Читать книгу: «Seewölfe Paket 9», страница 26
„Ja, da hilft alles nichts, Ed“, sagte sein Freund Ferris Tucker mißmutig. „Der Windgott läßt uns im Stich, und das ging noch schneller, als ich erwartet habe. Mist verdammter!“
„Eine halbe Stunde noch, dann ist er weg und legt sich endgültig schlafen. Sieh dir nur die See an, wie sie ständig die Farbe wechselt. Das ist nicht gut.“
„Ja, von flaschengrün bis fast schwarz, und weiter hinten ist sie sogar rötlich.“
Der Profos rülpste laut.
„Das ist von der Tomatensoße“, behauptete er trocken. „Gary hat nämlich vorhin gekotzt, er verträgt keinen Haifisch, und schon gar keinen mit Tomatensoße. Aber gut war es trotzdem, oder findest du das nicht?“
Tucker grinste. Der Profos vollführte mitunter Gedankensprünge, über die man nur lachen konnte.
„Ja, natürlich.“
Bis zum Abend flaute der Wind noch mehr ab und schob den Segler nur noch langsam durch das Wasser. Dann, als die Nacht hereinbrach, herrschte geisterhafte Stille. Die Segel hingen schlaff von den Rahen, sie bewegten sich nicht mehr, und damit lag die „Isabella“ bewegungslos in der spiegelglatten See.
„Auf dein Holzbein ist auch kein Verlaß mehr“, sagte der Seewolf zu O’Flynn. „Jetzt sitzen wir vorerst fest.“
„Sind wir jetzt schon in diesem, hm, verdammten Meer?“ fragte der Alte beklommen.
Hasard schüttelte den Kopf.
„Das Sargassomeer ist auf keiner Karte genau abgegrenzt, niemand weiß so richtig, wo es beginnt und wo es endet. Ich weiß nur, daß es schon hier Abdriften und Strömungen gibt und wir langsam aus dem Kurs laufen, trotz des Segeltuchankers. Wir driften nach Steuerbord ab, wenn mich nicht alles täuscht.“
„Das bedeutet, daß wir unser Ziel verfehlen“, murmelte O’Flynn.
„Das bedeutet noch gar nichts. Wenn die Kalme vorbei ist, werden wir unseren Kurs neu berechnen, und dann geht es weiter.“
Am fernen, unsichtbaren Horizont ging der Mond auf. Dunkelgelb und blaßrötlich strahlte er auf das geheimnisvolle Meer, das in allen Farben zu leuchten begann.
Still wie gegossenes Blei lag das Meer da. Jeder der Seewölfe hatte das Gefühl, sich auf festem Land zu befinden und nicht über einer Tiefe von etlichen tausend Faden zu liegen.
An Schlaf dachte niemand, die Szenerie dieser eigenartigen Nacht schlug sie alle in ihren Bann, und so wurde vorerst kaum ein Wort gesprochen.
Lediglich der alte O’Flynn räusperte sich hin und wieder und krächzte sich die Kehle frei. Ihn traf es wieder einmal am meisten, denn in Gedanken sah er sich von spukenden Seegeistern umgeben, die unsichtbar um das Schiff herumschwammen.
Die „Isabella“ schien allein auf der Welt zu sein, es gab nirgendwo Anzeichen weiteren Lebens, kein Schiff, kein Land, nichts, außer dieser bunten erstarrten Wüste aus Wasser.
Auch die graue Bank am Horizont war jetzt verschwunden, als hätte sie nie existiert.
„Die richtige Zeit für einen Schluck Rum“, sagte der Profos und unterbrach damit die gespenstische Ruhe.
„Keine Einwände“, erwiderte der Seewolf. „Wer etwas trinken möchte, kann es sich holen.“
Merkwürdig, dachte er, niemand rührte sich. Wenn von Rum die Rede war, leckten sich die Kerle bereits im voraus genüßlich die Lippen, aber diesmal waren sie anscheinend taub.
Der Profos schickte den Jüngsten los, Bill, den Moses, der auch gleich mit einer Flasche zurückkehrte.
Ed entkorkte sie, setzte sie an und trank einen Schluck, dann reichte er die Buddel weiter an Ferris Tucker.
Der Schiffszimmermann trank nur einen winzigen Schluck. Er hielt die Flasche abschätzend in der Hand und grinste.
