Читать книгу: «Seewölfe Paket 9», страница 21
Von der spanischen Galeone hallte jetzt ein gellender Schrei herüber. Dan und Hasard, die wieder das am weitesten nach Süden versetzt liegende Boot des Dreimasters durch die Kieker beobachteten, sahen deutlich, wie in der Jolle Unruhe entstand. Auch von dort wurde jetzt gerufen.
„Sie haben uns also entdeckt“, sagte der Seewolf. „Ich bin gespannt, wie sie darauf reagieren. Schön, ich bin bereit, mich mit ihnen zu schlagen, denn ich will jetzt wissen, was es mit der Frau oder dem Mädchen auf sich hat.“
Hinter seinem Rücken ertönte das Rumpeln, das beim Ausrennen der Culverinen durch das Rollen der Hartholzräder auf den Planken entstand. Die Männer arbeiteten hart, schnell und konzentriert, jeder Griff, hundertmal geübt, saß.
Auch Philip und Hasard, die Zwillinge, beteiligten sich auf die Order ihres Vaters hin an den Gefechtsvorbereitungen. Sie streuten Sand auf der Kuhl aus und nahmen vom Kutscher Kübel und Pützen mit Seewasser entgegen, die sie an jedem der sechzehn 17-Pfünder zum Befeuchten der Wischer und Schwämme bereitstellten.
Die „Isabella“ rauschte mit prallem Zeug genau auf die Jolle der Spanier zu.
„Wenn sie Ärger wollen, können Sie ihn haben“, sagte Hasard. „Ich an ihrer Stelle würde mich zwar schleunigst zurückziehen, aber falls sie unbedingt die Helden spielen wollen – bitte sehr, von mir aus kann es losgehen.“
4.
Luis Benavente kauerte im Bug der Jolle. Er hatte bei der Suche nach Florinda auf Lampen verzichtet, um dem Mädchen nicht zu verraten, wo das Boot sich befand – und diese Methode hatte sich als richtig erwiesen. Mit bloßem Auge hatte der Waffenmeister der „Gran Duque de Almeria“ die Schwimmerin nach einigem Umherspähen in den Fluten entdeckt.
Er hatte die sieben Männer auf den Bootsduchten angefeuert, schneller zu pullen, und dann hatten sie es geschafft: Sie waren bei Florinda angelangt, ehe sie ihrer richtig gewahr wurde.
Benavente hatte versucht, ihr ein Tau über die Schultern zu werfen. Er hatte sein Ziel getroffen, aber Florinda war trotz ihres Schreckens geistesgegenwärtig genug gewesen, das Tau wieder abzustreifen.
Die Jolle war näher an sie herangeglitten. Benavente hatte die Hände nach ihr ausgestreckt, hatte ihre Haare gepackt und daran gezerrt. Florinda hatte jenen Schrei ausgestoßen, der bis zur „Gran Duque“ und zur „Isabella“ hin zu hören gewesen war.
Dann hatte Luis Benavente getrachtet, den Kopf des Mädchens unter Wasser zu drücken. Ja, er hatte sie wie eine Katze ersäufen wollen. Mit Leichtigkeit hätte er es später so hingestellt, daß es aussah, als habe sie erbitterten Widerstand geleistet und habe dabei den kürzeren gezogen.
Aber wieder hatte er sich verkalkuliert. Florinda hatte ihn in die Hand gebissen. Sie hatte sich losgerissen, war getaucht, von der Jolle weggeschwommen – und ehe der Waffenmeister an eine neue Verfolgung denken konnte, hatte einer der Rudergasten entsetzt ausgestoßen: „Luis, Luis – da ist was, das auf uns zusteuert!“
Fast im selben Moment hatte der Ausguck der „Gran Duque“ seinen gellenden Warnruf ausgestoßen.
Luis Benavente fuhr herum. Er mußte sich mit beiden Händen am Dollbord festhalten, um vor Schreck nicht aus dem Gleichgewicht zu geraten. Nur schwach waren die Konturen des heranrauschenden Schiffes in der Finsternis dieser Nacht zu erkennen, und doch wirkten sie so wuchtig und drohend, daß dem durchtriebenen Waffenmeister das Herz wahrhaft in die Hosen sank. Ein Gespenst schien dieses große Schiff zu sein, ein Monstrum unter den Wolkentürmen, unwirklich und gleichzeitig doch so erschreckend real.
„Eine Galeone“, stammelte Benavente. „Santissima Madre, und was für ein Kahn! Al diablo, wer in aller Welt ist denn das bloß?“
„Er führt keine Hecklaternen“, stieß einer der Rudergasten aus.
