Die Fünfundvierzig

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Dieser letzte trug die Miene eines Königs. Genötigt, ziemlich sacht zu reiten, um nicht seinen Gefährten voranzukommen, blieb dieser junge Mann einen Augenblick an den Grenzen der vom Volke gebildeten Hecke.

In diesem Augenblicke fühlte er, daß man ihn an der Scheide seines Degens zog, und neigte sich rückwärts. Der ihn so berührte, war ein junger Mensch mit schwarzen Haaren, funkelndem Auge, klein, schmächtig, anmutig und sorgfältig behandschuht.

»Was steht zu Diensten, mein Herr?« fragte unser Reiter. – »Mein Herr, eine Bitte.«

»Sprecht, aber geschwind, ich bitte Euch, man wartet auf mich.« – »Ich muß notwendig in die Stadt hinein, mein Herr, es ist eine gebieterische Notwendigkeit für mich, versteht Ihr? Ihr seid allein und braucht einen Pagen, der Eurem guten Aussehen Ehre macht.«

»Nun?« – »Nun! gebt und es wird gegeben; nehmt mich mit hinein, und ich werde Euer Page sein.« –

»Ich danke, aber ich will von niemand bedient sein.«

– »Nicht einmal' von mir?« fragte der junge Mann mit einem so seltsamen Lächeln, daß der Reiter fühlte, wie die eisige Hülle schmolz, mit der er sein Herz zu umschließen versucht hatte.

»Ich wollte sagen, ich kann keinen Diener brauchen.«

– »Ja, ich weiß. Ihr seid nicht reich, Herr Ernauton von Carmainges.«

Der Reiter bebte, aber unbeirrt fuhr der Jüngling fort: »Auch ist keine Rede von Gehalt, Ihr sollt im Gegenteil hundertfach für die Dienste, die Ihr mir leistet, belohnt werden; ich bitte also, laßt mich Euch bedienen und bedenkt, daß der jetzt bittet, oft befohlen hat.« »Kommt,« sagte der Reiter, der dem Ton und der ihm eigenen Autorität nicht länger widerstehen konnte.

Der Jüngling reichte ihm die Hand, was sehr vertraulich für einen Pagen war; dann wandte er sich zu der uns schon bekannten Gruppe um und sagte:

»Ich komme hinein, das ist das Wichtigste; Ihr, Mayneville, sucht irgendwie dasselbe zu tun.«

»Damit ist noch nicht alles geschehen, daß Ihr hineinkommt,« erwiderte der Edelmann; »er muß Euch sehen.«

»Oh! seid unbesorgt, sobald ich dieses Tor im Rücken habe, wird er mich sehen.« – »Vergeßt nicht das verabredete Zeichen.«

»Zwei Finger auf den Mund, nicht wahr?« – »Ja; Gott helfe Euch!«

»Nun!« rief der Herr des Rappens, » Herr Page, entschließen wir uns?« – »Hier bin ich, Herr,« antwortete der junge Mann, und er sprang leicht auf das Kreuz hinter seinen Gefährten, der den fünf anderen Auserwählten nachfolgte, die eben damit beschäftigt waren, sich auszuweisen.

»Alle Wetter!« sagte Robert Briquet, der ihnen nachschaute, »das ist eine ganze Ladung von Gastognern, oder der Teufel soll mich holen!«

Revüe.

Die Kontrolle am Tore bestand darin, daß man die Hälfte einer Karte aus der Tasche ziehen und sie dem Offizier überreichen mußte, der sie mit einer andern Hälfte verglich, um zu sehen, ob die beiden Hälften ein Ganzes bildeten.

Der barhaupte Gaskogner näherte sich zuerst.

»Euer Name?« – »Mein Name?, Herr Offizier, er steht auf der Karte geschrieben, auf der Ihr noch etwas anderes sehen werdet.« »Gleichviel! Euer Name? Wißt Ihr Euren Namen nicht?« – »Doch wohl, ich weiß ihn, Cap de Bious! Und wenn ich ihn auch vergessen hätte, so könntet Ihr mir ihn sagen, da wir Landsleute und Vettern sind.«

»Euer Name? Tausend Teufel! Glaubt Ihr, ich habe hier Zeit mit Wiedererkennungen zu verlieren?« – »Schon gut. Ich heiße Perducas von Pincorney.«

»Perducas von Pincorney,« versetzte Herr von Loignac und las von der Karte ab: »Perducas von Pincorney, am 26. Oktober 1585, Schlag zwölf Uhr.«

»Porte Saint-Antoine,« fügte der Gaskogner bei, indem er seinen schwarzen, dürren Finger auf die Karte ausstreckte.

