Читать книгу: «Dienstvereinbarungen nach dem Mitarbeitervertretungsgesetz der Evangelischen Kirche in Deutschland (MVG-EKD)», страница 4

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c. Bestimmung der eigenen Angelegenheiten

Die maximale inhaltliche Reichweite des Selbstbestimmungsrechts wird durch den Rahmenbegriff der eigenen Angelegenheiten festgelegt. Aufzuzeigen ist, dass das Mitarbeitervertretungsrecht als eigene Angelegenheit der Kirche in den Anwendungsbereich der Vorschrift fällt.

aa. Maßstab: Selbstverständnis der Religionsgemeinschaft

Die inhaltliche Konkretisierung, wann eine eigene Angelegenheit vorliegt, erfolgt nach heute überwiegender Ansicht nach dem Selbstverständnis der jeweiligen Religionsgemeinschaft;107 die materielle Definitionskompetenz steht mithin den Religionsgesellschaften zu.108 Dieser Auffassung hat sich auch das Bundesverfassungsgericht angeschlossen.109 Der Grund für diese Zuordnung der materiellen Definitionskompetenz liegt darin, dass andernfalls immer eine staatliche Einflussnahme auf den vom Selbstbestimmungsrecht erfassten Bereich möglich bliebe. Der Staat liefe Gefahr, das Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften zu begrenzen, ohne hierfür eine Rechtfertigung vornehmen zu müssen. Er könnte sich ungehindert in die Angelegenheiten der Religionsgemeinschaften einmischen und damit den von Art. 137 Abs. 3 WRV bezweckten Schutz unterlaufen. Zur subjektiven Bestimmung durch die Religionsgesellschaft gibt es deshalb keine Alternative, sollen die Religionsgesellschaften unabhängig vom Staat ihre eigenen Angelegenheiten festlegen.110 Der Staat unterfällt folglich einem Definitionsverbot.111 Zudem wird der Staat regelmäßig faktisch aufgrund fehlender Sachkompetenz nicht beurteilen können, ob es sich um eine eigene Angelegenheit der jeweiligen Religionsgemeinschaft handelt oder nicht.112

bb. Auswirkung der Schrankenregelung auf die Schutzbereichsbestimmung

Von der Problematik, wie die Bestimmung der eigenen Angelegenheiten zu erfolgen hat, ist die Frage zu trennen, in welchem Verhältnis das Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften zu anderen Freiheiten, Rechtsgütern und Interessen steht. Den Ausgleich und die Zuordnung sicherzustellen und zu überwachen, ist nach der Wertung der Schrankenregelung des Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 3 WRV die Aufgabe des Staates.113 Ob das Selbstbestimmungsrecht betroffen ist und welches Gewicht der jeweiligen eigenen Angelegenheit zukommt, kann der Staat jedoch nicht unabhängig bestimmen, sondern er ist in diesem Punkt an das von der Religionsgesellschaft festgelegte Selbstverständnis gebunden.114 Es kommt durch den Schrankenvorbehalt mithin nicht zu einer inhaltlichen Neubestimmung der eigenen Angelegenheiten durch den Staat, sondern zu einer Zuordnung der von der Kirche definierten eigenen Angelegenheit zu anderen von der kirchlichen Regelung betroffenen Rechtsgütern. Dass damit auch eine Begrenzung des Selbstbestimmungsrechts der Kirche einhergehen mag und dieses nicht vollumfänglich auf Kosten anderer Rechtsgüter verwirklicht werden darf, ist bereits dem Vorgang, der auf einen Ausgleich der widerstreitenden Rechtspositionen abzielt, immanent. Er stellt jedoch die Neutralität des Staates im Hinblick auf die Bestimmung, was unter die eigenen Angelegenheiten der Religionsgemeinschaften fällt, nicht in Frage. Die dem Staat durch das Grundgesetz auferlegte Aufgabe erschöpft sich danach in der Wahrnehmung der Rechtsgutszuordnung; einer eigenen Definitionskompetenz des Staates hinsichtlich der Bestimmung der eigenen Angelegenheiten bedarf es darüber hinaus nicht.115

cc. Bestimmung des Selbstverständnisses – Mitarbeitervertretungsrecht als eigene Angelegenheit

