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2.
Nach dem Verlassen Borneos war es wirklich der erste Zipfel Erde, den die Seewölfe wiedersahen. Sie traten ans Schanzkleid ihres Schiffes, hoben Kieker vor die Augen und hielten mit gemischten Gefühlen Ausschau.
Hasard stand am Steuerbordschanzkleid im vorderen Bereich des Achterdecks. Er ließ das Spektiv sinken und sagte zu Ben, Ferris und Shane, die sich hinter ihm befanden: „Kein Festland, eine Insel, wie ich erwartet habe. Die Angaben auf den Karten erweisen sich wieder als ausgesprochen präzise.“
„Wir haben also den Kepulauan Riau vor uns?“ fragte Ferris Tucker.
„Ja, den Riau-Archipel.“ Hasard nahm noch einmal das Spektiv zu Hilfe und präzisierte dann: „Es muß sich um eine der kleineren, am weitesten nach Osten versetzt liegenden Inseln handeln.“
„Wir laufen sie nicht an?“ Ben Brighton warf Hasard einen Seitenblick zu.
„Ich habe es nicht vor. Haben wir Proviant- oder Trinkwasserprobleme, Ben?“
„Zur Zeit nicht.“
„Fast in der ganzen Malakkastraße befinden sich Inseln“, sagte der Seewolf. „In den nächsten Tagen haben wir also noch ausreichend Gelegenheit, uns an Land die Beine zu vertreten.“
„Sir!“ schrie Bill plötzlich. „Auf der Insel sehe ich etwas, das – ich glaube, das ist Feuer!“
„Ich ziehe dir die Haut in Streifen ab, wenn du dich nicht klarer ausdrückst, du karierter Decksaffe!“ brüllte Carberry von der Kuhl.
Hasard schaute noch einmal durch sein Spektiv, konnte im Rund der Optik aber keinen Feuerschein erkennen.
„Der Junge täuscht sich“, murmelte er. „Vielleicht hat ihn irgendein Sonnenreflex irritiert.“
Bill meldete sich jetzt aber wieder: „Sir, da brennt was ab, ich sehe es ganz deutlich!“
Hasard begab sich daraufhin auf die Kuhl, steckte das Spektiv weg und enterte selbst in den Großmars auf. Er kletterte zu Bill hinter die Segeltuchverkleidung der großen Plattform, spähte mit dem Glas nach West-Nord-West und bestätigte Sekunden später: „Es stimmt, Bill. Der Brand scheint am Leeufer der Insel entfacht worden zu sein, also im Südwesten. Daher konntest nur du ihn von deinem erhöhten Standort aus sehen.“
„Ja, Sir“, antwortete der Junge aufgeregt. „Was hat das Feuer zu bedeuten?“
Der Seewolf beobachtete unverwandt die Flammen, die einen wabernden Teppich über die Konturen der Insel legten. Er wußte sich selbst noch keinen Reim auf die Erscheinung zu bilden, hatte aber bereits beschlossen, die Sache nicht unbeachtet zu lassen.
Welche Ursachen mochte es für den Brand geben? Selbstentzündung? Nein, der tropische Regenwald war so feucht, daß jede Glut, die der Sonnenglast eventuell hineinfraß, sofort wieder erlöschen mußte.
Hatten Eingeborene das Feuer gelegt, um Teile der Flora abzufackeln, um vielleicht Lichtungen zu schaffen, auf denen sie neue Häuser bauen und Pflanzungen einrichten konnten? Hasard hielt auch das für sehr unwahrscheinlich. Meistens gaben sich die Eingeborenen mit dem zufrieden, was sie ihrer Umgebung so abgewinnen konnten, und mit dem Feuer scherzten sie auf keinen Fall. Was den Anbau von Früchten und Gemüse betraf, würden die Inselbewohner dafür keinesfalls einen Kahlschlag schaffen, denn sie waren mit Sicherheit Fischer, allenfalls noch Jäger.
Menschen schienen aber auf jeden Fall die Urheber der Feuersbrunst zu sein. Hasard erinnerte sich daran, daß Sun Lo, der Mönch von Formosa, ihm über gewisse Riten der Malaien berichtet hatte, bei denen Feuer eine wesentliche Rolle spielte.
Auf Bali, einer Insel weiter im Osten, sollten Tote beispielsweise an hölzernen Tiersymbolen aufgehängt und dann verbrannt werden, wobei es seltsamerweise sehr lustig zuging.
