Der Hund der Baskervilles

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Dr. Mortimer faltete die Zeitung zusammen und steckte sie wieder in die Tasche.

»Dies, Mr. Holmes, sind die allgemein bekannten Tatsachen im Zusammenhang mit dem Tod von Sir Charles Baskerville.«

»Ich bin Ihnen sehr dankbar«, meinte Sherlock Holmes, »daß Sie mich auf einen Fall aufmerksam machen, der sicherlich viel Interessantes an sich hat. Ich habe zu jener Zeit einige Zeitungsberichte darüber gelesen, aber ich war damals mit dieser kleinen Angelegenheit der vatikanischen Kameen sehr beschäftigt, und in meinem Bestreben, dem Papst gefällig zu sein, habe ich den Überblick über einige interessante Fälle in England verloren. Dieser Artikel, sagen Sie, enthält alle allgemein bekannten Umstände?«

»So ist es.«

»Dann lassen Sie mich die unbekannten Umstände wissen.« Er lehnte sich zurück, legte die Fingerspitzen aneinander und setzte seine gleichmütigste und kritischste Miene auf.

»Wenn ich das tue«, erklärte Dr. Mortimer, der Anzeichen starker Gemütsbewegung aufwies, »sage ich etwas, das ich noch niemandem anvertraut habe. Mein Beweggrund dafür, daß ich es dem Coroner vorenthalten habe, ist der, daß ein Mann der Wissenschaft davor zurückschreckt, in der Öffentlichkeit einem bestehenden Aberglauben das Wort zu reden. Weiter war es ein Motiv für mich, daß, wie die Zeitung sagt, Baskerville Hall nicht bewohnt werden würde, wenn sein ohnehin recht düsterer Ruf Bestätigung fände. Aus diesen beiden Gründen fühlte ich mich berechtigt, eher weniger zu sagen, als ich wußte, da etwas anderes auch keinen praktischen Sinn gehabt hätte. Aber Ihnen gegenüber kann ich vollkommen aufrichtig sein.

Das Moor ist sehr spärlich besiedelt, und die Menschen, die dort in der Nähe voneinander wohnen, halten natürlich zusammen. Daher habe ich Sir Charles Baskerville oft besucht. Mit Ausnahme von Mr. Frankland auf Lafter Hall und Mr. Stapleton, dem Naturforscher, gibt es im Umkreis von vielen Meilen keinen gebildeten Menschen. Sir Charles war von Natur aus zurückhaltend, aber der Zufall seiner Krankheit brachte uns zusammen, und ein gemeinsames Interesse für alles Wissenschaftliche vertiefte unsere Freundschaft. Er hatte aus Südafrika manch wissenschaftliche Kenntnis mitgebracht, und wir haben viele angenehme Abende mit Diskussionen über die vergleichende Anatomie des Buschmannes und des Hottentotten verbracht.

Im Laufe der letzten Monate wurde mir immer klarer, daß Sir Charles' Nervensystem aufs äußerste angespannt war. Er hatte sich diese Legende, die ich Ihnen vorgelesen habe, sehr zu Herzen genommen, so sehr, daß, obschon er auf seinem eigenen Grund und Boden spazieren ging, ihn nichts dazu bringen konnte, in der Nacht auf das Moor zu gehen. So unwahrscheinlich es für Sie klingen mag, Mr. Holmes, er war davon ehrlich überzeugt, daß ein schreckliches Unheil über seiner Familie hing; und die Geschichten, die er mir von seinen Vorfahren erzählte, waren ganz und gar nicht ermunternd. Die Vorstellung eines gespenstischen Wesens hat ihn unablässig heimgesucht, und mehr als einmal hat er mich gefragt, ob ich auf meinen nächtlichen Arztvisiten nie eine sonderbare Kreatur gesehen oder das Bellen eines Hundes gehört hätte. Letztere Frage hat er mir mehrfach gestellt, und immer mit einer vor Erregung bebenden Stimme.

