Читать книгу: «Seewölfe Paket 7», страница 13
Der Decksälteste stieß einen Fluch aus.
„Verdammt noch mal, so viele Kakerlaken gibt es auf der ganzen Welt nicht wie hier. Na wartet, ihr Biester, nicht mehr lange und ihr könnt auf dem Meeresgrund marschieren.“
Kleine Säcke voller Reis entdeckten sie, aber Dan verzog angewidert das Gesicht.
„Wenn man nichts mehr hat, ist er ja ganz gut, aber unser Vorrat reicht bis an unser Lebensende.“
Olivenöl in Fässern wurde gefunden, es stank so entsetzlich, daß Hasard sich die Nase zuhielt.
„Es hat den Anschein, als wäre das Schiff den gleichen Kurs gesegelt wie wir“, sagte er. „Es muß im Land des Großen Chan gewesen sein oder auf einer der Inseln, wo es Reis gibt.“
Dan O’Flynn war schon wieder verschwunden. Er hatte den Ehrgeiz, diese sogenannten Roteiros doch noch zu finden, und er war sich sicher, daß der Kapitän sie irgendwo versteckt hatte.
Die Karten entdeckte er jedoch trotz intensivster Suche nicht, dafür fand er in einem Versteck handliche Fässer bis obenhin gefüllt mit Malagawein. Daneben befanden sich andere Fässer, die scharf riechenden Schnaps enthielten.
„Nehmen wir alles mit“, sagte Hasard. „Was soll es auf dem Meeresgrund vergammeln, wo niemand etwas davon hat. Wir holen das Zeug sofort und stapeln es in der Kuhl.“
So geschah es, und gleich darauf stapelte sich in der Kuhl wieder ein ansehnlicher Berg.
„Eigentlich hätten wir das viel leichter haben können“, überlegte Dan laut. „Für uns wäre es doch eine Kleinigkeit gewesen, mit vier Mann den Kasten in die Bucht zu segeln und ihn dort auf Grund zu setzen.“
„Nein, das wollte ich nicht“, sagte der Seewolf, „unter anderem auch wegen der beiden Toten nicht. Die ‚Tierra‘ soll ihr Grab bleiben, das auf See untergeht und nicht in einer Bucht auf seichtem Sand, wo es die Kopfjäger später ausplündern. Außerdem möchte ich mir nicht nachsagen lassen, wir hätten eine spanische Mannschaft umgebracht, um uns an ihren Schätzen zu bereichern.“
„Aber wer sollte das denn sagen?“ fragte Dan.
„Es könnte uns zufällig ein Spanier entdecken, ein Portugiese oder sogar ein Landsmann von uns. Und wie willst du einem tobsüchtigen Spanier erklären, daß wir es nicht waren? Da bleibt keine Zeit für Erklärungen, und glaubhaft ist es auch nicht. Aus diesen Gründen habe ich es nicht getan.“
„Verstehe“, sagte Dan, „ist auch besser so.“
Smoky blickte über das Schanzkleid.
„Ed kehrt zurück“, sagte er. „Und wir sind wieder ein Stück tiefer abgesackt. Lange hält sich das alte Mädchen nicht mehr.“
Das Schiff lag träge im Wasser und bewegte sich kaum noch. Der schwache Wind war nicht imstande, es weiter an die Küste zu blasen. Aber es kriegte Schlagseite und wurde kopflastig, und es schwankte plump in der See.
Der Profos legte an und enterte auf. Die Leiter brauchte er dazu nicht mehr, es war nur ein Katzensprung.
„Jeder wollte mit und sehen, was hier los ist“, sagte er. „Ich mußte die Kerle erst freundlich fragen, wie wir wohl das Zeug von Bord schaffen sollen, wenn jeder seinen neugierigen Rüssel hier an Deck steckt.“
Wie freundlich Ed ihnen das gesagt hatte, konnte Hasard sich lebhaft vorstellen. Ganz bestimmt hatte der Profos in seiner leisen bescheidenen Art zärtlich geflüstert.
Da fiel sein Blick auf die Fässer, und seine Augen wurden rund und groß.
„Sieht nach Schnapsfäßchen und Wein aus“, sagte er andächtig. „Man sollte direkt probieren, ob das Zeug noch gut ist, sonst schleppen wir es umsonst mit.“
„Probiere lieber mal, wie viele Kugeln noch ins Boot passen“, riet Hasard dem Profos, dessen liebevoll verklärter Blick die kleinen Fässer geradezu verhätschelte.