Fand dort, auf dem kleinen Eiland, ein derartiger Ritus statt? Für die Seewölfe wäre es kein Grund gewesen, sich die Angelegenheit aus der Nähe zu betrachten. Die Eingeborenen wollten bei einem solchen Zeremoniell gewiß nicht gestört werden.
„Möglich, daß es sich um Lagerfeuer handelt, Sir“, sagte Bill.
„Am hellichten Tag? Kaum. Außerdem lodern die Flammen zu hoch.“ Der Seewolf senkte das Spektiv. „Irgend etwas stimmt da nicht, und ich würde einiges darauf verwetten, daß unsere lieben Freunde, die Spanier, die Hände im Spiel haben. Weißt du was? Ich bin neugierig.“
„Das heißt …“
„Wir laufen die Insel an und sehen nach, wer das Freudenfeuer angezündet hat – und warum.“ Hasard richtete sich auf, beugte sich über die Großmarsumrandung und teilte den von unten heraufblickenden Männern seine Anweisungen mit.
Carberry ließ die Schoten noch etwas dichter holen, und Pete Ballie bewegte das Ruderrad. Die „Isabella VIII.“ luvte an und fuhr, mit Steuerbordhalsen und auf Backbordbug liegend, hoch am Wind auf Kurs West-Nord-West auf die Insel zu.
Hasard harrte im Großmars aus und ließ das Feuer nicht mehr aus den Augen.
Die Soldaten hatten auch die letzte Hütte in Brand gesetzt, und der Teniente Savero de Almenara schritt vor der glutigen, heißen Flammenwand dem zehn Mann starken Trupp entgegen, der die Dorfbewohner in den Inselwald hinein verfolgt hatte.
Ein Sargento war der Anführer des Trupps. Etwas außer Atem meldete er dem Teniente: „Nichts, nichts und wieder nichts. In dem verdammten Dschungel verliert sich jede Spur. Mag der Teufel wissen, wohin sich dieses Drecksvolk verkrochen hat.“
„Wir finden es heraus“, sagte de Almenara gepreßt. „Wir kriegen diese Bastarde, das schwöre ich euch – bei meiner Ehre.“ Er war ein echter Hidalgo, der Abkömmling einer verarmten Adelsfamilie andalusischen Geblüts, und in Sachen Stolz und Ehrgeiz schlug sein Herz besonders hoch. „So groß ist die Insel nicht“, erklärte er. „Wir stöbern sie auf, alle, und dann gnade ihnen Gott!“
Er wandte sich mit geballten Händen der Bucht zu.
Das Dorf lag schätzungsweise zwanzig Fuß über dem Meeresspiegel und war von den malaiischen Fischern klugerweise auf einer Anhöhe errichtet worden, damit die Flut den Hütten nichts anhaben konnte und man etwaige Angreifer schon von weitem sichten konnte.
An diesem Nachmittag hatte der Vorteil, von einem erhöhten Punkt auf die See zu blicken, den Eingeborenen allerdings nichts genutzt.
Der Teniente de Almenara sah sich vor die unerfreuliche Aufgabe gestellt, den Kommandanten des Verbandes über den Mißerfolg der ersten Verfolgung zu unterrichten. Hatte der Comandante Arturo Diaz Escribano schon bei der gelungenen Flucht der Dorfbewohner getobt, so würde er jetzt zweifellos mit de Almenaras Degradierung drohen und einen Heidentanz veranstalten.
De Almenara biß sich auf die Unterlippe. Er wußte, daß er beobachtet wurde. Der Kommandant und die Kapitäne der beiden anderen Schiffe rührten sich nicht von den Achterdecks ihrer dickbäuchigen Galeonen. Sie hielten ihre Fernrohre unablässig auf das Dorf gerichtet und hatten natürlich verfolgt, wie der Sargento mit seiner Gruppe zurückgekehrt war.
Jetzt verlangten sie näheren Aufschluß über den Verlauf der Aktion.
De Almenara handelte gewissermaßen unter dem Zwang der Situation. Wären die Dinge etwas anders verlaufen, hätte er dem Kommandanten keineswegs über jeden seiner Schritte Meldung erstatten müssen. So aber …
Abwartend schaukelten das Flaggschiff „Santissima Madre“, die „Santa Barbara“ und die „San Juan“ auf den kleinen Wellen der Bucht. Ihre hölzernen Leiber und Masten schienen eine Botschaft zu dem Teniente herüberzuschikken: Versager! Versager!
De Almenara haßte sie plötzlich, diese Schiffe.
Und er verfluchte den Auftrag, der ihn auf diese elende Insel geführt hatte.
