David Copperfield

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Из серии: Klassiker bei Null Papier
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»Ha! Ar­mes Kind!« mur­mel­te Miss Betsey und sah im­mer noch grim­mig ins Feu­er. »Ver­stehst du et­was?«

»Ich bit­te um Ver­zei­hung, Ma­da­me?« stam­mel­te mei­ne Mut­ter.

»Von der Wirt­schaft zum Bei­spiel«, sag­te Miss Betsey.

»Ich fürch­te, nicht viel. Nicht so viel, wie ich möch­te. Aber Mr. Cop­per­field un­ter­rich­te­te mich –«

»Weil er sel­ber so viel da­von ver­stand«, warf Miss Betsey hin.

»– und ich glau­be, ich hät­te bald Fort­schrit­te ge­macht, denn ich war eif­rig im Ler­nen und er ein sehr ge­dul­di­ger Leh­rer, wenn nicht das große Un­glück –«, mei­ne Mut­ter ver­lor wie­der die Fas­sung und konn­te nicht wei­ter­spre­chen.

»Schon gut, schon gut«, sag­te Miss Betsey.

»Ich führ­te mein Wirt­schafts­buch re­gel­mä­ßig und schloss es mit Mr. Cop­per­field pünkt­lich je­den Abend ab«, rief mei­ne Mut­ter mit ei­nem neu­en Aus­bruch des Schmer­zes.

»Schon gut, schon gut«, rief Miss Betsey. »Hör end­lich auf zu wei­nen.«

»Und es war nie ein Wort des Strei­tes da­bei oder der Un­ei­nig­keit, au­ßer wenn Mr. Cop­per­field ta­del­te, dass mei­ne Drei­er und Fün­fer ein­an­der zu ähn­lich sä­hen, oder dass ich mei­nen Sieb­nern und Neu­nern krau­se Schwän­ze gäbe«, be­gann mei­ne Mut­ter von Neu­em und wie­der von ei­ner Trä­nen­flut un­ter­bro­chen.

»Du wirst dich krank ma­chen«, sag­te Miss Betsey. »Du weißt doch, dass das we­der für dich noch für mein Pa­ten­kind gut ist. Komm, du musst das blei­ben las­sen.«

Die­ses Ar­gu­ment trug ei­ni­ger­ma­ßen dazu bei, mei­ne Mut­ter zum Schwei­gen zu brin­gen, ob­gleich ihr zu­neh­men­des Übel­be­fin­den die Haup­t­ur­sa­che sein moch­te. Eine län­ge­re Stil­le trat ein, die nur un­ter­bro­chen wur­de von ei­nem ge­le­gent­li­chen »Ha!« Miss Betseys, die im­mer noch mit den Fü­ßen auf dem Ka­min da­saß.

»Da­vid hat sich mit sei­nem Geld eine Lei­b­ren­te ge­kauft«, sag­te sie end­lich, »und wie hat er für dich ge­sorgt?«

»Mr. Cop­per­field«, sag­te mei­ne Mut­ter mit An­stren­gung, »war so vor­sich­tig und gut, mir die An­wart­schaft auf einen Teil da­von zu si­chern.«

»Wie viel?« frag­te Miss Betsey.

»Hun­dert­und­fünf Pfund jähr­lich.«

»Er hät­te es noch schlim­mer ma­chen kön­nen«, sag­te mei­ne Tan­te.

Das Wort pass­te gut für den Au­gen­blick. Mei­ner Mut­ter ging es so viel schlim­mer, dass Peg­got­ty, die eben mit dem Tee­brett und Lich­tern her­ein­kam und auf den ers­ten Blick sah, wie krank sie war, – Miss Betsey hät­te es schon eher se­hen kön­nen, wenn es hell ge­nug ge­we­sen wäre, – sie so rasch wie mög­lich in die obe­re Stu­be hin­auf­brach­te und so­fort Ham Peg­got­ty, ih­ren Nef­fen, der seit ei­ni­gen Ta­gen ohne Wis­sen mei­ner Mut­ter als Bote für un­vor­her­ge­se­he­ne Fäl­le im Hau­se ver­bor­gen ge­hal­ten wur­de, nach der Heb­am­me und dem Dok­tor schick­te.

Die­se ver­bün­de­ten Mäch­te, die sich im Ver­lauf we­ni­ger Mi­nu­ten zu­sam­men­fan­den, wa­ren sehr er­staunt, eine frem­de Dame von stren­gem Aus­se­hen vor dem Feu­er sit­zen zu se­hen, den Hut am lin­ken Arm hän­gend, und sich die Ohren mit Ju­we­lier­baum­wol­le zu­stop­fend.

Da Peg­got­ty nichts über sie wuss­te und mei­ne Mut­ter nichts über sie hat­te fal­len­las­sen, blieb sie ein un­ge­lös­tes Rät­sel in der Wohn­stu­be, und der Um­stand, dass sie ein Baum­wol­len­ma­ga­zin in der Ta­sche trug und sich die Wat­te auf be­sag­te Wei­se in die Ohren stopf­te, raub­te ihr nichts von ih­rem An­se­hen.

