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4.
In einer der weißgetünchten Hütten, die nicht weit von Diegos Felsenkneipe entfernt waren, herrschte eine gespannte Atmosphäre.
Der mittelgroße, bullige Mann mit dem kahlrasierten Schädel, den sie alle nur El Toro – den Stier – nannten, kochte vor Wut und Haß. Während die Männer auf den Holzbänken hockten und ihn teils mit zustimmenden, teils mit skeptischen Blicken ansahen, stand er mitten im Raum und stützte die klobigen Fäuste in die Hüften.
Wie er so dastand, glich El Toro wirklich einem Stier, und zwar einem, den man mit einem roten Tuch gereizt hatte.
Das rote Tuch war in diesem Falle die Black Queen.
Es gab kaum noch jemanden in der näheren Umgebung der „Schildkröte“, der nicht bereits darüber informiert war, daß sich die schwarze Piratin zur Herrscherin über Tortuga aufgeschwungen hatte. Einige der Männer, die sich jetzt um El Toro geschart hatten, waren in Diegos Kneipe gewesen, als die Queen ihre Machtansprüche öffentlich kundgetan hatte.
„Du hast dir reichlich viel vorgenommen, El Toro“, sagte Juan, der meist als Tagedieb im Hafen herumlungerte. „Gegen dieses Teufelsweib kommst du nicht an. Du nicht und wir alle nicht.“
Der dürre Bursche blickte nach Zustimmung heischend in die Runde. Doch wie es schien, stand er inzwischen allein mit seiner Meinung. War es anfänglich noch die Mehrzahl der versammelten Männer gewesen, die versucht hatte, El Toro sein wahnwitziges Vorhaben auszureden, so war er jetzt der einzige. Die acht anderen Kerle hatten sich von El Toros Wutausbrüchen und haßvollen Reden überzeugen lassen.
Der Kahlköpfige warf Juan, einem ziemlich hellhäutigen Mulatten, einen kalten Blick zu.
„Du kannst noch aussteigen“, sagte er. „Wir sind freie Männer. Ich zwinge niemanden, selbst wenn ich die Sache allein erledigen müßte. Aber eins sage ich dir, Juan: Wenn du uns verpfeifst, ist dein lausiges Leben nicht einmal mehr den Dreck wert, den du unter deinen langen Fingernägeln hast. Ich hoffe, du hast mich verstanden!“
Juan tat entrüstet. „Willst du mich als Verräter hinstellen, El Toro? Mich, einen deiner engsten Freunde? Traust du mir tatsächlich zu, dich zu verraten? Hör zu: Ich will nicht, daß du so über mich denkst. Selbstverständlich stehe ich auf deiner Seite, auch wenn ich meine Bedenken gegen deinen Plan vorgebracht habe. Trotzdem wirst du zugeben müssen, daß es ein sehr gefährlicher Plan ist. Die Black Queen und ihre verfluchte Bande scheint mit dem Teufel im Bunde zu sein. Nicht einmal der Seewolf und seine Freunde haben ihr bisher eine vernichtende Schlappe zufügen können. Und wir – wir sind nur ein armseliges kleines Häuflein.“
Über El Toros Stirn legten sich tiefe Falten.
„Ich bin mir des Risikos durchaus bewußt“, sagte er. „Dennoch ist es die einzige Lösung für uns und für Tortuga. Und es wird uns gelingen, wir müssen es nur geschickt anpacken. Wir tun es nicht nur, weil dieses Weibsstück meinen Bruder kaltblütig ermordet hat, sondern weil es für jeden von uns um seine Existenz geht. Befindet sich die Insel erst einmal in den Klauen der Black Queen, hat keiner von uns mehr etwas zu lachen. Wir können uns dann jeden Tag, an dem wir uns von unserem Lager erheben, fragen, ob wir ihn durch die Gnade der Queen überleben werden, oder ob sie geruhen wird, uns ihr Entermesser in den Bauch zu jagen. Wenn sie am Leben bleibt, werden wir alle nur noch arme Tröpfe sein, die vor ihr und ihren Handlangern zu kuschen haben.“
Das leuchtete den mehr oder weniger wüsten Kerlen ein. Die meisten von ihnen hatten in der „Schildkröte“ miterlebt, wie dem betrunkenen Pedro von der Negerin ein Loch in die Stirn geschossen worden war, und das nur, weil er im Suff unüberlegt dahergeredet hatte.
