Oliver Twist

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Oliver Twist
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Читает Artur Ziajkiewicz
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Kapitel 8
Oliver geht nach London und trifft mit einem absonderlichen jungen Gentleman zusammen

Oliver lief ohne Rast und Ruhe, bis er um die Mittagsstunde bei einem Meilensteine stillstand, auf dem die Entfernung Londons angegeben war. Dort konnte man ihn nicht finden, er hatte oft sagen hören, daß die unermeßliche Stadt zahllose Mittel zum Fortkommen darböte, sein Entschluß war gefaßt; er machte sich bald wieder auf den Weg und gedachte nun erst der Schwierigkeiten, die er zu überwinden haben würde, um an sein Ziel zu gelangen. Er hatte ein grobes Hemd, zwei Paar Strümpfe, eine Brotrinde und einen Penny in seinem Bündel – ein Geschenk Mr. Sowerberrys nach einem Begräbnisse, bei welchem er sich dessen ungewöhnliche Zufriedenheit verdient hatte. Er sann vergeblich darüber nach, wie er mit so geringen Mitteln London erreichen solle – und trabte weiter.

Nachdem er zwanzig Meilen zurückgelegt hatte, lenkte er auf eine Wiese ein und legte sich in einem Heuhaufen zur Ruhe nieder. Er machte am zweiten Tage abermals zwölf Meilen, verwendete seinen Penny für Brot, übernachtete auf ähnliche Weise und erhob sich am dritten Morgen fast erfroren und mit erstarrten Gliedern, so daß er sich kaum von der Stelle bewegen konnte.

Die Straße wand sich hier einen ziemlich steilen Hügel hinauf, und er flehte die Außenpassagiere einer Postkutsche um eine Gabe an. Nur einer beachtete ihn, rief ihm zu, er möge warten, bis man oben angelangt wäre, und begehrte darauf, zu erfahren, wie weit er um einen halben Penny mitlaufen könne. Oliver mußte nach der größten Anstrengung doch bald zurückbleiben, und der Mildtätige steckte sein Geldstück wieder in die Tasche und erklärte ihn für einen faulen Schlingel, der keine Freigebigkeit verdiene. Dahin rollte die Postkutsche und ließ nur eine Staubwolke zurück.

In manchen Dörfern waren Pfosten mit Tafeln errichtet, aus welchen scharfe Drohungen gegen alle Bettler zu lesen waren, und Oliver eilte furchtsam weiter; in anderen, wenn er etwa vor einem Gasthause mit sehnsüchtigen Blicken stillstand, hieß man ihn sich davon machen, wenn er nicht als ein Dieb eingesperrt werden wollte. Aus vielen Häusern vertrieb ihn die Drohung, daß man die Hunde loslassen werde, wenn er sich nicht sofort entferne.

Es würde ihm ohne Zweifel ergangen sein, wie seiner unglücklichen Mutter, wenn sich nicht ein menschenfreundlicher Schlagbaumwärter und eine gutherzige Frau seiner angenommen hätten. Jener erquickte ihn durch ein, wenn auch nur aus Brot und Käse bestehendes Mittagsmahl; und diese, die einen schiffbrüchigen, sie wußte nicht wo umherirrenden Großsohn hatte, gab ihm, was ihre Armut vermochte, und obenein, was mehr war für Oliver und ihn alle seine Leiden auf eine Zeitlang vergessen ließ, freundliche Worte und mitleidige Zähren.

Am siebenten Morgen nach Sonnenaufgang erreichte er mit wunden Füßen die kleine Stadt Varnet. Die Fensterläden waren geschlossen, die Straßen waren leer; nicht eine einzige Seele hatte sich schon zu den Geschäften des Tages erhoben. Die Sonne ging in all ihrer strahlenden Schönheit auf; aber ihr Licht diente nur dazu, dem Knaben seine Verlassenheit so recht zu Gemüte zu führen, als er mit blutenden Füßen und staubbedeckt auf einer Türschwelle saß.

Allmählich wurden die Läden geöffnet und die Rouleaus in die Höhe gezogen, und die Leute begannen auf- und abzugehen. Einige blieben stehen, um Oliver ein paar Augenblicke zu betrachten, oder wandten sich im Vorbeieilen um, um einen Blick auf ihn zu werfen; aber niemand kümmerte sich um ihn oder fragte, wie er dorthin käme. Er hatte nicht den Mut, jemand um eine Gabe anzusprechen.

