Im Garten der Liebe

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Sie trug ihn vorsichtig durch den Raum und setzte ihn behutsam in einen selbstgebastelten Käfig.

»Bald wirst du wieder gesund sein«, sagte sie mit sanfter Stimme, als handle es sich um ein kleines Kind. »In ein paar Tagen darfst du wieder zu deiner Mutter zurück.«

Sie schloß die Käfigtür, die aus einem Drahtgeflecht bestand. Dann wandte sich ihrem Besucher zu, und er las einen Ausdruck des Erstaunens in ihren großen Augen, die das ganze Antlitz zu beherrschen schienen.

Sie war blutjung und bildhübsch, besser gesagt, liebreizend auf eine Weise, wie er es noch nie bei einem jungen Mädchen bemerkt hatte. Sie hatte etwas Zerbrechliches, fast Ätherisches an sich. Ihre leicht schrägstehenden Augen verliehen ihr etwas Elfenhaftes, und ihre Lippen verstärkten diesen Eindruck.

Unter der großen Gärtnerschürze, die sie jetzt abnahm, kam ein schlichtes Baumwollkleid zum Vorschein. Es schmiegte sich eng an ihren Körper an und ließ sie noch zierlicher und noch jünger erscheinen als zuvor.

Dann hörte er sie sagen: »Ich . . . bitte um Verzeihung ... ich wußte ja nicht ... ich nahm an, Ihr wärt jemand aus dem Dorf.«

»Sie sind Miss Linton?« Der Herzog glaubte immer noch an einen Irrtum.

Dieses reizende Geschöpf konnte unmöglich die Tochter des verstorbenen Vikars sein.

»Ja, ich bin Selma Linton«, antwortete das Mädchen, »und ich weiß, daß Ihr der Herzog seid.«

Und als sei ihr plötzlich eingefallen, was das bedeutete, versank sie in einen anmutigen kleinen Knicks.

»Ich glaube nicht, daß wir uns schon einmal begegnet sind«, sagte der Herzog und trat näher.

»Ich habe Euch auf der Jagd gesehen und Eure Pferde bewundert. Manchmal bittet Hobson mich um einen Rat, wenn eines erkrankt ist.«

Der Herzog starrte sie ungläubig an. Hobson war sein Stallmeister, und er konnte einfach nicht glauben, daß ausgerechnet dieser resolute Mann den Rat einer jungen Frau einholte. Der Herzog fühlte sich von seinem Angestellten getäuscht, und das erregte seinen Unwillen.

»Man hat mich davon unterrichtet, daß ich Ihnen ein Häuschen im Dorf zur Verfügung stellen soll«, kam er kühl zur Sache.

Selma Linton schwieg einen Augenblick, dann sagte sie: »Würden Euer Gnaden sich bitte ins Wohnzimmer bemühen. Dieser Raum dient nur der Pflege kranker Vögel und anderer Kleintiere, und ich fürchte, es gibt keine Sitzgelegenheit.«

Der Herzog sah sich um. In einem der Käfige, der aus einer Holzkiste gefertigt war, entdeckte er einen winzigen Welpen. In einem anderen zwei Kätzchen und in einem dritten ein Rotkehlchen mit geschientem Bein.

»Sind das alles Ihre Schützlinge? «fragte er.

»Sobald sie gesund sind, gehen sie an ihren Besitzer zurück oder werden freigelassen.« Der Herzog spürte, daß Selma nicht über ihre Heilkräfte reden wollte.

Sie ging schon voraus, und er folgte ihr ins Wohnzimmer.

Wieder nahm er Blütenduft wahr.

»Wollen Euer Gnaden bitte Platz nehmen?« Selma wies auf einen Armsessel vor dem Kamin. »Ich fürchte, die einzige Erfrischung, die ich Euch anbieten kann, ist ein Glas Rotwein, den Papa zu Weihnachten geschenkt bekommen hat und der vermutlich keine besonders edle Sorte ist. Oder eine Tasse Tee?«

»Vielen Dank, nicht nötig«, erwiderte der Herzog. »Ich bin gekommen, um mit Ihnen zu reden, Miss Linton.«

Selma nahm auf dem Stuhl ihm gegenüber Platz und faltete die Hände im Schoß. Sie war sehr anmutig, stellte der Herzog bei sich fest, und das verwirrte ihn noch immer.

Er überlegte sich sorgfältig jedes Wort, das er nun an sie richtete: »Mir wurde gesagt, Miss Linton, daß Sie den Ruf genießen, die Leute im Dorf erfolgreich mit Heilkräutern zu behandeln.« Er hielt einen Augenblick inne und fuhr fort: »Mir kam auch zu Ohren, Sie behandelten sogar Knochenbrüche oder - wie im Falle des Schwanes - gebrochene Flügel.«

Selma stieß ein leises Kichern aus, das sehr jugendlich und hübsch klang.

