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7.
Die Jollen schoben sich durch die Brandung auf den Sandstrand der Insel Sao Miguel. Hasard, Shane und Matt Davies waren als erste heraus und sicherten mit ihren Tromblons und Pistolen, die sie in ausreichender Zahl von der „Isabella“ mitgenommen hatten, zum Dickicht hin. Vor Überraschungen war man nirgends sicher, das bewies die reiche Erfahrung der Seewölfe. Auf den entlegensten Inseln, die auf den ersten Blick gottverlassen wirkten, hatten sie schon die tollsten Dinge erlebt, und daher wandten sie alle erdenklichen Vorsichtsmaßnahmen an, um in keine Falle zu laufen.
Die Männer hinter ihnen zogen die Boote noch ein Stück höher aufs Ufer, dann zückten auch sie ihre Waffen und schlossen sich Hasard und den beiden anderen an, die den Marsch zum Inselurwald begannen. Shane und Batuti hielten Pfeil und Bogen bereit. Sie waren Meister im Umgang mit diesen Waffen.
Der Seewolf war ein paar Schritte weit in das dichte Unterholz eingedrungen, da tönten mehrere Schreie an sein Ohr – wieder von derselben Frauenstimme ausgestoßen.
„Die scheinen aus fast der gleichen Richtung wie vorher zu kommen“, flüsterte Dan O’Flynn. „Da kann’s einem kalt den Rücken herunterlaufen.“
„Dem Mädchen scheint es dreckig zu gehen“, sagte Matt Davies. „Das hört sich ja grausig an.“
„Beeilen wir uns.“ Hasard bahnte sich einen Weg durch das widerspenstige Gesträuch. Nach ein paar Yards gelangte er glücklicherweise auf etwas, das man als natürlichen Pfad durch den Dschungel bezeichnen konnte, und er fing an zu laufen.
Die Schreie brachen ab, setzten nach wenigen Sekunden Pause aber wieder ein. Hasard versuchte, dem Klang der Stimme nach in etwa zu begreifen, was der Grund für die Verzweiflungsrufe war, aber er gelangte zu keinem Schluß. Vieles konnte dahinterstecken, der Kampf mit einem Tier beispielsweise, der Tritt in eine Fallgrube oder die Auseinandersetzung mit Eingeborenen – oder mit irgendwelchen Glücksrittern und Schlagetots, die hier ihr Nest eingerichtet hatten.
Hasard wollte nicht daran denken, was solche Leute alles mit einer Frau tun konnten. Er konzentrierte sich auf den Weg, der vor ihm lag. Er hielt seine doppelläufige sächsische Reiterpistole in der Faust und nahm sich vor, auf jeden, der sich zwischen ihn und die Gesuchte stellte, zu feuern.
Unversehens wurde der Buschbewuchs lichter. Hasard konnte erkennen, daß er wenige Schritte weiter vorn ganz aufhörte, und bremste seinen Lauf ab. Seine Männer sahen, wie er sich hinter eins der vordersten, am weitesten vorgeschobenen Gesträuche kauerte. Sie folgten seinem Beispiel.
Das Geschrei war inzwischen verstummt.
Hasard drehte sich um und winkte Dan zu. Der Mann mit den schärfsten Augen an Bord der „Isabella“ robbte zu seinem Kapitän vor.
„Vor uns liegt der natürliche Kanal, den du vorhin bereits gesichtet hast“, raunte der Seewolf. „Was kannst du noch erkennen?“
„Nicht viel. Weiter südlich scheint sich die Passage zu erweitern. Aber man müßte schon ein Stück weiterkriechen, um Genaues herauszufinden.“
„Dann nichts wie los“, zischte Hasard. „Wir beide erledigen das, mal sehen, wie weit wir kommen.“ Er drehte sich kurz zu den anderen um und bedeutete ihnen durch eine Geste, sie sollten in ihren Deckungen bleiben.
Hasard und Dan glitten vor, bewegten sich ein Stück auf den Kanal zu und bogen dann nach Süden ab. Geduckt erreichten sie schließlich jene Stelle, an der sich die Passage in die große Bucht öffnete.