„Isla de la mierda“, fluchte er, stampfte mit dem Fuß auf und drehte sich sodann zu einem seiner Untergebenen um. „Vorwärts, lauf zu den Booten, laß dich zur ‚Santissima Madre‘ übersetzen und teile dem Comandanté mit, daß wir die Eingeborenen aus den Augen verloren haben – daß wir aber den ganzen Urwald abbrennen und sie wie die Füchse ausräuchern werden, verstanden?“
„Si, Senor“, erwiderte der Soldat und rückte ab. Savero de Almenara suchte unterdessen mit dem Blick Siabu, den Batak.
Der hockte drüben, am Beginn der felsigen Landzunge, und ließ sich vom Feldscher der „Santa Barbara“ verarzten. Tiefe Schnitte hatte ihm Otonedju mit dem Parang beigebracht. Siabu hatte ziemlich viel Blut verloren, saß mit verzerrter Miene da und war bleich unter seiner braunen Hautfarbe geworden.
Der Teniente verspürte nicht das geringste Mitleid mit ihm. Seiner Meinung nach trug der Batak die Schuld daran, daß der Dorfälteste sich überhaupt hatte befreien können. Und erst Otonedju hatte ja den Widerstand der anderen Krieger entfacht.
De Almenara wollte Siabu aufscheuchen und zu sich beordern. Er suchte nach einer Möglichkeit, seine Wut an jemandem auszulassen, und der eingeborene Dolmetscher schien das richtige Objekt dafür zu sein.
Doch in diesem Augenblick sichtete de Almenara das fremde Schiff.
Siabu und der Feldscher konnten es nicht sehen, weil sie ihre Gesichter dem Teniente zugewandt hielten. Die Soldaten um de Almenara waren zu sehr mit dem Betrachten des knisternden Feuers beschäftigt, um der See ihre Aufmerksamkeit zu widmen – und in der Bucht wurde man des Schiffes schon gar nicht gewahr, weil die felsige Landzunge den Ausblick auf den heranrauschenden Segler versperrte.
So war der Teniente der einzige, der das Herangleiten der großen Galeone mit den überhohen Masten und den auffallend niedrigen Aufbauten bemerkte.
Savero de Almenara hätte den Melder, der in diesem Moment in eins der am Ufer liegenden Beiboote stieg, stoppen können, um die Nachricht über das Auftauchen des Schiffes an ihn weiterzugeben. Aber es gab einen direkteren Weg, die Verbandsführung über die Neuigkeit zu unterrichten.
Der Teniente hob einfach nur beide Hände und gab ein Zeichen zur „Santissima Madre“ hinüber.
Arturo Diaz Escribano registrierte die Gebärde. Überrascht zog er die Augenbrauen hoch. Eine Galeone im Süden, hatte der Teniente signalisiert. Wer? Der Kommandant erwartete keine Verstärkung, keinen Besuch. Er war an diesem Morgen mit klaren Anweisungen aus Bengkalis auf Sumatra ausgelaufen und hatte auch zwischenzeitlich keinen Hinweis darüber erhalten, daß irgendein spanisches Schiff mit seinem Verband zusammentreffen solle.
Sein Mißtrauen war geweckt.
„Das Großsegel setzen“, befahl er.
Der Zuchtmeister auf der Kuhl gab den Befehl an die Mannschaft weiter, und sofort stürzten alle auf ihre Stationen.
Die „Santissima Madre“ war nicht in der Bucht vor Anker gegangen, Escribano hatte mit dem Schiff beweglich bleiben wollen, um den Landtrupp gegebenenfalls durch das Feuer der Kanonen unterstützen zu können.
So drehte die Galeone jetzt ihren Bug nach Süden, legte sich platt vor den Wind und verließ langsam die Bucht. Auf diese Weise glitt die Landzunge an den Spaniern vorbei, und die Aussicht öffnete sich ihnen auch auf jenen Bereich, der hinter dem felsigen Auswuchs der Insel lag.
So entdeckten auch sie nun den großen Dreimaster, der hart am Wind liegend an den pfeilförmigen Bambusgestellen im Wasser vorbeizog, die die Malaien zum Fischfang benutzten. Das Schiff ließ die leichten Boote der Eingeborenen Steuerbord achteraus liegen, sie begannen im Kielwasser der Galeone zu tanzen.
Als das Schiff sich anschickte, die Landzunge zu runden, hatte der spanische Kommandant die Flagge von Kastilien und Léon in seinem Großtopp entdeckt.
Der Ausguck im Hauptmars der „Santissima Madre“ rief eine gleichlautende Meldung.
