Liebe im Wüstensand

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»Aber du liebst mich nicht«, stellte Charles bitter fest.

»Ich bin gern mit dir zusammen und kann mich mit dir über alles unterhalten«, sagte Vita, »aber das ist nicht genug, nicht wahr?«

»Nein«, erwiderte er. »Für dich ist es nicht genug und für mich wohl auch nicht.«

»Wie empfindet man, wenn man liebt, Charles?«

»Soll ich dir diese Frage wirklich beantworten?« fragte er.

»Ich frage dich als Freund.«

»Als Freund kann ich dir darauf keine Antwort geben«, erwiderte er. »Als Mann, der dich liebt, ist es Qual und höchste Wonne zugleich. Es ist ein Schmerz, der Körper und Seele durchdringt, bis man es nicht mehr zu ertragen glaubt, dann wieder erfüllt es einen mit Entzücken und trägt einen himmelwärts, so daß alles in diesem einen beseligenden Augenblick vergessen ist.«

Seine Stimme klang bewegt, und Vita entgegnete nach einem Augenblick leise: »Danke, Charles! Eines Tages möchte ich das auch erfahren.«

»Ich mag nicht daran denken, daß du so für einen anderen Mann empfinden könntest«, sagte Charles. »Doch der Gedanke, daß du gezwungen werden könntest, einen Mann zu heiraten, der deiner nicht würdig ist, ist unerträglich. Du bist dazu ausersehen; das höchste Glück auf Erden zu erfahren, Vita!«

»So empfinde ich es auch«, sagte Vita. »Das Leben sollte ein Abenteuer sein, Charles, ein aufregendes Abenteuer, das sich nicht darin erschöpft, in einen goldenen Käfig eingesperrt und mit Diamanten überschüttet zu werden, um den Freiheitsdrang zu ersticken.«

»Du mußt von jetzt an sehr vorsichtig sein bei allem, was du sagst und tust«, warnte Charles. »Das wichtigste ist, Zeit zu gewinnen.«

»Warum?« fragte Vita.

»Weil es zu spät ist, wenn du erst einmal verheiratet bist«, erwiderte Charles.. »Dir mag ja eine lange Verlobungszeit recht sein, aber ich fürchte, Lord Bantham wird weniger geduldig sein.«

»Wie kommst du darauf?«

»Weil jeder Mann, der dich besitzen möchte, ständig in Furcht leben würde, dich zu verlieren«, sagte Charles weise. »Er wäre blind oder taub, würde er nicht erkennen, daß jeder Mann, der dir begegnet, sich in dich verlieben muß und du dich jederzeit für einen anderen entscheiden, ihm den Vorzug geben könntest.«

»Mir wäre jeder andere lieber als er!« erklärte Vita.

»Vermutlich ist er viel zu sehr von sich selbst überzeugt, um eine solche Möglichkeit überhaupt in Betracht zu ziehen«, überlegte Charles. »Andererseits könnte er aber auch keinen Aufschub dulden und sich die Zustimmung deines Vaters sichern.«

»Du meinst, Papa könnte Verdacht schöpfen, daß ich weglaufen will, wenn er erfahren würde, wie groß mein Widerwille gegen eine Ehe mit Lord Bantham ist?«

»Gib dir keine Blöße, Vita«, warnte Charles sie eindringlich. »Der General ist ein scharfsinniger, verdammt kluger Mann. Mein Vater hat immer großen Respekt vor ihm gehabt und mir erzählt, was für ein überragender Befehlshaber er war. Seine Leute wären ihm überallhin gefolgt.«

»Davon bin ich überzeugt«, erwiderte Vita.

»Gleichzeitig«, fuhr Charles fort, »war er aber auch als autoritär verschrien. Er bestand darauf, daß seine Befehle bedingungslos ausgeführt wurden. Ich fürchte, er hat sich in dieser Beziehung nicht geändert.«

»Du hast recht, Charles«, pflichtete Vita ihm bei, »und das nur, weil er glaubt, es wäre zu meinem Besten. Mein Gott, wie ich diese Redensart hasse!« »Vielleicht stimmt das wirklich, und ich habe unrecht«, murmelte Charles.

»Das sagst du - nach allem, was du mir über die Liebe erzählt hast?« rief Vita empört. »Du kannst jetzt keinen Rückzieher mehr machen, nachdem du mich zum Widerstand angestachelt hast. Du mußt jetzt auch für die Folgen einstehen.«

»Tu nichts Unüberlegtes, Vita!« warnte Charles sie besorgt. Er wußte, wie impulsiv sie war und daß sie ebenso starrköpfig sein konnte wie ihr Vater.