„Das ist ein Spukschiff!“ rief ein anderer.
Der Mann, der die Ruderpinne der Jolle bediente, schrie: „Dios, er will uns rammen! Wir müssen hier weg, Leute, nichts wie weg! So pullt doch!“
„Ausweichen“, drängte nun auch Benavente. „Nach Steuerbord! Noch können wir es schaffen!“
Die Männer arbeiteten wie besessen mit den Riemen, und der Mann auf der achteren Ducht drückte die Pinne ganz herum. Die Jolle nahm wieder Fahrt auf, schwenkte nach Westen und floh vor der nahenden Galeone wie eine Maus vor dem Elefanten.
Der Schattenriß des Schiffes mit den überhohen Masten wuchs und wuchs, und dann schob es sich so hart am Bootsheck vorbei, daß Luis Benavente und seine Leute dachten, es würde sie doch noch zermalmen. Nie war dem Waffenmeister ein größerer Schreck durch die Glieder gefahren. Er spürte, wie seine Knie bebten, und fühlte, daß ihm der kalte Schweiß auf der Stirn stand.
Die Galeone verfügte über niedrige Aufbauten. Sie war ein eleganter Schnellsegler, wie der Spanier in diesem Moment konstatierte. Die Rohre von Culverinen lugten aus den offenen acht Stückpforten der Steuerbordseite, ihre Mündungen schienen die Männer in der Jolle höhnisch anzugähnen.
Kein Mensch zeigte sich am Schanzkleid des Dreimasters, es schien wirklich ein Geisterschiff zu sein.
Benavente fühlte sich von unbändiger Wut gepackt. Er bückte sich, hob eine Muskete auf, die er mitgenommen hatte, richtete sich zu seiner vollen Größe im Bootsbug auf und legte, nachdem er den Hahn des Steinschlosses energisch gespannt hatte, auf die Galeone an.
„Will doch mal sehen, ob ich dem Spuk nicht ein Ende bereite“, stieß er wild hervor.
Er hatte entdeckt, daß die Galeone über ein Ruderhaus verfügte. Gespenster oder nicht – von irgend jemandem mußte dieses Schiff der Hölle ja gesteuert werden. Benavente zielte auf das Ruderhaus und versuchte, aus der schwankenden Jolle heraus einen einigermaßen guten Schuß anzubringen.
Langsam krümmte sich sein Zeigefinger um den Abzug der Muskete. Die Galeone glitt vorbei. Benavente zog seine Waffe nach rechts und visierte einen imaginären Punkt ein Stück vor dem Ruderhaus an, um die Fahrtbewegung auszugleichen. Im nächsten Moment drückte er ab.
Der Rückstoß der Muskete fiel wegen einer kräftigen Pulverladung in ihrem Lauf heftig aus, fast warf er Benavente aus der Jolle. Der Waffenmeister wankte und fluchte, konnte sich fangen und griff zur nächsten Muskete, die unter den Duchten lag, um einen zweiten Schuß auf das Schiff abzufeuern.
Im Krachen der Muskete hatten zwei Rudergasten auch zu ihren Waffen gegriffen. Benaventes Beispiel folgend, richteten sie sich ebenfalls auf und legten auf die Galeone an, die sich jetzt anschickte, ihnen das Heck zuzudrehen. Sie hielten keine Musketen, sondern kurzläufige Blunderbüchsen mit trichterförmig erweiterten Mündungen. Auf die geringe Distanz konnten sie auch damit noch recht viel ausrichten.
„Feuer!“ schrie Benavente. „Auf was wartet ihr Idioten denn noch?“
Sie drückten ab. Das Krachen der Büchsen erfolgte fast gleichzeitig. Gehacktes Blei und Eisen prasselten in den Spiegel des unbekannten Schiffes.
Benavente wollte seine zweite Muskete zum Einsatz bringen, hielt aber jäh inne, weil etwas Längliches, Unförmiges vom Achterdeck der Galeone zu ihnen herüberwirbelte. Ein Geschoß? Nein, es konnte keins sein, denn es hatte ja keinen Geschützdonner und keinen Feuerblitz gegeben. Außerdem beschrieb keine Kanonenkugel dieser Welt eine so seltsame, quirlige Flugbahn.
Aber – täuschte sich Luis Benavente, oder knisterte an diesem unerkennbaren Objekt so etwas wie eine Lunte? Sprühten da nicht winzige Funken, zischte da nicht etwas auf ganz bedenkliche Weise?
