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4.
Nichts passierte – weder am Nachmittag noch in der Nacht. Die Stückgüter aus dem Arsenal waren alle übernommen worden. Später, vor allem für die Nacht, hatte Hasard doppelte Wachen aufziehen lassen.
In der Achterdeckskammer schlief Blacky seinen Rausch aus, bewacht vom Kutscher, den später Jeff Bowie ablöste.
Um zehn Uhr am nächsten Vormittag warf die „Le Vengeur“ die Leinen los und nahm Kurs südwärts, begleitet von den guten Wünschen der Seewölfe.
Eine Atlantiküberquerung Richtung Karibik barg immer Risiken und Gefahren, und es konnte durchaus sein, daß die Seewölfe die Männer der „Le Vengeur“ zum letzten Male sahen – oder umgekehrt. Niemand vermochte in die Zukunft zu schauen. Sie alle wußten nur, wie unberechenbar die See war und wie erbarmungslos sie zuschlagen konnte. Der Mensch hatte sich ihr anzupassen, wenn er überleben wollte. Und wenn er in einen Orkan geriet, dann konnte er nur noch beten.
Die Schlangen-Insel in der Karibik war der Treffpunkt der „Le-Vengeurs“ und der Seewölfe. In den verborgenen Höhlen der Insel lagerten die Schätze, die sie von den Dons erbeutet hatten. Die Insel selbst wurde von Siri-Tong, der Roten Korsarin, bewacht, die dieses Eiland einst auch entdeckt und eine höllische Einfahrt zu einer völlig abgeschirmten Bucht der Insel gefunden hatte.
Dorthin also segelte die „Le Vengeur“, und die „Isabella“ würde folgen, sobald Doc Freemont für Blackys Fuß keine Komplikationen mehr befürchtete. So hatten es Hasard und Jean Ribault miteinander abgesprochen.
Natürlich registrierten auch die Kerle auf der „Revenge“ das Auslaufen der „Le Vengeur“. Sie demonstrierten es, indem sie der schlanken Zweimast-Karacke Flüche hinterherbrüllten und die Fäuste drohend schüttelten. Wenn es nach den Männern von Drakes Flaggschiff ging, dann mußte die „Le Vengeur“ geradewegs in die Hölle segeln. Zumindest wünschten sie dem Franzosen und seiner Crew die Pest an den Hals.
Der Admiral dieser geifernden und pöbelnden Flaggschiffsbesatzung ließ sich nicht auf dem Achterdeck sehen.
Dafür aber erschien er gegen Mittag in Begleitung des Stadtkommandanten, Sir Gordon Huntley, auf der Pier und steuerte zusammen mit ihm die Gangway der „Isabella“ an.
Hasard wurde rechtzeitig gewahrschaut und empfing die beiden Männer auf der Kuhl. Er dachte gar nicht daran, sie aufs Achterdeck, geschweige denn in die Kapitänskammer zu bitten. Gegen den Stadtkommandanten hatte er nichts, absolut nichts, aber wenn der in Begleitung Drakes erschien, dann konnte das nichts Gutes bedeuten. Also war er auf alles gefaßt.
Den Stadtkommandanten begrüßte er mit einem Nicken, den Admiral übersah er mit eisiger Miene.
„Sie wünschen?“ fragte er Sir Gordon knapp. Seine Haltung, seine Miene und sein Ton waren haarscharf an der Grenze der Unhöflichkeit.
Der Stadtkommandant zuckte leicht zusammen, als er in die eisblauen Augen blickte. Er hatte diesen Seewolf auf dem Bankett des Bürgermeisters kennengelernt und auch gehört, wie sich Kapitän Killigrew gegen die Unverschämtheiten des Admirals verteidigt hatte. Um so schwerer fiel es ihm, jetzt mit seiner Forderung herauszurücken – die ihm von Admiral Drake befohlen worden war.
Verdammt, dachte er, das ist die übelste Situation, in der ich mich je befunden habe.
„Sir Hasard“, sagte er nervös, „bitte, könnten wir nicht in Ihrer Kapitänskammer verhandeln – ich – ich meine …“ Er blickte sich um, starrte in die verschlossenen, abweisenden Gesichter der Seewölfe, räusperte sich, schluckte und warf Admiral Drake einen hilfesuchenden Blick zu.
Der hatte die Hände auf den Rükken gelegt, wippte auf den Fußballen und stierte in die Luft. Seine Miene war arrogant wie immer.
„Was wollten Sie sagen?“ fragte Hasard frostig. „Sie haben nicht zu Ende gesprochen.“
„Ich – ich meine“, sagte der Stadtkommandant gequält, „daß es besser sei, wenn nicht alle Welt zuhört.“
„Was verstehen Sie unter ‚alle Welt‘?“ erkundigte sich Hasard.
