Honoré de Balzac – Gesammelte Werke

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Un­ter­des­sen sah sich der Herr Ge­mahl in Hän­del ver­wi­ckelt, die ihn ver­hin­der­ten, sich um sei­ne Frau zu küm­mern. In dem Kon­ven­ti­kel der Hu­ge­not­ten war der Fürst von Con­dé mit al­len Häup­tern der Ver­schwö­rung er­schie­nen, und es wur­de be­schlos­sen, sich der Kö­ni­gin­mut­ter, des jun­gen Kö­nigs, der jun­gen Kö­ni­gin und al­ler Gui­sen mit Ge­walt zu be­mäch­ti­gen und eine neue Ord­nung des Staats zu grün­den.

Wie der Ad­vo­kat sah, daß die Sa­che so ernst wur­de, fiel ihm das Herz in die Hose. Er be­griff, daß es hier um den Kopf ging; kein Wun­der, daß er das Ge­wächs nicht spür­te, das ihm eben dar­auf wuchs.

Er lief also von den Hu­ge­not­ten hin­weg schnur­stracks zu dem Haupt der Gui­sen, dem Kar­di­nal von Loth­rin­gen, und über­brach­te ihm brüh­warm die hu­ge­not­ti­sche Abend­sup­pe. Der Kar­di­nal aber nahm ihn so­fort mit sich zu sei­nem Bru­der, dem Her­zog, wo die drei lan­ge ernst­li­che Be­ra­tun­gen pflo­gen, der­ge­stalt, daß es Mit­ter­nacht wur­de, bis der Ad­vo­kat, dem sie die wun­der­bars­ten Ver­spre­chun­gen mach­ten, das Schloß heim­lich ver­las­sen konn­te. Zu die­ser Stun­de ging es hoch her in der Her­ber­ge ›Zur Kö­nig­li­chen Son­ne‹. Das gan­ze Die­ner­volk des Edel­manns gab sich ein Fest zu Ehren der Hoch­zeit ih­res Herrn, und man kann sich den­ken, mit wel­chen Spä­ßen, Frech­hei­ten und Ge­läch­ter die­se aus­ge­las­se­ne, tol­le, be­rausch­te Spitz­bu­ben­ban­de den ar­men Ad­vo­ka­ten emp­fing, der schon jetzt den Bra­ten roch und zit­ternd und to­ten­bleich nach sei­nem Zim­mer stürz­te, wo er nie­mand fand als die arme Amme. Sie woll­te spre­chen, aber Ave­nel­les pack­te sie an der Keh­le und gab ihr zu ver­ste­hen, daß sie schwei­gen sol­le. Er hol­te aus sei­nem Kof­fer einen gu­ten Dolch her­vor, und in dem Au­gen­blick, wo er ihn aus der Schei­de zog, drang durch die Fall­tür her­un­ter ein frei­es, lus­ti­ges, ver­lieb­tes, himm­lisch-se­li­ges La­chen, be­glei­tet von Wor­ten, die nicht schwer zu ver­ste­hen wa­ren. Da sah der Ad­vo­kat, der schlau­er­wei­se sei­nen Leuch­ter aus­lösch­te, durch die Spal­ten der Fall­tü­re ein Licht und er­kann­te die Stim­me sei­ner Frau und die ih­res Rit­ters, wor­über ihm noch ein ganz an­de­res Licht auf­ging. Er er­griff den Arm sei­ner Magd, stieg mit ihr die Trep­pe hin­auf und such­te schlei­chen­den Schrit­tes die Türe zu dem Zim­mer der Lie­ben­den. Er brauch­te nicht lan­ge zu su­chen, und mit der Kraft des Verzwei­fel­ten drück­te er die Türe ein und stürz­te wü­tend nach dem Bet­te, wo er sei­ne halb­nack­te Frau in den Ar­men des Edel­man­nes über­rasch­te.

»Ah!« stieß sei­ne Frau aus.

Der Edel­mann war sei­nem Stoß aus­ge­wi­chen und such­te nun dem Ad­vo­ka­ten den Dolch aus der Hand zu win­den. Es ent­stand ein Kampf auf Le­ben und Tod. Da­bei be­kam der arme Ad­vo­kat nicht nur die ei­ser­nen Fäus­te sei­nes Geg­ners und Platz­hal­ters, son­dern auch die schö­nen Zäh­ne sei­ner lie­ben Frau zu spü­ren, die ihn nicht übel zu­rich­te­ten. In sei­ner Verzweif­lung kam ihm eine List. Er be­fahl der Magd in sei­nem Dia­lekt, das ver­lieb­te Paar mit den sei­de­nen Kor­deln von der Fall­tü­re zu um­wi­ckeln, er sel­ber warf den Dolch von sich und half der Amme ihr Werk vollen­den. Den also fest Ver­schnür­ten ver­stopf­te er den Mund mit den Bet­tü­chern, um sie am Schrei­en zu ver­hin­dern, und ohne ein Wort zu ver­lie­ren, griff er von neu­em nach sei­nem furcht­ba­ren Dolch.

In die­sem Au­gen­blick er­schi­en un­ter der Türe die Wa­che des Her­zogs von Gui­se, die Ave­nel­les such­te. In der Hit­ze des Kamp­fes hat­te nie­mand die Sol­da­ten kom­men hö­ren, die be­reits im Gast­hof al­les über den Hau­fen ge­wor­fen hat­ten. Durch das Ge­schrei ei­nes Pa­gen auf­merk­sam ge­macht, fan­den sie den Edel­mann ge­bun­den, ge­k­ne­belt und wie halb­tot am Bo­den. Sie war­fen sich im Nu zwi­schen den Ehe­mann und die Ver­lieb­ten, ent­waff­ne­ten den Ad­vo­ka­ten und er­klär­ten ihm, daß sie ge­kom­men sei­en, ihn zu ver­haf­ten und ihn mit sei­ner Frau und sei­ner Amme in das Ge­fäng­nis auf dem Schloß zu brin­gen.