»Sehr gut! in Ordnung; tretet ein,« sagte Herr von Loignac, um jedes weitere Gespräch zwischen ihm und seinem Landsmanne kurz abzuschneiden. »Nun ist die Reihe an Euch!« sagte er zu dem Mann mit dem Panzer. »Eure Karte?«

»Wie, Herr von Loignac,« rief dieser, »erkennt Ihr nicht den Sohn Eures Jugendfreundes, den Ihr zwanzigmal auf Euren Knien geschaukelt habt?« – »Nein,«

»Pertinax von Montcrabeau, Ihr erkennt ihn nicht?« – »Wenn ich im Dienste bin, erkenne ich niemand, mein Herr. Eure Karte?«

Der junge Mann mit dem Panzer reichte seine Karte.

»Pertinax von Montcrabeau, am 26. Oktober, Schlag zwölf Uhr, Porte Saint-Antoine. Geht zu.«

Der dritte Gaskogner näherte sich; es war der mit der Frau und den Kindern.

»Eure Karte?«

Seine gehorsame Hand tauchte sogleich in eine kleine Weidtasche von Ziegenfell, die an seiner rechten Seite hing. Aber es war vergeblich. Belästigt durch das Kind, das er auf dem Arme trug, konnte er das Papier nicht finden.

»Was zum Teufel macht Ihr mit dem Kinde, Ihr seht wohl, daß es Euch hindert?« – »Es ist mein Sohn Scipio, Herr von Loignac.« »Nun! so setzt Euren Sohn auf die Erde.«

Der Gaskogner gehorchte, das Kind fing an zu heulen.

»Ah! Ihr seid also verheiratet?« – »Ja, Herr Offizier.«

»Mit zwanzig Jahren?« – »Man heiratet jung bei uns, Ihr wißt es wohl, Herr von Loignac, da Ihr mit achtzehn geheiratet habt.«

»Gut,« sagte Loignac, »das ist abermals einer, der mich kennt.«

Die Frau hatte sich mittlerweile genähert, und die an ihrem Rocke hängenden Kinder waren ihr gefolgt.

»Und warum sollte er nicht verheiratet sein?« fragte sie, indem sie sich aufrichtete und von ihrer sonngebräunten Stirn ihre schwarzen Haare strich, die der Staub des Weges wie einen Teig daran kleben ließ; »ist es in Paris aus der Mode gekommen zu heiraten? Ja, er ist verheiratet, und hier sind noch zwei Kinder, die ihn Vater nennen.«

»Ja, aber es sind nur die Söhne meiner Frau, Herr von Loignac, wie auch dieser große Junge, der hinten steht; tritt vor, Militor, und grüße Herrn von Loignac, unsern Landsmann.«

Ein junger Mensch von sechzehn bis siebzehn Jahren, kräftig, lebhaft und durch sein rundes Auge sowie durch seine Nase einem Falken ähnlich, näherte sich, die Hände in seinem Gürtel von Büffelleder; er war in eine gute Kasake von gestrickter Wolle gekleidet, trug auf seinen muskeligen Beinen eine Hose von Gemsleder, und ein sprossender Schnurrbart beschattete seine zugleich freche und sinnliche Lippe.

»Es ist Militor, mein Stiefsohn, Herr von Loignac, der älteste Sohn meiner Frau, die eine Chavantrade, eine Verwandte der Loignac Militor von Chavantrade, ist, Euch zu dienen. Verbeuge dich, Militor.«

Militor verbeugte sich leicht und ohne seine Hände aus dem Gürtel zu ziehen. »Um Gottes willen, mein Herr, Eure Karte,« rief Loignac ungeduldig.

»Kommt und helft mir, Lardille,« sagte der Gaskogner errötend zu seiner Frau.

Lardille machte nacheinander die an ihrem Rocke angeklammerten Hände los und suchte selbst in dem Weidsack und in den Taschen ihres Mannes.

»Wir müssen sie verloren haben,« sagte sie.

»Dann lasse ich Euch verhaften,« versetzte Loignac.

Der Gaskogner wurde bleich und erwiderte: »Ich heiße Eustache von Miradoux und werde mich durch Herrn von Sainte-Maline, meinen Vetter, empfehlen.«

»Ah! Ihr seid ein Verwandter von Sainte-Maline,« sagte Loignac, ein wenig besänftigt... »Freilich, wenn man sie hört, sind sie mit allen verwandt; so sucht noch einmal und sucht mit Erfolg!«

»Lardille, seht in den Kleidern Eurer Kinder nach,« sprach Eustache, zitternd vor Ärger und Unruhe.