»Mir muß etwas einfallen, wie ich dem Ganzen entgehen kann«, sagte Vita verzweifelt. »Hilf mir, Charles! Was soll ich tun? Wie soll ich es anstellen? Wie kann ich Zeit gewinnen?«

Eine Weile ritten sie schweigend nebeneinander her, dann fragte Charles: »Hast du keine Verwandten, die du einweihen könntest? Ich meine nicht solche, die in der Nähe wohnen, sondern jemanden, der in Schottland oder Frankreich lebt. Was ist mit deinem Vetter Bevil?»

»Er ist auf dem Weg nach Mexiko«, erwiderte Vita, »und hat England nur einen kurzen Besuch abgestattet. Das wäre also hoffnungslos!«

Sie stieß plötzlich einen freudigen Schrei aus.

»Was hast du?« fragte Charles.

»Du hast mich auf die Lösung gebracht, Charles. Du hast mein Problem gelöst!«

»Ich?« fragte Charles verwirrt. »Aber sagtest du nicht, du könntest deinen Vetter Bevil auf keinen Fall erreichen?«

»Wer redet denn von Bevil?« entgegnete Vita. »Nein, meine Cousine Jane. Zu ihr werde ich fliehen! Ich sagte dir bereits, daß ich sie gern um ihren Rat bitten würde. Sie ist die einzige, die mich verstehen wird.«

»Sie lebt in Syrien«, sagte Charles fassungslos. »Du kannst doch nicht nach Syrien reisen, einmal abgesehen davon, daß dein Vater dir nie erlauben würde, mit jemandem in Verbindung zu treten, der ein solches Leben geführt hat wie Lady Ellenborough!« »'

Vita lachte belustigt.

»Liebster Charles, so dumm bin ich doch nicht. Natürlich werde ich Papa nicht auf die Nase binden, daß ich Cousine Jane besuchen will. Du wirst der einzige Mensch sein, der von meinem Vorhaben weiß.«

Zwei Stunden später betrat Vita das Herrenzimmer, in dem ihr Vater vor dem Kamin saß und Zeitung las.

Er blickte von seiner Lektüre auf, als sie eintrat, und erfreute sich an dem bezaubernden Anblick seiner Tochter. Vita trug ein schlichtes weißes Kleid, das die sanfte Rundung ihres Busens und ihrer schmalen Taille betonte und sie wie eine Gestalt von Gainsborough erscheinen ließ, die einem seiner Gemälde entstiegen war und - als wolle sie diese Vorstellung unterstreichen - eine rosa Nelke in der Hand trug.

Ihr Teint war sehr hell, doch die zart geröteten Wangen verrieten, daß sie bei bester Gesundheit war.

Dennoch haftete ihr etwas Zerbrechliches und Ätherisches an, das in jedem Mann, dem sie begegnete, den Beschützerinstinkt weckte, bis er das lebhafte Funkeln in ihren blauen Augen gewahrte, das ein wenig herausfordernd wirkte.

Vita trat zum Sessel ihres Vaters, beugte sich vor und küßte liebevoll seine Wange.

»Ich bringe dir eine Nelke für dein Knopfloch, Papa. Damit wirst du noch hinreißender aussehen als ohnehin schon!«

Sie steckte ihm die Nelke ins Knopfloch, küßte ihn wieder und ließ sich dann neben seinem Sessel auf den Boden sinken.

»Ich fühle mich schon besser, Papa«, sagte sie. »Ich bin ausgeritten und habe gründlich über alles nachgedacht. Lord Banthams Antrag kam nur so überraschend für mich, daß ich nicht vernünftig darauf reagieren konnte.«

»Ich bin froh, daß du zur Vernunft gekommen bist, mein Liebes«, sagte der General, »aber ich wünschte, du hättest mich gebeten, dich zu begleiten. Du weißt, wie ungern ich es sehe, wenn du allein ausreitest.«

»Ich bin doch im Park geblieben, Papa, und wollte nur ungestört nachdenken.«

»Und zu welchem Entschluß bist du gekommen?«

»Daß ich den wunderbarsten, liebsten und anbetungswürdigsten Vater der Welt habe«, sagte sie langsam.

Der General lächelte erfreut, doch seine Miene verriet leises Mißtrauen.