„Wenn ich sie jetzt in die See werfen würde“, sagte er leise, „dann habe ich das Gefühl, als würde sie auf der Oberfläche aufprallen und in tausend Stükke zerspringen.“
„Beschwöre das bloß nicht herauf“, sagte Donegal. „Das Meer sieht tatsächlich so aus, als wäre es fest. Ich traue mich nicht mal, über Bord zu spucken.“
„Das darfst du hier auch nicht“, sagte Luke Morgan, der neben dem Alten stand und ihn ansah. „Wenn du jetzt über Bord spuckst und triffst einen Meermann auf den algenumwachsenen Schädel, dann ist es aus mit uns.“
„Wenn du mit dem Gefasel nicht aufhörst, Luke“, sagte der Profos ruhig, „dann wringe ich dich aus und hänge dich zum Trocknen in die Wanten. Verstanden, Mister?“
„War nur ein Spaß“, schwächte Luke Morgan ab.
An Schlaf dachte niemand, sie konnten einfach nicht schlafen, obwohl die meisten sich betont gleichgültig gaben, als wäre die scheinbar erstarrte See um sie herum etwas ganz Alltägliches. Aber bei einigen kreisten doch die Gedanken um unheimliche und unerklärliche Dinge, denn es war vor allem die absolute Stille, die ihnen auf die Nerven ging.
Nicht der geringste Lufthauch war zu spüren, das vertraute Knarren der Blöcke fehlte ebenso wie das Ächzen und Knacken des Holzes. Alles schien tot, abgestorben und wirklichkeitsfremd.
Es war eine Welt für sich, in der nur der Mond unmerklich über den Himmel wanderte.
Die ersten gingen gegen Mitternacht in ihre Kojen, bis auf Batuti und ein paar andere, die es vorzogen, in diesen Breiten an Deck zu schlafen. Zwei Wachen genügten für die Nacht, in der ohnehin nichts passierte.
Daher wurden Matt Davies und Dan O’Flynn eingeteilt, die eine unruhige Runde nach der anderen über das Deck marschierten, sich wieder trafen und ab und zu flüsternd unterhielten.
„Ich weiß nicht, Matt“, sagte Dan nach einem Rundgang, „ich habe ein mulmiges Gefühl im Bauch. Diese verdammte Stille regt mich auf, sie ist unnatürlich.“
„Ja, alles ist wie tot“, sagte der grauhaarige Matt Davies, der an Stelle der rechten Hand eine stählerne Hakenprothese trug. „Du bist doch sonst immer so ruhig. Hat dich dein Alter mit seinen Worten angesteckt?“
„Nein, das ist es nicht, du weißt, daß ich nicht an Geister und diesen ganzen Unsinn glaube. Es hängt einfach irgend etwas in der Luft, das spüre ich überdeutlich.“
Davies sah sich um, er wurde das Gefühl nicht los, als würden sie von tausend unsichtbaren Augen belauert. Aber natürlich war das Unsinn, weit und breit gab es kein anderes Lebewesen auf dem Wasser. Von den berüchtigten Tanginseln war ebenfalls nichts zu entdecken. Was, zum Teufel, sollte also passieren? fragte er sich immer wieder.
„Ich spüre, wie wir driften“, sagte Dan nach einer Weile. „Eine Strömung zieht uns fort. Als ich eben auf den Kompaß sah, entdeckte ich, daß wir uns ganz langsam im Kreis drehen. Man kann es gut an der Stellung des Mondes erkennen.“
„Verdammt“, sagte Matt unruhig. „Fällt dir am Himmel eigentlich nichts auf, Dan?“
„Es ist mir schon lange aufgefallen. Es gibt keine Wolken, und trotzdem sieht man keinen einzigen Stern, nirgendwo auch nur das kleinste Blinken.“
In der Kuhl entstand ein schabendes Geräusch. Die beiden Männer zuckten unwillkürlich zusammen, als sich eine Gestalt erhob und langsam nach achtern zum Niedergang des Decks humpelte.
„Dein Vater“, raunte Matt dem jungen O’Flynn zu. „Sicher kann er nicht schlafen.“
Der alte O’Flynn, eine leicht gebeugte Gestalt, ein drohender, irgendwie verunstalteter Schatten, rückte näher. Obwohl er sich bemühte, kein Geräusch zu verursachen, war doch das dumpfe Klack seines Holzbeins überdeutlich und fast schmerzhaft in dieser geisterhaften Stille zu hören.
