Unterdessen sah sich der Herr Gemahl in Händel verwickelt, die ihn verhinderten, sich um seine Frau zu kümmern. In dem Konventikel der Hugenotten war der Fürst von Condé mit allen Häuptern der Verschwörung erschienen, und es wurde beschlossen, sich der Königinmutter, des jungen Königs, der jungen Königin und aller Guisen mit Gewalt zu bemächtigen und eine neue Ordnung des Staats zu gründen.
Wie der Advokat sah, daß die Sache so ernst wurde, fiel ihm das Herz in die Hose. Er begriff, daß es hier um den Kopf ging; kein Wunder, daß er das Gewächs nicht spürte, das ihm eben darauf wuchs.
Er lief also von den Hugenotten hinweg schnurstracks zu dem Haupt der Guisen, dem Kardinal von Lothringen, und überbrachte ihm brühwarm die hugenottische Abendsuppe. Der Kardinal aber nahm ihn sofort mit sich zu seinem Bruder, dem Herzog, wo die drei lange ernstliche Beratungen pflogen, dergestalt, daß es Mitternacht wurde, bis der Advokat, dem sie die wunderbarsten Versprechungen machten, das Schloß heimlich verlassen konnte. Zu dieser Stunde ging es hoch her in der Herberge ›Zur Königlichen Sonne‹. Das ganze Dienervolk des Edelmanns gab sich ein Fest zu Ehren der Hochzeit ihres Herrn, und man kann sich denken, mit welchen Späßen, Frechheiten und Gelächter diese ausgelassene, tolle, berauschte Spitzbubenbande den armen Advokaten empfing, der schon jetzt den Braten roch und zitternd und totenbleich nach seinem Zimmer stürzte, wo er niemand fand als die arme Amme. Sie wollte sprechen, aber Avenelles packte sie an der Kehle und gab ihr zu verstehen, daß sie schweigen solle. Er holte aus seinem Koffer einen guten Dolch hervor, und in dem Augenblick, wo er ihn aus der Scheide zog, drang durch die Falltür herunter ein freies, lustiges, verliebtes, himmlisch-seliges Lachen, begleitet von Worten, die nicht schwer zu verstehen waren. Da sah der Advokat, der schlauerweise seinen Leuchter auslöschte, durch die Spalten der Falltüre ein Licht und erkannte die Stimme seiner Frau und die ihres Ritters, worüber ihm noch ein ganz anderes Licht aufging. Er ergriff den Arm seiner Magd, stieg mit ihr die Treppe hinauf und suchte schleichenden Schrittes die Türe zu dem Zimmer der Liebenden. Er brauchte nicht lange zu suchen, und mit der Kraft des Verzweifelten drückte er die Türe ein und stürzte wütend nach dem Bette, wo er seine halbnackte Frau in den Armen des Edelmannes überraschte.
»Ah!« stieß seine Frau aus.
Der Edelmann war seinem Stoß ausgewichen und suchte nun dem Advokaten den Dolch aus der Hand zu winden. Es entstand ein Kampf auf Leben und Tod. Dabei bekam der arme Advokat nicht nur die eisernen Fäuste seines Gegners und Platzhalters, sondern auch die schönen Zähne seiner lieben Frau zu spüren, die ihn nicht übel zurichteten. In seiner Verzweiflung kam ihm eine List. Er befahl der Magd in seinem Dialekt, das verliebte Paar mit den seidenen Kordeln von der Falltüre zu umwickeln, er selber warf den Dolch von sich und half der Amme ihr Werk vollenden. Den also fest Verschnürten verstopfte er den Mund mit den Bettüchern, um sie am Schreien zu verhindern, und ohne ein Wort zu verlieren, griff er von neuem nach seinem furchtbaren Dolch.
