so dass wir ganz ungestört waren.
Tja, so ließ ich mich gleich vom ersten Jungen, der etwas Interesse an mir zeigte, abschleppen und schon beim 1. Treffen bumsen.“
„Wow, Valeska, ich hätte nicht gedacht, dass du so locker drauf bist! Ich muss schon sagen, du hast es faustdick hinter den Ohren! Deine Erzählung war sehr anregend und erotisch! Erzählst du mir, wie ihr es gemacht habt?“
„Also, Juanita, das geht wirklich zu weit! Das ist meine Privatsache!“
„Aber ab dem Abend wart ihr zusammen?“
„Ja, schon. Aber es ging im Grunde immer nur darum, dass wir uns bei ihm oder bei mir für den Abend oder ein Wochenende trafen. Wir gingen zwar auch mal ins Kino oder was essen, aber hauptsächlich verbrachten wir unsere gemeinsame Zeit im Bett, was mir auch gefiel.
Kurz vor unserem schriftlichen Abi, Ende Januar, fragte ich ihn, ob wir denn nun etwas Ernsthaftes miteinander hätten und wir eine feste Beziehung führen könnten.
,Ach Honey, weißt du, ich bin nicht für eine ernsthafte Beziehung gemacht. Ich kann nicht treu sein und ich denke, das zwischen uns ist nichts Ernstes. Der Sex mit dir ist sehr geil, aber mehr ist da nicht!‘
Entsetzt schaute ich ihn an und es war mir, als ob sich gerade ein riesiger Abgrund vor mir auftat, der im Begriff war, mich zu verschlingen.
,Du – du willst mich nur ficken?‘
,Oh ja, Süße – sehr gerne und immer wieder!‘, sagte er und wollte mich an sich ziehen.
,Nein, das ist nicht was ich möchte‘, sagte ich bestimmt und entwand mich seinem Griff.
,Ich gehe und dann war es das zwischen uns. Ich bin nicht dein Callgirl, das immer bereitwillig springt, wenn du mit dem Finger schnippst!‘
Mehrere Köpfe rucken gleichzeitig zu uns herum und ich erröte, als mir aufgeht, dass einige meiner soeben gesprochenen Worte international sind. Juna lächelt die Mitreisenden freundlich an und alle wenden sich wieder ab. Dann fahre ich mit leiserer Stimme fort: „Ich ging, auch wenn es sehr wehtat. Es zeigte sich, wie recht ich hatte, weil Damian meine Entscheidung akzeptierte und nichts tat, um mich vom Gegenteil zu überzeugen.
Er rief mich allerdings an, als ich zu Hause ankam und sagte, wie bewundernswert und konsequent er meine Entscheidung finde.“
„Wow, Valeska, du bist echt tough!“ ruft meine kleine Halbschwester bewundernd.
„Naja - jedenfalls litt ich die nächste Zeit sehr, denn in der Schule konnte ich ihm nur bedingt aus dem Weg gehen. Wir hatten zwei Kurse zusammen. Dummerweise saß er ganz in meiner Nähe, so dass ich ihn fast immer im Blick hatte. Ich war verliebt gewesen und es tat weh, dass es für ihn anders gewesen war.
Aber genug von meinem Liebesleben! Du bist zwar noch klein, aber was ist mit dir? Irgendwelche Schwärmereien?“, will ich nun meinerseits wissen.
„Ich, klein?! Ich bin 15 und werde in fünf Monaten 16!“, empört sie sich. „So viele meiner Freundinnen haben einen Freund, nur ich nicht!“, tiefe Bitterkeit schwingt in ihrer Stimme mit.
„Ach, Süße, ich versteh dich gut, aber man kann es nicht erzwingen. Was meinst du, wie ich es mir damals die gesamte Pubertät hindurch wünschte!“
„Ach du meinst, es ist ein Problem der Königs?“, fragt sie interessiert.
„So würde ich es nun nicht ausdrücken. Aber ich weiß nur zu genau, wie du dich fühlst!“
„Ich muss dir was gestehen“, sagt sie nun.