Das Geräusch schien immer lauter zu werden. Nervtötend hallte das eigentümliche Klopfen durch das ganze Schiff. Dan glaubte, das Deck erzittern zu sehen, und aus dem Klacken wurde ein wildes dröhnendes Hämmern, so als schlüge jetzt jemand mit einem gewaltigen Hammer auf die Planken.
Dann erstarb das Geräusch. Der Alte blieb dicht neben dem hölzernen Niedergang stehen und sah die beiden Männer an.
Im rötlichgelben Mondlicht sah sein Gesicht noch zerknitterter und faltenreicher aus als sonst. Er stand da wie ein Dämon aus der Finsternis und lehnte sich an das Geländer.
„Lausige Gegend“, sagte er, als spräche er zu sich selbst. „Wenn sich doch nur einmal eine kleine Welle erheben würde! Aber es rührt sich nichts. Das Wetter schlägt einem aufs Gemüt.“
„Uns auch, Dad, aber wir können es nicht ändern. Bei Tageslicht sieht alles anders aus, selbst wenn wir ein paar Tage in den Kalmen hängen, kratzt uns das nicht. Wir haben genug Proviant und Wasser, um es eine Weile auszuhalten.“
„Darum geht es gar nicht“, murmelte der Alte. Er sagte aber auch nicht, um was es ging, sondern behielt es für sich. Sie lachten ihn ja doch immer aus oder machten sich über ihn lustig, bezichtigten ihn der Spökenkiekerei, und doch fühlte er, daß in ganz kurzer Zeit schon etwas passieren würde. Er konnte es nur noch nicht erklären, es war zu undeutlich und verschwommen.
Die an Deck schlafenden Männer bewegten sich unruhig hin und her, erwachten ab und zu und versuchten, weiterzuschlafen. Jeder spürte die Unruhe des anderen und wurde davon angesteckt.
Die Stille blieb bis zum Morgen. Und sie sollte auch noch weiterhin anhalten.
3.
Batuti, der die Morgenwache hatte, sah die Nebel zuerst.
Anfangs wirkten sie wie lange dünne Spinnenarme, die über das Wasser krochen und es mit hellen Mustern überzogen. Wie Dämonen aus der Tiefe stiegen sie empor und legten sich besitzergreifend um das Schiff.
Die Nacht war einem fahlen Dämmer gewichen, die Sonne war nicht zu sehen. Der Horizont verschwand in einer undefinierbaren grauweißen Brühe und verlor seine Kontur. Himmel und Wasser schienen eins geworden zu sein.
Einer der ersten, die morgens immer an Deck erschienen, war der Kutscher. Er sah sich um und schüttelte den Kopf.
„So ein Mist“, sagte er laut. Er blickte über das Schanzkleid und versuchte mit seinen Blicken den Nebel zu durchdringen, der immer zäher und dichter wurde. Dabei war es allerdings nicht kalt. Er fühlte sich, als sei er in eine dampfende lauwarme Waschküche geraten.
Nach und nach erschienen die Männer an Deck, blickten auf die weißgrauen Schwaden und fluchten unterdrückt.
Immer noch war nicht der geringste Lufthauch zu spüren. Die Segel hingen faltig wie große Leichentücher an den Rahen.
Dort, wo das Wasser teilweise noch zu sehen war, schimmerte es jetzt in einem schwarzblauen Ton. Immer dichter schob sich die gigantische Nebelbank an die „Isabella“ heran, bis sie einen undurchdringlichen Berg aus weißer Watte bildete. Bald war das Schiff von den Schwaden so eingehüllt, daß man von der Brack aus kaum noch das Achterdeck sah.
Nach einer Weile erschien der Seewolf, gefolgt von Ben Brighton und den Zwillingen, die sofort an Deck herumrannten.
„Prächtig“, sagte Hasard sarkastisch. „Da hängen wir für eine Weile fest, vielleicht für eine lange Zeit.“
Er durchquerte die Kuhl bis zum Vordeck, wo die Männer herumstanden und Brühe tranken, die der Kutscher gekocht hatte.
„Guten Morgen, Sir“, tönte es dem Seewolf vielstimmig entgegen, doch die Worte klangen so leise und gedämpft, daß es kaum zu verstehen war. Der Nebel schluckte sie.