In diesem Augenblick erschien unter der Türe die Wache des Herzogs von Guise, die Avenelles suchte. In der Hitze des Kampfes hatte niemand die Soldaten kommen hören, die bereits im Gasthof alles über den Haufen geworfen hatten. Durch das Geschrei eines Pagen aufmerksam gemacht, fanden sie den Edelmann gebunden, geknebelt und wie halbtot am Boden. Sie warfen sich im Nu zwischen den Ehemann und die Verliebten, entwaffneten den Advokaten und erklärten ihm, daß sie gekommen seien, ihn zu verhaften und ihn mit seiner Frau und seiner Amme in das Gefängnis auf dem Schloß zu bringen.
Nun erkannten die Offiziere des Herzogs von Guise auch den Freund ihres Herrn, nach dem die Königin sich wiederholt erkundigt hatte an diesem Abend. Davon machten sie dem Edelmann Mitteilung und forderten ihn auf, ihnen zu folgen, weil er im Rat erwartet werde. Während der Edelmann sich aus seiner Verschnürung loswickelte und nach seinen Kleidern suchte, fand er Gelegenheit, dem Hauptmann der Scharwache ins Ohr zu flüstern, daß er ihm zuliebe und auf seine Verantwortung den Ehemann und seine Frau in getrenntes Gewahrsam bringen möge, wofür er dem Manne seine Gunst, Beförderung und nicht wenig Gold versprach, so daß dieser kaum noch schwankte, ihm zu gehorchen. Um dem Offizier mehr Vertrauen einzuflößen, erklärte er ihm den Zusammenhang der ganzen Sache und fügte hinzu, daß der Advokat seine herzige Frau unfehlbar töten würde, wenn er sie je in seine Gewalt bekäme. Zuletzt legte er dem Offizier nahe, die Frau in einem der heitersten Gefängnisräume unter denjenigen, die ebenerdig auf die Gärten hinausgingen, zu verwahren, den Mann dagegen im untersten und finstersten Loch an Ketten legen zu lassen. Der Offizier versprach, alles nach dem Wunsche des gnädigen Herrn zu tun, und dieser, der seiner Dame Gesellschaft leistete bis in den Hof des Schlosses, versicherte ihr hundertmal, daß sie als freie Witwe aus dem schlimmen Handel hervorgehen werde und daß er entschlossen sei, sie vielleicht in rechtmäßiger Ehe zur Frau zu nehmen.
Wurden also die Gefangenen untergebracht, ganz wie es der Geliebte der Frau angeordnet, der Mann in einem luftlosen Loch unter dem Boden, die Frau in einem behaglichen Kämmerlein bei den Gärten; denn der verliebte Italiener war kein andrer als Herr Scipio Sardini, ein vornehmer, sehr reicher Luccaner und, wie es bereits gesagt worden, einer der nächsten Freunde der Königin Cathérine von Medici, die damals im Einverständnis mit den Guisen das ganze Konzert dirigierte. In dem Großen Rat, der in diesem Augenblick heimlich bei der Königin abgehalten wurde, erfuhr der Italiener, um was es sich handelte und in welcher großen Gefahr der Hof schwebte. Es war in der Tat keine Minute Zeit zu verlieren, und die Herren Räte waren ratlos. Sardini mußte ihnen ein Licht aufstecken. Er überraschte sie alle mit dem Vorschlag, die Verschwörung zu ihrem eigenen Vorteil zu wenden, den jungen König im Schloß von Amboise unterzubringen, dort die verdammten Ketzer zu fangen wie den Fuchs in der Falle und sie alle niederzumachen. Also geschah es. In der Tat weiß jedermann, wie geschickt die Königinmutter und die Guisen dieses Stücklein voll listiger Verstellung durchgeführt haben, und wie der Aufruhr von Amboise verlaufen ist. Aber das gehört nicht zu dieser Geschichte.