Nach­dem der Dok­tor oben ge­we­sen und wie­der her­un­ter­ge­kom­men war und of­fen­bar ver­mu­te­te, dass er mit der un­be­kann­ten Dame ei­ni­ge Stun­den wür­de zu­sam­men­blei­ben müs­sen, be­müh­te er sich, höf­lich und ge­sel­lig zu er­schei­nen. Er war der sanf­tes­te sei­nes Ge­schlechts, der mil­des­te al­ler klei­nen Män­ner. Er drück­te sich beim Ein- und Aus­ge­hen seit­wärts durch die Tü­ren, um mög­lichst we­nig Raum ein­zu­neh­men. Er ging so lei­se wie der Geist des Ham­let, aber noch viel lang­sa­mer. Er trug den Kopf auf eine Sei­te ge­neigt, teils aus Be­schei­den­heit, teils aus Ent­ge­gen­kom­men. Es wäre zu we­nig ge­sagt, dass er nicht ein­mal für einen Hund ein bö­ses Wort ge­habt hät­te. Er hät­te nicht ein­mal ei­nem tol­len Hund ein bö­ses Wort sa­gen kön­nen. Höchs­tens ein sanf­tes oder ein hal­b­es oder ein Bruch­stück da­von, – denn er sprach so lang­sam, wie er ging, – aber er wür­de nicht grob ge­gen ihn ge­we­sen sein. Nicht ein­mal ein ra­sches, nicht um al­les in der Welt.

Mr. Chil­lip sah also mei­ne Tan­te, den Kopf auf die Sei­te ge­neigt, sanft an, mach­te eine klei­ne Ver­beu­gung und sag­te, auf die Wat­te an­spie­lend, in­dem er sein lin­kes Ohr be­rühr­te:

»Lo­ka­le Rei­zung, Ma­da­me?«

»Was?« frag­te mei­ne Tan­te und zog die Baum­wol­le wie einen Kork aus ei­nem Ohr.

Mr. Chil­lip er­schrak so sehr über ihr bar­sches We­sen, wie er spä­ter mei­ner Mut­ter er­zähl­te, dass es noch ein Glück war, dass er die Fas­sung nicht ver­lor. Er wie­der­hol­te sanft:

»Lo­ka­le Rei­zung, Ma­da­me?«

»Un­sinn!« ant­wor­te­te mei­ne Tan­te und ver­stopf­te so­fort das Ohr wie­der.

Mr. Chil­lip konn­te nun wei­ter nichts tun, als Platz neh­men und sie schüch­tern an­se­hen, wie sie so da­saß und ins Feu­er starr­te, bis er wie­der hin­auf­ge­ru­fen wur­de.

Nach vier­tel­stün­di­ger Ab­we­sen­heit kehr­te er wie­der zu­rück.

»Nun?« frag­te mei­ne Tan­te und nahm die Wat­te aus dem ihm am nächs­ten lie­gen­den Ohre.

»Nun, Ma­da­me«, ant­wor­te­te Mr. Chil­lip, »wir – wir ma­chen lang­sam Fort­schrit­te.«

»Ba-a-ah«, sag­te mei­ne Tan­te, den ver­ächt­li­chen Aus­ruf förm­lich her­vor­sto­ßend, und ver­stopf­te sich wie­der wie vor­hin.

In der Tat – in der Tat, Mr. Chil­lip war ge­ra­de­zu be­stürzt, – wie er spä­ter mei­ner Mut­ter ge­stand; – na­tür­lich bloß vom ärzt­li­chen Ge­sichts­punkt aus. Aber trotz­dem starr­te er Miss Betsey fast zwei Stun­den lang an, bis er von Neu­em ge­ru­fen wur­de. Nach län­ge­rer Ab­we­sen­heit kehr­te er wie­der­um zu­rück.

»Nun?« frag­te mei­ne Tan­te und nahm aber­mals die Wat­te aus dem glei­chen Ohr.

»Nun, Ma­da­me«, ant­wor­te­te Mr. Chil­lip, »wir – wir ma­chen lang­sam Fort­schrit­te, Ma­da­me.«

»Ja-a-a«, knurr­te mei­ne Tan­te Mr. Chil­lip der­art an, dass er es für­wahr nicht län­ger mehr aus­hal­ten konn­te. Es war fast da­nach an­ge­tan, ihm al­len Mut zu neh­men, äu­ßer­te er spä­ter.

Da­rum ging er lie­ber hin­aus und setz­te sich drau­ßen im Dun­keln auf die zu­gi­ge Trep­pe, bis man wie­der nach ihm schick­te.

Ham Peg­got­ty, der in die Volks­schu­le ging und wie ein Dra­che über sei­nem Ka­te­chis­mus zu sit­zen pfleg­te und des­halb si­cher als glaub­wür­di­ger Zeu­ge gel­ten kann, er­zähl­te am nächs­ten Tag, er hät­te eine Stun­de spä­ter zur Stu­ben­tür her­ein­ge­guckt und wäre so­gleich von Miss Betsey, die in großer Er­re­gung auf und ab ge­gan­gen, er­späht und ge­packt wor­den, ehe er die Flucht habe er­grei­fen kön­nen. Er be­rich­te­te fer­ner, dass man zu­wei­len das Geräusch von Fuß­trit­ten und Stim­men in den obe­ren Zim­mern ge­hört hät­te, das wahr­schein­lich die Wat­te nicht ganz ab­hielt, wie er aus dem Um­stän­de schloss, dass ihn die Dame wie ein Op­fer fest­hielt und an ihm ihre über­strö­men­de Auf­re­gung aus­ließ, wenn die Geräusche am lau­tes­ten wa­ren. Sie hät­te ihn am Kra­gen ge­packt ge­hal­ten und in der Stu­be auf- und ab­ge­führt (als ob er zu viel Lau­da­num ge­nos­sen), hät­te ihn ge­schüt­telt, ihm die Wä­sche zer­zaust und die Ohren ver­stopft, als ob es ihre eig­nen ge­we­sen wä­ren, und ihn auf an­de­re Wei­se miss­han­delt. Sein Be­richt wur­de zum Teil von Peg­got­ty be­stä­tigt, die ihn um halb ein Uhr, kurz nach sei­ner Be­frei­ung, noch ganz rot ge­se­hen hat­te.