Nun er­kann­ten die Of­fi­zie­re des Her­zogs von Gui­se auch den Freund ih­res Herrn, nach dem die Kö­ni­gin sich wie­der­holt er­kun­digt hat­te an die­sem Abend. Da­von mach­ten sie dem Edel­mann Mit­tei­lung und for­der­ten ihn auf, ih­nen zu fol­gen, weil er im Rat er­war­tet wer­de. Wäh­rend der Edel­mann sich aus sei­ner Ver­schnü­rung los­wi­ckel­te und nach sei­nen Klei­dern such­te, fand er Ge­le­gen­heit, dem Haupt­mann der Schar­wa­che ins Ohr zu flüs­tern, daß er ihm zu­lie­be und auf sei­ne Verant­wor­tung den Ehe­mann und sei­ne Frau in ge­trenn­tes Ge­wahr­sam brin­gen möge, wo­für er dem Man­ne sei­ne Gunst, Be­för­de­rung und nicht we­nig Gold ver­sprach, so daß die­ser kaum noch schwank­te, ihm zu ge­hor­chen. Um dem Of­fi­zier mehr Ver­trau­en ein­zu­flö­ßen, er­klär­te er ihm den Zu­sam­men­hang der gan­zen Sa­che und füg­te hin­zu, daß der Ad­vo­kat sei­ne her­zi­ge Frau un­fehl­bar tö­ten wür­de, wenn er sie je in sei­ne Ge­walt be­käme. Zu­letzt leg­te er dem Of­fi­zier nahe, die Frau in ei­nem der hei­ters­ten Ge­fäng­nis­räu­me un­ter den­je­ni­gen, die ebener­dig auf die Gär­ten hin­aus­gin­gen, zu ver­wah­ren, den Mann da­ge­gen im un­ters­ten und fins­ters­ten Loch an Ket­ten le­gen zu las­sen. Der Of­fi­zier ver­sprach, al­les nach dem Wun­sche des gnä­di­gen Herrn zu tun, und die­ser, der sei­ner Dame Ge­sell­schaft leis­te­te bis in den Hof des Schlos­ses, ver­si­cher­te ihr hun­dert­mal, daß sie als freie Wit­we aus dem schlim­men Han­del her­vor­ge­hen wer­de und daß er ent­schlos­sen sei, sie viel­leicht in recht­mä­ßi­ger Ehe zur Frau zu neh­men.

Wur­den also die Ge­fan­ge­nen un­ter­ge­bracht, ganz wie es der Ge­lieb­te der Frau an­ge­ord­net, der Mann in ei­nem luft­lo­sen Loch un­ter dem Bo­den, die Frau in ei­nem be­hag­li­chen Käm­mer­lein bei den Gär­ten; denn der ver­lieb­te Ita­lie­ner war kein and­rer als Herr Sci­pio Sar­di­ni, ein vor­neh­mer, sehr rei­cher Luc­ca­ner und, wie es be­reits ge­sagt wor­den, ei­ner der nächs­ten Freun­de der Kö­ni­gin Ca­théri­ne von Me­di­ci, die da­mals im Ein­ver­ständ­nis mit den Gui­sen das gan­ze Kon­zert di­ri­gier­te. In dem Gro­ßen Rat, der in die­sem Au­gen­blick heim­lich bei der Kö­ni­gin ab­ge­hal­ten wur­de, er­fuhr der Ita­lie­ner, um was es sich han­del­te und in wel­cher großen Ge­fahr der Hof schweb­te. Es war in der Tat kei­ne Mi­nu­te Zeit zu ver­lie­ren, und die Her­ren Räte wa­ren rat­los. Sar­di­ni muß­te ih­nen ein Licht auf­ste­cken. Er über­rasch­te sie alle mit dem Vor­schlag, die Ver­schwö­rung zu ih­rem ei­ge­nen Vor­teil zu wen­den, den jun­gen Kö­nig im Schloß von Am­boi­se un­ter­zu­brin­gen, dort die ver­damm­ten Ket­zer zu fan­gen wie den Fuchs in der Fal­le und sie alle nie­derzu­ma­chen. Also ge­sch­ah es. In der Tat weiß je­der­mann, wie ge­schickt die Kö­ni­gin­mut­ter und die Gui­sen die­ses Stück­lein voll lis­ti­ger Ver­stel­lung durch­ge­führt ha­ben, und wie der Aufruhr von Am­boi­se ver­lau­fen ist. Aber das ge­hört nicht zu die­ser Ge­schich­te.


Als dann ge­gen Mor­gen ein je­der das Zim­mer der Kö­ni­gin ver­ließ, wo die Nacht über mehr als ein fei­ner Fa­den ge­spon­nen wor­den, hat­te Si­gnor Sar­di­ni, trotz sei­ner Ver­liebt­heit in die schö­ne Li­meuil, eine Toch­ter der Kö­ni­gin­mut­ter und ihm durch das Haus La­tour-Tu­ren­ne ein we­nig ver­wandt, sei­ne Ad­vo­ka­tin nicht ver­ges­sen und frag­te, warum ei­gent­lich der rot­bär­ti­ge Is­cha­ri­ot in den Kä­fig ge­sperrt sei? Der Kar­di­nal von Loth­rin­gen ant­wor­te­te ihm, daß es nicht sei­ne Ab­sicht sei, dem Fe­der­fuch­ser auch nur ein Haar zu krüm­men: weil man aber sei­nen Wan­kel­mut kann­te und sich nicht auf sei­ne Ver­schwie­gen­heit ver­las­sen konn­te, habe man ihn einst­wei­len in Nu­me­ro Si­cher ge­bracht, von wo man ihn frei­ge­ben wer­de, so­bald man es an der Zeit hal­te.