Als dann gegen Morgen ein jeder das Zimmer der Königin verließ, wo die Nacht über mehr als ein feiner Faden gesponnen worden, hatte Signor Sardini, trotz seiner Verliebtheit in die schöne Limeuil, eine Tochter der Königinmutter und ihm durch das Haus Latour-Turenne ein wenig verwandt, seine Advokatin nicht vergessen und fragte, warum eigentlich der rotbärtige Ischariot in den Käfig gesperrt sei? Der Kardinal von Lothringen antwortete ihm, daß es nicht seine Absicht sei, dem Federfuchser auch nur ein Haar zu krümmen: weil man aber seinen Wankelmut kannte und sich nicht auf seine Verschwiegenheit verlassen konnte, habe man ihn einstweilen in Numero Sicher gebracht, von wo man ihn freigeben werde, sobald man es an der Zeit halte.
»Freigeben?« rief der Luccaner. »Steckt ihn lieber in einen Sack und werft mir den Schwarzrock in die Loire. Glaubt mir, ich kenne ihn, er ist keiner, der Euch seine Gefangenschaft verzeihen wird. Er wird sicher zu seinen Predigern zurückkehren. Einen Ketzer zu töten aber ist allezeit ein gottgefälliges Werk. Sein Tod ist übrigens das einzige Mittel, Euer Geheimnis zu sichern, und seine eignen Anhänger werden von Euch keine Rechenschaft über ihn fordern; denn er war ein Verräter an ihrer Sache. Wenn Ihr mich gewähren lassen wollt, ich werde seine Frau retten, das übrige wird sich geben, er soll Euch nicht mehr in den Weg laufen.«
Der Kardinal lachte.
»Euer Rat ist gut«, sagte er; »und damit Ihr seht, daß ich ihn zu nutzen weiß, will ich sogleich Befehl geben, die Gefangenen noch enger einzuschließen. – Holla!«
Erschien der Gefängnismeister, und der Kardinal befahl ihm, jedermann von den beiden Gefangenen fernzuhalten, wer es auch sein möge; dann bat er Sardini, in seiner Herberge zu verbreiten, daß der Advokat von Blois abgereist und zu seinen Prozessen nach Paris zurückgekehrt sei.
Den Offizieren, die den Advokaten verhaftet hatten, war aufgetragen worden, ihn als einen Gefangenen von Rang und Wichtigkeit zu behandeln und ihn also von den Scharwächtern weder berühren noch berauben zu lassen. So kam es, daß Avenelles noch dreißig Goldgulden in seiner Börse bei sich trug. Er wollte sie aufwenden zum Zweck seiner Rache, da er mit Recht voraussetzte, daß sie den Wächtern ein hinlängliches Argument wären und sie überzeugen müßten, wie sehr es sein gutes Recht sei, seine Frau zu sehen, nach der ihn verlangte, und sich mit dieser Frau in näheren Rapport zu setzen, die doch seine legitime Gattin war und nicht die eines andern.
Signor Sardini traute dem Handel auch gar nicht, fürchtete von der Nachbarschaft des rothaarigen Federfuchsers die größte Gefahr für seine Geliebte und beschloß bei sich, sie noch in der Nacht zu entführen und an einen sichern Ort zu bringen. Er mietete also einen Kahn samt den Ruderern und postierte sie in einen Hinterhalt bei der Brücke; drei seiner geschicktesten Diener betraute er mit dem Auftrag, die Eisenstangen der Gefängniskammer zu durchfeilen, wo er die Advokatin gefangen wußte, sich dann der Dame zu bemächtigen und sie nach der Gartenmauer zu bringen, wo sie ihn finden würden.