Demnach hat die Kirche nach ihrem Selbstverständnis festzulegen, welche Bereiche sie als eigene Angelegenheit ansieht. Hierzu bedarf es nunmehr jedoch noch innerhalb der Religionsgesellschaft der Kompetenzzuordnung. Nur das durch ein legitimiertes Organ der Religionsgemeinschaft geäußerte Selbstverständnis kann für die Bestimmung der eigenen Angelegenheit maßgeblich sein.116 Für die evangelische Kirche in Deutschland bedeutet dies, dass das jeweils zuständige Organ der Landeskirche bzw. des landeskirchlichen Zusammenschlusses definiert, ob eine eigene Angelegenheit vorliegt. Im Bereich des Mitarbeitervertretungsrechts ist diese Entscheidung durch die jeweils zuständige Landessynode für die Einrichtungen der Landeskirche bzw. für die Evangelische Kirche in Deutschland durch deren Synode als Kirchengesetzgeber zu treffen. Für das Mitarbeitervertretungsrecht zeigt sich die Entscheidung, dass es sich um eine eigene Angelegenheit der Kirche handelt, jedenfalls im Erlass eines Mitarbeitervertretungsgesetzes durch die Evangelische Kirche in Deutschland sowie die verschiedenen Landeskirchen beziehungsweise in deren Zustimmung zum Mitarbeitervertretungsgesetz der Evangelischen Kirche in Deutschland.117

2. Schranke des für alle geltenden Gesetzes

Unterfällt das Mitarbeitervertretungsrecht daher grundsätzlich dem Schutzbereich des Selbstbestimmungsrechts, so hängt die Reichweite der Geltung des Mitarbeitervertretungsgesetzes maßgeblich von der Bedeutung und der Auslegung der Schrankenbestimmung des Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 3 WRV ab. Da die Kirche nicht außerhalb der Gesellschaft existiert, ist es selbstverständlich, dass es einer Auflösung von möglich erscheinenden Kollisionen zwischen dem Selbstbestimmungsrecht und anderen Freiheiten, Interessen und Rechtsgütern bedarf. Insbesondere im Bereich des Mitarbeitervertretungsrechts liegen solche Kollisionen geradezu auf der Hand, stehen dem Regelungsanspruch der Kirche hinsichtlich der mitarbeitervertretungsrechtlichen Angelegenheiten doch jedenfalls das Sozialstaatsprinzip als Staatszielbestimmung sowie grundrechtlich geschützte Positionen der Mitarbeiter und der Koalitionen gegenüber.

Erst durch die Schrankenbestimmung wird die Trennlinie zwischen kirchlicher und staatlicher Rechtsetzung abschließend festgelegt. Da das kirchliche Recht nur innerhalb der verfassungsrechtlichen Anerkennung in den staatlichen Rechtskreis hineinzuwirken vermag, entscheidet die Festlegung der Schranken zugleich über die Außengrenzen der kirchlichen Rechtsetzung. Insofern die Bestimmung des Schutzbereiches durch das Selbstverständnis der Kirche geprägt ist, überrascht es allerdings auch nicht, dass die „Schranke des für alle geltenden Gesetzes“ als verbleibendes Korrektiv seit ihrer Einführung Gegenstand zahlreicher Diskussionen war und fortwährend einem interpretatorischen Wandel unterlegen ist.

a. Entwicklung des Schrankenbegriffs: Von der Heckel‘schen Formel zur Abwägungslösung

So wurde zu Beginn der Weimarer Zeit überwiegend angenommen, dass die Schranke des für alle geltenden Gesetzes im Sinne eines allgemeinen Gesetzesvorbehaltes zu verstehen sei.118 Durch Johannes Heckel wurde schließlich erstmals die Diskussion darauf gelenkt, dass die bisherige Interpretation als allgemeiner Gesetzesvorbehalt überschießend sei. Heckel bezog sich auf die Erfahrungen des Kulturkampfes und verstand vor diesem Hintergrund das für alle geltende Gesetz als „ein Gesetz, daß trotz grundsätzlicher Bejahung der kirchlichen Autonomie vom Standpunkt der Gesamtnation als sachlich notwendige Schranke der kirchlichen Freiheit anerkannt werden muss; m. a. W. jedes für die Gesamtnation als politische, Kultur- und Rechtsgemeinschaft unentbehrliche Gesetz, aber auch nur ein solches Gesetz.“119 Quintessenz dieser Beschränkung ist nach Heckel, dass nur zwingende Interessen des deutschen Gesamtvolkes zu einer Verengung der kirchlichen Autonomie führen dürfen.120 Wurde diese Heckel‘sche Formel in der Anfangszeit der Bundesrepublik noch teilweise von Literatur121 und Rechtsprechung122 rezipiert, setzte sich doch die Erkenntnis durch, dass sie mangels systematischer und teleologischer Verankerung eines handhabbaren Maßstabes entbehrt.123