Nach einiger Zeit ging ein Knabe an ihm vorüber, sah sich nach ihm um, ging weiter, sah sich zum zweiten Male nach ihm um, stand still, kehrte zurück und redete ihn an.

Er mochte ungefähr so alt sein wie Oliver selbst, der nie einen so absonderlichen Kauz gesehen. Er hatte eine Stumpfnase und eine platte Stirn, sah höchst ordinär und schmutzig aus, und seine ganze Haltung und sein Benehmen waren wie das eines Mannes. Er war klein für sein Alter, hatte Dachsbeine und kleine, scharfe, häßliche Augen. Der Hut saß ihm so lose auf dem Kopfe, als wenn er jeden Augenblick herunterfallen müßte, und er würde auch heruntergefallen sein, wenn er nicht durch häufige rasche Kopfbewegungen seines Besitzers immer wieder zurecht gerückt oder befestigt worden wäre. Die Kleidung des Kleinen war gleichfalls nichts weniger als knabenhaft, und die ganze Figur stellte das vollkommene Bild eines renommierenden, prahlhaften kleinen Helden von vier Fuß Höhe dar.

»Was fehlt dir, Bursch? Was scheft dermehr?1« redete er Oliver an.

»Ich bin sehr hungrig und müde,« erwiderte Oliver, mit Tränen in den Augen. »Ich komme weit her und bin seit sieben Tagen auf der Wanderung gewesen.«

»Weit her – hm! – seit sieben Tagen auf der Wanderung gewesen? – Ah – sehe schon – auf Oberschenkels Befehl – he? Doch,« fügte er hinzu, als er Olivers verwunderte Miene gewahrte, »du scheinst nicht zu wissen, was ä Oberschenkel ist, mein guter Kochemer2

Oliver erwiderte schüchtern, er wisse allerdings sehr wohl, daß man unter einem Oberschenkel den oberen Teil eines Beines verstehe.

»Ha, ha, ha! Wie grün!« rief der junge Gentleman aus. »Ä Oberschenkel ist ä Friedensrichter, wer auf 'nes Oberschenkels Befehl geht, kommt nicht vorwärts, sondern geht immer 'nauf, ohne wieder 'runter zu kommen. Noch nicht in der Mühle gewesen?«

»In was für einer Mühle?« fragte Oliver.

»Ei, in der, die in ä Doves3 Platz hat. Doch du bist butterich4; ich hab' freilich auch nicht eben zu viel Massumme5, aber so weit's zureicht, will ich 'rausrücken und blechen. Steh' auf – komm!«

Der junge Gentleman half Oliver aufstehen und nahm ihn mit sich in sein Gasthaus, wo er Brot und Schinken bringen ließ und ihn sehr aufmerksam beim Essen beobachtete. Als sich Oliver endlich gesättigt, warf er die Frage hin: »Nach London?«

»Ja.«

»Hast du eine Wohnung?«

»Nein.«

»Geld?«

»Nein.«

Der junge Herr senkte die Hände in die Taschen und pfiff.

»Wohnst du in London?« fragte Oliver.

»Ja, wenn ich zu Hause bin. Aber du weißt wohl nicht, wo du kommende Nacht schlafen sollst?«

»Nein,« antwortete Oliver. »Ich habe seit sieben Nächten unter keinem Dache geschlafen.«

»Mach' dir darum nur keine Sorgen. Ich gehe heut Abend nach London und kenne da 'nen respektablen alten Herrn, der dir Wohnung umsonst geben und dir bald 'ne gute Stelle verschaffen wird – das heißt, wenn dich ä Schentleman einführt, den er kennt. Und ob er mich wohl kennt!« fügte der junge Herr lächelnd hinzu.

Das unerwartete Anerbieten war zu lockend, als daß Oliver einen Augenblick hätte anstehen sollen, es anzunehmen. Er wurde zutraulicher und erfuhr nun auch, daß sein neuer Freund Jack Dawkins heiße und ein besonderer Liebling des erwähnten alten Herrn sei. – Jacks Äußeres schien freilich den Lieblingen des alten Herrn nicht viele Vorteile zu versprechen; allein da er ziemlich leichtfertig und großsprecherisch redete und auch gestand, daß er unter seinen Bekannten allgemein den Namen des »gepfefferten Baldowerers« (d. h. gewitzten Kundschafters) führe, so schloß Oliver, er möge nicht eben viel taugen und die guten Lehren seines Wohltäters in den Wind schlagen. Oliver nahm sich daher in der Stille vor, sich so bald wie möglich die Gunst des alten Herrn zu erwerben, und wenn er den Baldowerer unverbesserlich fände, die Ehre der näheren Bekanntschaft mit ihm abzulehnen.