Lardille kniete vor ein kleines Päckchen bescheidener Effekten nieder und drehte es murrend um.

Der junge Scipio fuhr fort, sich heiser zu schreien, zumal seine Stiefbrüder die gute Gelegenheit benutzten, ihm Sand in den Mund zu stopfen.

Militor regte sich nicht; es war, als gingen die Erbärmlichkeiten des Familienlebens unter oder über diesen großen Burschen hin, ohne ihn zu berühren.

»Ei!« rief plötzlich Herr von Loignac, »was sehe ich dort auf dem Ärmel dieses Schöpses?«

»Ja, ja, das ist es,« rief Eustache triumphierend; »das ist ein Gedanke von Lardille; sie hat die Karte Militor angenäht.«

»Damit er doch etwas trage,« sagte Loignac spöttisch. »Oh über das große Kalb, das nicht einmal mit den Armen schlenkert, aus Furcht, ihr Gewicht zu fühlen.«

Militors Lippen erbleichten vor Zorn, während sein Gesicht auf der Nase, auf dem Kinn und auf der Stirn marmorartig rot wurde.

»Ein Kalb hat keine Arme,« brummte er mit boshaften Augen, »es hat Klauen wie gewisse Leute von meiner Bekanntschaft.«

»Friede!« sagte Eustache, »du siehst wohl, Militor, daß Herr von Loignac uns die Ehre erweist, mit uns zu scherzen.«

»Nein, bei Gott! ich scherze nicht,« erwiderte Loignac, »dieser große Bursche soll im Gegenteil meine Worte so nehmen, wie ich sie sage. Wenn er mein Stiefsohn wäre, ließe ich ihn Mutter, Bruder, Gepäck tragen und würde selbst noch darauf steigen und ihm die Ohren verlängern, um ihm zu beweisen, daß er nur ein Esel ist.«

Der Spannung, die diesen Worten folgte, bereitete Lardille dadurch ein Ende, daß sie dem Offizier die Karte überreichte. Herr von Loignac nahm sie und las: »Eustache von Miradoux, am 26. Oktober, Schlag zwölf Uhr, Porte Saint-Antoine.«

»Geht,« sagte er, »und seht, daß Ihr keine von Euern Meerkatzen, schön oder häßlich, verliert.«

Eustache von Miradoux nahm den jungen Scipio wieder auf seine Arme; Lardille hing sich abermals an seinen Gürtel; die zwei Kinder klammerten sich wieder am Rock ihrer Mutter an; und diese Familientraube schloß sich, mit dem schweigsamen Militor, denen an, die nach überstandener Prüfung warteten.

»Die Pest!« murmelte Loignac zwischen den Zähnen, während er Eustache von Miradoux und den Seinigen mit den Augen folgte, »welchen Auswurf von Soldaten wird Herr von Epernon da haben.«

 

Dann wandte er sich um und rief dem vierten zu: »Nun kommt Ihr dran!«

Dieser und der fünfte, ebenfalls charakteristische Gaskognergestalten, nach ihren Ausweiskarten, die Herren Chalabre und Saint-Capautel, passierten, ohne Schwierigkeit. Es blieb noch der sechste, der zufolge der Aufforderung des improvisierten Pagen vom Pferde gestiegen war und Herrn von Loignac eine Karte überreichte, auf der Ernauton von Carmainges stand.

Während Herr von Loignac die Karte prüfte, war der Page, der ebenfalls abgestiegen, bemüht, seinen Kopf zu verbergen, indem er die Kinnkette am Pferde seines Herrn noch fester anzog.

»Der Page gehört Euch?« fragte Loignac, mit dem Finger auf den jungen Menschen deutend.

»Ihr seht, Herr Kapitän,« erwiderte Ernauton, der weder lügen noch verraten wollte, »daß er mein Pferd zäumt.«

»Geht zu,« sagte Herr von Loignac, der mit großer Aufmerksamkeit Herrn von Carmainges betrachtete, dessen Gesicht und Haltung ihm mehr zu gefallen schien, als die aller anderen.

»Das ist doch wenigstens ein Erträglicher,« murmelte er.

Ernauton stieg wieder zu Pferde, der Page war ihm, gleichsam absichtslos, aber nicht langsam, vorangegangen und hatte sich schon mit der Gruppe der übrigen vermischt.

