Читать книгу: «Seewölfe Paket 20», страница 3
„So verliert denn auch ein Mann wie er den Kopf“, sagte Jussuf. „Und er redet Sachen daher, die er eigentlich für sich behalten sollte. Als Farbiger ist er nicht frei von Imponiergehabe vor weißen Frauen.“
„Ja, das leuchtet auch mir ein“, sagte Jörgen. „Ich schätze aber, daß er sich auf die Weise noch Ärger einhandelt.“
„Jussuf, du gehst zurück zu der Kneipe und beschattest weiterhin Caligula“, sagte Arne. „Wir müssen einen Plan entwerfen, aber ich weiß noch nicht recht, wie wir am besten verfahren.“
Die Black Queen lebte – wie er richtig vermutet hatte. Aber er mußte Jussufs neue Informationen erst überdenken. Das Wichtigste war zunächst einmal, den Bund der Korsaren über die neue Wendung zu unterrichten. Er mußte entscheiden, was unternommen werden sollte. Die Zeit drängte. Die Queen war genauso gefährlich wie Don Juan de Alcazar. Im übrigen mußte er, Arne, verhindern, daß Caligula die Gelegenheit erhielt, mit Don Juan Kontakt aufzunehmen.
Arne begriff, daß sein Spiel in Havanna immer gefährlicher wurde. Aber er durfte sich nicht entmutigen lassen, sie mußten weiterarbeiten.
Während die drei Männer noch herumgrübelten, Pläne faßten und wieder verwarfen, geschah etwas, was ihnen die Initiative entzog. Keiner hatte damit gerechnet, aber im Grunde war es Jörgen Brunn, der recht behielt. Caligula handelte sich Ärger ein.
4.
Die Kellerkaschemme „Malagena“ begann sich um die Mittagsstunde zu füllen. Caligula verfolgte lachend und grölend das Treiben an der Theke und an den Tischen, er war der Herr der Szene. Bei ihm waren inzwischen nicht nur die dunkelhaarige Hure, sondern auch Joanna und eine dritte, rothaarige Frau. Außerdem war er von Kerlen umringt, die alle auf seine Kosten zechten. Caligula ließ die Dublonen rollen, und der Schankwirt bediente ihn mit untertänigem, beflissenem Gebaren.
Caligula trank, brüllte herum, riß Witze, sang schmutzige Lieder und preßte die Frauen an sich. Ungeniert griff er Joanna in den Ausschnitt, und alle lachten darüber.
Nur einer lachte nicht mit. Er stand an der Theke und genehmigte sich einen Becher Rotwein. Mit wachsendem Ärger verfolgte er, was sich am Tisch des großen Schwarzen abspielte. Er hieß Diego Cámara und war ein spanischer Fischhändler. Er wußte nicht, wer der Schwarze war, und er ahnte auch nicht, daß er an diesem sonnigen Tag in Havanna sterben würde. Er wußte nur eins: daß ihm das Auftreten dieses Kerl nicht paßte.
Der Schankwirt tauchte hinter der Theke auf und füllte den leeren Bierkrug. Cámara beugte sich zu ihm hinüber und sagte: „He, Lopez, komm mal her.“
„Hast du deinen Wein schon ausgesoffen? Warte, ich habe jetzt keine Zeit.“
„Ach. Du mußt den Nigger bedienen, was?“
„Richtig. Es ist schon der zwölfte Krug.“
„Und deine anständige Stammkundschaft kann warten, wie?“
Lopez, der Schankwirt, drehte sich mit dem halbvollen Krug in der Hand langsam zu ihm um. „Suchst du etwa Streit?“
„Ach was. Ich staune nur.“ Cámaras derbes Gesicht war leicht verkniffen. „Bei mir werden solche Affen nur mit der Peitsche bedient.“
„Bei mir werden sie bewirtet, wenn sie bezahlen können und keinen Ärger machen.“
„Wer ist denn der schwarze Hurensohn?“
Lopez warf einen hastigen Blick zu Caligulas Tisch, dann entgegnete er: „Nicht so laut, Mann. Bist du verrückt?“
„Hast du Angst vor ihm?“
„Ich denke nur an mein Geschäft. Er behauptet, der König der Karibik und ein großer Kapitän zu sein, aber mir ist das egal.“
„Ja“, sagte der Fischhändler. „So verkauft sich jeder auf seine Weise. Du bist auch nicht besser als die Huren, die sich hier rumtreiben und dir die Zimmer bezahlen.“
„Wirt!“ brüllte Caligula. „Meine Kehle ist trocken und ausgedörrt! Ich lechze nach Bier! Was ist los? Sind die Fässer schon leer?“
„Ich komme!“ rief Lopez. Er füllte den Krug ganz, blickte dabei aber zu Cámara und zischte: „Mach hier keinen Stunk. Wenn du was auszusetzen hast, haust du am besten gleich wieder ab. Es gibt genug Pinten im Hafen, warum mußt du ausgerechnet bei mir rumstänkern?“
„Weil ich keine Nigger leiden kann“, erwiderte Cámara, aber das hörte Lopez schon nicht mehr. Er war unterwegs zu Caligula, umrundete den Tresen, steuerte zwischen den Tischen hindurch und stieß in eine Lücke zwischen zwei von den Kerlen, die Caligula umringten.