Nachdem gute Feilen gekauft und alle Vorbereitungen getroffen waren, bat der Italiener um eine Audienz bei der Königinmutter, deren Gemächer über den Gräben lagen, allwo der Advokat und seine Frau in Gefangenschaft schmachteten. Sardini brauchte die Einwilligung der Königin zu dieser Flucht, wenn nicht der ganze Anschlag im letzten Augenblick zunichte werden sollte. Er wurde auch von ihr empfangen und bat sie, ihm die Gunst zu gewähren, seine schöne Gefangene ohne Vorwissen des Kardinals und des Herzogs von Guise befreien zu dürfen. Dann setzte er ihr ebenfalls die Gründe auseinander, die es nötig machten, daß der Kardinal den Advokaten ins Wasser werfen lasse, und die Königin sagte zu allem ja und amen. In einem Gurkensalat schickte er darauf der Dame seines Herzens ein Zettelchen, das der schönen Advokatin ihre bevorstehende Witwenschaft und die Stunde ihrer Befreiung aus dem Kerker ankündigte, dessen die Bürgerin wohl zufrieden war. Durch einen geheimen Befehl der Königin wurden bei einbrechender Nacht die Wachsoldaten von den Gräben entfernt, um ein wenig nach dem Mondschein auszusehen, den man dennoch bei der Sache nicht benötigte, dann das Gitter im Handumdrehen von den geschickten Italienern abgehoben, die Dame mit einem ›Pst‹ herbeigerufen und nach der Gartenpforte dem harrenden Geliebten in die Arme geführt.
Das Pförtchen aber war kaum hinter den beiden geschlossen, als die Dame ihren Mantel abwirft und sich in einen Advokaten verwandelt, einen Advokaten, der den Frauenräuber an der Gurgel packt und würgt und gegen das Wasser stößt, um ihn in der Loire zu ersäufen. Und Sardini war genötigt, sich zu verteidigen, zu kämpfen, zu rufen, aber alles, ohne sich trotz seines Dolchs losmachen zu können von diesem Teufel im schwarzen Talar.
Plötzlich aber wurde es still. Sardini war in ein tiefes Loch von Sumpf und Morast gestürzt. Er sah noch einen Augenblick im Licht des Mondes das Gesicht des Advokaten über sich, ganz besudelt mit dem Blute seiner Frau; dann ergriff sein Angreifer, der ihn für tot hielt, die Flucht, denn schon näherten sich die Leute des Italieners mit Waffen und Fackeln. Auf dem von Sardini bereitgehaltenen Kahn entkam der Advokat.
So geschah es, daß allein die schöne Advokatin das Leben lassen mußte. Den Signor Sardini hatte sein Würgengel nur halb erwürgt, er wurde von seinen Leuten aus dem Morast gezogen und erholte sich nach und nach von den Mißhandlungen des Advokaten. Später heiratete er, wie jedermann weiß, die schöne Limeuil, nachdem sie im Zimmer der Königin heimlich mit einem Kindlein niedergekommen war, welchen Unfall die Königinmutter um jeden Preis zu verheimlichen und den Sardini aus großer Liebe durch Heirat gutzumachen suchte. Zum Dank erhielt er von der Königin Cathérine die Herrschaft Chaumont-sur-Loire mitsamt dem Schlosse. Aber er war doch von seinem Advokaten so gekrallt, gewürgt, geknufft und mit Füßen getreten worden, daß er die schöne Limeuil noch im Frühling ihres Lebens zur Witwe machte. Der Advokat wurde nicht verfolgt. Er brachte es im Gegenteil dahin, daß er im letzten Friedensedikt unter denjenigen verzeichnet stand, denen alles vergeben und vergessen sein sollte. Er ergriff von neuem die Sache der Hugenotten, denen er später in Deutschland große Dienste erwies.
Die arme Advokatin! Betet für ihre Seele; ihr schöner Körper wurde wer weiß wohin geworfen, ohne Gebet und ohne christliches Begräbnis. Denkt an sie, schöne Damen, wenn euch Gott Amor günstig ist.