Der sanf­te Mr. Chil­lip konn­te nie­mand böse sein und wenn über­haupt je, so am al­ler­we­nigs­ten in sol­cher Stun­de. Er drück­te sich des­halb in das Wohn­zim­mer, so­bald er ab­kom­men konn­te, und sag­te zu mei­ner Tan­te in sei­nen mil­des­ten Tö­nen:

»Ma­da­me, es freut mich, Sie be­glück­wün­schen zu kön­nen.«

»Wozu?« frag­te Miss Betsey mit Schär­fe.

Mr. Chil­lip, wie­der­um ver­wirrt durch die au­ßer­or­dent­li­che Schroff­heit mei­ner Tan­te, mach­te ihr eine klei­ne Ver­beu­gung und lä­chel­te sie an, um sie zu be­sänf­ti­gen.

»O die­ser Mensch, was er nur macht«, rief mei­ne Tan­te un­ge­dul­dig, »kann er denn nicht spre­chen!«

»Be­ru­hi­gen Sie sich, mei­ne teue­re Ma­da­me«, sag­te Mr. Chil­lip mit sei­nen weichs­ten Lau­ten. »Es ist nicht län­ger Ur­sa­che zur Be­sorg­nis mehr vor­han­den, Ma­da­me. Be­ru­hi­gen Sie sich.«

Man hat es spä­ter für ein Wun­der an­ge­se­hen, dass mei­ne Tan­te ihn nicht schüt­tel­te, um das, was er zu sa­gen hat­te, aus ihm her­aus­zu­schüt­teln. Was sie schüt­tel­te, war nur der Kopf, den aber so dro­hend, dass es den Dok­tor er­zit­tern mach­te.

»Nun, Ma­da­me«, be­gann Mr. Chil­lip von Neu­em, so­bald er wie­der Mut ge­fasst, »es freut mich, Sie be­glück­wün­schen zu kön­nen. Al­les ist nun vor­bei, Ma­da­me, und glück­lich vor­bei.«

Wäh­rend der fünf Mi­nu­ten, die Mr. Chil­lip zu die­ser Rede brauch­te, sah ihn mei­ne Tan­te lau­ernd und scharf an.

»Wie be­fin­det sie sich?« frag­te mei­ne Tan­te und ver­schränk­te ihre Arme, an de­ren ei­nem im­mer noch der Hut hing.

»Nun, Ma­da­me, sie wird bald wie­der ganz wohl sein, hof­fe ich«, ant­wor­te­te Mr. Chil­lip, »so wohl, wie wir es von ei­ner jun­gen Mut­ter un­ter so ge­trüb­ten häus­li­chen Ver­hält­nis­sen nur er­war­ten kön­nen. Wenn Sie sie so­gleich se­hen wol­len, steht dem nichts im Wege, Ma­da­me. Vi­el­leicht tut es ihr so­gar gut.«

 

»Und sie? Wie geht es ihr?«

Mr. Chil­lip neig­te sei­nen Kopf noch ein biss­chen mehr auf die Sei­te und sah mei­ne Tan­te an wie ein lie­bens­wür­di­ger Vo­gel.

»Das Baby?« sag­te mei­ne Tan­te, »wie geht es ihr?«

»Ma­da­me«, er­wi­der­te Mr. Chil­lip. »Ich nahm an, Sie wüss­ten es schon. Es ist ein Kna­be.«

Mei­ne Tan­te sprach kein Wort, nahm ih­ren Hut an den Bän­dern wie eine Schleu­der, führ­te einen Streich da­mit ge­gen Mr. Chil­lips Kopf, stülp­te ihn aufs Haupt, schritt hin­aus und kam nie­mals wie­der.

Sie ver­schwand, wie eine un­zu­frie­de­ne Fee oder wie eins je­ner über­na­tür­li­chen We­sen, die ich nach dem Volks­glau­ben be­rech­tigt war, se­hen zu kön­nen; ging hin und ward nicht mehr ge­se­hen.

Ich lag in mei­ner Wie­ge und mei­ne Mut­ter im Bett. Betsey Trot­wood-Cop­per­field aber blieb für im­mer im Lan­de der Träu­me und Schat­ten, in je­ner grau­en­vol­len Re­gi­on, die ich jüngst durch­wan­dert. Und das Licht un­se­res Zim­mers schi­en hin­aus auf das ir­di­sche Ziel al­ler Wan­de­rer aus die­ser Re­gi­on: auf den Hü­gel über der Asche und dem Stau­be des­sen, der einst hie­nie­den ge­weilt, und ohne den ich nie ge­wor­den wäre.

2. Kapitel – Ich beobachte

Die ers­ten Ge­gen­stän­de, die be­stimm­te Um­ris­se vor mir an­neh­men, wenn ich weit zu­rück in die Lee­re mei­ner Kind­heit bli­cke, sind mei­ne Mut­ter mit ih­rem schö­nen Haar und den ju­gend­li­chen For­men und Peg­got­ty mit über­haupt gar kei­ner Form und mit so dun­keln Au­gen, dass sie ihre Um­ge­bung im Ge­sicht dun­kel zu ma­chen schei­nen, und mit Ar­men und Ba­cken so rot, dass ich mich stets wun­der­te, warum die Vö­gel nicht lie­ber an ih­nen statt an den Äp­feln her­um­pick­ten.