Escribano, ein mittelgroßer Mann mit pechschwarzem, dichtem Haupthaar und einem ebenso dunklen und prachtvollen Knebelbart, blickte zu seinem Bootsmann.
„Das scheint ein Handelsfahrer zu sein“, sagte er. „Entweder braucht er unsere Hilfe, oder er ist von weitem auf das Feuer aufmerksam geworden und nähert sich aus Neugierde. Ich glaube, wir können ihn unbesorgt heran lassen.“
„Mich überrascht die seltsame Bauweise des Schiffes“, erwiderte der Bootsmann.
„Neue Schiffstypen entstehen, und das Mutterland schickt uns Segler in die Kolonien herüber, über deren Aussehen wir nur staunen können“, meinte Escribano. „Ich schätze, wir haben es mit einer Galeone zu tun, die unterwegs nach Manila ist. Daß wir in Bengkalis nichts von ihr erfahren haben, liegt wahrscheinlich daran, daß sie erst heute morgen – nach unserem Auslaufen – dort vorbeigesegelt ist. Meines Erachtens könnte sie die Vorhut eines ganzen Verbandes darstellen, der noch vor Termin die Malakkastraße erreicht hat.“
Der Bootsmann zuckte mit den Schultern. „Wie Sie meinen, Comandante. Ich finde nur, das Ganze ist etwas zu vage ausgedrückt – mit Verlaub gesagt.“
Escribano verzog den Mund. „Das verbitte ich mir. Ich weiß, Sie denken an Piraten, aber weder die malaiischen Freibeuter noch die Seeräuber anderer Nationalitäten verfügen in diesen Gewässern über so große und so hervorragend in Schuß gehaltene Schiffe. Das kann nur ein echter Spanier sein.“
Soviel Überzeugung hatte der Bootsmann nichts entgegenzusetzen.
Er schaute nur unausgesetzt zu dem fremden Schiff hinüber, während der Kommandant aus den Toppen der „Santissima Madre“ signalisieren ließ, der große Dreimaster solle mit verringerter Fahrt in die Bucht einlaufen und sich auf Rufnähe dem Flaggschiff nähern.
Der Bootsmann grübelte nach, wo er schon einmal von einem außergewöhnlichen Schiff mit überhohen Masten hatte reden hören.
Zweifellos in Bengkalis.
Aber Bengkalis war ein winziger Hafen und ziemlich verlorener Posten auf einer Rieseninsel, die gerade erst richtig erschlossen wurde, und viele Dinge, die beispielsweise in Manila als Botschaften verfaßt wurden, drangen nur unvollkommen bis dorthin.
So kam der Batelero trotz allen Nachsinnens nicht darauf, daß man es bei, dem Fremden mit Spaniens Feind zur See Nummer eins zu tun haben könnte, mit einem gewissen Philip Hasard Killigrew.
Hasard war wieder aus dem Großmars abgeentert. Er hatte genug gesehen und gab jetzt die letzten Kommandos an Carberry, Ben Brighton, Ferris Tucker, Shane und Dan, die alle erforderlichen Vorbereitungen für die bevorstehende Zusammenkunft betrafen.
Heimlich und in aller Stille wurde zum Gefecht gerüstet. Als die „Isabella“ langsamer werdend auf das Flaggschiff zusteuerte, war jedes Geschütz an Oberdeck fix und fertig geladen. In den Kupferbecken glühte das Holzkohlenfeuer, jeder Mann stand auf seinem Posten.
Die Galeone, die soeben die Inselbucht verlassen hatte, schien das Flaggschiff des Dreierverbandes zu sein. Hasard blickte mit dem Spektiv zu dem imposanten Zweidecker hinüber und zählte die Stückpforten. Es waren zwölf. Vierundzwanzig Kanonen führte der Segler also, und sicherlich handelte es sich um 17-Pfünder-Culverinen, keine leichten Kaliber. Den Namen des dickbauchigen Schiffes vermochte der Seewolf nun auch zu lesen: „Santissima Madre“.
Er blickte nach rechts in die Bucht und taxierte auch die beiden anderen, etwas kleineren Galeonen. Je sechzehn Geschütze trugen sie auf ihren Decks, hinzu gesellten sich jeweils zwei Demi-Culverinen beziehungsweise Minions in Bug und Heck.
Bei seiner raschen Kopfrechnung kam der Seewolf auf insgesamt 64 Geschütze – gegen die sechzehn Culverinen und vier Drehbassen der „Isabella“.
