Das Mädchen und der Maler

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2.

Später konnte sich Margret nicht daran erinnern, ob sie überhaupt etwas gesagt hatte.

Sie konnte sich nur an das glückliche Gesicht ihrer Mutter erinnern und an den kritischen Blick ihres Cousins. Natürlich hatte er den Staub an ihrem Rocksaum bemerkt.

Ihr Vater hatte einen Arm um ihre Schultern gelegt.

„Wir wollen doch nur dein Glück, Margret.“

William hatte Lady Evelyn, den Vikar und Margret zum Abendessen ins Schloß eingeladen. Es sei noch viel zu besprechen, hatte er gesagt. Seine Mutter würde dann alles weitere erklären. Eine Kutsche stehe um halb acht bereit.

Lady Evelyn hatte den Cousin zur Tür begleitet, und Margret hatte sich mit fragendem Blick an den Vater gewandt.

„Du wirst bestimmt glücklich mit deinem Cousin“, hatte Margrets Vater gemeint. „Er ist ein bemerkenswert intelligenter Mann und hat es im Diplomatischen Dienst schon zu etwas gebracht.“

„Ich weiß, Papa“, hatte Margret entgegnet.

Und jetzt stand Margret in ihrem Zimmer, und die Zwillinge, die natürlich an der Tür gelauscht hatten, hüpften aufgeregt um sie herum.

„Bis Onkel Lionel stirbt, bist du erst einmal Baronin“, rief Emily aufgeregt. „Nach seinem Tod wirst du Gräfin und wohnst im Schloß, und Tante Louise muß in die Orangerie ziehen.“

Margret hörte nicht zu. Sie hatte die Schranktür aufgemacht und überlegte, was sie zu dem Dinner anziehen sollte. Seit sie denken konnte, erbte sie die alten, abgetragenen Kleider ihrer Cousine Clementine, die vom teuersten Hofschneider in London angezogen wurde, und ihre Sachen trug, bis sie ihr fast vom Leib fielen. Zum Glück war Margret drei Zentimeter kleiner als Clementine und auch schmaler gebaut, so daß der meist durchgewetzte Saum gekürzt und die fadenscheinigen Stellen an den Hüften eingehalten werden konnten.

„Ich habe alte Kleider satt!“ hatte Margret bei der letzten Sendung gejammert, die aus dem Schloß geschickt worden war.

„Ich weiß, Darling“, hatte ihre Mutter entgegnet. „Wenn die Sachen wenigstens gewaschen wären, bevor man sie aus dem Haus gibt.“

Margret hatte sich über die Bemerkung gewundert, denn sie hatte ihre Mutter noch nie Kritik üben hören. Lady Evelyn beschwerte sich normalerweise nicht mit einem Wort über die Art und Weise, wie sie von ihrem Halbbruder und dessen Frau behandelt wurde.

Margret entschloß sich schließlich für ein Kleid aus weißem Musselin, das einen Riß im Rock gehabt hatte, sonst aber noch kaum getragen gewesen war. Clementine mußte damit irgendwo hängengeblieben sein, und geflickte Sachen zog sie natürlich nicht an.

„Jetzt wirst du auf alle großen Bälle in London eingeladen“, plapperte Edith. „Vielleicht sogar auf Windsor Castle. Stell dir bloß vor, dann siehst du die Königin!“

„Die kann mir im Moment gestohlen bleiben“, bemerkte Margret nervös. „Hauptsache, ich bin rechtzeitig fertig. Emily, such doch bitte meine Abendschuhe. Und Edith, kannst du mir mit meinen Haaren helfen?“

Emily dachte nicht daran, die Schuhe zu suchen. Sie war zu sehr mit der großen Neuigkeit beschäftigt, um sich durch irgendetwas ablenken zu lassen.