»Frei­ge­ben?« rief der Luc­ca­ner. »Steckt ihn lie­ber in einen Sack und werft mir den Schwarz­rock in die Loi­re. Glaubt mir, ich ken­ne ihn, er ist kei­ner, der Euch sei­ne Ge­fan­gen­schaft ver­zei­hen wird. Er wird si­cher zu sei­nen Pre­di­gern zu­rück­keh­ren. Ei­nen Ket­zer zu tö­ten aber ist al­le­zeit ein gott­ge­fäl­li­ges Werk. Sein Tod ist üb­ri­gens das ein­zi­ge Mit­tel, Euer Ge­heim­nis zu si­chern, und sei­ne eig­nen An­hän­ger wer­den von Euch kei­ne Re­chen­schaft über ihn for­dern; denn er war ein Ver­rä­ter an ih­rer Sa­che. Wenn Ihr mich ge­wäh­ren las­sen wollt, ich wer­de sei­ne Frau ret­ten, das üb­ri­ge wird sich ge­ben, er soll Euch nicht mehr in den Weg lau­fen.«

Der Kar­di­nal lach­te.

»Euer Rat ist gut«, sag­te er; »und da­mit Ihr seht, daß ich ihn zu nut­zen weiß, will ich so­gleich Be­fehl ge­ben, die Ge­fan­ge­nen noch en­ger ein­zu­schlie­ßen. – Hol­la!«


Er­schi­en der Ge­fäng­nis­meis­ter, und der Kar­di­nal be­fahl ihm, je­der­mann von den bei­den Ge­fan­ge­nen fern­zu­hal­ten, wer es auch sein möge; dann bat er Sar­di­ni, in sei­ner Her­ber­ge zu ver­brei­ten, daß der Ad­vo­kat von Blois ab­ge­reist und zu sei­nen Pro­zes­sen nach Pa­ris zu­rück­ge­kehrt sei.

Den Of­fi­zie­ren, die den Ad­vo­ka­ten ver­haf­tet hat­ten, war auf­ge­tra­gen wor­den, ihn als einen Ge­fan­ge­nen von Rang und Wich­tig­keit zu be­han­deln und ihn also von den Schar­wäch­tern we­der be­rüh­ren noch be­rau­ben zu las­sen. So kam es, daß Ave­nel­les noch drei­ßig Gold­gul­den in sei­ner Bör­se bei sich trug. Er woll­te sie auf­wen­den zum Zweck sei­ner Ra­che, da er mit Recht vor­aus­setz­te, daß sie den Wäch­tern ein hin­läng­li­ches Ar­gu­ment wä­ren und sie über­zeu­gen müß­ten, wie sehr es sein gu­tes Recht sei, sei­ne Frau zu se­hen, nach der ihn ver­lang­te, und sich mit die­ser Frau in nä­he­ren Rap­port zu set­zen, die doch sei­ne le­gi­ti­me Gat­tin war und nicht die ei­nes an­dern.

 

Si­gnor Sar­di­ni trau­te dem Han­del auch gar nicht, fürch­te­te von der Nach­bar­schaft des rot­haa­ri­gen Fe­der­fuch­sers die größ­te Ge­fahr für sei­ne Ge­lieb­te und be­schloß bei sich, sie noch in der Nacht zu ent­füh­ren und an einen si­chern Ort zu brin­gen. Er mie­te­te also einen Kahn samt den Ru­de­rern und pos­tier­te sie in einen Hin­ter­halt bei der Brücke; drei sei­ner ge­schick­tes­ten Die­ner be­trau­te er mit dem Auf­trag, die Ei­sen­stan­gen der Ge­fäng­nis­kam­mer zu durch­fei­len, wo er die Ad­vo­ka­tin ge­fan­gen wuß­te, sich dann der Dame zu be­mäch­ti­gen und sie nach der Gar­ten­mau­er zu brin­gen, wo sie ihn fin­den wür­den.