Er knallte den Krug auf den Tisch, daß der Schaum spritzte und sagte: „Salud – Prost.“
„Prost!“ brüllte die Bande.
Gierig füllte ein Kerl die Becher und Humpen und wieder wurde getrunken. Caligula interessierte es nicht, was die Kerle taten, er war mit den Huren beschäftigt. Gerade untersuchte er, ob der Busen der Dunkelhaarigen, Glutäugigen genauso groß war wie der von Joanna. Sie quietschte und kicherte, und er stieß ein begeistertes Grunzen aus.
Lopez war unterdessen hinter die Theke zurückgekehrt. Diego Cámara war nicht mehr da, er hatte seinen Becher stehen lassen. War er gegangen, ohne die Zeche zu zahlen? Lopez war es gleichgültig. Die Hauptsache war, daß es keinen Krach gab.
Aber Cámara befand sich noch in dem Gewölbe. Er hatte sich in die Nähe von Caligulas Tisch begeben und stand gegen eine Säule gelehnt, so daß Lopez ihn von der Theke aus nicht sehen konnte.
„Alle Weiber zu mir!“ brüllte Caligula gerade und griff nach der Rothaarigen. „Du bist richtig für mich! Wie fühlst du dich an? Ha, ihr seid gut gebaut, ihr weißen Weiber! Mit euch gefällt mir das Leben!“
Lachend rutschte die Rothaarige auf seinen Schoß. Joanna kniff sie in den Oberschenkel, und auch der Dunkelhaarigen warf sie hin und wieder einen giftigen Blick zu. Sie wollte sich das Geschäft mit Caligula nicht verderben lassen.
Aber die Rothaarige ließ sich nicht beeindrucken. Kichernd und glucksend ließ sie sich von Caligula abtasten.
„Bei dir möchte ich meinen Anker werfen“, sagte er mit dunkler Stimme. „Wie wär’s?“
„Einverstanden, aber das kostet dich einen Goldtaler.“
„Wir nehmen auch die beiden anderen mit.“
„Zu dritt?“ fragte sie und blickte ihn erstaunt an. „Schaffst du das denn? Bist du ein solcher Riese?“
„Du wirst staunen“, röhrte Caligula und stimmte wieder ein brüllendes Gelächter an.
Cámara hatte sich von der Säule abgestoßen und trat an den Tisch. Er mischte sich unter die Schnorrer und musterte Caligula mit offener Verachtung.
Noch registrierte Caligula es nicht, noch galt seine ganze Aufmerksamkeit den drei Frauen. Aber plötzlich flog der Krug um, und das Bier lief über die Tischplatte. Die Pfütze breitete sich aus, und einige Tropfen fielen auf Caligulas Beine und den Schoß der Frau.
„He!“ brüllte Caligula. „Könnt ihr nicht aufpassen, Ihr Idioten? Jetzt ist das feine Bier beim Teufel! Wirt!“
„Ich frage mich, was so ein schwarzer Hurensohn in einer Kneipe wie dieser zu suchen hat“, sagte Diego Cámara laut und deutlich.
Caligula blickte zu ihm auf. Er glaubte, nicht richtig gehört zu haben. „Wie war das? Sag das noch mal!“
„Du bist ein schwarzer Hurensohn“, sagte Cámara. „Und hier fliegst du jetzt raus. Nigger haben hier nichts verloren. Und sie sollen keine weiße Frau beschmutzen, auch wenn es sich um eine Hure handelt.“
Joanna richtete ihren Zeigefinger auf den Fischhändler. „Moment mal. Du hast sie wohl nicht mehr alle, was? Sieh zu, daß du Land gewinnst, oder du kannst was erleben. Was fällt dir eigentlich ein, meinen Freund zu beleidigen?“
„Für Nigger ist hier kein Platz“, sagte Cámara. Seine Schläfenadern waren angeschwollen.
