Das Dekameron

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Из серии: Literatur (Leinen)
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Der befreundete Kaufmann und die Geliebte zerflossen während dieser Rede in Tränen und trösteten ihn, wie er schwieg, mit der Versicherung, dass sie alles treulich erfüllen wollten, was er ihnen im Falle seines Absterbens empfohlen hätte. Es dauerte nicht lange, so schied er aus diesem Leben, und sie ließen ihn ehrenvoll bestatten. Einige Tage danach, nachdem der zyprische Kaufmann seine Geschäfte in Rhodos abgewickelt hatte und mit einer katalonischen Jacht wieder nach Zypern gehen wollte, fragte er die schöne Frau, ob sie lieber in Rhodos bleiben oder mit ihm nach Zypern hinüberfahren wolle, weil er dahin zurückkehren müsse. Sie gab ihm zur Antwort, sie wolle mit ihm reisen, weil sie versichert wäre, dass er aus Liebe zu seinem Freunde Antiochus sie wie seine Schwester ansehen und ihr wie ein Freund begegnen würde. Der Kaufmann versicherte ihr, dass er sich alles, was ihr beliebte, gern gefallen ließe. Damit er sie auf dem Wege nach Zypern vor allen unangenehmen Belästigungen desto gewisser schützen könne, so würde sie wohltun, wenn sie sich für seine Frau ausgäbe. Als sie nun an Bord kamen, ward ihnen demzufolge eine kleine Kajüte eingeräumt. Damit ihre Handlungen nicht mit ihren Worten im Widerspruch ständen, bequemten sie sich, das kleine Bett, das sich darin befand, miteinander zu teilen, und so begab sich etwas, wovon sie beiderseits bei ihrer Abreise aus Rhodos nicht geträumt hatten: Die Dunkelheit, die behagliche Lage und die Wärme des Bettes wirkten nämlich so mächtig, dass sie die Freundschaft für den verstorbenen Antiochus hintenan ließen und, beide von gleicher Lust gereizt, noch vor ihrer Ankunft in Baffo, wo der Kaufmann zu Hause war, eine Verwandtschaft miteinander stifteten, die sie auch nachher noch fortsetzten.

Bald darauf traf es sich, dass ein angesehener Mann namens Antigono wegen einiger Geschäfte nach Baffo kam, der sehr bejahrt und zugleich mit vielem Verstande begabt, aber desto ärmer an Glücksgütern war. Er hatte in verschiedenen Angelegenheiten, die er im Dienste des Königs von Zypern unternommen hatte, keine glückliche Hand gehabt. Dieser ging einst, während der zyprische Kaufmann mit Waren nach Armenien gereist war, vor dem Hause vorüber, wo die schöne Alatiel wohnte. Als er sie zufällig am Fenster erblickte und sie wegen ihrer Schönheit genau betrachtete, glaubte er sich zu erinnern, dass er sie schon irgendwo gesehen hätte, wiewohl er sich dessen nicht mit Gewissheit bewusst war. Alatiel, die lange Zeit ein Spielball des Glücks gewesen und jetzt dem Ziele nahe war, das ihren Irrfahrten ein Ende machen sollte, erinnerte sich ebenfalls, sobald sie Antigono gewahr ward, dass sie ihn einst in Alexandria gekannt hatte, wo er im Dienste ihres Vaters eine ansehnliche Stellung bekleidete. Sie machte sich augenblicklich Hoffnung, durch seinen Rat und Beistand wieder zu ihren königlichen Eltern zu gelangen, und da ihr Kaufmann nicht zu Hause war, so ließ sie Antigono zu sich rufen. Er kam, und sie fragte ihn mit verschämtem Blick, ob er nicht Antigono von Famagosta wäre. Antigono bejahte es und setzte hinzu: „Es kommt mir vor, Madonna, dass ich Euch gleichfalls kenne, wiewohl ich mich nicht erinnern kann, woher. Ich bitte Euch, wenn es Euch nicht missfällt, meinem Gedächtnis zu Hilfe zu kommen und mir zu sagen, wer Ihr seid.“

Als sie hörte, dass er es wirklich war, brach sie in Tränen aus, warf ihm zu seiner Verwunderung die Arme um den Hals und fragte ihn nach einer kurzen Pause, ob er sie nie in Alexandria gesehen habe.