„Hast du gesehen, wie elegant William angezogen war, Edith?“ fragte sie die Schwester, die Margret tatsächlich mit viel Geschick die Haare hochsteckte. „Bernhard würde vor Neid platzen, wenn er die Jacke sehen würde. Und nicht eine Falte in der Krawatte.“

„Ja, elegant angezogen ist er, das muß man ihm lassen“, entgegnete Emily, die vor dem Spiegel stand und sich kritisch betrachtete. „Aber alt ist er. Er wird neununddreißig, und Margret ist erst neunzehn. Zwanzig Jahre Unterschied - das wäre mir zu viel.“

Zwanzig Jahre Unterschied, dachte Margret immer wieder, als sie mit ihren Eltern in der Kutsche saß und zum Schloß fuhr.

„Auch für die Zwillinge ist es ein Segen“, bemerkte Lady Evelyn unterwegs. „Du wirst deinen Schwestern so manches zukommen lassen können, Margret, und auch deinem Bruder Bernhard. Onkel Lionel finanziert zwar sein Studium in Oxford, aber Taschengeld gibt er ihm keines. Bernhard leidet sehr darunter, daß er der ärmste unter seinen Kommilitonen ist.“

„Warten wir es doch erst einmal ab, Evelyn“, meinte der Vikar. „Wir wissen doch noch gar nicht, welche Absprachen getroffen werden und ob William unserer Tochter so viel Geld zur Verfügung stellt, daß sie auch etwas für ihre Geschwister tun kann.“

„Mein geliebter Donatus“, sagte daraufhin Lady Evelyn, „es ist deine Aufgabe, dafür zu sorgen, daß Margret genügend Geld bewilligt bekommt. Du weißt, wie wichtig es ist, daß derlei Dinge bis ins Detail besprochen werden.“

„Ich werde mein Bestes tun, meine Liebe“, antwortete der Vikar. „Da ich Margret aber keine Mitgift geben kann, bin ich nicht gerade in der besten Position, um an der eventuell mangelhaften Großzügigkeit des Bräutigams herumzumeckern.“

Lady Evelyn wollte etwas erwidern, beherrschte sich jedoch und biß die Zähne zusammen.

Sie waren schon fast angekommen, als Margret endlich die Frage zu stellen wagte, die ihr schon die ganze Zeit auf den Lippen brannte.

„Mama“, sagte sie. „Warum heiratet mich mein Cousin William?“

Lady Evelyn zögerte einen Moment, und Margret wußte, daß sie nach den richtigen Worten suchte.

„Weil er dich, wie er sagte, schon immer sehr gern gemocht hat“, antwortete sie.

„Das stimmt nicht!“ rief Margret. „Er hat nie auch nur das Wort an mich gerichtet. Höchstens, wenn er Cicely und mich in den ersten Stock scheuchen wollte.“

„Dann mußt du ihn selbst fragen, Margret“, meinte Lady Evelyn schnell.

Margret gab es auf. Sie würde schon irgendwie die Wahrheit erfahren, davon war sie überzeugt.

Sie waren angekommen und hatten das Schloß noch kaum betreten, als Margret klar war, daß die Dienstboten Bescheid wußten. Die Verbeugung des Butlers war tiefer und unterwürfiger denn je.

Lady Evelyn und Margret wurden zum Ablegen der Mäntel in einen kleinen Salon im ersten Stock geführt. Cicelys Zimmer war am Ende des langen Gangs.

„Wart einen Moment, Mama“, bat Margret. „Ich möchte Cicely schnell gute Nacht sagen.“

„Gut, aber komm gleich wieder, Darling“, entgegnete Lady Evelyn. „Es ist fünf vor acht, und du weißt, daß dein Onkel wütend wird, wenn man ihn warten läßt.“

„Ja, Mama.“ Margret raffte die Röcke und lief über den Gang.

Sie wollte gerade die Tür zu Cicelys Zimmer öffnen, als jemand ihren Namen rief. Margret drehte sich um und sah ihre Tante auf sich zukommen.

Über und über mit Schmuck behängt, war Lady Vinchcombe trotz ihrer sechzig Jahre eine auffallend schöne Frau. Sie strahlte jedoch eine derartige Kälte aus, daß sie von den meisten Menschen gefürchtet wurde.

„Guten Abend, Margret“, sagte sie.

„Guten Abend, Tante Louise“, erwiderte Margret und machte einen Knicks.