Lopez nahte, und die Zecher versuchten, Cámara einzukreisen und fortzuzerren. Doch der ließ sich nicht wegziehen. Auch Caligula hatte inzwischen reagiert. Er stieß die Rothaarige fort, war mit einem Ruck auf den Beinen, daß sein Stuhl umkippte, und warf sich über den Tisch hinweg auf Cámara.
„Schwarzer Dreck!“ brüllte Cámara. „Negersau! Raus!“ Er hieb mit den Fäusten auf Caligula ein. Aber der riß ihn um und wälzte sich mit ihm über den Boden. Sie fluchten und kämpften wie Raubtiere.
Cámara hatte Caligula unterschätzt. Er war sich zwar im klaren darüber, daß dieser Kerl sehr stark sein mußte, doch er hatte fest damit gerechnet, daß das viele Bier seine Reaktionsschnelligkeit und sein Kampfvermögen geschwächt hätte.
Das war nicht der Fall. Caligula drosch wild auf den Fischhändler ein, er war wie von Sinnen. Nie war er derart beschimpft worden, selbst von El Tiburon, seinem erklärten Todfeind, nicht.
Lopez wandte sich an Libero, seinen kleinen, schmächtigen Gehilfen. „Dieser verdammte Cámara“, zischte er. „Jetzt haben wir die Bescherung! Los, lauf in die Stadt zum Gendarmerieposten und hol Hilfe. Der Schwarze schlägt hier alles kurz und, klein, das sehe ich schon kommen.“
Libero verschwand. Auf schnellen Füßen eilte er in die Stadt und betrat das Gebäude der Gendarmerie. Der Leiter der Stadtgarde hörte sich an, was er zu melden hatte, und schickte sofort drei Mann los.
Caligula hatte Cámara gepackt und hochgezerrt. Er hob ihn an und schleuderte ihn quer durch den Raum. Cámara prallte gegen eine Säule und glitt daran zu Boden. Schlaff und reglos war seine Gestalt, er gab keinen Laut mehr von sich.
„Wasser!“ brüllte Caligula. „Er soll aufwachen! Ich bin noch nicht mit ihm fertig!“
„Wasser vom Brunnen!“ rief jemand. „Oder einfach Bier!“
„Nein.“ Lopez hatte beschlossen, eine Heldentat zu vollbringen und Cámara das Leben und sich selbst die Einrichtung der Kaschemme zu erhalten. Er trat vor Caligula hin und sagte: „Bitte, laß ihn jetzt in Ruhe. Er hat seine Lektion bezogen. Du schlägst ihn sonst noch tot.“
Caligula versetzte Lopez einen Stoß, daß er rückwärts durch den Raum taumelte und über einen Stuhl stolperte. Drohend rückte Caligula wieder auf den Fischhändler zu, packte ihn und riß ihn zu sich hoch.
„Wach auf, du Drecksack!“ brüllte er ihn an. Dann schüttelte er ihn.
Cámaras Kopf pendelte bedenklich hin und her. Joanna war die erste, die darauf aufmerksam wurde. Sie trat zu Caligula und bedeutete ihm, den Mann wieder zu Boden sinken zu lassen. Keiner glaubte, daß er es wirklich tun würde. Und doch gehorchte er. Sein Gesicht war verzerrt, die Augen weit aufgerissen, so daß das Weiße zu sehen war, aber Joannas Einfluß auf ihn war erstaunlich.
Sie untersuchte Diego Cámara und richtete sich wieder auf.
„Er ist tot“, sagte sie. „Du hast ihm das Genick gebrochen, Caligula.“
Drei Gendarmen stürmten in die Kaschemme, begleitet von Libero, der sogleich hinter der Theke in Deckung ging.
Lopez war auf den Beinen, deutete außer sich vor Zorn auf Caligula und schrie: „Er hat Cámara umgebracht! Legt ihn in Ketten!“ Vergessen war das gute Geschäft, jetzt galt nur noch eins: Der Schwarze war ein Mörder und mußte eingesperrt werden.
Die Gendarmen stürzten zu Caligula, und einer von ihnen rief: „Die Hände hoch! Du bist verhaftet, Kerl!“
Caligula griff ihn als ersten an und fällte ihn durch einen einzigen Hieb. Die beiden anderen versuchten, ihn zu packen, aber seine Arme waren wie Windmühlenflügel. Sie wirbelten durch die Luft, und die Fäuste trafen ihr Ziel. Stöhnend ging der zweite Gendarm in die Knie.