Der Waffenmeister war so überrascht, daß er nichts unternahm, bis das „Objekt“ dicht neben der Jolle in die See klatschte. Ganz steif stand er da. Als jedoch der „Gegenstand“ im Wasser verschwunden war, lockerte sich seine Haltung. Er lachte auf und traf Anstalten, nun doch noch auf die davonsegelnde Galeone zu schießen.
Dazu kam er jedoch nicht mehr, denn plötzlich bebte die See. Sie bäumte sich ausgerechnet unter der Jolle auf – und nur dort, wie Benavente und seine Kameraden etwas später feststellten. Ein immens großer Pilz schien aus dem Meer zu wachsen. Auf seinem Buckel schaukelte die Jolle.
Die Spanier schrien auf.
Das Beiboot krängte und kippte um. Der Mann von der Heckducht war der erste, der mit ausgebreiteten Armen und Beinen ins Wasser stürzte. Es folgten Benavente und dann die sechs Rudergasten. Fluchend und prustend landeten sie in den Fluten – und sie konnten noch froh sein, daß sie nicht von ihrem eigenen Boot erschlagen wurden.
Das knallte nämlich nah bei ihnen in die See zurück. Benavente hätte sich nur drei, vier Fuß weiter südlich zu befinden brauchen, er wäre durch das Dollbord der Jolle getötet worden. Es hätte ihm glatt das Genick gebrochen. Die Jolle lag jetzt kieloben im Wasser, die Explosion hatte sie hochgeschleudert und herumgedreht.
Luis Benavente schwamm zum Boot und klammerte sich daran fest. Er blickte zu der Galeone, deren Konturen jetzt wieder von der Nacht geschluckt wurden, spuckte einen Schwall Salzwasser aus und stotterte: „Bei – bei allen Heiligen – was war das? Was haben die mit uns – mit uns gemacht?“
Keiner seiner sieben Mitstreiter wußte eine Antwort darauf.
Ferris Tucker hatte die Flaschenbombe zur Jolle der Spanier hinübergeschleudert – eine von denen, die nur eine kurze Lunte hatten. Während des Fluges der Höllenflasche brannte diese Zündschnur bis durch den Korken herunter, so daß sie auch nach dem Eintauchen ins Wasser noch weiterglomm.
So hatte die Detonation unter Wasser stattgefunden, und sie war stark genug gewesen, um die Jolle ein paar Yards in die Höhe zu katapultieren und die Dons hinauszuschleudern.
Nein, eigentlich hatte Ferris nicht vorgehabt, seine Handgranaten ohne den ausdrücklichen Befehl des Seewolfs einzusetzen. Als er aber Pete Ballie im Ruderhaus unter dem Musketenschuß hatte zusammenbrechen sehen, da hatte ihn nichts mehr gehalten. In seiner Wut hätte er den Spaniern das Höllenei am liebsten zwischen die Beine gesetzt, aber zumindest in diesem Punkt hatte er sich bremsen können. Keine Toten sollte es geben. Die Spanier sollten nur erschreckt werden, wie Hasard gesagt hatte.
Ferris stürmte jetzt mit Ben Brighton, Shane und Smoky auf das Ruderhaus zu. Von vorn nahten Carberry, die beiden O’Flynns und einige andere Männer, aber der Seewolf war am schnellsten von allen gewesen. Er hatte den armen Pete bereits erreicht.
Zu seiner großen Erleichterung hatte Pete sich schon wieder halb aufgerichtet – und er grinste, das war am meisten wert!
„Sir“, sagte Pete Ballie. „Ich bitte, das zu entschuldigen. Ich hab wohl nur einen kleinen Kratzer abgekriegt, aber – Mann, es hat mich glatt umgehauen.“
„Zeig mal her“, sagte Hasard rauh. „Wo sitzt das Ding denn? In der Schulter?“
„Nee, hier im linken Arm. Ich – au, verdammt noch mal!“
Hasard griff zu und half Pete behutsam auf die Beine. Er sah, daß viel Blut aus dem linken Arm seines Rudergängers lief, und plötzlich verfluchte er den Augenblick, in dem er sich entschlossen hatte, den Spaniern auf den Zahn zu fühlen und sich um die Frau, die den Schrei ausgestoßen hatte, zu kümmern.
Ben Brighton trat ein und übernahm sofort das Ruder, damit die „Isabella“ nicht aus dem Kurs lief.