Diese Frage erinnerte ihn sofort an Alatiel, die Tochter des Sultans, und er wollte ihr schon seine schuldige Ehrerbietung bezeigen. Sie ließ es aber nicht zu, sondern hieß ihn, sich neben sie zu setzen. Er fragte sie darauf ehrerbietigst, wie und wann und woher sie an diesen Ort gekommen wäre, weil man in ganz Ägypten für ganz gewiss behauptete, sie wäre vor einigen Jahren in den Fluten umgekommen.

„Ich möchte lieber wünschen“, antwortete sie, „dass es geschehen wäre, als dass ich das Leben hätte führen müssen, das mir beschieden war, und ich glaube, mein Vater würde eben dasselbe wünschen, wenn er es jemals erführe.“ Mit diesen Worten vergoss sie abermals die bittersten Tränen, daher Antigono zu ihr sagte: „Madonna, verzweifelt nicht eher, als Ihr es nötig habt. Gefällt es Euch, so erzählt mir, wie Euch das Schicksal mitgespielt; vielleicht steht es so, dass wir ihm mit Gottes Hilfe noch eine gute Wendung geben können.“

„Antigono“, versetzte sie, „wie ich dich erblickte, glaubte ich in dir meinen Vater zu sehen, und die kindliche Liebe, die ich ihm schuldig bin, bewog mich, da ich mich vor dir wohl verbergen konnte, mich dir zu entdecken. Es sind wenige Leute, deren Anblick mich so erfreuen könnte, wie ich mich freue, dich vor allen anderen wiedergesehen und erkannt zu haben. Darum will ich auch dir wie meinem Vater alles erzählen, was ich sonst vor jedermann verborgen gehalten habe. Wenn du glaubst, nachdem du alles vernommen hast, dass du mir auf irgendeine Weise zu meinem vorigen Zustande wieder verhelfen könnest, so beschwöre ich dich, es zu tun. Scheint es dir aber unmöglich, so bitte ich dich, lass dir niemals gegen jemanden merken, dass du mich gesehen oder etwas von mir gehört hast.“

Hierauf fuhr sie fort, unter beständigen Tränen ihm alles zu erzählen, was ihr seit dem Tage ihres Schiffbruchs auf Mallorca bis auf den Tag ihrer Zusammenkunft mit ihm begegnet war.

Antigono ward davon bis zu Tränen gerührt, und nachdem er ein wenig nachgedacht hatte, sprach er: „Prinzessin, da während aller Eurer Unglücksfälle niemand erfahren hat, wer Ihr seid, so getraue ich mir unfehlbar, Euch zu versprechen, dass Euer Vater Euch noch lieber haben soll als zuvor, wenn ich Euch ihm wiederbringe, und Euer Gemahl, der König von Algarbien, nicht minder.“ Als sie ihn fragte, wie er das anfangen wolle, gab er ihr umständlich von allem Bescheid, was sie tun müsste. Damit keine Zeit versäumt würde, so machte er sich gleich auf den Weg nach Famagosta und begab sich zum Könige. „Gnädiger Herr“, sprach er zu ihm, „wenn Ihr wollt, so könnt Ihr, ohne viele Umstände und Unkosten, Euch selbst große Ehre machen und mir, der ich in Eurem Dienste verarmt bin, zu meinem Glücke verhelfen.“

„Wieso?“ fragte der König.