Als Meister François Rabelais zum letztenmal an den Hof König Heinrichs kam, des Zweiten seines Namens, war er bereits darauf gefaßt, dem Gesetz der Natur zu folgen und sein schlampig gewordenes Wams, will sagen sein Fleisch, von sich zu legen (wie es auch noch in demselben Winter geschah), um allein in dem pracht- und machtvollen Geist, in dem herrlichen Geist jener exzellenten menschlichen Philosophie, auf die wir immer wieder zurückkommen, durch alle Ewigkeit weiterzuleben. Der gute Mann hatte damals siebzig wohlgezählte Frühlinge hinter sich, sein harmonisches Haupt war längst kahl geworden, aber war umrahmt von einem wahrhaft patriarchalischen Bart, seine Stirne strahlte vom Glanz des Gedankens, und das stumme Lächeln seines Mundes sprach von einem ewig jungen Herzen. Kurz, er war ein schöner Greis, wie es alle die bezeugen, die das Glück gehabt haben, ihm noch ins Antlitz zu schauen, in dem die Züge des Sokrates und des Aristophanes, zweier Geister, die sich im Leben gehaßt, aber hier Freunde geworden waren, in eins zusammenflossen.
Da nun also in dem genannten Winter dem guten Mann die Ahnung kam, daß über kurz oder lang sein letztes Stündlein schlagen werde, beschloß er bei sich, dem König von Frankreich noch vorher seine Aufwartung zu machen, als welcher in sein Schloß Tournelles gekommen war, infolgedessen Meister François, der in einem Hause bei den Gärten von Sankt Paul wohnte, sich den Hof fast auf Steinwurfweite nahe gerückt sah.
Befanden sich aber, als er ankam, in den Gemächern der Königin Cathérine: Frau Diana, die von der Königin aus Gründen der hohen Politik empfangen wurde, der König, der Herr Feldzeugmeister, der Kardinal von Lothringen und der Kardinal Dubellay, die Herren von Guise und mehrere Italiener, die bereits anfingen, sich unter den Fittichen der Königin in großer Zahl am Hof einzuschmuggeln. Waren auch gegenwärtig der Admiral, der Herzog Montgomery, die Herren vom Dienst und einige Hofpoeten, wie Melin de Saint-Gelais, Philibert de l’Orme und Meister Brantôme.
Als der König den Meister François bemerkte, den er wie viele für nichts weiter als einen ausgelassenen Spaßvogel achtete, richtete er sofort das Wort an ihn, und nach einigem Hinundherreden sagte er:
»Hast du denn deinen Pfarrkindern von Meudon auch einmal eine Predigt gehalten?«
Meister François nahm dies für einen Scherz, denn er hatte sich in seinem Leben um seine Pfarrei nicht weiter gekümmert, als daß er deren Einkünfte erhoben.
»Herr König«, antwortete er, »meine Pfarrkinder wohnen allerorten, und meine Predigten hört man, soweit die Christenheit reicht.«
Mit einem ruhigen Blick streifte der Meister diese Höflinge, die, ausgenommen die Herren Dubellay und von Castillon, nichts andres in ihm sahen als so eine Art gelehrten Triboulet, da er doch der König der Geister war, in einem höhern Sinn König als derjenige, vor dessen gnadenspendender Krone sie alle sich beugten. Und den Guten, der sich bereits mit einem Fuß im Grabe fühlte, wandelte plötzlich die boshafte Lust an, dem Geschmeiß einmal gehörig die Köpfe zu waschen und ihnen, figürlich versteht sich, auf die hohlen Schädel herunterzupissen wie Gargantua auf die der guten Pariser von den Türmen von Notre-Dame.
»Wenn Eure Majestät guter Laune ist«, sagte er, »könnte ich Höchstderselben wohl mit einer kleinen Predigt dienen, die ich mir längst zu gelegentlichem Gebrauch hinters Ohr geschrieben habe und wobei es nichts zu bedeuten haben soll, daß mein Sermon auf eine mehr redliche als hofrätliche Parabel hinausläuft.«
»Meine Herren«, antwortete drauf der König, »Meister François hat das Wort. Und da es sich um unser Seelenheil handelt, so haltet euch ruhig und spitzt mir die Ohren. Der gute Meister steckt voll von spaßigen Evangelien.«
»Majestät«, erwiderte Meister Rabelais, »ich fange an.«
Das Geplauder der Höflinge verstummte, sie traten in einem geschmeidigen Halbkreis um den Pfarrherrn in partibus, den Vater des Pantagruel, der ihnen in Worten, deren Poesie und Beredsamkeit kein Mensch auf Erden zu wiederholen vermöchte, die folgende Historie zum besten gab. Sie ist uns nur mündlich überliefert worden, und so möge es dem Autor verstattet sein, sie hier in seiner Weise nachzuerzählen.