Wieder wurde das Boot vollgeladen bis nichts mehr hineinging, dann segelte Ed los.
„Der Rest gibt gerade noch ein Boot voll, uns vier eingerechnet“, überlegte Hasard. „Bis dahin wird es auch soweit sein, daß die ‚Tierra‘ auf Tiefe geht.“
Wie ein dicker Schwamm sog sich das Schiff voll. Anfangs hatte man leichtes Gurgeln und Schwappen vernommen, aber jetzt waren diese Geräusche verklungen.
Eine unheimliche Stille breitete sich aus. In den Pardunen sang kein Wind, Tauwerk und Blöcke knarrten nicht, und selbst die kleinen Wellen schienen dem Schiff auszuweichen, um es nicht in seiner Todesstunde zu stören.
„Mir tut es jedes Mal in der Seele weh, wenn so ein Schiff untergeht“, grübelte Smoky laut. „Das ist wie eine Beerdigung von etwas, das man gern hatte, das lebte und mit dem man verwachsen war.“
„Das liegt an der Seele des Schiffes“, erklärte Dan, „jedes Schiff hat eine.“
Er hatte kaum das letzte Wort ausgesprochen, als ein harter Ruck die ‚Tierra‘ erschütterte. Irgendwo im Innern barsten Planken.
Die Männer sahen sich an. Smoky kratzte mit dem Finger seine Bartstoppeln am Kinn.
„Hoffentlich müssen wir nicht noch schwimmen, denn hier an Bord gibt es kein einziges Beiboot. Die haben wahrscheinlich die Wilden geklaut.“
Das nächste Krachen ertönte. Einer der Masten erzitterte so stark, als würde er aus dem Kielschwein gerissen.
Langsam wurde Smoky nervös und hielt nach Ed Ausschau, der aber noch nicht zu sehen war. Wenn er an das haiverseuchte Wasser dachte und daran, daß sie vielleicht eine ganze Strecke schwimmen mußten, wurde ihm ausgesprochen mulmig.
Das Knacken und Krachen ertönte jetzt an mehreren Stellen, das Schiff zitterte und bebte und neigte sich weiter auf den Bug.
Die Kugeln rollten polternd über Deck nach vorn, auch die Fässer bewegten sich.
„Mist verdammter“, fluchte Dan.
Nur der Seewolf sagte nichts. Gelassen blickte er die beiden Männer an und grinste dann.
„Habt ihr Angst, daß eure Affenärsche naß werden?“ fragte er.
„Angst, daß die Haie daran knabbern“, entgegnete Smoky. „Es gibt hier verdammt viele von den Burschen.“
„Ed ist schon im Anmarsch“, sagte Hasard.
Das sinkende Schiff gab Laute von sich wie ein zu Tode getroffenes Tier. Überall ächzte, stöhnte und knarrte es jetzt, und mehrmals schien es den Versuch zu unternehmen, sich steil auf den Bug zu stellen. Aber irgend etwas verhinderte das, vermutlich ein Raum, in den noch kein Wasser gedrungen war und der Auftrieb gab.
Carberry legte an und pfiff durch die Zähne.
„Die beeilt sich aber, die Tante“, sagte er und flankte in die Kuhl.
„Laß alles stehen und liegen“, sagte Smoky, „sie säuft jeden Augenblick ab oder fliegt auseinander.“
„Die Schnaps- und Weinfässer liegenlassen?“ rief der Profos mit blitzenden Augen. „Hat die Welt so was schon gehört! Das Schiff hat noch fast eine Handbreit Freibord.“
In aller Eile mannten sie weiterhin Fässer, Kugeln und die kleinen Tonnen mit Schießpulver ins Boot.
Der Profos ließ nichts liegen. Das wäre ja noch schöner, dachte er, daß die Fässer mit dem wertvollen Gesöff einfach untergingen.
Schließlich hatten sie alles verstaut und gingen von Bord.
Träge segelte das Beiboot davon, wieder schwer beladen.
„Da hätten wir noch mehr Fässer holen können“, sagte Carberry, „der Kahn hält sich noch.“
„Man sieht es“, erwiderte Smoky sarkastisch.
Der Großmast neigte sich langsam zur Seite, das Deck wölbte sich auf, Planken zerfetzten knirschend, und dann stürzte der schwere Mast um, die Rahen wirbelten wie Bäume davon und ein schmetternder Schlag überlagerte jedes andere Geräusch, als das Schanzkleid in tausend Trümmer zerschlagen wurde.