„Wo steckt der Kutscher?“ stieß der Seewolf ziemlich unwirsch aus. „Warum, zum Teufel, hat keiner den Kutscher verständigt?“
„Hier bin ich.“ Der Kutscher befand sich in diesem Augenblick bereits hinter dem Rücken seines Kapitäns. Er hatte beim Sprint quer über die Kuhl die O’Flynns überholt und war ein wenig außer Atem geraten. Er warf nur einen Blick auf Petes Arm und sagte: „Sir, bringen wir ihn erst mal ’raus an Deck. Die Gefahr ist ja vorbei, die Dons schießen nicht mehr. Ich muß mir die Wunde richtig besehen, hier ist es mir zu dunkel dazu.“
Hasard wollte Pete stützen, aber der lehnte mit einer Geste ab, grinste wieder und meinte: „Danke, aber ich kann noch ganz gut allein laufen. He, Leute, was glotzt ihr mich so dämlich an? Ich trage doch schließlich meinen Kopf noch nicht unterm Arm, oder?“
Er ging etwas schwerfällig an den Männern, die sich inzwischen um das Ruderhaus versammelt hatten, vorbei zum Backbordschanzkleid des Achterdecks. Kurz vorm Schanzkleid wurde ihm schwindlig. Fast brach er zusammen, konnte sich dann aber mit dem unversehrten Arm abstützen.
Er setzte sich auf seinen Hosenboden, streckte die Beine von sich und sagte: „Sir, ich schwöre, daß ich keine Schmerzen habe. Ist nur eine Kleinigkeit, wirklich.“
Blacky hatte sich vorgedrängt und blickte auf den verwundeten Mann nieder.
„Pete, nun rede doch keinen Mist“, sagte er. „Wem willst du eigentlich was vorerzählen? Wir wissen doch alle, wie einen eine solche Blessur piesacken kann – ich am besten. Dich lacht bestimmt keiner aus, wenn du mal so richtig stöhnst.“
Der Kutscher hatte Petes Hemdsärmel aufgetrennt und nestelte an der blutenden Wunde im linken Oberarm herum. Pete preßte die Lippen zusammen, verdrehte ein wenig die Augen, wurde aber nicht ohnmächtig. Als der Kutscher die Blessur mit einer seiner säubernden und desinfizierenden Mixturen zu bearbeiten begann, entfuhr dem Rudergänger dann wirklich ein tiefes Stöhnen.
„Wie war das, Blacky?“ fragte er.
„Nicht schlecht, probier’s noch mal.“
Und Pete stöhnte noch einmal.
„Was ist, soll ich eine Lampe holen?“ fragte Dan O’Flynn. „Kutscher, vielleicht ist das besser.“
„Nein, danke, nicht nötig. Ich kriege das auch so hin. Außerdem würde das Licht den Spaniern verraten, wie unsere jetzige Position ist.“
„Wir tragen Pete am besten unter Deck, in eine der Kammern des Achterkastells“, sagte der Seewolf. „Dort können wir soviel Licht machen, wie wir wollen, es dringt nicht nach draußen.“
„Sir“, erwiderte der Kutscher. „Das ist wirklich nicht erforderlich. Ich will dir auch sagen, warum. Ich habe soeben festgestellt, daß die Kugel nicht in Petes Arm steckt. Sie muß zur anderen Seite wieder ’rausgeflogen sein, nachdem er getroffen worden war, und das ist ein riesengroßes Glück. Ich muß den Arm jetzt nur abbinden, um den Blutfluß zum Stillstand zu bringen. Dann kriegt Pete einen Verband von mir verpaßt, vielleicht noch einen Schluck Whisky, das ist alles.“
Pete fixierte den Kutscher aus schmalen Augen. „Hör zu, Kutscher, mich kannst du nicht verschaukeln. Nun gib’s schon zu, du mußt den Arm amputieren. Mann, ich kann die Wahrheit doch verkraften.“
„Du hast sie wohl nicht mehr alle“, fauchte der Kutscher. „Leidest du jetzt plötzlich unter Einbildungen? Ich kann dir ja ein Ohr oder sonst was amputieren, wenn du so großen Wert darauf legst – aber den Arm lassen wir hübsch dran.“
Die Männer lachten leise. Hasard nickte seinem Rudergänger beruhigend zu und sagte: „Du kannst wirklich ganz unbesorgt sein, Pete, der Kutscher hat dir schon die Wahrheit gesagt. Und deinem Kapitän glaubst du doch wohl, oder?“
„Ja, Sir.“ Pete zeigte jetzt wieder ein verkniffenes Gesicht. „Übrigens will ich auch nicht an den Fähigkeiten des Kutschers gezweifelt haben.“
„Ich hab’s auch gar nicht falsch aufgefaßt“, erwiderte der Kutscher während er fortfuhr, Petes Arm nach allen Regeln seiner Feldscherkunst zu verarzten.