»Ich habe das Gefühl, Vita«, sagte er, »daß du etwas bei mir erreichen willst. Falls du versuchen willst, mir die Zusage zu entlocken, du brauchtest Lord Bantham nicht zu heiraten, verschwendest du nur deine Zeit.«

»Eine so schwierige und folgenschwere Entscheidung überlasse ich lieber dir, Papa«, sagte Vita mit kindlicher Stimme.

»Wenn du wirklich glaubst, daß er mich glücklich machen wird, dann füge ich mich deinen Wünschen.«

»Ich habe gehofft, daß du das sagen wirst. Du bist sehr vernünftig, mein Kleines, und ich versichere dir, daß du es nie bereuen wirst, mir in dieser Hinsicht vertraut zu haben.«

»Ganz sicher nicht, Papa. Doch würdest auch du mir als Gegenleistung zu meiner Zustimmung einen Herzenswunsch erfüllen?«

Der General blickte seine Tochter augenzwinkernd an.

»Ich wußte doch, daß deine Zustimmung einen Haken haben würde. Was wünschst du dir?«

Vita kniete sich vor ihn hin und blickte mit ihren großen ausdrucksvollen Augen bittend zu ihm auf.

»Du hast einmal etwas zu mir gesagt, Papa«, begann sie, »das ich nie vergessen habe.«

»Und was war das?« fragte er.

»Du sagtest, zu einem wirklich gebildeten Menschen gehöre, daß er einmal in Italien war.«

»Habe ich das gesagt?« fragte der General erstaunt. »Na, kann ja sein! Es ist ein wunderschönes Land, und deine Mutter und ich haben es immer schon bedauert, daß wir es dir nie zeigen konnten.«

»Ich finde, ich sollte Rom und vielleicht auch Neapel kennenlernen, bevor ich heirate«, sagte Vita schwärmerisch.

»Das ist also das Versprechen, das du mir abschmeicheln willst, wie?« rief der General.

»Das ist doch nicht zu viel verlangt, Papa, oder? Es wäre herrlich, wenn ich das Kolosseum in Rom und auch Pompeji besichtigen könnte. Lord Bantham ist doch sicher viel zu beschäftigt, um größere Reisen mit mir zu unternehmen.«

»Wie ich im Augenblick«, sagte der General. »Du weißt doch, Vita, daß ich erst kürzlich zum Grafschaftsrichter ernannt wurde und in den nächsten zwei Monaten unmöglich eine Auslandsreise unternehmen kann, weil das neue Amt meine Anwesenheit hier erfordert.«

»Ohne dich und deine sachkundige Führung wäre Italien nur halb so schön, Papa«, sagte Vita, »aber es würde meiner Allgemeinbildung sicher guttun, könnte ich mein Wissen über dieses herrliche Land an Ort und Stelle erweitern. Du hast selbst einmal gesagt, daß man auch als erwachsener Mensch nie auslernt, und es gäbe sicher eine Reihe vertrauenswürdiger Personen, die mich gern begleiten und unter ihre Fittiche nehmen würden. Lady Crowen, zum Beispiel.«

 

Der General äußerte sich nicht dazu, und Vita fuhr fort:

»Ich weiß, sie ist eine alte Klatschbase, aber immerhin war ihr Gemahl Diplomat, und sie sind viel gereist. Zudem spricht sie sehr gut Italienisch.«

»Wann hast du dir diesen raffinierten kleinen Plan ausgedacht?« wollte der General wissen.

»Von einer solchen Reise träume ich schon lange«, versicherte ihm Vita lebhaft. »Mit Lady Crowen habe ich auch schon darüber gesprochen und sogar ein paar Stunden Italienisch bei ihr genommen. Damit wollte ich dich überraschen, wenn wir beide einmal nach Italien gereist wären.«

Der General sagte noch immer nichts. Vita rückte näher an ihn heran und schlang die Arme um seine Beine.

»Bitte, liebster, bester Papa, laß mich nach Italien reisen«, bettelte sie. »Wenn ich erst einmal verheiratet bin, muß ich seßhaft werden und tun, was mein Gemahl von mir verlangt.

Wenn ich dann ein Baby bekomme, wird es für mich schwierig, auf Reisen zu gehen, und du weißt doch, wieviel Spaß ich daran habe.«

Tatsächlich hatte der General seine Tochter nach Frankreich, Brüssel und Dänemark mitgenommen, wenn er dienstlich dort zu tun hatte. Auch eine Ungarn-Reise war geplant gewesen, um einige Rassepferde einzukaufen, von denen der General Wunderdinge gehört hatte.