Hasard erwiderte den Gruß. Gary Andres reichte ihm eine Tasse heiße Fleischbrühe.
Carberry riß ein paar müde Witze über den Nebel, doch die Männer lachten nicht.
„Ich kann es nicht erklären“, sagte der blonde Schwede Stenmark, „aber auch ich fühle ganz deutlich, daß wir uns bewegen, und ich möchte sogar behaupten, daß wir das keinesfalls langsam tun.“
„Wir haben zwar keinen Bezugspunkt zur Orientierung“ erwiderte Hasard, „aber ich spüre es ebenfalls. Nun, passieren kann nichts, es gibt vorerst weit und breit kein Land. Wir können noch tagelang, mehr als eine Woche sogar, so driften, ohne Land zu erreichen. Pete, du kannst nach dem Frühstück mal feststellen, wie oft wir abweichen, oder ob die Richtung konstant bleibt, in der wir treiben.“
„Das Schiff dreht sich um sich selbst, Sir“, sagte Pete Ballie.
„Ich weiß, es ist merkwürdig genug. Trotzdem werden wir das herausfinden.“
„Aye, aye, Sir.“
Nach dem morgendlichen Essen stand einwandfrei fest, daß die „Isabella“ genau nach Südwesten driftete, also auf ihrem eingeschlagenen und bestimmten Kurs blieb. Im Abstand von etwas mehr als zwei Stunden drehte sie sich dabei einmal um ihre Achse.
„Es scheint so, als bewegten wir uns inmitten eines ausgedehnten, riesigen Strudels“, sagte der Seewolf. „Ich habe jedenfalls keine bessere Erklärung dafür.“
Die anderen hatten erst recht keine. Sie mußten sich treiben lassen und abwarten, es gab keine andere Möglichkeit.
Die Alternative, die der alte Segelmacher Will Thorne anschnitt, wurde auch sogleich wieder verworfen. Er war noch einer von den alten Seeleuten, genau wie O’Flynn, und brachte den Vorschlag, das große Boot auszusetzen, es zu bemannen, und die „Isabella“ damit aus der Kalme in den Wind zu rudern.
Aber Hasard war von dieser Idee nicht begeistert.
„Das hat keinen Zweck, Will“, sagte er. „Wir befinden uns hier am Rand des Sargassomeeres, und ich weiß wirklich nicht, in welche Richtung wir rudern sollen, um die Kalme zu verlassen. Außerdem kämen wir gegen die Abdrift nicht an. Nein, nein, Will, es bleibt uns nichts anderes übrig, als zu treiben. Wenn wir das Boot vorspannen, treiben wir nur ein wenig schneller.“
Das sah der alte Segelmacher schließlich auch ein. Andere brauchbare Vorschläge kamen nicht zustande.
Der Nebel wurde noch zäher. Hatte man vorhin noch einigermaßen von vorn nach achtern blicken können, so sah man die Gestalten der Seewölfe vom Vordeck aus in der Kuhl nur noch als verwaschene Umrisse mit zerfließenden Konturen. Schon auf ein paar Yards Distanz ließen sich die Männer kaum noch voneinander unterscheiden. Sie wirkten wie unwirkliche Schemen.
Die Welt um sie herum war wie in Watte gepackt, der dichte Nebel schluckte die Geräusche, verfremdete sie, und wenn mal jemand etwas sagte, dann hörte man seine Stimme aus allen möglichen Richtungen erklingen, nur nicht aus der richtigen.
Ja, sie alle fühlten überdeutlich, wie ihr Schiff dahinglitt, gepackt von einer unbekannten Strömung, die es weiter nach Südwesten trieb. Es gab kein Glukkern an den Bordwänden, das Wasser teilte sich nicht, und auch hinter dem Rahsegler gab es kein Kielwasser oder Schaum. Geisterhaft still zog das Schiff seine Bahn.
Bis zum Mittag hatte sich immer noch nichts verändert. Es sah so aus, als würden sie wie Verdammte der Meere bis in alle Ewigkeit dahintreiben.
Erst am späten Nachmittag begann sich der Nebel an einigen Stellen etwas zu lichten.
Dan O’Flynn nahm das Spektiv und suchte die See ab, soweit der Nebel das zuließ. Sehr nachdenklich ließ er nach einer Weile das Spektiv wieder sinken.