Pedro war El Toros Bruder gewesen und in gewissem Sinne auch sein Partner. El Toro betrieb seine dunklen Geschäfte seit einigen Jahren von Tortuga aus. Offiziell war er Händler, doch in Wirklichkeit lebte er von der Hehlerei. Er kaufte zahlreichen Schnapphähnen in der gesamten Karibik Teile ihrer Beute zu Spottpreisen ab und verhökerte das Zeug dann weiter. Bisweilen griff er mit seiner Karavelle auch mal selber zu, weil das den Gewinn beträchtlich erhöhte. Kein Wunder, daß er durch die Machtgier der Black Queen seine Felle davonschwimmen sah.
„Mit uns kannst du rechnen, El Toro“, sagte Miguel, ein kleiner, kräftiger Bursche mit einem runden Vollmondgesicht. Die anderen murmelten zustimmend.
„Ich danke euch“, sagte El Toro. „Ich habe also richtig gehandelt, daß ich mich auf euch verlassen habe. Wir werden der Queen samt ihrer Brut den Garaus bereiten, das verspreche ich euch.“
„Es wird verdammt hart werden“, bemerkte Fernando, dem die Hütte gehörte, „aber wir werden es schaffen.“
El Toros Züge glätteten sich. „Natürlich hätten wir im offenen Kampf keine Chance gegen dieses Miststück. Doch diesmal handelt es sich nicht um ein Seegefecht gegen ihren ganzen Verband. Unser Angriff wird sie an Land überraschen und richtet sich ausschließlich gegen sie und die Handvoll Männer, die sie begleiten. Das müßte doch, verdammt noch mal, zu schaffen sein!“
„Wo willst du zuschlagen?“ Miguel sah den bulligen Händler erwartungsvoll an. „Am besten ist es wohl, wenn wir die Bande in einen Hinterhalt locken.“
El Toro grinste und zeigte dabei eine Reihe kräftiger Zähne, die vom Aussehen her an ein Pferdegebiß erinnerten.
„Wir brauchen sie gar nicht erst wohin zu locken“, versprach er. „Sie werden uns ganz von selber ins Netz gehen. Die Queen ist vor einer Stunde in östlicher Richtung aufgebrochen. Demnach wird sie, nachdem sie die Insel gerundet hat, von Westen her zum Hafen zurückkehren. Dabei muß sie jedoch das Felsengelände in der Nähe des Westufers durchqueren. Genau dort werden wir ihr auflauern. Während uns die Felsen die beste Deckung geben, die wir uns wünschen können, werden uns die Teufel auf ihren Maultieren direkt vor die Musketenläufe reiten. Das Überraschungsmoment wird auf jeden Fall auf unserer Seite sein.“
„Der Plan ist ausgezeichnet“, sagte Juan. Offensichtlich traute er sich nicht mehr, weitere Bedenken vorzubringen. „Wir brauchen uns nicht einmal zu beeilen, denn wenn man davon ausgeht, daß die Queen ihren Erkundungsritt während der Nacht unterbricht, kann sie frühestens morgen zum Hafen zurückkehren.“
„So ist es“, bestätigte El Toro. „Es bleibt uns also Zeit genug, unseren Angriff gründlich vorzubereiten. Die Black Queen wird ahnungslos in unsere Falle gehen. Auch wenn sie auf See einen legendären Ruf genießt – hier, in der unwirtlichen Wildnis von Tortuga, sind wir es, die sich besser auskennen. Wir sind genau zehn Mann, damit sind wir den Piraten zahlenmäßig gewachsen. Die Queen ist zusammen mit Caligula, dem Spanier und dem dicken Bierbrauer losgeritten und hat sechs Kerle von ihrem Schiff als Begleitschutz mitgenommen. Daß sie bis an die Zähne bewaffnet sind, wird ihnen nichts nutzen. Wir werden sie einfach abschießen, wenn ich das Zeichen dazu gebe. Hinterher lassen wir die Leichen verschwinden. Sie werden niemals gefunden werden, selbst wenn die Schnapphähne die ganze Insel Schritt für Schritt absuchen …“
„Du – du willst sie verschwinden lassen?“ Fernando zog ein verblüfftes Gesicht.