Ein gewaltiges Mißverhältnis, aber Hasard hielt an seinem Vorhaben fest.
Als er festgestellt hatte, daß ein Eingeborenendorf in hellen Flammen stand und Bill die Schiffe der Spanier gesichtet hatte, hatte der Seewolf einen geradezu unnachgiebigen Drang verspürt, den Dingen auf den Grund zu gehen.
Was war das? Ein Vergeltungsakt? Eine Strafexpedition? Was war mit den Menschen des Dorfes geschehen?
Eiskalt hatte es Hasard überrieselt. Er konnte nicht ignorieren, was auf dieser Insel geschah, dazu hatte er sich bereits zu sehr engagiert. Einfach weiterzusegeln, das lag nicht in seiner Art.
Sein Verlangen nach Gerechtigkeit war stärker als jede andere Erwägung. Er hatte die Bambusgestelle, die Reusen und Körbe im Wasser gesehen, die offensichtlich in panischer Flucht im Stich gelassen worden waren. Die Eingeborenen hatten sich auf den nächtlichen Fischfang vorbereitet, waren dabei jedoch von den Spaniern gestört worden.
Nichts hatte Hasard daran hindern können, nun auf Teufel komm raus und mit aller Dreistigkeit in die Bucht zu segeln. Es gehörte Kaltblütigkeit dazu, sich als Spanier auszuweisen – früher war das einfacher gewesen, aber inzwischen war die Kunde vom Seewolf, der auf allen Weltmeeren Beute riß, bis in die entferntesten Winkel gedrungen, und auch die „Isabella“ wurde immer bekannter.
Hasard setzte also sehr hoch. Jeden Augenblick konnten ihn die Feinde entlarven und das Feuer eröffnen. Hasard zweifelte nicht daran, daß alle drei Galeonen gefechtsklar waren.
Die „Santissima Madre“ hatte ihr Großsegel wieder aufgegeit. Sie drehte bei, um die „Isabella“ zu empfangen.
„Verdammt noch mal“, sagte Ben Brighton neben Hasard. „Ich frage mich, was für einen Willkommensspruch die für uns bereithalten. Vielleicht ist das Ganze sogar eine Falle.“
3.
Ein gebranntes Kind scheut das Feuer. Aber Hasard war in dieser Beziehung unverbesserlich – und das mußte er auch sein, denn sonst hätte er sein Dasein als Korsar der englischen Königin aufgeben müssen. Was bedeutete es schon, daß ein vorwitziger Portugiese ihnen auf einer Insel nördlich von Formosa eine Falle gestellt hatte, aus der sie fast nicht mehr entkommen wären? Der Einfallsreichtum des Gegners wuchs, aber kein Seewolf entzog sich der Gefahr, die er ansatzweise vor sich wittern mochte.
Die „Isabella“ lief auf Rufweite an die „Santissima Madre“ heran. Hasard ließ in den Wind drehen, dann trat er an das Backbordschanzkleid des Achterdecks und gab sich zu erkennen.
„Capitán Vicente Buendia mit der ‚Alaria‘!“ rief er zum Achterdeck des Flaggschiffs hinüber. „Was ist hier los? Brauchen Sie unsere Hilfe?“
„Hier spricht der Comandante Arturo Diaz Escribano“, tönte es in genauso geschliffenem Spanisch zurück. „Ich bin der Befehlshaber dieses Kriegsverbandes und empfehle Ihnen dringend, sich wieder zurückzuziehen, Senor.“
„Warum?“ Hasard kletterte auf das Schanzkleid und hielt sich an den Besanwanten fest. „Sprechen hier gleich die Kanonen? Fliegen die Fetzen? Ist das wirklich möglich?“
„Sie sind entschieden zu naseweis, Senor!“
Hasard konnte sich ein grimmiges Lachen gerade noch verkneifen, als der Kommandant das sagte. Aus schmalen Augen spähte er zu dem schweren Kriegssegler hinüber und erkannte den betreßten Anführer auf dem Achterdeck. Schwarzbärtig und in stolz erhabener Pose, so präsentierte sich der Kommandant.