„Ich glaube“, sagte er zu Hasard, „da vorn treibt dieser verdammte braune Seetang. Durch den Nebel kann das aber auch täuschen. Ich bin mir meiner Sache nicht sicher.“
Hasard warf ebenfalls einen langen Blick hindurch.
„Du könntest recht haben. Da schwimmt ein großer dunkler Fleck im Wasser, ziemlich flach und gleichmäßig ist er. Behalte das vorerst für dich, Dan, die anderen sollen nicht gleich wieder nervös werden. Denen reicht es noch vom letzten Mal, als wir in dem Zeug festsaßen.“
„Merkwürdig, daß wir Tang sichten“, sagte Dan. „Wenn sich alles mit der gleichen Geschwindigkeit fortbewegt wie wir auch, dürften wir keinen sehen.“
„Das ist richtig. Vorhin haben wir jedenfalls keinen gesehen. Aber es kann sein, daß es hier mehrere Strömungen gibt, die eine schneller, die andere langsamer. Dieses lausige Stück Meer ist noch lange nicht erforscht.“
Der Tang, oder was immer der dunkle Fleck im Wasser auch sein mochte, verschwand wie hinter einem schützenden Vorhang, als sich der Nebel erneut zusammenballte. Gleich darauf war der Fleck verschwunden.
Dafür riß jetzt an vereinzelten anderen Stellen der Nebel auf. Die Sonne, die hoch darüber stand, ließ sich nur vermuten, zu sehen war von ihrem hellen Schein nicht das geringste. Dunkel und geheimnisvoll lag das Meer teilweise ruhig da, an wieder anderen Stellen schien es zu kochen und zu brodeln. Aber auch dieser Eindruck, hervorgerufen durch den Nebel, täuschte.
Auch am Abend hatte sich immer noch nichts geändert. Der Nebel lichtete sich, gab einen Blick auf das Wasser frei und schloß sich wieder. Das wiederholte sich mehrmals. Dann brach die Nacht an, und um die „Isabella“ türmten sich Berge aus dunkler Watte.
An und für sich war die Deckwache unnötig, aber Hasard verzichtete aus Prinzip nicht darauf. Zu sehen gab es nichts, absolut nichts als wabernde Schwärze. Es war der gleiche Effekt, als wenn man die Augen fest geschlossen hielt.
Auf dem Achterdeck erzählte der alte O’Flynn Schauermärchen. Er konnte wieder einmal nicht schlafen, war mißmutig, schlich überall herum und fühlte sich gar nicht mehr wohl in seiner Haut.
Es war das Gefühl unbestimmter Vorahnungen, wie er sagte, und die würden sich, verdammt noch mal, auch bald bewahrheiten.
Die Nacht verging, die Wachen lösten sich ab, ohne daß einer auch nur den anderen richtig gesehen hatte, und der nächste Morgen brach an.
Zweieinhalb Tage lang passierte absolut nichts, und die Stimmung der Seewölfe erreichte langsam, aber sicher einen gewissen Tiefpunkt der Resignation. Es war die Hilflosigkeit, die den Männern auf die Nerven ging. Sie trieben einsam in einem immer noch fast unbekannten Meer und sahen nichts. Außer dem Kompaß gab es kein Orientierungszeichen, und der sagte nur aus, daß sie immer noch weiter in Richtung Südwesten drifteten.
Nebel wechselte mit zeitweilig eng begrenzter Sicht, aber den ersehnten Wind konnten sie nicht herbeizaubern, obwohl der alte O’Flynn immer dann, wenn er sich unbeachtet glaubte, am Mast kratzte, um so den Wind herbeizurufen.
Auch liefen nach altem Brauch ein paar Mann umher und begannen laut und falsch zu pfeifen, ebenfalls eine Methode, Sturm oder Wind anzulocken. Doch es half nicht. Ebensowenig half die Münze, die über den Rücken geworfen wurde.
Gewohnheitsmäßig enterte immer wieder ein Mann in den Ausguck, und als heute der junge O’Flynn an der Reihe war, aufenterte und sich hinter die Segeltuchverkleidung stellte, fuhr er zusammen, als hätte ihn der Blitz getroffen.
Er kniff die Augen zu, öffnete sie wieder und schüttelte dann den Kopf. Doch das Bild blieb, es verschwand nicht.