El Toro nickte. „Wir werden sie zu einer versteckten Höhle bringen, die in der Nähe des Felsengeländes liegt. Darin gibt es eine sehr tiefe Spalte, die man auch mit lodernden Fackeln nicht ausleuchten kann. Niemand wird sie dort jemals finden.“
„Aber die Schüsse wird man hören“, gab Miguel zu bedenken.
„Das wird sich nicht vermeiden lassen“, sagte El Toro, „aber man wird keine Erklärung dafür haben. Wenn man nicht feststellen kann, wo die Queen mit ihren Begleitern abgeblieben ist, kann man nichts gegen die Bewohner der Insel unternehmen. Vielleicht läßt sich sogar das Gerücht in die Welt setzen, die Schnapphähne seien mit einer Pinasse entführt worden. Wohin – darüber sollen sich die Piraten ruhig die Köpfe zerbrechen. Ohne die Queen und diesen Caligula sind die Kerle ziemlich hilflos, und niemand auf Tortuga wird viel zu befürchten haben.“
Alles, was El Toro vorbrachte, klang einfach und logisch. Ja, er hatte seine Männer tatsächlich davon überzeugt, daß man auch so gefährliche Gegner wie die Black Queen und Caligula loswerden konnte, wenn man es nur geschickt anstellte.
Fernando ging zu einem Wandregal und holte die beiden einzigen Humpen, die er besaß. Er füllte sie mit schwerem Rotwein.
„Wenn wir uns schon nicht zu beeilen brauchen“, sagte er, „dann können wir wenigstens einen Schluck auf das Gelingen unseren Planes trinken.“ Einen Humpen reichte er El Toro, den anderen behielt er, um ihn nach dem ersten Zug kreisen zu lassen.
„Auf die Vernichtung der Black Queen!“ sagte El Toro mit harter Stimme. „Und auf die Rache für Pedro!“
Mit verschwörerischen Mienen hoben die Männer die Humpen an die Lippen.
Erst einige Stunden später, im Schutz der Dunkelheit, brachen El Toro und seine Mannen einzeln auf. Sie achteten peinlichst darauf, daß sie nicht auffielen und trafen erst zusammen, als die blakenden Lichter des Hafens weit hinter ihnen lagen.
Fernando hatte drei Maultiere mitgebracht, mit denen die Leichen der Piraten vom Schauplatz abtransportiert werden sollten. Zunächst aber trugen die Tiere – wohlverpackt – die Waffen der zehn Männer auf dem Rücken.
Auch El Toro und seine Kumpane sparten nicht an der Bewaffnung, denn sie waren nach wie vor davon überzeugt, daß das Wild, das sie jagen wollten, mit der Hölle im Bunde stand.
Die Schatten der Nacht waren längst verflogen, und die morgendlichen Dunstschwaden wurden von der Sonne aufgelöst.
Die Black Queen, Caligula, Jaime Cerrana sowie Willem Tomdijk und die sechs Galgenvögel von der „Caribian Queen“ saßen längst wieder auf ihren Maultieren und ritten auf das Westufer von Tortuga zu.
Die Nacht hatten sie in einer Fischerhütte verbracht, nachdem sie den Besitzer samt seiner vielköpfigen Familie einfach ausquartiert hatten. Schließlich wäre es – wie Jaime Cerrana mit einem höhnischen Lachen festgestellt hatte – eine Ehre, die Herrscherin von Tortuga zu beherbergen.
Jetzt, am frühen Morgen, trieb die Queen ihr Reittier an. Sie hatte es eilig, wieder zum Hafen zurückzukehren. Wirklich sicher fühlte sie sich nur auf ihrem Schiff, jenem düsteren Zweidecker, der gestern in der Hafenbucht vor Anker gegangen war.