„Nun – die Männer hier, Sir. Es ist mir sehr peinlich, vor aller Augen – ich meine …“ Er brach wieder ab und verstummte.
„Es gibt in der Kapitänskammer nichts zu verhandeln“, erklärte Hasard unhöflich. „Wenn Sie etwas wollen, dann sagen Sie es hier, die Männer der ‚Isabella‘ haben ein Recht, zuzuhören, zumal sie Eigner dieses Schiffes sind, wie sich wohl auch bis zu Ihnen herumgesprochen haben wird, und ich keine Geheimnisse vor ihnen habe. Ich wiederhole meine Frage: Was wünschen Sie?“
„Ich habe – äh – Befehl, Ihnen mitzuteilen, daß Sie Plymouth zu verlassen haben. Sofort.“
„Befehl von wem?“
„Admiral Drake.“
Hasard zog die Augenbrauen hoch. „Interessant. Und weiter?“
„Was weiter?“ fragte der Stadtkommandant verwirrt.
„Nun, Sie müssen doch eine Begründung haben, wenn Sie eine solche Forderung stellen. Oder ist es in englischen Häfen üblich geworden, englische Schiffe wie lästige Straßenköter davonzujagen – ohne Begründung, meine ich.“
„Äh, ja, das kann begründet werden. Mir ist von Admiral Drake berichtet worden, Ihre Leute hätten in unverantwortlicher Weise die Besatzung der ‚Revenge‘ provoziert und in verschiedenen Prügeleien fast über die Hälfte der Besatzung lazarettreif geschlagen. Als Stadtkommandant kann ich solche Umtriebe keineswegs dulden. Um weitere Zusammenstöße zu vermeiden, hat Ihr Schiff unverzüglich den Hafen zu verlassen.“
Hasard fixierte den Stadtkommandanten, bis dieser immer nervöser wurde und nicht mehr wußte, wo er hinschauen sollte.
„Mein Freund“, sagte Hasard sanft, „sind Sie davon überzeugt, daß das, was Sie hier eben erklärt haben, auch den Tatsachen und der Wahrheit entspricht?“
„Natürlich.“
„Haben Sie für Ihre Behauptungen Beweise?“ Hasard blieb völlig ruhig, aber das wirkte um so gefährlicher.
„Ich sagte doch, das sei mir von Admiral Drake berichtet worden!“ fuhr der Stadtkommandant auf. „Ist das nicht Beweis genug?“
„Der Admiral lügt“, sagte Hasard kalt.
Drake stieß einen Zischlaut aus. Der Stadtkommandant schnappte nach Luft.
„Der Admiral lügt“, wiederholte Hasard, „und ich bin bereit, das vor einem neutralen Gericht zu beweisen. Nicht meine Männer haben die Männer der ‚Revenge‘ provoziert, sondern umgekehrt. Und sie werden es wieder tun, sollten sich diese Provokationen wiederholen. Das ist ihr gutes Recht. Aber weiter. Dieser Mann im Range eines Admirals der Royal Navy hat es gewagt, meine beiden Söhne zu entführen. Dafür habe ich Zeugen – unter anderem den Arzt Sir Anthony Abraham Freemont, dessen Integrität wohl auch Ihnen bekannt sein dürfte. Sir Freemont, der meine beiden Söhne während der Gefechte gegen die Armada in seinem Hause aufgenommen hatte, wollte sie nach unserem Einlaufen hier an Bord zurückbringen. Dieser Admiral überfiel ihn mit vorgehaltener Pistole und zwang ihn zur Übergabe der Jungen. Meine Jungen konnten sich selbst befreien. Sie haben gottlob das Zeug, mit einem solchen Dreckskerl fertig zu werden …“
„Ich verbitte mir derartige Beleidigungen!“ schrie der Admiral hochrot im Gesicht.