Ich erinnere mich genau, wie ich, ungefähr drei Wochen vor dem Unglückstag, abends zu seinem Haus fuhr. Zufällig befand er sich im Portal der Hall. Ich war aus meinem Wagen ausgestiegen und stand ihm gegenüber, als ich plötzlich sah, wie seine Augen über meine Schulter hinwegstarrten, mit einem Ausdruck entsetzlichen Grauens. Ich habe mich rasch umgedreht und gerade noch etwas gesehen, das mir wie ein großes schwarzes Kalb vorkam und das am Ende der Zufahrt vorüberging. Er war so aufgeregt und verängstigt, daß ich zu der Stelle, wo das Tier gewesen war, zurückgehen mußte, um es zu suchen. Es war aber verschwunden, und der Zwischenfall schien einen entsetzlichen Eindruck auf ihn gemacht zu haben. Ich bin den ganzen Abend bei ihm geblieben, und bei dieser Gelegenheit war es, daß er, um seine Erregung zu erklären, mir zu treuen Händen das Dokument übergab, das ich Ihnen soeben vorgelesen habe. Ich erwähne diese Begebenheit, weil sie in Anbetracht der nachfolgenden Tragödie an Wichtigkeit gewinnt, aber damals war ich davon überzeugt, daß die Sache ganz harmlos sei und seine Aufregung darüber vollkommen unberechtigt.

Auf meinen Rat hin war Sir Charles im Begriff, nach London zu reisen. Ich wußte, daß sein Herz angegriffen war, und die stete Angst, in der er lebte, so chimärisch auch deren Ursache sein mochte, war offensichtlich ernsthaft schädlich für seine Gesundheit. Ich dachte, einige Monate in der Stadt mit ihren Zerstreuungen würden einen anderen Menschen aus ihm machen. Mr. Stapleton, ein gemeinsamer Freund, der sich große Sorgen um Sir Charles' Gesundheit machte, war derselben Meinung. Im letzten Augenblick kam es dann zu dieser entsetzlichen Katastrophe.

In der Nacht von Sir Charles' Tod schickte Barrymore den Reitknecht Perkins zu Pferde zu mir. Da ich noch wach war, konnte ich Baskerville Hall eine Stunde nach dem Unglück erreichen. Ich habe alle Einzelheiten, die später bei der Untersuchung erwähnt wurden, überprüft und bestätigt. Ich bin den Fußspuren durch die Eibenallee gefolgt, habe die Stelle neben dem Tor zum Moor gesehen, wo er anscheinend gewartet hat; ich habe die Veränderung der Fußabdrücke von dort an bemerkt, ich habe gesehen, daß es außer denen von Barrymore keine anderen Fußspuren auf dem weichen kiesbedeckten Boden gab, und schließlich habe ich sorgfältig die Leiche untersucht, die bis zu meiner Ankunft nicht berührt worden war. Sir Charles lag mit ausgebreiteten Armen auf dem Gesicht, seine Finger waren in den Boden gekrallt und seine Züge von gewaltiger Erregung so verzerrt, daß ich seine Identität kaum hätte beschwören können. Ganz sicher gab es keinerlei körperlichen Schaden. Aber eine der Angaben, die Barrymore bei der Untersuchung gemacht hat, ist falsch. Er hat gesagt, um die Leiche herum seien keinerlei Spuren auf dem Boden gewesen. Er hatte keine gesehen. Aber ich. Sie waren wohl etwas weiter entfernt, aber frisch und deutlich sichtbar.«

»Fußspuren?«

»Fußspuren.«

»Von einem Mann oder von einer Frau?«

Dr. Mortimer blickte uns einen Augenblick lang sonderbar an, und seine Stimme sank zu einem Flüstern herab, als er antwortete:

»Mr. Holmes, es waren die Fußspuren eines gigantischen Hundes!«

3. Das Problem

Ich gestehe, daß es mich bei diesen Worten durchschauerte. Die bebende Stimme des Arztes zeigte, wie sehr er selbst von dem, was er uns erzählt hatte, erschüttert war. Holmes beugte sich erregt vor, und seine Augen bekamen den harten, trockenen Glanz, der aus ihnen sprühte, wenn er äußerst interessiert war.