Außerdem wußte man nie, was die Kerle von der Schlangen-Insel ausheckten. Der Verband der Queen war zwar gefechtsklar, aber sie wollte dennoch dabei sein, falls einer dieser Kerle, vielleicht sogar der Seewolf selber, die Nase zu weit vorstreckte.
Zunächst aber zerbrachen sich die Black Queen und ihre Begleiter die Köpfe über die Unterbringung der zahlreichen Siedler aus El Triunfo. Niemand hatte einen Blick für das üppig wuchernde Grün, das die Insellandschaft überzog – für die wilden Orchideen und die zahlreichen anderen exotischen Blütenpflanzen, Kakteen und Farnbäume.
Die Hitze war um diese Zeit noch erträglich, aber schon bald würde die Sonne die Luft in eine flirrende Masse verwandeln.
„Wir werden die Engländer und Franzosen möglichst in Hafennähe ansiedeln“, sagte die Queen. „Unterkünfte werden wir nur errichten, soweit das erforderlich und unumgänglich ist. Sonst weichen wir am besten auf die Fischerdörfer in Küstennähe aus, weil wir so die Leute bei Bedarf am schnellsten zur Verfügung haben.“
„Dreihundert Männer sind eine ganze Menge“, bemerkte Willem Tomdijk und wischte sich mit dem Handrücken über die Stirn. „So problemlos werden sie sich nicht in den winzigen Fischersiedlungen unterbringen lassen.“
Die schwarze Piratin winkte ab.
„Nur keine großen Umstände“, sagte sie. „Es soll ja nicht für ewig sein. Ich bin nach wie vor dafür, daß wir Tortuga nur als Zwischenstation benutzen und später nach Hispaniola ausweichen. Deshalb bauen wir nur so viel, wie unbedingt nötig ist. Im übrigen werden sich die Bewohner von Tortuga einmal von ihrer gastfreundlichen Seite zeigen müssen.“
Caligula lachte rauh, denn die Leute, die sie bisher angetroffen hatten, schienen die Gastfreundschaft nicht gerade erfunden zu haben. Man hatte ihnen deutlich angemerkt, daß sie die Black Queen und ihre Begleiter als unwillkommene Besatzungsmacht ansahen. Aber das störte die Schnapphähne nicht, denn sie verstanden es hervorragend, wo immer es nötig war, der Gastfreundschaft ein bißchen nachzuhelfen.
Jaime Cerrana sagte: „Laß doch die Tagediebe, die hier überall herumlungern, antreten und die Unterkünfte bauen. Da hat das Pack wenigstens etwas zu tun.“
Willem Tomdijk winkte ab.
„Gar nicht nötig“, erklärte er. „Meine Leute können selber kräftig zupacken. Dreihundert harte Männer brauchen schließlich nicht wie Wickelkinder behandelt zu werden. Sie werden schon selber in die Hand nehmen, eine Behausung für sich auf die Beine zu stellen, man muß ihnen nur sagen, wo. Und außerdem …“
Der Bierbrauer aus den fernen Niederlanden und ehemaligen Bürgermeister von El Triunfo wurde durch den Ruf eines Maultieres unterbrochen.
Die Laute stammten jedoch nicht von einem ihrer Reittiere, sondern schienen etwas weiter entfernt ausgestoßen worden zu sein. Durch die weit ausladenden Farnbäume war jedoch nichts zu sehen.
Sofort hob die Black Queen die rechte Hand und stoppte ihren Trupp.
Ohne daß es eines besonderen Befehles bedurfte, rissen die Piraten ihre Musketen hoch. Die Queen selbst zog ihre doppelläufige Pistole aus dem Gürtel. Ihre wohlproportionierte Gestalt straffte sich, während ihre Augen flink die Umgebung abtasteten. Ihre Nasenflügel blähten sich auf wie bei einem witternden Raubtier.
Doch die Vorsicht erwies sich als unnötig. Das Maultier, das in das Blickfeld der Piraten geriet, wurde von einem nahezu unbewaffneten Mulatten geführt und war mit drei kleinen Holzfässern beladen.