Ich glau­be, mich noch dar­an er­in­nern zu kön­nen, wie die bei­den Frau­en in klei­ner Ent­fer­nung von­ein­an­der auf dem Bo­den knie­ten, und ich un­si­cher von ei­ner zur an­de­ren wank­te. Ich habe auch noch eine dunkle Erin­ne­rung an Peg­got­tys Zei­ge­fin­ger, der von der Na­del so rau war wie ein Ta­schen­mus­kat­nuss­reib­ei­sen.

Das mag Ein­bil­dung sein, aber ich glau­be, dass das Ge­dächt­nis der meis­ten Men­schen wei­ter in die Kin­der­zeit zu­rück­reicht, als man ge­wöhn­lich an­nimmt; eben­so glau­be ich, dass die Beo­b­ach­tungs­ga­be bei vie­len klei­nen Kin­dern an Schär­fe und Ge­nau­ig­keit ganz wun­der­bar ist. Ich glau­be so­gar, dass man von den meis­ten Er­wach­se­nen, die in die­ser Hin­sicht be­mer­kens­wert sind, viel eher sa­gen könn­te, sie hät­ten die­se Fä­hig­keit nicht ver­lo­ren, als, sie hät­ten sie erst spä­ter er­wor­ben; umso mehr, als sol­che Men­schen über­dies eine ge­wis­se Fri­sche und Sanft­mut und eine Fä­hig­keit, sich über ir­gen­det­was zu freu­en, be­sit­zen, lau­ter Ei­gen­schaf­ten, die sie eben­falls aus der Kind­heit mit her­über­ge­nom­men ha­ben.

Wenn ich also, wie ge­sagt, in die Lee­re mei­ner frü­he­s­ten Ju­gend zu­rück­bli­cke, sind die ers­ten Ge­gen­stän­de, de­ren ich mich er­in­nern kann, und die aus dem Wirr­warr der Din­ge her­vor­ste­chen, mei­ne Mut­ter und Peg­got­ty. Was weiß ich sonst noch? Wol­len mal se­hen.

Es schei­det sich aus dem Ne­bel un­ser Haus in sei­ner mir in frü­he­s­ter Erin­ne­rung ver­trau­ten Ge­stalt. Im Erd­ge­schoss geht Peg­got­tys Kü­che auf den Hin­ter­hof hin­aus; da sind: in der Mit­te ein Tau­ben­schlag auf ei­ner Stan­ge, aber ohne Tau­ben; eine große Hun­de­hüt­te in ei­ner Ecke, aber kein Hund dar­in, und eine An­zahl Hüh­ner, die mir er­schreck­lich groß vor­kom­men, wie sie mit dro­hen­dem und wil­dem We­sen her­um­stol­zie­ren. Ein Hahn fliegt auf einen Pfos­ten, um zu krä­hen, und scheint sein Auge ganz be­son­ders auf mich zu rich­ten, wie ich ihn durch das Kü­chen­fens­ter be­trach­te; und ich zit­te­re vor Furcht, weil er so bös ist. Von den Gän­sen au­ßer­halb der Sei­ten­tür, die mir mit lan­g­aus­ge­streck­ten Häl­sen nach­lau­fen, wenn ich vor­bei­ge­he, träu­me ich die gan­ze Nacht, wie ein Mann, den wil­de Tie­re um­ge­ben, von Lö­wen träu­men wür­de.

Dann ist ein lan­ger Gang da – für mich eine end­lo­se Per­spek­ti­ve –, der von Peg­got­tys Kü­che zum Haupt­tor führt. Eine dunkle Vor­rats­kam­mer mün­det auf die­sen Gang; – so recht ein Ort, um des Nachts dar­an scheu vor­bei­zu­lau­fen –, denn ich weiß nicht, was zwi­schen die­sen Ton­nen und Krü­gen und al­ten Tee­kis­ten ste­cken mag –, wenn sich nicht ge­ra­de je­mand mit ei­nem bren­nen­den Licht in der Kam­mer be­fin­det. Eine dump­fi­ge Luft, mit der sich der Ge­ruch von Sei­fe, Mi­xed-Pick­les, Pfef­fer, Ker­zen und Kaf­fee ver­mischt, strömt her­aus. Dann sind die bei­den Wohn­zim­mer da: Das eine, in dem abends mei­ne Mut­ter, ich und Peg­got­ty sit­zen, – denn Peg­got­ty leis­tet uns Ge­sell­schaft, wenn wir al­lein sind, und sie ihre Ar­beit ge­macht hat, – und das Empfangs­zim­mer, wo wir Sonn­tags sit­zen, prunk­voll, aber nicht so trau­lich. Für mich hat die­ses Zim­mer et­was Schwer­mü­ti­ges, denn Peg­got­ty hat mir er­zählt, – ich weiß zwar nicht mehr, wann, aber es muss lan­ge her sein – als mein Va­ter be­gra­ben wur­de, wä­ren die Trau­er­gäs­te drin mit schwar­zen Män­teln um­her­ge­gan­gen. Dort liest je­den Sonn­tag abends mei­ne Mut­ter Peg­got­ty und mir vor, wie La­za­rus von den To­ten auf­er­weckt wur­de. Und ich ängs­ti­ge mich so sehr dar­über, dass sie mich dann aus dem Bet­te her­aus­neh­men und mir aus dem Schlaf­zim­mer­fens­ter den stil­len Kirch­hof zei­gen müs­sen, wo die To­ten im fei­er­li­chen Mond­licht in ih­ren Grä­bern ru­hen.