Mit fast zufriedener Miene - wie es Margret schien - musterte sie Margret in dem abgelegten Kleid ihrer Tochter.

„William hat mir erzählt, daß ihr verlobt seid“, fuhr sie fort. „Ich hoffe, daß du das Glück zu schätzen weißt, das dir widerfahren ist.“

„Natürlich, Tante Louise.“

„Du willst zu Cicely reinschauen, nehme ich an“, fuhr die Gräfin fort. „Sie weiß noch nichts davon. Wir sagen es ihr zusammen.“

Sie öffnete die Tür. Cicely lag flach auf dem Rücken und sah in dem riesigen Bett wie ein Häufchen Elend aus.

„Hallo, Mama!“ rief sie. „Margret - so eine Überraschung. Ich habe gar nicht gewußt, daß du heute Abend zum Dinner geladen bist.“

„Margret hat eine große Neuigkeit für dich“, sagte die Gräfin. „William hat um ihre Hand angehalten.“

„Das freut mich aber“, sagte Cicely nach kurzem Zögern. „Dann wird Margret meine Schwägerin.“

Margret merkte es sofort. Cicely verstellte sich. Sie hatte sicherlich schon von dem Heiratsantrag gewußt.

„Wir müssen jetzt runtergehen“, sagte die Gräfin.

„Ihr beiden Mädchen könnt morgen alles besprechen. Cicely, du mußt jetzt schlafen.“

„Also, dann bis morgen.“ Margret beugte sich über Cicely und küßte sie.

„Ich muß dir so viel erzählen“, flüsterte in dem Moment die Cousine.

Margret folgte ihrer Tante.

Wie jedes Mal, wenn sie im Schloß eingeladen war, war Margret heilfroh, als sich die Damen nach den vielen Gängen endlich zum Kaffee in den kleinen Blauen Salon zurückzogen.

„Hat dir William erzählt, daß wir morgen einen sehr wichtigen Gast erwarten?“ fragte die Gräfin Margrets Mutter.

„Nein, er hat nichts erwähnt“, antwortete Lady Evelyn.

„Der Duc d’Abencom kommt zu uns“, berichtete die Gräfin. „Du hast vielleicht schon von ihm gehört. Er ist der beste Freund und Cousin des Prinzen Alexander von Vallon.“

„Ich dachte, daß Vallon nach dem Abzug der Deutschen von Frankreich annektiert worden ist“, sagte Lady Evelyn.

„Das stimmt auch“, bemerkte die Gräfin. „Es wundert mich immer wieder, Evelyn, daß du bei dem Leben, das du führst, doch so gut informiert bist.“

„Weil man im Dorf wohnt, muß man deshalb nicht systematisch abstumpfen.“ Lady Evelyns Wangen röteten sich.

„William hat große Neuigkeiten mitgebracht“, sagte die Gräfin. „Vallon soll wieder ein unabhängiges Fürstentum werden.“

„Phantastisch!“ rief Lady Evelyn. „Ich fand es immer unfair, daß man dem Ländchen die Unabhängigkeit genommen hat.“

„Großbritannien hat sich sehr für Vallon eingesetzt“, fuhr die Gräfin fort, „und deshalb ist dem Prinzen Alexander nahegelegt worden, sich, falls Vallon weiterhin von England unterstützt werden soll, eine Engländerin zur Frau zu nehmen.“

„Eine Engländerin“, wiederholte Lady Evelyn.

 

„Ja. Und der Duc will mit uns über eine eventuelle Heirat zwischen dem Prinzen und Clementine sprechen.“

„Das ist ja fabelhaft!“ rief Lady Evelyn. „Du bist sicher sehr stolz.“

„Ich habe schon immer gefunden, daß Clementine etwas Königliches an sich hat“, bemerkte die Gräfin. „Sie ist einfach zu gut für einen ebenbürtigen Mann, ganz gleich, wie wichtig seine Stellung in der Gesellschaft ist. William sagt, daß Prinz Alexander ein Traum von einem Mann ist. Wie dem auch sei, morgen werden wir von dem Duc mehr erfahren.“

„Sicherlich“, sagte Lady Evelyn.