Hasard drehte sich zu Philip Junior um, der mit seinem Bruder Hasard auf dem Achterdeck erschienen war „Hol mal die Whiskyflasche aus der Kombüse. Aber nur die Whiskyflasche, nichts anderes, verstanden. Und paß mir ja auf, daß weder A@wenack noch Sir John dir folgen.“
„Aye, aye, Sir“, sagte Philip brav. Er drehte sich um, rannte los umkehrte binnen kürzester Zeit mit der randvollen Flasche zurück.
Der Seewolf hatte aufgescha@ „Ferris“, sagte er. „Die Spanier in der Jolle haben drei Schüsse auf uns abgegeben, die letzten beiden mit Tromblons, wenn ich mich nicht irr@ Haben diese Tromblon-Ladungen am Heck irgendwelchen Schaden angerichtet?“
„Nur das Glas der Laterne haben sie zerschlagen“, erwiderte der Schiffszimmermann. „Sonst ist alles in bestem Zustand. Ich werde unsrer Hecklaterne ein neues Fens@ verpassen, das ist weiter kein Problem. Aber da wäre noch was – mein eigenmächtiges Verhalten, die Sache mit der Höllenflasche! Ich hoffe, daß du mich deswegen nicht verdonnerst.“
„Das war schon in Ordnung so, Ferris. Ich hätte dir ohnehin den Befehl dazu erteilt.“
„Danke, Sir.“
„Hier, nimm mal die Buddel und entkorke sie“, sagte der Seewolf. „Pete steht natürlich der erste Schluck zu und dann noch ein Extraschluck. Anschließend könnt ihr die Flasche kreisen lassen.“
Ferris Tucker nahm die Flasche aus der Hand des kleinen Philip entgegen und entstöpselte sie mit den Zähnen. Er spuckte den Korken über Bord und reichte die „Buddel“ mit breitem, aufforderndem Grinsen Pete Ballie, der auch sofort dankbar zugriff.
„Wo ist das Mädchen abgeblieben?“ erkundigte sich der Seewolf. „Dan, hast du auf sie aufgepaßt?“
Der junge Mann schüttelte den Kopf. „Ich konnte es nicht. Vergiß nicht, daß wir nur gesehen haben, wie sich die Dons aus der Jolle zu ihr ins Wasser beugten, das war alles. Ich habe sie gar nicht richtig zu Gesicht gekriegt.“
Hasard erhob sich. Er wollte die gleiche Frage an Bill und Gary Andrews richten, die nach wie vor im Großbeziehungsweise Vormars Ausguck hielten. Aber jetzt meldete sich bereits Gary zu Wort, anders allerdings, als Hasard es sich vorgestellt hatte.
„Sir!“ rief Gary. „Land voraus! Da muß eine größere Insel im Süden vor uns liegen. Verdammt, ich will eine Woche lang das Oberdeck schrubben, wenn das eine Täuschung ist!“
Hasard hatte keinen Grund, an den Worten von Gary Andrews zu zweifeln. Er wandte sich sofort an Carberry und sagte: „Ed, anluven! Wir sehen zu, daß wir nach Westen ablaufen und nicht auf eine Untiefe, möglicherweise ein Riff, brummen.“
„Aye, Sir“, sagte der Profos. Dann scheuchte er die Crew mit seinen üblichen Sprüchen über die Kuhl.
Pete Ballie wollte wahrhaftig wieder das Ruder übernehmen, aber Hasard verbot es ihm. Während Dan O’Flynn wieder über die Kuhl zur Back lief und seinen Posten dort einnahm, bediente sein Vater das Ruder.
Der Alte schaute mit faunischem Grinsen zum Seewolf hinüber und meinte: „Na bitte, ich habe ja doch mal wieder recht gehabt. Wir rauschen geradewegs mitten zwischen die Azoren-Inseln, wenn wir nicht höllisch achtgeben. Ho, um welche Insel mag es sich da wohl handeln?“
„Das ist mit ziemlicher Sicherheit Sao Miguel“, erwiderte Hasard. „Für uns ist es unerfreulich, daß wir gegen unsere eigentliche Absicht bis hierher befördert worden sind, aber die Frau oder das Mädchen, die von den Spaniern gehetzt wird, wird froh sein, sich auf die Insel retten zu können.“
„Und dort?“ fragte Ben Brighton. „Was blüht ihr dort?“
„Das weiß keiner“, erwiderte Hasard. „Drücken wir ihr die Daumen, daß sie mit heiler Haut davonkommt.“
5.