»In seinen alten Tagen war Gargantua ein wenig seltsam geworden, worüber die Leute seines Hauses sich sehr verwunderten, ohne es ihm aber übelzunehmen, denn er war rund siebenhundertundvierzig Jahre alt, wenn auch der heilige Klemens von Alexandrien in seinen ›Stromates‹ zu beweisen sucht, daß er zu dieser Zeit einen Vierteltag jünger war, was uns aber wenig kümmert. Wie nun der väterliche Herr so sah, daß man ein wenig allzusehr in Saus und Braus lebte in seinem Hause und seine Gäste sich nicht nur satt aßen, sondern auch noch obendrein die Taschen füllten, bekam er es mit der Angst, es könnte ihm zuletzt am Nötigsten fehlen. Und er beschloß, eine vollkommnere Verwaltung seiner Domänen einzurichten. Das war weise und vernünftig gedacht. Er ließ also auf einem Speicher des gargantualischen Schlosses seine besten Vorräte zusammentragen, einen großen Haufen roter holländischer Käse, zwanzig gewaltige Töpfe eingemachter Mustarde, ganze Kübel voll Zwetschgenmus, Latwergen und Tourainer Pflaumen, große Fässer eingesalzener Butter, ganze Kisten voll Hasenpasteten, in Fett gelegte Enten, im Schmalz vergrabene Schweinsfüße und Gänsekeulen, dreihundertundsiebenundneunzigtausend Büchsen voll grüner Erbsen und Bohnen, siebenhundertunddreiundfünfzigtausend Gläser des feinsten Orleaner Quittengelees, viele Fässer getrockneter Lampreten, marinierter Heringe, geräucherter Aale und eingepökelter Seezungen, ganze Kufen eingetrockneter Weintrauben, endlich Eingezuckertes für die Gargamella an den Feiertagen und tausend andre gute Sachen, die ins einzelne aufgezählt sind in den ripuarischen Gesetzen und auf gewissen Seiten der königlichen Kapitularien, Edikte, Pragmatiken, Ordonnanzen und Institutionen jener Zeit.
Klemmte dann der Gevatter sein Binokel auf die Nase und seine Nase in das Binokel und ging aus, einen fliegenden Drachen oder ein Einhorn zu suchen, die ihm seine kostbaren Schätze bewachen könnten. Also suchend und in Sorgen durchwanderte er seine Gärten. Er wollte keinen geschopften Kranich, mit dem schon die Ägyptianer, wie aus den Hieroglyphen hervorgeht, schlechte Erfahrungen gemacht haben. Mit einer Handbewegung scheuchte er die Kohorten der Kobolde und Alraunen hinweg, weil er wußte, daß diese schon den Kaisern und auch den alten Römern zuwider waren, wie ein gewisser Fürwitz namens Tacitus überliefert hat. Auch das Geschlecht der Pikrokoller verwarf er. Ebenso die Legionen der Druden, Wichtelmänner, Nachtmahre, Zwerggeschlechter der Erdhöhlen und ähnliches Gesindel, die wie Hundszahn wucherten und alles Gegründ und Geschlucht erfüllten mit ihrem Gewimmel und Gewusel, also wie es in der Reisebeschreibung des Sohnes Pantagruel zu lesen war. Er ging im Geist alle Historien, Genealogien und Geschlechtsregister seines Reichs durch, aber zu keiner einzigen gallischen Rasse konnte er ein Vertrauen fassen. Er hätte sich am liebsten eine neue geschaffen, unbekannt selbst dem Schöpfer aller Dinge. Je länger er erwog, um so unmöglicher schien es ihm, eine Wahl zu treffen, und er fürchtete schon, seine kostbaren Schätze und Reichtümer dem Verderben preisgeben zu müssen. In dieser sorgenvollen Lage begegnete er einem kleinen hübschen Spitzmäuserich aus dem alten und edlen Geschlecht der Spitzmäuseriche, die als Wappen einen roten Balken im blauen Schilde führen. Und was für ein Prachtkerl