„Verzeihen Sie mir meine Neugierde!“ rief der Seewolf. „Aber es ist schon einige Zeit her, daß wir mit Landsleuten zusammentrafen.“
„Woher kommen Sie?“
„Aus der Indischen See.“ Hasard wußte, daß er sich jetzt aufs Glatteis begab. Jeden Augenblick konnte er ausrutschen, weil der Kommandant über den Verkehr spanischer Schiffe in der Straße von Malakka wahrscheinlich gut unterrichtet war. Also mußte Hasard etwas tun, um das Gespräch von Bord zu Bord in andere Bahnen zu lenken. „Fast wären wir unterwegs überfallen worden, aber das steht auf einem anderen Blatt!“
„Was, von Piraten etwa?“
„Richtig. Wir konnten ihnen davonsegeln. Aber was wird hier gespielt, Comandante?“
„Wir sind hinter einem üblen Freibeuter von Malakka her, einem Kerl, der ‚Tiger von Malakka‘ genannt wird. Er soll sich mit seiner Meute auf dieser Insel oder in der Umgebung versteckt halten, nachdem er vor kurzem einen unserer Verbände vor Sumatra überfallen hat“, antwortete der spanische Kommandant.
„Hier, in diesem Dorf soll er sein?“
„Ja. Aber wir haben ihn vergeblich gesucht.“
„Er ist entwischt?“
„Die Eingeborenen wollten nicht preisgeben, ob der Hund wirklich hier gelandet sei“, entgegnete Arturo Diaz Escribano. „Deshalb wissen wir nicht, wo wir nach dem Tiger forschen sollen. Die Malaien, diese verfluchten Bastarde, stecken alle unter einer Decke und halten zusammen wie Pech und Schwefel.“
Hasard solidarisierte sich innerlich mit den Fischern des Dorfes. Was sollte sie denn dazu bewegen, sich ihrer Gesinnung nach auf die Seite der Spanier zu schlagen? Überall, wo die neuen Herren der Welt landeten, verstanden sie sich nur auf eines: zu morden, zu plündern und zu brandschatzen. Überdies trachteten sie fanatisch und unerschütterlich danach, alle „nackten Wilden“ zu bekehren.
„Haben Sie die Wilden getötet?“ erkundigte sich Hasard. Wieder spürte er dieses eiskalte, widerwärtige Rieseln auf dem Rücken.
„Nein, sie sind uns entwischt!“ schrie der Kommandant. „Wie die Aale sind sie meinen Leuten unter den Fingern weggeglitten, bevor diese sie richtig aushorchen konnten. Aber das werden die elenden Hunde bereuen. Das Dorf haben wir angesteckt – jetzt kämmen wir die ganze Insel ab und schaffen reinen Tisch!“
Escribano hatte sich immer mehr in Erregung gesteigert, das Ganze zehrte offensichtlich erheblich an seinen Nerven.
Hasards Züge hatten sich verhärtet. Aus Wut über den Mißerfolg wollten sich die Spanier an den unschuldigen Inselbewohnern rächen. Das sah ihnen ähnlich! Natürlich war Hasard bewußt, daß nicht alle Spanier Schurken waren, aber die Kategorie, die er hier vor sich hatte, zählte zu den übelsten, grausamsten.
„Welches ist Ihr Heimathafen, Capitán Buendia?“ wollte der Kommandant jetzt von ihm wissen. „Welches ist Ihr Ziel, und welche Ladung befördern Sie?“
„Viele Fragen auf einmal“, murmelte der Seewolf. „Aber ich werde sie dir gebührend beantworten, Don Felipe.“ Laut erwiderte er: „Das kann ich Ihnen nur in einem Gespräch unter vier Augen mitteilen, Comandante. Bitte haben Sie Verständnis dafür. Ich werde jetzt übersetzen, Ihnen eine Visite abstatten und Ihnen alles persönlich erklären, was Sie zu erfahren wünschen.“
Ben Brighton schaute seinen Kapitän ziemlich verdattert an. Nicht wegen der gedrechselten Redeweise, die dieser an den Tag legte, sondern wegen des Vorhabens.
Ben kam aber nicht dazu, seine Einwände zum Ausdruck zu bringen.
„Soll das heißen, daß Sie in geheimer Mission unterwegs sind?“ schrie Escribano vom Achterdeck seiner „Santissima Madre“.
„Si, Senor“, antwortete Hasard.