Immer dann, wenn Florinda Martinez Barrero aus den Fluten hochtauchte, konnte sie zu ihrer Rechten die große Galeone mit den langen Masten segeln sehen. Sie wußte nicht, was sie von dem Erscheinen dieses unheimlich und rätselhaft wirkenden Dreimasters halten sollte, aber eins war ihr klar: Sie hatte es diesem Schiff und dessen Besatzung zu verdanken, daß Benavente und die sieben anderen Männer sie nicht weiter verfolgt hatten.
Die Explosion hatte unter Wasser eine Druckwelle entwickelt, die auch Florinda erreicht und sie geschüttelt hatte. Wie sich die Dinge im einzelnen abgespielt hatten, war von dem Mädchen nicht beobachtet worden, weil sie nur daran gedacht hatte, so weit wie möglich von der Jolle fortzutauchen. Aber sie hatte immerhin registriert, daß das Boot jetzt kieloben im Wasser lag und Luis Benavente und die anderen baden gegangen waren. Unzweifelhaft war dies auf eine Aktion der Männer der unbekannten Galeone zurückzuführen. Schüsse waren gefallen. Pulver mußte gezündet worden sein, wie sonst hatte die Explosion erfolgen können? Warum aber hatte die fremde Galeone die Männer der „Gran Duque de Almeria“ überhaupt angegriffen?
Fragen über Fragen, auf die Florinda keine Antwort wußte. Sie holte tief Luft und tauchte erneut, und als sie wieder den Kopf über die Wasseroberfläche hinausschob, stellte sie fest, daß die fremde Galeone den Kurs geändert hatte.
Sie wandte ihr jetzt das Heck zu und segelte davon.
Florinda war derart in die Betrachtung der Galeone vertieft, daß sie die Nähe der Insel erst bemerkte, als sie mit den Füßen auf Grund stieß. Erstaunt wandte sie den Kopf, blickte nach Süden – und sah das Ufer vor sich. Die Höhenzüge, die sich sanft gewellt über diese Insel schoben, nahmen sich deutlich genug gegen den düsteren Nachthimmel aus. Irgendwo mußte etwas Mondlicht durch die Wolken dringen, außerdem hatten sich Florindas Augen derart an die Dunkelheit gewöhnt, daß sie auf eine gewisse Distanz Einzelheiten ihrer Umgebung erkennen konnte.
Vor Freude wäre sie fast in Tränen ausgebrochen. Lange hätte sie das Schwimmen nicht mehr durchgehalten. In ihren Lungenflügeln hatten bereits schmerzhafte Stiche gebohrt, und ihre Arme und Beine hatten erste Ermüdungserscheinungen gezeigt.
Jetzt brauchte sie nichts weiter zu tun, als zu waten. Sie geriet auf eine der Insel vorgelagerte Sandbank und kroch darüber, um sich nicht zu hoch aufzurichten und womöglich ihren Verfolgern zu zeigen.
Der sandige Grund fiel wieder etwas ab. Florinda arbeitete sich noch einmal durch tieferes Wasser voran, gelangte dann wieder auf eine sanfte Steigung und erreichte schließlich die rauschende, gischtende Brandung, deren Wellen um ihre Waden schäumten.
Florinda schlich an Land und schlüpfte in das Dickicht einer nicht weit entfernt liegenden Uferböschung. Hier setzte sie sich hin, verschnaufte und dachte über ihre Lage nach.
Andrés!
Vielleicht ist er mir doch gefolgt, vielleicht ist er gleich ins Wasser gesprungen, als er geweckt wurde und hörte, was mit mir geschah. Er hat mir nicht beistehen können, weil er zu weit von mir entfernt war, dachte sie, aber er schafft es auch bis zu dieser Insel und geht in diesem Moment vielleicht irgendwoanders an Land. Bald treffen wir uns …
Erst jetzt fiel ihr ein, was ihr Andrés einmal über die Tiburónes, die gefürchteten Haie, erzählt hatte. Sie war diesen gefährlichen Jägern der See entgangen. Sie hatte Glück gehabt und war von ihnen nicht angegriffen worden. Oder schliefen die Haie bei Nacht?
Sie wußte es nicht. Sie betete inständig darum, daß auch Andrés soviel Glück haben möge wie sie.