„Verbitten können Sie sich viel, Drake“, sagte Hasard eisig. „Kämpfen Sie doch mal, wenn Sie sich beleidigt fühlen. Aber dazu sind Sie zu feige. Bei Ihnen reicht der Mut nur aus, einen Unbewaffneten mit vorgehaltener Pistole zu bedrohen, um zwei Kinder zu rauben. Ich schätze, wir werden diese Sache vor einem Gericht aushandeln.“
„Das ist ja ungeheuerlich“, murmelte der Stadtkommandant verstört und trat ein paar Schritte zurück. „Das – das habe ich nicht gewußt, Sir Hasard.“
„Eben“, sagte Hasard kalt, „deswegen spreche ich ja davon. Und Sie sollten etwas vorsichtiger sein, wenn Sie hier Behauptungen vortragen, die nichts weiter als Verleumdungen sind. Im übrigen weise ich Sie darauf hin, daß mich Befehle Drakes als Vertreter der Royal Navy nicht betreffen. Dieses Schiff und seine Besatzung unterstehen weder ihm noch der Royal Navy. Dieser Mann kann sonstwas befehlen, es interessiert uns nicht. Es gibt einen einzigen Menschen, der das Recht hat, uns Befehle zu erteilen – Ihre Majestät, die Königin, unter deren Schutz wir stehen, was ich Ihnen noch beweisen werde. Aber zuvor noch etwas anderes, was diese sogenannten Provokationen betrifft.“
Hasard wandte sich um zu Dan O’Flynn. „Würdest du bitte die Arkebuse holen, Dan?“
„Aye, aye, Sir.“ Dan verschwand im Achterdeck, kehrte kurz darauf wieder zurück und überreichte Hasard die Waffe.
Hasard hob die Waffe und drehte sie so, daß ihre Innenseite zu Drake wies.
„Ist dies eine Waffe der ‚Revenge‘?“ fragte er.
„Weiß ich doch nicht“, knurrte der Admiral. „Ich habe es nicht nötig, mich um Musketen zu kümmern.“
„Vielleicht doch“, sagte Hasard und drehte die Innenseite der Muskete dem Stadtkommandanten zu. „Das eingebrannte ‚R‘ im Kolben dieser Muskete beweist, daß sie aus der Waffenkammer der ‚Revenge‘ stammt. Aus dieser Waffe wurde gestern mittag ein heimtückischer Schuß abgefeuert. Die Kugel zerschmetterte einen Taljenblock, der unter der Großrah angeschlagen war. Da mittels dieser Talje zu diesem Zeitpunkt gerade ein Trinkwasserfaß in den Laderaum abgefiert werden sollte, passierte folgendes: die Talje rauschte aus und das Trinkwasserfaß krachte in den Laderaum hinunter. Ein Mann meiner Besatzung wurde verletzt. Er erlitt einen komplizierten Knöchelbruch am rechten Fuß. Doc Freemont versorgte ihn und operierte zwei Knochensplitter heraus. Er will den Fuß retten. Dennoch – was der Himmel verhüten möge – kann es sein, daß der Fuß amputiert werden muß. Schon aus diesem Grunde weigere ich mich, Plymouth zu verlassen. Oder sind wir in diesem Lande schon so weit, einem verletzten Mann, der sich mehrfach in der Schlacht gegen die Armada bewährt und für England sein Leben eingesetzt hat, die Hilfe zu verweigern?“
„Natürlich nicht“, sagte der Stadtkommandant unsicher.
„Alles an den Haaren herbeigezogen!“ fauchte Admiral Drake. „Vermutlich haben Sie diesen Unfall selbst arrangiert, Killigrew, nur um mir eins auszuwischen.“
„Ich heiße ja nicht Drake“, erwiderte Hasard kalt.
„Sie haben die Waffe für Ihre Zwecke mit dem ‚R‘ präpariert“, erklärte Drake dreist.
„Irrtum“, sagte Hasard, „die Waffe lag an der Stelle, von wo der Schuß abgefeuert worden war – dort hinter den Bohlenstapeln. Zwei meiner Männer fanden sie, der Lauf war noch warm. Der Heckenschütze war leider bereits verschwunden.“
„Ich kann nicht auf jeden meiner Leute aufpassen“, knurrte der Admiral, „wenn es überhaupt einer aus meiner Besatzung war. Und wenn er es war, dann haben Sie sich das selbst zuzuschreiben.“
„Sie unterstützen also Mord.“ Hasards Stimme war eisig. „Jetzt darf ich wohl mit Recht fragen, wer hier wen provoziert.“
„Haarspaltereien!“ schimpfte Drake.