„Eine Woche vor den Ferien bin ich mit Darío zusammengekommen. Er ist zwei Jahre älter als ich!“
„Großartig!“, freue ich mich für sie.
„Wie man es nimmt! Bisher konnten wir uns nur in der Pause sehen. Wir sind beide sehr verliebt und er küsst so gut!“
Ich wünsche meiner Halbschwester von ganzem Herzen, dass Darío auch so empfindet.
„Wo ist der Haken?“
„Mama und Papa verbieten mir, einen Jungen mit nach Hause zu nehmen oder ihn woanders zu treffen!“
„Eigentlich hatte ich das Gefühl, die beiden wären locker.“
„Nicht, was das angeht! Sie sagen, die Jungs würden sowieso nur mit mir schlafen wollen und dafür wäre ich noch zu jung! Aber was ist, wenn ich genau das auch will?!“
Trotzig schiebt die die Unterlippe vor – die erste auffällige Ähnlichkeit, die ich zwischen uns bemerke. Sie fährt fort: „Das habe ich meinem lieben Bruder zu verdanken!“
„Jorge?“, frage ich verblüfft.
„Quatsch, nein!“, lacht sie. „Du bist manchmal echt lustig, Valeska. Nein, ich meine natürlich Ramón!
Seit er 13 ist, schleppt er die Mädchen reihenweise ab, und er hat Mama und Papa so manche schlaflose Nacht und Kummer bereitet.
Ganz zu schweigen von den ganzen armen Dingern, die dachten, sie könnten ihn an sich binden!“
Mein Stiefbruder klingt definitiv nicht nach der Sorte Mann, den ich weiter ermuntern sollte, wenn ich nicht auch eine von Junas „armen Dingern“ werden will!
Aber das Thema hat sich seit gestern Abend eh erledigt …
Ungewollt seufze ich vernehmlich.
„Hat er es bei dir auch versucht?“, sie schaut mich prüfend an.
„Ach i wo!“, sage ich schnell. „Außerdem bin ich nun wirklich keine Schönheit, die deinen Bruder interessieren könnte!“ Nur zu wahr, denke ich wehmütig.
„Na, dann pass auf, dass er es nicht noch versucht“, sagt sie leichthin, „ich hatte vorgestern das Gefühl, dass er Interesse an dir hätte. Er spielt den Gaucho, und dass er als Junge Pferde liebt, zieht bei den Mädels immer.“
Ich hoffe sehr, dass die Röte, die in mir aufsteigt, nicht zu auffällig ist.
„Wir haben über Literatur gesprochen“, erkläre ich überheblich.
„Aha, dann wollte er dich beeindrucken“, triumphiert sie. „Er hat ja im Gespräch gemerkt, wie gebildet du bist.“
Aber wie alle Teenager hauptsächlich mit ihren eigenen Problemen beschäftigt, fährt sie klagend fort:
„Jedenfalls wollen sie an mir alle Fehler, die sie bei Ramón gemacht haben, wiedergutmachen! Erst wenn ich 16 bin, was, wie gesagt, noch fünf lange Monate hin ist, erlauben sie mir, mit Jungs auszugehen – vorher soll ich keusch wie eine Nonne sein!
Aber bis dahin ist mein Darío schon längst weg, der will bestimmt nicht so lange warten.“
Ich schweige, da ich meine eigene Ungeduld in ihr wiedererkenne.
Dann heitert sich ihre Miene wieder auf, als sie fortfährt: „Valeska, würdest du mir einen großen Gefallen tun?“
„Kommt darauf an …“
„Wir haben uns – zum Glück gibt es Handy und SMS – für heute im „Centro“ verabredet
Meinst du, du kannst für ein bis zwei Stunden allein zurechtkommen? Dann können Darío und ich etwas Zeit zusammen verbringen. Wir haben seit dem Ferienbeginn zwar schon oft telefoniert und gesimst, aber das ersetzt kein Treffen mit dem Süßen!“
Ich atme tief durch. So, ich bin also das Alibi für die Señorita, damit sie ihren Freund treffen kann. Dieses ganze „Ich zeige meiner lieben Schwester aus Deutschland mein Land“-Getue ist nur vorgeschoben!