Sie blickte an sich nieder. Ihres grobleinenen Rockes hatte sie sich im Wasser entledigen müssen, um beim Schwimmen nicht behindert zu werden. Natürlich hatte sie ihn nicht bergen und sich etwa um die Hüfte knoten können – dazu war bei ihrer überstürzten Flucht weiß der Himmel nicht die Zeit gewesen.
So saß sie praktisch nur mit ihrer durchnäßten Unterwäsche da, abgesehen von der weißleinenen Bluse, die ihr wie eine zweite Haut am Leib klebte. Ihre Beine waren nackt, ungeschützt, den Blicken eventueller Beobachter preisgegeben.
Plötzlich schämte sie sich. Aber das war nicht das Schlimmste. Auch die Angst stellte sich wieder ein. Scheu schaute sie sich nach allen Seiten um.
Beobachter – gab es die hier? War die Insel etwa bewohnt? Und wenn nicht, gab es doch sicherlich wilde Tiere, die sie bedrohen oder sie angreifen konnten.
Sie wollte nicht zittern, aber es war übermächtig in ihr. Mit einemmal bebte sie am ganzen Leib, fröstelte und schlug mit den Zähnen aufeinander, obwohl es eine verhältnismäßig warme Nacht in einer milden Klimazone war, die der Andalusiens vergleichbar war.
Existierten auf dieser Insel Raubkatzen? Luchse? Panther? Oder vielleicht sogar Wölfe? Selbst wenn sie hier nicht lebten, gab es doch sicherlich alle jenen scheußlichen Kreaturen, die Florinda so sehr fürchtete: Schlangen, giftige Spinnen, Skorpione, alle möglichen Arten von Echsen, vermutlich sogar Alligatoren.
Sie sprang auf, als wäre sie gebissen worden. Wieder hielt sie Umschau, bemerkte aber nichts Verdächtiges, Erschreckendes. Trotzdem hielt sie nichts mehr in dem Dikkicht. Verstört setzte sie ihren Weg ins Inselinnere fort. Sie drang immer tiefer in den Urwald ein und hoffte, bald die Hügel zu erreichen. Sie wollte nach einer Höhle suchen, in der sie unterkriechen konnte, oder nach einer übersichtlichen Anhöhe, von dessen höchstem Punkt aus sie überblicken konnte, ob sich ihr etwas näherte.
Andrés, wo bist du nur? dachte sie immer wieder.
Sie hätte am Strand entlanglaufen können, um nach ihm zu suchen, aber sie fürchtete sich davor, es zu tun, weil sie Angst hatte, wieder mit den Männern der „Gran Duque de Almeria“ zusammenzutreffen. Lieber versteckte sie sich und wartete zunächst einmal das Morgengrauen ab.
Würde Kapitän Don José Manuel Ramos seine Männer auf der Insel landen lassen, um weiter nach ihr zu fahnden? Würde er wirklich soweit gehen?
Oder segelte er mit seinem Schiff weiter?
Aber wenn Andrés die Flucht von der Galeone nicht geglückt war, wenn er sich noch an Bord befand, vielleicht in Gefangenschaft, weil er ihr hatte helfen wollen und sich so verraten hatte – sah sie ihn dann vielleicht niemals wieder?
Florinda schlug die Hände vors Gesicht, schluchzte und ließ ihren Tränen freien Lauf.
Die Bucht war von einer Laune der Natur in das nördliche Ufer der Insel Sao Miguel hineingeschnitten worden. Ihre Zufahrt war sehr schmal, erlaubte aber nahezu jedem Schiffstyp, sie zu passieren. Hatte man diese halbe Kabellänge Strecke, die wie ein Kanal war, zurückgelegt, gelangte man in die eigentliche Bucht, die in ihrer Form wie ein riesiger Tropfen wirkte. Der südliche, halbkreisartige Uferrand des Tropfens bestand aus bewaldeten Hängen, alle anderen Küstenstreifen der Bucht waren fast völlig flach und stellenweise mit weißem oder gelbem Sand bedeckt.
Barbante, der Pirat und Glücksritter, stand ganz vorn am Abbruch eines der höchsten Punkte der Hänge. Über seinem fast kahlen, von einem dunklen Tuch umwickelten Kopf breiteten sich die eigentümlich geformten Wipfel von Schirmpinien aus. Zwischen den Stämmen hindurch konnte Barbante auf das Wasser der Bucht blicken. Er hatte die Arme vor der Brust verschränkt und versuchte, Bewegungen auf der glatten schwarzen Fläche des Tropfens zu erkennen.