Da es Jack nicht genehm war, vor Abend in London einzutreffen, so wurde es fast elf Uhr, bevor sie den Schlagbaum von Islington erreichten. Der Baldowerer führte Oliver eiligen Schrittes durch ein Gewirr von Straßen und Gassen, so daß sein Begleiter ihm kaum zu folgen vermochte. Trotz dieser Eile konnte Oliver nicht umhin, beim Weitergehen ein paar hastige Blicke nach beiden Seiten zu werfen. Eine schmutzigere oder elendere Gegend hatte er noch nie gesehen. Die Straßen waren äußerst eng und unsauber, und die Luft war mit üblen Gerüchen erfüllt. Es war eine große Menge kleiner Läden vorhanden, aber der einzige Warenvorrat schien in Haufen von Kindern zu bestehen, die selbst zu dieser späten Nachtstunde innerhalb und außerhalb der Türen umherkrochen oder im Innern der Häuser schrien. Bedeckte Wege und Höfe, die hier und da von der Hauptstraße abbogen, führten zu kleinen Häusergruppen, vor denen betrunkene Männer und Frauen sich tatsächlich im Schmutze wälzten, und an verschiedenen Torwegen tauchten großgewachsene, verdächtig aussehende Burschen auf, die allem Anschein nach nicht viel Gutes im Schilde führten.

Oliver überlegte schon, ob er nicht am besten täte, davonzulaufen, als ihn sein Führer plötzlich beim Arme nahm, die Tür eines Hauses unweit Fieldlane öffnete, ihn hineinzog und die Tür wieder verschloß. Der Baldowerer pfiff und erwiderte auf den Ruf: »Wer da?« – »Grim und petacht!«6 Unten auf der Hausflur zeigte sich Licht, und der Kopf eines Mannes tauchte auf der zur Küche hinunterführenden Treppe empor.

»Es sind euer zwei – wer ist der andre?«

»Ein neuer Chawwer,« rief Jack, Oliver nachziehend, zurück.

»Woher kommt er?«

»Von Grünland. Ist Fagin oben?«

»Ja. Er sortiert die Schneichen7. Geh' hinauf!«

Das Licht wurde zurückgezogen, und der Kopf verschwand.

Jack führte Oliver eine finstere, sehr schadhafte Treppe hinauf, mit der er jedoch sehr genau bekannt zu sein schien, öffnete die Tür eines Hinterzimmers und zog Oliver nach.

Die Wände des Gemachs waren von Schmutz und Rauch geschwärzt, auf einem elenden Tische stand ein in den Hals einer Bierflasche gestecktes Licht und am Kamine die zusammengeschrumpfte Gestalt eines alten Juden mit einem zurückstoßenden, spitzbübischen, satanischen Gesicht, das durch dichte, klebrige rote Haare verdunkelt wurde. Er steckte in einem fettigen flanellenen Schlafrock, trug den Hals bloß und schien seine Aufmerksamkeit zwischen dem Feuer, an welchem er Brotschnitte röstete, und dem Kleidergestell zu teilen, auf welchem eine große Anzahl seidener Taschentücher hing. An dem Tische saßen vier oder fünf Knaben, keiner älter als Jack, rauchten aus langen Tonpfeifen und tranken Branntwein, ganz als wenn sie Erwachsene gewesen wären. Sie drängten sich um den Baldowerer, als er dem Juden einige Worte zuflüsterte, drehten sich darauf nach Oliver um, und sie und der Jude grinsten ihn an.

 

»Fagin, das ist er, mein Freund Oliver Twist,« sagte Jack Dawkins laut.

Der Jude grinste, machte Oliver eine tiefe Verbeugung, faßte seine Hand und sagte, er hoffe die Ehre seiner näheren Bekanntschaft zu haben. Hierauf umringten ihn die jungen rauchenden Gentlemen und drückten ihm eifrig die Hände – besonders die linke, in welcher er sein kleines Bündel trug. Der eine von ihnen zeigte großen Eifer, seine Kappe aufzuhängen, und ein anderer war so dienstfertig, in seine Tasche zu greifen, um ihn der Mühe zu überheben, wenn er sich niederlegte, sie auszuleeren; und alle diese Höflichkeiten würden kein Ende gehabt haben, wenn der Jude die Köpfe und Schultern der gefälligen jungen Herren nicht mit der Röstgabel, die er in der Hand hielt, zu bearbeiten angefangen hätte.