Nach­dem gute Fei­len ge­kauft und alle Vor­be­rei­tun­gen ge­trof­fen wa­ren, bat der Ita­lie­ner um eine Au­di­enz bei der Kö­ni­gin­mut­ter, de­ren Ge­mä­cher über den Grä­ben la­gen, all­wo der Ad­vo­kat und sei­ne Frau in Ge­fan­gen­schaft schmach­te­ten. Sar­di­ni brauch­te die Ein­wil­li­gung der Kö­ni­gin zu die­ser Flucht, wenn nicht der gan­ze An­schlag im letz­ten Au­gen­blick zu­nich­te wer­den soll­te. Er wur­de auch von ihr emp­fan­gen und bat sie, ihm die Gunst zu ge­wäh­ren, sei­ne schö­ne Ge­fan­ge­ne ohne Vor­wis­sen des Kar­di­nals und des Her­zogs von Gui­se be­frei­en zu dür­fen. Dann setz­te er ihr eben­falls die Grün­de aus­ein­an­der, die es nö­tig mach­ten, daß der Kar­di­nal den Ad­vo­ka­ten ins Was­ser wer­fen las­se, und die Kö­ni­gin sag­te zu al­lem ja und amen. In ei­nem Gur­ken­sa­lat schick­te er dar­auf der Dame sei­nes Her­zens ein Zet­tel­chen, das der schö­nen Ad­vo­ka­tin ihre be­vor­ste­hen­de Wit­wen­schaft und die Stun­de ih­rer Be­frei­ung aus dem Ker­ker an­kün­dig­te, des­sen die Bür­ge­rin wohl zu­frie­den war. Durch einen ge­hei­men Be­fehl der Kö­ni­gin wur­den bei ein­bre­chen­der Nacht die Wach­sol­da­ten von den Grä­ben ent­fernt, um ein we­nig nach dem Mond­schein aus­zu­se­hen, den man den­noch bei der Sa­che nicht be­nö­tig­te, dann das Git­ter im Handum­dre­hen von den ge­schick­ten Ita­li­e­nern ab­ge­ho­ben, die Dame mit ei­nem ›Pst‹ her­bei­ge­ru­fen und nach der Gar­ten­pfor­te dem har­ren­den Ge­lieb­ten in die Arme ge­führt.


Das Pfört­chen aber war kaum hin­ter den bei­den ge­schlos­sen, als die Dame ih­ren Man­tel ab­wirft und sich in einen Ad­vo­ka­ten ver­wan­delt, einen Ad­vo­ka­ten, der den Frau­en­räu­ber an der Gur­gel packt und würgt und ge­gen das Was­ser stößt, um ihn in der Loi­re zu er­säu­fen. Und Sar­di­ni war ge­nö­tigt, sich zu ver­tei­di­gen, zu kämp­fen, zu ru­fen, aber al­les, ohne sich trotz sei­nes Dolchs los­ma­chen zu kön­nen von die­sem Teu­fel im schwar­zen Talar.

Plötz­lich aber wur­de es still. Sar­di­ni war in ein tie­fes Loch von Sumpf und Mo­rast ge­stürzt. Er sah noch einen Au­gen­blick im Licht des Mon­des das Ge­sicht des Ad­vo­ka­ten über sich, ganz be­su­delt mit dem Blu­te sei­ner Frau; dann er­griff sein An­grei­fer, der ihn für tot hielt, die Flucht, denn schon nä­her­ten sich die Leu­te des Ita­li­e­ners mit Waf­fen und Fa­ckeln. Auf dem von Sar­di­ni be­reit­ge­hal­te­nen Kahn ent­kam der Ad­vo­kat.

So ge­sch­ah es, daß al­lein die schö­ne Ad­vo­ka­tin das Le­ben las­sen muß­te. Den Si­gnor Sar­di­ni hat­te sein Würgen­gel nur halb er­würgt, er wur­de von sei­nen Leu­ten aus dem Mo­rast ge­zo­gen und er­hol­te sich nach und nach von den Miß­hand­lun­gen des Ad­vo­ka­ten. Spä­ter hei­ra­te­te er, wie je­der­mann weiß, die schö­ne Li­meuil, nach­dem sie im Zim­mer der Kö­ni­gin heim­lich mit ei­nem Kind­lein nie­der­ge­kom­men war, wel­chen Un­fall die Kö­ni­gin­mut­ter um je­den Preis zu ver­heim­li­chen und den Sar­di­ni aus großer Lie­be durch Hei­rat gutz­u­ma­chen such­te. Zum Dank er­hielt er von der Kö­ni­gin Ca­théri­ne die Herr­schaft Chau­mont-sur-Loi­re mit­samt dem Schlos­se. Aber er war doch von sei­nem Ad­vo­ka­ten so ge­krallt, ge­würgt, ge­k­nufft und mit Fü­ßen ge­tre­ten wor­den, daß er die schö­ne Li­meuil noch im Früh­ling ih­res Le­bens zur Wit­we mach­te. Der Ad­vo­kat wur­de nicht ver­folgt. Er brach­te es im Ge­gen­teil da­hin, daß er im letz­ten Frie­den­se­dikt un­ter den­je­ni­gen ver­zeich­net stand, de­nen al­les ver­ge­ben und ver­ges­sen sein soll­te. Er er­griff von neu­em die Sa­che der Hu­ge­not­ten, de­nen er spä­ter in Deutsch­land große Diens­te er­wies.

Die arme Ad­vo­ka­tin! Be­tet für ihre See­le; ihr schö­ner Kör­per wur­de wer weiß wo­hin ge­wor­fen, ohne Ge­bet und ohne christ­li­ches Be­gräb­nis. Denkt an sie, schö­ne Da­men, wenn euch Gott Amor güns­tig ist.