»Öffnet das Tor,« rief Loignac, »und laßt diese sechs Personen und die Leute ihres Gefolges hinein.«

»Vorwärts, rasch,« sagte der Page, »in den Sattel und marsch!«

Ernauton wich abermals der Gewalt, die dieses seltsame Geschöpf über ihn ausübte, und da das Tor offen war, so gab er seinem Pferd den Sporn und drang, von dem Pagen geleitet, bis in das Herz des Faubourg Saint-Antoine.

Loignac ließ hinter den sechs Auserwählten das Tor wieder schließen zur großen Unzufriedenheit der Menge, die nach Erfüllung der Förmlichkeit ebenfalls passieren zu dürfen glaubte und nun geräuschvoll ihre Mißbilligung äußerte. Meister Miton, der nach einem atemlosen Laufe querfeldein allmählich wieder Mut gefaßt hatte und dann, vorsichtig, schrittweise zurücklaufend, am Ende wieder auf seinen Platz zurückgekommen war, wagte es, einige Klagen über die Willkür der Soldateska laut werden zu lassen.

Gevatter Friard, dem es gelungen war, seine Frau wiederzufinden, und der, von ihr beschützt, nichts mehr zu befürchten schien, erzählte seiner erhabenen Ehehälfte die Neuigkeiten des Tages, bereichert und geschmückt mit Kommentaren seiner Art.

Die Reiter endlich, von denen einer von dem kleinen Pagen Mayneville genannt worden war, beratschlagten, ob sie nicht die Ringmauer umgehen sollten in der Hoffnung, irgendeine Bresche zu finden und durch diese Bresche in die Stadt hineinzukommen, ohne daß sie nötig hätten, sich länger an diesem oder einem andern Tore zu zeigen.

Robert Briquet, der sah, daß er aus den Gesprächen der Reiter, der Bürger und der Bauern nichts mehr erfahren könnte, näherte sich immer mehr einer kleinen Baracke, die dem Torwart als Loge diente und durch zwei Fenster erhellt wurde, von denen eins gegen Paris, das andere gegen das Feld ging.

Kaum hatte er sich auf seinem neuen Posten festgestellt, als ein Mann, der im schnellsten Galopp herbeieilte, von seinem Pferde sprang, in die Loge trat und am Fenster erschien.

»Hier bin ich, Herr von Loignac,« sagte er.

»Gut, woher kommt Ihr?« – »Von der Porte Saint-Victor.«

»Euer Verzeichnis?« – »Fünf.«

»Die Karten?« – »Hier sind sie.«

Loignac nahm die Karten, untersuchte sie und schrieb auf eine Schiefertafel die Ziffer 5.

Ebenso erschienen in rascher Folge noch 7 weitere Boten, und am Ende sah Loignacs Tafel folgendermaßen aus:


Porte Saint-Victor 5
Porte Bourdelle 4
Porte du Temple 6
Porte Saint-Denis 5
Porte Saint-Jacques 3
Porte Saint-Honoré 8
Porte Montmartre 4
Porte Bussy 4
Porte Saint-Antoine 6
45

Gesamtsumme fünfundvierzig.

»Nun öffnet die Tore, und es trete ein, wer will,« rief Loignac mit starker Stimme.

Die Tore öffneten sich, und mit Getümmel und Lärm drängte alles vorwärts.

Robert Briquet ließ die Flut verrauschen, dann ging er phlegmatisch durch das Tor und sagte: »Alle diese Leute wollten etwas sehen und haben nichts gesehen, nicht einmal in ihren Angelegenheiten; ich wollte nichts sehen und bin der einzige, der etwas gesehen hat. Das ist aufmunternd; fahren wir fort; doch wozu fortfahren? Ich weiß bei Gott genug. Wird es für mich von Nutzen sein, Herrn von Salcède in vier Stücke zerreißen zu sehen? Wahrlich! nein. Überdies habe ich auf die Politik Verzicht geleistet. Gehen wir zum Mittagessen; die Sonne würde Mittag bezeichnen, wenn es eine Sonne gäbe; es ist Zeit.«

Er sprach es und kehrte nach Paris zurück mit seinem ruhigen, boshaften Lächeln.

Die Loge des Königs Heinrich III. auf der Grève.

Warf man einen Blick auf den Grèveplatz, so durfte man wohl sagen, daß Meister Friard rocht hatte, wenn er die Zahl der Zuschauer, die sich dort zu dem grausigen Schauspiel einfinden würden, auf hunderttausend berechnete. Ganz Paris hatte sich dort eingestellt. Paris versäumt kein Fest, und Salcèdes Tod war damals ein außerordentliches Fest.