»Wir sind alle sehr erfreut, dich kennen zu lernen, Oliver,« sagte der Jude. »Baldowerer, mache einen Platz für Oliver am Feuer frei. Ah, du betrachtest verwundert die Taschentücher, mein Lieber? Nicht wahr, es sind ihrer eine ganze Menge? Wir haben sie soeben zum Waschen herausgehängt. Das ist alles, Oliver; das ist alles. Ha, ha, ha!«

Seine letzten Worte wurden von einem schallenden Gelächter all der hoffnungsvollen Zöglinge des lustigen alten Herrn begrüßt, worauf sich alle zu Tisch setzten.

Nachdem Oliver seinen Teil gegessen, mischte ihm der Jude ein Glas heißen Genever mit Wasser und sagte ihm, er müsse sogleich austrinken, weil noch jemand des Glases bedürfe. Oliver tat, was ihm geheißen war, sein Freund Jack hob ihn auf, legte ihn auf ein aus alten Säcken bereitetes Lager, und er versank sogleich in einen tiefen Schlummer.

Kapitel 9
Weitere Mitteilungen über den alten Herrn und seine hoffnungsvollen Zöglinge

Es war schon spät am folgenden Morgen, als Oliver aus einem langen, festen Schlummer erwachte, doch vorerst nur zu jenem Mittelzustand zwischen Schlaf und Wachen, in welchem man sich noch nicht vollkommen ermuntern kann und doch alles hört und sieht, was umher vorgeht.

Der Jude war außer Oliver allein im Zimmer. Er schlürfte seinen Kaffee, setzte das Geschirr nach einiger Zeit zur Seite, stand eine Weile am Kamin, wie wenn er nicht wüßte, was er zunächst vornehmen sollte, blickte darauf nach Oliver hin und rief ihn beim Namen. Oliver antwortete nicht und schien noch zu schlafen.

Der Jude horchte, ging zur Tür, schob den Riegel vor und nahm darauf, wie es Oliver schien, aus einer Vertiefung des Fußbodens eine kleine Schachtel heraus und stellte sie auf den Tisch. Seine Augen glänzten, als er sie öffnete und in die Schachtel hineinschaute. Er setzte sich und nahm eine goldene, von Diamanten funkelnde Uhr heraus.

»Aha!« murmelte er mit einem entsetzlichen Lächeln. »Verdammt pfiffige Bestien! Und courageux bis zum letzten Augenblick. Sagten mit keinem Sterbenswörtchen dem alten Pfarrer, wo sie wären, verkappten1 den alten Fagin nicht. Und was hätt's ihnen geholfen? Der Strick wäre doch geblieben fest – hätten gebaumelt keinen Augenblick später. Nein, nein! Wackre Bursche, wackre Bursche!«

Er legte die Uhr wieder in die Schachtel, nahm mehrere andere und dann Ringe, Armbänder und viele Kostbarkeiten heraus, deren Namen oder Gebrauch Oliver nicht einmal kannte, und beäugelte sie mit gleichem Vergnügen. Hierauf legte er ein sehr kleines Geschmeide in seine flache Hand und schien lange bemüht, zu lesen, was darin eingegraben sein mochte. Endlich ließ er es, wie am Erfolge verzweifelnd, wieder in die Schachtel hineinfallen, lehnte sich zurück und murmelte: »Was es doch ist für 'ne hübsche Sache ums Hängen! Tote bereuen nicht – bringen ans Licht keine dumme Geschichten. Selbst die Aussicht auf den Galgen macht sie keck und dreist. 's ist sehr schön fürs Geschäft. Fünf aufgehangen in einer Reihe, und keiner übrig zu teilen mit mir oder zu lehmern2

Er blickte auf, seine schwarzen stechenden Augen begegneten Olivers Blicken, die in stummer Neugier auf ihn geheftet waren, und er gewahrte sogleich, daß er beobachtet worden war. Er drückte die Schachtel zu, griff nach einem auf dem Tische liegenden Messer und sprang wütend und am ganzen Leibe zitternd auf.