„Also doch eine Bucht“, wisperte Dan. „Teufel auch, ich würde was darum geben, das andere Ufer sehen zu können.“
„Versuchen wir lieber, die Spur des Mädchens aufzunehmen.“
„Sie scheint verschwunden zu sein.“
„Nicht so voreilige Schlüsse ziehen, Dan“, raunte der Seewolf. „Ihre Stimme schien von weiter östlich zu kommen, also müßten wir theoretisch noch ein Stück laufen, um sie zu finden. Praktisch geht’s nicht, denn da sind der Kanal und die Bucht, die wir nicht durchwaten können. Wir brauchen es gar nicht erst zu versuchen. Schwimmen hat auch wenig Sinn, weil unsere Feuerwaffen naß und damit unbrauchbar werden würden.“
„So ein Mist“, flüsterte Dan. „Da bleibt uns wohl nichts anderes übrig, als die ganze Bucht zu umrunden, was?“
„So sieht es leider aus.“
Hasard wollte noch mehr sagen verharrte aber plötzlich und hielt seinen Begleiter am Arm fest. Dan wurde sofort klar, warum. Von Osten drangen jetzt tatsächlich wieder Geräusche herüber. Männerstimmen waren es diesmal. Sie redeten durcheinander und schienen etwas zu beratschlagen.
„Spanier“, sagte der Seewolf. „Sie sind drüben, am gegenüberliegenden Buchtufer.“
„Sag bloß, das sind die Leute von der Galeone, und sie haben das Mädchen aufgestöbert und bringen es zurück an Bord.“
„Noch wissen wir’s nicht, Dan.“
Das Mädchen begann wieder zu schreien, gellend, wie in panischer Todesangst.
Hasard warf sich herum und lief zu den Männern im Dickicht zurück.
„Vorwärts“, zischte er ihnen zu. „Wir laufen so schnell wie möglich um die Bucht und kaufen uns die Kerle, die drüben, auf der anderen Seite, das Mädchen geschnappt zu haben scheinen. Es würde zu lange dauern, die Boote zum Übersetzen über den Kanal herzuholen – wer weiß, was diese Halunken bis dahin alles mit ihr unternommen haben.“
Shane, Ferris, Smoky und die anderen sechs erhoben sich fast gleichzeitig. Sie wären alle wie die Teufel losgestürmt, wenn Dan nicht plötzlich einen unterdrückten Warnlaut ausgestoßen hätte.
Er hatte seine guten Gründe dafür, wie sich gleich herausstellen sollte. Hasard, der sich sofort wieder hinter einen der struppigen Büsche duckte, wandte den Kopf und sah eine Bewegung in der Passage, die selbst bei dieser Dunkelheit deutlich genug zu erkennen und auszulegen war.
Ein Schiff segelte vor dem Nordwind in die Bucht!
Ihr Kapitän war so klug gewesen, dem Beispiel der Männer der „Isabella“ zu folgen – er hatte ebenfalls das Licht der Hecklaterne gelöscht. Dennoch fiel es Dan O’Flynn, der dem Schiff am nächsten kauerte, nicht schwer, diesen Dreimaster als die spanische Galeone wiederzuerkennen, der sie vor der nördlichen Küste von Sao Miguel dicht auf den Pelz gerückt waren.
Das Schreien des Mädchens hatte schlagartig wieder ausgesetzt.
Reglos hockten der Seewolf und seine Männer da und verfolgten das Einlaufen der spanischen Galeone in die Inselbucht. Sie konnten die leise Stimme eines Seemanns vernehmen, der die Wassertiefe auslotete – und, richtig, sie reichte aus, um ein Schiff dieser Größenordnung durchzulassen, und die Bucht schien tatsächlich ein natürlicher Hafen zu sein, wie Hasard vermutet hatte.
Sobald die Galeone vorbei war und keine Gefahr mehr bestand, daß sie von der Besatzung entdeckt wurden, rappelten sich die Männer der „Isabella“ auf. Ein Wink von Hasard, und sie begannen zu laufen, am Ufer des Kanals und dann der Bucht entlang nach Süden.
Dan hatte sich neben Hasard gebracht. „Ich habe den Namen des Schiffes diesmal lesen können“, teilte er gedämpft mit. „‚Gran Duque de Almeria‘ – ein schöner Name, nicht wahr?“
„Ich fürchte, eine Auseinandersetzung mit diesem ‚Großherzog von Almeria‘ läßt sich nicht vermeiden“, gab der Seewolf gedämpft zurück. „Was der sich hier leistet, geht mir allmählich gründlich gegen den Strich.“
„Meinst du, er läßt das Mädchen töten?“
„Ich will gar nicht daran denken, Dan.“
„Vielleicht kommen wir schon zu spät.“
„Wir müssen wenigstens versuchen, sie herauszuhauen, ganz egal, wer sie nun ist und was sie ausgefressen hat“, entgegnete der Seewolf. Es war schon immer sein starker Drang gewesen, den Schwächeren zu helfen. Wie er auf See stets dem beistand, der das Recht auf seiner Seite, aber die geringeren Mittel hatte, so verspürte er hier, in dieser Nacht, den unnachgiebigen Willen, es zu verhindern, daß eine Horde von Kerlen auf gemeinste Weise über ein einziges weibliches Wesen herfiel.