Der Zuschauer, dem es gelang, auf den Platz zu kommen, erblickte zuerst die Bogenschützen des Leutnants vom Stadtgericht Tanchon, und eine große Anzahl von Schweizern und Chevaulegers. Sie umgaben ein kleines, ungefähr vier Fuß hohes Schafott und erwarteten den Missetäter, dessen sich die Mönche seit dem Morgen bemächtigt hatten, und dem nach den Straftaten die Pferde entgegenharrten, um ihn die große Reise machen zu lassen.

Unter dem Wetterdache eines nahen Hauses stampften wirklich vier kräftige Pferde mit prallen Kreuzen, weißen Mähnen, langhaarigen Füßen ungeduldig das Pflaster und bissen einander wiehernd zum großen Schrecken der Frauen, die diesen Platz freiwillig gewählt hatten oder gewaltsam dahin gedrängt wurden.

Nächst den wiehernden Pferden und dem leeren Schafott zog die Blicke der Menge am meisten das mit rotem Samt und Gold ausgeschlagene Hauptfenster des Stadthauses an, über dessen Balkon ein mit dem königlichen Wappenschild verzierter Teppich von Samt herabhing, es war die Loge des Königs.

Es schlug halb ein Uhr, als dieses Fenster, wie der Rahmen eines Gemäldes, sich mit Personen füllte. Zuerst kam Heinrich III., bleich, beinahe kahl, obgleich er zu dieser Zeit erst vierunddreißig Jahre alt war, während das Auge in seine schwarzblaue Höhle eingesunken war, und der Mund von Nervenzuckungen zitterte.

Er erschien düster, mit starrem Blick, zugleich majestätisch und wankend, seltsam in seiner Haltung, seltsam in seinem Gang, mehr ein Schatten als ein Lebender, mehr ein Gespenst als ein König, ein für seine Untertanen stets unbegreifliches und von ihnen nicht begriffenes Geheimnis, denn wenn sie ihn erscheinen sahen, wußten sie nicht, ob sie: »Es lebe der König!« rufen oder für seine Seele beten sollten. Heinrich war in ein schwarzes Wams mit schwarzen Borten gekleidet; er hatte weder Orden noch Edelsteine; ein einziger Diamant, der als Agraffe für drei kurze, krause Federn diente, glänzte an seinem Toquet. Er trug in seiner linken Hand ein schwarzes Hündchen, das ihm seine Schwägerin, Maria Stuart, aus ihrem Gefängnis geschickt hatte, und auf dessen seidenem Fell seine feinen, weißen Finger wie alabastern glänzten.

Hinter ihm kam Katharina von Medici, schon vom Alter gekrümmt, denn die Königinmutter war damals sechsundsechzig Jahre alt; doch den Kopf trug sie noch fest und gerade; unter ihrer gewohnheitsmäßig zusammengezogenen Stirn schleuderte sie einen scharfen Blick, aber trotz dieses Blickes war ihre Erscheinung unter ihren ewigen Trauerkleidern matt und kalt wie ein Wachsbild.

Zugleich zeigte sich das schwermütige und sanfte Antlitz der Königin Luise von Lothringen, der scheinbar bedeutungslosen, in Wirklichkeit aber getreuen Gefährtin seines geräuschvollen und unglücklichen Lebens.

Katharina von Medici ging einem Triumph entgegen, die Königin wohnte einer Hinrichtung bei, König Heinrich behandelte eine Angelegenheit, wie man dies auf der hochmütigen Stirn der ersten, der ergebenen der zweiten und auf der bewölkten und gelangweilten des dritten lesen konnte.

Dahinter kamen zwei hübsche junge Leute: der eine von kaum zwanzig, der andere von höchstens fünfundzwanzig Jahren.

Sie hielten sich am Arm, trotz der Etikette, die verbietet, daß die Menschen vor den Königen aneinander zu hängen scheinen.

Sie lächelten, der jüngere mit unaussprechlicher Traurigkeit, der ältere mit bezaubernder Anmut; sie waren schön und waren Brüder.

Der jüngere hieß Henri von Joyeuse, Graf du Bouchage, der andere Herzog Anne von Joyeuse. Noch vor kurzem war er bei Hofe nur unter dem Namen d'Arques bekannt; aber der König liebte ihn über alles und hatte ihn ein Jahr zuvor, die Vicomté Joyeuse zu einem Herzogtum und zur Pairie erhebend, zum Pair gemacht.