„Die schöne Tochter des Sultans“, antwortete Antigono, „von der man so lange Zeit gesagt hat, dass sie ertrunken wäre, ist in Baffo angekommen und hat, um nur ihre Jungfräulichkeit zu bewahren, das größte Ungemach ausstehen müssen. Sie befindet sich jetzt in dürftigen Umständen und wünscht, zu ihrem Vater zurückzugelangen. Wenn Ihr sie ihm nun unter meiner Aufsicht zuschicken wolltet, so würde es Euch viele Ehre und mir großen Vorteil bringen, und ich glaube, der Sultan würde Euch einen solchen Dienst nimmermehr vergessen.“

Der König, von einem edlen Eifer getrieben, gab ihm gleich zur Antwort, er sei bereit. Er ließ die Dame mit großen Ehrenbezeigungen nach Famagosta holen, wo sie von ihm und der Königin mit vieler Pracht und Feierlichkeit empfangen wurde. Als sie darauf vom Könige und von der Königin wegen ihres Schicksals befragt wurde, antwortete sie gemäß der Belehrung des Antigono und erzählte alles. Einige Tage darauf ward sie auf ihren Wunsch, unter der Aufsicht des Antigono und in Begleitung eines ansehnlichen Hofstaates von Herren und Damen, dem Sultan zugeschickt. Man kann sich vorstellen, dass er sie mit herzlicher Freude empfing und dass Antigono und seine Begleiter ebenfalls freundlich aufgenommen wurden. Nachdem sie sich von den Strapazen der Reise erholt hatten, wollte der Sultan wissen, wie es komme, dass sie noch lebe, und wo sie so lange Zeit zugebracht, ohne ihm auch nur das geringste Lebenszeichen zu geben.

Die Dame, die sich die Unterweisung des Antigono trefflich zunutze machte, stattete ihrem Vater folgenden Bericht ab:

„Lieber Vater, ungefähr am zwanzigsten Tage nach meiner Abreise von Euch ward unser Schiff in der Nacht von einem fürchterlichen Sturm in einer Gegend im Westen, die man Aquamorte nennt, zertrümmert. Was aus der Mannschaft des Schiffes geworden ist, weiß ich nicht und habe es nie erfahren. Ich erinnere mich nur, dass ich am folgenden Morgen, wie ich sozusagen vom Tode zum Leben wiedererwachte, und wie die Leute des Landes unser Schiff bereits gewahr wurden und von allen Orten und Enden zusammengekommen waren, um es zu plündern, mit zweien meiner Frauen ans Land gesetzt ward, wo den Augenblick die eine von einem, die andere von einem anderen Jünglinge ergriffen ward, die mit ihnen davonliefen, sodass ich nie erfahren habe, was weiter aus ihnen geworden ist. Ich selbst wehrte mich aus allen Kräften gegen zwei junge Leute, die mich bei den Haaren zogen, und weil ich überlaut weinte, so fügte es sich, dass zu derselben Stunde, da sie im Begriffe waren, mich in einen großen Wald zu schleppen, vier Männer zu Pferde vorbeikamen. Als die, die mich schleppten, jene Reiter erblickten, ließen sie mich sogleich los und nahmen die Flucht. Die vier Männer, die mir Leute von großem Ansehen zu sein schienen, eilten auf mich zu und fragten mich vieles, und ich antwortete ihnen vieles; allein wir konnten uns von beiden Seiten nicht verstehen. Nachdem sie sich lange beratschlagt hatten, ließen sie mich auf eines von ihren Pferden setzen und führten mich nach einem Kloster, das nach ihrer Sitte von lauter Frauen bewohnt war. Ich weiß nicht, was sie zu ihnen sagten: Allein ich ward von ihnen allen sehr gütig aufgenommen und immer mit Achtung behandelt. Hernach habe ich nach ihrem Beispiel oft mit voller Andacht dem Sankt Crescencius vom tiefen Tal gedient, dem die Frauenzimmer in jener Gegend sehr ergeben sind. Nachdem ich nun einige Zeit unter ihnen gelebt hatte und anfing, etwas von ihrer Sprache zu verstehen, fragten sie mich, wer ich wäre und aus welchem Lande. Weil ich aber merkte, wo ich mich befand, und mich fürchtete, dass sie mich als eine Feindin ihres Glaubens von sich stoßen würden, wenn ich die Wahrheit sage, so gab ich zur Antwort: Ich wäre die Tochter eines Edelmannes in Zypern, der mich nach Kreta hätte verheiraten wollen, allein das Unglück hätte gewollt, dass wir an ihre Küste verschlagen wären und Schiffbruch erlitten hätten. Mehr als einmal und auf mancherlei Weise habe ich ihre Gebräuche mitgemacht, aus Furcht, es möchte mir sonst übel ergehen. Wie mich einmal die älteste dieser Frauen, die sie Äbtissin nennen, fragte, ob ich wieder nach Zypern zurück wollte, gab ich zur Antwort, dass ich mich nach nichts eifriger sehne. Inzwischen wollten sie, aus großer Fürsorge für meine Jungfräulichkeit, mich niemandem anvertrauen, der nach Zypern reiste, bis ungefähr vor zwei Monaten einige gute Männer aus Frankreich mit ihren Frauen, unter denen sich auch einige Verwandte der Äbtissin befanden, dahin reisen wollten. Als nun die Äbtissin hörte, dass diese willens wären, nach Jerusalem zu wallfahrten, um das Grab desjenigen zu besuchen, den sie für Gott halten, und der dort begraben liegt, weil ihn die Juden totgeschlagen haben, so empfahl sie mich ihnen, und bat sie, dass sie mich in Zypern meinem Vater wieder überliefern möchten. Wenn ich Euch sagen sollte, wie liebreich und gefällig mich diese guten Männer samt ihren Frauen aufnahmen, so hätte ich Euch noch stundenlang zu erzählen. Wir gingen also zusammen an Bord eines Schiffes und kamen nach einiger Zeit glücklich nach Baffo. Während ich mich diesem Ort näherte, wo mich kein Mensch kannte, und ich mich in der größten Verlegenheit befand, was ich den guten Leuten sagen solle, die mich meinem Vater überliefern wollten, wie es ihnen von der Äbtissin aufgetragen worden war, so schickte mir der Himmel, der sich vermutlich meiner erbarmte, Antigono am Ufer entgegen, in dem Augenblick, wo wir in Baffo ans Land stiegen. Ich rief ihn geschwind zu mir und bat ihn in unserer Sprache, die jene guten Leute nicht verstanden, er möchte mich als seine Tochter empfangen. Er verstand meinen Wink auf der Stelle, empfing mich mit großer Freude, bewirtete die guten Männer und ihre Frauen nach seinem geringen Vermögen und brachte mich zu dem Könige von Zypern, der mich so ehrenvoll hat empfangen und zu sich geleiten lassen, dass ich es Euch nicht genügend schildern kann. Wenn sonst noch etwas zu sagen übrig bleibt, so mag es Antigono tun, dem ich mehr als einmal diese meine Begebenheiten erzählt habe.“ Antigono redete hierauf den Sultan an und sprach: „Sie hat Euch alles erzählt, großmächtiger Herr, was ich von ihr selbst und von den guten Männern und Frauen, die mit ihr kamen, gehört habe. Nur einen Umstand hat sie nicht erwähnt vermutlich weil sie glaubt, dass es ihr selbst nicht zusteht, davon zu reden, nämlich was die guten Herren und Frauen, mit denen sie kam, von dem keuschen Wandel erzählt haben, den sie bei den Nonnen führte, von ihren Tugenden und löblichen Sitten und von den vielen Tränen, womit ihre männlichen und weiblichen Reisegefährten von ihr schieden, indem sie mir sie wieder überlieferten. Wenn ich Euch das alles erzählen sollte, so würde nicht nur dieser Tag, sondern auch die folgende Nacht nicht dazu hinreichen. Genug, ich will Euch nur so viel sagen, dass nach dem Zeugnis dieser Leute und nach allem, was ich selbst gesehen habe, kein gekröntes Haupt sich heutigen Tages rühmen kann, eine schönere, jungfräulichere und tugendhaftere Tochter zu besitzen als Ihr.“