Der Untergrund begann etwas anzusteigen und wurde uneben. Der Sand ging in erdigen, bald lehmigen Boden über, die Buschgrenze schob sich dicht an das Wasser der Bucht heran.
Dan gab plötzlich ein Handzeichen, daß er wieder etwas gesehen hätte. Auch diesmal reagierten Hasard und die anderen neun prompt. Sie kauerten sich hin und brauchten nach Deckung nicht erst zu suchen. Die Büsche boten ihnen genügend Schutz. Dan wies in südliche Richtung, bevor auch er sich endgültig niederließ.
Die spanische Galeone war zur Buchtmitte hin verschwunden und jetzt kaum noch zu sehen. Das Schiff, das sich aus südlicher Richtung dicht am Ufer dahingleitend den Seewölfen näherte, konnte also unmöglich mit der „Gran Duque de Almeria“ identisch sein, zumal die Galeone nie so schnell hätte wenden können.
Nein, es war ein viel kleineres Fahrzeug, wie sich jetzt herausstellte. Die Konturen eines Großsegels und einer Fock an einem einzigen Mast schälten sich aus dem Dunkel. Hasard und seine Männer stellten fest, daß sie eine Schaluppe vor sich hatten.
Nah, sehr nah schob sie sich an ihrem Versteck vorbei. Vier Mann auf den Duchten bewegten die Riemen, um bei dem Manöver zu helfen, das der Rest der Besatzung gerade durchführte: Aus Südosten kommend, kreuzte die Schaluppe gegen den Nordwind und ging soeben über Stag, um nach Nordosten zu laufen. Das Überwechseln auf den anderen Bug geschah erst in allerletzter Sekunde, so daß es aussah, als müsse die Schaluppe am Ufer auf Grund laufen. Gerade noch rechtzeitig zogen die Insassen ihr Gefährt herum, und in diesem Augenblick waren sie den Beobachtern an Land so dicht, daß diese die getuschelten Worte verstehen konnten, die in der Schaluppe gewechselt wurden.
„Klar bei Brassen, Josefe“, raunte der eine. „Wir laufen jetzt gleich genau auf die ‚Gran Duque‘ zu. Das wird ein Fest!“
„Ja, wir fallen wie ein Gespenst der Nacht über sie her, ehe der Narr von einem Kapitän überhaupt merkt, was gespielt wird. Der Kahn ist so gut wie unser, El Grullo.“
„Wie schön laut das Weibsbild doch geschrien hat! Ohne ihre Mithilfe hätten wir die Galeone nie in die Bucht ’reingekriegt.“
„Stimmt, das war ein feiner Trick von Barbante.“
„He, ihr zwei“, zischte ein dritter. „Wollt ihr wohl still sein? Die Burschen an Bord der Galeone hören uns noch und kriegen spitz, was gespielt wird.“
Augenblicklich verstummten die Stimmen.
Die Schaluppe hatte gewendet und drehte den Seewölfen jetzt ihr Heck zu. Sie tauchte in den düsteren Schleiern der Nacht unter.
„Verdammt“, flüsterte Dan O’Flynn. „Wie redliche spanische Seeleute sahen die nicht aus. Das sind Piraten der übelsten Sorte, sage ich.“
„Mir geht allmählich ein Licht auf“, versetzte der Seewolf. „Bob, komm mal her und hör zu. He, Bob, wo steckst du?“
Bob Grey schob sich neben ihn. „Hier, Sir. Ich schätze, ich soll zur ‚Isabella‘ zurückkehren und Ben Brighton und den anderen melden, wie die Dinge hier inzwischen stehen.“
„Ja. Die Piraten haben das Mädchen gefangengenommen und nutzen sie als Geisel gegen die Spanier von der ‚Gran Duque‘ aus. Wir dürfen es nicht zulassen, daß hier ein Gemetzel geschieht. Ben soll sofort mit unsrer alten Lady ankerauf gehen, die Passage ansteuern und ebenfalls in die Bucht einlaufen. Du gehst mit an Bord, klar?“
„In Ordnung, Sir.“
„Dann schieb ab, Bob.“
Bob entfernte sich. Hasard erhob sich und sagte zu den anderen Männern: „So, und wir laufen weiter und versuchen, das Mädchen zu befreien. Noch hat keiner spitzgekriegt, daß wir hier herumstöbern. Diesen Trumpf müssen wir ausnutzen und entsprechend ausspielen.“
Don José Manuel Ramos hatte zuerst Luis Benavente und die anderen sieben Männer der verunglückten Jolle aus den Fluten gefischt. Dann hatte er das Beiboot bergen und auch das zweite Boot wieder hochhieven lassen. Dies hatte einige Zeit in Anspruch genommen, so daß er erst ungefähr zu dem Zeitpunkt, an dem Florinda auf der Insel Sao Miguel den Piraten in die Hände fiel, dazu kam, Andrés Nortes de Checa zu sich in die Kapitänskammer des Achterkastells zu holen.