Das Volk hegte gegen diesen Günstling keinen Haß, wie einst gegen Maugiron, Quelus, Schomberg, einen Haß, den Epernon allein geerbt. Es empfing also den Fürsten und die beiden Brüder mit bescheidenem, aber schmeichelhaftem Zurufe.

Heinrich grüßte das Volk ernst und ohne zu lächeln, dann küßte er seinen Hund auf den Kopf, wandte sich gegen die jungen Leute um und sagte zu dem ältern: »Lehnt Euch an die Tapete an, Anne; ermüdet Euch nicht dadurch, daß Ihr stehenbleibt; es wird vielleicht lange dauern.«

»Ich hoffe es,« unterbrach ihn Katharina, »lange und gut, Sire.«

»Ihr glaubt also, Salcède werde sprechen, meine Mutter?«

»Gott wird hoffentlich unseren Feinden diese Verwirrung geben. Ich sage unseren Feinden, denn es sind auch Eure Feinde, meine Tochter,« fügte sie hinzu, indem sie sich an die Königin wandte, die erbleichte und ihr sanftes Auge senkte.

Der König schüttelte den Kopf mit einer Gebärde des Zweifels Dann wandte er sich wieder zu Joyeuse um und sagte, als er sah, daß dieser trotz seiner Aufforderung immer noch stand: »Nun, Anne, tut, was ich gesagt habe, lehnt Euch mit dem Rücken an die Wand oder stützt Euch mit den Ellenbogen auf meinen Stuhl.«

»Eure Majestät ist in der Tat zu gut, und ich werde nur von der Erlaubnis Gebrauch machen, wenn ich wirklich müde bin.«

»Mein Sohn, sehe ich nicht ein Getümmel dort an der Ecke des Kais?« fragte Katharina.

»Welch ein scharfes Gesicht, »meine Mutter! In der Tat, ich glaube, Ihr habt recht. Oh! wie schlimm sind meine Augen, und ich bin doch nicht alt.« »Sire,« sagte Joyeuse, »dieser Tumult rührt vom Zurückdrängen des Volkes durch die Kompagnie der Bogenschützen her. Sicherlich kommt der Verurteilte.«

»Wie schmeichelhaft ist es für Könige, einen Menschen vierteilen zu sehen, der in seinen Adern einen Tropfen königlichen Blutes hat,« sagte Catharina und ließ bei diesen Worten ihren Blick auf Luise ruhen.

»Oh! Madame, verzeiht, schont mich,« versetzte die junge Königin mit einer Verzweiflung, die sie vergebens zu verbergen suchte, »nein, dieses Ungeheuer gehört nicht zu meiner Familie, und Ihr wolltet dies nicht sagen.«

»Gewiß nicht,« sagte der König, »ich bin überzeugt, daß meine Mutter dies nicht sagen wollte.«

»Ei!« erwiderte Katharina mit Bitterkeit, »er hält zu den Lothringern, und die Lothringer sind die Eurigen, Madame; ich denke wenigstens. Dieser Salcède geht Euch also an und zwar ziemlich nahe.«

 

»Das heißt,« unterbrach sie Joyeuse mit einer ehrenhaften Entrüstung, die der hervorstechende Zug seines Charakters war, »er geht vielleicht Herrn von Guise an, aber keineswegs die Königin von Frankreich.«

»Ah! Ihr seid da, Herr von Joyeuse,« sagte Catharina mit unbeschreiblichem Hochmut. »Ah! Ich hatte Euch nicht gesehen.«

»Ich bin da, nicht nur mit Bewilligung, sondern auf Befehl des Königs, Madame,« antwortete Joyeuse, Heinrich mit dem Blick befragend. »Es ist nicht so ergötzlich, einen Menschen vierteilen zu sehen, daß ich zu einem solchen Schauspiel kommen sollte, wenn ich nicht dazu genötigt wäre.«

»Joyeuse hat recht, Madame,« sagte Heinrich; »es handelt sich hier nicht um Lothringer, nicht um Guise und besonders nicht um die Königin; es handelt sich darum, Herrn von Salcède, einen Mörder, der meinen Bruder töten wollte, in vier Stücke zerreißen zu sehen.«

»Ich habe heute wenig Glück,« sagte Katharina, plötzlich nachgebend, was ihre geschickteste Taktik war, »ich bewirke, daß meine Tochter weint, und Gott verzeihe mir, ich glaube, ich bewirke auch, daß Herr von Joyeuse lacht.«

»Ah! Madame,« rief Luise, Katharinas Hände ergreifend, »ist es möglich, daß sich Eure Majestät so in meinem Schmerze täuscht?«

»Und in meiner tiefen Ehrfurcht?« fügte Anne von Joyeuse bei und verbeugte sich auf den Arm des königlichen Lehnstuhles.