»Was ist das?« rief er. »Warum passest du mir auf? Warum bist du wach? Was hast du gesehen? Sprich, Bube – sprich, sprich, so lieb dir dein Leben ist!«

»Ich konnte nicht mehr schlafen,« erwiderte Oliver bestürzt. »Es tut mir sehr leid, wenn ich Sie gestört habe, Sir.«

»Hast du nicht schon seit einer Stunde gewacht?« fragte der Jude, Oliver finster anblickend.

»Nein, Sir – nein, wahrlich nicht,« sagte Oliver.

»Ist's auch wahr?« rief der Jude mit noch drohenderen Gebärden.

»Auf mein Wort, Sir,« versicherte Oliver.

»Schon gut, schon gut,« fuhr der Jude, auf einmal sein gewöhnliches Wesen wieder annehmend, fort. »Ich weiß es wohl – wollte dich nur erschrecken – auf die Probe stellen. Du bist ein wackrer Junge, Oliver.« Er rieb sich kichernd die Hände, blickte jedoch unruhig nach der Schachtel hin. »Hast du gesehen die hübschen Sachen?« fragte er nach einigem Stillschweigen.

»Ja, Sir.«

»Ah!« rief erblassend der Jude aus. »Sie – sind mein Eigentum, Oliver; mein kleines Eigentum – alles, was ich besitze für meine alten Tage. Man schilt mich einen Geizhals – aber ich muß doch leben.«

Oliver dachte, der alte Herr müsse wirklich ein Geizhals sein, denn er würde sonst nicht, obgleich im Besitz solcher Schätze, so erbärmlich wohnen. Indes meinte er, seine Liebe zu Jack und den anderen Knaben möchte ihm wohl viel Geld kosten. Er fragte schüchtern, ob er aufstehen dürfe. Der Jude hieß ihn Wasser zum Waschen aus dem dastehenden Steinkrug holen, und als Oliver es geschöpft hatte und sich umdrehte, war die Schachtel verschwunden.

Er hatte sich kaum gewaschen, als der Baldowerer nebst einem der Knaben eintrat, die Oliver am vorigen Abend hatte rauchen sehen. Jack stellte ihm seinen Begleiter, Charley Bates, förmlich vor, und alle vier setzten sich zum Frühstück, das Jack in seinem Hut mitgebracht hatte.

»Ich hoffe, daß ihr heute morgen gearbeitet habt,« sagte der Jude zu Jack, nach Oliver blinzelnd.

»Tüchtig,« lautete die Antwort.

»Wie Drescher!« setzte Charley Bates hinzu.

»Ah, ihr seid gute Jungen! Was hast du mitgebracht, Baldowerer?«

»Ein paar Brieftaschen,« erwiderte Jack und reichte ihm eine rote und eine grüne hin.

Der Jude öffnete beide und durchsuchte sie mit bebender Begier. »Nicht so schwer, als sie sein könnten,« bemerkte er; »aber doch artige Arbeit, recht artige Arbeit – nicht wahr, Oliver?«

»Ja wahrlich, Sir,« antwortete Oliver, worüber Charley Bates, zur großen Verwunderung Olivers, laut zu lachen anfing.

»Was hast du denn mitgebracht, Charley?« fragte der Jude.

»Schneichen,« erwiderte Master Bates und wies vier Taschentücher vor.

Der Jude nahm sie in genauen Augenschein.

»Sie sind sehr gut,« sagte er; »du hast sie aber nicht gezeichnet gut; die Buchstaben müssen wieder ausgelöst werden, und das soll Oliver lernen. Willst du, Oliver?«

»Wenn Sie es befehlen, gern, Sir,« war Olivers Antwort.

»Möchtest du mir wohl ebenso leicht Taschentücher anschaffen können, wie Charley?«

»Warum nicht – wenn Sie es mich lehren wollen, Sir?«

Charley brach abermals in ein schallendes Gelächter aus und wäre dabei fast erstickt, da er eben einen Bissen zum Munde geführt hatte. »Er ist gar zu allerliebst grün!« rief er endlich, gleichsam zur Entschuldigung seines unhöflichen Benehmens, aus.