Die Wanten, die den Mast gestützt hatten, waren wie morsches Tauwerk zersprungen.
Die „Tierra“ ging auf Tiefe, den zersplitterten Mast nach sich ziehend, der sich wie ein gigantischer Finger noch einmal aufrichtete und anklagend in den Himmel wies.
Wasserwirbel schäumten, ein trichterartiger Sog bildete sich, und in dessen Riesenstrudel verschwand das spanische Schiff.
Als der Sog sich gelegt hatte, stiegen Trümmer aus dem Meer, eine Rah, ein paar Planken und Balkenteile.
Carberry schüttelte sich unbehaglich.
Auf der „Isabella“ wurden sie mit Hallo empfangen. Der Profos hatte den Männern in groben Zügen erklärt, was vermutlich an Bord des Spaniers vorgefallen war.
„Habt ihr keine Lebensmittel entdeckt?“ fragte der Kutscher besorgt.
„Ranziges Olivenöl, ein paar Säcke Reis und Mehl, in dem sich mehr Kakerlaken tummelten, als man sich vorstellen kann“, zählte Hasard auf. „Mehr befand sich nicht an Bord, leider.“
„Und dabei brauchen wir so bitter nötig Frischfleisch und alles andere.“
„Wir laufen eine andere Bucht an, sobald wir fertig sind“, versprach der Seewolf. „Irgendwo an der Küste wird es ganz sicher auch Fischerdörfer geben, wo wir etwas kriegen oder selbst etwas jagen können. Es müssen ja nicht alle Eingeborenen Kopfjäger sein.“
Mit allen verfügbaren Kräften wurden die Arbeiten am Schiff vorangetrieben. Es begann bei der morgendlichen Dämmerung und wurde fortgesetzt, bis es dunkel wurde.
Big Old Shane schlug vor, auch während der Dunkelheit zu arbeiten, später könne man sich ja ausruhen, und ein paar Tage Knochenarbeit würden keinem schaden.
Davon wollte Hasard jedoch nichts wissen.
„Sieh mal, Shane“, sagte er zu seinem väterlichen Freund, „wir wissen über die Eingeborenen gar nichts, und wenn wir nachts im Licht der Fackeln arbeiten, können sie aus dem Dschungel heraus jeden Mann töten, den sie wollen. Vielleicht haben sie uns noch gar nicht entdeckt, vielleicht trauen sie sich nachts auch nicht heraus, aber das Risiko ist mir zu groß, verstehst du?“
Klar verstand ihn Big Old Shane, er hatte daran nicht gedacht, weil sie bisher noch keinen der Eingeborenen gesehen hatten.
Nochmals vergingen zwei Tage, bis die Arbeiten beendet waren. Noch in derselben Nacht segelte die „Isabella“ los.
8.
Ihr weiterer Törn führte sie an der Küste entlang in Richtung Tandjung Datu.
Vergebens hatten sie nach dem Dorf der Kopfjäger Ausschau gehalten. Es lag nicht direkt an der Küste und mußte tiefer im Inneren verborgen sein.
Ein weiterer Tag verging, an dem die Küstenlandschaft sich kaum veränderte. Mitunter trat das Dickicht etwas zurück und vereinzelte Palmen standen am Strand, dann wieder tauchten dichtbewachsene Hügelketten auf.
Langsam griff die Nervosität des Kutschers auch auf die anderen über. Es wurde höchste Zeit, daß sie etwas fanden oder mit Eingeborenen tauschen konnten.
Der nächste Morgen brachte dann die Überraschung.
Die „Isabella“ segelte an einer Landzunge vorbei, als der Ausguck ein „Stelzendorf“ meldete, Pfahlbauten, die am und im Wasser standen.
„Dort gehen wir vor Anker“, entschied Hasard.
Sie rundeten die Landzunge und erlebten die zweite Überraschung.
Aus den Hütten stürzten schreiende verstörte Eingeborene, schwarzhaarige dunkelhäutige Menschen, die um die Hüften bunte Tücher trugen.
Panikartig strebten Männlein, Weiblein und Kinder davon, hasteten in den angrenzenden Dschungel und verschwanden.
Der Seewolf runzelte die Stirn.
„Da wird der Kontakt schwierig werden“, meinte er, „die scheinen üble Erfahrungen hinter sich zu haben. Vielleicht haben sie die Bekanntschaft der Spanier erlebt, oder ihr Dorf ist von den Dons geplündert worden.“
Brighton starrte in den Dschungel, wohin die schreienden Menschen geflüchtet waren.