Die Predigt des lustigen Pfarrers von Meudon

Als Meis­ter François Ra­be­lais zum letz­ten­mal an den Hof Kö­nig Hein­richs kam, des Zwei­ten sei­nes Na­mens, war er be­reits dar­auf ge­faßt, dem Ge­setz der Na­tur zu fol­gen und sein schlam­pig ge­wor­de­nes Wams, will sa­gen sein Fleisch, von sich zu le­gen (wie es auch noch in dem­sel­ben Win­ter ge­sch­ah), um al­lein in dem pracht- und macht­vol­len Geist, in dem herr­li­chen Geist je­ner ex­zel­len­ten mensch­li­chen Phi­lo­so­phie, auf die wir im­mer wie­der zu­rück­kom­men, durch alle Ewig­keit wei­ter­zu­le­ben. Der gute Mann hat­te da­mals sieb­zig wohl­ge­zähl­te Früh­lin­ge hin­ter sich, sein har­mo­ni­sches Haupt war längst kahl ge­wor­den, aber war um­rahmt von ei­nem wahr­haft pa­tri­ar­cha­li­schen Bart, sei­ne Stir­ne strahl­te vom Glanz des Ge­dan­kens, und das stum­me Lä­cheln sei­nes Mun­des sprach von ei­nem ewig jun­gen Her­zen. Kurz, er war ein schö­ner Greis, wie es alle die be­zeu­gen, die das Glück ge­habt ha­ben, ihm noch ins Ant­litz zu schau­en, in dem die Züge des So­kra­tes und des Ari­sto­pha­nes, zwei­er Geis­ter, die sich im Le­ben ge­haßt, aber hier Freun­de ge­wor­den wa­ren, in eins zu­sam­men­flos­sen.


Da nun also in dem ge­nann­ten Win­ter dem gu­ten Mann die Ah­nung kam, daß über kurz oder lang sein letz­tes Stünd­lein schla­gen wer­de, be­schloß er bei sich, dem Kö­nig von Frank­reich noch vor­her sei­ne Auf­war­tung zu ma­chen, als wel­cher in sein Schloß Tour­nel­les ge­kom­men war, in­fol­ge­des­sen Meis­ter François, der in ei­nem Hau­se bei den Gär­ten von Sankt Paul wohn­te, sich den Hof fast auf Stein­wurf­wei­te nahe ge­rückt sah.


Be­fan­den sich aber, als er an­kam, in den Ge­mä­chern der Kö­ni­gin Ca­théri­ne: Frau Dia­na, die von der Kö­ni­gin aus Grün­den der ho­hen Po­li­tik emp­fan­gen wur­de, der Kö­nig, der Herr Feld­zeug­meis­ter, der Kar­di­nal von Loth­rin­gen und der Kar­di­nal Du­bel­lay, die Her­ren von Gui­se und meh­re­re Ita­lie­ner, die be­reits an­fin­gen, sich un­ter den Fit­ti­chen der Kö­ni­gin in großer Zahl am Hof ein­zu­schmug­geln. Wa­ren auch ge­gen­wär­tig der Ad­mi­ral, der Her­zog Mont­go­me­ry, die Her­ren vom Dienst und ei­ni­ge Hof­poe­ten, wie Me­lin de Saint-Ge­lais, Phi­li­bert de l’Or­me und Meis­ter Brantô­me.

Als der Kö­nig den Meis­ter François be­merk­te, den er wie vie­le für nichts wei­ter als einen aus­ge­las­se­nen Spaß­vo­gel ach­te­te, rich­te­te er so­fort das Wort an ihn, und nach ei­ni­gem Hin­und­her­re­den sag­te er:

»Hast du denn dei­nen Pfarr­kin­dern von Meu­don auch ein­mal eine Pre­digt ge­hal­ten?«

Meis­ter François nahm dies für einen Scherz, denn er hat­te sich in sei­nem Le­ben um sei­ne Pfar­rei nicht wei­ter ge­küm­mert, als daß er de­ren Ein­künf­te er­ho­ben.

»Herr Kö­nig«, ant­wor­te­te er, »mei­ne Pfarr­kin­der woh­nen al­ler­or­ten, und mei­ne Pre­dig­ten hört man, so­weit die Chris­ten­heit reicht.«

Mit ei­nem ru­hi­gen Blick streif­te der Meis­ter die­se Höf­lin­ge, die, aus­ge­nom­men die Her­ren Du­bel­lay und von Ca­stil­lon, nichts andres in ihm sa­hen als so eine Art ge­lehr­ten Tri­bou­let, da er doch der Kö­nig der Geis­ter war, in ei­nem hö­hern Sinn Kö­nig als der­je­ni­ge, vor des­sen gna­den­spen­den­der Kro­ne sie alle sich beug­ten. Und den Gu­ten, der sich be­reits mit ei­nem Fuß im Gra­be fühl­te, wan­del­te plötz­lich die bos­haf­te Lust an, dem Ge­schmeiß ein­mal ge­hö­rig die Köp­fe zu wa­schen und ih­nen, fi­gür­lich ver­steht sich, auf die hoh­len Schä­del her­un­ter­zu­pis­sen wie Gar­gan­tua auf die der gu­ten Pa­ri­ser von den Tür­men von Notre-Dame.

»Wenn Eure Ma­je­stät gu­ter Lau­ne ist«, sag­te er, »könn­te ich Höchst­der­sel­ben wohl mit ei­ner klei­nen Pre­digt die­nen, die ich mir längst zu ge­le­gent­li­chem Ge­brauch hin­ters Ohr ge­schrie­ben habe und wo­bei es nichts zu be­deu­ten ha­ben soll, daß mein Ser­mon auf eine mehr red­li­che als ho­frät­li­che Pa­ra­bel hin­aus­läuft.«


»Mei­ne Her­ren«, ant­wor­te­te drauf der Kö­nig, »Meis­ter François hat das Wort. Und da es sich um un­ser See­len­heil han­delt, so hal­tet euch ru­hig und spitzt mir die Ohren. Der gute Meis­ter steckt voll von spa­ßi­gen Evan­ge­li­en.«

»Ma­je­stät«, er­wi­der­te Meis­ter Ra­be­lais, »ich fan­ge an.«

Das Ge­plau­der der Höf­lin­ge ver­stumm­te, sie tra­ten in ei­nem ge­schmei­di­gen Halb­kreis um den Pfarr­herrn in par­ti­bus, den Va­ter des Pan­ta­gruel, der ih­nen in Wor­ten, de­ren Poe­sie und Be­red­sam­keit kein Mensch auf Er­den zu wie­der­ho­len ver­möch­te, die fol­gen­de His­to­rie zum bes­ten gab. Sie ist uns nur münd­lich über­lie­fert wor­den, und so möge es dem Au­tor ver­stat­tet sein, sie hier in sei­ner Wei­se nach­zu­er­zäh­len.