 

Dies gefiel dem Sultan so wohl, dass er darüber hocherfreut war und Gott bat, ihm die Gnade zu verleihen, dass er einem jeden die Ehre, die er seiner Tochter angetan hätte, nach Verdienst und Würden vergelten könne. Besonders aber dem Könige von Zypern, der sie ihm mit solchen Ehren wieder zugesandt hätte. Nach einigen Tagen entließ er Antigono mit großen Geschenken nach Zypern und dankte dem Könige in Briefen und durch besondere Botschafter verbindlichst für alles, was er an seiner Tochter getan hatte.

Hiernächst wünschte er auch das angefangene Werk zu vollenden, nämlich seine Tochter mit dem Könige von Algarbien zu vermählen. Er ließ ihm demnach von allem Nachricht geben und schrieb ihm dabei, wenn er noch wünschte, seine Tochter zu haben, so möchte er sie nur abholen lassen. Darüber ward der König von Algarbien sehr froh, schickte ihr ein standesgemäßes Geleit, sie abzuholen, und empfing sie mit offenen Armen. Sie, die mit acht Männern wohl zehntausendmal geschlafen, ward ihm als Jungfrau zur Seite gelegt, machte ihm weis, dass sie es wirklich wäre, und lebte lange Zeit mit ihm in eitel Glück und Freude als Königin.

Darum sagt man wohl im Sprichwort: „Neumond und geküsster Mund sind gleicht wieder frisch und hell und gesund.“

ACHTE NOVELLE

Der Graf von Antwerpen wird unschuldig verklagt und wandert ins Elend. Er lässt seine zwei Kinder in verschiedenen Orten Englands. Als er als Unbekannter aus Irland zurückkommt, findet er sie beide in großem Wohlstande. Er dient als Stallknecht im Heer von Frankreich, wird endlich für unschuldig befunden und in seinen vorigen Stand wieder eingesetzt.

Die Damen seufzten oft bei den Abenteuern der schönen Alatiel. Wer weiß aber, was ihnen diese Seufzer eigentlich auspresste. Leicht möglich, dass die eine oder andere vor Sehnsucht nach ebenso vielen Hochzeiten nicht minder als aus Mitleid seufzte. Doch dem sei, wie ihm wolle: Wie sie über die letzten Worte Pamfilos herzlich gelacht hatten und die Königin merkte, dass die Geschichte zu Ende war, befahl sie Elisa, eine neue zu erzählen. Diese gehorchte fröhlich und sprach:

Wir haben uns heute ein weites Feld gewählt, auf dem wir uns nach Belieben herumtummeln können, und es ist gewiss niemand unter uns, der nicht zehnmal für einmal seinen Speer hier brechen könnte: So reichlich versieht uns das Schicksal mit Beispielen von seinen launigen und empfindlichen Streichen. Ich will euch indessen aus der unendlichen Zahl nur von einem erzählen.

Als das Römische Reich von den Franzosen auf die Deutschen kam, entstand daraus zwischen den beiden Völkern eine erbitterte Feindschaft, ein heftiger und anhaltender Krieg, während dessen der König von Frankreich und der Kronprinz, teils um ihr eigenes Land zu verteidigen, teils um das feindliche anzugreifen, die ganze Macht ihres Reiches und auch die Hilfsvölker ihrer Freunde, Verwandten und Bundesgenossen aufboten und ein zahlreiches Heer gegen ihre Feinde ins Feld stellten. Ehe sie aber aufbrachen, bestellten sie den Grafen Gualtieri von Antwerpen, einen edlen und weisen Mann und ihren geprüften Freund und Diener, der zwar auch ein erfahrener Kriegsmann war, den sie aber doch noch für fähiger hielten, im Kabinett als im Felde Dienste zu leisten, zum Reichsverweser und zogen dann ins Feld.

