Читать книгу: «Seewölfe Paket 10», страница 22
6.
An Deck der „Kap Hoorn“ wurde es immer ungemütlicher.
Es hatte stark aufgebrist. Die dunkle Wolkenwand, die sich zum Land schob, würde sich bald entladen.
Immer wieder klatschte die See über den Bug, und wenn der Segler sich hob, wurde die Trosse stramm und begann zu zittern.
Die Vordeckswachen waren durchnäßt, aber es war ein warmer Wind, der von See her blies, nur wurde er immer stärker.
„Das gibt noch einen verdammt ausgewachsenen Sturm und ein höllisches Gewitter heute nacht“, sagte Miguel zu seinem Kameraden Sanchez, der sich über das Schanzkleid beugte und angestrengt ins Wasser starrte. Außer einer dunklen Wand mit kleinen Schaumwirbeln sah er nichts. Er hörte nur das pausenlose Donnern der Wellen, die unermüdlich den Bug berannten und das Schiff ständig hin und her warfen.
Sanchez drehte sich wieder um.
„Hoffentlich hält die Trosse“, sagte er, „sonst sitzen wir auf dem Strand zwischen den Hütten.“
„Dann spannen wir die Kanaken morgen vor das Schiff und lassen es wieder ins Wasser ziehen“, erwiderte Miguel lachend. „Aber die Trosse hält, darauf kannst du einen Piaster setzen.“
„Erst mal einen haben.“
„Bald werden die Münzen im Beutel klingen, und deine Geldkatze wird so dick anschwellen wie dein Schädel, wenn du zuviel gesoffen hast. Warte nur, bis wir die Brotfrüchte an Bord haben und sie eingepflanzt sind. Dann gibt es eine fette Prämie.“
Ausgiebig unterhielten sie sich darüber, was sie mit dem Geld anstellen würden, wenn sie es erst einmal hatten.
Keine der Wachen bemerkte, daß inzwischen schon kräftig an der Ankertrosse geschnitten wurde. Selbst wenn sie ab und zu ein Licht über Bord hielten, sahen sie nichts, denn das Wasser war pechschwarz und es spiegelte den Lichtschein zurück.
Während sie weiter über Geld sprachen, das sie nicht besaßen, begannen die ersten Tropfen zu fallen. Dick und schwer platschten sie auf das Deck.
„Gleich geht der Tanz los“, sagte Miguel. „Ich kenne diese Tropengewitter. Dann gießt es, als würde man das Meer auf den Kopf stellen. Komm, wir hokken uns unter das Kombüsenvordach.“
Zwei Schritte weiter sah es so aus, als würde tatsächlich das Meer auf den Kopf gestellt werden.
Es platschte wie aus Kübeln, und ein Schauer ging nieder, der so dicht war, daß man kaum Atem holen konnte.
Die beiden Männer stellten sich unter, aber es half nicht. Der prasselnde Regen fiel schräg, und innerhalb von wenigen Sekunden waren sie total durchnäßt.
Dann fuhr der erste grelle Blitz krachend aus den Wolken und beleuchtete sekundenlang den Strand. Der harte grollende Donner folgte sofort danach und ließ die „Kap Hoorn“ erbeben.
Von da an verstand man sein eigenes Wort nicht mehr.
Das Wasser wurde noch härter aufgewühlt, der Regen prasselte wie aus riesigen Zubern herab, und das Krachen, Donnern und Blitzen nahm kein Ende. Immer wieder wurde der Segler in gespenstisches, blauweißes Licht gehüllt. Deutlich sah man dann die Schaumkronen auf dem Wasser, wie sie tanzten, hochstiegen und vom Sturm zerweht wurden.
Unnatürlich hoch hob sich der Bug aus dem Wasser, und das Schiff begann hart nach Steuerbord zu krängen. Dann fiel es schwerfällig zurück, und der Bug lag nicht mehr im Wind. Er schwang herum, und ein erneutes hartes Überkrängen war die Folge.
„Die Trosse!“ brüllte Miguel, so laut er konnte.
Sein Kumpan verstand kein Wort, denn gerade jetzt schmetterte ein harter Blitz nieder und schlug in die See ein. Der anschließende Knall ließ die Männer fast taub werden.
Aber in dem unnatürlich grellen Lichtschein sahen es nun auch die anderen.
Nein, die „Kap Hoorn“ lag nicht mehr vor Anker, das stand für jeden Mann der Wache fest, sonst würde sie sich nicht so benehmen.