das war! Er trug den schönsten Schwanz seiner Familie und spreizte und spiegelte sich in der Sonne als ein echter edler Spitzmäuserich von Gottes Gnaden. Man sah es ihm an, wie er stolz darauf war, seine Ahnenreihe bis auf die Sintflut zurückverfolgen zu können in ununterbrochenen Geschlechtsregistern, von Fall zu Fall, gestützt auf Brief und Siegel und Parlamentsakten, wie denn ein Protokoll ausdrücklich und unwiderleglich bezeugte, daß bereits ein Spitzmäuserich mit dem Patriarchen Noah in die Arche gegangen ist …«
Hier lüpfte Meister Algofripas ein wenig seine Mütze, und in salbungsvollem Predigerton fuhr er fort:
»Noah, meine Herren, gemeint ist jener Noah, der die Rebe gepflanzt hat und zuerst das Glück hatte, sich im Wein zu berauschen. Denn es steht fest und sicher, daß ein Spitzmäuserich auf dem Schiffe war, aus dem wir alle hervorgegangen sind. Aber die Menschen haben sich untereinander vermischt und ihre Rasse verunreinigt. Nicht so die Spitzmäuseriche. Sie sind stolzer auf ihr Wappen als alle andern Tiere, sie würden niemals einen Hamster in ihre Familie aufnehmen, und wenn er auch alle Reichtümer der Welt in seinem Bau zusammengetragen hätte. Dieser echt edelmännische Geist gefiel dem guten Gargantua. Und kurzerhand übertrug er dem Spitzmäuserich die Statthalterschaft auf seinen Speichern mit den ausgedehntesten Rechten, Privilegien und Machtvollkommenheiten, hoher und niederer Gerichtsbarkeit, Committimus, Missi Dominici, mit Gewalt über den Klerus und dem Oberbefehl im Heere, kurz, mit allem, was sich nur denken läßt. Der Spitzmäuserich versprach, sein Amt getreu zu verwalten und seine Pflicht zu tun, wie man von einem feudalen Spitzmäuserich erwarten kann; er stellte nur die eine Bedingung, auf dem Kornhaufen wohnen zu dürfen, was der gute Gargantua gerecht und billig fand.
Und also hättet ihr den Spitzmäuserich sehen müssen in seinem neuen Palast: wie er Sprünge machte, wie er glücklich war, glücklich wie ein Fürst, der glücklich ist; wie er stolz seine Länder und Reiche inspizierte, seine Schinkenprovinzen, seine Latwergengrafschaften, seine Domänen von Mustarden, seine Traubenherzogtümer, seine Blutwurstfürstentümer, seine Baronate jeder Art; wie er auf Bergen von Weizen thronte und mit seinem Schwanz die Körner peitschte. Wo der Spitzmäuserich erschien, standen ehrfurchtsvoll und begrüßten ihn stumm alle Töpfe. Und wo zwei goldene Becher beieinanderstanden oder auch ein silberner Humpen bei einem goldenen Becher, stießen sie aneinander und machten ein Geläute wie mit Kirchenglocken, wenn der Fürst einzieht, dessen der Spitzmäuserich sehr zufrieden war und sich freundlich bedankte mit einem leisen Nicken des Kopfes nach rechts und nach links.
Auf seinem Kornhaufen setzte er sich gern in einen Streifen Sonne, der durch die Dachluke fiel. Da leuchtete dann sein seidenweiches glattes Fellchen in einem bläulichen Schimmer, und er sah ganz und gar aus wie ein nordischer König in seinem Zobelpelz. Oft auch vergnügte er sich mit Springen und Tanzen, mit Kapriolen und Purzelbäumen, dann bekam er guten Appetit, ließ sich ein, zwei Weizenkörner schmecken, die er mit Behagen knusperte, und saß dann wieder zuoberst auf dem Haufen wie ein König auf dem Thron vor dem versammelten Hofe und mit dem Bewußtsein, der tapferste und treueste Spitzmäuserich der Welt zu sein.