„Wenn wir friedlich hier liegen bleiben, werden sie nach und nach schon wieder erscheinen. Wir können ihnen ein paar Geschenke an den Strand legen und auf diese Art versuchen, Kontakt mit ihnen herzustellen“, sagte er.
„Das werden wir auch tun“, sagte Hasard.
Mit aufgegeiten Segeln lief die Galeone in die Bucht ein und ging vor Anker.
Es war eine weitausladende Bucht mit einem langen weißen Sandstrand, der von hohen Palmen gesäumt wurde. Erst weiter hinten begann Gestrüpp, dem sich der Dschungel anschloß.
Stundenlang warteten sie, ob sich einer der Eingeborenen blicken ließ. Aber die trauten sich nicht aus dem Urwald heraus.
„Fiert das Beiboot ab“, sagte Hasard. „Wir nehmen ein paar Messer mit, ein paar kleine Beile und pullen an Land. Irgendwann werden sie sich schon zeigen.“
„Musketen auch?“ fragte Ben.
Hasard zögerte.
„Nein“, entschied er dann, „keine Musketen, das könnte sie nur noch mehr verängstigen. Die Männer sollen lediglich ihre Pistolen einstecken und sie im Hosenbund verbergen.“
„Aye, aye. Wer geht an Land?“
„Nicht mehr als vier oder fünf Mann. Ich glaube nicht, daß es Kopfjäger sind, aber wissen kann man das nie. Die anderen sollen gut aufpassen.“
Hasard nahm diesmal Ferris Tukker, den Gambianeger Batuti und Blacky mit.
Als das Boot ablegte, sprang der Affe mit einem Satz hinein.
„Hoffentlich bist du gleich wieder an Bord, du Affe“, sagte Blacky, ergriff Arwenack und wollte ihn schwungvoll zurückbefördern.
„Laß ihn ruhig mit“, sagte Hasard. „Der Affe dürfte auf die Eingeborenen vertraut wirken. Durch seinen Anblick und daß er in unserer Begleitung ist, erscheinen wir möglicherweise friedfertig. Laß ihn also los.“
Hasard betrachtete das Dorf. Es bestand aus etwa fünfundzwanzig ärmlichen Hütten, die vom Strand aus bis ans Wasser gebaut waren und ausnahmslos auf Pfählen standen.
Als das Boot auf den Sand lief, sprang Hasard an Land, ließ sich die Messer und kleinen Beile geben und legte sie gut sichtbar an einer erhöhten Stelle in bunter Reihenfolge aus.
Dabei beobachtete er den Dschungel, aber dort rührte sich nichts, da gab es keine Bewegung, und dennoch hatte er das Gefühl, als würden ängstliche Augen ihn genau beobachten.
Er zog sich bis ans Wasser zurück und wartete.
Nach einer Stunde verlor er die Geduld.
„Zurück an Bord“, sagte er, „sie haben Angst und trauen sich nicht hervor, solange wir hier sind.“
„Einen Augenblick“, sagte Ferris Tucker, „ich habe eben eine Bewegung gesehen.“
„Wo ist das?“
„Bei der zweiten Palme auf der linken Seite, wo die hohen Büsche stehen. Da“, er griff nach Hasards Arm, „eine Frau ist das. Siehst du sie?“
„Ja, ich sehe sie.“
Die schlanke dunkelhäutige Frau trug einen rötlichen Schurz, sonst nichts. Sie trat aus dem Gebüsch, sah hinüber, versteckte sich aber sofort wieder.
Da ritt Arwenack der Teufel. Mit einem Satz war er aus dem Boot und flitzte den Strand hoch.
„Arwenack!“ schrie Batuti. „Mistvieh, sofort zurücklaufen!“
Der Schimpanse ließ sich nicht beirren. Er hatte schon lange keine Palmen mehr aus der Nähe gesehen und da mußte es ihn gepackt haben. Da benahm er sich wie ein Mensch.
Er jagte wild über den Sand, rannte übermütig herum, sprang mit einem Satz an der Palme hoch und erkletterte den Stamm. Dann sauste er keckernd wieder hinunter und gebärdete sich wie toll.
Mittlerweile war die Frau verschwunden.
Und dann, ganz plötzlich, war auch Arwenack weg. Der Affe verschwand einfach vor ihren Augen, als hätte er sich in Luft aufgelöst.
Hasard traute seinen Augen nicht.
„Wo ist der denn geblieben?“ fragte er verblüfft.
„Komisch“, sagte Tucker, „direkt hinter der Palme schien er in die Erde zu wachsen.“
Batuti rief seinen Namen, doch Arwenack blieb verschollen.