Wieder einmal hatte sich der Nebel gelichtet, und aus der luftigen Höhe konnte Dan fast bis zum Horizont sehen. Es war nur ein schmaler Streifen Wasser, den er sah, aber zwischen grauen Nebelfetzen sah er auf diesem kleinen Wasserstreifen ein Schiff.
Es mochte etwa drei Meilen querab auf Steuerbord liegen, und lag genau so bewegungslos in der See wie die „Isabella“.
Dan vergewisserte sich nochmals, daß er auch keinem Trugbild zum Opfer gefallen war. Das Schiff, ein Dreimaster, war etwas kleiner als die „Isabella“, und es hatte die Segel anscheinend im Gei hängen, so genau ließ sich das auf die Entfernung nicht erkennen. Außerdem deckten immer wieder Nebelschwaden das Schiff zu.
Nein, es war kein Hirngespinst, das Schiff existierte, so wahr sich Dan O’Flynn im Ausguck befand. Diese sensationelle Meldung konnte er getrost an den Mann bringen.
„Deck!“ schrie er. „Schiff Steuerbord querab. Etwa drei Meilen entfernt!“
Auf der „Isabella“ wurde es nach seinen Worten noch ruhiger. Sekundenlang stand alles wie erstarrt da, dann kam plötzlich Leben in die Seewölfe.
„Bist du sicher, Dan?“ rief der Seewolf hinauf.
„Ganz sicher, Sir, keine Täuschung!“
So schnell die anderen auch waren, der Seewolf war noch schneller und schon fast im Ausguck, als die anderen noch nicht einmal die Hälfte geschafft hatten.
„Tatsächlich“, sagte er. „Genau querab. Das könnte eine englische Karacke sein.“
„Dachte ich auch, Sir“, sagte Dan. „Der Bauweise nach jedenfalls ganz bestimmt sogar.“
Stenmark reichte dem Seewolf ein Spektiv. Aber als der es auszog, um hindurchzublicken, spielte ihnen der Nebel wieder einen Streich. Noch bevor die anderen es richtig gesehen hatten, war das geheimnisvolle Schiff verschwunden.
„Teufel auch“, sagte der Profos. „Das sind Leidensgenossen von uns, die hängen genauso in der Kalme wie wir. Ich habe den Kahn noch ganz kurz gesehen. Ob die uns wohl auch gesehen haben?“
„Schon möglich“, erwiderte der Seewolf. „Aber das werden wir gleich feststellen. Ladet eine der Culverinen und gebt einen Schuß ab. Sie werden bestimmt antworten.“
Das fremde Schiff, das so geisterhaft aus dem Nebel aufgetaucht war, beschäftigte und erhitzte die Gemüter. Endlich gab es mal eine Abwechslung in der Eintönigkeit.
Der Waffen- und Stückmeister Al Conroy lud eine Culverine und feuerte sie ab.
Der Donner der Explosion hallte über das Schiff, rollte über die See und wurde vom Nebel gebremst. Auf dem anderen Schiff mußte er trotzdem noch sehr gut zu hören gewesen sein.
Sie lauschten in den Nebel hinein auf Antwort. In der Kuhl auf der Steuerbordseite hatten sich alle versammelt und warteten.
„Das müssen die doch gehört haben, verdammt“, sagte Ed. „Oder sitzen die etwa auf ihren Ohren?“
„Wie weit hast du die Entfernung geschätzt, Dan?“ wollte der Seewolf wissen.
„Annähernd drei Meilen, vielleicht etwas weniger.“
„Ja, weniger als drei Meilen. Noch einmal zwei Culverinen abfeuern, Al, aber nicht gleichzeitig.“
„Aye, aye, Sir!“
Der Seewolf gab mit der Hand ein Zeichen. Conroy zündete, und aus dem Lauf der Kanone zuckte ein rotglühender Blitz, der eine dunkle Pulverwolke hinter sich herzog.
Hasard ließ ein paar Minuten verstreichen, ehe der dritte Schuß abgefeuert wurde. Die Stille danach wirkte fast beängstigend.
Von dem anderen Schiff erfolgte keine Antwort, so sehr sie auch darauf warteten.
„Ob die Brüder ein schlechtes Gewissen haben?“ fragte Blacky, der wieder gut laufen konnte, seit ihm das Faß den rechten Knöchel gebrochen hatte. Den Stützverband aus Lehm hatte der Kutscher längst entfernt.