Als ich es ihr sage, guckt sie mich zerknirscht an und versichert mir treuherzig: „Nein, du verstehst das falsch! Ich möchte dir wirklich alles zeigen und Zeit mit dir verbringen, unser Programm steht noch! Nur heute haben wir eine kleine Programmänderung! Bitte, bitte große Schwester!!“
Sie schaut mich dabei so mitleiderregend an, dass ich einwillige.
Sie werden wohl kaum die Gelegenheit haben, übereinander herzufallen…
Zumindest sage ich mir das, um leise Zweifel auszuräumen, die in mir hochsteigen.
„Okay aber maximal 90 Minuten! Und ihr bleibt artig, ja? Nur küssen, mehr nicht!“
Sie stimmt glücklich zu, schreibt ihrem Angebeteten sofort eine SMS und den Rest der Fahrt verbringen wir in einvernehmlichem Schweigen.
***
„Komm Valeska, hier müssen wir unbedingt noch rein!“ Juanita zieht mich ungeduldig in die kleine Boutique, in der es Kleider, Dessous, Bademoden und Accessoires gibt.
Seit 10:00 Uhr machen wir nun das riesige dreistöckige „Centro“ unsicher. Wir schleppen mittlerweile jede fünf Tüten mit uns herum, gefüllt mit diversen Oberteilen, Schmuck, Schuhen, Jeans und Kleidern.
Bis auf eine 30minütige Mittagspause hat Juna uns keine Ruhe gegönnt. Die Kleine hat wirklich Geschmack und so bin ich zu einigen außergewöhnlichen Outfits gekommen, die ich mir allein nie gekauft hätte, die mir aber sehr gut stehen.
Nun möchte sie uns für unser Wochenende in Asunción ausstatten.
Der Form halber protestiere ich: „Bitte Juna, wir haben genug, außerdem ist es schon 14:15 Uhr.
Du willst doch Darío nicht versetzen?“
Wir sind um 15:00 Uhr mit ihm im Café verabredet.
„Ach Quatsch“, das ist doch noch massig Zeit! Denk dran, wir sind hier nicht in Deutschland!
15:00 Uhr heißt nicht Punkt 15:00 Uhr!“
„Unser Budget neigt sich dem Ende“, versuche ich noch, was aber mit einem „Nein, von dem, was noch da ist, können wir uns beide hier noch super ausstatten!“ heruntergespielt wird.
Also folge ich ihr seufzend und müde in den Laden. Vor vier Stunden wollte sie neugierig wissen, wieviel Jost uns mitgegeben hat. Ich öffnete den Umschlag und zeigte es ihr.
Ihre Miene erhellte sich und sie sagte glücklich: „Oh, du darfst öfter kommen, liebe Schwester. Papa war mehr als großzügig. Davon können wir tolle Sachen kaufen!“
Nun sind wir also in dieser Boutique und Juanita fängt eine angeregte Diskussion mit der jungen Verkäuferin (die etwa in meinem Alter ist) an.
Kurz darauf erscheint diese mit einem Berg an Kleidern in meiner und Junas Größe. Auch wenn ich müde bin, macht es mir doch Spaß, all die hübschen Sachen anzuprobieren. Meine Halbschwester hat ein Gespür dafür, was mir steht. Das knallrote knielange Kleid mit ausgestelltem Rock und tiefem Ausschnitt sitzt wie angegossen und ich nehme es sowie zusätzlich einen gleichfarbigen Bikini und ein kleines Schwarzes.
Juna wählt denselben Bikini in Orange und ein gelb-blaues Kleid, sowie ein sehr gewagtes, sehr sexy aussehendes knallgrünes Kleid, welches kurz über dem Knie endet.
Ich überlege kurz, ob ich mein Veto einlegen soll, aber dann entscheide ich mich, sie gewähren zu lassen.