Jetzt ließ es Hasard keine Ruhe mehr. Gefolgt von den anderen lief er auf jene geheimnisvolle Stelle zu, an der Arwenack verschwunden war.
„Da, wo der Dschungel beginnt, muß es gewesen sein“, sagte Blacky.
Er, Batuti und Tucker taten noch ein paar Schritte, dann hatten sie nicht mal mehr Zeit, sich zu wundern.
Batuti sauste in eine Fallgrube, die so geschickt getarnt war, daß man sie nicht bemerkte.
Mit einem lauten Fluch landete er tief unten auf der Erde.
Blacky wußte überhaupt nicht, wie ihm geschah. Unversehens wurde er hoch in die Luft gehoben, um seinen Körper schlang sich ein festes Netz, das ihn wie einen Säugling einwikkelte und bis dicht unter den Wipfel der Palme katapultierte.
Auch der Seewolf hatte versehentlich etwas ausgelöst, das jetzt mit erschreckender Schnelligkeit auf ihn niedersauste. Er konnte sich gerade noch ducken, als ihm ein Fallgitter aus Bambusstäben hart ins Kreuz donnerte und ihm die Luft nahm. Benommen blieb er am Boden liegen.
Auch den Schiffszimmermann erwischte es schlagartig.
Ferris Tucker hing im erbarmungslosen Würgegriff eines Taues, das sich um seinen Hals geschlungen hatte und ihm die Luft abdrehte. Immer enger zog es sich zusammen, er war nicht in der Lage, sich zu wehren und erstickte fast.
An Bord war augenblicklich der Teufel los. Jeder hatte beobachtet, was da so blitzartig geschah, und jetzt, als aus dem Dschungel wildaussehende Eingeborene stürmten, um sich auf die wehrlosen Opfer zu stürzen, handelten die Seewölfe.
Mit Schiffshauern, Messern, Äxten, Belegnägeln und Spaken sprangen sie ins Wasser und liefen wutschnaubend die letzten Yards an Land.
Brighton, dem ein Licht aufging, hielt ein paar andere mit Gewalt zurück.
Aber Big Old Shane, Carberry, Smoky, der hitzige Luke Morgan und noch ein paar andere hatten sich nicht mehr halten lassen, als sie die tödliche Gefahr erkannten, in der der Seewolf und die drei anderen Kameraden schwebten.
Brighton konnte es ihnen nicht verübeln, daß sie so impulsiv handelten, aber er erkannte jetzt die hinterhältige Taktik der Eingeborenen, in deren tödliche Fallen jeder Fremde ahnungslos hineinlief.
Ein Kopfjägerstamm war es, nichts anderes, und auf diese Art und Weise mußte es auch die Spanier von der „Tierra“ erwischt haben. Gerade durch das kopflose Handeln der Mannschaften hatten sie leichtes Spiel gehabt und konnten auch noch den letzten Mann erwischen.
Ben Brighton verlor keine Sekunde lang die Übersicht. Er blieb kühl und gelassen und handelte auch danach.
Er besorgte sich eine Lunte und holte vom Kutscher Feuer. Gleichzeitig befahl er Al Conroy, die Stückpforten zu öffnen.
„Du kannst doch jetzt nicht …“, sagte Al.
„Tu, was ich dir sage“, sagte Ben hart. „Alle auf Backbord hoch, aber schnell.“
Die Stückpforten gingen hoch, die Culverinen waren ohnehin geladen, und Ben hielt die Lunte an das Zündkraut.
Ein dröhnender Knall erfolgte. Hinter dem Pulverschleier erkannte er, wie der Siebzehn-Pfünder in die Palme schlug und einen Hagel verursachte, der aus Kokosnüssen und zerfetzten Palmwedeln zu Boden prasselte.
Die Eingeborenen, die sich auf die Seewölfe stürzen wollten, verschwanden wie Schatten im Dschungel. Ben Brighton fluchte vor Wut lang und anhaltend, als er den zweiten Siebzehnpfünder in den Urwald jagte.
Er fluchte über die Seewölfe, die wie die Blinden in die überall lauernden Fallen rannten.
Die gesamte Bucht war damit gespickt.
Einer nach dem anderen sauste in Fallgruben, einen Fluch auf den Lippen, Verwünschungen murmelnd.
Smoky zappelte in einem Netz, Luke Morgan hing wie eine reife Pflaume unter einer anderen Palme, und Carberry rannte brüllend wie ein gereizter Stier hin und her, seinen Belegnagel schwingend, um ihn auf Köpfe zu donnern, die längst nicht mehr da waren.