„Ich erwarte Sie, Buendia!“
Hasard sprang vom Schanzkleid aufs Deck und wandte sich sofort seinen Männern zu. „Ben, du übernimmst das Kommando über die ‚Isabella‘. Wenn es richtig losgeht, knöpfst du dir die beiden anderen Galeonen vor, verstanden?“
„Aye, Sir.“
„Shane, Blacky, Dan und Sam Roskill begleiten mich als Rudergasten im Boot.“
„In Ordnung“, sagte Big Old Shane. „Ed, du kannst das Boot abfieren lassen.“
„Hol’s der Henker“, ertönte Carberrys Stimme auf der Kuhl. „Das nenne ich den Teufel am Schwanz ziehen.“
„Sei doch still“, zischte Dan O’Flynn. „Willst du, daß die Dons dich hören? Wenn du schon herumbrüllst, dann wenigstens auf spanisch.“
„Eines Tages“, sagte der Profos so freundlich wie ein hungriger Hai, „eines Tages ramme ich dich wegen deiner vorlauten Klappe ungespitzt in die Kuhl, du verlauster Floh.“
Hasard hatte auf der Heckducht des Bootes Platz genommen und bediente die Ruderpinne. Über Shanes, Blackys, Dans und Sams Köpfe weg hatte er einen phantastischen Ausblick auf die Galeone „Santissima Madre“, ein Meisterwerk spanischer Schiffsbaukunst. Im Dahingleiten der Jolle stufte er das Flaggschiff als der 300-Tonnen-Klasse zugehörig ein. Das Schnitzwerk und die goldenen Verzierungen der Achterpartie konnte er nur bewundern, aber man mußte den Spaniern vorwerfen, daß sie es immer noch nicht gelernt hatten, ihren Seglern eine schlankere, flachere Form zu geben.
Dadurch wären die Schiffe schneller und beweglicher geworden. Aber der Trichter, mit denen man es den Dons ins Hirn hätte eingeben können, mußte erst noch erfunden worden. Sie betrachteten ihre Galeonen in erster Linie als Transportmittel für Gold, Silber, Diamanten, Soldaten und Passagiere. Es wurde viel dafür getan, die Schiffe so voll wie möglich zu stopfen, nichts aber für den Fortschritt in der Konstruktion.
„Eines Tages werden diese dicken Kästen mit dazu beitragen, daß Spanien als Weltmacht untergeht“, sagte Hasard. „Wenn sie es nicht fertigbringen, bessere Schiffe zu basteln und mit der Zeit zu gehen, übertrumpfen wir sie.“
„Ja“, sagte Shane mit einem breiten Grinsen. „Aber es fragt sich, ob wir dann noch am Leben sind oder im vernichtenden Kreuzfeuer den Hintern zugekniffen haben.“
„Mußt du das ausgerechnet jetzt anbringen?“ sagte Dan gedämpft. „Mann, du verunsicherst mich.“
„Das mußt gerade du sagen“, erwiderte Shane, ohne mit dem Grinsen aufzuhören. „Was ist, Hasard, jubeln wir diesem elenden Zuber gleich zur Begrüßung ein paar Höllenflaschen unter? Stecken wir sie ihm in die Kanonenmündungen?“
Hasard verfolgte, wie an Steuerbord der „Santissima Madre“ eine Jakobsleiter ausgebracht wurde. Sicherlich wartete Arturo Diaz Escribano bereits voller Ungeduld darauf, von „Vicente Buendias“ geheimer Mission zu erfahren.
Wundern sollte der sich!
„Nichts in der Richtung“, sagte Hasard zu dem graubärtigen Riesen. „Damit würden wir den Zweck der Übung verfehlen. Unser Ziel ist es, erst mal an Bord des Flaggschiffs zu gelangen. Paßt auf, wie ihr euch ausdrückt. Shane, halte dich mit dem Sprechen zurück, bei dir hört man den englischen Akzent noch am meisten heraus. Wenn sie zu früh spitzkriegen, daß wir nicht ihre Landsleute sind, sieht die Sache übel für uns aus.“
Die Jolle war der Bordwand des Spaniers nahe. Wuchtig wuchs das Schiff vor ihnen hoch. Hasard lenkte das Boot längsseits des wehrhaften Giganten, sie dümpelten auf die Jakobsleiter zu und verhielten, während Fender aus Tau und Kork den Anprall dämpften.
Hasard kletterte als erster die Sprossen der Jakobsleiter hoch. Er sprang lächelnd auf die Kuhl der Galeone, schaute sich um und begegnete der Mannschaft mit den üblichen Begrüßungsfloskeln – umständlichen Redewendungen, wie sie in Spanien verwendet wurden.
Der Großteil der Besatzung, vor allen Dingen die Soldaten, befand sich an Land, wie er schnell feststellte. Unter Deck vermutete er keinen der Männer. Es sei denn, das Ganze war tatsächlich eine Falle.
Aber diese Wahrscheinlichkeit rückte immer mehr in den Hintergrund.
Hasard schritt auf den Steuerbordniedergang zu, der zur Hütte hinaufführte. Er benutzte ihn so selbstverständlich, als würde er tagtäglich nichts anderes tun, als fremden Kriegsschiffskommandanten geheime Nachrichten mitzuteilen.