Statt dessen waren sie nach Irland gefahren und mit zwei Jagdpferden zurückgekommen, um die man sie in der ganzen Nachbarschaft beneidet hatte.

»Ich muß mir das erst mal überlegen«, ließ sich der General schließlich vernehmen.

»Bitte, Papa! Du legst doch immer so großen Wert auf eine gute Allgemeinbildung, weil du nichts so sehr haßt wie dumme Frauen, und ich könnte eine Bildungslücke bei mir ausfüllen, wenn ich das Forum, den Schiefen Turm von Pisa und die Ausgrabungen am Herculaneum besichtigen dürfte.«

Sie stand auf und schmiegte sich weich und zärtlich in seine Arme.

Seufzend kapitulierte der General.

»Du sollst deinen Willen haben«, sagte er und küßte ihre zart nach Rosen duftende Wange.

»Du meinst, ich darf fahren?« rief Vita erfreut. »Oh, mein liebster, wundervoller Papa, ich liebe dich!«

2

Vita stand auf dem Balkon ihres Hotelzimmers und blickte auf die Bucht von Neapel.

Das Meer, die Berge und die winzigen Fischerdörfer, die sich am Ufer aneinanderschmiegten, boten einen so atemberaubenden Anblick, daß sie sich nicht sattsehen konnte.

Das Bewußtsein, gesiegt zu haben, versetzte sie in Hochstimmung.

Sie hatte Neapel erreicht, und nun würde das eigentliche Abenteuer, dem sie sich mit Leib und Seele verschrieben hatte, seinen Anfang nehmen.

Alles war bisher so glattgegangen, daß all ihre Befürchtungen sich als unnötig erwiesen hatten.

Sobald ihr Vater seine Entscheidung getroffen hatte, daß sie eine Reise nach Italien antreten dürfe, bevor sie Lord Bantham heiraten würde, drängte er darauf, es rasch hinter sich zu bringen.

Sie hatte den Verdacht, daß er seine Zusage bereits bereute und daß Lord Bantham etwas damit zu tun hatte.

Doch der General pflegte Wort zu halten, und da er Vita nun einmal versprochen hatte, sie dürfe Rom und Pompeji besichtigen, wollte er sie nicht enttäuschen.

Charles war der einzige Mensch, dem Vita anvertraute, daß es ihr keineswegs darum ging, sich kulturell weiterzubilden.

»Es ist bestimmt ganz leicht, ein Schiff zu besteigen, das mich von Neapel nach Beirut bringt, Charles«, erklärte Vita dem Freund aus ihren Kindertagen. »Von da aus geht es dann auf dem Landwege nach Damaskus.«

»Vorher mußt du aber Lady Crowen dazu überreden, dich zu begleiten«, gab Charles zu bedenken. »Angenommen, sie weigert sich?«

»Das laß nur meine Sorge sein«, erwiderte Vita leichthin.

Charles maß sie mit forschendem Blick.

»Du wirst doch nicht etwa die Torheit begehen, allein zu reisen?« fragte er bestürzt. »Wenn du so etwas vorhast, werde ich auf der Stelle zum General gehen und ihm dein Komplott verraten!«

»Wenn du so gemein und niederträchtig wärst, Charles, würde ich nie mehr ein Wort mit dir reden!«

»Das wäre immer noch besser, als an all die Gefahren denken zu müssen, die auf dich warten könnten, wenn du vorhättest, allein zu reisen«, gab er zurück. »Du hast immer ein sehr behütetes Leben geführt, Vita, aber im Ausland hast du keinen allmächtigen Vater, der dich beschützt und vor Schaden bewahrt!«

Vita antwortete nicht, und er sagte in feierlichem Ernst:

»Schwöre mir bei allem, was dir heilig ist, Vita, daß du nichts unternehmen wirst, das dich in ernsthafte Schwierigkeiten bringen könnte.«

»Was verstehst du unter ernsthaften Schwierigkeiten?« fragte Vita.

»Du bist viel zu schön und zu jung, um in der Weltgeschichte umherzureisen, ohne daß dich eine ganze Kompanie Soldaten beschützt!«

Vita lachte belustigt.

»Wär’ das ein Spaß! Allerdings kann ich mir nicht vorstellen, daß das Kriegsministerium sich bereit erklären würde, mir eine eigene Truppe zur Verfügung zu stellen!«

Charles hatte sie angefleht, sich mit ihr gestritten und alle Register gezogen, um sie zur Vernunft zu bringen, doch als sie sich voneinander verabschiedeten, hatte er das dumpfe Gefühl, daß Vita genau das tun würde, was sie sich von Anfang an vorgenommen hatte.