„Ihre Besatzung ist verhetzt, Drake“, erwiderte Hasard, „oder Sie sind nicht mehr fähig, für Recht und Ordnung als Kommandant zu sorgen. Vielleicht stammt sogar der Befehl zu diesem heimtückischen Anschlag von Ihnen.“
„So? Von mir?“ fragte der Admiral lauernd. „Beweisen Sie das doch mal.“
„Ich kann nur beweisen, daß die Waffe von Ihrem Schiff stammt, das ist richtig, Drake. Aber wer Kinder raubt, um mit ihnen Repressalien auszuüben, dem traue ich auch Mordbefehle zu. Jetzt verstecken Sie sich hinter dem Stadtkommandanten, um gegen mich vorgehen zu können. Ihr Stil wird immer schlechter und dreckiger, seit Sie damals vor zehn Jahren einen Mörder namens Doughty deckten und sich weigerten, ihn für den Mordversuch an Edwin Carberry zur Verantwortung zu ziehen. In Cadiz fielen Sie über wehrlose Frauen, Kinder und Greise her – und über neutrale Schiffe. Und nach der Schlacht gegen die Armada hatten Sie die Absicht, Schiffbrüchige zu massakrieren. Bei Gott, Sie sind der ehrloseste Lump, der je als Engländer geboren wurde.“
„Nehmen Sie diesen Kerl fest!“ schrie der Admiral. „In den Kerker mit ihm!“ Seine Stimme schnappte über. „In den Kerker mit der ganzen verruchten Bande! Das ist ein Befehl, Huntley!“
Hasard verschränkte die Arme über der Brust und musterte den Tobenden mit kühler Gelassenheit. Dann wandte er sich an Dan O’Flynn und sagte: „In der Schatulle in meiner Kammer befindet sich der Kaperbrief. Würdest du ihn bitte holen?“
„Aye, aye, Sir.“
Drake brüllte: „Tun Sie Ihre Pflicht, Mister Huntley! Als Stadtkommandant haben Sie mir zu gehorchen, oder ich bringe Sie vor ein Standgericht. Plymouth ist in Gefahr, solange diese Killigrew-Bande hier ihr Unwesen treibt und harmlosen Seeleuten die Knochen zerschlägt. Tollwütige Bestien sind das, die man erschießen, aufknüpfen, vierteilen muß …“ Er mußte Luft holen, der Admiral.
„Eins geht nur“, sagte Hasard spöttisch, „entweder erschießen oder aufknüpfen oder vierteilen. Aber toben Sie ruhig weiter. Wer nicht ganz blind ist, erfährt so am besten, daß Sie nicht mehr ganz richtig im Kopf sind. Sie demaskieren sich selbst, Drake, und hinter dieser Maske zeigen Sie, wer Sie sind, nämlich ein von Rachegelüsten, Ehrgeiz und Größenwahn zerfressener Mensch, der selbst hinter Gitter gehört, damit er kein Unheil mehr anstiften kann. Mehr ist wohl dazu nicht zu sagen.“
„Was soll ich denn tun?“ fragte der Stadtkommandant unglücklich.
„Gar nichts sollen Sie tun“, erwiderte Hasard trocken. „Die Befehle eines offensichtlichen Verrückten brauchen Sie nicht auszuführen.“ Dan O’Flynn brachte den Kaperbrief und gab ihn Hasard, der ihn entrollte. „Hier steht“, fügte Hasard hinzu, „daß jeder Engländer, gleich welchen Ranges, verpflichtet sei, dem Kapitän und der Besatzung der ‚Isabella‘ jedwede Hilfe zu leisten, da sie unter dem Schutz Ihrer Majestät der Königin stünden. Bitte überzeugen Sie sich, Sir Gordon.“
Der Stadtkommandant las den Kaperbrief, wurde käsig und wieder rot. Erst dann begriff er, daß ihm dieser Kaperbrief die Möglichkeit gab, Drakes unsinnige Befehle ignorieren zu können. Niemand konnte ihn deswegen zur Verantwortung ziehen. Wer unter dem Schutz der Königin stand, dem konnte kein Admiral an den Kragen gehen.
Hasard ahnte die Gedanken des Stadtkommandanten und sagte: „Sie sehen, Sir Gordon, selbst wenn Sie von den Behauptungen Drakes überzeugt wären, hätten Sie nicht das Recht, die Crew der ‚Isabella‘ und mich zu zwingen, Plymouth zu verlassen. Es sei denn, Sie mißachten eine Order unserer Königin und ziehen es vor, den Befehlen eines offensichtlich Verrückten zu gehorchen. London und die Königin sind zwar weit weg von Plymouth, aber seien Sie versichert, daß ich Mittel und Wege finden werde, um Ihrer Majestät zur Kenntnis zu bringen, was sich hier abgespielt hat. Voraussichtlich werden Sie dann in den Kellern des Tower darüber nachdenken dürfen, ob Sie richtig gehandelt haben.“
Der Admiral schnappte vollends über.
„Der Kerl lügt!“ schrie er. „Der Kaperbrief ist gefälscht …“
Weiter gelangte er nicht. Hasard reichte es jetzt. Mit einem Satz war er bei dem zeternden Admiral, packte ihn mit der linken Hand hinten am Genick und mit der rechten unten am Hosenboden, hob ihn an, trug den Zappelnden zur Gangway und beförderte ihn mit einem Tritt in den Admiralallerwertesten auf die Pier.