Der dritte richtete die Muskete auf Caligula, doch Caligulas Fuß flog hoch. Er trat ihm die Waffe aus den Händen, sie polterte zu Boden. Der Gendarm wollte seine Pistole zücken. Er schrie: „Im Namen des Gesetzes, ergib dich!“
„Das Gesetz bin ich!“ brüllte Caligula. Wieder schlug er zu.
Lopez kauerte hinter der Theke neben Libero.
„Lauf!“ zischte er. „Hol einen Trupp Soldaten. Direkt aus der Residenz. Alles andere hat keinen Sinn!“
Wieder rannte Libero los. Er war froh, daß er die Kaschemme verlassen durfte. Wie der Blitz sauste er durch die Stadt, verfolgt von den erstaunten Blicken der Passanten. Er stoppte vor einem Posten am Hauptportal des Gouverneurspalastes und brachte hastig seine Alarmmeldung vor.
Caligula hatte den dritten Gendarmen niedergeschlagen und packte jetzt einen Stuhl. Er drosch damit auf die Tische ein. Die Huren kreischten, die Zecher wichen vor ihm zurück.
„Wo ist der Wirt, dieser Hurensohn?“ brüllte er. „Er will mich in Ketten legen lassen! Ich breche auch ihm die Knochen!“
Lopez begann zu zittern. Nie hatte er größere Angst gehabt. Sie war nackt, kalt und grausam, sie lähmte ihn und schnürte ihm die Kehle zu. Er kroch unter die Theke, aber er wußte, daß er auch dort nicht in Sicherheit war. Caligula würde hier nachsehen und ihn finden.
Joanna stellte sich vor Caligula hin und hob beide Hände.
„Sei doch vernünftig!“ rief sie. „Du hast schon genug angestellt! Los, wir gehen zu mir nach Hause!“
Den Kopf leicht gesenkt, das Gesicht immer noch verzerrt, blieb er vor ihr stehen.
„Das hier – das ist meine Angelegenheit“, sagte er. „Bring dich in Sicherheit. Nimm die anderen Weiber mit. Wir sprechen uns später.“
„Laß Lopez in Ruhe. Er hat dir nichts getan.“
Caligula griff nach ihrem Arm und beförderte sie zum Ausgang. Die Dunkelhaarige, die Rothaarige und noch eine vierte Hure, die erst vor kurzem eingetroffen war, folgten ihnen. Caligula stieß alle vier ins Freie, dann rammte er die Tür zu, drehte sich um und lehnte sich mit dem Rücken dagegen.
„Lopez!“ brüllte er. „Zeig dich! Der schwarze Hurensohn hat noch ein Wörtchen mit dir zu reden!“
Lopez gab keinen Laut von sich. Caligula war mit einem Satz zwischen den Tischen, riß einen Stuhl hoch und zertrümmerte ihn. Mit dem einen Bein drosch er auf alles ein, was ihm im Weg war – auf Tische und Menschen, Säulen und Lampen. Alles ging zu Bruch, systematisch arbeitete er sich auf die Theke zu.
„Ich weiß, wo du bist!“ schrie er. „Los, leg mich in Ketten!“
Draußen trappelten Schritte heran, ein zwanzigköpfiger Trupp Soldaten erschien. Der Anführer, ein Sargento, sah die vier Huren, die in einer Seitengasse verschwanden, schenkte ihnen aber weiter keine Beachtung. Er stieß die Tür zur „Malagena“ auf und drang als erster ein. Ein Stuhl flog ihm entgegen, begleitet von einem Fluch. Der Sargento ging in Deckung, aber jetzt stürmten seine Männer das Kellergewölbe.
Caligula schrie und hieb auf sie ein. Ein Warnschuß krachte, der Sargento hatte ihn mit der Pistole in die Luft gefeuert.
„Ergib dich, du Hund!“ schrie er. „Los, fesselt ihn!“
Der Übermacht war Caligula nicht gewachsen. Schon hatten sie ihn eingekreist und wollten ihm Ketten anlegen. Aber mit einem pantherhaften Satz brachte er sich hinter die Theke, entdeckte Lopez, packte ihn und zerrte ihn zu sich hoch.
„Ich dreh’ ihm den Hals um, wenn ihr nicht abhaut!“ brüllte er.
Aber das Schicksal – oder Lopez’ Schutzengel – wollte es, daß der Wirt Glück hatte. Er riß sich mit einem Ruck los und lief weg. Schon waren die Soldaten wieder heran. Diesmal richteten sie Musketen auf Caligula.
Der wollte denn doch nicht sterben. Er räumte noch ein paar Flaschen und Becher von der Theke und aus den Regalen ab, dann ergab er sich.