Niemand schien Unrat zu wittern. Noch nicht.
Arturo Diaz Escribano war ein Mann mit ausdrucksstarken, markanten Zügen. Die Hände hatte er auf dem Rücken ineinandergelegt. Seine Augen richteten sich forschend auf den Seewolf.
Drei Männer befanden sich in Escribanos Nähe – ein erster und ein zweiter Offizier sowie ein Bootsmann. Der Rudergänger stand unterhalb des Achterdecks auf dem Quarterdeck, das sich zwischen der achteren Erhöhung des Kastells und der Kuhl befand.
Hasard ließ den Kommandanten nicht aus den Augen, aber gleichzeitig gewahrte er auch den Ausdruck auf den Gesichtern der drei anderen Spanier.
Besonders der Bootsmann hatte eine Miene aufgesetzt, die Alarmzeichen in Hasard wachrief. Er beeilte sich, die Distanz zwischen sich und den vier Männern zu überbrücken. Keine Minute mehr konnte er die Maskerade aufrechterhalten, die Spanier waren keine Narren.
Er blieb dicht vor Escribano stehen und streckte ihm die Rechte hin.
„Es freut mich, einen tapferen Comandante der Armada kennenzulernen, über den ich bereits einiges vernommen habe“, sagte er.
Escribano drückte die ihm dargebotene Hand. „Willkommen auf der ‚Santissima Madre‘, Capitán Buendia. Nun, lassen Sie uns gleich auf den Kern der Sache zu sprechen kommen, denn ich habe keine Zeit zu verlieren. Verzeihen Sie die Hast, aber Sie wissen ja, was ich auf der Insel zu erledigen habe. Also bitte, reden Sie nur ganz offen.“
Hasard wandte etwas den Kopf und musterte den zweiten Offizier und den Bootsmann, die links vom Kommandanten standen. Der Bootsmann schaute immer skeptischer und verdrossener drein.
Aus den Augenwinkeln sah der Seewolf nun auch Dan O’Flynn und Big Old Shane. Sie hatten das Achterdeck ebenfalls erreicht und verharrten im vorderen Bereich der Steuerbordseite.
Sam und Blacky standen weisungsgemäß unten auf der Kuhl. Leutselig grinsten sie die spanischen Decksleute und Soldaten an.
„Euer Schiff liegt ziemlich tief“, sagte einer der Soldaten. „Was habt ihr denn geladen?“
„Streng geheim“, erwiderte Blacky in tadellosem Spanisch. „Laß dir aber soviel gesagt sein: Es handelt sich um Schnaps und anderes hochbrisantes Zeug.“
Der Soldat lachte. „Dann müßt ihr eigentlich einen ausgeben.“
Sam Roskill antwortete freundlich: „Ihr kriegt schon noch genug ab, verlaßt euch drauf.“
„Comandante“, sagte Hasard in diesem Moment auf dem Achterdeck. „Nehmen Sie es mir nicht übel, aber was ich Ihnen auseinanderzusetzen habe, ist wirklich eine Sache, die sich nur unter vier Augen besprechen läßt.“
„Diese drei Männer genießen mein volles Vertrauen“, entgegnete Escribano etwas weniger freundlich.
Hasards Mundwinkel sanken auch ein wenig tiefer. „Das Oberkommando der Armada hat mir mehrfach eingeschärft, wie ich mich zu verhalten habe – ehe ich Cadiz Ende des vergangenen Jahres verlassen habe.“
„Was, Sie kommen aus Cadiz?“ versetzte der Flaggschiffkommandant verblüfft. „Hätten Sie das nicht gleich sagen können?“
Hasard wechselte das Standbein. „Comandante Escribano, ich ersuche Sie noch einmal …“
„Aus Cadiz“, unterbrach ihn der Bootsmann. „Ihre Galeone ist also ein Kriegsschiff, wenn ich recht verstehe?“
„Ein getarntes Kriegsschiff.“
„Mit auffallend hohen Masten.“
„Das ist die neueste Bauart“, erwiderte der Seewolf. „Wie lange haben Sie das Mutterland nicht mehr gesehen, Bootsmann?“
Der Bootsmann ging nicht darauf ein, sein Blick glitt ungeniert an Hasards Gestalt auf und ab. „Lederwams, weißes Hemd, Stulpenstiefel und eine ganz gewöhnliche, billige blaue Hose – ist das jetzt die neue Kapitänsuniform bei der Armada?“ fragte er.