Dort stand der eiserne Edwin Carberry Wache und fing den vorbeisausenden Admiral gewissermaßen im Fluge ab. Der wäre sonst vierkant auf das Kopfsteinpflaster geprallt.
„Na?“ sagte er gemütlich und stellte den Admiral wieder auf die Füße „War wieder ’n bißchen stürmisch auf der guten alten ‚Isabella‘, was wie? Sei froh, daß Kapitän Killigrew heute seinen ruhigen Tag hat. Sonst hätte er dich auf unser Culverinenkaliber zusammengefaltet und zum Mond geschossen – mit vierfacher Treibladung, verstehst du?“
Der Admiral zerbiß einen ordinären Fluch, sagte etwas Unverständliches und marschierte auf seinen kurzen Beinen zum Dock hinüber.
„Affenarsch!“ knurrte Ed Carberry hinter ihm her.
Auf der Kuhl sagte der Stadtkommandant: „Ich bitte vielmals um Entschuldigung, Sir Hasard. Diese ganze Angelegenheit ist mir mehr als peinlich. Ich hatte zunächst keinerlei Anlaß, an den Worten des Admirals zu zweifeln. Sie wissen, er hat besonders hier in Plymouth einen außerordentlich guten Ruf, vor allem, nachdem ihn Ihre Majestät zum Ritter geschlagen hatte. So etwas ist wie eine Ehrenerklärung seitens der Königin für die betreffende Person, nicht wahr?“
„Durchaus richtig.“ Hasard lächelte. „Da Sie es so formulieren, trifft es wohl auch auf mich zu. Allerdings fasse ich den Ritterschlag nicht als Freibrief auf, mich nunmehr wie ein Strauchdieb aufführen zu dürfen. Keinesfalls auch gibt mir der Ritterschlag das Recht, mich für besser zu halten als andere. Im Gegenteil, ich habe die Verpflichtung, jetzt bei mir selbst noch strengere Maßstäbe als bisher anzulegen. So jedenfalls fasse ich den Ritterschlag auf …“ Er unterbrach sich und deutete zur Pier. „Da kommt Sir Freemont, um nach unserem Patienten zu sehen. Bitte, es steht Ihnen frei, ihn nach dem Sachverhalt bezüglich der Entführung meiner Söhne zu fragen. Es wäre sogar gut, wenn dies Sir Freemont unbeeinflußt von mir tut.“
Der Stadtkommandant verabschiedete sich von Hasard, ging von Bord und begrüßte den Doc auf der Pier. Dann marschierten sie auf der Pier auf und ab, in ein Gespräch vertieft.
Doc Freemont lächelte, als er eine halbe Stunde später vor Hasard stand.
„Der gute Huntley ist ziemlich erschüttert“, sagte er nur. „Und wie geht’s Blacky?“
„Hat einen Brummschädel vom Rum, aber sonst ist er munter.“
„Kein Fieber?“
„Bis jetzt noch nicht, Doc.“
Sie gingen zur Achterdeckskammer, wo Blacky untergebracht war. Er saß in der Koje und war damit beschäftigt, den beiden Zwillingen den Augspleiß beizubringen. Im übrigen war er kräftig dabei, den „lieben Kleinen“ die wüstesten Seeabenteuergeschichten zu erzählen. Hasard junior und Philip junior hatten rote Ohren.
Aber sein Fuß sah ganz manierlich aus – den Umständen entsprechend.
„Kann ich aufstehen, Doc?“ fragte er.