Der erste und der zweite Offizier der „Gran Duque de Almeria“, der Bootsmann, der Profos und der Waffenmeister Luis Benavente waren mit dabei, als der Gefangene seinem Kapitän von zwei starken Decksleuten vorgeführt wurde.
Don José, vor Zorn weiß im Gesicht, saß hinter seinem Pult und fixierte den Delinquenten.
„De Checa“, begann er. „Versuche gar nicht erst, dich herauszureden. Du hast dies alles angezettelt.“
Andrés sah Don José an und hielt dessen Blick stand. Ihm war aus Sorge um Florinda entsetzlich elend zumute, aber so weit, daß er den Kopf hängen ließ und völlig resignierte, war es mit ihm doch noch nicht.
„Senor Capitán“, sagte er. „Ich gestehe meine Schuld voll ein. Ich habe meine Geliebte, die ich mit in die Neue Welt nehmen wollte, in Cadiz an Bord dieses Schiffes geschmuggelt und im Kabelgatt versteckt. Ich habe das in einem Moment getan, in dem die Ankerwache gerade mit zwei Seeleuten zu tun hatte, die volltrunken an Bord zurückkehrten – und ich glaubte wirklich, kein Mensch hätte Florinda gesehen, keiner würde sie je finden. Daß ich ein riesengroßer Narr gewesen bin, sehe ich jetzt ein. Ich weiß, daß es keinen Sinn hat, Sie um Verzeihung zu bitten, Senor. Auf Gnade habe ich kein Anrecht. Ich trage alle Konsequenzen. Nur um eins flehe ich Sie an: Holen Sie Florinda auf dieses Schiff zurück, schützen Sie sie.“
„Wir haben inzwischen bemerkt, daß wir vor der Insel Sao Miguel liegen“, entgegnete Don José. „Dorthin ist dein Mädchen allem Anschein nach geschwommen.“
„Sie wird dort umkommen …“
Der Kapitän schlug mit der Faust auf sein Pult. „Das geschieht dir recht! Sie wollte unser Schiff in Brand stecken!“
„Das ist nicht wahr …“
„Und gestehe auch, daß sich auf der verfluchten Galeone, die unser Beiboot angriff, eure Komplicen befinden. Was hattet ihr überhaupt vor? Wolltet ihr durch ein raffiniertes Komplott bei Nacht diese Galeone kapern?“
„Komplicen? Komplott? Wovon reden Sie überhaupt?“ rief Andrés entsetzt aus.
„Du weißt es!“ brüllte nun Luis Benavente los. „Spiel nur nicht den Ahnungslosen. Wir wissen jetzt, was für ein dreckiger Lump du bist!“
„Benavente!“ schrie Don José Manuel Ramos. „Ich verbiete Ihnen, in solch einem Ton …“
„Und du?“ fuhr Andrés den Waffenmeister an. „Wer hat mich denn heute abend mit Rioja betrunken gemacht? Was hattest du wirklich vor, nachdem du Florinda im Kabelgatt entdeckt hattest?“
„Ich habe keine Ahnung, von was du sprichst, du Bastard“, gab Benavente in derselben Lautstärke wie vorher zurück. „Versuche bloß nicht, uns abzulenken. Du bist ein ausgekochter Freibeuter, der sich hier an Bord geschlichen hat, und was deine Freundin betrifft, dieses Hurenstück, so übertrumpft sie dich sogar noch …“
Andrés wollte sich auf Benavente stürzen. Er holte mit den Ketten, die seine Hände fesselten, aus, um den Mann niederzuschlagen. Der erste und der zweite Offizier gingen jedoch dazwischen, und die Decksleute hielten Andrés an den Schultern und Armen zurück. Don José fuhr von seinem Platz hoch, als Benavente nun seinerseits Anstalten traf, mit den Fäusten auf den Gefangenen einzudreschen.