»In sei­nen al­ten Ta­gen war Gar­gan­tua ein we­nig selt­sam ge­wor­den, wor­über die Leu­te sei­nes Hau­ses sich sehr ver­wun­der­ten, ohne es ihm aber übel­zu­neh­men, denn er war rund sie­ben­hun­dert­und­vier­zig Jah­re alt, wenn auch der hei­li­ge Kle­mens von Alex­an­dri­en in sei­nen ›Stro­ma­tes‹ zu be­wei­sen sucht, daß er zu die­ser Zeit einen Vier­tel­tag jün­ger war, was uns aber we­nig küm­mert. Wie nun der vä­ter­li­che Herr so sah, daß man ein we­nig all­zu­sehr in Saus und Braus leb­te in sei­nem Hau­se und sei­ne Gäs­te sich nicht nur satt aßen, son­dern auch noch oben­drein die Ta­schen füll­ten, be­kam er es mit der Angst, es könn­te ihm zu­letzt am Nö­tigs­ten feh­len. Und er be­schloß, eine voll­komm­ne­re Ver­wal­tung sei­ner Do­mä­nen ein­zu­rich­ten. Das war wei­se und ver­nünf­tig ge­dacht. Er ließ also auf ei­nem Spei­cher des gar­gan­tua­li­schen Schlos­ses sei­ne bes­ten Vor­rä­te zu­sam­men­tra­gen, einen großen Hau­fen ro­ter hol­län­di­scher Käse, zwan­zig ge­wal­ti­ge Töp­fe ein­ge­mach­ter Mu­star­de, gan­ze Kü­bel voll Zwetsch­gen­mus, Lat­wer­gen und Tou­rai­ner Pflau­men, große Fäs­ser ein­ge­sal­ze­ner But­ter, gan­ze Kis­ten voll Ha­sen­pas­te­ten, in Fett ge­leg­te En­ten, im Schmalz ver­gra­be­ne Schweins­fü­ße und Gän­se­keu­len, drei­hun­dert­und­sie­ben­und­neun­zig­tau­send Büch­sen voll grü­ner Erb­sen und Boh­nen, sie­ben­hun­dert­und­drei­und­fünf­zig­tau­send Glä­ser des feins­ten Or­lea­ner Quit­ten­ge­lees, vie­le Fäs­ser ge­trock­ne­ter Lam­pre­ten, ma­ri­nier­ter He­rin­ge, ge­räu­cher­ter Aale und ein­gepö­kel­ter See­zun­gen, gan­ze Ku­fen ein­ge­trock­ne­ter Wein­trau­ben, end­lich Ein­ge­zu­cker­tes für die Gar­ga­mel­la an den Fei­er­ta­gen und tau­send and­re gute Sa­chen, die ins ein­zel­ne auf­ge­zählt sind in den ri­pua­ri­schen Ge­set­zen und auf ge­wis­sen Sei­ten der kö­nig­li­chen Ka­pi­tu­la­ri­en, Edik­te, Prag­ma­ti­ken, Or­don­nan­zen und In­sti­tu­tio­nen je­ner Zeit.

Klemm­te dann der Ge­vat­ter sein Bi­no­kel auf die Nase und sei­ne Nase in das Bi­no­kel und ging aus, einen flie­gen­den Dra­chen oder ein Ein­horn zu su­chen, die ihm sei­ne kost­ba­ren Schät­ze be­wa­chen könn­ten. Also su­chend und in Sor­gen durch­wan­der­te er sei­ne Gär­ten. Er woll­te kei­nen ge­schopf­ten Kra­nich, mit dem schon die Ägyp­tia­ner, wie aus den Hie­ro­gly­phen her­vor­geht, schlech­te Er­fah­run­gen ge­macht ha­ben. Mit ei­ner Hand­be­we­gung scheuch­te er die Ko­hor­ten der Ko­bol­de und Al­rau­nen hin­weg, weil er wuß­te, daß die­se schon den Kai­sern und auch den al­ten Rö­mern zu­wi­der wa­ren, wie ein ge­wis­ser Für­witz na­mens Ta­ci­tus über­lie­fert hat. Auch das Ge­schlecht der Pi­kro­kol­ler ver­warf er. Eben­so die Le­gio­nen der Dru­den, Wich­tel­män­ner, Nacht­mah­re, Zwerg­ge­schlech­ter der Erd­höh­len und ähn­li­ches Ge­sin­del, die wie Hunds­zahn wu­cher­ten und al­les Ge­gründ und Ge­schlucht er­füll­ten mit ih­rem Ge­wim­mel und Ge­wu­sel, also wie es in der Rei­se­be­schrei­bung des Soh­nes Pan­ta­gruel zu le­sen war. Er ging im Geist alle His­to­ri­en, Ge­nea­lo­gi­en und Ge­schlechts­re­gis­ter sei­nes Reichs durch, aber zu kei­ner ein­zi­gen gal­li­schen Ras­se konn­te er ein Ver­trau­en fas­sen. Er hät­te sich am liebs­ten eine neue ge­schaf­fen, un­be­kannt selbst dem Schöp­fer al­ler Din­ge. Je län­ger er er­wog, um so un­mög­li­cher schi­en es ihm, eine Wahl zu tref­fen, und er fürch­te­te schon, sei­ne kost­ba­ren Schät­ze und Reich­tü­mer dem Ver­der­ben preis­ge­ben zu müs­sen. In die­ser sor­gen­vol­len Lage be­geg­ne­te er ei­nem klei­nen hüb­schen Spitz­mäu­se­rich aus dem al­ten und ed­len Ge­schlecht der Spitz­mäu­se­ri­che, die als Wap­pen einen ro­ten Bal­ken im blau­en Schil­de füh­ren. Und was für ein Pracht­kerl das war! Er trug den schöns­ten Schwanz sei­ner Fa­mi­lie und spreiz­te und spie­gel­te sich in der Son­ne als ein ech­ter ed­ler Spitz­mäu­se­rich von Got­tes Gna­den. Man sah es ihm an, wie er stolz dar­auf war, sei­ne Ah­nen­rei­he bis auf die Sint­flut zu­rück­ver­fol­gen zu kön­nen in un­un­ter­bro­che­nen Ge­schlechts­re­gis­tern, von Fall zu Fall, ge­stützt auf Brief und Sie­gel und Par­la­ments­ak­ten, wie denn ein Pro­to­koll aus­drück­lich und un­wi­der­leg­lich be­zeug­te, daß be­reits ein Spitz­mäu­se­rich mit dem Pa­tri­ar­chen Noah in die Ar­che ge­gan­gen ist …«