„Natürlich, mein Junge“, erwiderte Doc Freemont heiter. „Du mußt dann ordentlich mit dem rechten Fuß auftreten, damit der Knöchel noch weiter splittert und das, was ich geschient und gerichtet habe, wieder zum Teufel geht. Und wenn der Schmerz dann so richtig einsetzt, kannst du auch laut brüllen, aber eine Flasche Rum gibt’s dann nicht mehr. Du kannst natürlich auch gleich den Fuß gegen den Großmast donnern, damit der Knöchel so richtig schön zersplittert. Das geht dann schneller, und ich bringe dann auch gleich die Säge mit, um dir diesen läppischen Fuß, der ja völlig überflüssig ist, abzusägen.“ Er strich sich über die Nase. „Ärgerlich, das hätte ich in diesem Falle gleich gestern tun sollen, oder?“
Blacky begriff. „Entschuldigung, Doc, war ’ne blöde Frage von mir.“
„Das meine ich auch, mein Junge. Eine selten blöde Frage. Wenn du einen gesunden, funktionsfähigen Fuß haben willst, dann richte dich darauf ein, in etwa vier Wochen frühestens die ersten Gehversuche zu unternehmen. Gehversuche, verstanden? Dazu brauchst du Krücken oder einen Stock, um den rechten Fuß zuerst noch nicht zu stark zu belasten. Erst allmählich darfst du mehr Gewicht auf den rechten Fuß verlegen. Halte dich dann an die Anweisungen des Kutschers, der weiß Bescheid. Und noch etwas, mein Junge. Wenn du in den nächsten zwei, drei Tagen spürst, daß dir heiß wird oder es im Fuß zu pochen beginnt, dann möchte ich sofort benachrichtigt werden. In diesen Tagen wird sich nämlich herausstellen, ob da noch Knochensplitter sind, die herauseitern. Und da müssen wir sofort etwas unternehmen. Alles klar?“
„Aye, aye, Sir, alles klar. Und herzlichen Dank auch. Sie sind ein feiner Kerl, Sir …“
„Papperlapapp“, sagte der Doc.
5.
Hasard hatte Gefechtsbereitschaft angeordnet, aber sie erübrigte sich. Am Nachmittag dieses Tages verließ die „Revenge“ das Dock und ging außerhalb der Mill Bay vor der St.-Nicholas-Insel vor Anker.
Eine unmittelbare Gefahr seitens des Flaggschiffes bestand jetzt nicht mehr – zumindest was Schüsse aus dem Hinterhalt betraf. Dennoch traute Hasard dem Frieden nicht.
Mit Big Old Shane, Ben Brighton, Ferris Tucker, den beiden O’Flynns und Ed Carberry stand er auf dem Achterdeck der „Isabella“, nachdem die „Revenge“ vor Anker gegangen war.
„Was haltet ihr davon?“ fragte er. „Einerseits ecken wir jetzt nicht mehr mit den ‚Revenge‘-Leuten an, andererseits liegen sie dort auf der Lauer wie der Kater vorm Mauseloch.“
„Letzteres dürfte zutreffen“, sagte Dan O’Flynn. „Die Maus sind wir. Er wartet auf unser Auslaufen, um es uns dann voll zu geben.“
„Hm“, sagte Hasard, „könnte sein.“
„Der Schuß aus dem Hinterhalt gestern ergibt damit auch einen Sinn“, fuhr Dan O’Flynn fort. „Als Drake witterte, wir könnten auslaufen – und das war ja offensichtlich wegen der gestrigen Proviant- und Stückgüterübernahme –, mußte er das zu verhindern versuchen, wenn er noch seine Rache haben wollte. Der Schuß in den Taljenblock hatte den gewünschten Erfolg. Es kann natürlich sein, daß sich der Schütze von dem Schuß noch mehr versprochen hat. Raffiniert war das schon. Ein Faß, das durch eine Ladeluke saust und auf die Laderaumplanken kracht, kann ganz schön Unheil anrichten. Da stellt sich immer die Frage, wie schnell können die Männer, die unten im Laderaum arbeiten, ausweichen. Und haben sie überhaupt noch den Platz, um auszuweichen? Dieses verdammte Faß hätte glattweg Blakky, Matt oder Luke erschlagen können. Vielleicht hatte sich das der Schütze gewünscht. Jedenfalls stellt sich die Situation jetzt so dar, daß wir warten müssen, bis Doc Freemont für Blakky keine Gefahr mehr sieht. Und wenn wir dann Plymouth verlassen, laufen wir vor die Rohre der ‚Revenge‘.“
„So etwa sehe ich es auch“, sagte Hasard nachdenklich. „So absurd das Ganze ist, der Mann will seine Rache haben. Ein englischer Admiral geht seiner persönlichen Rache wegen auf ein anderes englisches Schiff los, und es schert ihn einen Dreck, daß dieses Schiff mit seiner Besatzung unter dem Schutz des Souveräns steht.“ Sein Gesicht verhärtete sich. „Ich nehme den Kampf an. Oder seid ihr anderer Ansicht?“
Die Männer schüttelten die Köpfe.
Nur Ben Brighton, der stets ruhige und besonnene erste Offizier der „Isabella“, sagte: „Wir müssen nicht – ohne mir Feigheit vorwerfen zu lassen. Wir könnten eine mondlose Nacht abwarten, unsere bessere Wendigkeit und Schnelligkeit ausspielen und heimlich verschwinden.“
„Mist“, sagte Edwin Carberry empört. „Wir schleichen uns nicht wie Diebe in der Nacht davon, nicht vor diesen Affenärschen! Wer sind wir denn?“
„Wir schießen auf Engländer, Ed“, erwiderte Ben Brighton ruhig.