„Die Trosse!“ brüllte Miguel aus voller Lunge. „Die Trosse ist gebrochen!“
Unter den Männern brach Panik aus. Sie verstanden die in panischer Angst gebrüllten Worte zwar nicht, aber sie wußten, was passiert war.
Miguel rannte nach achtern, dabei schrie er pausenlos. Als ein erneuter Brecher die „Kap Hoorn“ krängen ließ und Wasser über die Kuhl flutete, fiel er der Länge nach hin, prallte mit dem Schädel an die Gräting und blieb bewußtlos liegen.
Inzwischen trieb der Segler dem Land entgegen, torkelnd und schwankend suchte er sich mit der Breitseite seinen Weg.
Beim nächsten Überholen ging ein Mann der Wache über Bord und verschwand in dem schäumenden Wasser. Sein Schrei verhallte ungehört. Niemand sah, wie er über Bord ging, und niemand hörte ihn.
Das Chaos war perfekt.
Die schlafenden Männer wurden nicht durch die gellenden Schreie der Wache geweckt, denn die hörten sie kaum. Die meisten wurden bei dem jähen Überholen aus den Kojen geschleudert und landeten auf den harten Dielen.
Sie stürzten an Deck, als eine lang anrollende See das Schiff aus dem Wasser hob.
Was sie sahen, ließ sie an ihrem Verstand zweifeln. Das Schiff befand sich inmitten einer kochenden Hölle aus gischtendem Wasser, zukkenden Blitzen, rollendem, brüllendem Donner und einem Regenschauer, als hätte der Himmel alle Schleusen geöffnet.
Dazwischen stampfte, rollte und schlingerte die „Kap Hoorn“ wie ein fahl leuchtendes Ungeheuer.
Die Panik hatte alle erfaßt, selbst Sinona stand wie betäubt da, als er an Deck erschien.
Er faßte sich jedoch wieder und brüllte dem ersten Offizier etwas zu, der verzweifelt auf seine Ohren deutete.
Niemand wußte, was zu tun war, obwohl die meisten erfahrene Seeleute waren. Sie konnten auch nichts mehr tun, der Segler war längst zum Spielball entfesselter Elemente geworden.
Sinona blickte in das Wasser, und dann durchfuhr ihn ein eisiger Schreck. Eine Eisenfaust preßte sein Herz zusammen, als er den wild kochenden Wirbel direkt vor sich sah. In jedem Wellental erschienen die rasiermesserscharfen tödlichen Korallen.
Hohen Wänden gleich ragten sie aus der See und zeigten ihre bleichen, tödlichen und von zuckenden Blitzen erhellten Krallen, die sich gierig nach dem Schiff ausstreckten.
Er wollte noch schreien, irgend etwas rufen, doch es war schon zu spät. Niemand würde seine Warnung mehr hören.
Doch die meisten anderen sahen es ebenfalls. Einige hielten sich geistesgegenwärtig fest und schrien ihre Angst hinaus.
Das Korallenriff!
Der tosende Brecher setzte die „Kap Hoorn“ hohnlachend ab. Es hörte sich an, als hätte der Teufel persönlich seinen Spaß daran gehabt, den Segler in die Korallen zu schmettern.
Und das Krachen, Bersten und Knirschen war sein Gelächter dazu.
Es war, als ginge die Welt mit einem hallenden Donnerschlag unter. Der Großmast zerplatzte, er wurde buchstäblich auseinandergesprengt.
Die Rahen flogen davon, eine verschwand in der See, die andere sauste an Deck und erschlug zwei Seesoldaten.
Die scharfen Korallen rissen dem Schiff den Rumpf auf, das Wasser ergoß sich schwallartig in die unteren Räume.
Einige weitere Männer, die sich nicht mehr retten konnten, ertranken. Ihr Schreien ging in dem Toben der Elemente ungehört unter.
Ein Großteil flog bei dem harten Anprall über Bord und verschwand in dem Hexenkessel aus schäumendem Wasser und Korallen.
Etliche schafften es trotz der starken See bis zum Strand und ließen sich erschöpft in den Sand fallen.
Als das Krachen und Bersten vorbei war, wußte auch der letzte Mann, daß das Schiff beim Teufel war. Die harte See drückte es immer härter in die Korallen, schob es hin und her und schlitzte es weiter auf. Planken zersplitterten, unter dem Rumpf kratzte und rieb es, und es war nur noch eine Frage der Zeit, bis die See und das teuflische Riff die „Kap Hoorn“ auseinandernahmen.