„Ich werde übrigens bald mit Clementine nach Paris reisen müssen“, fuhr die Gräfin fort. „William hat mich gebeten, Margret mitzunehmen.“

Margret, die sich bisher nicht an der Unterhaltung beteiligt hatte, richtete sich in ihrem Sessel auf.

„Soll das heißen, daß ich wirklich mitkommen darf, Tante Louise?“ fragte sie.

„Das habe ich doch eben gesagt, Margret. Hörst du denn nie richtig zu?“ Die Tante schickte einen gelangweilt verzweifelten Blick zur Decke. „Ich persönlich finde es höchst unnötig, daß du die Reise mitmachst, aber William besteht darauf. Er will dich den Freunden vorstellen, mit denen er in den letzten Jahren zusammengearbeitet hat. Du solltest also spätestens in einer Woche reisebereit sein, Margret.“

„Aber Louise!“ rief Lady Evelyn. „Margret hat doch nichts zum Anziehen.“

„Das ist mir schon klar“, bemerkte die Gräfin spitz. „Sobald der Duc wieder abgereist ist, fahre ich mit Clementine nach London zum Einkaufen. Ich werde etwas für Margret mitbringen. Außerdem schicke ich euch morgen alte Sachen ins Pfarrhaus. Du mußt dich eben gleich ans Ändern machen, Evelyn.“

„Wenn die Sachen nicht zu sehr aus der Mode sind, dürfte das Ändern kein Problem sein.“

Margret hatte ihre Mutter selten so scharf zurückgeben hören. Die Gräfin wollte es ihr mit einer bösen Bemerkung heimzahlen, aber in dem Moment ging zum Glück die Tür auf, und die Herren kamen herein. Margret sah ihrem Vater auf den ersten Blick an, daß er sich von dem Grafen hatte überfahren lassen.

Auch Lady Evelyn schien es sofort gemerkt zu haben. Wie um ihrem Mann zu beweisen, daß auf dieser Welt nur ihre Liebe und die gemeinsame Familie wirklich Gewicht hatte, ging sie zu ihm und legte ihm eine Hand auf den Arm.

„Wir sollten dich nicht zu lange um deinen Schlaf berauben, der dir doch so wichtig ist“, sagte sie zu ihrem Halbbruder.

„Eben!“ erwiderte der Graf laut lachend. „Abends früh ins Bett und morgens früh raus, das war schon immer meine Devise. Soll ich die Kutsche kommen lassen?“

„Ja, bitte, Lionel“, entgegnete Lady Evelyn.

William kam auf Margret zu.

„Ich möchte dir etwas zeigen“, sagte er und ging ins Nebenzimmer voran.

Der Raum war ziemlich kalt und schlecht beleuchtet. Lediglich zwei Petroleumlampen brannten. Als sich William in der Mitte des Zimmers zu Margret umdrehte, sah er durch die Schatten auf dem Gesicht um Jahre älter aus.

„Wenn du in Paris bist, dann möchte ich, daß du diesen Ring trägst.“

Er zog ein kleines Etui aus der Tasche und klappte es auf.

Margret erkannte den Ring sofort. Sie hatte ihn oft an der Gräfin gesehen. Der große, prachtvoll geschliffene Smaragd war von vielen kleinen Brillanten eingerahmt.

„Ist das mein Verlobungsring?“ fragte Margret.

„Ich hoffe, er gefällt dir“, sagte ihr Cousin steif.

„Er ist wundervoll!“ erwiderte Margret schnell. „Vielen Dank.“

„Du wirst sehen, daß der Ring von jedem bewundert wird.“ William nahm Margrets Hand und steckte ihr den Ring an. „Mama wird dir beim Einkauf von Kleidern helfen, Margret. Du wirst noch eine Menge lernen müssen, wirst aber feststellen, daß mein Leben und meine Karriere sehr interessant sind.“

„Davon bin ich überzeugt“, bemerkte Margret.

Sie wollte William fragen, warum er sie überhaupt zur Frau erwählt habe, kam aber nicht dazu, weil er ihre Wange mit einem flüchtigen Kuß streifte.