Es war Vitas Idee gewesen, mit dem Schiff nach Neapel zu fahren, statt auf dem Landwege durch Frankreich zuerst nach Rom zu gelangen.

»Das ist schneller und viel komfortabler«, erklärte sie ihrem Vater. »Bei Zugreisen habe ich immer Angst, mein Gepäck könnte verlorengehen oder auf dem falschen Bahnhof landen. Ohne dich wird es einfach nicht so schön sein, liebster Papa!«

»Du hast einen sehr tüchtigen Reisebegleiter«, erwiderte der General. »Ich kenne Davenport seit vielen Jahren. Er wird sich um dein Gepäck und alles andere kümmern, so daß du dich unbeschwert amüsieren kannst.«

Er stimmte jedoch Vitas Vorschlag, mit dem Schiff direkt nach Neapel zu reisen, bereitwillig zu.

Vita hatte den Verdacht, daß er auf diese Weise ihre Rückkehr beschleunigen wollte und deshalb sein Einverständnis zu dieser Reiseroute gegeben hatte.

Sie hatten in Tillbury eines der modernen Dampfschiffe bestiegen, das in fünfundzwanzig Tagen Bombay erreichen konnte - eine bedeutende Verbesserung gegenüber früheren Überseeschiffen.

Der General hatte sie zum Hafen begleitet, Vita in die Arme geschlossen und sich mit vielen Küssen liebevoll von ihr verabschiedet. Seine tiefe Stimme klang besorgt, als er sich an Lady Crowen wandte.

»Sie werden doch gut auf sie achten, Mylady?«

»Darauf können Sie sich verlassen, Sir George.«

Wie Vita erwartet hatte, war Lady Crowen entzückt, ihr geliebtes Italien wiedersehen zu können, so daß sie jeder Bitte des Generals freudig zugestimmt hatte. Außerdem mochte sie Vita sehr gern und war ihr dankbar dafür, daß Vita sie als Anstandsdame ausgewählt hatte.

Mr. Edward Davenport, der Reiseführer, war ein grauhaariger Mann mittleren Alters, der sich durch ein ruhiges, höfliches Wesen auszeichnete und bei seinen Kunden sehr beliebt war.

Vita hätte ihn ziemlich langweilig gefunden, hätte sie nicht bereits am zweiten Tag ihrer Schiffsreise herausgefunden, daß er viel über Syrien wußte und sie viel von ihm erfahren konnte, das ihr später einmal nützlich sein würde.

Um ihn jedoch nicht mit gezielten Fragen mißtrauisch zu machen, lenkte sie das Gespräch zunächst auf die Pferdezucht der Araber, worüber sie durch ihren Vater bereits einiges wußte. So war ihr bekannt, daß englische Vollblüter durch eine Kreuzung mit Godolphin- und Darby-Arabern entstanden waren.

Mr. Davenport erzählte ihr von der Bint-El-Ahwaya-Zucht, von der alle reinrassigen Araberpferde abstammten, und es gelang ihr mühelos, das Gespräch geschickt auf die Ehrenwerte Jane Digby El Mezrab zu lenken, wie sich ihre Cousine in Syrien nannte.

Es entstand eine Pause, und Vita spürte, daß sie Edward Davenport in Verlegenheit gebracht hatte. Offensichtlich wußte er nicht, ob er sich mit ihr über die Frau, der so viele Skandale angelastet wurden, unterhalten sollte.

Doch Vita war auf diese Reaktion vorbereitet.

»Sie brauchen sich nicht zu genieren, mit mir über meine Cousine Jane zu sprechen«, sagte sie lächelnd. »Mein Vetter Bevil Ashford hat mir so viel über sie erzählt, daß ich das Gefühl habe, sie sehr gut zu kennen.«

»Ich fürchte, Ihre Cousine hat ein sehr bewegtes Leben geführt, Miss Vita«, erklärte Mr. Davenport unbehaglich, »und Sie können sich vorstellen, daß ihre Vermählung mit einem Moslem, einem Scheich, selbst in Syrien Anlaß zu heftiger Kritik war.«

»Ja, natürlich weiß ich das«, erwiderte Vita, »doch wie ich erfuhr, ist Scheich Abdul Medjuel El Mezrab ein sehr angesehener arabischer Edelmann.«

»Das ist wahr«, bestätigte Mr. Davenport. »Er ist ebenso blaublütig wie seine Gemahlin, und seine Ehe wird von seinesgleichen sogar als eine Mesalliance angesehen, was in England natürlich kein Mensch denken würde.«

»Erzählen Sie mir mehr über Cousine Jane«, bat Vita.