»So ausgedrückt, hört sich das reichlich übertrieben an.« Lächelnd fuhr sie fort: »Meine Mutter hat mir alles beigebracht, was ich darüber weiß, und ich bin Euer Gnaden außerordentlich dankbar dafür, daß mir Zugang zum Kräutergarten beim Taubenschlag gewährt wurde.«

Damit waren sie sehr schnell beim eigentlichen Thema angelangt. Der Herzog hatte gar nicht die Absicht gehabt, den Taubenschlag so direkt zu erwähnen.

Um Zeit zu gewinnen, sah er sich im Wohnzimmer um und fragte: »Das alles hier, die Möbel und die Bilder, gehört vermutlich Ihnen?«

»Das Pfarrhaus war unmöbliert, als Papa und Mama vor fünfzehn Jahren hier einzogen.« Selmas Stimme klang weich und versonnen, als sie fortfuhr: »Sie liebten alles, was alt und schön war, und es dauerte ziemlich lange, bis das Haus vollständig nach ihrem Geschmack eingerichtet war.«

Dem Herzog fiel auf, daß die Möbel im Wohnzimmer von erlesener Schönheit waren. Vermutlich war keines der Stücke sehr teuer gewesen, aber die Lintons hatten offensichtlich einen sicheren Geschmack und einen geschulten Blick für Antiquitäten gehabt, bei der Nußbaumkommode mit Intarsien im Queen-Anne-Stil, zum Beispiel, und dem georgianischen Tisch mit dem Regency-Stuhl davor. Im Laufe der Jahre hatten sie zweifellos Möbelstücke erworben, die er selbst gerne besessen hätte.

Selma war seinem Blick gefolgt und erklärte: »Mama kannte sich in Stilmöbeln aus und Papa in Büchern und Gemälden. Ihr könnt Euch daher vorstellen, wie glücklich ich mich schätze, daß sie mir diese Kostbarkeiten hinterlassen haben.«

Der Klang ihrer Stimme verriet ihm mehr als Worte, wie schmerzlich sie ihre Eltern vermißte. Er rechnete es ihr hoch an, daß sie dennoch keinen Versuch unternahm, damit sein Mitleid zu erregen.

Aber die Gefühle, die sie bewegten, waren deutlich in ihren ausdrucksvollen Augen zu lesen.

»Man sagte mir«, bemerkte er unvermittelt, »Sie betrachteten sich als ,weiße Hexe‘.«

Wieder lachte Selma belustigt.

»Ich betrachte mich als nichts dergleichen, Euer Gnaden. Die Leute betrachten so manches, das dem gesunden Menschenverstand entspringt, als Zauberei, weil das ihrer Wundergläubigkeit entgegenkommt, aber wenn es sie glücklich macht, schadet das doch keinem, meine ich.« Sie sah ihn unsicher an, bevor sie hinzufügte: »Ihr müßt wissen, daß der Glaube der Leute, das eine oder andere Mittel werde ihnen guttun, schon der erste Schritt zu ihrer Genesung ist.«

»Mit anderen Worten: Sie bringen die Leute dazu, an etwas Übernatürliches zu glauben?«

»Ich tue nichts dergleichen«, verwahrte sich Selma gegen diese Unterstellung. »Was die meisten Menschen dringend benötigen, sind Hoffnung und Glaube. Wenn ich ihnen Hoffnung geben kann und sie glauben, es käme von einer höheren Macht, die stärker ist, als meine bescheidenen Kräfte jemals sein können, dann kommt das der Wahrheit doch sehr nahe.«

Sie hielt inne, ahnte seinen Widerspruch und fuhr dann fort: »Papa glaubte daran, daß Gott uns die heilkräftigen Pflanzen geschenkt habe, und wenn die Menschen der Überzeugung sind, die Heilkräuter, die ich ihnen gebe, seien Gottes Schöpfung, dann ergibt das doch einen höheren Sinn.«

Die Art, wie sie das vorbrachte, reizte ihn, ihr zu widersprechen: »Ich glaube, Miss Linton, Sie verstehen es sehr geschickt, die Leute zu täuschen, indem Sie ganz gewöhnlichen Pflanzen irgendwelche Zauberkräfte andichten.«

»Heilpflanzen wurden von Gott geschaffen, Euer Gnaden, um den Menschen mit ihren natürlichen Kräften zu helfen. Das und nichts anderes bemühe ich mich zu tun.«

Der Herzog war verblüfft. Noch nie war ihm ein junges Mädchen begegnet, das so unbefangen und deutlich seine Meinung kundzutun vermochte und dabei weder Scheu noch irgendwelche Hemmungen verriet.