Ich zahle und kann die Kleine endlich in das Café lotsen, wo sie mit Darío verabredet ist und wo ich auf sie warten will.
„Da ist er!“, wispert Juanita und deutet auf einen schlaksigen Jungen, der an der Wand des Cafés lehnt und auf seinem Handy spielt.
„Er sieht sehr süß aus“, meine ich.
„Ja, ist er nicht zum Anbeißen?“, meint sie glücklich. Sie ruft: „Darío!“
Dieser hebt den Kopf und ein glückliches Lächeln breitet sich auf seinem Gesicht aus, als er Juanita sieht. Sie läuft zu ihm hin und er nimmt sie hoch und wirbelt sie herum. Dann stellt er sie ab und sie küssen sich leidenschaftlich.
Ich warte ein Weilchen und hüstele irgendwann dezent. Mit einer Entschuldigung löst Darío sich von Juna und stellt sich vor.
Wir unterhalten uns kurz auf Englisch.
Bevor ich sie ziehe lasse, speichere ich noch schnell Junas Handynummer ein und lasse sie meine Nummer in ihr Handy eingeben.
„Punkt 16:30 Uhr hier und keine Sekunde später!“, schärfe ich ihr ein. Wir wollen gegen 17:00 Uhr nach Hause.“
„Ja, Mama!“, grinst sie und sagt dann ernsthaft: „Danke, Valeska! Du bist großartig!“
„Nun geht schon!“
Ich widme mich den Postkarten, die ich gekauft habe und ordere mir ein köstliches paraguayisches Süßgebäck und Matetee. Diesen kenne ich sogar schon aus Deutschland und ich mag ihn sehr.
Wie immer schreibe ich als Erstes Oma und Opa König. Normalerweise mache ich es gerne, denn sie freuen sich so über Postkarten ihrer Enkel.
Dieses Mal jedoch hat es einen bitteren Beigeschmack. Meine Gedanken wandern drei Wochen zurück, zu dem Tag, als ich Oma und Opa besuchte, um mit ihnen über ihr viertes und jüngstes Kind zu sprechen.
Deutschland, HH-Wentorf, Theodor-Fontane-Allee
Das kleine weiße Häuschen im typischen Stil der Nachkriegszeit in den 50er Jahren gebaut, empfängt mich wie immer mit einer heimeligen Atmosphäre.
Die Bewohner hingegen sind, entgegen ihrer sonst so ruhigen, herzlichen Art, heute sehr angespannt.
Oma begrüßt mich mit einem zittrigen Kuss auf die Wange, Opa drückt mich kurz, dann bittet er mich mit belegter Stimme, mich zu setzen. Wie immer ist die Kaffeetafel reichlich gedeckt, heute lasse ich mich aber eher verhalten in die gemütlichen Sessel sinken.
Jeder bekommt ein Stück Kuchen und eine Tasse Kaffee, dann beginnt Opa: „Kind, es tut uns sehr leid, dass du auf diese Art von Jost Harald, deinem Vater, hören musstest. Was damals geschehen ist, hat unsere Familie in den Grundfesten erschüttert.
Du weißt, wieviel wert Oma und ich auf einen festen Familienzusammenhalt legen und wie sehr wir uns immer darum bemüht haben, dass alle gut miteinander auskommen und dass wir uns gegenseitig helfen und unterstützen.
Das war damals so, als Jost noch hier wohnte, und so ist es noch heute.
Trotzdem waren wir alle so schockiert, als Jola und Hugo uns eines Tages besuchten.“
„Ich weiß es noch wie heute“, übernimmt Oma.
„Sie waren so nervös, als sie hereinkamen. Hugo fasste Jolas Hand und sagte: ,Mutti, Vati, wir müssen euch etwas erzählen. Jola ist schwanger.‘
,Wunderbar‘ unterbrach ich begeistert, ‚noch ein neues Leben nach den Geburten unserer ersten drei Enkelkinder.‘
Der Blick meines Sohnes ließ mich verstummen, als er fortfuhr: „Mutti, es ist kompliziert. Das Baby ist von Jost!“
Ich brach in Tränen aus und lief aus dem Raum, da ich nicht ertrug, was ich da hörte.“
Da Omi auch jetzt ein Glitzern in den Augen hat, fährt Opa schnell fort: „Ja, Liebes, es war für uns damals kaum zu ertragen. Am nächsten Tag baten wir Jost zu uns. Er war immer noch der Meinung, dass Jola abtreiben solle, was wir als aufrichtige Christen ablehnten.