Doch Mr. Davenport hatte zu viel Respekt vor dem General, um sich zu Indiskretionen verleiten zu lassen.

»Sie ist sehr schön«, sagte er nur.

Es gelang Vita nicht, mehr aus ihm herauszuholen. Sie brachte das Gespräch wieder auf die arabische Pferdezucht im allgemeinen und im Besonderen, wobei sie einiges über die arabischen Stämme erfuhr und auch über die Gefahren, die in der Wüste lauerten.

»Die Wüstenaraber befinden sich ständig im Kriegszustand«, erklärte Mr. Davenport. »Raubzüge und Überfälle sind ihre Lieblingsbeschäftigung.«

Er hatte in Vita eine aufmerksame Zuhörerin und fuhr fort: »Die beiden großen rivalisierenden Stämme sind die Shammer und die Anazeh. Der Gatte Ihrer Cousine ist Scheich eines Zweigstammes der Anazeh.«

»Sind die beiden Stämme verfeindet?« fragte Vita.

»Ja, jahrhundertelange Blutfehden liegen hinter ihnen«, erwiderte Mr. Davenport. »Wenn ein Stamm in das Gebiet des anderen eindringt, kommt es immer zu mörderischen Kämpfen.«

Um seine etwas blutrünstige Geschichte ein wenig abzumildern, fügte er hinzu: »Natürlich geht es nicht immer so dramatisch zu. Einige Beduinen sind nichts anderes als gemeine Straßenräuber, die harmlose Reisende überfallen und auf üble Weise ausrauben.«

»Wie geschieht das?« fragte Vita neugierig.

»Mir ist das einmal passiert«, gestand Mr. Davenport. »Ich begleitete eine Touristenkarawane als Reiseführer, als eine Räuberbande in wildem Galopp auf uns zu jagte, drohend die Säbel schwang und Gewehre in die Luft abfeuerte.«

»Hatten Sie Angst?« wollte Vita wissen.

»Es war höchst unangenehm«, gab Mr. Davenport zu, »doch ich hatte das Gefühl, daß zumindest unser Leben nicht in Gefahr war.«

»Wie ging es aus?« fragte Vita.

»Sie nahmen uns alles ab, was sie in die Finger bekamen, doch plötzlich trat eine andere Gruppe Reiter in Erscheinung. Sie gehörten zum selben Stamm. Nachdem sie die erste Bande in die Flucht geschlagen hatten, verlangten sie von uns eine Belohnung, weil sie uns das Leben gerettet hatten.«

Vita lachte.

»Sie wurden also zweimal zur Kasse gebeten?«

»Aber natürlich!« erwiderte Mr. Davenport empört. »Das war doch der Trick bei dem ganzen Theater.«

Vita war fasziniert von der abenteuerlichen Geschichte, die sie in ihrem Entschluß, nach Syrien zu reisen, noch bestärkte.

Der Gedanke an Flucht hatte sie nicht mehr losgelassen, seit sie England verlassen hatte und vorher Lord Bantham erschienen war, um sich von ihr zu verabschieden.

Der General hatte ihm offensichtlich mitgeteilt, daß Vita seinen Antrag angenommen habe, denn seine Lippen umspielte ein selbstgefälliges, triumphierendes Lächeln, und seine hellen Augen maßen sie mit einem lüsternen Blick, der ihr einen kalten Schauer über den Rücken jagte.

»Einen Monat nach deiner Rückkehr dieser Auslandsreise wird unsere Vermählung stattfinden«, erklärte er. »Der Kronprinz und Prinzessin Alexandra werden uns die Ehre erweisen, an der Trauungszeremonie teilzunehmen.«

 

»Welch eine Genugtuung für Sie!« erwiderte Vita mit spöttischem Unterton in der Stimme, fügte dann aber hastig hinzu »Mich macht der Gedanke, daß so illustre Gäste an unserer Hochzeit teilnehmen werden, recht nervös.«

»Du brauchst dich nicht zu ängstigen«, versicherte ihr Lord Bantham gönnerhaft. »Ich sage dir schon, was du zu tun hast, und achte darauf, daß du keine Fehler machst.«

»Das ist sehr freundlich von Ihnen«, erwiderte Vita artig.

Sie waren allein im Salon, und Lord Bantham faßte nach ihrer Hand.