Der dunkelhäutige Mann erschrak heftig, als er sich plötzlich der schwerbewaffneten Schar gegenübersah. Er hielt sein Tier an und starrte abwartend auf die Frau an der Spitze des Trupps.
„Tritt näher!“ befahl die Queen herrisch. „Oder erwartest du, daß wir zu dir kommen?“
Der Mulatte gehorchte zögernd. Zehn Schritte vor dem Maultier der Black Queen verhielt er jedoch und warf der halbnackten Frau einen mißtrauischen Blick zu.
„Wie heißt du, und wohin willst du?“ fragte die Queen.
„Ich heiße Paolo, Señora, und ich war im Hafen. Ich – ich habe diese drei Fässer eingekauft.“ Er deutete auf die Behälter, die auf dem Rücken des Maultieres festgebunden waren.
„Was ist da drin?“
Der Mann zögerte, denn er ahnte, wen er vor sich hatte. Im Hafen von Tortuga gab es kein anderes Gesprächsthema als die Black Queen. Schließlich sagte er: „Getränke, Señora.“
„Verdammt, ich weiß, daß du keinen Sand in diese Fässer gefüllt hast“, fauchte die schwarze Piratin. „Laß dir nicht jedes Wort einzeln aus der Nase ziehen!“
Der Mulatte zuckte zusammen. „In zwei Fässern ist Wein, Señora. In dem anderen – ist Rum.“
Caligula begann dröhnend zu lachen und hieb sich mit der rechten Hand auf den Oberschenkel.
„Das trifft sich ja bestens“, brüllte er. „Sicher hast du gewußt, daß man eine trockene Kehle kriegt, wenn man diese verdammte Insel durchstreift. Nett von dir, daß du uns die drei Fässer als Erfrischung anbieten willst.“
„Aber Señor!“ Der Mulatte geriet ins Stammeln. „Das – das kann ich nicht …“ Seine Blicke huschten nervös von einem zum anderen.
„Was kannst du nicht?“ fragte Caligula lauernd. „Soll das vielleicht heißen, daß du der Black Queen und ihren Begleitern diese drei lächerlichen Fäßchen verweigern willst? Wir sind neun Männer und eine Frau – wie du siehst, und wir sind seit vielen Stunden unterwegs. Und du sagst einfach nein! Ist das die vielgepriesene Gastfreundschaft auf dieser Insel?“
Der Mann wand sich. „Señor, lassen Sie mich doch erklären! Der Inhalt dieser Fässer gehört mir nicht. Ich wurde lediglich von anderen Fischern beauftragt, den Wein und den Rum bei Diego abzuholen. Ich – ich kann doch nicht einfach …“
Willem Tomdijk mischte sich ein. „Lassen wir ihn weiterziehen, es mag sich durchaus so verhalten, wie er sagt.“
„Halte dich da raus, Tomdijk!“ herrschte ihn die Queen an. „Das ist eine Sache, die dich nichts angeht!“
Der Niederländer schwieg betreten.
Caligula glitt behende von seinem Maultier und zog seine Peitsche aus dem Gürtel. Bevor der Mulatte noch etwas sagen konnte, stand der muskulöse Neger vor ihm.
„So, du kannst also nicht“, sagte Caligula. „Hauptsache, das faule Fischerpack kriegt seihen Wein und kann sich die Hucke vollsaufen, alles andere ist dir egal.“
Caligula redete meist nicht viel, doch jetzt betrachtete er das Ganze als eine Art Spiel. Er liebte es, seine Opfer zu quälen.
Der Mulatte durchschaute dieses Spiel jedoch nicht. Er zog ein weinerliches Gesicht und verlegte sich aufs Jammern.
„Aber Señor, ich schwöre Ihnen bei der heiligen Madonna und bei …“
Caligula hatte keine Geduld mehr. Und Skrupel kannte er ohnehin nicht. Die Lederriemen seiner Peitsche zischten jäh durch die Luft.
Einmal, zweimal, dreimal.
Der Mulatte brach laut schreiend zusammen und hob abwehrend die Hände vors Gesicht.