„Wenn ich wieder frei bin“, sagte er noch, als sie ihm die Hand- und Fußketten anlegten, „rechnen wir miteinander ab, Lopez. Du hast diese Hunde hergeholt. Dafür wirst du büßen.“
„Nein“, sagte der Sargento. Er hatte Cámara und die Gendarmen untersucht. „Du wirst hingerichtet. Öffentlich. Du hast nicht nur den Fischhändler, sondern auch einen der Gendarmen getötet.“
„Mein Gott“, stammelte Lopez und rang die Hände. „Allmächtiger, wie konnte das nur geschehen?“
5.
Jussuf hatte den Schuß und das Geschrei vernommen und beschleunigte seine Schritte. Als er vor der „Malagena“ eintraf, sah er als erstes eine große Menschenmenge, die sich vor dem Eingang versammelt hatte. Besorgt mischte er sich unter die Männer und Frauen und blieb unmittelbar neben Libero stehen, der Unverständliches vor sich hinmurmelte und schweiß überströmt war.
„Was ist denn hier los?“ fragte Jussuf.
Libero drehte sich zu ihm um.
„Der Teufel“, sagte er. „O Jesus, so was habe ich noch nicht erlebt. Fast hätte er uns alle totgeschlagen.“
„Wer?“
„Na, der riesige Neger, dieser – Caligula. Cámara, der Fischhändler, hat ihn einen schwarzen Hurensohn genannt. Da hat er ihn umgebracht. Und einer der Gendarmen ist auch tot.“
„Unfaßbar“, sagte Jussuf. Sofort begriff er, daß dieses Ereignis eine entscheidende Wende brachte. Vielleicht konnten Arne, Jörgen und er das Kapitel Caligula jetzt bereits abhaken und abschließen. „Arbeitest du nicht hier?“ fragte er Libero wie beiläufig. „Ich glaube, ich habe dich schon mal gesehen.“
„Ich bin Libero, der Schankgehilfe.“
„Wo ist der Wirt?“
„Lopez? Drinnen. Hoffentlich hat dieser Wilde ihn nicht auch totgeschlagen. Santissima Madre, er ist ja schlimmer als ein Tiger – oder ein Wolf. So jedenfalls hat er sich gebärdet. Er hat wie ein Wüterich gehaust und alles kurz und klein geschlagen. Erst habe ich die Gendarmen rufen müssen, dann die Soldaten.“
So erfuhr Jussuf alles, was er wissen wollte, sämtliche Einzelheiten. Dann erlebte er das Ende des Dramas mit: Caligula wurde in Ketten abgeführt. Er blutete aus mehreren Wunden und war selbst mehr tot als lebendig, weil die Soldaten ihn mit den Kolben ihrer Musketen traktiert hatten. Er stolperte die Treppenstufen herauf, spuckte der Menge vor die Füße und wankte davon, umzingelt von den Soldaten.
Der tote Fischhändler Diego Cámara wurde auf einer Bahre herausgetragen, ebenso der Gendarm, den Caligula allein durch die Kraft seiner Fausthiebe ins Jenseits befördert hatte. Dann erschienen die Verletzten, die Zecher und Schnorrer, die von ihm mit Stuhl und Stuhlbein geprügelt worden waren. Einige schienen erhebliche Schmerzen zu haben, sie stöhnten und jammerten, als sie an Jussuf vorbeitorkelten.
„Der scheint ja Amok gelaufen zu sein“, sagte Jussuf. Er sah jetzt auch Lopez, den Wirt, der war unversehrt geblieben und schien sehr froh zu sein, daß es für ihn glimpflich abgelaufen war.
„So ungefähr“, sagte Libero, dann eilte er zu dem Schankwirt.
Jussuf folgte den Soldaten unauffällig bis zur Plaza und überzeugte sich davon, daß Caligula ins Stadtgefängnis gesperrt wurde. Dann kehrte er zur Faktorei zurück und berichtete Arne und Jörgen von dem Geschehen.
Arnes erste Reaktion war ein Aufatmen.
„Jetzt hat Caligula sein Leben verwirkt“, sagte er. „Zwei Tote, beide Spanier, getötet von einem Neger, da kann der Urteilsspruch gar nicht anders lauten als Tod durch den Strick.“
„Falls er nicht gepfählt oder gevierteilt wird“, fügte Jörgen hinzu. „Wir dürfen nicht vergessen, daß die Spanier hier in Havanna seit den Ereignissen um die Schlagetots Catalina und Zapata mehr als gereizt sind, was solche Gewalttaten betrifft.“
„Richtig“, sagte auch Jussuf. „Dieser Narr kann noch froh sein, wenn sie ihn nicht gleich heute nacht töten. Allah straft eben doch jeden Sünder auf seine Art, früher oder später folgt für jeden Verbrecher die Stunde der Abrechnung.“
Arne war plötzlich nicht mehr so überzeugt, daß Caligula sterben würde.