»Es ist wahr,« versetzte Katharina, einen letzten Pfeil in das Herz ihrer Schwiegertochter abdrückend. »Ich sollte wissen, wie peinlich es Euch ist, mein liebes Kind, die Komplotte Eurer Verwandten von Lothringen enthüllt zu sehen, und obgleich Ihr nichts dafür könnt, leidet Ihr doch durch diese Verwandtschaft.«

»Oh!« rief Anne von Joyeuse, »Ihr seht wohl, daß ich mich nicht täuschte, Sire, der Missetäter erscheint auf dem Platz. Teufel! welch ein gemeines Gesicht!«

»Er hat Angst,« sagte Katharina; »er wird sprechen.«

»Wenn er die Kraft dazu hat,« entgegnete der König.

»Seht doch, meine Mutter, sein Kopf wankt wie der eines Leichnams.«

»Ich wiederhole,« versetzte Joyeuse; »er ist abscheulich.«

»Wie soll ein Mensch schön sein, dessen Inneres so häßlich ist? Habe ich Euch nicht die geheimen gegenseitigen Beziehungen des Physischen und Moralischen erklärt, Anne?«

»Ich sage nicht nein, Sire, aber ich habe zuweilen gesehen, daß äußerst häßliche Menschen sehr tapfere Soldaten waren. Nicht wahr, Henri?«

Anne wandte sich nach seinem Bruder um, als wollte er dessen Beifall zu Hilfe rufen; doch Henri schaute ohne zu sehen, horchte, ohne zu hören; er war in tiefe Träumerei versunken, der König antwortete daher für ihn.

»Ei, mein Gott! mein lieber Anne,« rief er, »wer sagt, daß jener dort nicht tapfer sei? Er ist es wie ein Bär, wie ein Wolf, wie eine Schlange. Ihr wißt, er hat in seinem Hause einen normannischen Edelmann, seinen Feind, verbrannt. Er hat sich zehnmal geschlagen und drei von seinen Gegnern getötet; man hat ihn beim Falschmünzen ertappt und deshalb zum Tode verurteilt.«

»Das ist ein wohlerfülltes Dasein, das bald sein Ende erreichen wird,« sagte Joyeuse.

»Herr von Joyeuse, ich hoffe im Gegenteil, es wird so langsam wie möglich endigen,« sagte Katharina.

»Madame,« erwiderte Joyeuse, den Kopf schüttelnd, »die Pferde, die ich dort unter jenem Wetterdache sehe, kommen mir so kräftig und ungeduldig vor, daß ich nicht an einen sehr langen Widerstand der Muskeln, Nerven und Sehnen des Herrn von Salcède glaube.«

»Ja, wenn man nicht für den Fall vorhersehen würde,« versetzte Catharina mit jenem Lächeln, das nur ihr angehörte; »doch, mein Sohn ist barmherzig, er wird den Knechten Befehle geben, daß sie sacht anziehen lassen.«

»Aber, Madame,« warf die Königin schüchtern ein, »ich habe Euch diesen Morgen zu Frau von Mercoeur sagen hören, dieser Unglückliche würde nur zwei Züge auszuhalten haben.«

»Von Herzen gern, wenn er sich gut benimmt,« erwiderte Katharina; »dann wird er so rasch wie möglich abgefertigt werden; doch Ihr versteht, meine Tochter, und ich wollte, Ihr würdet es ihm sagen lassen, da Ihr Euch für ihn interessiert, er halte sich gut, das ist seine Sache.«

Während dieser Zeit hatten die Hellebardiere, die Bogenschützen und die Schweizer den Raum beträchtlich erweitert, und es herrschte nun rings um das Schafott eine Leere, die alle Blicke Salcèdes trotz der geringen Erhöhung des Blutgerüstes unterscheiden ließ.

Salcède mochte ungefähr vierunddreißig Jahre alt sein, er war stark und kräftig; seine bleichen Gesichtszüge, worauf einige Schweiß- und Blutstropfen perlten, belebten sich, wenn er umherschaute, durch einen unbeschreiblichen Ausdruck bald der Hoffnung, bald der Angst. Gleich anfangs warf er seine Blicke nach der königlichen. Loge; aber sein Auge verweilte nicht hier, als hätte er begriffen, daß ihm von dort statt der Rettung der Tod drohte.