Das Bundesverfassungsgericht124 sowie Teile der Literatur125 griffen stattdessen die Bereichsscheidungslehre auf. Nach dieser Lehre unterteilen sich die möglichen kirchlichen Wirkungsbereiche in die rein innerkirchlichen, die rein staatlichen und die gemeinsamen Angelegenheiten. Den innerkirchlichen Bereich soll der Staat nicht regeln können, während im Bereich der gemeinsamen Angelegenheiten das kirchliche Selbstbestimmungsrecht durch das staatliche Recht berücksichtigt werden müsse. Bei rein staatlichen Angelegenheiten sollen die Religionsgemeinschaften mangels einer Betroffenheit in den eigenen Angelegenheiten ausnahmslos dem staatlichen Recht unterfallen.126 Zwischen den einzelnen Bereichen sollte nach den Kriterien der „Natur der Sache“ oder der „Zweckbestimmung“ abgegrenzt werden,127 also eine objektiv-rechtliche Bestimmung der eigenen Angelegenheiten vorgenommen werden.

Die Bereichsscheidungslehre ist indessen nur schwerlich mit dem Wortlaut von Art. 137 Abs. 3 S. 1 WRV zu vereinbaren, der gerade anordnet, dass die Religionsgemeinschaft ihre Angelegenheiten innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes ordnet und verwaltet; dies bedeutet jedoch, dass bereits die verallgemeinernde Aussage, es gebe einen innerkirchlichen Bereich, der sich per se einer staatlichen Regelung verschließe, schwerlich zutreffen kann.128 Jedenfalls entzieht es sich aber einer objektiven und allgemeingültigen Feststellung, wo der innerkirchliche Bereich aufhören soll. Die zur Abgrenzung zwischen den einzelnen Bereichen verwendeten Begrifflichkeiten verschleiern zudem, dass die Definitionskompetenz für die Gewichtung der von der Kirche benannten eigenen Angelegenheiten auf den Staat, namentlich die Judikative übertragen wird. Schließlich bieten die genannten Abgrenzungskriterien keinen nachvollziehbaren Maßstab,129 sodass es zu einer willkürlich getroffenen Abgrenzungsentscheidung kommen muss. Folglich wird durch die Bereichsscheidungslehre nicht nur die Definitionskompetenz bezüglich der eigenen Angelegenheiten auf den Staat verlagert, sondern zusätzlich auch eine willkürliche Begrenzung130 des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts ermöglicht. Dadurch wird im Ergebnis aber die Grundidee des Art. 137 Abs. 3 WRV – die Selbstbestimmung der Kirche in den eigenen Angelegenheiten – negiert.

Diese Bedenken führten dazu, dass das Bundesverfassungsgericht seinen Standpunkt um die Jedermann-Formel ergänzte. Danach sollte kein für alle geltendes Gesetz vorliegen, wenn die Kirche in ihrer Besonderheit durch staatliche Gesetze härter betroffen sei als ein Jedermann.131 Die Jedermann-Formel kann die genannten Bedenken jedoch nicht ausräumen und ist selbst dem Vorwurf ausgesetzt, dass es sich bei ihr inhaltlich nur um ein Wiederaufleben des allgemeinen Gesetzesvorbehalts der Weimarer Zeit handelt.132