Seine Lippen waren kalt. Oder bildete sie es sich nur ein? Margret kam kaum zum Überlegen, schon hatte William die Tür zum Blauen Salon wieder geöffnet.

„Die Kutsche wartet“, sagte er.

Margrets Eltern standen neben dem Kamin und warteten auf sie. Margret wußte nicht, was sie sagen sollte, also streckte sie einfach die Hand mit dem Ring aus.

„Oh!“ rief Lady Evelyn. „Dein Verlobungsring. Was für ein prachtvolles Schmuckstück.“ Sie sah ihre Schwägerin an. „Wie großzügig von dir, Louise, daß du dich davon getrennt hast. Du hast den Ring doch so oft getragen.“

„Es war schon immer Williams Lieblingsring“, entgegnete die Gräfin kalt.

„Die Kutsche steht bereit“, meldete der Butler.

Margret küßte ihre Tante pflichtschuldig auf die Wange, verabschiedete sich mit einem Knicks von ihrem Onkel und hielt William die Hand entgegen.

Er küßte sie, aber es war bloß eine Formsache. Margret mußte an Paul Beaulieu denken. Wie warm hatten sich seine Lippen auf ihrer Haut angefühlt! Das ist heute schon der zweite Handkuß, dachte sie. Aber der erste hat mir viel mehr bedeutet. Beim Gedanken, daß William sie auf den Mund küssen könnte, schauderte sie. Frauen mit Lippen wie den Ihren hatte Paul Beaulieu gesagt, schenken dem Mann, den sie lieben, Herz, Körper und Seele. Seine Stimme klang in ihren Ohren. Würde sie William ihr Herz, ihren Körper und ihre Seele schenken wollen?

Und so stellte sich Margret auf dem Heimweg immer wieder die Frage, warum William sie überhaupt heiraten wollte. Lady Evelyn und der Vikar schwiegen. Sie waren wohl beide müde, was allerdings kein Wunder war. Die Einladungen im Schloß waren immer eine Qual.

Als Margret schließlich zu Hause im Bett lag und an die dunkle Decke starrte, dachte sie nicht etwa an William und das kostbare Geschenk, das sie abgestreift und auf den Nachttisch gelegt hatte, sondern an Paul Beaulieu. Hatte er ihr bloß schmeicheln wollen, oder fand er sie wirklich so schön, wie er gesagt hatte? Margret hatte keine Ahnung, was für Menschen die Franzosen waren. Das wenige, was sie über dieses Volk wußte, hatte sie aus Büchern.

Eine Göttin hatte Paul Beaulieu sie genannt, und wenn Margret daran dachte, wurde es ihr warm ums Herz. Erst jetzt, in der Dunkelheit ihres Zimmers, wagte sie sich einzugestehen, wie sehr der Künstler sie beeindruckt hatte und wie sehr er ihr gefiel.

Aber sie mußte doch an William denken. Er hatte um ihre Hand angehalten, und seine Frau würde sie werden, so unwirklich ihr das auch vorkam. Margret fühlte sich wie in einem Alptraum, aus dem sie nicht aufwachen konnte.

In der Nacht fand sie keinen Schlaf. Sie hörte die Kirchenuhr zu jeder Stunde schlagen. Wo Paul Beaulieu wohl übernachtete? Das Gasthaus im Dorf hatte zwar ein paar Fremdenzimmer, aber sie waren winzig und nur spärlich möbliert.

Um sechs Uhr, Margret hatte zwischendurch nur ein bisschen geschlummert, stand sie schließlich auf.

Margret kam an dem Tag eine halbe Stunde früher als gewöhnlich ins Schloß. Cicely wartete schon auf sie.

„Ich wußte, daß du früher kommst.“

Margret küßte die Cousine auf die Wange und setzte sich auf den Bettrand.

„Und jetzt erzähl“, bat sie.

Zu ihrem Erstaunen zögerte Cicely einen Moment.