Auf der gan­zen Welt, so viel ich weiß, ist nir­gends das Gras nur halb so grün wie auf die­sem Kirch­hof, nir­gends sind die Bäu­me halb so schat­tig, und nichts ist so still wie die Grab­stei­ne. Die Scha­fe wei­den dort, wenn ich früh mor­gens in dem klei­nen Bett in dem Al­ko­ven hin­ter mei­ner Mut­ter Schlaf­zim­mer knie und hin­aus­schaue, und ich sehe das röt­li­che Licht auf die Son­nen­uhr schei­nen und den­ke bei mir: Freut sich die Son­nen­uhr, dass sie die Zeit an­ge­ben kann?

Dann ist un­ser Bet­stuhl in der Kir­che da. Was für ein hoch­rücki­ger Stuhl! Da­ne­ben ist ein Fens­ter, von dem aus man un­ser Haus se­hen kann. Und oft­mals wäh­rend des Mor­gen­got­tes­diens­tes blickt Peg­got­ty hin­aus, um sich zu ver­ge­wis­sern, ob nicht ein­ge­bro­chen oder et­was in Brand ge­steckt wird. Wenn sie selbst auch ihre Au­gen um­her­wan­dern lässt, so wird sie doch böse, wenn ich das­sel­be tue, und winkt mir zu, wenn ich auf dem Sitz ste­he, dass ich den Geist­li­chen an­bli­cken sol­le. Aber ich kann ihn doch nicht im­mer­fort an­se­hen – ich ken­ne ihn doch so­wie­so auch ohne das wei­ße Ding, das er um­hat, und fürch­te im­mer, er kön­ne plötz­lich wis­sen wol­len, warum ich ihn so an­stau­ne, und viel­leicht gar den Got­tes­dienst un­ter­bre­chen, um mich dar­über zu be­fra­gen, – und was soll­te ich dann tun?

Es ist et­was Schreck­li­ches, zu gäh­nen. Aber ir­gen­det­was muss ich doch ma­chen. Ich bli­cke mei­ne Mut­ter an, aber sie tut, als ob sie mich nicht sähe. Ich schaue einen Jun­gen im Sei­ten­schiff an; er schnei­det mir Ge­sich­ter. Ich sehe auf die Son­nen­strah­len, die durch die off­ne Tür her­ein­fal­len, und da er­bli­cke ich ein ver­irr­tes Schaf, ich mei­ne nicht einen Sün­der, son­dern einen Ham­mel, der Mie­ne macht, in die Kir­che zu tre­ten. Ich füh­le, dass ich nicht län­ger hin­schau­en kann, denn ich könn­te in Ver­su­chung kom­men, et­was laut zu sa­gen, und was wür­de dann aus mir wer­den. Ich bli­cke auf die Ge­dächt­nis­ta­feln an der Wand und ver­su­che, an den ver­stor­be­nen Mr. Bod­gers zu den­ken, und wel­cher Art wohl Mrs. Bod­gers Ge­füh­le ge­we­sen sein mö­gen, als ihr Mann so lan­ge krank lag und die Kunst der Ärz­te ver­ge­bens war. Ich fra­ge mich, ob sie auch Mr. Chil­lip ver­geb­lich ge­ru­fen ha­ben und wenn, ob es ihm recht ist, dar­an jede Wo­che ein­mal er­in­nert zu wer­den. Ich schaue von Mr. Chil­lip in sei­nem Sonn­tags­hals­tuch nach der Kan­zel hin und den­ke, was für ein hüb­scher Spiel­platz das sein müss­te, und was das für eine fei­ne Fes­tung ab­ge­ben wür­de, wenn ein an­de­rer Jun­ge die Trep­pen her­auf­käme zum An­griff, und man könn­te ihm das Samt­kis­sen mit den Trod­deln auf den Kopf schmei­ßen. Und wenn sich nach und nach mei­ne Au­gen schlie­ßen, und ich an­fangs den Geist­li­chen in der Hit­ze noch ein schläf­ri­ges Lied sin­gen höre, ver­neh­me ich bald gar nichts mehr. Dann fal­le ich mit ei­nem Krach vom Sit­ze und wer­de mehr tot als le­ben­dig von Peg­got­ty hin­aus­ge­tra­gen.

Und dann wie­der sehe ich die Au­ßen­sei­te un­se­res Hau­ses, und die Fens­ter­lä­den des Schlaf­zim­mers ste­hen of­fen, da­mit die wür­zi­ge Luft hin­ein­strö­men kann, und im Hin­ter­grund des Haupt­gar­tens hän­gen in den ho­hen Ul­men die zer­zaus­ten Krä­hen­nes­ter. Jetzt bin ich in dem Gar­ten hin­ter dem Hof mit dem lee­ren Tau­ben­schlag und der Hun­de­hüt­te – ein wah­rer Park für Schmet­ter­lin­ge – mit sei­nem ho­hen Zaun und sei­ner Türe mit Vor­häng­sch­lös­sern, und das Obst hängt dick an den Bäu­men, rei­fer und rei­cher als in ir­gend­ei­nem an­de­ren Gar­ten, und mei­ne Mut­ter pflückt die Früch­te in ein Körb­chen, wäh­rend ich da­bei­ste­he und heim­lich ein paar ab­ge­zwick­te Sta­chel­bee­ren rasch in den Mund ste­cke und mich be­mü­he, un­be­tei­ligt aus­zu­se­hen.