Im Verlauf weiterer Entscheidungen ging das Bundesverfassungsgericht deshalb zu einer Abwägung zwischen den kollidierenden Rechtsgütern – dem Selbstbestimmungsrecht einerseits und den staatlich zu schützenden Interessen andererseits – über, ohne sich jedoch ausdrücklich von den früheren Begründungsansätzen zu lösen.133 Die Abwägungslehre, die insbesondere von Hesse134 im Anschluss an Martin Heckel135 vertreten und ausgestaltet wurde, geht davon aus, dass aufgrund des Charakters des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts als Freiheitsrecht eine der allgemeinen Freiheitsgrundrechtsdogmatik entsprechende Abwägung durchzuführen sei, durch die im Wege praktischer Konkordanz zwischen dem Selbstbestimmungsrecht und den entgegenstehenden Rechtspositionen ein Ausgleich herbeigeführt werden soll, der beiden Positionen zu bestmöglicher Entfaltung verhilft.136 Dieser Ansatz bestimmt bis heute die Vorgehensweise des Bundesverfassungsgerichts.137

b. Kritik an der Abwägungslösung und Vorzugswürdigkeit eines kollisionsrechtlichen Ansatzes

Die Idee einer Abwägung widerstreitender Interessen – konkret des Selbstbestimmungsrechts einerseits und staatlich zu schützender Interessen andererseits – mag bei einem ersten Blick angesichts der umfassend ausgearbeiteten Dogmatik zur Abwägung von Freiheitsgrundrechten naheliegen. Dies gilt umso mehr, als es durchaus zutreffend ist, Art. 137 Abs. 3 WRV als ein Freiheitsrecht der Institution Kirche zu bezeichnen.

Zur Beurteilung einer Schrankenbestimmung ist es jedoch nicht ausreichend, isoliert die Schranke in den Blick zu nehmen und das Schutzgut außer Acht zu lassen. Denn auch der Verfassungsgeber bestimmt die konkrete Reichweite eines Rechts nicht allein durch die Festlegung der Schranke, sondern er beachtet vielmehr das Zusammenspiel von Grundsatz und Grenze.138 Der Abwägungslösung des Bundesverfassungsgerichtes liegt nunmehr jedoch die Annahme zu Grunde, dass es grundsätzlich möglich sei, jedes staatliche Interesse als Gegenposition zum Selbstbestimmungsrecht der Kirche in die Abwägung mit einzubeziehen. Damit geht die Gefahr einher, dass das Selbstbestimmungsrecht der Kirche willkürlichen Gemeinwohlerwägungen des Staates preisgegeben wird.139 Da das Bundesverfassungsgericht grundsätzlich jedes staatliche Interesse für abwägungsrelevant erachtet, steht zu befürchten, dass die ursprüngliche Funktion und Bedeutung des Selbstbestimmungsrechts aus dem Blick verloren wird. Dass sich das Bundesverfassungsgericht dieser Schwäche der Abwägungslehre durchaus bewusst ist, zeigt sich darin, dass es die besondere Bedeutung erneut zu begründen versucht und dabei die Religionsfreiheit als Rettungsanker gegen eine Unterwanderung des Selbstbestimmungsrechts heranzieht140. Dass das Selbstbestimmungsrecht jedoch nicht ausschließlich auf die Religionsfreiheit bezogen ist, sondern vielmehr für die Kirche eine gewichtige Eigenbedeutung hat, wurde bereits dargelegt.141 Die Schwäche der Abwägungslösung liegt also darin begründet, dass der eigenständige Bedeutungsgehalt des Selbstbestimmungsrechts in Vergessenheit gerät.

Eine Dogmatik, die eine Bestimmung der Schranke des Selbstbestimmungsrechts zutreffend vornehmen will, muss deshalb den Eigenwert und ursprünglichen Gewährleistungsgehalt des Selbstbestimmungsrechts im Blick behalten. Wird die verfassungsrechtliche Gewährleistung als eine bewusste Privilegierung der Kirchen bei der Wahrnehmung gesellschaftlicher Verantwortung verstanden, so folgt daraus, dass es der Institution Kirche grundsätzlich möglich bleiben muss, die eigenen Angelegenheiten nach ihren Vorstellungen zu regeln, ohne zugleich stets irgendwelche willkürlich gewählten staatlichen Gemeinwohlerwägungen einbeziehen zu müssen. Stehen sich Kirche und Staat als Institutionen gegenüber, in deren Verhältnis nach der verfassungsrechtlichen Ausgestaltung grundsätzlich die eigenständig getroffene kirchliche Regelung in den eigenen Angelegenheiten den Vorrang hat, darf diese Freiheit zur Regelung nicht durch die Absenkung der Schrankenanforderungen gleichsam durch die Hintertür wieder aufgehoben werden. Vielmehr ist zu beachten, dass der Institution Kirche durch die Verfassung eine eigenständige Regelungskompetenz zuerkannt ist, die nicht durch jedes einfache staatliche Gesetz zur Umsetzung beliebig gewählter Allgemeinwohlinteressen beeinflusst und beschränkt werden kann.142