Gualtieri nahm sich nunmehr mit Einsicht und Umsicht seines Amtes an und besprach sich jederzeit mit der Königin und ihrer Schwiegertochter über alle Angelegenheiten, indem er sie wie seine Gebieterinnen und Herrinnen ehrte, obgleich sie beide seinem Schutz und seiner Aufsicht anvertraut waren. Er war ein Mann von sehr schöner Gestalt, etwa vierzig Jahre alt, fein und angenehm in seinen Manieren, so sehr als irgendein Edelmann es sein konnte; überdies der feinste und artigste Kavalier seiner Zeit, der sich auch auf das Geschmackvollste zu kleiden wusste. Gualtieris Gemahlin war gestorben und hatte ihm nur einen Sohn und eine Tochter hinterlassen, die beide noch ganz klein waren. Weil er nun während der Zeit, da der König und der Prinz im Felde waren, beständig am Hofe war und sich häufig mit der Königin und der Kronprinzessin über die Staatsangelegenheiten besprach, begab es sich, dass die Prinzessin ihre Augen auf ihn warf, und indem sie mit großem Wohlgefallen seine Person und seine Manieren betrachtete, in geheimer Liebe zu ihm entbrannte. Da sie nun selbst jung und reizend war und der Graf keine Gemahlin hatte, so schmeichelte sie sich desto eher mit der Erfüllung ihrer Wünsche. Weil sie glaubte, dass diesen nichts anderes im Wege stehen könnte als ihre Scham, sie laut werden zu lassen, so nahm sie sich vor, diese gänzlich zu verbannen und sich ihm ohne Rückhalt zu offenbaren. Als sie sich eines Tages allein befand, nahm sie die Gelegenheit wahr und ließ den Grafen rufen, als wenn sie über andere Dinge mit ihm sprechen wolle. Der Graf, dessen Gedanken sehr weit von den ihren entfernt waren, begab sich unverzüglich zu ihr und setzte sich auf ihren Befehl neben sie auf ein Ruhebett in ihrer Kemenate nieder, in der sie beide ganz allein waren. Schon zweimal hatte er sie gefragt, warum sie ihn herberufen hätte. Sie hatte immer geschwiegen. Endlich sprach sie, von ihrer Liebe getrieben, mit schamroter Wange und, indem eine Träne in ihrem Auge schimmerte, mit zitternder Stimme: „Liebster und bester Herr und Freund, Ihr könnt als weiser Mann leicht ermessen, wie weit die Schwachheit oft bei Männern und Frauen geht, und zwar aus verschiedenen Ursachen bei einigen weiter als bei anderen. Darum verdient ein und dasselbe Vergehen in den Augen eines gerechten Richters bei verschiedenen Personen nicht einerlei Beurteilung oder Strafe. Wer wird wohl behaupten, dass ein geringer Mann oder ein armes Weib, die ihren Unterhalt im Schweiße ihres Angesichtes suchen müssen, nicht mehr Tadel verdienten, wenn sie den Reizungen der Liebe folgten und sich ihren Trieben ergäben, als eine reiche und müßige Dame, welcher es an nichts fehlt, ihre Wünsche zu befriedigen? Ich glaube, niemand. Darum deucht mich, dass die erwähnten Umstände sehr viel zur Entschuldigung derjenigen Person beitragen müssen, für welche sie eintreten, wenn sie sich etwa zur Liebe verleiten lässt, und wegen des Übrigen muss die Wahl eines weisen und würdigen Liebhabers, wofern sie eine solche getroffen hat, sie rechtfertigen. Da sich nun, meiner Meinung nach, diese beiden Umstände bei mir vereinigt finden, und da noch überdies mehrere Ursachen hinzukommen, die mich zur Liebe reizen müssen, zum Beispiel meine Jugend und die Abwesenheit meines Gemahls, so müssen diese mir zustatten kommen, um meine feurige Liebe in Euren Augen zu rechtfertigen. Und wenn sie dasjenige bei Euch gelten, was sie bei verständigen Leuten gelten müssen, so bitte ich Euch, mir zu raten und zu helfen in dem Falle, den ich Euch vortragen will: Ich gestehe, dass ich während der Abwesenheit meines Gemahls den fleischlichen Lüsten und der Macht der Liebe nicht habe widerstehen können, die so mächtig sind, dass sie nicht nur zarte, schwache Wesen wie Frauen, sondern auch die standhaftesten Männer nicht selten überwunden haben, und noch täglich überwinden. Da ich, wie Ihr seht, im Überflusse und im Müßiggange lebe, so habe ich mich verleiten lassen, den zärtlichen Freuden mit meinen Gedanken nachzuhängen und mich zu verlieben. Obgleich ich nun überzeugt bin, dass dergleichen, wenn es bekannt würde, sich nicht ziemte, so halte ich es doch keineswegs für unziemend, wenn es verborgen ist und bleibt. Auch ist mir die Liebe so günstig gewesen, dass sie mir nicht nur die nötige Überlegung bei der Wahl eines Liebhabers nicht geraubt, sondern sie mir vielmehr selbst in reichem Maße geliehen hat, indem sie mir in Eurer Person denjenigen zeigte, welcher würdig ist, von einer Dame, wie ich bin, geliebt zu werden – weil ich in Euch, wenn mich mein Urteil nicht trügt, den schönsten, liebenswürdigsten, angenehmsten und verständigsten Kavalier gefunden habe, den ganz Frankreich aufweisen kann. Wie ich mich jetzt ohne Gemahl befinde, so seid Ihr auch ohne Gemahlin. Deswegen beschwöre ich Euch bei der großen Liebe, die ich für Euch empfinde, dass Ihr mir die Eurige nicht versagt, sondern mit meiner Jugend Mitleid habet, die sich wirklich für Euch wie das Eis am Feuer verzehrt.“