„Mir ist etwas eingefallen“, sagte er. „Caligula könnte in seiner ausweglosen Lage natürlich auch versuchen, sich freizukaufen – mit seinem Wissen über den Bund der Korsaren und die Lage der Schlangen-Insel. Da hat er also doch noch einen ziemlich wichtigen Trumpf im Ärmel.“
„Vorausgesetzt, Don Antonio geht darauf ein“, sagte Jussuf.
„Er stellt die höchste richterliche Instanz in Havanna dar“, sagte Arne. „Er muß das Urteil bestätigen und hat alle Möglichkeiten, mit Caligula einen Kuhhandel abzuschließen. Wenn für ihn dabei etwas herausspringt, nimmt er die Gelegenheit wahr, verlaßt euch drauf.“
„Arne kann man die Sache drehen und wenden, wie man will“, sagte Jörgen. „Für die Freunde auf der Schlangen-Insel und auf Coral Island besteht allerhöchste Gefahr.“
„Sie verschlimmert sich noch, wenn Don Juan zurückkehrt – und das kann jeden Tag der Fall sein“, sagte Arne mit besorgtem Gesicht. „Das Dumme an der Sache ist, daß wir zur Zeit überhaupt nichts mehr tun können. Im Stadtgefängnis ist Caligula unserem Zugriff entzogen. So gesehen, wäre es doch besser gewesen, wenn es den Klamauk in der Kaschemme nicht gegeben hätte.“
Ihre Mienen waren betreten und verdrossen. Sie wußten, daß alles auf dem Spiel stand. Denn leider kannten sie ja Don Antonio de Quintanilla, den dicken Gouverneur von Havanna, und wußten, wie korrupt er war.
Schon im Kerker des Stadtgefängnisses war Caligula so weit ernüchtert, daß er begriff, in was er sich da hineingeritten hatte. Mit Kolbenhieben beförderten ihn die Soldaten in eine finstere, muffig riechende Zelle. Er stolperte und fiel auf den nassen, harten Boden. Nur langsam wandte er sich wieder um und sah, daß sie vor der offenen Tür verharrten. Sie musterten ihn feindselig und voll Haß. Wollten sie ihn schon jetzt durch ein, zwei gezielte Schüsse erledigen? Auf der Flucht erschossen, würde es später im Bericht des Kommandanten heißen.
„Einen Augenblick“, sagte Caligula heiser.
„Maul halten, oder es setzt was!“ herrschte der Sargento ihn an.
Dann näherten sich Schritte, und der Kerkerkommandant erschien. Ein wuchtig gebauter Mann mit kantigen Zügen und forschem Auftreten, wie Caligula feststellte.
Er blieb dicht vor ihm stehen, versetzte ihm einen Tritt und sagte kalt: „Du bist also der Kerl, der wie ein Irrer in der Kneipe gewütet hat? Wie heißt du?“
„Caligula. Ich bin beleidigt und angegriffen worden.“
„Wie lauten die Zeugenaussagen?“ fragte der Kommandant, ohne sich zu den Soldaten umzudrehen.
„Cámara hat ihn einen schwarzen Hurensohn genannt“, entgegnete der Sargento. „Daraufhin ist er ihm an die Gurgel gesprungen, hat ihn gegen eine Säule geschleudert und ihm das Genick gebrochen.“
„Aufstehen!“ befahl der Kommandant. „Stell dich da gegen die Wand und wage nicht, irgendwelche Tricks zu versuchen. Du hast einen harmlosen Zivilisten und einen Gendarmen getötet. Ein zweiter Gendarm ist sehr schwer verletzt. Weißt du, was das für dich bedeutet?“
„Ja. Aber ich bin angegriffen worden.“
„Das hast du schon mal gesagt.“
„Es ist die Wahrheit.“
Der Kommandant unterzog Caligula einer Leibesvisitation.
„Der Galgen ist dir sicher“, sagte er. „Aber vorher wirst du verhört. Ich will alles über dich wissen. Wer du bist, woher du kommst, wer dich schickt. Alles.“ Er stutzte, als er auf die Geldkatze stieß, die Caligula um die Hüften trug. Danach durchsuchte er die Taschen und fand die Säckchen mit den erlesenen Perlen. Fast gingen ihm die Augen über. Alles hatte er erwartet, nur das nicht.