,Jost, du hast dir das Mitspracherecht in dieser Angelegenheit verwirkt‘, sagte ich streng zu ihm. ,Du hast uns bitter enttäuscht. Wie konntest du Hugo das antun und die arme Jola einfach verführen? So haben wir dich nicht erzogen!
Wir haben beschlossen, dich in deinem Studium nicht mehr zu unterstützen. Du solltest eine ehrliche Arbeit aufnehmen, für die du nicht viele Jahre studieren musst! Ich erwarte, dass du unserem vierten Enkelkind anteilig mit Hugo alle finanzielle Unterstützung zukommen lässt, die es benötigt!‘
Er sagte, dass ihn das nicht jucke und er mit dem Gedanken spiele, auszuwandern.
,Nein!‘, schrie Rosa gellend auf, ‚nein, du darfst nicht einfach weggehen! Wegrennen ist doch keine Lösung und ich ertrage es nicht, dich zu verlieren!‘
Trotzdem setzte er sich durch und ging ein Jahr später nach Paraguay“, beendet Opa bitter seine Erzählung.
„Seitdem haben wir dafür gesorgt, dass niemand mehr über Jost Harald sprach und deine wahre Herkunft ein gutgehütetes Familiengeheimnis blieb.“
Paraguay, Cidudad del Este, Centro del comprar
„Liebe Oma Rosa, lieber Opa August“, schreibe ich, „nun bin ich hier in diesem wunderschönen Land, welches ihr schon kennenlernen durftet.
Alles hier ist neu und schön, aber auch überwältigend fremd und meine neue Familie überfordert mich auch etwas. Trotzdem bin ich froh, dass ich Jost auch endlich kennenlernen durfte.
Er ist ein großartiger Mann und was er hier aufgebaut hat, verdient Bewunderung. Seinen beiden anderen Kindern, Juanita und Jorge ist er ein hingebungsvoller Vater. Ich freue mich auf die nächsten Wochen. Liebe Grüße Eure Valeska.“
„Hola, Valeska!“, unterbricht eine mir bekannte Stimme meine Schreibtätigkeit.
Eigentlich wollte ich gerade die hübsche paraguayische Briefmarke aufkleben, die den Río Paraguay zeigt.
Irritiert blicke ich auf und in Ramóns freundlich lächelndes Gesicht.
„Hola Ramón! ¿Qué haces aquí?“, frage ich verblüfft und gleichzeitig geistesgegenwärtig auf Spanisch antwortend.
„Arbeitest du heute nicht?“
„Heute habe ich früher Feierabend gemacht, weil ich für José noch etwas in der Stadt besorgen sollte. Außerdem“, sein Blick schweift neben den Tisch und bleibt an dem beeindruckenden Berg von Einkaufstüten in allen möglichen Größen und Farben hängen, „sollte ich auf seine Bitte hin beim ‚Centro‘ vorbeifahren und schauen, ob ich euch aufgabeln und mitnehmen kann. Er befürchtete wohl, ihr würdet mit den ganzen Tüten nicht in den Bus kommen.“
Innerlich pflichte ich ihm bei, als unweigerlich das Bild in mir aufsteigt, wie ich mit sechs Tüten in den fahrenden Bus springen will.
„Das ist sehr freundlich von dir und sehr umsichtig von Jost“, antworte ich und blicke ihn aufmerksam an.
Unsere Blicke verfangen sich mal wieder ineinander und ein Déjà-vu-Gefühl kommt in mir auf.