„Willst du die Wahrheit wissen?“ fragte sie schließlich, „oder bloß das, was sich angenehm anhört?“

„Die Wahrheit natürlich“, entgegnete Margret. „Wir haben uns doch immer die Wahrheit gesagt.“

„Sie wird dir aber nicht gefallen.“

„Ich möchte wissen, warum er mich heiraten will. Und du weißt es offensichtlich.“

Cicely nickte.

„Das habe ich gestern Abend schon gemerkt“, sagte Margret.

„Aber Mama nicht, oder?“

„Was?“ fragte Margret.

„Daß ich es bereits wußte. Sie hat nämlich gedacht, daß ich schlafe.“

„Jetzt erzähl doch endlich, Cicely“, bettelte Margret. „Alles - von Anfang an.“

„Du erinnerst dich doch“, begann Cicely, „wie die Nurse gestern reingekommen ist und gesagt hat, daß du gehen mußt, weil ich wegen Williams Ankunft früher ruhen sollte.“

„Natürlich erinnere ich mich.“

„Und daß ein Telegramm gekommen und Mama ganz aufgeregt war, weißt du auch.“

„Ja, das weiß ich. Wenn William kommt, ist Tante Louise ja immer völlig aus dem Häuschen. Sie liebt ihn über alles.“

„Allerdings“, bemerkte Cicely. „Er ist der einzige Mensch, der ihr wirklich etwas bedeutet. Wie dem auch sei, sie haben mich wie immer auf den Balkon vor Mamas Schlafzimmer gelegt, die Nurse hat mich zugedeckt und gesagt, ich solle jetzt versuchen zu schlafen.“ Cicely schnitt eine Grimasse. „Mama schlich auf Zehenspitzen durch ihr Zimmer, um mich ja nicht zu stören, und ich war auch gerade eingeschlafen, als plötzlich die Tür aufging und William auf der Schwelle stand. Und dann kam folgende Unterhaltung:

„,William’! hat Mama gerufen. ,Wir haben dich erst heute Abend erwartet.’

,Ich habe das frühere Boot bekommen’, hat William gesagt, ist auf Mama zugekommen und hat sie geküßt.

,Du siehst fabelhaft aus, mein Junge, und so elegant.’

,In Paris muß man besonders auf das Äußere achten, Mama. Verzeih, wenn ich mit der Tür ins Haus falle, aber ich habe so viel mit dir zu besprechen und leider nur sehr wenig Zeit.’

,Du kannst also nur kurz bleiben?’

,Ja, ich muß gleich wieder nach Paris zurück. Dort passieren im Moment sehr wichtige Dinge, und ich brauche deine Hilfe.’

,Meine Hilfe?’

,Ja, Mama, ich brauche nämlich eine Frau.’

,Eine Frau? Das dürfte doch wohl nicht dein Ernst sein!’

,Doch, Mama, es ist mein heiliger Ernst.’

,Aber du hast doch immer gesagt, daß du nie heiraten willst, und wir wissen, daß es die Schuld dieser - dieser Frau ist, die dein Leben ruiniert hat.’

,Mama, lassen wir jetzt Lady Trenton aus dem Spiel.’

,Ist die Affäre endlich vorbei?’ hat Mama gefragt.

,Ich habe nicht die Absicht, über meine privaten Dinge zu reden, Mama. Wir haben vor drei Jahren des langen und des breiten darüber gesprochen, und du und Papa, ihr habt mir eindeutig zu verstehen gegeben, daß ihr mich hier bei euch nicht zu sehen wünscht, solange die Affäre, wie du dich ausdrückst, anhält.’

,Das war Papas Wunsch, nicht meiner’, hat Mama schnell gesagt. ,Du weißt, wie sehr ich dich liebe und daß ich nur dein Glück will.’

,Wenn du mein Glück willst, dann hilf mir jetzt, eine Frau zu finden. Ich muß mich auf der Stelle verloben.’

,Ich freue mich natürlich, wenn du heiraten willst, William, aber warum soll ich dir denn eine Frau suchen? Meinst du nicht, das solltest du selbst tun?’

William stapfte im Zimmer auf und ab.