Gern hätte sich der Kommandant die Geldkatze und die Perlenbeutel angeeignet, aber die Untersuchung fand ja vor Zeugen statt. Besonders der Sargento war ein disziplinierter Soldat, der sich streng an die Vorschriften hielt. Was würde er sagen, wenn sein Vorgesetzter einen Gefangenen um dessen Eigentum erleichterte?
Der Kommandant verkniff es sich also, zuzulangen. Gleichzeitig begriff er, daß dieser Schwarze, der sich wie eine Bestie aufgeführt hatte, ein Fang ganz besonderer Art sein mußte. Welches Subjekt dritter Klasse schleppte schon eine Geldkatze mit sich herum, deren Inhalt jeden Kaufmann vor Neid hätte erblassen lassen – und dazu noch Beutel mit Perlen?
Diese Frage verlangte danach, geklärt zu werden. Der Kommandant ließ Caligula sämtliche Habseligkeiten abnehmen – Waffen, Geld und Perlen. Dann notierte der Sargento auf einem Meldeblatt sorgfältig, daß die Sachen solange Eigentum des Delinquenten blieben, bis die höchste richterliche Instanz ihre Entscheidung darüber gefällt hatte. Don Antonio also – er mußte verständigt werden.
Vorher aber begab sich der Kerkerkommandant zum Stadtkommandanten, Don Ruiz de Retortilla, und sprach den Fall mit ihm durch.
„Dieser Kerl ist steinreich“, sagte er. „Da stimmt was nicht. Den müssen wir gehörig ausquetschen, bevor wir ihn hängen.“
„Besser wäre es, wenn wir das Geld und die Perlen unter uns aufteilten.“
„Don Antonio würde aber sicherlich davon erfahren. Er kann fuchsteufelswild werden, wenn er übergangen wird.“
„Das stimmt.“ Don Ruiz war nicht darauf aus, sich mit Don Antonio zu überwerfen. „Schade, schade“, sagte er. „Aber es ist nicht zu ändern. Informieren wir Don Antonio. Vielleicht will er sich den Gefangenen selbst vorknöpfen.“
Noch am frühen Nachmittag suchte Don Ruiz den Dicken auf und teilte ihm mit, was sich zugetragen hatte. Bei den Worten „Geldkatze“ und „Perlenbeutel“ wurde Don Antonio hellhörig. Er hörte sogar auf, kandierte Früchte zu essen.
„Diesen Bastard will ich mir selber mal ansehen“, sagte er. „Ich werde ihn dem peinlichen Verhör unterziehen. Mal sehen, was er alles weiß. Vielleicht gehört er zu einer größeren Piratenbande.“
„Catalina?“
„Möglich ist es. Er ist erschienen, um sich zu rächen oder so.“ Don Antonio erhob sich schwerfällig. „Das alles kriege ich schon raus, keine Angst.“
Er ließ die Kutsche anrollen und hatte es ziemlich eilig, die Residenz zu verlassen. Geld! Perlen! Das war Musik in seinen Ohren. Nichts anderes konnte ihn locken. Wenn er irgendwo schnellen, mühelosen Profit witterte, scheute er keinerlei Mühe.
So geschah es, daß Don Antonio schnaufend und watschelnd im Stadtgefängnis erschien. Er ließ sich vom Kommandanten führen und inspizierte zunächst die Geldkatze und die beiden Perlenbeutel.
Dann sagte er: „Lassen sie den Kerl in den Vernehmungsraum bringen. Ehe wir aber mit der Prozedur anfangen, will ich mich allein mit ihm unterhalten.“
„Ja, Señor.“
Wenig später saß Don Antonio Caligula gegenüber. Caligula hatte ausgiebig Gelegenheit, die Marterinstrumente in Augenschein zu nehmen: das Streckbrett und die Daumenschrauben, all die Zangen und Eisen, mit denen man den Gefangenen zusetzte. Ob auch Cariba hier gefoltert worden war? Er beschloß, lieber nicht danach zu fragen.
„Ich will mich kurz fassen“, sagte Don Antonio. „Was hat es mit diesen Golddublonen und Perlen auf sich? Sie stellen ein Vermögen dar.“
Caligula grinste unwillkürlich. Daß er zwei Spanier auf dem Gewissen hatte, schien diesen fetten Mann nur am Rande zu interessieren. Das Geld und die Perlen stimmten ihn neugierig – er hatte also seinen wunden Punkt.
„Wer bist du?“ fragte Caligula.