„Aufhören!“ herrschte er den Waffenmeister an. „Was fällt Ihnen ein, sich hier so aufzuführen, Benavente? Es ist eine Unverschämtheit von Ihnen, einfach in die Vernehmung einzugreifen.“
„Senor, ich …“
„Und überhaupt, ich möchte jetzt wissen, was es mit dem Rioja auf sich hat, vom dem de Checa eben gesprochen hat.“
Benavente ließ die Arme baumeln und holte tief Luft. Er wollte zu einer Rechtfertigung und Ausrede ansetzen, kam aber nicht mehr dazu, weil jetzt die Schreie Florindas von der Insel herüberklangen – selbst gegen den Nordwind noch laut genug, um bis in die Kammer des Kapitäns zu dringen.
„Mein Gott“, stieß Andrés hervor. „Sie ist in Gefahr! Das ist das Ende! Laßt mich zu ihr, laßt mich frei, ich will mit ihr sterben!“
Er trat einem seiner Bewacher gegen das Schienbein, versuchte sich loszureißen und kämpfte derart wild, daß es ihm auch fast gelang. Der zweite Offizier trat auf einen Wink des Kapitäns hin jedoch vor und rammte ihm die Faust unters Kinn. Sofort brach Andrés zusammen.
„Anders ging es nicht“, sagte Don José. „Sperrt ihn wieder in die Vorpiek.“
„Si, Senor“, erwiderten die Decksleute.
„Profos“, sagte Don José. „Alle Mann an Deck, wir setzen Großsegel, Fock und Blinde und laufen die Insel an. Wir machen gefechtsklar und stoßen so weit wie möglich vor.“ Er lauschte kurz den Schreien, die immer noch andauerten, dann fügte er hinzu: „Trotz der Gefahren, die sich uns bieten, werden wir versuchen, zu landen. Ich kann es nicht verantworten, daß diesem Mädchen ein Unheil geschieht. Ja, es ist sogar meine Pflicht, sie zu retten und zurück nach Cadiz zu bringen, denn sie ist immerhin eine spanische Bürgerin – ganz gleich, ob sie irgendwie schuldig geworden ist.“
Der Zuchtmeister zeigte klar und ging, die Offiziere schlossen sich ihm an. Don José entließ auch Luis Benavente mit den Worten: „Wir sprechen uns später noch, Benavente. Überlegen Sie sich ganz genau, was Sie mir dann antworten. Ich will die Wahrheit hören und endlich Klarheit in diese Angelegenheit bringen.“
„Si, Senor“, erwiderte der Waffenmeister untertänigst. Damit verschwand er aus der Kammer.
Wenig später hatte die Galeone den Weg durch die Passage gefunden und lief, den Schreien des Mädchens folgend, in die Bucht der Insel ein. Don José hatte die Hecklaterne löschen lassen, und die Dunkelheit umhüllte die „Gran Duque de Almeria“ wie ein schützender Mantel.
Don José hatte sich auf das Vordeck begeben und seinen Männern befohlen, sich still zu verhalten. Er selbst stand schweigend und mit aufgestützten Händen an der vorderen Schmuckbalustrade der Back und hörte zu, wie der Mann mit dem Senkblei gedämpft immer wieder die Wassertiefe bekanntgab.
Eine geräumige Bucht war es, in die sie eingedrungen waren. Es schien keine Untiefen zu geben. In diesem Punkt fühlte Don José Manuel Ramos sich ziemlich beruhigt, doch es gab etwas anderes, das ihm – außer dem Geschrei des Mädchens – Sorgen bereitete.
Die fremde Galeone, die das Beiboot der „Gran Duque“ überfallen hatte – wo steckte sie?
Hatte sie etwa auch in diese Bucht verholt?
Konnte man nicht jeden Augenblick mit ihr zusammentreffen?
Don José spürte, wie sich sein Herzschlag bei diesem Gedanken beschleunigte. Im nächsten Moment wurde seine Aufmerksamkeit jedoch ganz durch das Schreien von Florinda Martinez Barrero in Anspruch genommen. Es hatte kurz aufgehört und setzte jetzt wieder ein.
„Wir befinden uns auf einer Höhe mit ihr“, murmelte der Kapitän.
„Wir brauchen nur nach Backbord zu drehen und laufen genau auf sie zu“, sagte der erste Offizier, der zu ihm auf die Back gestiegen war.
„Anluven“, befahl Don José. „Wir nehmen östlichen Kurs und tasten uns an das Ufer der Bucht.“
Kurz darauf lag die Galeone mit Backbordhalsen am Nordwind und glitt über Steuerbordbug segelnd mit vorsichtiger Fahrt auf das Buchtufer zu.