»So habe ich es bisher allerdings nie betrachtet«, erwiderte er schließlich, »doch, wenn es das ist, woran Sie glauben, kann man unter den gegebenen Umständen wohl nichts dagegen einwenden.«

»Danke, Euer Gnaden«, entgegnete Selma, »und so möchte ich . . . der Hoffnung Ausdruck verleihen, hierbleiben zu dürfen.«

»Wenn es stimmt, daß es ein glückliches Dorf ist«, wandte der Herzog ein, »dann ist das zum Teil wohl auch ein Verdienst des Landesherrn, dem die Leute ihre hübschen Häuser verdanken.«

Sie zwinkerte mit den Augen, als belustige sie sein Einwurf.

»Wir sind Euer Gnaden zu großem Dank verpflichtet«, sagte sie dann, und wieder stellte er bei sich fest, daß sie die erstaunlichste junge Frau war, die ihm jemals im Leben begegnet war. Als spüre sie, daß ihre freimütige Art ihm zu denken gab, beugte sie sich plötzlich auf ihrem Stuhl vor.

»Bitte . . . Euer- Gnaden«, sagte sie in völlig verändertem, flehendem Ton, »laßt mich hierbleiben . . . ich . . . ich weiß sonst nicht, wohin ich gehen soll . . . und . . . und hier fühle ich mich Papa und Mama am nächsten.«

Ihre ausdrucksvollen Augen verrieten dem Herzog, daß ihre Bitte aus dem Herzen kam.

Er erhob sich.

»Ich werde Ihnen sagen, was ich vorhabe, Miss Linton«, erklärte er ihr dann. »Ich werde Sie morgen früh in meinem Phaeton durchs Dorf fahren und nach einer geeigneten Unterkunft für Sie Ausschau halten.« Er sah sich im Zimmer um. »Vermutlich werden nicht all Ihre Möbel in ein kleineres Haus passen.«

»Ich könnte ... sie irgendwo unterstellen.«

Der Herzog begab sich zur Tür und spürte, daß sie in diesem Augenblick das gleiche dachten: Wenn ihr der Taubenschlag überlassen wurde, dann würde sie keine Schwierigkeiten haben, ihre hübschen Möbel unterzubringen. Doch für ihn war das indiskutabel.

»Um elf Uhr hole ich Sie morgen ab, Miss Linton, wenn es Ihnen recht ist.«

»Ich werde bereit sein, Euer Gnaden.«

Selma knickste.

 

Der Herzog begab sich in den Pfarrhof, band sein Pferd los und schwang sich in den Sattel. Er lüftete seinen Reitzylinder, als er an der Haustür vorbeiritt und Selma dort stehen sah. Sie bot vor der stilvollen alten Veranda im Hintergrund einen bezaubernden Anblick.

Unterwegs versuchte der Herzog sich einzureden, das Ganze sei einfach lächerlich. Wie konnte Watson die maßlos übertriebene Behauptung aufstellen, daß dieses blutjunge Mädchen mit seinen Kräutern Kranke heilen konnte? Er hatte das unbehagliche Gefühl, der ganzen Angelegenheit nicht gewachsen zu sein, und das machte ihn wütend.

Unwillkürlich gab er seinem Hengst die Sporen, um schneller, als eigentlich beabsichtigt, wieder zu Hause zu sein, wo ihn Sicherheit und Vernunft umgaben.

2

Nach dem Frühstück am folgenden Morgen ließ er Mr. Hunter, den Verwalter seiner Häuser und Ländereien, zu sich kommen.

Der Mann stammte aus der Gegend und hatte schon unter seinem Vater gedient. Mit Mortlyn verband ihn eine tiefe Zuneigung. Zudem war er ein hervorragender Reiter, dem der Herzog selbst seine edelsten Rassepferde anvertraute - ein Privileg, das sonst nur dem Stallmeister vorbehalten war.

Mr. Hunter betrat in respektvoller Haltung die Bibliothek, wo der Herzog seine Morgenzeitungen las.

»Guten Morgen, Hunter.«

»Guten Morgen, Euer Gnaden.«

»Ich habe mir für heute eine Besichtigung der verfügbaren Unterkünfte im Dorf vorgenommen, die für Miss Linton in Frage kämen«, erklärte der Herzog, und ihm entging nicht, daß Hunter ihn besorgt und beunruhigt ansah.