Der Baldowerer bemerkte, Oliver würde seiner Zeit schon alles lernen. Der Jude sah Oliver die Farbe wechseln und lenkte das Gespräch auf einen andern Gegenstand. Er fragte, ob viele Zuschauer bei der Hinrichtung gewesen wären, und Olivers Erstaunen wuchs immer mehr, denn aus den Antworten Jacks und Charleys ging hervor, daß sie beide zugegen gewesen waren, und es war ihm unerklärlich, wie sie dessen ungeachtet so fleißig hatten arbeiten können.

Als das Frühstück beendet war, spielten der muntere alte Herr und die beiden Knaben ein äußerst sonderbares und ungewöhnliches Spiel. Der alte Herr steckte eine Dose, eine Brieftasche und eine Uhr in seine Taschen, eine Brustnadel in sein Hemd, hing eine Uhrkette um den Hals, knöpfte den Rock dicht zu, ging auf und ab, blieb bisweilen stehen, als wenn er in einen Laden hineinsähe, blickte beständig umher, als wenn er Furcht vor Dieben hegte, befühlte seine Taschen, wie um sich zu überzeugen, ob er auch nichts verloren hätte, und machte das alles so spaßhaft und natürlich, daß Oliver lachte, bis ihm die Tränen über die Wangen hinabliefen. Die beiden Knaben verfolgten unterdes den Alten und entschwanden, wenn er sich umdrehte, seinen Blicken mit der bewunderungswürdigsten Behendigkeit. Endlich trat ihm der Baldowerer wie zufällig auf die Zehen, während Charley Bates von hinten gegen ihn anrannte, und sie entwendeten ihm dabei Taschentuch, Uhr, Brustnadel u. s. f. so geschickt, daß Oliver kaum ihren Bewegungen zu folgen vermochte. Fühlte der alte Herr eine Hand in einer seiner Taschen, so war der Dieb gefangen, und das Spiel fing von vorn wieder an.

Es war mehreremal durchgespielt, als zwei junge Damen erschienen, um die jungen Herren zu besuchen. Die eine hieß Betsy, die andere Nancy. Ihr Haar war nicht in der genauesten Ordnung, ihre Schuhe und Strümpfe schienen nicht im besten Zustande zu sein. Sie waren vielleicht nicht eigentlich schön, hatten aber viel Farbe und ein kräftiges, munteres Aussehen. Ihre Manieren waren sehr frei und angenehm, und so meinte Oliver, daß sie sehr artige Mädchen wären, was sie auch ohne Zweifel waren.

Sie blieben lange. Es wurden geistige Getränke gebracht, da die jungen Damen über innerliche Kälte klagten, und die munterste Unterhaltung entspann sich. Endlich erinnerte sich Charles Bates, daß es Zeit sei, auszugehen. Der gute alte Herr gab ihm und dem Baldowerer verschiedene Anweisungen und Geld zum Ausgeben, worauf sie sich nebst Betsy und Nancy entfernten.

»Ist's nicht ein angenehmes Leben, das meine Knaben führen?« sagte Fagin.

»Sind sie denn auf Arbeit ausgegangen?« fragte Oliver.

»Allerdings,« erwiderte der Jude; »und sie arbeiten den ganzen Tag unverdrossen, wenn sie nicht werden gestört. Nimm sie dir zum Muster, mein Kind; tu' alles, was sie dir heißen; und folg' jederzeit ihrem Rat, besonders dem des Baldowerers. Er wird werden ein großer Mann und auch aus dir machen 'nen großen Mann, wenn du dir ihn zum Vorbilde nimmst. Hängt mein Taschentuch aus der Tasche, mein Lieber?«

»Ja, Sir,« sagte Oliver.

»So sieh' einmal zu, ob du es herausziehen kannst, ohne daß ich's fühle, wie du's vorhin gesehen hast von den beiden.«

Oliver erinnerte sich genau, wie er es Jack hatte tun sehen und tat es ihm nach.

»Ist's heraus?«

»Hier ist es, Sir.«

»Du bist ein kluger Knabe,« sagte der alte Herr, ihm die Wange klopfend; »ich habe niemals gesehen ein anstelligeres Kind. Da hast du 'nen Schilling. Fährst du so fort, so wirst du werden der größte Mann deiner Zeit. Doch will ich dir jetzt zeigen, wie man herauslöst die Buchstaben.«

Oliver konnte gar nicht begreifen, wie er ein großer Mann dadurch werden könne, daß er dem alten Herrn das Tuch aus der Tasche zöge, meinte jedoch, daß es der so viel ältere besser wissen müsse, als er, und war bald eifrig mit seinen neuen Studien beschäftigt.

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