Sinona hatte keinerlei Verletzungen erlitten. Er war nur ausgeglitten und über das Deck gerutscht.
Er sah im fahlen Lichtschein der zuckenden Blitze, daß der Segler hart auf der Backbordseite lag, daß die See immer noch an ihm schob und zerrte, und daß sie bei diesem Wetter nicht in der Lage waren, eins der Beiboote zu Wasser zu lassen.
Das Schiff war nicht mehr als ein Wrack. Soweit sich auf den ersten Blick feststellen ließ, würde es auch keine Reparatur mehr geben, weil sie einfach unmöglich war.
Er schlug die Hände vor das Gesicht und schüttelte sich.
Von irgendwoher aus dem Bauch des Schiffes hörte er tierische Angstlaute.
Die paar Maultiere, die sie an Bord hatten, ertrinken, dachte er. Aber mit Sicherheit waren auch einige Leute ertrunken, das ließ sich jetzt noch nicht überblicken, das würde erst der nächste Morgen zeigen.
Er suchte nach seinem ersten Offizier, doch er fand ihn nirgends.
Fluchend rannte er hin und her, verlor auf dem schräg geneigten Deck immer wieder den Halt und rutschte aus.
Die Kommandos, die er brüllte, verhallten ungehört. Noch immer befanden sich die Leute in Panik.
„Hierbleiben!“ schrie er zwei Seesoldaten zu, die sich über das Schanzkleid schwangen.
Ein Blitz zuckte nieder und beleuchtete sie. Sie hörten ihn nicht, oder sie wollten ihn nicht hören, vielleicht nahmen sie gar nichts um sich herum wahr.
Sie ließen sich einfach fallen und verschwanden in der Dunkelheit. Von einem hörte er einen markerschütternden Schrei. Vermutlich war der Mann auf den Korallen gelandet.
Unter unendlichen Schwierigkeiten gelang es ihm, in den brüllenden und verängstigten Haufen einigermaßen Ruhe zu bringen.
Er ließ Lampen entzünden, aufgefaserte Tauenden mit Öl tränken und als Fackeln abbrennen, aber der heulende Wind fraß sie den Leuten aus den zitternden Fingern.
Ein paar Lampen brannten weiter. Sinona ging im Schein der Blitze und Lampen von Deck zu Deck, um sich den Schaden anzusehen. Was er sah, übertraf seine allerschlimmsten Befürchtungen.
Das Schiff war von den scharfgratigen Korallen geschlachtet worden wie ein großes Tier, dem die Innereien heraushingen.
Überall baumelten zersplitterte, zerfetzte oder gebrochene Planken nach unten.
Im zweiten Laderaum, der für die Aufnahme der Brotfruchtpflanzen bestimmt war, schwammen die Kadaver von zwei Mulis. Die anderen waren in der riesigen Öffnung verschwunden, die im Rumpf klaffte und aus der das Wasser so schnell eingedrungen war. Sie lagen jetzt irgendwo unten zwischen den Korallen.
Auch der zweite Raum stand voll Wasser. Auf der Brühe trieben leere Fässer, Holzplanken und Kistenbretter.
Sinona verlor den Halt, als ein harter Schlag die „Kap Hoorn“ beutelte und eine Welle über das Wrack donnerte. Wieder knirschte es nervenzerfetzend, neue Planken brachen, die beiden Masten ließen das Schiff bis ins Kielschwein erzittern. Jeden Augenblick konnten auch sie an Deck stürzen und Männer erschlagen.
Trotz der üblen Schräglage setzte er seine Untersuchung fort und fluchte sich den Zorn von der Seele, bis er auf den Profos traf.
Bollo sah fürchterlich aus. Sein Gesicht blutete, von der Stirn bis zum Schädel zog sich eine klaffende Wunde. Sein linkes Auge war so zugeschwollen, daß er damit nichts mehr sah.
Er starrte den Capitano an, und ein angsteinflößendes Grinsen erschien in seinem zerschundenen Gesicht.
„Den Eimer sind wir los, Capitano“, sagte er. „Und nur, weil die verfluchte Trosse nicht gehalten hat. Das verstehe ich nicht, sie hätte das Schiff halten müssen. Und Ihnen, Senor Capitano, kann oder wird man vorwerfen, zu dicht bei einer Korallenbank geankert zu haben.“
Sinona wollte erst aufbrausen, aber dann erkannte er, daß der Profos recht hatte. Resigniert winkte er ab.