Erschienen da an ihren gewohnten Schlupflöchern und sonstigen Vorposten unheimliche nachtwandlerische Völker, lichtscheues Gesindel, das auf vier Pfoten läuft, an Wänden und Balken klettert, in versteckten Höhlen haust, kurz, das zahlreiche Geschlecht der Mäuse, Ratzen, Hamster und andrer Nager, die alles beknuppern und beschnuppern, bebeißen und bescheißen und der Schreck und die Landplage aller guten Hausfrauen sind. Als sie den Spitzmäuserich erblickten, schreckten sie zurück und drückten sich hinter die Schwelle ihrer Wohnungen, nur ängstlich hinblinzelnd nach dem neuen unerwarteten Feind. Ein alter grauer Mausling aber aus dem wispernden, knuspernden Geschlecht der Mauselinge, ein frecher und respektwidriger Geselle, streckte trotz aller Gefahr seinen Kopf ein wenig aus dem Fenster und besah sich fast furchtlos den Spitzmäuserich, der auf der Höhe des Weizenbergs mit aufgerichtetem Schwanz auf seinem Hintern saß, kam aber bald zu der Überzeugung, daß das der Teufel sei, vor dessen Krallen man sich in acht nehmen müsse; denn der gute Gargantua hatte seinem Statthalter, damit er den andern Spitzmäusen und Mäusen, Ratten und Ratzen, den Hamstern, Wieseln, Iltissen und Katzen, kurz, dem ganzen nächtlichen Raub- und Diebsgesindel um so mehr Respekt einflöße, hatte dem Statthalter, sage ich, ein wenig Muskatöl um die spitzige Schnauze geschmiert, dessen Geruch seitdem alle Spitzmäuse geerbt haben, da der Statthalter trotz dem weisen Rat Gargantuas die Mitglieder seiner Sippe nicht immer in gehörigem Abstand gehalten hat, infolgedessen die berühmten und langwierigen Spitzmäusekriege entstanden sind, die ich euch in einem ernsten weltgeschichtlichen Werke erzählen würde, wenn ich die Zeit dazu hätte.
An diesem Muskatgeruch erkannte der graue Mausling oder Ratterich – denn die Gelehrten des Talmud sind über die beiden naturgeschichtlichen Spezies nicht im klaren und verwechseln oft die eine mit der andern –, erkannte der Mausling, daß dem Spitzmäuserich da oben Amt und Vollmacht geworden, über das Getreide des Gargantua zu wachen, durch welche Investitur er quasi ein andres Wesen geworden, ein Tier, das nur noch Pflicht war, nur noch Spion, Aufpasser und Leuteschinder, kurz, ein Amtsmensch vom Kopf bis zu den Füßen, ganz in Waffen, ganz nur Drohung und Gefahr, der alle mausigen Schwächen, Sitten und Gewohnheiten weit von sich getan, alle Liebhabereien seiner Sippschaft wie Specklecken, Krümchenknuppern, Käsebeschnuppern, Rindenbenagen und andres als pöbelhaften Geschmack verachtete und nichts mehr davon hören wollte, sondern dergleichen tat, als ob er nie eine Käserinde geknappert, nie sein Zünglein an einer Speckschwarte gewetzt hätte.
Dennoch beschloß der Mausling, ein Kerl, gerieben wie ein alter Höfling, der zwei Regentschaften und drei Könige überdauert hat, dem guten Spitzmäuserich ein wenig auf den Zahn zu fühlen und, wenn es möglich wäre, die Würmer aus der Nase zu ziehen zum Heil und Segen aller ratamorphen Kinnbacken auf zehn Meilen im Umkreis.
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