Deshalb und weil ich ihm sein befremdliches Verhalten von gestern Abend noch übelnehme, löse ich meinen Blick nach geraumer Zeit - das Ziehen im Unterleib bleibt aber bestehen - und frage ihn höflich:
„Möchtest du dich nicht setzen?“
„Sí claro, gracias.“ Er setzt sich auf den Stuhl neben mich. Seine plötzliche Nähe lässt mich erschauern.
Gott, was löst dieser Junge für heftige Emotionen in mir aus!
„Wo ist eigentlich Juna?“
„Ach, sie hat eine Schulfreundin getroffen und dann wollte sie unbedingt noch mit ihr ein bisschen Zeit verbringen“, antworte ich schnell.
Fieberhaft überlege ich, wie ich Juanita warnen kann, damit sie nicht mit ihrem Herzbuben Hand in Hand und küssend hier auftaucht.
Ramón hebt skeptisch die Augenbrauen.
„Du weißt ja, wie Mädchen in diesem Alter sind“, meine ich leichthin und schaue ihn lächelnd an, diesmal in der Absicht, ihn von Juna abzulenken.
Der angenehme Nebeneffekt ist, dass wir so intensiv miteinander flirten, dass der junge Kellner mehrmals hüsteln muss, bis er zu uns durchdringt.
„Señor, was darf ich Ihnen bringen? – Und Sie, Señorita, benötigen Sie noch etwas?“
Widerstrebend wendet Ramón sich dem Jungen zu und bestellt – bewusst oder unbewusst – Matetee und die gleiche süße Köstlichkeit, die ich soeben verspeist habe. Als ich es ihm sage, meint er leichthin: „Du hast eben einen guten Geschmack.“
Die Unterhaltung stockt kurz, während ich immer noch überlege, wie ich Juna vor einem großen Donnerwetter bewahren kann. Ramóns Tee und Gebäck kommen, ich sage:
„Das ist wirklich köstlich“
„Möchtest du noch etwas davon?“, fragt er mich eifrig und schiebt mir den Teller hin.
Dabei berühren sich wie zufällig unsere Hände.
„Oh“, sage ich nur, es verschlägt mir den Atem, dann reiße ich mich zusammen.
„Nein, danke, dann fahre ich mit zehn Kilo mehr nach Hause, wenn ich so weiter mache.
Diese unwiderstehlichen Süßigkeiten, dann das großartige Essen von Carmen …“
Ich seufze übertrieben auf.
„Ach komm, du kannst es vertragen“, sagt er mit diesem verführerischen Lächeln, bei dem ich mich ihm am liebsten an den Hals werfen will.
Er widmet sich seinem Tee und plötzlich kommt mir die rettende Idee.
„Perdón, Ramón. Ich komme gleich wieder. Der Tee fordert seinen Tribut“, entschuldige ich mich.
Ich eile Richtung Toiletten und verziehe mich auf die hinterste. Zum Glück ist nicht viel los.
Zitternd ziehe ich das Handy aus der Tasche und klicke auf Junas Nummer. Nach dem fünften Klingeln nimmt sie endlich ab.
„Juna, na endlich!“, flüstere ich ungehalten. „Hör zu, Ramón ist hier aufgetaucht. Er will uns abholen! Komm immer noch Punkt halb fünf zurück, aber komm allein! Lass Darío draußen.
Er soll am besten ganz verschwinden, hörst du?“
„Dieser Spielverderber!“, murrt sie. „Okay, ich mache es. Aber, sag mal, große Schwester, warum flüsterst du so? Ist er in der Nähe?“
„Sag mal, hältst du mich für blöde? Nein, ich bin auf der Damentoilette! Hierher wird er mir kaum folgen.“
„Naja“, meint sie gedehnt, „da wäre ich mir bei Ramón nicht so sicher…“
Plötzlich quiekt sie empört auf: „No, Darío, déjalo!“
„Juna, ich hoffe sehr, ihr seid brav“, sage ich streng. „Es hört sich gerade nicht so an! Bleibt anständig! Nur küssen, kein Petting!“
„Pet-was?“, fragt sie neugierig.