Ein star­ker Wind er­hebt sich, und im Handum­dre­hen ist der Som­mer weg. Wir spie­len im Win­ter­zwie­licht und tan­zen in der Stu­be her­um. Wenn mei­ne Mut­ter au­ßer Atem ist und im Lehn­stuhl aus­ruht, sehe ich ihr zu, wie sie ihre glän­zen­den Lo­cken um die Fin­ger wi­ckelt und sich das Leib­chen glatt zieht, und nie­mand weiß so gut wie ich, dass sie sich freut, so gut aus­zu­se­hen, und stolz ist, so hübsch zu sein.

Das sind so ei­ni­ge von mei­nen frü­he­s­ten Ein­drücken. Das und ein Ge­fühl, dass wir bei­de ein biss­chen Angst hat­ten vor Peg­got­ty und uns in den meis­ten Fäl­len ih­ren An­ord­nun­gen füg­ten, ge­hört zu den ers­ten Schlüs­sen, – wenn ich so sa­gen darf, – die ich aus dem zog, was ich sah.

Peg­got­ty und ich sa­ßen ei­nes Abends al­lein in der Wohn­stu­be vor dem Ka­min. Ich hat­te Peg­got­ty von Kro­ko­di­len vor­ge­le­sen. Ich muss wohl kaum sehr deut­lich ge­le­sen ha­ben, oder die arme See­le muss in tie­fen Ge­dan­ken ge­we­sen sein, denn ich er­in­ne­re mich, als ich fer­tig war, hat­te sie so eine Idee, Kro­ko­di­le wä­ren eine Art Ge­mü­se. Ich war vom Le­sen müde und sehr schläf­rig, aber da ich die be­son­de­re Er­laub­nis be­kom­men hat­te, auf­zu­blei­ben, bis mei­ne Mut­ter von ei­nem Be­such nach Hau­se käme, wäre ich na­tür­lich lie­ber auf mei­nem Pos­ten ge­stor­ben als zu Bett ge­gan­gen. Ich war be­reits auf ei­nem Sta­di­um von Schläf­rig­keit an­ge­kom­men, wo Peg­got­ty mir im­mer grö­ßer und grö­ßer zu wer­den schi­en. Ich hielt mei­ne Au­gen mit den bei­den Zei­ge­fin­gern of­fen und sah sie un­un­ter­bro­chen an, wie sie auf ih­rem Stuh­le saß und ar­bei­te­te, be­trach­te­te dann das klei­ne Stück­chen Wachs­licht, mit dem sie ih­ren Zwirn wichs­te – wie alt es aus­sah mit sei­nen Run­zeln kreuz und quer –, das Hütt­chen mit dem Stroh­dach, worin das El­len­maß wohn­te, das Ar­beits­käst­chen mit dem Schie­be­de­ckel und ei­ner An­sicht dar­auf von der St.-Pauls-Kir­che mit ei­ner pur­pur­ro­ten Kup­pel, den mes­sing­nen Fin­ger­hut und sie selbst, die mir un­ge­mein schön vor­kam. Ich war so müde, dass ich fühl­te, ich wür­de ein­schla­fen, wenn ich nur einen Au­gen­blick mei­ne Au­gen ab­wen­de­te.

»Peg­got­ty«, sag­te ich dann plötz­lich: »Bist du ein­mal ver­hei­ra­tet ge­we­sen?«

»Herr Gott, Mas­ter Davy!« er­wi­der­te Peg­got­ty, »wie kommst du nur aufs Hei­ra­ten?«

Sie ant­wor­te­te so über­rascht, dass ich ganz wach wur­de. Dann hielt sie inne in ih­rer Ar­beit und sah mich an, den Fa­den in sei­ner gan­zen Län­ge straff­ge­zo­gen.

»Aber du warst doch ein­mal ver­hei­ra­tet, Peg­got­ty?« frag­te ich. »Du bist doch wun­der­schön, nicht wahr?« Ich hielt sie al­ler­dings für eine an­de­re Stilart als mei­ne Mut­ter, aber nach ei­ner an­de­ren Schu­le von Schön­heits­be­griff ge­se­hen, kam sie mir als voll­kom­me­nes Mus­ter vor. In un­serm Empfangs­zim­mer war ein rot­sam­te­nes Fuß­bänk­chen, auf das mei­ne Mut­ter einen Blu­men­strauß ge­malt hat­te. Die­ser Samt und Peg­got­tys Haut schie­nen mir ganz gleich. Die Fuß­bank war glatt und weich und Peg­got­ty rau, aber das mach­te kei­nen Un­ter­schied.

»Ich, schön, Davy!« sag­te Peg­got­ty. »O Gott, nein, mein lie­bes Kind. Aber wie kommst du aufs Hei­ra­ten?«

»Ich weiß nicht. – Du darfst nicht mehr als einen auf ein­mal hei­ra­ten, nicht wahr, Peg­got­ty?«

 

»Ge­wiss nicht«, sag­te Peg­got­ty mit größ­ter Ent­schie­den­heit.

»Aber wenn du einen Mann hei­ra­test und er stirbt, dann geht’s, nicht wahr, Peg­got­ty?«

»Es geht schon, wenn man will, lie­bes Kind«, sag­te Peg­got­ty. »Das ist dann eben mei­ne Sa­che.«

»Aber was ist dei­ne Mei­nung«, frag­te ich.