„Sie wissen so gut wie ich, daß wir die Korallenbank nicht gesehen haben. Daß die Ankertrosse nicht hielt, konnte man ebenfalls nicht voraussehen. Schwatzen Sie also kein dummes Zeug, Mann, und reagieren Sie sich anderweitig ab, indem Sie versuchen, hier aufzuklaren, falls man das noch kann.“
„Perdone, Senor Capitano“, sagte der Profos zerknirscht. „Mir sind die Nerven durchgegangen, ich habe eins auf den Schädel gekriegt.“
„Ja, das habe ich gesehen.“
„Aber die Trosse hätte halten müssen“, beharrte der Profos.
„Natürlich hätte sie das. Aber vermutlich gibt es dort weiter draußen ebenfalls Korallen dicht am Grund. Beim Sturm hat sich die Trosse daran durchgescheuert, bis sie brach.“
„So wird es wohl gewesen sein. Ich suche mir jetzt ein paar Leute, die versuchen werden, einigermaßen aufzuklaren, aber viel Zweck hat es nicht, Capitano.“
„Wenigstens sind die Leute beschäftigt und verfallen nicht auf dumme Gedanken, sonst drehen sie ganz durch. Wenn der Sturm nachläßt, versuchen wir, eins der Boote abzufieren, denn das Wrack wird sich wahrscheinlich nicht mehr lange halten. Haben Sie den ersten Offizier gesehen, Profos?“
„Keine Spur von ihm, Senor.“
Sinona drehte sich um, ohne ein weiteres Wort zu sagen. Er ging zur Back und sah, daß schon wieder einer der Seesoldaten das Schiff verließ aus Angst, es würde gleich auseinanderfallen.
Mit einem Satz war Sinona am Schanzkleid und versuchte, den Mann am Handgelenk festzuhalten. Er kriegte es auch noch zu fassen, mußte dann aber loslassen, als ein Ruck durch den Segler ging.
„Idiot!“ schrie er dem Mann nach, dessen Namen er nicht kannte. „Hier sind Sie im Augenblick sicherer als da draußen!“
Der Mann gab keine Antwort, aber Sinona sah, daß er sich beim Fallen nicht an den Korallen verletzt hatte und jetzt schwamm.
„Todos Santos!“ fluchte er und blickte dem Schwimmer nach, der auf den Strand zuhielt. Blitze wiesen ihm den Weg.
Als Sinona sich abwenden wollte, sah er dreieckige Zacken aus dem Wasser wachsen.
Im ersten Augenblick hielt er sie für Korallen, aber sie waren erstaunlich lebendig und rasten auf den Schwimmer von drei Seiten zugleich zu.
„Haie!“ schrie Sinona, und dann wurde es schlagartig wieder finster.
Mit angespannten Sinnen lauschte er, aber er vernahm keine Geräusche, der Sturm schluckte sie.
Erst ein paar Sekunden später hörte er einen gellenden Schrei, der in höchster Tonlage abrupt abbrach.
Sinona duckte sich unter dem grellen Licht eines Blitzes und sah auf die Stelle, wo sich der Schwimmer befand.
Er war verschwunden, aber an jener Stelle kochte und brodelte es, da rasten die schwarzen Zacken des schwimmenden Todes wie wild durcheinander.
Dann war alles vorbei.
Sinona winkte den Profos zu sich, um den sich eine Handvoll Leute geschart hatte.
„Niemand verläßt das Schiff, Profos! In der Nähe des Riffs wimmelt es von Haien. Keiner hat die Chance, den Strand lebend zu erreichen. Bringen Sie das den Leuten bei, denn noch ist unser Schiff nicht auseinandergefallen.“
„Si, Senor Capitano“, murmelte der Profos. Er und die anderen hatten das Drama ebenfalls gesehen, und jetzt wurde aus den rauhen Gesellen plötzlich ein friedfertiger Haufen.
Immer noch rollten harte Brecher heran, die sich vor den Korallen schäumend brachen und gegen das Wrack rannten. Aber das Unwetter verzog sich, es hörte auf zu regnen, und auch die zuckenden Blitze wurden seltener.
Sinona wußte, daß für das Schiff keine Hoffnung mehr bestand, aber der größter Teil der Mannschaft würde überleben, und außerdem würde in kurzer Zeit ein weiterer Spanier hier aufkreuzen. Dann sah alles ganz anders aus. Sie konnten auf die „Patria“ umsteigen und ihre Arbeit gemeinsam fortsetzen.