Neben ihm hatten sich Corona und Anselmo aufgebaut, seine ranghöchsten Kumpane. Alle drei standen sie rechts neben dem Geschütz, das Barbante unter viel Aufwand von Zeit und Kraft hier hatte heraufschaffen lassen. Es war eine Serpentine, ein 4-Pfünder-Hinterlader, mit dem man dank einer drehbaren Gabellafette, die fest in den Untergrund gerammt worden war, auf nahezu jede Stelle Stelle der Bucht feuern konnte.
Von diesen Serpentinen gab es noch vier weitere Exemplare auf den Hängen. Alle waren gut versteckt zwischen den Bäumen und Büschen und konnten von der Bucht aus selbst bei Tag nicht entdeckt werden.
Von dem Platz unter den Pinien hatte Corona vor kurzem die Lichter eines Schiffes unweit der Küste entdeckt. Wenig später hatten die Piraten das Krachen von Handfeuerwaffen vernommen – und Schreie. Ihre Neugier war geweckt, sie hatten zwei Späher zur Einfahrt der Bucht geschickt.
„Die Pinasse kehrt zurück“, sagte Anselmo in diesem Augenblick. „Gleich geben sie sicherlich auch das Zeichen.“
Barbante konnte den Einmaster noch nicht erspähen, und das ärgerte ihn insgeheim. Dann aber war ihm doch so, als gleite etwas schräg unter ihnen auf das Süfufer der Bucht zu, und im selben Moment ertönte auch schon der Schrei eines Nachtvogels.
„Gehen wir ’runter“, sagte er. „Falls es etwas für uns zu tun gibt, entern wir gleich in die Pinasse und kreuzen zurück zur Buchteinfahrt. Vielleicht ist jede Minute kostbar.“
Er eilte den recht steilen Hang auf einem Pfad hinunter, den er auch mit geschlossenen Augen hinter sich gebracht hätte, ohne einen einzigen Fehltritt zu tun.
Unten trat er zu den Männern der Pinasse, die jetzt bereits angelegt hatten und bedeutungsvoll zu ihm herüberwinkten. Sie hießen El Grullo und Josefe und galten als die besten, raffiniertesten Kundschafter der Freibeuterbande.
„Eine spanische Galeone“, erklärte El Grullo. „Sie hat zwei Beiboote abgefiert, aber das eine liegt kieloben im Wasser, was offenbar auf den Angriff einer zweiten Galeone zurückzuführen ist, die inzwischen nach Westen abläuft. Der Capitán des spanischen Schiffes tobt. Seine Kerls sind dabei, die Narren aus der umgekippten Jolle zu übernehmen. Mehr haben wir nicht gesichtet.“
Barbante hatte die Fäuste in die Seiten gestemmt. „Eine zweite Galeone? Was ist das für ein Kahn? Woher kommt er? Was für eine Flagge, was für einen Namen führt er?“
„Das alles ist in dieser Finsternis nicht zu erkennen“, erwiderte Josefe. „Wir haben wirklich die Augen aufgesperrt, aber wir können uns auf das Erscheinen und die Bedeutung dieser Schiffe auch keinen Reim bilden. Nur eins scheint gewiß zu sein – sie sind Feinde. Der eine hat dem anderen das Beiboot zum Kentern gebracht.“
„Durch Schüsse?“
„Weiß der Teufel wodurch“, entgegnete nun El Grullo. „Jedenfalls reckt die Jolle ihren Bauch nach oben, soviel haben wir gesehen. Es ist nicht ausgeschlossen, daß die Spanier hier auf der Insel landen wollten, und vielleicht tun sie’s auch noch, wenn sie von ihrem Gegner nicht wieder gestört werden. Wir sollten ruhig abwarten, bis die Burschen den Weg in unsere Bucht gefunden haben.“
Barbante war mit dieser Meldung ganz und gar nicht zufrieden.
„Hört mal zu“, sagte er. „Corona ist sicher, vorhin auch einen Frauenschrei vernommen zu haben. Habt ihr irgendwo ein Weibsbild entdekken können?“
„Nicht die Spur davon“, erwiderte El Grullo.
Corona, der inzwischen neben seinem Anführer eingetroffen war, sagte: „Ich bleibe dabei. Da schrie eine Frau.“
Anselmo war nun auch zur Stelle und pflichtete ihm bei: „Ja, ich habe ihr Kreischen ebenfalls gehört. Jefe, du weißt, daß wir stocknüchtern sind. Wir sind keinem Irrtum aufgesessen. Da ist ein Weiberrock mit im Spiel. Vielleicht ist sie sogar der Anlaß für den ganzen Aufstand.“