»Sie haben die Spuren wirklich gesehen?«

»So deutlich, wie ich Sie jetzt sehe.«

»Und Sie haben nichts gesagt?«

»Was hätte es für einen Sinn gehabt?«

»Wie kommt es, daß sonst niemand sie gesehen hat?«

»Die Spuren waren etwa zwanzig Yards von der Leiche entfernt, und niemand hat darauf achtgegeben. Ich wohl auch nicht, wenn ich nicht die Legende gekannt hätte.«

»Gibt es nicht viele Schäferhunde auf dem Moor?«

»Gewiß, aber das war kein Schäferhund.«

»Sie sagen, er war groß?«

»Riesengroß.«

»Aber er hatte sich der Leiche nicht genähert?«

»Nein.«

»Wie war denn die Nacht?«

»Kalt und feucht.«

»Es hat aber nicht mehr geregnet?«

»Nein.«

»Wie sieht diese Allee aus?«

»Sie besteht aus zwei Reihen alter Eibenhecken, die zwölf Fuß hoch und undurchdringlich dicht sind. Der Weg dazwischen ist ungefähr acht Fuß breit.«

»Ist irgend etwas zwischen Hecke und Weg?«

»Ja. Auf jeder Seite ein Grasstreifen, etwa sechs Fuß breit.«

»Wird die Eibenhecke nicht an einer Stelle durch ein Tor unterbrochen?«

»Ja. Das Gittertor, das auf das Moor hinausfuhrt.«

»Gibt es noch eine Öffnung?«

»Keine.«

»So daß man, um die Eibenallee zu erreichen, entweder aus dem Hause kommen oder sie durch das Tor vom Moor her betreten muß?«

»Es gibt einen Ausgang durch ein Sommerhäuschen am Ende der Allee!«

»Hatte Sir Charles diesen Ausgang erreicht?«

»Nein, er lag etwa fünfzig Yards davon entfernt.«

»Nun sagen Sie mir, Dr. Mortimer – und das ist sehr wichtig –, die Spuren, die Sie gesehen haben, waren auf dem Weg und nicht auf dem Gras?«

»Auf dem Gras wären Spuren nicht sichtbar gewesen.«

»Waren sie auf der gleichen Seite des Weges wie das Tor zum Moor?«

»Ja, sie waren am Rand des Pfads, auf derselben Seite wie das Moor-Tor.«

»Außerordentlich interessant. Etwas anderes: War das Gittertor verschlossen?«

»Geschlossen und verriegelt.«

»Wie hoch ist es?«

»Etwa vier Fuß hoch.«

»Dann könnte jeder darüber hinwegklettern?«

»Ja.«

»Und welche Spuren haben Sie am Gittertor gefunden?«

»Keine besonderen.«

»Lieber Himmel! Hat das niemand untersucht?«

»Doch, ich selbst.«

»Und nichts gefunden?«

»Es war alles sehr wirr. Sir Charles hatte anscheinend vier bis fünf Minuten dort gestanden.«

»Woraus schließen Sie das?«

»Weil zweimal Asche von seiner Zigarre abgefallen war.«

»Ausgezeichnet. Watson, da haben wir einen Kollegen nach unserem Herzen. Aber die Spuren?«

»Er hatte seine eigenen Spuren überall auf diesem Stückchen Kies hinterlassen. Ich konnte keine anderen entdecken.«

Sherlock Holmes schlug sich mit einer ungeduldigen Bewegung aufs Knie.

 

»Wenn ich doch nur dort gewesen wäre!« rief er. »Es ist offensichtlich ein außerordentlich interessanter Fall, der einem wissenschaftlichen Experten ungeheure Möglichkeiten eröffnet hätte. Dieser Kiesweg, aus dem ich so viel hätte herauslesen können, ist nun längst vom Regen verwischt und von den Holzschuhen neugieriger Bauern zerstampft. Oh, Dr. Mortimer, Dr. Mortimer, warum haben Sie mich nur nicht eher gerufen! Sie tragen eine große Verantwortung.«

»Ich konnte Sie nicht zuziehen, Mr. Holmes, ohne diese Tatsachen bekanntzugeben, und ich habe Ihnen bereits meine Gründe, weshalb ich das nicht tun wollte, dargelegt. Und dann – und dann ...«

»Warum zögern Sie?«

»Es gibt einen Bereich, in dem der schärfstsinnige und erfahrenste Detektiv machtlos ist.«

»Sie meinen, diese Sache ist übernatürlich?«

»Das habe ich nicht gesagt.«

»Nein, aber offensichtlich denken Sie es.«

»Mr. Holmes, seit dieser Tragödie sind mir einige Dinge zu Ohren gekommen, die sich schwer mit der natürlichen Ordnung der Natur in Einklang bringen lassen.«