Er ließ Rum verteilen, wanderte auf und ab und wartete darauf, daß sich der Sturm legen würde und sie das Beiboot abfieren konnten. Tatsächlich ließ der Sturm etwas nach, und auch die dunkle Wolke verzog sich langsam.
Doch dann gab es noch eine Überraschung.
Als keiner mehr damit gerechnet hatte, rollte eine Woge heran. Sie war viermal höher als die anderen und hatte auch keine Schaumkrone, aber sie war schnell und sah aus wie eine gläserne Walze, die fast lautlos rollte.
Vor dem Korallenriff wurde der unter Wasser mitlaufende Teil gestoppt, und der harte Brechungseffekt begann.
Die große Welle bäumte sich auf, und erst jetzt begann sie schaurig voller Zorn und Empörung wie ein wildes Tier zu brüllen. Auf ihrem glatten Kamm entstand ein schneeweißer Streifen, der sich in sich selbst überschlug.
Mit höllischer Kraft jagte das Ungetüm heran und schob einen heißen Luftstau vor sich her, der über die „Kap Hoorn“ fauchte.
Dann folgte ein schmetternder Schlag.
Jeder hielt sich fest, so gut er konnte, und jeder atmete noch schnell einmal ein, um genügend Luft zu haben, wenn das salzige Wasser sie überflutete.
Gleich darauf war es soweit. Eine Wand aus gischtendem, brausendem Wasser überrollte die Galeone, hob sie hoch, brachte sie wieder in die waagerechte Lage, schrammte sie hart über die Korallen und riß sie dem Strand entgegen.
Das gab der „Kap Hoorn“ den Rest. Wie von Furien getrieben, lief sie auf den Strand, setzte hart auf und legte sich auf die Seite.
Die Welle aber verlief sich, und der restliche Sog zog die Galeone wieder ein Stück zurück.
Dort blieb sie endgültig liegen, zerstört, zerfetzt und tödlich verwundet.
Sie würde nie mehr segeln, sie hatte ihre Seele ausgehaucht.
Eins der Beiboote brauchten sie ebenfalls nicht mehr abzufieren. Es wurde total zerschmettert.
7.
Auf dem Wrack konnte sich niemand mehr auf den Beinen halten. Alles war kurz und klein geschlagen worden, an jeder Stelle standen zerfetzte Planken heraus.
Sinona scheuchte die Männer an den Strand und war beunruhigt, daß es nur noch so wenige waren.
„Sie nehmen einen Mann mit, Profos!“ befahl er. „Suchen Sie alle Räume ab. Wenn Sie Verletzte finden, bringen Sie die Männer an den Strand.“
„Was tun wir mit den Toten?“ fragte der Profos.
„Darum kümmern wir uns morgen. Wir beziehen vorerst die Hütten der Eingeborenen, das bietet sich geradezu an. Da haben wir vorerst Unterkünfte.“
Der Profos verschwand, um die Räume abzusuchen.
Sinona ließ Musketen, Pistolen und ein paar Fässer mit Pulver zusammentragen. Aber die meisten Fässer waren angeschlagen, und Seewasser hatte den Inhalt unbrauchbar werden lassen.
Der Mond schien jetzt wieder, die rauhe See hatte sich beruhigt bis auf die Brandung, die immer noch über die Korallen rollte und sich schäumend am Strand brach.
„Sind das alle Männer, Profos?“ fragte der Capitano entsetzt, als er das halbe Dutzend Verwundeter sah.
„Ja, viele sind tot, über Bord gegangen oder verschwunden. Vielleicht finden sich im Laufe der Nacht noch einige ein. Insgesamt dürften wir höchstens noch fünfzig Leute sein, vermutlich aber ein paar weniger.“
„Und Sie haben überall nachgesehen?“ vergewisserte sich Sinona eindringlich.
„Überall, Senor.“ Der angeschlagene Profos hob müde die breiten Schultern.
Am Strand fanden sie im Sand liegend einen weiteren Mann. Es war Fusté, der erste Offizier.
In Sinonas Gesicht zuckte es, als er den Mann sah.
„Sehen Sie nach, ob er noch lebt“, sagte er.
„Bewußtlos“, stellte der Profos fest. „Ich bringe ihn in eine der Hütten.“
Sinona gab keine Antwort. Er sah den Verletzten auch nicht an, als der stöhnte und etwas murmelte.