Trotzdem fuhr er ungerührt fort: »Es ist natürlich völlig ausgeschlossen, ihr den Taubenschlag zu überlassen, und ich muß mich sehr wundern, daß Sie überhaupt einen solchen Vorschlag gemacht haben.«

Ein unbehagliches Schweigen breitete sich aus, dann ließ Mr. Hunter sich vernehmen: »Euer Gnaden müssen wissen, daß es uns im Augenblick an angemessenen Unterkünften für Miss Linton mangelt. Wir haben keine große Auswahl.«

»Was heißt denn hier angemessen? Wir sind doch in keiner Weise verpflichtet, der Familie eines aus dem Amt geschiedenen Vikars Unterkunft zu gewähren!«

»Dessen bin ich mir durchaus bewußt, Euer Gnaden.«

Da der Verwalter offenbar nichts mehr dazu sagen wollte, erhob sich der Herzog.

»Das wär’s dann, Hunter. Machen Sie mir eine Liste der verfügbaren Häuser. Ich habe Miss Linton versprochen, diese zu besichtigen, und lasse Sie später dann meine Entscheidung wissen.«

Mr. Hunter zog einen Zettel aus der Rocktasche, übergab ihn dem Herzog und entfernte sich dann mit einer respektvollen Verbeugung. Erst als der Verwalter gegangen war, kamen dem Herzog Bedenken, daß er den Mann zu hart angefaßt haben könnte. Hunter war ein ungemein tüchtiger Angestellter, dessen Arbeit noch nie zu Kritik Anlaß gegeben hatte. Umso mehr hatte es den Herzog befremdet, daß ausgerechnet er den Taubenschlag, diesen zauberhaften Landsitz seiner Familie, Selma Linton zugedacht hatte. Vermutlich hat es ein hübsches junges Mädchen leicht, alle Männer für sich einzuspannen, dachte er verächtlich.

Damit wandte er sich seinem Schreibtisch zu und entdeckte auf dem Stapel der am Morgen eingegangenen Post einen Brief von Doreen Bramwell. Er konnte sich lebhaft vorstellen, daß sie ihm seine plötzliche Abreise sanft zum Vorwurf machte und zugleich den Wunsch äußerte, ihn so bald wie möglich wiederzusehen. Diese Absicht hatte er jedoch ganz und gar nicht und überlegte, wie er ihr schonend beibringen könnte, daß die Affäre zu Ende war. Warum, so fragte er sich wieder einmal, gelang es keiner schönen Frau, ihn für längere Zeit zu fesseln, denn Doreen Bramwell war da keine Ausnahme. Mißmutig nahm er den Zettel auf, den Mr. Hunter ihm hinterlassen hatte, und steckte ihn ungelesen in die Tasche.

Ein Blick auf die Uhr belehrte ihn, daß es noch zu früh war, um den Phaeton vorfahren zu lassen, und er beschloß deshalb, sich zu den Stallungen zu begeben und Hobson zu fragen, welche Fortschritte seine neuen Pferde mittlerweile gemacht hatten. Möglicherweise würde er auch das Gespann für die Kutsche gegen ein anderes austauschen.

Gedankenversunken verließ er die Bibliothek und begab sich in die Halle. In diesem Augenblick kam Oliver - wie immer mit Verspätung - die Treppe herunter.

»Guten Morgen, Onkel Wade«, sagte er. »Nicht böse sein, daß ich verschlafen habe, aber ich war todmüde und habe zum ersten Mal seit Wochen eine wirklich geruhsame Nacht verbracht.«

Der Herzog lachte.

»Ich mache dir deswegen bestimmt keinen Vorwurf. Den Grund für deinen langen Schlaf sehe ich aber eher darin, daß wir früh zu Bett gegangen sind und du nüchtern warst!«

»Jetzt hältst du mir schon wieder eine Moralpredigt!« Oliver sagte das jedoch nicht vorwurfsvoll, sondern lachend.

»Gehst du aus?« fragte er dann. »Ich hoffte, wir würden zusammen ausreiten.«

»Das holen wir nach dem Lunch nach«, erwiderte der Herzog. »Ich habe heute Vormittag eine Verabredung. Wenn du willst, lasse ich dir eines der neuen Pferde satteln, damit du deine überschüssigen Kräfte abreagieren kannst.«

»Das würde mir gefallen«, entgegnete Oliver. »Sieh zu, daß du bald zurück bist.«

Damit begab er sich zum Frühstückszimmer.

Der Herzog verließ das Haus durch die Hintertür und überquerte den gepflasterten Hof, der den Stallungen vorgelagert war. Dabei beschloß er, spätestens nach dem Dinner mit Oliver ein ernstes Wort über seine Zukunft zu reden.