„Vielleicht benötigen sie auch Hilfe, oder sie sind schon halb verhungert oder verdurstet“, vermutete Hasard. „Wer weiß, wie lange sie schon in der Kalme hängen.“
„Oder es ist ein Geisterschiff“, sagte der alte O’Flynn und ignorierte Hasards vorwurfsvollen Blick. „Hatten wir doch schon mal erlebt“, fuhr er fort. „Geisterschiffe gibt’s genug, sie treiben sich auf allen Meeren herum.“
Einige Seewölfe grinsten und sahen den Alten an, der es nicht lassen konnte, immer und ewig auf eventuell drohende Gefahren von Geisterschiffen oder anderen Spuk hinzuweisen.
„Das, was Dan und ich gesehen haben“, sagte Hasard, ohne auf O’Flynns Gefasel einzugehen, „sah ganz nach einer englischen Karacke aus, es ist nicht auszuschließen, daß es auch ein anderes Schiff ist, der Nebel verwischte alles. Aber wer immer es auch sein mag, er benötigt Hilfe, denn er befindet sich in der gleichen verdammten Situation wie wir, nur wahrscheinlich schon länger.“
„Heißt das, wir pullen hinüber?“ fragte Ben Brighton.
„Ja, wir werden nachsehen, ob jemand Hilfe braucht.“
Diesmal war es der Profos, der mahnend den Finger erhob. „Das kann auch eine Falle sein, Sir!“
Hasard schüttelte den Kopf.
„Das ist mit Sicherheit keine Falle“, erklärte er. „Außerdem gehen wir ja nicht unvorbereitet an Bord.“
„Da ist noch etwas, Sir“, gab der Profos zu bedenken. „Wenn wir mit dem Boot hinüberpullen und verirren uns in der dicken Suppe, dann werden wir die „Isabella“ niemals wiederfinden, so wahr ich Carberry heiße.“
„Ich höre mir immer gern gute Argumente an“, sagte Hasard gelassen und strich sich die Haare aus der Stirn. „Aber da die Leute, die hinüberpullen, ja nicht schlafen, werden sie auch wieder zurückfinden. Wir werden chinesisches Feuer abbrennen, oder die Richtung mit Musketenschüssen bestimmen.“
„Und die Strömung, Sir?“ fragte der Decksälteste Smoky.
Hasard stemmte die Arme in die Seiten und sah seine Männer etwas spöttisch an.
„Ich höre immer nur faule Ausreden“, sagte er sanft. „Liegt das etwa daran, daß Donegal den Kahn für ein Geisterschiff hält? Hat deswegen jemand Angst?“
Smoky leckte sich über die Lippen, schob die Hände in die Hosentaschen und grinste schwach.
„So war das nicht gemeint, Sir.“
„Ich weiß, Smoky, ihr kämpft, daß die Fetzen fliegen, und ihr habt vor nichts Angst, nicht mal vor der zehnfachen Übermacht Spanier. Aber wenn ihr etwas von Geisterschiffen hört, dann werden die meisten schwach. Dabei gibt es für alles eine ganz natürliche Erklärung.“
„Ich meinte ja nur, weil der Kahn nicht geantwortet hat“, verteidigte sich der Decksälteste.
Ja, das war es, was die meisten irritierte. Wenn es dort drüben Leben an Bord gab, dann hätten sie antworten müssen, zumal sie sich ja in der gleichen aussichtslosen Lage befanden wie die Seewölfe selbst. Gab es aber kein Leben an Bord, dann – ja, dann war es eben doch ein Geisterschiff, und das ließen sie am liebsten ganz links liegen oder ganz rechts, auf Steuerbord, wie es diesmal der Fall war.
„Geisterschiff oder nicht“, sagte Carberry, „das juckt mich überhaupt nicht. Ich bin dabei, Sir, wenn wir hinüberwollen.“
Plötzlich waren alle dabei, bis auf Donegal O’Flynn, der sich lieber die Zunge abgebissen hätte, als zu dem Schiff zu pullen.