Er gab dem Ersten die alleinige Schuld an dem ganzen Unglück, denn nur durch seinen navigatorischen Fehler waren sie vom Kurs abgekommen und hatten die richtige Insel verfehlt. Bei Tagesanbruch hätten sie die tödliche Korallenbank sicherlich gesehen und wären nicht aufgelaufen.
Es lag also an der Zeit, die sie durch Fusté versäumt hatten, sinnierte er.
Das Wrack lag wie ein großes Gespenst am Strand. Immer noch ächzte und stöhnte das gemarterte Holz, immer noch knackten Planken, knisterte es bedrohlich.
Sinona sah sich nach allen Seiten um. Er hatte sich zwei Pistolen in den Hosenbund gesteckt und schärfte den Männern noch einmal ein, nach Insulanern Ausschau zu halten.
„Wenn sie uns jetzt angreifen, können wir uns kaum zur Wehr setzen“, sagte er. „Sie können uns aus dem Hinterhalt abknallen wie die Hasen. Kontrolliert eure Pistolen, sonst sind wir erledigt.“
So sehr sie auch Ausschau hielten, von den Insulanern ließ sich keiner blikken.
Die ersten Männer verschwanden in den Hütten, aßen gierig alles, was sie vorfanden und legten sich dann auf die Matten.
Aber der Profos trieb sie wieder ins Freie.
„Erst wird gearbeitet!“ schrie er. „Und dann gepennt und nicht umgekehrt. Wir holen das vom Schiff, was noch zu gebrauchen ist. Tobt noch einmal so ein Unwetter heute nacht, dann sind wir sogar die Trümmer von dem Wrack los. Los, ihr faulen Hunde, raus mit euch, sonst erlebt ihr die Hölle!“
Murrend gingen die meisten an die Arbeit. Sie waren immer noch ausgepumpt und verängstigt von dem eben ausgestandenen Schrecken, dazu saß ihnen die Angst vor den Insulanern in den Knochen, die jeden Augenblick aus dem Hinterhalt auftauchen und zuschlagen konnten.
Sinona ließ Wachen aufstellen, und dann wurde geschuftet.
„Glaubt ja nicht, daß ihr euch von nun an ausruhen könnt“, sagte er. „Wir haben zwar kein Schiff mehr, aber wir haben noch die Geräte, und damit werden wir gleich anfangen zu arbeiten. Bis die ‚Patria‘ hier ist, haben wir sämtliche Brotfrüchte ausgegraben.“
Er ließ die Verletzten provisorisch behandeln und trieb die Leute zur Eile an.
Erst viel später durften sich die ersten Männer ausruhen und in die Hütten legen. Dann, kurz vor dem Morgengrauen, wurden sie wieder hochgepurrt.
Der erste Blick galt ihrem Schiff, aber das war längst kein Schiff mehr, nur noch ein trauriger Holzhaufen lag auf dem Sand.
Der Anblick war schrecklich genug.
Am Horizont erschien wie aus dem Meer gezaubert das Flammenrad der Sonne und schickte goldene, rote und gelbe Strahlen über das wieder ruhige Wasser. Der Himmel färbte sich tiefblau.
Es kam ihnen allen unwirklich vor, aber das Wrack erinnerte sie überdeutlich an die vergangene Nacht voller Schrecken.
Es hockte dick und plump wie ein totes Tier auf dem Sand und lag auf der Seite, aufgerissen, zerfetzt, kaputt. Die zersplitterten Masten ragten in den fast weißen Sand, und in der Nähe war der Strand voller Unrat und Treibgut.
Zerplatzte Kisten, aufgesprungene Fässer, Balken, Planken, Rahen und Spieren lagen in einem wüsten Haufen durcheinander.
Zwei Tote hatte das Meer angeschwemmt, die inmitten der vielen Trümmer lagen.
Ein weiterer Toter hing im Mast und hatte sich dort verkrallt. Es war ein Seesoldat, wie Sinona an der Uniform erkannte. Diesen Toten dort herunterzuholen, würde schon schwierig werden.
Anfangs standen sie alle stumm um das Wrack herum, starrten es an und schüttelten die Köpfe.
Sinona sah sie der Reihe nach an.
„Das war sie also, die ‚Kap Hoorn‘“, sagte er mit hohler Stimme. „Ein einziges Beiboot ist noch geblieben, es scheint heil zu sein.“
Er blickte den Schiffszimmermann fragend an, und der verstand die unausgesprochene Frage auch sofort.