»Ich bin sicher, daß wir sehr glücklich miteinander werden«, sagte er salbungsvoll. »Es gibt so vieles, was ich dich lehren muß, und du wirst sicher eine gelehrige Schülerin sein.«

»Ja . . . natürlich«, erwiderte Vita mit betont kindlicher Stimme, aber sie hatte Mühe, sich nicht anmerken zu lassen, daß ihr der Druck seiner Hand zuwider war.

Sie spürte seine kurzen, dicken Finger und die Kraft, die in ihnen steckte, und sie verspürte den unbändigen Wunsch, ihm ihre Hand zu entreißen. Dann erst bemerkte sie, daß er den Arm um sie gelegt hatte und sie küssen wollte.

Gerade noch rechtzeitig gelang es ihr, das Gesicht abzuwenden, so daß seine Lippen nur ihre Wangen streiften, ihren Mund jedoch nicht berührten, doch das genügte, um ihr Übelkeit zu verursachen und sie mit solcher Abscheu zu erfüllen, als habe sie eine Schlange berührt.

Sie fand ihn abstoßend und erkannte in diesem Augenblick, wie ernst es ihr mit dem, was sie Charles anvertraut hatte, tatsächlich war: Sie hätte ihn nicht heiraten können, und wenn er der letzte Mann auf der Welt gewesen wäre!

Geschickt entwand sie sich mit einer Körperdrehung seiner Umarmung.

»Ich glaube, Papa möchte Sie gern sehen«, sagte sie. »Es gibt sicher vieles, was er mit Ihnen besprechen möchte. Wir sollten ihn nicht länger warten lassen.«

»Das hat keine Eile«, sagte Lord Bantham.

Der Ton seiner Stimme machte Vita nur allzu klar, daß sie sich von ihm fernhalten mußte.

Rasch öffnete sie die Tür und verhinderte so, daß er sie erneut berührte, weil mehrere Dienstboten in der Halle beschäftigt waren.

Danach mied Vita Lord Bantham, sooft es ging.

Er versuchte mehrmals vor ihrer Abreise aus England, sie allein anzutreffen, aber es gelang ihr stets, ihm auszuweichen.

Zweifellos weckte ihre spröde Haltung seinen Unwillen, aber er hielt sie wohl ihrer Jugend und Unerfahrenheit zugute und war zum Glück viel zu überheblich, um andere Gründe in Betracht zu ziehen.

Lord Bantham hatte die Absicht geäußert, mit ihnen nach Tillbury zu fahren, um Vita zum Schiff zu begleiten, doch sie hatte das zu verhindern gewußt.

»Ich möchte mit dir allein sein, Papa«, hatte sie zum General gesagt. »Es gibt noch so vieles zu besprechen, und ich möchte von dir noch einiges über Italien erfahren. Da würde ein Fremder doch nur stören.«

»Lord Bantham ist doch kein Fremder für uns, Liebes«, erwiderte der General, doch es schmeichelte ihm, daß Vita ihn für sich allein haben wollte, und er gab ihrem Drängen nach.

Lord Bantham ist widerwärtig! Ich werde ihn niemals heiraten! schwor sich Vita, als das Schiff sich von der englischen Küste entfernte, und sie wiederholte diesen Schwur mindestens tausendmal während der Überfahrt.

Gleichzeitig war sie so intensiv damit beschäftigt, Pläne für die Zukunft zu schmieden, daß es ihr nicht schwerfiel, Lord Bantham und die Bedrohung, die er darstellte, falls ihr Plan scheiterte und sie nach England zurückkehren mußte, zu vergessen.

Mit jedem Tag entfernte sie sich weiter von dem Mann, den ihr Vater zu ihrem Ehemann bestimmt hatte, und sie war mehr und mehr überzeugt, daß sie sich mit Recht gegen diese Verbindung wehrte, die zwangsläufig ebenso unglücklich geworden wäre wie die ihrer Cousine Jane mit Lord Ellenborough.

Der Gedanke an Jane und ihr wildes, abwechslungsreiches, sensationelles Leben erfüllte sie mit freudiger Erwartung. Bevils Bemerkung, Jane sei eine romantische Abenteurerin, die ständig auf der Suche nach der wahren Liebe gewesen sei, die irgendwo auf der Welt auf sie wartete, hatte dazu geführt, daß Vita sich zu ihr hingezogen fühlte, ohne sie zu kennen.

»Glaubst du, sie hat die wahre Liebe bei ihrem Scheich gefunden?« hatte sie ihren Vetter gefragt.