Hobson, der Stallmeister, hatte ihm eine Menge über die neuen Pferde zu berichten, so daß es nach zehn Uhr war, als der Herzog seinen Phaeton bestieg.

Die Kutsche wurde von zwei Rappen mit Araberblut in den Adern gezogen, die ihn ein kleines Vermögen gekostet hatten. Da er bis zum Pfarrhaus weniger als zehn Minuten brauchen würde und nicht zu früh kommen wollte, machte er einen Umweg über die Felder, auf denen bereits die Saat grünte. Mühelos lenkte er das Gespann durch ein Wäldchen, in dem es reichlich Wild für die im Herbst stattfindenden Jagden gab, dann an einem kleinen Bach entlang, in dem sich zahlreiche Forellen tummelten. Sicher würde es Spaß machen, Oliver eines Tages zum Angeln mitzunehmen, und der Herzog erinnerte sich, bereits als achtjähriger Junge seine erste Forelle gefangen zu haben.

Auf der Fahrt durch seine Ländereien wurden Erinnerungen an seine Kindheit wach, an seine Mutter, die ihrem Gatten und ihren Kindern all ihre Liebe geschenkt hatte. Nie wäre sie zu einem Treuebruch fähig gewesen wie die Frauen, mit denen er sich in London eingelassen hatte. Er gestand sich ehrlich ein, daß er sie im Grunde seines Herzens verachtete, weil sie ihre Ehemänner mit ihm hintergingen.

Doch er mochte jetzt nicht mehr an London denken, sondern wollte sich an der herrlichen Fahrt durch die von Blütenduft und Vogelgezwitscher erfüllte Landschaft erfreuen.

Punkt elf Uhr zügelte er das Gespann vor der Haustür des Pfarrhauses. Es überraschte ihn nicht, daß Selma bereits auf ihn wartete. Zweifellos fand sie es aufregend, neben ihm in seinem Phaeton durchs Dorf fahren zu dürfen. Außerdem hätte Unpünktlichkeit nicht zu ihr gepaßt, im Gegensatz zu den meisten Frauen, die er bisher zu einer Ausfahrt eingeladen hatte.

Sie eilte die Stufen hinab und kletterte ohne Hilfe in den Phaeton. Dabei bewegte sie sich so anmutig, als trüge sie Flügel, und sah in dem blaßblauen, schlichten Baumwollgewand sehr hübsch aus. Sie trug einen winzigen Strohhut, der sich auf ihrem hellen Haar über dem schmalen Gesicht wie ein Heiligenschein ausnahm.

Während er sie verstohlen betrachtete, verglich er sie erneut mit einer Elfe oder Fee aus den Märchen seiner Kindheit. Dann schalt er sich töricht, so viel in diese Pfarrerstochter hineinzulegen, die er erst seit wenigen Stunden kannte.

Auf der Fahrt zum Dorf zog er den Zettel aus seiner Rocktasche, den Mr. Hunter ihm übergeben hatte, und händigte ihn Selma aus.

»Darauf sind die Häuser vermerkt, die verfügbar sind«, sagte er dazu. »Erklären Sie mir, wie ich fahren muß, denn alle kenne ich sicher nicht.«

Selma nahm den Zettel entgegen, ohne einen Blick darauf zu werfen.

»Erst möchte ich Euer Gnaden danken, daß Ihr mich in Eurem Phaeton mitfahren laßt«, sagte sie.

»Geht damit ein Wunsch für Sie in Erfüllung?« fragte der Herzog.

»Gewiß«, erwiderte sie lebhaft. »Immer, wenn ich eines Eurer herrlichen Pferde gesehen habe, bin ich im Traum darauf geritten.«

Sie lachte verlegen über ihre Schwärmerei.

Im Gegensatz zu anderen Frau legte sie es aber nicht darauf an, ihm eine Einladung zu entlocken, seine Stallungen zu besichtigen, das spürte er deutlich.

»Nachdem nun einer Ihrer Wunschträume in Erfüllung gegangen ist, sollten Sie mir vielleicht verraten, wohin die Fahrt geht«, bemerkte er trocken.