»Zum Beispiel?«

»Ich habe erfahren, daß, ehe das Unglück geschah, einige Leute eine Kreatur auf dem Moor gesehen haben, deren Beschreibung auf den Baskerville-Dämon paßt und die unmöglich ein der Wissenschaft bekanntes Tier sein kann. Alle sind sich darüber einig, daß es ein riesiges Wesen war, leuchtend, gespenstisch und grauenhaft. Ich habe diese Männer, von denen der eine ein dickschädliger Landmann, der andere ein Schmied und der dritte ein Moorlandbauer ist, ins Kreuzverhör genommen, und sie alle erzählen die gleiche Geschichte über diese furchtbare Erscheinung, die genau auf die Beschreibung des Höllenhundes in der Legende paßt. Ich versichere Ihnen, im ganzen Gebiet regieren Furcht und Schrecken, und es müßte schon ein besonders tapferer Mann sein, der nachts über das Moor ginge.«

»Und Sie, ein ausgebildeter Wissenschaftler, glauben, daß alles übernatürlich ist?«

»Ich weiß nicht, was ich glauben soll.«

Holmes zuckte die Achseln. »Ich habe bis jetzt meine Nachforschungen auf diese Welt beschränkt«, sagte er. »In meiner bescheidenen Art habe ich das Böse bekämpft, aber den Vater alles Bösen selbst herauszufordern ist vielleicht ein zu ehrgeiziges Unternehmen. Immerhin müssen Sie zugeben, daß die Fußspuren irdisch waren.«

»Der Hund der Legende war irdisch genug, die Gurgel eines Mannes herauszureißen, und teuflisch war er trotzdem auch.«

»Ich sehe, daß Sie zu den Supernaturalisten übergelaufen sind. Aber nun, Dr. Mortimer, sagen Sie mir Folgendes. Wenn Sie dieser Ansicht sind, warum sind Sie dann überhaupt gekommen, um mich zu konsultieren? Sie sagen mir im selben Atemzug, daß es sinnlos ist, die Umstände von Sir Charles' Tod zu erforschen, und daß Sie mich bitten, es zu tun.«

»Ich sagte nicht, daß ich Sie darum bitte.«

»Wie kann ich Ihnen denn behilflich sein?«

»Indem Sie mir raten, was ich mit Sir Henry Baskerville tun soll, der –« Dr. Mortimer blickte auf seine Uhr – »in genau einer und einer Viertelstunde auf der Waterloo Station ankommt.«

»Er ist der Erbe?«

»Ja. Nach dem Tod von Sir Charles haben wir nach diesem jungen Mann gesucht und herausgefunden, daß er in Kanada Landwirtschaft betreibt. Nach allem, was wir gehört haben, ist er in jeder Beziehung ein prächtiger Bursche. Ich spreche jetzt nicht als Arzt, sondern als Vertrauensmann von Sir Charles und als sein Testamentsvollstrecker.«

»Ich nehme an, daß es keinen anderen Anwärter gibt?«

»Keinen. Der einzige andere Blutsverwandte, den wir ermitteln konnten, war Rodger Baskerville, der jüngste der drei Brüder, deren ältester der arme Sir Charles war. Der zweite Bruder, der jung gestorben ist, war der Vater von Sir Henry. Der dritte, Rodger, war das schwarze Schaf der Familie. Er war die Verkörperung der alten, herrischen Art der Baskervilles und, wie mir gesagt wurde, das leibhaftige Ebenbild von des alten Hugo Familienportrait. Der Boden in England wurde ihm zu heiß, und er floh nach Mittelamerika, wo er 1876 am gelben Fieber gestorben ist. Henry ist der letzte der Baskervilles. In einer Stunde und fünf Minuten hole ich ihn an der Waterloo Station ab. Ich habe ein Telegramm bekommen, daß er heute früh in Southampton eingetroffen ist. Nun, Mr. Holmes, was raten Sie mir? Was soll ich mit ihm machen?«