Bei der Garantie des Selbstbestimmungsrechts handelt es sich nicht nur um eine freiheitsrechtliche Verbürgung mit Bezug auf die Religionsfreiheit, sondern sie geht weiter: Die Regelungskompetenz in den eigenen Angelegenheiten ist der Kirche unabhängig von der Religionsfreiheit institutionell gewährleistet. Damit hat die Garantie einen umfassenderen Gehalt als ein klassisches Freiheitsgrundrecht, das primär der Abwehr von Eingriffen in eine Freiheitsposition dient.143 Der Kirche wird nicht nur die Freiheit, sondern zusätzlich auch die grundsätzlich ausschließliche Kompetenz zur Regelung in den eigenen Angelegenheiten garantiert.144

Dieses Verhältnis von Kirche und Staat legt es nahe, Art. 137 Abs. 3 WRV als eine Kollisionsnorm zu begreifen.145 Die Frage nach der Verortung der Eigenrechtsmacht der Kirche im Verhältnis zur Rechtsmacht des Staates ähnelt nun freilich derjenigen Kollisionsproblematik, die sich stellt, wenn Rechtsvorschriften von Drittstaaten in der Bundesrepublik Deutschland einen Geltungsanspruch erheben.146 Die Anerkennung des Rechts von Drittstaaten in Deutschland erfolgt unter Anwendung des ordre-public-Vorbehalts; das Drittstaatrecht wird grundsätzlich anerkannt, es sei denn, dass es prägenden Grundannahmen der nationalen Rechtsordnung widerspricht.147 Ferner findet bei der Anerkennung ausländischer Rechtsnormen Beachtung, dass die grundgesetzlichen Annahmen beim Vorliegen eines Auslandssachverhalts eine andere Wertung erfahren können, als sie es bei reinen Inlandssachverhalten haben würden.148 Dieser kollisionsrechtliche Modus der Anerkennung kann auch für die Einwirkung kirchlicher Rechtsnormen auf den säkularen Rechtskreis herangezogen werden: Kirchliches Recht gilt danach grundsätzlich auch im staatlichen Rechtskreis; der Anerkennung des kirchlichen Rechts können nur bestimmte, besonders bedeutsame Grundsätze der staatlichen Rechtsordnung entgegengesetzt werden.

Durch den Rückgriff auf diesen kollisionsrechtlichen Anerkennungsmodus wird indessen der genaue materielle Inhalt der Schrankenklausel des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts – insbesondere also welche staatlich zu schützenden Rechtsgüter gegenüber einer kirchlichen Regelung unabdingbar und damit vom „ordre-public-Vorbehalt“ erfasst sind – noch nicht endgültig vorgegeben;149 die gegenüber dem kirchlichen Recht unabdingbaren und insoweit grenzziehenden Grundsätze der staatlichen Rechtsordnung sind vielmehr eigens zu bestimmen. Für die in der Bundesrepublik Deutschland geltende Rechtsordnung formuliert nun allerdings zweifelsohne das Grundgesetz die wesentlichen und prägenden Grundannahmen. Daher ist es das gesamte Verfassungsrecht, das als Grenze und Maßstab für die Anerkennung kirchlicher Regelungen dient und „das für alle geltende Gesetz“ der Schrankenbestimmung inhaltlich konkretisiert.150 Dies ist auch insoweit selbstverständlich, als das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen in die Verfassungsordnung eingebunden ist und damit dem Prinzip der Einheit der Verfassung Rechnung tragen muss. Auf diese Weise ist der Bedeutung des Selbstbestimmungsrechts in möglichst weitgehender Weise zur Geltung verholfen, während zugleich das Grundgepräge des Staates nicht in Frage gestellt wird.151 Die Trennung von Kirche und Staat – verstanden als möglichst weitgehende Freiheit beider Institutionen voneinander – wird so unter Berücksichtigung der Wertungen des Grundgesetzes vollzogen. Dieser Wertung steht auch nicht entgegen, dass insoweit ein Gleichlauf mit der allgemeinen Dogmatik zur Beschränkung durch kollidierendes Verfassungsrecht zu beobachten ist; unter der Weimarer Verfassung war diese Dogmatik noch nicht entwickelt, sodass der Schrankenformel des Art. 137 Abs. 3 WRV zum Entstehungszeitpunkt durchaus eine eigene Bedeutung zukam.152