Selma warf einen Blick auf den Zettel, dann war es lange still, bis sie mit merkwürdig klingender Stimme leise sagte: »Es steht nur eine Adresse darauf.«

»Nur eine?« wiederholte der Herzog verdutzt. »Aber ich habe Hunter doch beauftragt, mir die Namen aller verfügbaren Siedlungshäuser aufzuschreiben!«

»Genau das hat Mr. Hunter auch getan, Euer Gnaden.«

»Tatsächlich? Und wo ist es?«

»Am anderen Ende des Dorfes. Die Hütte wird die ,düstere Kate‘ genannt und steht seit vielen Jahren leer.«

»Warum denn das?«

Wieder schwieg Selma eine Weile, bis sie stockend erklärte: »Vor über hundert Jahren wurde darin ein Mord verübt, und seitdem meiden die Leute diesen Ort.«

Der Herzog sah sie entgeistert an.

»Wollen Sie damit sagen, die Hütte sei verfallen?«

»Euer Gnaden sollten sich selbst davon überzeugen.«

»Warum hat Hunter mir das nicht gesagt?« brummte er vor sich hin, dann glaubte er die Erklärung dafür gefunden zu haben: Hunter wollte unbedingt erreichen, daß Miss Linton im Taubenschlag einquartiert wurde. Das bestärkte den Herzog nur noch mehr in seinem Vorsatz, den Taubenschlag um jeden Preis leerstehen zu lassen.

Sie fuhren durch das blitzsaubere Dorf mit seinen strohüberdachten Hütten und den bunten Blumen in den kleinen Vorgärten. Es ist wirklich ein Musterort, dachte der Herzog nicht ohne Stolz. Die Dorfbewohner, an denen sie vorüberfuhren, starrten zunächst verblüfft auf die neben ihm sitzende Selma, doch dann winkten sie freundlich.

Ihm war klar, daß sie das nicht getan hätten, wenn er allein gewesen wäre.

Schließlich führte der Weg eine Viertelmeile bergan durch unbesiedeltes Gebiet. Ein Stück abseits der Landstraße tauchten schließlich ein völlig verwilderter und mit Unkraut überwucherter Garten und die »düstere Kate« auf. Das Dach war eingestürzt, die Fenster waren ohne Scheiben. Allein in die Nähe zu treten war gefährlich, dachte der Herzog.

»Ich nehme an«, sagte er laut zu Selma, »Hunter hat sich einen üblen Scherz mit uns erlaubt.«

»Bitte, zürnt ihm nicht«, flehte Selma ihn an. »Ihr habt ihn beauftragt, Euch die Namen der leeren Hütten im Dorf aufzuschreiben, und das hier war wirklich die einzige, die er Euch nennen konnte.«

Sie bedachte ihn mit dem Anflug eines Lächelns und fügte dann erklärend hinzu: »Alle wollen in Klein-Mortlyn wohnen.«

»Weshalb?« fragte der Herzog.

»Ohne Euer Gnaden schmeicheln zu wollen«, erwiderte Selma, »Ihr seid als sehr gütiger Herr bekannt, und als Mama und Papa noch lebten, waren wir hier eine einzige große Familie.«

»Das war einmal«, sagte der Herzog. »Wenn Sie aber weiterhin hierbleiben wollen, muß jemand gefunden werden, an den Sie sich wenden können, der Sie bei sich aufnehmen würde.«

Selma schwieg, und der Herzog fuhr fort: »Wo lebt die Familie Ihrer Mutter? Es wird doch wohl einen Verwandten geben, der Ihnen Obdach gewähren würde.«

Das klang ziemlich schroff und unfreundlich, aber andererseits wollte er sich weder von Hunter noch von Watson oder sonst jemandem dazu beschwatzen lassen, Miss Linton den Taubenschlag anzuweisen. Das Ganze ist einfach lächerlich, versuchte er sich einzureden. Ich bin nicht für dieses Mädchen verantwortlich.

Sie überlegte offensichtlich, wie sie ihm seine Frage beantworten sollte, und sagte nach langem Zögern: »Es ist . . . ziemlich schwierig. Mein Großvater lebt im Norden Schottlands ... er ist schon sehr alt. Als Mama heiratete, war mein Urgroßvater väterlicherseits sehr . . .verärgert.«

»Welchen Grund hatte er?«

»Papa war schottischer Abstammung, und Euer Gnaden waren oft genug in Schottland, um zu wissen, daß viele Schotten die Engländer hassen.«

 

Der Herzog konnte ihr da nicht widersprechen.

»Wie lautet der Name Ihres Großvaters?«

»Lord Nabor, er ist das Oberhaupt des McNabor-Clans.«

»Und Sie befürchten, Ihr Großvater würde Sie nicht bei sich aufnehmen, weil Sie englisches Blut in den Adern haben?«

Selma preßte die Hände zusammen.