»Warum sollte er nicht ins Heim seiner Väter gehen?«

»Das wäre nur natürlich, nicht wahr? Aber bedenken Sie, daß jeder Baskerville, der dorthin geht, einem tückischen Schicksal zum Opfer fällt. Ich bin sicher, daß Sir Charles, hätte er vor seinem Ende mit mir sprechen können, mich davor gewarnt hätte, den letzten seines Geschlechts und den Erben eines großen Vermögens an diesen tödlichen Ort zu bringen. Und doch ist nicht zu leugnen, daß der Wohlstand dieses ganzen armen, öden Landstriches von seiner Gegenwart abhängt. All die gute Arbeit, die Sir Charles begonnen hat, wird zusammenstürzen, wenn Baskerville Hall unbewohnt bleibt. Ich fürchte eben, daß ich von meinem persönlichen, begreiflichen Interesse an dieser Angelegenheit zu sehr beeinflußt bin, und deshalb lege ich Ihnen diesen Fall vor und bitte um Ihren Rat.«

Holmes dachte eine kleine Weile nach. »Schlicht gesagt liegt der Fall so«, begann er. »Ihrer Meinung nach wird Dartmoor durch teuflische Machenschaften zu einem ungesunden Aufenthalt für einen Baskerville. – Ist das Ihre Ansicht?«

»Ich möchte jedenfalls so weit gehen, zu sagen, daß es viele Anhaltspunkte gibt, die es so erscheinen lassen.«

»Ganz richtig. Aber sicherlich kann dem jungen Mann in London genauso viel Böses zustoßen wie in Devonshire, wenn Ihre übernatürliche Theorie richtig ist. Ein Teufel mit ausschließlich örtlicher Zuständigkeit, wie ein Pfarramt sie hat, wäre unvorstellbar.«

»Sie sprechen leichtfertiger über diese Dinge, Mr. Holmes, als Sie es täten, wenn Sie persönlich damit zu tun hätten. Ihrer Meinung nach, wenn ich Sie recht verstehe, ist der junge Mann also ebenso sicher in Devonshire wie in London. Er kommt in fünfzig Minuten an. Was raten Sie mir zu tun?«

»Ich rate Ihnen, in einen Wagen zu steigen, Ihren Spaniel, der an meiner Türe kratzt, mitzunehmen und zur Waterloo Station zu fahren, um Sir Henry Baskerville zu empfangen.«

»Und dann?«

»Und dann werden Sie ihm nichts von der ganzen Angelegenheit erzählen, bis ich mir alles gründlich überlegt habe.«

»Wie lange wird es dauern, bis Sie zu einem Schluß kommen?«

»Vierundzwanzig Stunden. Ich würde mich sehr freuen, Dr. Mortimer, wenn Sie mich morgen früh um zehn Uhr hier besuchten, und es wäre von Nutzen für meine künftigen Entschlüsse, wenn Sie Sir Henry Baskerville mitbrächten.«

»Das werde ich tun, Mr. Holmes.«

Er kritzelte die Verabredung auf seine Manschette und eilte in seiner sonderbaren, suchenden, geistesabwesenden Art davon. Holmes hielt ihn am Kopf der Treppe zurück.

»Nur noch eine Frage, Dr. Mortimer. Sie sagen, daß vor Sir Charles Baskervilles Tod mehrere Leute diese Erscheinung auf dem Moor gesehen haben?«

»Es waren drei.«

»Hat nach dem Tod jemand das Ding noch gesehen?«

»Ich habe nichts davon gehört.«

»Danke. Guten Morgen.«

Holmes kehrte an seinen Platz zurück mit jenem ruhigen Ausdruck innerer Befriedigung, der bedeutete, daß er sich vor einer ihm angemessenen Aufgabe sah.

»Gehen Sie aus, Watson?«

»Nur, wenn Sie mich nicht brauchen.«

»Nein, mein lieber Freund, die Stunde des Handelns ist es, in der ich Ihre Hilfe brauche. Aber dies hier ist großartig, wirklich einzigartig, von mancherlei Gesichtspunkten aus. Wenn Sie bei Bradley vorbeikommen, bitten Sie ihn doch, mir ein Pfund vom stärksten Shag-Tabak heraufzuschicken. Danke. Es wäre auch gut, wenn Sie erst abends zurückkommen könnten. Ich werde mich dann sehr freuen, mit Ihnen die Eindrücke von dem höchst interessanten Problem auszutauschen, das man uns heute morgen vorgelegt hat.«

Ich wußte, daß Abgeschlossenheit und Einsamkeit für meinen Freund in jenen Stunden intensiver geistiger Konzentration sehr notwendig waren, in welchen er jedes kleinste Beweisteilchen abwog, vielerlei Theorien aufstellte, sie gegeneinander abwägte und sich darüber schlüssig wurde, welche Punkte wesentlich und welche unwichtig waren. Ich verbrachte daher den Tag in meinem Club und kehrte erst abends in die Baker Street zurück. Es war beinahe neun Uhr, als ich mich wieder im Wohnzimmer einfand.