Es ist eine Falle, Hölle, eine verfluchte Falle, dachte Luis Benavente, der auf der Kuhl das Laden und Ausrennen der Geschütze leitete. Er hütete sich aber, den Kapitän zu warnen, denn nach seinem unbeherrschten Auftreten in der Achterdeckskammer und den Worten von Andrés war er in der Gunst seines Kapitäns erheblich gesunken.
Wie recht Benavente indes mit seinem Verdacht hatte, ahnte er zu diesem Zeitpunkt noch nicht.
8.
Hasard und seine neun Begleiter hatten das südliche Ufer der Bucht erreicht. Sie hatten die Strecke im Laufschritt bewältigt. Jetzt, da sie der bogenförmigen Rundung des Landes folgten, konnten sie sich in etwa ausrechnen, wie weit es noch bis zu dem Platz sein mußte, an dem sich das Mädchen in der Gewalt der Piraten befand.
Wieder trug der Wind die Schreie des Mädchens herüber, so klar und deutlich, als stünde sie nur wenige Yards von ihnen entfernt inmitten der Kerle, die sie bedrohten.
Sicher, dieser Barbante, den die Kerle in der einmastigen Schaluppe erwähnt hatten, bediente sich eines Tricks, indem er das Mädchen schreien ließ. Aber wer konnte wissen, ob er ihr nicht tatsächlich Gewalt antat, um den Effekt ihrer Panik zu steigern?
Von solchen Überlegungen getrieben, lief der Seewolf an der Spitze seines Trupps durchs Gebüsch am Fuß der Berghänge, die rechter Hand wuchtig und finster aufragten.
Das Schreien hatte jetzt wieder aufgehört.
Hasard erwartete das Krachen von Musketen und das Wummern von Kanonen, mit dem die Freibeuter über die Spanier herfielen, aber es blieb noch aus. Noch schien die Zeit nicht reif zu sein für den Angriff aus dem Hinterhalt.
Hasard stoppte plötzlich, denn er hatte schräg vor sich die Gestalt eines Mannes entdeckt. Dieser Kerl stand unmittelbar vor dem Hang unter einem verkrüppelt wirkenden Baum, wahrscheinlich einer Föhre oder Pinie, und schien, soweit Hasard Einzelheiten erkennen konnte, zur Bucht zu spähen.
Der Seewolf duckte sich und gab den anderen ein Zeichen. Sofort ließen sich alle auf die Knie nieder und hielten ihre Waffen bereit.
Der Wachtposten schien seinerseits etwas bemerkt zu haben. Er verließ seinen Standort unter dem Baum und pirschte auf die Bucht zu. In den Fäusten hielt er eine Muskete.
Hasard robbte auf den Händen und Fußspitzen im Schutz der Büsche nach rechts. Er bewegte sich auf diese Weise völlig lautlos auf den Wächter zu und lag dicht neben den Beinen des Mannes, als dieser an ihm vorbeiging. Hasard hätte nur den Arm ausstrecken zu brauchen, um den linken Fußknöchel des Kerls zu berühren.
Er verhielt sich jedoch stumm und reglos, bis der andere an ihm vorbei war. Erst dann fuhr er hoch und verpaßte seinem Gegner einen Jagdhieb in den Nacken. Es war einer der Hiebe, die ihn Sun Lo, der Mönch von Formosa, gelehrt hatte. Immer dann, wenn ein Mann rasch und lautlos ins Reich der Träume befördert werden mußte, griff er darauf zurück.
Dan, Shane und Ferris waren heran und nahmen dem Zusammensinkenden die Muskete ab.
„Der rührt sich vorerst nicht mehr und verrät uns nicht“, flüsterte Ferris. „Shane, nimm ihm doch mal sein rotes Kopftuch ab. Damit knebeln wir ihn. He, hat denn keiner einen Tampen dabei, mit dem man den Knaben verschnüren kann?“
„Tampen zur Stelle“, raunte Matt Davies. Er förderte eine kleine Taurolle, die er in weiser Voraussicht von Bord der „Isabella“ mitgenommen hatte, zutage und grinste zufrieden.
Binnen weniger Minuten hatten sie den bewußtlosen Piraten gefesselt und geknebelt und zerrten ihn in ein dichtes Gebüsch. Ohne mehr kostbare Zeit zu verlieren, schlichen sie weiter.
Still war es jetzt über der Bucht. Nur das Zirpen der Zikaden war zu vernehmen. Das Schreien des Mädchens oder Kampflärm blieben aus. Hasard wußte nicht, ob das ein gutes oder schlechtes Zeichen war.