Doch Caligula ließ sich dadurch nicht abhalten. Mit brutaler Gewalt verabreichte er dem Mann drei weitere Hiebe, bis sich dieser stöhnend und wimmernd am Boden wand.
Dann erst steckte der Liebhaber der Queen die Peitsche weg und gab einem der Kerle von der „Caribian Queen“ einen Wink. Dieser ritt an das Maultier des Mulatten heran und nahm die Zügel auf. Mit der „Beute“ im Schlepp setzte sich der Trupp wieder in Bewegung. Niemand würdigte den zusammengeschlagenen Mann noch eines Blickes.
„Bei der nächsten Rast werden wir uns einen Schluck genehmigen!“ rief Caligula mit einem höhnischen Grinsen. „Ich spendiere euch das Zeug!“
Jaime Cerrana brachte einen Hochruf auf Caligula aus, in den die sechs Kerle vom Begleitschutz begeistert mit einstimmten.
„Sie kommen!“ El Toros Gesicht verzog sich voller Haß. Er schob den Kieker in den Gürtel zurück und kletterte rasch von dem Felsblock hinunter, der ihm trotz der sengenden Hitze viele Stunden lang als Ausguck gedient hatte.
Die Männer, die schon seit der vergangenen Nacht auf der Lauer lagen, hatten ihrem Anführer immer wieder ungeduldige Blicke zugeworfen. Jetzt endlich war die erwartete Meldung erfolgt.
Es erfüllte El Toro mit Genugtuung, daß seine Kalkulation aufgegangen war. Er hatte von Anfang an damit gerechnet, daß die Piraten das von unzähligen Felsblöcken übersäte Geröllfeld dem mühsamen und schwer zugänglichen Weg durch die zerklüfteten Berge vorziehen würden.
El Toro und seine Männer waren längst kampfbereit. Die drei Maultiere, die sie vorsichtshalber mitgebracht hatten, waren weit genug vom Schauplatz entfernt am Stamm einer Palme festgebunden worden, damit sie von niemandem gehört werden konnten.
Die versteckte Höhle, in der die Leichen der Piraten für ewige Zeiten verschwinden sollten, lag nur eine knappe Meile von dem Geröllfeld entfernt am Fuße eines Bergmassivs.
Die Männer waren hinter mächtigen Felsbrocken in Deckung gegangen, die aussahen, als habe sie die Natur in einem gewaltigen Wutausbruch wahllos in die Gegend geschleudert.
Die Strategie war genau abgesprochen worden. Als erstes sollten die Musketen abgefeuert werden, dann die Pistolen. Die „Feinarbeit“, sollte, wie El Toro grinsend erklärt hatte, mit den Messern erledigt werden.
Die Maultiere der Black Queen würde man – sofern sie den Kampf überlebten – einfach laufen lassen. Vielleicht würde das eine oder andere zu seinem rechtmäßigen Besitzer zurückfinden.
Es herrschte Totenstille. Nur das Geschrei der Vögel drang gedämpft aus dem Dickicht herüber. Die Fäuste der Männer umklammerten hart das Holz der Musketen. Als das Hufgetrappel bereits zu hören war, hielten einige den Atem an.
Bald waren Stimmen zu hören. Ein Mann lachte rauh.
Endlich tauchte der Trupp hinter den Felsen auf. Die Black Queen saß kerzengerade im Sattel. Den Kopf mit dem dichten Kraushaar hatte sie hoch erhoben. Ihre nackten Brüste wippten im Rhythmus der Körperbewegungen ihres Reittieres.
Noch verhielt sich El Toro still. Er wollte auf keinen Fall voreilig handeln. Ungeduld konnte jetzt alles verderben, ja, sogar über Leben und Tod entscheiden. Je näher der Feind heranrückte, desto besser würden die Musketenkugeln treffen.
Doch dann geschah es, urplötzlich und völlig unvermittelt.