,Ich will ehrlich sein, Mama’, hat er nach einer Weile gesagt. ,Ich kenne keine jungen Mädchen, denn ich bin in den vergangenen drei Jahren nicht in Kreisen verkehrt, wo man sie kennenlernt. Meine Freunde sind samt und sonders verheiratet, und die ledigen Frauen, die ich kenne, passen nicht in die Rolle der Frau eines zukünftigen Botschafters.’

,William!’ hat Mama aufgeregt gerufen. ,Soll das heißen, daß du Chancen hast, Botschafter zu werden?’

,Nicht nur Chancen, Mama, sondern die Gewißheit. Deshalb brauche ich ja so dringend eine Frau und muß wenigstens verlobt nach Paris zurückkommen.’

,Das mußt du mir genauer erklären, William.’

,Du weißt doch, Mama, daß ich mich zusammen mit Sir Heatherington Houghton für die Wiedereinführung der Unabhängigkeit des Fürstentums Vallon eingesetzt habe. Sir Heatherington war vor der Besetzung durch die Deutschen und der darauffolgenden Annektierung Frankreichs Botschafter in Vallon. Wir sind immer wieder, und das mit Nachdruck, bei der französischen Regierung vorstellig geworden, aber man blieb unnachgiebig. Vor einem Jahr wurde dann ein neuer Präsident gewählt, und dieser Mann, ein Monsieur Jules Grevy, hat sich unserer Sache erstaunlich aufgeschlossen gezeigt. In der kommenden Woche bekommt Vallon die Unabhängigkeit zurück und wird offiziell wieder zum selbständigen Herzogtum erklärt.’

,Das ist ja phantastisch, William!’ hat Mama gerufen. ,Du bist sicher sehr stolz auf euren Erfolg.’

,Mehr als das, Mama. Sir Heatherington möchte sich zur Ruhe setzen. Er wird bald siebzig, und es ist nicht verwunderlich, daß er sein Amt niederlegen will. Er hat mich beim Auswärtigen Amt als seinen Nachfolger vorgeschlagen.’

,William! Dann bist du Botschafter!’

,Der jüngste Botschafter in ganz Europa, Mama, und du weißt, was das bedeutet. Vallon ist das Sprungbrett, dann kommen Wien, Rom und Paris. Du kannst stolz auf mich sein.’

 

,Das bin ich auch, mein Sohn - mehr, als ich beschreiben kann.’

,Aber Mama, ein Botschafter muß verheiratet sein. Wenigstens, was Vallon anbelangt. Das Auswärtige Amt schickt nur einen verheirateten Mann in ein Land, das seine Verfassung und Gesellschaftsordnung erst wieder aufbauen muß.’

Mama hat eine Hand an die Stirn gelegt.

,Aber William’, hat sie gestöhnt, ,wo soll ich denn so schnell eine Braut für dich herbekommen?’

,Das ist noch nicht alles, Mama. Ich muß dir noch erzählen, Sir Heatherington hat den Ministerrat von Vallon und sogar den Prinzen selbst wiederholt darauf aufmerksam gemacht, daß es nach all den Bemühungen Großbritanniens und den bevorstehenden Handelsverträgen mit unserem Land angebracht wäre, wenn der Prinz eine Engländerin zur Frau nehmen würde.’

,Eine Engländerin!’ hat Mama gerufen und die Hände zusammengeschlagen.

,Ja, eine Engländerin’, hat William wiederholt. ,Du wirst dich daran erinnern, Mama, daß Sir Heatherington bei seinem letzten Besuch in London Clementine kennengelernt hat. Er war sehr angetan von ihrer Schönheit und hat vorgeschlagen, daß der Cousin des Prinzen, ein Duc d’Abencom, mit dir und Papa über eine eventuelle Heirat Clementines mit dem Prinzen verhandeln soll.’

,Mein Gott, William!’ hat Mama gerufen, ,das wäre ja phantastisch. Clementine so zu verheiraten, davon habe ich immer geträumt!’

,Wenn dein Traum in Erfüllung gehen soll, Mama, dann mußt du nur allem, was der Cousin des Prinzen vorschlägt, beipflichten, und so schnell wie möglich mit Clementine nach Paris reisen.’