 

Hier lüpf­te Meis­ter Algo­fri­pas ein we­nig sei­ne Müt­ze, und in sal­bungs­vol­lem Pre­di­ger­ton fuhr er fort:

»Noah, mei­ne Her­ren, ge­meint ist je­ner Noah, der die Rebe ge­pflanzt hat und zu­erst das Glück hat­te, sich im Wein zu be­rau­schen. Denn es steht fest und si­cher, daß ein Spitz­mäu­se­rich auf dem Schif­fe war, aus dem wir alle her­vor­ge­gan­gen sind. Aber die Men­schen ha­ben sich un­ter­ein­an­der ver­mischt und ihre Ras­se ver­un­rei­nigt. Nicht so die Spitz­mäu­se­ri­che. Sie sind stol­zer auf ihr Wap­pen als alle an­dern Tie­re, sie wür­den nie­mals einen Hams­ter in ihre Fa­mi­lie auf­neh­men, und wenn er auch alle Reich­tü­mer der Welt in sei­nem Bau zu­sam­men­ge­tra­gen hät­te. Die­ser echt edel­män­ni­sche Geist ge­fiel dem gu­ten Gar­gan­tua. Und kur­zer­hand über­trug er dem Spitz­mäu­se­rich die Statt­hal­ter­schaft auf sei­nen Spei­chern mit den aus­ge­dehn­tes­ten Rech­ten, Pri­vi­le­gi­en und Macht­voll­kom­men­hei­ten, ho­her und nie­de­rer Ge­richts­bar­keit, Com­mit­ti­mus, Mis­si Do­mi­ni­ci, mit Ge­walt über den Kle­rus und dem Ober­be­fehl im Hee­re, kurz, mit al­lem, was sich nur den­ken läßt. Der Spitz­mäu­se­rich ver­sprach, sein Amt ge­treu zu ver­wal­ten und sei­ne Pf­licht zu tun, wie man von ei­nem feu­da­len Spitz­mäu­se­rich er­war­ten kann; er stell­te nur die eine Be­din­gung, auf dem Korn­hau­fen woh­nen zu dür­fen, was der gute Gar­gan­tua ge­recht und bil­lig fand.


Und also hät­tet ihr den Spitz­mäu­se­rich se­hen müs­sen in sei­nem neu­en Palast: wie er Sprün­ge mach­te, wie er glück­lich war, glück­lich wie ein Fürst, der glück­lich ist; wie er stolz sei­ne Län­der und Rei­che in­spi­zier­te, sei­ne Schin­ken­pro­vin­zen, sei­ne Lat­wer­gen­graf­schaf­ten, sei­ne Do­mä­nen von Mu­star­den, sei­ne Trau­ben­her­zog­tü­mer, sei­ne Blut­wurst­fürs­ten­tü­mer, sei­ne Baro­na­te je­der Art; wie er auf Ber­gen von Wei­zen thron­te und mit sei­nem Schwanz die Kör­ner peitsch­te. Wo der Spitz­mäu­se­rich er­schi­en, stan­den ehr­furchts­voll und be­grüß­ten ihn stumm alle Töp­fe. Und wo zwei gol­de­ne Be­cher bei­ein­an­der­stan­den oder auch ein sil­ber­ner Hum­pen bei ei­nem gol­de­nen Be­cher, stie­ßen sie an­ein­an­der und mach­ten ein Ge­läu­te wie mit Kir­chen­glo­cken, wenn der Fürst ein­zieht, des­sen der Spitz­mäu­se­rich sehr zu­frie­den war und sich freund­lich be­dank­te mit ei­nem lei­sen Ni­cken des Kop­fes nach rechts und nach links.