Er stutzte, als er plötzlich links von sich – also vom Wasser der Bucht her – den Ruf eines Nachtvogels vernahm. Sofort bedeutete er seinen Männern wieder, zu verharren und nach allen Seiten zu sichern.
Ferris Tucker glitt ein Stück vor und verhielt neben seinem Kapitän.
„Was ist?“ wisperte er. „Hast du einen Kumpanen des Burschen von eben entdeckt?“
„Nein. Aber hast du den Vogelruf gehört?“
„Ja. Das war eine Eule, schätze ich.“
„Fliegen Eulen tief übers Wasser?“
„Also, da bin ich überfragt …“
„Sie tun’s nicht“, flüsterte Hasard. Seine Gestalt straffte sich jetzt, und er fügte mit einem Blick zur Bucht hinzu: „Da, bitte, ich habe mich nicht getäuscht. Der Ruf war ein Zeichen und sicherlich für den Posten mit dem roten Kopftuch bestimmt.“
Aus der Dunkelheit tauchten die Umrisse eines kleinen Einmasters hervor – einer Pinasse. Wie die Schaluppe, die sie am Westufer der Bucht gesichtet hatten, führte auch dieses Boot im Bug eine kleine Kanone mit, wie der Seewolf jetzt erspähte. Eine Drehbasse, ähnlich den Geschützen, die die „Isabella VIII.“ auf dem Achterdeck und auf der Back hatte.
„In der Pinasse hocken sieben Kerle“, flüsterte Hasard seinem Schiffszimmermann zu. „Und da – halt mich fest, Ferris –, da ist auch das Mädchen!“
Ja, auch Ferris erkannte jetzt die Gestalt des zierlichen weiblichen Wesens auf der einen Ducht der Pinasse. Dan, Shane und Smoky, Batuti und die anderen hatten die gleiche Beobachtung getroffen und hielten jetzt unwillkürlich den Atem an.
„Also doch kein unansehnliches altes Frauenzimmer“, raunte Dan O’Flynn seinem Nachbarn Stenmark zu. „Sieh sie dir an, Sten – sie ist blutjung, hübsch und phantastisch gebaut. Und sie hat nur ein paar Fetzchen auf dem Leib.“
„Kein Wunder, nach dem Bad im Teich, das sie hinter sich hat“, murmelte der Schwede. „Aber es soll mich wundern, wenn die Hunde von Piraten die Kleine nicht mit Haut und Haaren vertilgen …“
„Hör bloß auf“, zischte hinter ihnen Jeff Bowie. „Ich mag gar nicht dran denken.“
„He“, meldete sich jetzt von vorn Ferris Tucker. „Seid still, sonst hören diese Bastarde uns noch!“
„Was ist, greifen wir sie an?“ fragte Stenmark so leise wie möglich. „Hauen wir das Mädchen heraus?“
„Noch nicht“, entgegnete der Seewolf, der sich ebenfalls zu ihnen umgedreht hatte. „Ich will erst mal sehen, wohin die Kerle mit ihr wollen. Wir heften uns ihnen an die Fersen.“
Er verstummte, denn einer der Piraten hatte wieder den Ruf der Eule nachgeahmt. Er schien auf eine Antwort zu warten, denn er begann leise vor sich hinzufluchen, als keine Erwiderung erfolgte.
Reglos lagen die Seewölfe da und beobachteten, wie die Pinasse landete und von den Freibeutern rasch vertäut wurde. Alle bis auf zwei Mann stiegen aus.
Einer von den Landgängern, ein großer Kerl mit einem breitkrempigen Hut auf dem Schädel, drehte sich noch einmal zu der Pinasse um und sagte: „Anselmo, ihr kreuzt jetzt sofort zu Barbante zurück und helft ihm beim Überfall auf die Galeone. Wenn er das Zeichen gibt, fallt ihr mit den anderen zusammen von drei Seiten über den Kahn her.“
„Ja. Aber wo, zum Teufel, steckt Pablo?“
„Wahrscheinlich hat er seinen Posten hier unten einfach verlassen und ist ’rauf ins Lager, zu den anderen beiden, die dortgeblieben sind. Dem werde ich ganz schön den Marsch blasen, darauf kannst du dich verlassen. Ich hätte nicht übel Lust, ihm sein rotes Kopftuch um die Gurgel zusammenzuziehen.“
„Also dann, steigt auf und sperrt das Weibsbild ein. Seht zu, daß ihr danach so schnell wie möglich die Serpentinen besetzt – wie vereinbart.“
„Du kannst dich darauf verlassen, Anselmo.“
„Viel Glück, Corona.“
„Ja, viel Glück auch euch.“
Damit trennten sie sich. Die zwei in der Pinasse legten ab und setzten wieder die beiden Segel. Corona und die vier anderen stapften mit dem Mädchen in ihrer Mitte auf die bewaldeten Hänge des Südufers zu.