„Engländer? Das sind doch keine Engländer!“ knurrte der Profos. „Das sind Galgenvögel, Hundesöhne, Bastarde, Schnapphähne, aber keine Engländer.“
„Alles richtig“, sagte Ben Brighton weiterhin ruhig. „Und wegen dieses Lumpenpacks sollen vielleicht ehrliche, anständige Männer verletzt, zum Krüppel geschossen oder gar getötet werden? Für was eigentlich, Ed? Ist das sinnvoll?“
Edwin Carberry starrte Ben Brighton betroffen an. Von dieser Seite hatte er die Sache noch nicht bedacht.
„Mann, Mann“, murmelte er.
„Ben hat recht“, sagte Hasard. „Wir werden sehen, wie sich alles entwikkelt. Ich revidiere das, was ich vorhin erklärt habe. Wir nehmen den Kampf nur an, wenn es unumgänglich ist, aber dann schlagen wir ihn mit aller Härte durch. Besser allerdings scheint mir, wenn wir diesem rachsüchtigen Admiral gewissermaßen vor der Nase davonsegeln.“ Er lächelte. „Vielleicht springt er dann vor Wut außenbords.“
„Und ersäuft“, vollendete Old O’Flynn grimmig.
Es kam alles anders.
Hasard hatte für einen Teil der Crew den Landgang freigegeben. Warum sollte er auch nicht? Die Männer würden wieder Monate unterwegs und auf See sein, bis ein neuer Landfall in England anstand. Sie hatten ein Anrecht darauf, zu leben. Sie hatten gekämpft, und sie würden wieder kämpfen müssen. Die kurze Spanne dazwischen gehörte ihnen selbst. Niemand durfte sie ihnen verweigern.
Oft, in all den Jahren, hatte sich Hasard gefragt, wer wohl von seinen Männern als erster nicht mehr an Bord zurückkehren würde, weil er an Land bleiben wollte, um eine Familie zu gründen, weil er das wilde Leben bis zur Neige ausgekostet und erkannt hatte, daß es so nicht bis in die Ewigkeit gehen konnte.
Der alte Will Thorne, der Segelmacher der „Isabella“, und Old O’Flynn sowie Big Old Shane waren die Ausnahme. Sie würden niemals die „Isabella“ verlassen. Dieses Schiff war ihre Heimat geworden.
Aber die anderen Männer, die alle in der Blüte ihrer Jahre standen, was war mit ihnen? Hatten sie überhaupt die Neigung, ein bürgerliches Leben zu führen? Oder war es ihnen verschlossen? Smoky, Blacky und Bob Grey waren als Kinder Vollwaisen gewesen und hatten nie ein Elternhaus kennengelernt. Frühzeitig waren sie zur See gefahren. Auch sie hatten ihre Heimat jetzt auf der „Isabella“. Batuti, der Herkules aus Gambia, ebenfalls. Er würde wohl nie mehr in den schwarzen Erdteil zurückkehren.
Einmal, es war gar nicht so lange her, hatte Ben Brighton gesagt: „Diese verdammte See verändert uns, wir passen nicht mehr an Land, wir sind im eigenen Land Fremde geworden.“
Vielleicht verbarg sich in diesen drei knappen Sätzen die Antwort auf die Frage, warum noch keiner „abgemustert“ hatte und an Land geblieben war.
Demgegenüber stand die schrankenlose Freiheit, die ihnen die See gab. Demgegenüber waren sie alle dem Fernweh verfallen, dem Drang, neue Welten zu suchen, noch Fremdes kennenzulernen, Abenteuer zu erleben, Geheimnisse der Erde zu erforschen.
Und immer war ihr Landfall – wie jetzt in Plymouth – ein flüchtiger Augenblick gewesen, gemessen an der endlosen Zeit auf See.
Wohin steuerten Seewölfe, wenn sie in Plymouth ein bißchen toben wollten‘
Zu Nathaniel Plymsons „Bloody Mary“ an der Ecke Millbay Road – St. Mary Street. Das war Tradition, denn hier hatte alles seinen Anfang genommen – zumindest für Philip Hasard Killigrew, Dan O’Flynn, Blacky und den Kutscher. Dem feisten Schlitzohr Plymson hatten sie es zu verdanken, daß sie auf Drakes „Marygold“ gelandet waren.
Alles wäre anders gelaufen, wenn sich die Preßgang Kapitän Drakes x-beliebige andere Männer geschnappt hätte – und keinen Philip Hasard Killigrew, dessen Kampf gegen die Preßgang bereits damals zur Legende geworden war.