»Es hat ja lange genug gedauert«, bemerkte Bevil mit vielsagendem Lächeln. »Sie hatte eine stattliche Anzahl Liebhaber, bevor es sie in den Orient verschlug und sie den anbetungswürdigsten, liebsten Mann gefunden hat, wie sie sich ausdrückt.«

»Erzähl mir mehr über ihre unglücklichen Liebesaffären«, bat Vita, doch Bevil schüttelte den Kopf.

»Du bist viel zu jung und zu neugierig! Wenn deine Eltern wüßten, daß ich nur Janes Namen dir gegenüber erwähnt habe, würden sie mich aus ihrem Haus jagen.«

»Du bist nicht der einzige, der über sie redet«, sagte Vita, und das entsprach der Wahrheit. Es gab eine Menge Leute, die sich genüßlich darüber ausließen, wie unglücklich sie gewesen war, als Prinz Felix Schwarzenberg sie ausgerechnet zu dem Zeitpunkt verließ, als das House of Lords ihrer Scheidung von Lord Ellenborough zugestimmt hatte.

Mit gebrochenem Herzen und zwei Kindern alleingelassen, wäre eine Frau mit einem weniger starken Charakter zweifellos zusammengebrochen. Doch innerhalb kurzer Zeit hatte sich Jane von dem Schock erholt und war die Mätresse von König Ludwig von Bayern geworden, in den sie sich Hals über Kopf verliebt hatte.

Der König galt als kultivierter, charmanter und etwas exzentrischer Mann, den schöne Frauen geradezu magisch anzogen.

Jane hatte in München gelebt und war zunächst unbeschreiblich glücklich gewesen. Der König hatte ihre Begeisterung für die bildende Kunst geweckt und eine glühende Bewunderung für Griechenland in ihr entfacht, deren Krönung die Ernennung von Ludwigs Sohn Otto zum König der Hellenen sein sollte.

Bevor dieses Ereignis stattfand, hatte Jane völlig unerwartet Baron Karl-Theodor von Venningen, einen bayrischen Edelmann, geheiratet.

Diese Verbindung war nur durch persönliche Fürsprache König Ludwigs beim Vatikan zustande gekommen, der dem strenggläubigen Katholiken die Erlaubnis erteilte, eine geschiedene Frau zu ehelichen.

Vita hatte nie in Erfahrung bringen können, weshalb diese Ehe gescheitert war. Janes Briefe an die Familie hatten dar- über wenig Aufschluß gegeben. Statt dessen war von einem neuen Liebhaber die Rede, einem gewissen Grafen Spyridon Theotokis aus Griechenland, den Jane als den »hinreißendsten und himmlischsten Mann seines Landes« pries. In ihren Briefen war auch von einem Duell die Rede, das für den schönen Griechen mit einer Kugel in der Brust geendet hatte. Nur Janes aufopfernder Pflege hatte er es zu verdanken, daß er am Leben geblieben war. Sobald er genesen war, setzte Jane sich mit ihm nach Paris ab und ließ sowohl ihren guten Ruf als auch den Gatten und die Kinder hinter sich.

Nach der Scheidung ließ sie sich mit ihrem griechischen Grafen auf Korfu nieder.

»Endlich ist sie seßhaft geworden!« hatten Vitas Tanten und Großtanten voller Genugtuung festgestellt. »Beten wir darum, daß sie sich nun anständig benimmt!«

Versonnen blickte Vita auf die in unwirkliches Licht getauchte Bucht von Neapel, und sie fragte sich, ob wohl die prickelnde Atmosphäre und die erregende Schönheit des Mittelmeers etwas mit der Ruhelosigkeit zu tun hatten, die Jane dazu getrieben hatte, nach fünfzehn Jahren Ehe erneut auszubrechen. Oder war der sprichwörtliche Charme des jungen Königs Otto, dem Graf Spyridon als Adjutant diente, die Ursache gewesen, daß Jane sich Hals über Kopf in ein neues Liebesabenteuer gestürzt hatte? Vita konnte sich vorstellen, daß der romantisch veranlagte junge König, sein Idealismus und die ihn umgebenden hinreißend schönen antiken Kunst- schätze, diese Zeugen von Griechenlands ruhmreicher Vergangenheit, Janes Herz entflammt hatten.

Doch auch der junge König Otto war nicht imstande gewesen, Jane die Liebe zu geben, die sie sich ersehnte.

Man tuschelte von einem albanischen General, der ihr den Kopf verdreht hatte.

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