Er wandte sich der Menge zu; im Schoße dieses stürmischen Meeres wühlte er mit seinen glühenden Augen und mit seiner am Rande seiner Lippen zitternden Seele.

Die Menge schwieg. Salcède war kein gemeiner Mörder, er war vor allem von guter Geburt; dabei war er ein Kapitän von einigem Rufe gewesen. Nun durch einen schmählichen Strick gebunden, hatte diese Hand einst mutig das Schwert geführt; dieser bleiche Kopf, auf dem sich die Schrecknisse des Todes abmalten, Schrecknisse, die der Missetäter ohne Zweifel in der tiefsten Tiefe seiner Seele verschlossen haben würde, wenn die Hoffnung nicht zuviel Platz eingenommen hätte, dieser bleiche Kopf hatte großartige Pläne beherbergt. So war Salcède für viele Zuschauer ein Held, für viele andere ein Opfer.

Man erzählte sich in der Menge, er sei aus einem Kriegergeschlechte geboren; sein Vater habe heftig den Kardinal von Lothringen bekämpft, was ihm in der Metzelei in der Bartholomäusnacht einen glorreichen Tod eingetragen, der Sohn aber habe, diesen Tod vergessend oder vielmehr seinen Haß einem Ehrgeize opfernd, für den der große Haufe immer eine gewisse Sympathie hegt, einen Vertrag mit Spanien und mit den Guisen eingegangen, um in Flandern die wachsende Souveränität des bei den Franzosen so sehr verhaßten Herzogs von Anjou zu vernichten. – Man sprach ferner von seiner Verbindung mit Baza und Balouin, den angeblichen Urhebern des Komplotts, das den Herzog Franz, den Bruder Heinrichs III., beinahe das Leben gekostet hätte.

Salcède seinerseits hatte beständig auf Befreiung gehofft. Er hatte klüglich halbe Geständnisse gemacht, welche seine Feinde auf mehr Enthüllungen hoffen ließen und sie bewogen, ihn nicht sofort zu töten, sondern nach Paris zu bringen. Salcède hoffte im Gefängnis, Salcède hoffte auf der Folter; er hoffte auf dem Karren; er hoffte noch auf dem Schafott.

Dem König entging so wenig wie dem Volk dieser beständige Gedanke Salcèdes. Catharina studierte ängstlich jede, auch die geringste Bewegung des unglücklichen jungen Mannes; aber sie war zu weit von ihm entfernt, um der Richtung seiner Blicke zu folgen und ihr fortwährendes Spiel zu bemerken.

Der Henker fing indessen an, sich des Opfers zu bemächtigen, und band ihn mitten um den Leib auf die Mitte des Schafotts. Auf ein Zeichen Tranchons waren schon zwei Bogenschützen durch die Menge gedrungen, um die Pferde zu holen, und willig wich die Menge vor ihnen zurück.

In diesem Augenblick entstand ein Geräusch an der Tür der königlichen Loge, und den Vorhang aufhebend, meldete der Huissier Ihren Majestäten, der Präsident Brisson und vier Räte wünschten die Ehre zu haben, mit dem König über den Gegenstand der Hinrichtung eine kurze Unterredung zu pflegen.

»Das ist wunderbar,« sagte der König und fuhr, zu Catharina gewendet, fort: »Meine Mutter, Ihr werdet befriedigt werden.«

Catharina machte ein zustimmendes Zeichen mit dem Kopfe.

»Laßt die Herren eintreten,« sagte der König.

Ehe aber die Gemeldeten erschienen, bat Joyeuse den König leise, sich entfernen zu dürfen. Nach mehreren vergeblichen Einwänden gewährte Heinrich die Bitte und sagte seufzend: »Gehe, halte es nach deiner Phantasie; es ist mein Los, allein zu leben.«

Und er wandte sich mit gefalteter Stirn zu seiner Mutter, denn er fürchtete, sie könnte das Gespräch gehört haben, das zwischen ihm und seinem Günstling stattgefunden.

Joyeuse aber neigte sich an das Ohr seines Bruders und sagte zu ihm: »Geschwind, geschwind, du Bouchage, während die Räte eintreten, schlüpfe hinter ihren großen Roben hinaus und laß uns wegschleichen; der König sagt jetzt ja, in fünf Minuten wird er nein sagen.«

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