»Bitte, Euer Gnaden ... ich möchte nicht in Schottland leben . . ., sondern hier bei diesen Menschen bleiben, die mir vertraut sind.« Als, der Herzog nichts erwiderte, fuhr sie wie im Selbstgespräch fort: »Sie lieben mich . . . das weiß ich genau, und sie würden mich sehr vermissen, wenn . . ., wenn ich sie verlassen würde.«

»Das soll doch nur heißen«, entgegnete er mit ungewohnter Schärfe, »daß man Ihre Kräuter vermissen würde, denen Sie eine Zauberwirkung angedichtet haben.«

Selma schwieg, und er hatte plötzlich das unbehagliche Gefühl, ein zartes, verletzliches Wesen zutiefst getroffen zu haben. Er zügelte das Gespann.

»Nachdem so viel von den Kräutern und dem Garten die Rede war«, sagte er und konnte nicht verhindern, daß seine Stimme gereizt klang, »sollten wir hinfahren und ihn uns ansehen.«

Auf der Rückfahrt ins Dorf schwiegen sie beide, und er spürte bereits, daß Selma mit den Tränen kämpfte. Typisch Frau, dachte er wütend. Wenn es nicht nach ihrem Willen geht, weinen sie und hoffen, die Männer damit so zu rühren, daß sie nachgeben. Nicht mit ihm! Wenn es gar nicht anders ging, würde er ihr ein Siedlungshaus bauen lassen, aber den Taubenschlag bekam sie nicht!

Die Kutsche rollte durch das weit geöffnete schmiedeeiserne Tor mit den im georgianischen Stil erbauten Parkwärterhäuschen zu beiden Seiten und erreichte nach einer halben Meile das kleine Landhaus, das von uralten Bäumen umgeben war. Der Rasen war, dem Wunsch des Herzogs gemäß, kurz geschoren und von sattem Grün. Die Buchsbaumhecken mit den Vogelfiguren darauf waren akkurat beschnitten und in gepflegtem Zustand.

Das Haus kam ihm noch hübscher vor, als er es in Erinnerung gehabt hatte. Mit den flachen, verwitterten rosa Ziegeln, den Bogenfenstern und der breiten Eingangstür war es eine Augenweide.

Ein Gärtner arbeitete vor dem Haus. Als er die Kutsche kommen hörte, richtete er sich auf und eilte herbei, um die Pferde festzuhalten. Der Herzog wollte Selma beim Aussteigen behilflich sein, doch sie war bereits leichtfüßig vom Sitz gesprungen.

»Guten Morgen, Ben«, begrüßte sie den Gärtner. »Geht’s deiner Mutter besser?«

»Sie ist munter wie ein Fisch im Wasser, und das verdankt Sie Ihnen, Miss«, erwiderte Ben.

Als der Herzog neben sie trat, sagte sie bewundernd: »Eure Pferde sind genauso rassig und edel, wie ich es mir vorgestellt habe.«

»Weil ich der Besitzer bin?« fragte der Herzog.

In London hätten alle Frauen, die er kannte, seine selbstgefällige Frage lebhaft bejaht, doch Selma verblüffte ihn wieder einmal, als sie sachlich erwiderte: »Weil man von den herzoglichen Stallungen nichts anderes erwarten würde.« Damit tätschelte sie dem einen Pferd den Hals. »Soll ich Euch jetzt den Kräutergarten zeigen?«

»Deshalb sind wir ja hier.«

Er folgte ihr durch einen bogenförmigen Durchgang in einen kleinen Garten mit einem Springbrunnen. Er war nicht angestellt, aber es mußte wunderschön aussehen, wenn das Wasser aus dem Füllhorn, das eine Amor Figur auf den Armen trug, in einer Fontäne nach oben stieg.

Daß hier alles sehr gepflegt sein würde, hatte er erwartet, aber das, was sich seinen Blicken bot, übertraf seine Erwartungen bei weitem. Jeder Zentimeter Boden war ausgenutzt, um den verschiedensten Kräutern Platz zu bieten. Er konnte der gepflegten Anlage seine Bewunderung nicht versagen.

»Ist das alles Ihr Werk?« wandte er sich an seine Begleiterin.

Selma schüttelte den Kopf.

»Nein, Mama hat die Beete angelegt und mir beigebracht, wann welche Kräuter gepflückt werden müssen und in welcher Reihenfolge die Aussaat zu erfolgen hat.«

Er schwieg beeindruckt.

»Immer, wenn ich hierher komme . . . spüre ich Mamas Nähe . . . und sie ist es auch, die mich leitet und mir eingibt, was ich tun muß.«

Der Herzog sog den würzigen Duft ein, der die Luft erfüllte und den eigenartigen Zauber, der von diesem Fleckchen Erde ausging, noch verstärkte.