Juan, der hinter einem Felsblock kauerte, versuchte, sein Körpergewicht mehr nach rechts zu verlagern. Dabei stieß er mit dem nackten linken Fuß einen kopfgroßen Stein zur Seite. Im selben Augenblick schrie er gellend auf. Aber das nutzte nichts mehr. Die kleine, grünliche Schlange, die unter dem Stein wohl Schutz vor der sengenden Sonne gesucht hatte, löste ihre Zähne bereits wieder von seinem Fuß. Juan begriff instinktiv, daß der Biß dieser Viper tödlich war.
El Toro und die übrigen Männer wurden einen Lidschlag lang von lähmendem Entsetzen gepackt. Der laute Schrei Juans war – daran gab es keinen Zweifel – von der Queen und ihren Leuten gehört worden. Und das viel zu früh.
El Toro erlangte als erster die Fassung zurück.
„Feuer!“ brüllte er mit sich überschlagender Stimme. Im selben Augenblick begannen die Musketen zu krachen.
Aber auch die Black Queen und ihre Begleiter hatten schnell reagiert. Schon bei dem Aufschrei Juans waren sie vom Rücken ihrer Maultiere gerutscht und hatten sich flach auf das Geröll geworfen – gerade noch rechtzeitig genug, um dem ersten Kugelhagel zu entgehen.
Die Geschosse peitschten dicht über den Rücken der Maultiere hinweg und verloren sich irgendwo in der Landschaft. Niemand war getroffen worden, wie El Toro mit einem wilden Fluch feststellte.
Juan hatte seine Waffe nicht mehr abgefeuert. Er hockte wimmernd hinter dem Felsblock und starrte auf seinen rasch anschwellenden Fuß. Dann versuchte er, die Wunde mit einer jähen Verrenkung an den Mund zu kriegen, um sie auszusaugen.
Aber da fehlte es bereits an der nötigen Elastizität. Panische Angst packte ihn, und er schrie jetzt laut um Hilfe. Doch niemand achtete darauf. Seine Kumpane hatten im Moment ganz andere Sorgen.
„Nehmt die Pistolen!“ schrie El Toro. „Nieder mit der Black Queen!“
Doch die Piratin und ihre Kerle hatten die Schrecksekunden genutzt. Teils robbten sie flink hinter umherliegende Felsen, teils rannten sie in geduckter Haltung darauf zu.
Dabei ließ sich nicht vermeiden, daß einige von ihnen ausgerechnet Deckung hinter Felsbrocken suchten, die El Toros Leute bereits in Beschlag genommen hatten.
Im Handumdrehen entbrannte ein wilder Kampf.
Schreie und Flüche wurden ausgestoßen, Musketen und Pistolen krachten, und das Metall von Blankwaffen klirrte gegeneinander.
Auf beiden Seiten wurde zäh und verbissen gekämpft. Schon nach wenigen Augenblicken lagen die ersten Toten auf dem Geröll. Zu ihnen gehörte Juan, der kleine Tagedieb, der die meisten Bedenken gegen den Überfall geäußert hatte. Eine Kugel aus der Pistole Jaime Cerranas hatte ihn von der Angst erlöst, am Biß der Giftschlange sterben zu müssen.
Aber auch auf seiten der Piraten gab es bereits Opfer. Zwei Decksleute von der „Caribian Queen“ lagen verkrümmt am Boden, ihre Augen starrten ins Leere.
Am stärksten wütete der Sensenmann allerdings in den Reihen von El Toros Leuten. Schon nach kurzem Kampf sank der fünfte Mann tot in sich zusammen. Die letzte Kugel aus der doppelläufigen Pistole der Black Queen hatte ihn in die Brust getroffen.
Caligula lieferte Fernando, in dessen Hütte der Überfall geplant worden war, ein hitziges Messerduell. Der Fischer und Gelegenheitsschnapphahn aus Tortuga war zwar ein sehr geschickter Messerkämpfer, aber auf Dauer hatte er gegen den hünenhaften Schwarzen keine Chance. Der Kampf währte höchstens zwei Minuten, dann fuhr ihm Caligulas Entermesser in den Leib.
Auch Cerrana und Tomdijk kämpften wild und entschlossen. Jeder hatte begriffen, daß es hier unabdingbar um Leben und Tod ging.