Don Antonio verzog das Gesicht, als habe ihn ein Insekt gestochen. Dieser Abschaum der Menschheit duzte ihn einfach – es war nicht zu fassen. Aber er wollte ja etwas von ihm, deshalb war es besser, vorerst nicht zu drastischen Mitteln zu greifen. „Ich bin Don Antonio de Quintanilla, der Gouverneur von Kuba.“
„Und ich bin Caligula, der schwarze König der Karibik.“
„Offenbar hast du den Verstand verloren.“
„Nein, ich bin wieder ganz nüchtern.“
Die Frechheit dieses Kerls kannte keine Grenzen. Don Antonio hätte ihn am liebsten eigenhändig ausgepeitscht, aber wieder bezwang er sich.
Caligula wäre gern aufgesprungen, um den Fettsack zu packen und auf die Streckbank zu verfrachten, aber er konnte sich ja nicht rühren. Mit Ketten war er an die Wand gefesselt. Er würde in diesem Kerker sterben oder am nächsten Morgen im frischen Wind von Havanna baumeln, daran bestand kein Zweifel. Aber irgendwann starb jeder Pirat, und Caligula war verwegen genug, sich deswegen keine größeren Sorgen zu bereiten. Er hatte nichts zu verlieren und alles zu gewinnen. Auf sein Geschick kam es jetzt an.
„Gut, dann verstehst du also, auf was ich hinauswill“, sagte Don Antonio. „Woher hast du deinen Reichtum?“
„Warum soll ich es dir verraten, Gouverneur?“
„Weil ich es dir befehle.“
„Ich lasse mir gar nichts befehlen. Weder von dir noch von sonst jemandem, auch nicht vom König von Spanien.“
Don Antonio seufzte. „So kommen wir wohl nicht weiter. Sehr bedauerlich. Die Soldaten werden dich quälen, und deine Schreie werden durch den ganzen Kerker gellen.“
Caligula grinste verschlagen. „Das bringt dir aber nichts ein. Wenn ich hier verrecke, kann ich dir nichts mehr verraten.“
„Meine Leute beherrschen die große Kunst, einen Mann an den Rand des Sterbens zu bringen, ihn dann aber doch am Leben zu erhalten.“
„Gouverneur“, sagte Caligula, und das Grinsen glitt aus seinem Gesicht. „Das wirst du nicht wagen. Wenn Caligula zum Krüppel werden sollte, wird die Rache der Königin furchtbar sein. Ein Schiff wird im Hafen erscheinen und ganz Havanna mit seinen Kanonen in Schutt und Asche legen.“
Don Antonio schauderte unwillkürlich ein wenig zusammen. Sehr gefährlich war dieser Mann, das war ihm klar. Aber dennoch wollte er den Versuch noch nicht abbrechen.
„Wer ist diese Königin?“
„Mein Weib. Ich bin der König.“
„Ich hatte gehofft, du würdest vernünftiger sein.“
„Was willst du von mir wissen?“
„Woher du die Golddublonen und die Perlen hast.“
„Du schonst mich, wenn ich es sage?“
„Ja“, erwiderte Don Antonio. „Ich will dir nämlich helfen. Ich hasse es, Wehrlose zu quälen. Es ekelt mich an. Wenn ich es vermeiden kann, wirst du erst gar nicht gefoltert.“
„Sondern gleich am Hals aufgehängt?“
„Das wird sich herausstellen. Weißt du, daß ich die höchste richterliche Instanz von Havanna bin?“
„Jetzt weiß ich es“, erwiderte Caligula. Er ahnte, daß Don Antonio das genaue Gegenteil eines Menschenfreundes war, ein skrupelloser Sadist, der sich an den Qualen eines Opfers weidete. Aber er ging auf das Spielchen ein. „Ich danke dir, Gouverneur. Also schön, du sollst es wissen. Ich habe das Zeug einem englischen Piraten namens Killigrew abgenommen.“
„Und du weißt, wo es noch mehr zu holen gibt?“
„Ja. Sackweise. Ich kenne den Schlupfwinkel dieses Hundes, der sich El Lobo del Mar nennt.“
In Don Antonios Geist überschlugen sich die Gedanken, nicht nur wegen dieser verlockenden, vielversprechenden Aussage. Aber er erinnerte sich sofort an Cariba, den Kreolen. Der hatte genauso behauptet, den Schlupfwinkel der englischen Piraten zu kennen. Dorthin war Don Juan de Alcazar mit der beschlagnahmten Kriegskaravelle „Pax et Justitia“ aus Cartagena unterwegs.
Und wahrscheinlich wird er die Schätze dieser Freibeuter ausheben, dachte Don Antonio. Das wiederum bedeutet, daß er sie für die spanische Krone beschlagnahmt. So eine Schande!