Er schüttelte resigniert den Kopf.
„Bei Tage sieht es noch schlimmer aus“, sagte er. „Man kann hier nicht mehr von Schäden sprechen. Selbst mit hundert Mann läßt sich da nichts mehr reparieren, Senor Capitano.“
„Ja, unnötig, noch ein Wort darüber zu verlieren“, sagte Sinona. „Holt die Toten zusammen und begrabt sie da hinten in der Nähe des Dickichts. Dann wird alles geborgen, was noch brauchbar ist. Anschließend leisten wir die Vorarbeit für die ‚Patria‘ und die anderen Schiffe, die noch eintreffen werden. Ich weiß nicht, wie viele es insgesamt sind, denn jedes Schiff kann nur immer eine kleine Menge dieser Pflanzen mitnehmen.“
Die Arbeit ging weiter.
Die Toten wurden beigesetzt, brauchbare Gegenstände von Bord geholt und am Strand bei den Hütten gelagert.
Den Mann am Mast kriegten sie allerdings nicht herunter, ohne sich selbst zu gefährden, und so blieb er vorerst dort hängen und würde später beigesetzt werden.
Zwei Spanier, die die Umgebung erkundet hatten, meldeten sich etwas später bei Sinona.
„Wir haben Pflanzen gefunden, Senor Capitano“, berichtete der eine. „Die Insulaner haben eine kleine Plantage angelegt, und hinter den Hütten stehen noch weitere Brotfruchtbäume.“
„Sehr gut. Wir werden gleich damit beginnen. Wie hoch sind die Brotfrüchte?“
„Etwa mannshoch.“
„Insulaner gesehen?“ fragte Sinona.
Alle beide verneinten.
„Keinen einzigen. Sie müssen sich entweder in die Berge oder auf einen anderen Teil der Insel zurückgezogen haben.“
„Noch besser. Paßt trotzdem gut auf, die meisten Insulaner sind heimtükkisch und hinterhältig.“
Sinona wandte sich ab und kontrollierte die Leute, als ihn ein Ruf zusammenzucken ließ.
„Segel am Horizont!“ schrie ein Mann, der einen Hügel erklommen hatte und von dort aus Aussicht hielt.
„Das ging ja schneller, als erwartet“, sagte Sinona.
Die Aussicht, hier auf lange Zeit festzusitzen, war damit beendet.
Er rieb sich die Hände und stieg selbst in den Hügel, um sich das Schiff anzusehen.
Als er wieder zurückkehrte, war sein Gesicht ernst.
„Das ist nicht die ‚Patria‘“, sagte er entschieden, „dieses Schiff ist viel schlanker, aber es muß ein Spanier sein.“
„Und wenn es doch keiner ist?“ fragte der Profos. „Diese Möglichkeit müssen wir auch in Betracht ziehen.“
„Vielen Dank, Profos, daß Sie für mich gleich mitüberlegen“, antwortete Sinona sarkastisch. „Bewaffnet euch, unterbrecht die Arbeit, damit es keine Überraschung gibt. Bringt das geborgene Zeug hinter die Hütten.“
„Sieht aus, als wenn er an der Insel vorbeiläuft“, sagte der Profos nachdenklich. „Er hat nicht genauen Kurs auf uns.“
„Das kann er auch kaum. Aber er wird uns suchen, wenn es einer von uns ist, und er wird uns auch finden.“
Aber es sah wirklich nicht so aus, als laufe das Schiff diese Stelle an.
Ferris Tucker hatte noch ein paar alte Planken, die in Stücke gesägt worden waren, um eventuelle Lecks abzudichten.
Diese Bretter hatte er an Deck geholt und über die Kuhlgräting gelegt.
Vor ihm stand ein Fäßchen mit langen Nägeln, in das er immer wieder hineingriff. Er holte einen Nagel heraus, setzte ihn auf das Stück Planke und trieb ihn mit dem Hammer so tief hinein, daß er auf der anderen Seite weit herausragte.
Der alte O’Flynn stand seit einer ganzen Weile daneben und schaute verständnislos zu, wenn Ferris einen Nagel nach dem anderen in die Bretterstükke trieb.
Eins der Stücke war bereits über und über mit Nägeln gespickt.
Old O’Flynn hatte schon ein paarmal angesetzt, um seine Frage endlich loszuwerden, aber er traute sich nicht, obwohl er nicht den geringsten Sinn in der Nagelei sah.