Nach dem zweiten Schuß aus der Culverine erschienen die Eingeborenen blitzschnell und in breiter Phalanx. Mit Speeren und hölzeren Keulen bewaffnet, rückten sie gegen Big Old Shane und den Profos vor.
Brighton konnte nicht mehr feuern, ohne die eigenen Leute ernsthaft zu gefährden, und so griff er zur Muskete, lehnte sie auf den Handlauf des Schanzkleides und zielte.
Die restlichen an Bord befindlichen Seewölfe feuerten ebenfalls ihre Musketen ab und schlugen Breschen in die Angreifer.
Carberry kämpfte wild um sein Leben. Sein Belegnagel traf auf Köpfe, er entriß einem der Kopfjäger den Speer, drosch wie mit einem Flegel um sich und mähte auf Anhieb fünf Wilde nieder.
Er und Shane kämpften Rücken an Rücken, nach bewährter Methode wie immer, und hieben voller Wut um sich.
Doch die Übermacht war zu groß.
Brighton, der das alles in ohnmächtigem Zorn verfolgte, entschloß sich, doch noch mit den Culverinen weiterzufeuern.
Der harte Knall erzielte immer eine gewisse Wirkung, auch wenn die Kugeln weit vom Ziel lagen. Er bewirkte, daß die Wilden immer wieder innehielten, sich etwas zurückzogen und erst danach zu einem neuen Angriff sammelten.
„Gleich wieder nachladen, Al!“ rief er dem Waffenmeister zu, doch der verstand sein Handwerk besser als alle anderen und nickte nur hastig.
Matt Davies legte einen Angreifer mit einem Musketenschuß flach auf den Boden, und da hatte Ben Brighton plötzlich eine Idee.
„Matt!“ rief er. „Hole zwei von den neuartigen Brandsätzen, die mit der starken Ladung, los hau ab!“
Mit so einem Brandsatz hatten die Eingeborenen ganz sicher noch keine Bekanntschaft geschlossen, und vielleicht würde der ihre krausen Gehirne wieder auf Kurs bringen.
„Hier sind sie“, sagte Matt keuchend und schob den ersten der „Chinesischen Pfeile“ in die tragbare Halterung.
Diese neuartigen Brandsätze hatten außer ihrer verheerenden Wirkung auch noch einen moralischen Effekt.
Nach dem Abschuß erzeugten sie ein schrecklich anzuhörendes, ekelhaft pfeifendes Geräusch, das einem die Haare zu Berge stehen ließ. Ben hatte noch keinen gesehen, der sich nicht unwillkürlich dabei duckte und das Gesicht verzog, in der Annahme, der Teufel persönlich schwebe über ihm in der Luft und würde sich mit Wutgeheul auf seine arme Seele stürzen.
Er hielt den Brandsatz fest, drehte das Gestell etwas herum und richtete ihn auf die Hütten. Diese Teufel würden sich jetzt verdammt wundern.
Dann jagte das Ding los. Ben Brighton hielt sich bei dem entnervenden Höllenkonzert selbst die Ohren zu.
Auf einem grauweißen Schweif fauchte er schreiend und pfeifend wie tausend kleine Teufel in den Himmel.
Das Schrillen und Heulen nahm zu, und am Strand trat augenblicklich eine Wandlung ein.
Beim ersten grellen Jaulen zuckten die Wilden zusammen. Dann sahen sie den Schweif aus Rauch und Feuer, hörten die tausend Höllenteufel immer entsetzlicher kreischen und warfen sich voller unbeschreiblicher Angst flach in den Sand.
Für die Seewölfe war das nichts Neues, sie kannten das Geräusch und wußten um die Wirkung.
Carberry und Shane sammelten die Speere ein, und der Profos konnte es nicht lassen, ab und zu einen der entnervten Wilden am Genick hochzuheben, um ihm ein paar saftige Hiebe zu verpassen.
Dann warf er sie wie Lumpen in den Sand zurück, ohne daß sich einer von ihnen auch nur zur Wehr setzte.
Aber noch war das Höllenkonzert nicht vorbei.
Als sich gleich darauf blutroter und grellgrüner Regen vom Himmel in großen Tropfen ergoß, war es um die Beherrschung der Wilden endgültig geschehen.
Kriechend, robbend und zähneklappernd bewegten sie sich davon, dem rettenden Urwald zu.