„Tut was ihr wollt“, erklärte der Alte störrisch. „Mich kriegen da keine zehn Pferde an Bord, das sage ich euch.“
„Du bleibst sowieso hier“, entschied der Profos. „Selbst wenn es da Geister gibt, würdest du sie ja doch nur vertreiben.“
So richtig wohl fühlte sich trotzdem keiner in seiner Haut. Sie brauchten nur an die damalige Zeit im Sargassomeer zurückzudenken, als sie morgens erwachten, und einen ganzen Schiffsfriedhof vor sich sahen, Dutzende Wracks, uralt und zerfallen, hoffnungslos im Schlick und Tang festsitzend. Konnte es nicht sein, daß auch dieses Schiff eines jener Wracks war, die auf unerklärliche Art und Weise die Meere durchfuhren und an den unmöglichsten Orten auftauchten? Schiffe, von der Besatzung längst verlassen oder aufgegeben, Schiffe mit Toten an Bord.
Hasard selbst dachte überhaupt nicht daran. Ihn bewegte immer noch Smokys Argument, das die Strömung betraf. So ganz unrecht hatte der Decksälteste gar nicht einmal. Wenn es hier wirklich mehrere Strömungen gab, dann konnte es sehr schnell passieren, daß ein Boot so hoffnungslos abdriftete, daß es nicht mehr zu seinem Schiff zurückfand.
Aber sie waren kräftige Kerle, kannten sich aus, fürchteten Tod und Teufel nicht und waren Seemänner von echtem Schrot und Korn.
Da mußte es wirklich mit dem Satan zugehen.
„Fiert das kleine Boot ab“, sagte Hasard. „Steckt euch Pistolen in den Gürtel, nehmt zwei Brandsätze und drei Musketen mit. Wer geht freiwillig mit?“
Alle meldeten sich, am eifrigsten waren die Zwillinge, aber die konnte Hasard nicht brauchen, obwohl es für sie ein aufregendes Erlebnis zu werden versprach.
„Drei Mann genügen völlig“, sagte er. „Wir wollen ja nur einmal nachsehen, ob sie Hilfe brauchen, oder was da an Bord der Karacke los ist. Ed, such noch zwei Männer aus!“
Carberrys Finger deutete auf Dan und Ferris Tucker, seinen Freund.
Niemand maulte, im Grunde genommen war es ihnen recht, es drängte sich auch keiner vor, als Ed die beiden Männer bestimmte.
Oben im Ausguck suchten Bob Grey und Jeff Bowie immer noch verzweifelt nach dem fremden Segler, doch sie sahen ihn nicht mehr. Der Nebel hatte ihn wieder verschluckt, und er war so geheimnisvoll verschwunden, wie er aufgetaucht war.
Carberry nahm den Kompaß mit ins Boot, damit sie die Richtung einhalten konnten, in der das Schiff gesichtet worden war. Die Möglichkeit, dicht daran vorbeizufahren und es zu verfehlen, bestand immerhin.
Inzwischen war auch das Boot abgefiert worden und lag jetzt völlig bewegungslos an der Bordwand der „Isabella“.
Hasard vergewisserte sich nochmals, daß die Männer nichts vergessen hatten.
„Wir bleiben nicht lange“, sagte er, als er über die Jakobsleiter ins Boot stieg. „Wenn die da drüben Hilfe brauchen, sind wir ohnehin gleich wieder zurück.“
„Paßt auf, daß es keine Falle ist“, schärfte ihnen Big Old Shane noch einmal ein. „Ihr wißt, wie schnell das geht. In dem Nebel können wir nicht viel für euch tun, weil wir den lausigen Kahn überhaupt nicht sehen.“
„Schon gut“, wehrte Hasard ab. „Wir passen auf, Shane. Ben übernimmt für die Zeit meiner Abwesenheit das Kommando.“
Carberry, Dan und Ferris Tucker bestiegen ebenfalls das Boot. Der rothaarige Schiffszimmermann hatte auch diesmal nicht auf seine große Axt verzichtet. Für ihn war das Werkzeug und fürchterliche Waffe zugleich.
Hasard setzte sich auf die hintere Ducht. Dan saß neben ihm, während Ed und Ferris das leichte Boot pullten.
Sie stießen es von der Bordwand ab, dann tauchten die Riemen gleichzeitig ins Wasser. Es dauerte nur ein paar Schläge, dann verschluckte der Nebel das Boot, und auch die Geräusche erstarben schlagartig.
Besorgt blickten die anderen Seewölfe dem Boot nach.
„Wenn das nur gutgeht“, unkte der alte O’Flynn. „Ich hab wieder mal so ein lausiges, komisches Gefühl.“
„Dann laß doch die Hosen runter und geh nach vorn“, riet Stenmark grinsend, aber er erntete nur einen giftigen Blick.