,Aber etwas Zeit zum Überlegen muß man uns schon lassen, William.’

,Da darf nicht lange überlegt werden, Mama. Sobald öffentlich bekanntgegeben wird, daß Vallon die Unabhängigkeit wiedererlangt hat, bieten alle Königshäuser Europas ihre heiratsfähigen Töchter an. Und was mich anbelangt, Mama, so muß ich eine Frau auftreiben und morgen oder spätestens übermorgen wenigstens verlobt nach Paris zurückkehren.’

,Aber mein lieber William, das ist doch einfach unmöglich’, hat Mama völlig verzweifelt gesagt. ,Laß mich nachdenken. Da ist die Älteste von den Somerton-Töchtern, aber du weißt so gut wie ich, daß sich Lord Somerton nie auf eine so überstürzte Angelegenheit einlassen würde. Er ist sehr konventionell, besonders, was seine Töchter anbelangt.’

,Ich glaube, ich kenne das Mädchen, von dem du sprichst, Mama. Die ist doch mindestens dreißig und hat ein Gesicht wie ein Pferd - was nicht weiter erstaunlich ist, denn sie denkt bloß ans Reiten und Jagen. Die würde ich nie nehmen. Nicht für Geld und gute Worte.’

,Dann gibt es noch die Tochter von Lord Loveday, aber das Mädchen ist noch nicht in die Gesellschaft eingeführt, und von der Schulbank weg kannst du sie schlecht heiraten.’

,Bitte, Mama!’ hat William gerufen, ,zähl mir nicht auf, wen ich nicht heiraten kann, sondern überleg dir, was es für Möglichkeiten gibt.’

,Du brauchst jemand, der standesgemäß ist. Ein Mädchen, dessen du dich nicht schämen mußt. Mir fällt aber beim besten Willen niemand ein, der Rang und Namen hat und es zulassen würde, daß seine Tochter jemand heiratet, den sie noch nie im Leben gesehen hat und dessen Namen sie bloß aus dem Gesellschaftsklatsch kennt.’

,Soll das wieder eine Anspielung auf Lady Trenton sein, Mama?’ hat William gefragt und dabei gestöhnt. ,Die Sache ist seit sechs Monaten vorbei - du kannst es mir glauben.’

,Da bin ich aber froh, William.’

,Das habe ich mir gedacht. Aber zurück zur Liste der Mädchen, die in Frage kommen.’

,Ich weiß beim besten Willen. ..’ Und dann hat Mama gestockt und plötzlich einen ganz undamenhaften kleinen Pfiff ausgestoßen. ,Das ist natürlich nicht die Ideal-Lösung, aber sie kommt wenigstens aus einer guten Familie.’

,An wen denkst du, Mama?’ hat William gefragt.

,An Margret! An deine Cousine Margret, die Tochter der armen Evelyn. Sie ist neunzehn und hat sich recht hübsch herausgewachsen. Evelyn verwöhnt ihre Kinder zwar auf die absonderlichste Weise, aber Margret ist wenigstens gut erzogen - und sogar ziemlich gebildet. Sie spricht mehrere Sprachen, was für die Frau eines Botschafters nur von Vorteil sein kann.’

,Ich erinnere mich an sie’, hat William gesagt. ,Wenn du sonst niemand weißt, dann eben diese Margret. Vielleicht ist es gar nicht schlecht, jemand zu heiraten, der einem dankbar sein muß. Dann bekommt man wenigstens nicht dauernd seinen Lebenswandel von früher vorgeworfen.’

,Das würde doch kein Mädchen wagen!’ hat Mama indigniert gerufen.

,Sobald ich Papa begrüßt habe, fahre ich ins Pfarrhaus. Dann kann ich wenigstens gleich wieder abreisen, und du bringst Margret dann mit nach Paris.’

Er hat Mama geküßt, ist aus dem Zimmer gegangen und hat die Tür hinter sich zugemacht.“

Cicely holte tief Luft.

„So, Margret, sagte sie. „Jetzt weißt du alles.“

Margret nickte.

„Ja“, entgegnete sie. „Jetzt weiß ich alles.“

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