Fragte er den rothaarigen Schiffszimmermann direkt, dann kriegt er eine blöde Antwort, das war sicher, fragte er aber nicht, dann erfuhr er auch nicht, was das alles sollte.
Also blieb er weiterhin dicht daneben stehen und wartete ab.
Ferris Tucker hämmerte gleichmütig weiter und grinste sich eins, weil er ganz genau wußte, daß Donegal vor Neugier fast platzte. Aber er tat so, als bemerke er das nicht.
Schließlich hielt der Alte es nicht mehr aus.
„Nett sieht das aus“, sagte er.
„Ja, ganz nett“, sagte Ferris Tucker ernst.
„Wie viele Nägel müssen denn in so ein Brett?“
„Hundert ungefähr, ist doch klar.“
„Ja, richtig, hundert“, sagte Old O’Flynn und bemühte sich verzweifelt, das Gespräch nicht versiegen zu lassen.
„Fünfzig müßten doch auch langen, oder nicht?“ fragte er.
Ferris nickte zustimmend.
„Hundert sind aber besser, das weißt du doch genausogut wie jeder andere an Bord auch.“
„Ja, klar“, sagte Old O’Flynn, der überhaupt nichts wußte.
Ferris hatte jetzt zwei lange Stükke fertig, strich vorsichtig mit der Hand über die spitzen Nägel und nickte zufrieden.
„Ja, genau richtig“, sagte er und reichte Donegal das eine. „Findest du nicht auch, Donegal?“
Der alte und äußerst mißtrauische O’Flynn nahm das Brett argwöhnisch in die Hand und nickte schließlich auch.
„Ja, so ist es in Ordnung“, sagte er. „Wo soll es hin?“
„Ach“, sagte Ferris gleichmütig, „ich werde es schon verwahren, heute brauchen wir sie ja doch nicht mehr, oder?“
„Ich glaube nicht.“
Der Alte wurde immer fuchtiger, aber schließlich griff er zu einer List, wie er meinte.
„Merkwürdig, daß einem manchmal eine einfache Bezeichnung nicht mehr einfällt, Ferris. Jetzt habe ich doch glatt vergessen, wie die Dinger heißen.“
„Das fällt dir später wieder ein“, versicherte Ferris freundlich. „Du mußt nur immer darüber nachdenken.“
„Tu ich doch die ganze Zeit“, fluchte Donegal. „Aber es fällt mir trotzdem nicht ein.“
Ferris klopfte dem Alten auf die Schulter und grinste infam. „Denk doch nur daran, wozu die Dinger gebraucht werden, dann weißt du es wieder.“
Jetzt war O’Flynn so schlau wie am Anfang, und er stieß einen ellenlangen Fluch aus.
„Jedenfalls wird es nicht oft gebraucht, du rothaariger Holzwurm!“ rief er. „Und die verdammte Nagelei gibt überhaupt keinen Sinn, damit willst du mich nur ärgern.“
Gleichzeitig fiel ihm aber auch ein, daß Ferris nie etwas tat, das keinen Sinn ergab, und daß er keinesfalls die Bretter voller Nägel schlug, um ihn persönlich zu ärgern. Also steckte doch etwas dahinter, und das wollte dieser lausige Zimmermann nur nicht zugeben.
Zum Glück erschien der Profos, blieb stehen und starrte auf die gespickten Holzbretter.
„Was ist das denn?“ fragte er stirnrunzelnd.
„Das will Donegal auch dauernd wissen“, sagte Ferris. „Das sind Bretter mit Nägeln drin.“
Der Profos stemmte die Arme in die Seiten. Sein Blick wurde düster und drohend.
„Das sehe ich selbst“, knurrte er. „Wie heißen die Dinger denn?“
Jetzt muß er Farbe bekennen, dachte Old O’Flynn und rieb sich die Hände.
„Nagelbretter“, gab Ferris bereitwillig Auskunft und zwinkerte seinem Freund Carberry unauffällig zu.
Der Profos hatte kapiert und nickte wieder. Er sah, daß Old O’Flynn vor Ärger fast grün im Gesicht wurde, und grinste.
„Klar, hatte ich ganz vergessen“, sagte er und ging weiter.
„Old O’Flynn raufte sich fast die paar Harre, die er noch hatte.
„Verdammt!“ rief er. „Nun sage mir doch endlich den richtigen Namen, Ferris! Daß das Nagelbretter sind, sieht jeder Idiot. Aber wie heißen sie, oder wie nennt man sie?“