Dann stellten sie fest, daß sich der furchtbare Regen auf ihre Hütten ergoß und am Strand ein gewaltiges Feuer aufflackerte.
Sämtliche Hütten standen in Flammen, Feuersäulen gleich, die auf dünnen spinnigen Beinen standen.
„Eine gute Idee ist manchmal viel wert“, sagte der Profos anerkennend. Dabei bewegte er sich vorsichtig auf die Fallgruben zu und starrte hinunter.
In der einen hockten einträchtig Batuti und der Schimpanse beieinander und blickten aus großen Augen zu ihm auf. Die Gruben waren so tief angelegt, daß ein Mann ohne fremde Hilfe nicht mehr heraus konnte.
„Geduld, Batuti“, sagte der Profos. „Wir holen Taue, du bist gleich draußen.“
Von den Eingeborenen ließ sich keiner mehr blicken, bis auf einen, der vor Angst nicht kriechen konnte.
Carberry packte die schlotternde Gestalt, prügelte sie windelweich und jagte den entnervten Burschen mit Fußtritten davon. Dabei brüllte er mit seiner Donnerstimme nach einem langen Tau, und daß es ja keiner wagen solle, das zweite Beiboot zu benutzen.
Hasard war wieder auf den Beinen. Sein Kreuz schmerzte, und er verzog das Gesicht, nachdem sie ihn von dem Bambusgitter befreit hatten.
Nur Blacky kriegten sie nicht herunter. Der brüllte, fluchte und bettelte, man möge ihn endlich abfieren. Leider wußte niemand, wie das ging, und so schnitt der Profos kurzerhand den Strick durch, der den seltsamen Mechanismus hielt.
Blacky landete mit dem Hintern voran im Sand, fluchte, wollte aufstehen und verhedderte sich immer mehr in dem Netz.
Ferris Tucker war bewußtlos, als Shane ihn aus der teuflischen Schlinge befreit hatte. Er schleppte ihn zum Strand, stieg über die toten Eingeborenen weg und schaufelte Hände voller Seewasser über den rothaarigen Hünen, bis der mit schmerzverzerrtem Gesicht endlich die Augen aufschlug.
„Hölle und Teufel“, sagte Tucker heiser. „Jetzt weiß ich, wie das ist, wenn man an die Rah gehängt wird. Wo sind diese lausigen Teufel?“
Er sah die brennenden Hütten und die schwarze Qualmwolke, die sich am Strand erhob.
„Brandsätze, wie?“
Shane nickte freundlich.
„Quatsch jetzt nicht so viel, dein Hals ist ganz rot und stark geschwollen.“
Bob Grey brachte das Tau, und einer nach dem anderen wurde aus der Grube gehievt.
„Zurück zum Wasser“, ordnete Hasard an, der sich von der teuflischen Überraschung wieder erholt hatte.
„Sind alle befreit, oder steckt noch einer irgendwo drin?“ fragte Ed.
„Vorsicht!“ brüllte Shane laut, aber da war es schon zu spät.
Shane hatte Sand rieseln sehen, doch seine Warnung nutzte dem gewichtigen Profos nichts mehr, denn auch er trat auf eine der raffiniert angelegten Fallgruben, von denen es hier nur so wimmelte und die man meist zu spät sah, wenn überhaupt.
Mit einem Fluch, der Carberry alle Ehre antat, sauste der Profos abwärts. Er hieb mit den Armen um sich, doch bevor er noch Luft holen konnte, war er schon hart gelandet. Von oben rieselte Sand nach und bedeckte seinen Schädel.
„Jetzt könnt ihr meinetwegen lachen!“ brüllte Ed. „Und wenn ihr euch beruhigt habt, könnt ihr mich hochziehen.“
Es lachte jedoch niemand, das Lachen war ihnen gründlich vergangen, denn die meisten waren nur um Haaresbreite dem sicheren Tod entronnen.
Als sie Ed hochhievten, brach die Grube immer weiter ein, und immer wieder fiel der Sand nach.
Hier hatten die Wilden Unmengen von Sand ausgehoben, tiefe Gruben angelegt und die Innenseite mit lehmdurchsetzten Fasern aus Kokos verstärkt, damit sie nicht zusammenbrachen. Der heiße Sand trocknete das Gemisch steinhart.
Über die Grube waren verdorrte Palmwedel gelegt worden, eine Lage quer, die nächste anders herum. Darüber befand sich wieder eine dünne Schicht aus Fasern, und darauf hatten sie Sand gehäuft. Niemand sah diese Gruben, und das entschuldigte auch ihren buchstäblichen Reinfall.