Hasard wartete noch eine Weile ab, dann erhob er sich und pirschte dem kleinen Trupp Piraten nach. Ferris, Shane, Dan, Smoky, Batuti, Luke, Matt, Jeff und Stenmark folgten ihm. Sie alle hatten aus der Unterhaltung der beiden Piraten Corona und Anselmo genug herausgehört, um zu wissen, was sie zu tun hatten.
Bob Grey hatte unterdessen längst die „Isabella VIII.“ erreicht, war mit einer Jolle übergesetzt und hatte Ben Brighton und den anderen an Bord Bericht erstattet.
Ben hatte auch die zweite Jolle holen und an Bord hieven lassen, dann war er schleunigst mit der „Isabella“ ankerauf gegangen, um den Befehl des Seewolfs auszuführen.
Zu diesem Zeitpunkt segelte die „Isabella“ bereits über Steuerbordbug auf die Passage am Nordufer der Insel zu und traf Anstalten, abzufallen und in den natürlichen Kanal einzulaufen.
Auf dem steilen Pfad, der in das Lager der Piraten führte, mußte Florinda vor Corona herlaufen. Ein paarmal strauchelte sie und drohte abzustürzen, aber er hielt sie jedesmal mit seinen großen Händen an den Hüften fest und lachte.
„Wenn ich nur die Zeit dazu hätte, wüßte ich, was ich mit dir tun würde“, sagte er. „Aber leider ist jede Minute kostbar, und ich will es mit Barbante nicht verderben. Hinterher haben wir ja um so mehr Muße, uns nach Herzenslust mit dir zu befassen.“
„Ihr besiegt die ‚Gran Duque‘ nicht“, gab sie verzweifelt zurück. „Niemals.“
„Das hättest du wohl gern so, wie?“ Er lachte leise. „Aber dein frommer Wunsch wird nicht in Erfüllung gehen. Wir haben das Überraschungsmoment auf unserer Seite. Außerdem haben wir mehr Kampferfahrung als dein Kapitän Don José Manuel Ramos und sein törichter Haufen. Wir kriegen sein Schiff, verlaß dich drauf.“
Sie erwiderte nichts mehr darauf. Am liebsten hätte sie sich den Abhang hinuntergestürzt, weil sie mit die Schuld daran trug, wenn die Männer des Kauffahrteischiffes niedergemetzelt wurden. Was aber das Schlimmste war – sie war inzwischen fast sicher, daß Andrés die Flucht vom Schiff nicht gelungen war. So würde auch er sterben müssen.
Freitod, dachte sie, ein Augenblick nur, und es ist alles aus und vorbei. Aber wie?
Corona, der dicht hinter ihr schritt, war auf der Hut. Sobald sie auch nur den Versuch eines Ausbruchs oder Selbstmordplans unternahm, packte er sie wieder und ließ sie nicht mehr los. Selbst wenn es ihr gelang, sich den Abhang hinunterzustürzen – da waren die Bäume und Büsche, die ihren Sturz bremsten. Sie würde sich ein paar Knochen brechen, mehr nicht.
Sie war dazu verdammt, auch die letzte Phase ihres gräßlichen Abenteuers voll durchzustehen. Für sie gab es kein Erbarmen. Sie glaubte jetzt wirklich daran, daß es der Fluch des Himmels war, der sie getroffen hatte, weil sie von zu Hause fortgelaufen war.
Der Pfad führte auf ein bewaldetes Plateau, aber hier war der Weg der fünf Piraten noch nicht ganz zu Ende. Corona stieß Florinda weiter voran, und sie sah zu ihrem Erstaunen, daß sich ein mit viel Akribie angelegter und offenbar dauernd vorm Zuwuchern bewahrter Pfad durch den Wald schlängelte. Schirmpinien, Zedern und Föhren sah Florinda beim Weiterstolpern, hier und da aber auch Laubbäume.
Der Wald wurde hin und wieder von Lichtungen unterbrochen. Auf der ersten stand eine der fünf Serpentinen. Ihr Lauf war gesenkt, die Mündung schien über die Abbruchkante des Plateaus hinweg auf die tropfenförmige Bucht zu blicken.