Als für alle geltendes Gesetz können demnach grundsätzlich nur Rechtsgüter mit Verfassungsrang berücksichtigt werden. Konkret bedeutet dies, dass sich die Kirchen uneingeschränkt selbst organisieren und verwalten können und ihre in Ausübung dieser Befugnis getroffenen Regelungen auch im staatlichen Rechtskreis Anerkennung finden, soweit sie andere Verfassungspositionen respektierten. Für den kirchlichen Gesetzgeber ist es deshalb aber auch zwingend, dass er bei der Regelung der eigenen Angelegenheiten gegenläufigen Verfassungsgütern und damit verbundenen staatlichen Schutzverpflichtungen Rechnung trägt.153 Damit beweist die Kirche ihrerseits, dass sie nicht in einem rechtsfreien Raum, sondern innerhalb der von der Verfassungsordnung vorgegebenen Regelungsräume agiert. Verzichtet die Kirche auf eine entsprechende Rücksichtnahme, haben ihre Regelungen zwar innerkirchlich noch Verbindlichkeit, verlieren allerdings ihre Anerkennung im staatlichen Rechtskreis.154

Für die Überprüfung, ob eine kirchliche Regelung in ausreichender Weise gegenläufige Verfassungspositionen berücksichtigt, ist aufgrund der Kollisionsregel des Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 3 WRV der Staat zuständig. Dies folgt bereits daraus, dass es sich bei der Verfassung um staatliches Recht handelt und der Staat auch zum Schutz anderer Verfassungsgüter verpflichtet ist. Die Abwägung, ob widerstreitende Verfassungspositionen ausreichend zur Geltung gebracht sind, muss jedoch – ebenso wie die Überprüfung ausländischer Rechtssätze am ordre-public-Vorbehalt – berücksichtigen, dass die Einbindung der widerstreitenden Verfassungsgüter in der kirchlichen Regelung eine „Anpassung […] im Hinblick auf die Erfordernisse des kirchlichen Auftrags“ notwendig macht.155 Insoweit kommt dem kirchlichen Gesetzgeber eine Einschätzungsprärogative zu, wenn er die widerstreitenden Verfassungsgüter in Ausgleich bringt und hierzu eine Gewichtung vornimmt, in welchem Umfang sich das jeweilige Verfassungsgut verwirklicht. Zu beachten ist also, dass im Rahmen einer Prüfung der Einhaltung des Schrankenvorbehalts die Abwägung zu einem bestimmten Teil auch immer durch das Selbstverständnis der Kirche beeinflusst wird; der kirchliche Gesetzgeber muss sein Selbstverständnis benennen und die jeweilige Gewichtung des eigenen Selbstverständnisses im Verhältnis zu der Gegenposition vornehmen.156 Auf diese Weise kann das Selbstbestimmungsrecht der Kirche auch eine gewisse Aufwertung gegenüber möglichen widerstreitenden Verfassungspositionen erfahren. Der Prüfungsmaßstab ist folglich gegenüber einer einfachen Abwägung von Verfassungsgütern modifiziert.157 Die konkrete Ausgestaltung ist staatlicherseits nur eingeschränkt daraufhin zu überprüfen, ob der von der Kirche vorgenommene Ausgleich willkürlich ist oder den Wesensgehalt der widerstreitenden Verfassungspositionen nicht beachtet. Der institutionelle Charakter des Selbstbestimmungsrechts erfordert folglich eine asymmetrische Abwägung zwischen dem Selbstbestimmungsrecht und den verfassungsrechtlichen Gegenpositionen.158 Vor diesem Hintergrund erweist sich auch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, die innerhalb der Abwägung des Selbstbestimmungsrechts mit gegenläufigen staatlichen Interessen ersterem ein besonderes Gewicht zuspricht,159 als zutreffend, wenngleich das Bundesverfassungsgericht das besondere Gewicht des Selbstbestimmungsrechts auf die grundrechtlich verbürgte Religionsfreiheit zurückführt.160

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