Mein erster Eindruck, als ich die Tür öffnete, war der, daß Feuer ausgebrochen sein mußte, denn das Zimmer war derart von Rauch erfüllt, daß das Licht der Tischlampe wie durch Nebel schien. Als ich jedoch eintrat, zerstoben meine Befürchtungen, denn es war nur der beißende Rauch des starken, groben Tabaks, der mich würgte und husten ließ. Durch den Rauch sah ich undeutlich Holmes in seinem Schlafrock in einem Lehnsessel hocken, mit seiner schwarzen Tonpfeife zwischen den Lippen. Um ihn herum lagen einige Rollen Papier.

»Haben Sie sich erkältet, Watson?« fragte er.

»Nein, es ist diese giftige Atmosphäre.«

»Ich glaube, sie ist ein bißchen dick; jetzt, wo Sie es sagen.«

»Dick? Unerträglich!«

»Dann öffnen Sie doch das Fenster! Sie haben, wie ich sehe, den ganzen Tag in Ihrem Club verbracht!«

»Mein lieber Holmes!«

»Habe ich recht?«

»Gewiß, aber wie ...?«

Er lachte über meine verblüffte Miene.

»Sie haben eine so hinreißende Naivität an sich, Watson, daß es eine Wonne ist, meine geringen Gaben auf Ihre Kosten zu betätigen. Ein Gentleman geht aus an einem Tag mit Regen und Dreck. Er kehrt abends tadellos sauber zurück, der Glanz seines Hutes und seiner Schuhe ist unberührt. Er hat daher den ganzen Tag stillgesessen. Er hat keine intimen Freunde. Wo also kann er sich aufgehalten haben? Ist es nicht offensichtlich?«

»Nun ja, ziemlich.«

»Die Welt ist voll von offensichtlichen Dingen, die zufällig niemand je bemerkt. Wo, glauben Sie, bin ich gewesen?«

»Sie haben auch stillgesessen.«

»Im Gegenteil, ich war in Devonshire.«

»Im Geist?«

»Genau. Mein Körper ist in diesem Fauteuil geblieben und hat – ich sehe es mit Bedauern – in meiner Abwesenheit zwei große Kannen Kaffee und eine unwahrscheinliche Menge Tabaks konsumiert. Nach Ihrem Fortgang habe ich zu Stanford um das Meßtischblatt diesen Teils des Moors geschickt, und mein Geist schwebte den ganzen Tag darüber. Ich bilde mir ein, daß ich mich dort nicht verlaufen würde.«

»Wohl eine Karte mit großem Maßstab, oder?«

»Sehr groß.« Er rollte einen Teil der Karte auf und hielt sie auf seinen Knien fest. »Hier sehen Sie den speziellen Distrikt, der uns angeht. Das in der Mitte ist Baskerville Hall.«

»Von einem Wald umgeben?«

»Ja. Ich nehme an, daß die Eibenallee, wenn auch nicht mit Namen eingetragen, sich an dieser Linie entlang zieht. Das Moor, wie Sie sehen, liegt rechts davon. Dieser kleine Haufen von Gebäuden ist der Weiler Grimpen, wo unser Freund Dr. Mortimer sein Hauptquartier hat. Im Umkreis von fünf Meilen gibt es, wie Sie sehen, nur wenige verstreute Häuser. Hier ist Lafter Hall, das Mortimer erwähnte. Dort ist ein Haus, in dem wohl der Naturforscher wohnen mag – Stapleton war sein Name, wenn ich mich recht erinnere. Hier sind zwei Moorbauernhäuser, High Tor und Foulmire. Vierzehn Meilen weiter liegt das große Zuchthaus von Dartmoor. Um diese vereinzelten Gebäude dehnt sich das trostlose, unbelebte Moor. Dies also ist die Bühne, auf der die Tragödie gespielt worden ist und mit unserer Hilfe vielleicht erneut gespielt wird.«