„Ach, vergiss es!“, wehre ich ab. „Wichtig ist, dass du jetzt gerade eine Schulfreundin triffst, klar? Hast du das verstanden?“
Ihre Antwort wird von einem erneuten Quieken übertönt und so verabschiede ich mich hastig.
***
„Da bist du ja endlich“, begrüßt Ramón mich. „Ich habe eure Tüten schon zum Auto gebracht.
Wollen wir noch eine Runde laufen?“
„Sí. Porqué no?“, antworte ich lächelnd. „Ich werde nur noch schnell zahlen.“
„Du denkst doch nicht im Ernst, dass ich dich zahlen lasse?“, empört er sich.
„Ich habe die Rechnung schon beglichen.“
„Gracias“, sage ich artig.
„De nada. Dafür musst du dich aber bei mir einhaken.“
„Ramón, sorry, aber ich verstehe dich nicht. Gestern Nachmittag flirtest du heftig mit mir, dann verschwindest du Hals über Kopf und redest abends kein Wort mit mir, setzt dich nicht neben mich und ignorierst mich einfach. Und jetzt tust du wieder so, als ob alles in bester Ordnung wäre!“
Er schaut mich an, will etwas sagen, wird rot und stammelt: „¡Lo siento! Ich habe mich sehr schlecht benommen. Gestern – ich …“, er stockt, dann setzt er noch mal an und sagt: „Als ich dich gestern beim Tanzen an mich zog, hatte ich eine sehr heftige – Reaktion.
Ich erschrak, weil ich nicht wollte, dass du mich für aufdringlich hältst und sah zu, dass ich wegkam. Ich hatte Angst, du würdest José davon erzählen und dachte, es wäre besser, wenn ich mich ruhig verhalte.“
„Du hattest also einen Ständer?“, rufe ich aus.
„Wow, du nennst die Dinge beim Namen“, meint er beeindruckt.
„Und dann musstest du dir dringend Erleichterung verschaffen“, schlussfolgere ich.
„Ich sehe, du kennst uns Männer gut“, meint er halb ernst, halb lachend.
„Naja, mein Ex-Freund war auch so“, meine ich.
„Wie denn?“
„Sexbesessen.“
„Oh, okay.“ Er ist zwar auch amüsiert, aber meine Offenheit macht ihm auch zu schaffen.
„Er wollte keine feste Beziehung“, füge ich ungefragt hinzu und gleichzeitig frage ich mich, warum ich das diesem immer noch fremden Jungen einfach so erzähle.
„Er war dumm“, sagt er ernsthaft.
„Naja, als ich ihn fragte und er Nein sagte, machte ich Schluss.
Also ja, vielleicht war es dumm von ihm, denn ich war nicht mehr für ihn verfügbar. Aber versteh mich nicht falsch – er war sehr gutaussehend und der Sex mit ihm war außergewöhnlich gut. Ich habe die Zeit mit ihm sehr genossen.“
Ramón lacht: „Du bist eine großartige Frau und du bist enorm offen und ehrlich! Dein Ex-Freund war ein kompletter Idiot, dich gehen zu lassen.“
Er zieht mich an der Hand weiter, denn wir stehen immer noch am Ausgang des Cafés. Kurz danach treten wir aus dem „Centro“ auf die belebten und lauten Straßen von Ciudad del Este.
„Schau, da hinten ist ‚la Puente de la Amistad‘, sie verbindet Paraguay mit Brasilien“, macht er mich aufmerksam.
Vorhin, als wir ankamen, hatte ich nur wenig Zeit mich umzusehen, nun stürmen die Eindrücke auf mich ein. Straßenhändler bieten ihre Ware feil, die Bürgersteige sind überfüllt mit teils schwer beladenen Menschen oder ihren Vehikeln, auf den Straßen drängeln sich alte Busse, Lkw und Autos in den prächtigsten Farben – alles erscheint mir bunter als in Europa und es herrscht ein fröhliches und geschäftiges Treiben. Leider liegt viel Müll auf den Straßen und es gibt auch viele arme Leute und Bettler.
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