Auf sei­nem Korn­hau­fen setz­te er sich gern in einen Strei­fen Son­ne, der durch die Dach­lu­ke fiel. Da leuch­te­te dann sein sei­den­wei­ches glat­tes Fell­chen in ei­nem bläu­li­chen Schim­mer, und er sah ganz und gar aus wie ein nor­di­scher Kö­nig in sei­nem Zo­bel­pelz. Oft auch ver­gnüg­te er sich mit Sprin­gen und Tan­zen, mit Ka­prio­len und Pur­zel­bäu­men, dann be­kam er gu­ten Ap­pe­tit, ließ sich ein, zwei Wei­zen­kör­ner schme­cken, die er mit Be­ha­gen knus­per­te, und saß dann wie­der zu­oberst auf dem Hau­fen wie ein Kö­nig auf dem Thron vor dem ver­sam­mel­ten Hofe und mit dem Be­wußt­sein, der tap­fers­te und treues­te Spitz­mäu­se­rich der Welt zu sein.

Er­schie­nen da an ih­ren ge­wohn­ten Schlupflö­chern und sons­ti­gen Vor­pos­ten un­heim­li­che nacht­wand­le­ri­sche Völ­ker, licht­scheu­es Ge­sin­del, das auf vier Pfo­ten läuft, an Wän­den und Bal­ken klet­tert, in ver­steck­ten Höh­len haust, kurz, das zahl­rei­che Ge­schlecht der Mäu­se, Rat­zen, Hams­ter und and­rer Na­ger, die al­les be­knup­pern und be­schnup­pern, be­bei­ßen und be­schei­ßen und der Schreck und die Land­pla­ge al­ler gu­ten Haus­frau­en sind. Als sie den Spitz­mäu­se­rich er­blick­ten, schreck­ten sie zu­rück und drück­ten sich hin­ter die Schwel­le ih­rer Woh­nun­gen, nur ängst­lich hin­blin­zelnd nach dem neu­en un­er­war­te­ten Feind. Ein al­ter grau­er Maus­ling aber aus dem wis­pern­den, knus­pern­den Ge­schlecht der Mau­se­lin­ge, ein fre­cher und re­spekt­wid­ri­ger Ge­sel­le, streck­te trotz al­ler Ge­fahr sei­nen Kopf ein we­nig aus dem Fens­ter und be­sah sich fast furcht­los den Spitz­mäu­se­rich, der auf der Höhe des Wei­zen­bergs mit auf­ge­rich­te­tem Schwanz auf sei­nem Hin­tern saß, kam aber bald zu der Über­zeu­gung, daß das der Teu­fel sei, vor des­sen Kral­len man sich in acht neh­men müs­se; denn der gute Gar­gan­tua hat­te sei­nem Statt­hal­ter, da­mit er den an­dern Spitz­mäu­sen und Mäu­sen, Rat­ten und Rat­zen, den Hams­tern, Wie­seln, Il­tis­sen und Kat­zen, kurz, dem gan­zen nächt­li­chen Raub- und Diebs­ge­sin­del um so mehr Re­spekt ein­flö­ße, hat­te dem Statt­hal­ter, sage ich, ein we­nig Mus­kat­öl um die spit­zi­ge Schnau­ze ge­schmiert, des­sen Ge­ruch seit­dem alle Spitz­mäu­se ge­erbt ha­ben, da der Statt­hal­ter trotz dem wei­sen Rat Gar­gan­tuas die Mit­glie­der sei­ner Sip­pe nicht im­mer in ge­hö­ri­gem Ab­stand ge­hal­ten hat, in­fol­ge­des­sen die be­rühm­ten und lang­wie­ri­gen Spitz­mäu­se­krie­ge ent­stan­den sind, die ich euch in ei­nem erns­ten welt­ge­schicht­li­chen Wer­ke er­zäh­len wür­de, wenn ich die Zeit dazu hät­te.

An die­sem Mus­kat­ge­ruch er­kann­te der graue Maus­ling oder Rat­te­rich – denn die Ge­lehr­ten des Tal­mud sind über die bei­den na­tur­ge­schicht­li­chen Spe­zi­es nicht im kla­ren und ver­wech­seln oft die eine mit der an­dern –, er­kann­te der Maus­ling, daß dem Spitz­mäu­se­rich da oben Amt und Voll­macht ge­wor­den, über das Ge­trei­de des Gar­gan­tua zu wa­chen, durch wel­che In­ve­sti­tur er qua­si ein andres We­sen ge­wor­den, ein Tier, das nur noch Pf­licht war, nur noch Spi­on, Auf­pas­ser und Leu­te­schin­der, kurz, ein Amts­mensch vom Kopf bis zu den Fü­ßen, ganz in Waf­fen, ganz nur Dro­hung und Ge­fahr, der alle mau­si­gen Schwä­chen, Sit­ten und Ge­wohn­hei­ten weit von sich ge­tan, alle Lieb­ha­be­rei­en sei­ner Sipp­schaft wie Speck­le­cken, Krüm­chen­knup­pern, Kä­se­be­schnup­pern, Rin­den­be­na­gen und andres als pö­bel­haf­ten Ge­schmack ver­ach­te­te und nichts mehr da­von hö­ren woll­te, son­dern der­glei­chen tat, als ob er nie eine Kä­serin­de ge­knap­pert, nie sein Züng­lein an ei­ner Speck­schwar­te ge­wetzt hät­te.

Den­noch be­schloß der Maus­ling, ein Kerl, ge­rie­ben wie ein al­ter Höf­ling, der zwei Re­gent­schaf­ten und drei Kö­ni­ge über­dau­ert hat, dem gu­ten Spitz­mäu­se­rich ein we­nig auf den Zahn zu füh­len und, wenn es mög­lich wäre, die Wür­mer aus der Nase zu zie­hen zum Heil und Se­gen al­ler ra­ta­mor­phen Kinn­ba­cken auf zehn Mei­len im Um­kreis.

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