Vielleicht wären Francis Drake und Philip Hasard Killigrew dann niemals zu Feinden geworden.
In der „Bloody Mary“ hatten sich Schicksale entschieden. Das war alles schon recht merkwürdig, eben wie das Leben so spielt. Nathaniel Plymsons Kneipe war Angelpunkt, Drehbühne, Plattform, Basis für das Schicksal Hasards und damit seiner Seewölfe.
Die „Bloody Mary“ war zu ihrer Ansteuerungstonne geworden, wenn sie Plymouth anliefen. Und mit liebevoller Sorgfalt pflegten sie dann regelmäßig Plymsons Kneipe auseinanderzunehmen. Sie übten gewissermaßen Rache auf Zeit. Denn nichts ging ihnen mehr gegen den Strich als dieser Mensch Plymson, der es gewagt hatte, mittels Schlaftrunk und anderer rüder Methoden harmlose Trinker an Bord irgendwelcher Schiffe zu verschachern.
Der dicke Plymson hatte längst bereut, damals den jungen Philip Hasard Killigrew an die Preßgang Drakes verhökert zu haben. Er war mit dem Menschenhandel seitdem auch vorsichtiger geworden. Ganz aufgegeben hatte er dieses einträgliche Geschäft allerdings nicht. An den Seewölfen würde er sich nicht mehr vergreifen, an keinem, nie mehr!
Das waren nicht nur Seewölfe, das waren Teufel – allen voran dieser wüste, zernarbte Profos Edwin Carberry, mit dem regelmäßig jede Kneipenschlacht begann. Nicht daß Carberry anfing – o nein. Aber der hatte so eine Art, den Krawall herbeizuzaubern. Irgendeiner fiel immer auf den Profos herein, ließ sich von ihm reizen, schlug zu – und gab damit dem ungeschlachten Rauhbein Anlaß, seinerseits zuzulangen.
Und dann wackelte die „Bloody Mary“ in ihren Grundmauern.
Nathaniel Plymson atmete direkt auf, als an diesem Abend kein Carberry in der „Bloody Mary“ auf sondern „nur“ einige der Seewölfe. Zwar war Smoky, der Decksälteste, unter ihnen, der ebenfalls keinem Streit aus dem Wege ging, ihn aber auch nicht direkt suchte. Gut Kirschen essen war mit dem allerdings auch nicht.
„Gentlemen“, sagte der dicke Plymson und verneigte sich hinter dem Schanktisch, über dem ein mumifizierter Stör mit aufgerissenem Maul baumelte. Dieses tote Vieh hatte schon so manchen Sturm erlebt. „Es ist mir eine Ehre, Englands Seehelden begrüßen zu dürfen.“
Smoky lehnte sich an den Schanktisch und musterte den Dicken aus schmalen Augen.
„Nathaniel Plymson“, sagte er drohend, „du lügst schon wieder.“
„Einen Whisky?“ sagte Nathaniel Plymson hastig. „Auf meine Kosten natürlich, Mister Smoky.“
„Einen?“ knurrte Smoky. „Oder hab ich mich verhört?“
„Zwei – für alle Seewölfe, zwei doppelte selbstverständlich.“ Ein bißchen begann Nathaniel Plymson zu zittern. Hörte das denn nie auf mit diesen Kerlen?
„Klingt schon besser“, sagte Smoky mit seiner tiefen Stimme.
Der Dicke zauberte eine Flasche auf die Schanktischplatte, zählte die Seewölfe – es waren sieben –, langte sieben Gläser aus dem Regal hinter sich und schenkte ein.
Smoky drehte sich um und warf einen Blick durch die Kellergewölbe.
Über die Schulter sagte er: „Keine Kerle von der ‚Revenge‘ hier, Plymmy?“
„Nein, Mister Smoky, Sir. Die ist doch ausgelaufen, oder?“
„Scheint so.“ Smoky wandte sich wieder um und verteilte die Gläser, die bereits voll waren, an die Männer.
Bei ihm waren Gary Andrews, Stenmark, Matt Davies, Luke Morgan, Sam Roscill und Pete Ballie. Sie standen aufgereiht am Schanktisch wie Musketiere, Stenmark am rechten Flügel, weil er ein Riese war und sonst den Stör vor der Nase gehabt hätte.
„Auf was trinken wir, Leute?“ fragte Smoky und hob sein Glas.
„Auf Blackys Fuß“, erklärte Pete Ballie.
„Auf Blackys Fuß“, bestätigte Smoky, „möge er gedeihen, heilen und unserem Blacky weiterhin eine gute Stütze sein.“
Sie gurgelten den Whisky herunter.