»Es muß eine wilde Gegend sein.«

»Ja, die Dekoration ist trefflich. Wenn der Teufel wirklich seine Finger in menschliche Belange stecken wollte ...«

»Sie sind also auch geneigt, an eine übernatürliche Erklärung zu glauben?«

»Die Werkzeuge des Teufels können auch aus Fleisch und Blut sein, nicht wahr? Zwei Fragen sind es, die uns an unserem Ausgangspunkt beschäftigen müssen. Die eine, ob überhaupt ein Verbrechen begangen worden ist; die andere, was das Verbrechen war und wie es ausgeführt wurde. Wenn Dr. Mortimers Vermutungen richtig sind und wir es mit Kräften außerhalb der üblichen Naturgesetze zu tun haben, enden natürlich unsere Nachforschungen da. Wir müssen aber alle anderen Hypothesen ausschöpfen, ehe wir auf diese zurückgreifen. Wenn es Ihnen nichts ausmacht, schließen wir das Fenster wieder. Es ist sonderbar, aber ich fühle, daß eine konzentrierte Atmosphäre die konzentrierte Gedankenarbeit fördert. Ich bin noch nicht soweit gekommen, mich in eine Schachtel zu setzen, um nachzudenken, aber dies wäre das logische Ergebnis meiner Überzeugungen. Haben Sie sich die Sache durch den Kopf gehen lassen?«

 

»Ja. Ich habe im Lauf des Tages viel über den Fall nachgedacht.«

»Was halten Sie davon?«

»Er ist sehr verwirrend.«

»Jedenfalls hat er einen eigentümlichen Charakter. Es sind auffallende Merkmale dabei. Die Änderung in den Fußspuren zum Beispiel. Was machen Sie daraus?«

»Mortimer sagt, der Mann sei dieses Stück der Allee auf Fußspitzen gegangen.«

»Er hat nur wiederholt, was irgendein Trottel bei der gerichtlichen Untersuchung gesagt hat. Warum sollte ein Mann die Allee auf Fußspitzen hinuntergehen?«

»Was also dann?«

»Er ist gerannt, Watson – er ist voller Verzweiflung um sein Leben gerannt, gerannt, bis sein Herz zersprungen ist und er tot auf das Gesicht fiel.«

»Wovor ist er denn fortgerannt?«

»Darin liegt unser Problem. Es gibt Anzeichen dafür, daß der Mann schon wahnsinnig vor Angst war, ehe er zu laufen begann.«

»Woraus schließen Sie das?«

»Ich nehme an, daß die Ursache seiner Angst über das Moor zu ihm kam. Wenn das so war, und es ist sehr wahrscheinlich, dann würde nur ein Mensch, der den Verstand verloren hat, vom Haus weg statt zu ihm hin laufen. Wenn die Aussage des Zigeuners ernst genommen werden kann, dann ist Sir Charles um Hilfe schreiend in die Richtung gelaufen, wo Hilfe am wenigsten zu erwarten war. Ferner – auf wen hat er in dieser Nacht gewartet, und warum hat er ihn in der Eibenallee und nicht eher in seinem Haus erwartet?«

»Sie glauben also, daß er jemanden erwartet hat?«

»Der Mann war eher alt und krank. Wir können verstehen, daß er abends einen Spaziergang machte, aber der Boden war feucht und die Nacht unwirtlich. Ist es natürlich, daß er fünf oder zehn Minuten lang stehengeblieben ist, wie Dr. Mortimer, mit mehr Verstand, als ich ihm zugetraut hätte, aus der Zigarrenasche schloß?«

»Er ging aber doch jeden Abend aus.«

»Ich halte es für unwahrscheinlich, daß er jeden Abend bei der Moorpforte gewartet hat. Im Gegenteil. Es scheint ja, daß er das Moor mied. An diesem Abend hat er aber dort gewartet. Es war der Abend, ehe er nach London reisen sollte. Die Sache beginnt Form anzunehmen, Watson. Ich sehe Zusammenhänge. Darf ich Sie bitten, mir meine Violine zu reichen? Wir werden alle Gedanken an diese Angelegenheit von uns schieben, bis wir den Vorzug genießen, Dr. Mortimer und Sir Henry Baskerville morgen früh zu sehen.«

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