Bei die­ser Fra­ge blick­te ich sie neu­gie­rig an, weil sie mich so selt­sam mus­ter­te.

»Mei­ne Mei­nung ist«, sag­te Peg­got­ty, als sie nach kur­z­em Zö­gern ihre Au­gen von mir ab­ge­wen­det und wie­der zu ar­bei­ten be­gon­nen hat­te, »dass ich selbst nie­mals ver­hei­ra­tet ge­we­sen bin, Mas­ter Davy, und dass ich auch nicht dar­an den­ke. Das ist al­les, was ich von der Sa­che weiß.«

»Du bist doch nicht böse, Peg­got­ty?« frag­te ich, nach­dem ich eine Wei­le still ge­we­sen.

Ich glaub­te es wirk­lich, so kurz hat­te sie mich ab­ge­fer­tigt, muss­te aber wohl im Irr­tum sein, denn sie leg­te ihr Strick­zeug weg, öff­ne­te ihre Arme, nahm mei­nen lo­cki­gen Kopf und drück­te mich fest an sich. Dass sie mich derb an sich press­te, wuss­te ich, denn da sie sehr be­leibt war, so pfleg­ten stets, wenn sie an­ge­klei­det war, bei je­der klei­nen An­stren­gung ein paar Knöp­fe hin­ten an ih­rem Kleid ab­zu­sprin­gen. Und ich er­in­ne­re mich, dass zwei Stück in die ent­ge­gen­ge­setz­te Zim­me­r­e­cke flo­gen, als sie mich um­arm­te.

»Nun lies mir noch et­was von den Kror­king­di­len vor«, sag­te Peg­got­ty, die in die­sem Na­men noch nicht recht sat­tel­fest war, »ich habe noch lan­ge nicht ge­nug von ih­nen ge­hört.«

Ich konn­te nicht be­grei­fen, warum Peg­got­ty so wun­der­li­che Au­gen mach­te und durch­aus wie­der von den Kro­ko­di­len hö­ren woll­te. Mit großem Ei­fer mei­ner­seits kehr­ten wir je­doch wie­der zu den Un­ge­heu­ern zu­rück und lie­ßen die Son­ne ihre Eier im San­de aus­brü­ten, ris­sen vor ih­nen aus und ent­ran­nen ih­nen durch plötz­li­ches Um­keh­ren, was sie ih­res un­ge­schlach­ten Bau­es we­gen nicht so rasch nach­ma­chen konn­ten, ver­folg­ten sie als Ein­ge­bo­re­ne ins Was­ser und steck­ten ih­nen scharf­ge­spitz­te Holz­stücke in den Ra­chen, kurz, lie­ßen sie förm­lich Spieß­ru­ten lau­fen. Ich we­nigs­tens tat es, hat­te aber be­treffs Peg­got­tys so mei­ne Zwei­fel, denn ich sah, wie sie sich die gan­ze Zeit über in Ge­dan­ken ver­sun­ken mit der Na­del in ver­schie­de­ne Tei­le ih­res Ge­sichts und ih­rer Arme stach. Wir hat­ten end­lich die Kro­ko­di­le er­schöpft und be­gan­nen eben mit den Al­li­ga­to­ren, als die Gar­ten­glo­cke läu­te­te. Wir gin­gen hin­aus und fan­den da mei­ne Mut­ter, die mir un­ge­wöhn­lich hübsch vor­kam, und bei ihr stand ein Herr mit schö­nem, schwar­zem Haar und Ba­cken­bart, der schon am letz­ten Sonn­tag mit uns aus der Kir­che nach Hau­se ge­gan­gen war.

Als mei­ne Mut­ter mich auf der Schwel­le in ihre Arme nahm und mich küss­te, sag­te der Herr, ich sei glück­li­cher als ein Kö­nig – oder et­was Ähn­li­ches –; ich füh­le wohl, dass mir mein spä­te­res Ver­ständ­nis hier zu Hil­fe kommt.

»Was heißt das?« frag­te ich ihn über ihre Schul­ter hin­weg.

Er klopf­te mich auf den Kopf, aber ich konn­te ihn und sei­ne tie­fe Stim­me nicht lei­den und war ei­fer­süch­tig, dass sei­ne Hand die mei­ner Mut­ter be­rühr­te, und ich stieß ihn weg, so gut ich konn­te.

»Aber Davy«, er­mahn­te mich mei­ne Mut­ter.

»Der lie­be Jun­ge«, sag­te der Herr. »Ich kann mich über sei­ne Lie­be nicht wun­dern.«

Noch nie hat­te ich mei­ner Mut­ter Ge­sicht so schön rot ge­se­hen. Sie schalt mich mil­de aus we­gen mei­ner Un­höf­lich­keit und sprach, in­dem sie mich fest an sich drück­te, ih­ren Dank dem Herrn aus, der so freund­lich ge­we­sen, sie nach Hau­se zu be­glei­ten. Sie reich­te ihm ihre Hand hin bei die­sen Wor­ten, und als er sie nahm, kam es mir vor, als ob sie mich an­blick­te.

»Jetzt wol­len wir uns gute Nacht wün­schen, mein hüb­scher Jun­ge«, sag­te der Herr zu mir, als er sein Ge­sicht, wie ich wohl be­merk­te, auf mei­ner Mut­ter klei­nen Hand­schuh neig­te.