Die Black Queen hatte ihre leergefeuerte Pistole in den Gürtel geschoben und ließ jetzt ihr Entermesser kreisen. Als ein weiterer Mann aus ihrer Begleitmannschaft von El Toros’ Dolch erwischt wurde und mit einem Röcheln auf die Steine sank, verwandelte sie sich in eine reißende Bestie.
El Toro und seine wenigen Kumpane, die noch am Leben waren, standen auf verlorenem Posten. Der schicksalhafte Schlangenbiß, der Juan unabsichtlich aufschreien ließ, sollte ihnen zum Verhängnis werden. Da half auch kein Fluchen und Hadern mehr, der Kampf war nach wenigen Minuten entschieden.
El Toro brüllte vor ohnmächtiger Wut wie ein Stier, als Miguel, der letzte seiner Männer, tot zusammenbrach – niedergemäht von dem seltsam geformten Entermesser der Black Queen. El Toro achtete nicht auf die tiefe Fleischwunde, die ihm einer der Piraten an der linken Schulter beigebracht hatte. Er war nur noch von dem Wunsch besessen, die Queen mit seinem Dolch zu töten, bevor es auch ihn erwischte.
Doch dazu sollte El Toro keine Gelegenheit mehr haben.
Die Piraten kreisten ihn ein wie ein gejagtes Wild. Schließlich gelang es Caligula, ihn von hinten zu packen und in einen harten Würgegriff zu nehmen. Er setzte ihm dabei das Messer an den Hals.
„Laß deine Waffe fallen!“ fauchte der Schwarze böse. In seinen Augen funkelte blanke Mordgier.
El Toro mußte keuchend gehorchen. Seine Brust hob und senkte sich in einem wilden Rhythmus, dann klirrte sein Dolch auf das Gestein.
Die Black Queen baute sich mit einem triumphierenden Lächeln vor ihm auf.
„So hast du dir das wohl nicht vorgestellt, wie? In wessen Auftrag habt ihr uns überfallen?“ Ihre Stimme klang hart und unerbittlich.
El Toro spuckte vor ihr aus.
Doch das brachte ihm nur eine fürchterliche Ohrfeige der Queen ein. Hätte ihn Caligula nicht fest im Griff gehabt, wäre er von dem Schlag unweigerlich zu Boden gegangen.
„Willst du jetzt antworten, du Bastard? Wer steckt dahinter? Heraus damit!“
„Ich“, sagte er mit haßerfüllter Stimme. „Ich, El Toro!“
„Du?“ Die Queen lachte spöttisch. „Ich kenne dich nicht einmal.“
„Dafür kenne ich dich um so besser!“ stieß El Toro hervor. Auf seinem kahlen Schädel perlte der Schweiß. „Erst gestern hast du in Diegos Kneipe meinen Bruder Pedro kaltblütig ermordet. Dafür wirst du sterben, Black Queen! Eines Tages wirst du bezahlen, du – du Hure!“
Für einen Augenblick verwandelten sich die Lippen der Frau in schmale Striche.
„Dein Bruder Pedro hat mich auch so genannt“, sagte sie mit scheinbar ruhiger Stimme. „Doch er hat es nicht überlebt, wie du weißt. Auch du wirst es mit dem Leben büßen, El Toro!“
Blitzschnell ruckte ihr Entermesser hoch. Eine Sekunde später hing El Toro tot im Arm Caligulas. Auf seinen Zügen spiegelte sich blankes Entsetzen.
Der Schwarze löste seinen eisernen Griff, und die Leiche El Toros prallte dumpf auf den Boden. Weder er noch seine Kumpane hatten das Massaker überlebt. Sie hatten hoch gespielt – und verloren.
Für die Black Queen und ihre Leute war mit dem Tod El Toros die Angelegenheit erledigt. Keiner von ihnen dachte auch nur im geringsten daran, die Leichen der Angreifer und der drei Männer aus den eigenen Reihen zu beseitigen.
Die selbsternannte Herrscherin über Tortuga wollte die Hafenbucht, die ungefähr fünf Meilen vom Schauplatz entfernt war, noch vor Anbruch der Abenddämmerung erreichen.