Die Hütten fielen brennend auseinander, glühende Teile landeten im Wasser und verlöschten. Jetzt brannten nur noch die Pfähle, auf denen die Hütten gestanden hatten.
„Ich glaube, die haben die Schnauze voll“, sagte Ed, wobei er Sand ausspie und seine Worte mit lästerlichen Flüchen spickte.
„Vor allem sind sie in nächster Zeit beschäftigt“, meinte der Seewolf. Mit der rechten Hand massierte er sein Genick, das immer noch höllisch schmerzte.
„Und für uns war es eine Lehre, wieder einmal“, fügte er bitter hinzu. „Das zeigt, daß man nie auslernt.“
„Mit derart raffinierten Methoden hat auch niemand gerechnet“, sagte Shane. „Wer denkt schon an Fallgruben und Netze, Würgeseile und Gitter, wenn er an Land geht.“
Hasard hatte genau den gleichen Gedanken wie Ben Brighton vorhin, und er sprach ihn auch aus.
„Dieses Davonrennen der Wilden war ein genau einkalkulierter Faktor. Das erweckte den Eindruck, als hätten sie furchtbare Angst vor uns, und damit lockten sie uns an Land. Uns wäre es ebenso ergangen wie den Spaniern, die vielleicht auch hier massakriert und dann an Stämme im Innern des Dschungels weitergereicht wurden. Da drüben steht noch eine Hütte“, sagte er unvermittelt und zeigte mit der ausgestreckten Hand auf eine kleine Hütte, die versteckt am Rand des Dschungels stand.
„Wir sehen sie uns einmal an, die Eingeborenen kehren so schnell nicht zurück, die hat die Angst fast wahnsinnig werden lassen. Nehmt aber trotzdem eure Waffen zur Hand und folgt mir ganz dicht am Wasser, da kann es wegen der ständig auflaufenden Flut keine Fallgruben geben.“
„Und nicht unter Palmen wandeln“, setzte Carberry hinzu, „sonst hängt ihr als Kokosnüsse in den Wipfeln.“
Der Trupp watete vorsichtig durchs Wasser, wo nichts zu befürchten war und es keine Gruben gab.
Vor der Hütte blieben sie stehen, blickten in den Dschungel, hielten die Waffen schußbereit und lauerten.
Es war eine längliche, mit Palmenwedeln gedeckte Hütte, die auf der rechten Seite offen war.
Hasard blickte hinein.
Aus der Froschperspektive grinsten ihn vier Schrumpfköpfe an, die an langen Fäden bis zum Boden hingen.
Die Tsantas waren auf Faustgröße zusammengeschrumpft und sahen schrecklich aus mit den zugenähten Lippen und den langen Haaren.
Auf der Rückseite der Hütte hing ein ganzes Bündel.
„Europäer“, sagte Smoky schlukkend, „mit Sicherheit Spanier oder Portugiesen, die in die Falle gelaufen sind.“
Deutlich waren die Gesichtszüge zu erkennen, und bei dem Anblick kroch den abgebrühten Männern das Grauen über den Körper. Fast jeder kriegte eine Gänsehaut oder ein ekelhaftes Ziehen im Genick.
„Das könnten wir sein“, sagte der Seewolf. „Genauso wäre es auch uns ergangen, wenn Ben nicht so blitzschnell eingegriffen hätte.“
Immer wieder suchten sie mißtrauisch den Dschungel ab, ob sich etwas rührte oder etwas zu erkennen war.
Tiefe Stille herrschte, die erst durchbrochen wurde, als Carberry mit ein paar wütenden Tritten die Hütte in Trümmer legte, bis nur noch ein paar schmächtige Balken übrig blieben.
„Zurück an Bord“, sagte Hasard. „Wir segeln weiter.“
Schweigend kehrten sie ans Wasser zurück, bestiegen das Boot und warfen einen letzten Blick auf die Toten, die am Strand lagen.
Es war mehr als ein Dutzend.
Etwas später enterte Hasard auf, gefolgt von den anderen, die Ben vorwurfsvoll und mit derben Worten empfing.
„Immer müßt ihr wie die Wilden losrennen“, sagte er. „Genau darauf haben diese Teufel doch nur gewartet. Ging das nicht in eure verdammten Holzköpfe hinein?“
„Laß sie“, sagte Hasard. „Ich habe es ihnen schon erklärt, und jeder hat die Schrumpfköpfe gesehen, die in der kleinen Hütte hingen.“