»Gute Nacht«, sag­te ich.

»Wir müs­sen noch die bes­ten Freun­de von der Welt wer­den«, lach­te der Herr, »gib mir die Hand.«

Mei­ne rech­te Hand lag in mei­ner Mut­ter Lin­ken, und so gab ich ihm die an­de­re.

»Aber das ist ja die falsche, Davy«, sag­te er wie­der la­chend.

Mei­ne Mut­ter zog mei­ne rech­te Hand her­vor, aber ich war ent­schlos­sen, sie ihm nicht zu ge­ben und tat es auch nicht. So reich­te ich ihm die an­de­re und er schüt­tel­te sie und sag­te, ich sei ein bra­ver Jun­ge, und ging fort.

Und noch jetzt seh ich ihn, wie er sich im Gar­ten um­dreh­te und uns einen letz­ten Blick aus sei­nen un­an­ge­neh­men, schwar­zen Au­gen zu­warf, ehe er das Tor schloss.

Peg­got­ty, die kein Wort ge­spro­chen und kei­nen Fin­ger ge­rührt hat­te, schob so­fort den Rie­gel vor, und wir gin­gen alle in das Wohn­zim­mer. An­statt sich wie ge­wöhn­lich in den Lehn­stuhl ne­ben den Ka­min zu set­zen, blieb mei­ne Mut­ter am an­de­ren Ende des Zim­mers und sang vor sich hin.

»– hof­fe, Sie ha­ben einen an­ge­neh­men Abend ver­lebt, Ma’am«, sag­te Peg­got­ty, die mit ei­nem Leuch­ter in der Hand steif wie eine Ton­ne mit­ten im Zim­mer stand.

»Dan­ke schön, Peg­got­ty«, er­wi­der­te mei­ne Mut­ter sehr auf­ge­räumt. »Ich habe einen sehr an­ge­neh­men Abend ver­bracht.«

»Eine neue Be­kannt­schaft ist im­mer eine an­ge­neh­me Ab­wechs­lung«, be­merk­te Peg­got­ty.

»Eine sehr an­ge­neh­me Ab­wechs­lung«, er­wi­der­te mei­ne Mut­ter.

Peg­got­ty blieb re­gungs­los in der Mit­te des Zim­mers ste­hen, mei­ne Mut­ter fing wie­der zu sin­gen an, und ich schlief ein, wenn auch nicht so fest, dass ich nicht noch hät­te Stim­men hö­ren kön­nen, ohne aber zu ver­ste­hen, was sie sag­ten. Als ich aus die­sem un­be­hag­li­chen Schlum­mer halb er­wach­te, sah ich, dass mei­ne Mut­ter und Peg­got­ty bei­de wein­ten und in großer Auf­re­gung mit­ein­an­der spra­chen.

»So ei­ner wie die­ser hät­te Mr. Cop­per­field nicht ge­fal­len«, sag­te Peg­got­ty. »Das ist mei­ne Mei­nung und die be­schwör ich.«

»Gott im Him­mel!« rief mei­ne Mut­ter. »Du wirst mich noch wahn­sin­nig ma­chen. Wur­de je­mals ein ar­mes Mäd­chen von sei­nen Dienst­bo­ten so miss­han­delt. Wa­rum füge ich mir das Un­recht zu und nen­ne mich ein Mäd­chen? War ich viel­leicht nie­mals ver­hei­ra­tet, Peg­got­ty?«

»Gott weiß, dass Sie es wa­ren, Ma’am«, er­wi­der­te Peg­got­ty.

»Wie kannst du es dann wa­gen«, sag­te mei­ne Mut­ter, »du weißt, ich mei­ne nicht, wie du es wa­gen kannst, Peg­got­ty, son­dern wie du es übers Herz brin­gen kannst, mich so zu ver­stim­men und mir so böse Wor­te zu sa­gen, wo du doch recht gut weißt, dass ich au­ßer dem Hau­se nicht einen ein­zi­gen gu­ten Freund habe.«

»Umso mehr Grund für mich, Ih­nen zu sa­gen, dass es nicht geht«, ent­geg­ne­te Peg­got­ty. »Nein, es geht nicht, nein, um kei­nen Preis. Nein!« Ich dach­te schon, Peg­got­ty wür­de den Leuch­ter weg­wer­fen, so ener­gisch schwang sie ihn.

»Wie kannst du es nur so auf­bau­schen«, sag­te mei­ne Mut­ter und fing von Neu­em an zu wei­nen, »und so un­ge­recht sein. Du tust so, als wenn al­les schon ab­ge­macht wäre, Peg­got­ty, und ich sage dir doch im­mer und im­mer wie­der, du grau­sa­mes Ding, dass au­ßer den ge­wöhn­lichs­ten Höf­lich­kei­ten nichts vor­ge­fal­len ist. Du sprichst von Be­wun­de­rung. Was kann ich da­für, wenn die Leu­te so al­bern sind, sol­chen Ge­füh­len nach­zu­ge­ben, ist das mei­ne Schuld? Was soll ich denn tun, fra­ge ich dich? Willst du viel­leicht, dass ich mir die Haa­re schnei­den oder das Ge­sicht schwär­zen oder mich durch einen Brand­fleck oder hei­ßes Was­ser oder sonst et­was Ähn­li­ches ver­un­stal­ten soll? Ich glau­be, du wärst es im­stan­de, Peg­got­ty. Ich glau­be, du wür­dest dich so­gar drü­ber freu­en.«

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