Für Selma schien es eine ganz besondere Bedeutung zu haben, so als glaube sie fest daran, daß alles, was hier wuchs, zum Wohle ihrer Mitmenschen gedieh.

Um sich dem Zauber zu entziehen, der ihn gefangen hielt, bemerkte er betont sachlich: »Ich muß Ihnen meine Anerkennung aussprechen, Miss Linton. Sie haben hier ein wahres Wunder vollbracht, und jetzt verstehe ich auch, weshalb dieser Garten für Sie und das, was Sie für Ihre Berufung halten, von so unschätzbarem Wert zu sein scheint.«

Der herablassende, beinahe zynische Ton, in dem er das sagte, pflegte seine Wirkung auf seine Gesprächspartner nie zu verfehlen und sie gewöhnlich ziemlich einzuschüchtern - nicht aber Selma. Zu seiner Verblüffung wandte sie sich einfach ab und ließ ihn stehen. Zielstrebig ging sie auf den Mauerdurchgang zu, und der Herzog hatte mit einem Mal das Gefühl, von ihr für unwürdig befunden zu sein, sich länger in ihrem Heiligtum aufzuhalten, das er mit seinen profanen Worten entweiht hatte.

Es war, als wollte sie ihn so rasch wie möglich von diesem Ort entfernen. Wie konnte sie sich einen derartigen Besitzanspruch auf etwas anmaßen, das ihm gehörte? Eine Unverschämtheit!

Bevor er Selma jedoch zur Rede stellen konnte, kam es zu einem Zwischenfall, der seine volle Aufmerksamkeit beanspruchte.

Völlig außer Atem vom schnellen Lauf, tauchte Hunter im Garten auf und rief schon von weitem: »Ihr müßt sofort nach Hause kommen. Euer Gnaden . . . es ... es geht um Mr. Oliver. Als er gerade das Haus verlassen wollte, um auszureiten, fiel eine der Steinfiguren vom Dach herunter!«

Entgeistert sah der Herzog seinen völlig aufgelösten Verwalter an.

»Eine der Figuren ist vom Dach heruntergefallen? Das kann ich einfach nicht glauben!«

»Sie hätte Mr. Oliver erschlagen, wenn ihm nicht am Hauseingang eingefallen wäre, daß er seine Reitpeitsche vergessen hatte, und er im Begriff war, zurückzugehen; das hat ihm das Leben gerettet.«

»Aber er ist verletzt?«

»Die Figur erwischte ihn am Bein und hat es übel zugerichtet.«

»Haben Sie nach dem Arzt geschickt?«

»Der Doktor ist verreist, Euer Gnaden«, erwiderte Mr. Hunter, »und wird erst in einigen Tagen zurückerwartet.« Er schnappte nach Luft und fuhr dann fort: »Ich bin gekommen, um Miss Selma zu holen. Man sagte mir im Pfarrhaus, daß sie mit Ihnen ausgefahren sei, und ich vermutete sie hier.«

Er sah Selma an, die aufmerksam zugehört hatte.

»Sie werden ihm helfen«, sagte er.

Das war keine Frage, sondern eine Feststellung.

»Aber irgendwo muß es doch einen Arzt geben . . .«, wandte der Herzog ein, doch weder Selma noch Hunter hörten ihm zu.

Sie fragte ihn mit gedämpfter Stimme nach Einzelheiten der Verletzung aus, und Hunter gab ihr, noch immer atemlos, bereitwillig Auskunft.

»Er muß große Schmerzen haben und hat vermutlich eine Menge Blut verloren«, sagte Selma.

»Sie haben ihn gerade nach oben getragen, als ich los ritt«, erwiderte Mr. Hunter. »Graves rief mir zu: ,Holen Sie so schnell wie möglich Miss Selma hierher!‘, und ich machte mich sofort auf den Weg.«

»Das war sehr vernünftig von Ihnen.«

Selma lief in den Kräutergarten zurück und begann, verschiedene Kräuter von den Beeten zu pflücken.

Der Herzog wandte sich an seinen Verwalter.

»Das ist doch lächerlich«, sagte er unwillig. »Es muß doch irgendwo in der Nachbarschaft einen Doktor geben.«

»Miss Selma weiß schon, was zu tun ist, Euer Gnaden.«

Bevor der Herzog ihm widersprechen konnte, war Selma mit einem Büschel Kräuter in der Hand wieder bei ihnen und sah ihn fragend an. Es gab keinen Zweifel, daß sie erwartete, von ihm zum Herrenhaus gefahren zu werden, denn schon lief sie durch den Rosengarten auf den Phaeton zu.

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