Auf diese Worte folgte ein solcher Strom von Tränen, dass sie nicht imstande war, weiter zu reden, obwohl ihr noch mehr Bitten auf der Zunge schwebten. Sie schlug die Augen nieder und sank, wie von den Tränen überwältigt, dem Grafen an die Brust. Der Graf, ein äußerst ehrenhafter Ritter, tadelte ihre törichte Leidenschaft in den strengsten Ausdrücken. Er stieß sie zurück, indem sie ihm bereits in die Arme sinken wollte, und beteuerte mit den heiligsten Schwüren, dass er sich lieber vierteilen lassen, als eine solche Beleidigung der Ehre seines Herrn weder sich selbst, noch einem anderen verstatten würde. Als dies die Dame hörte, verwandelte sich auf einmal ihre Liebe in die Wut einer Furie: „Meint Ihr denn“, rief sie, „Nichtswürdiger, dass Ihr auf diese Weise meiner Wünsche spotten dürft? Da sei Gott vor, dass ich nicht Mittel und Wege fände, Euch ums Leben zu bringen (wie Ihr mich ums Leben bringen wollt), oder wenigstens aus dem Lande zu verjagen.“ Mit diesen Worten fuhr sie plötzlich mit beiden Händen in ihr Haar, zerraufte und verwirrte es, riss ihre Kleider von der Brust und rief mit lauter Stimme: „Hilfe! Hilfe! Der Graf von Antwerpen will mir Gewalt antun.“

 

Der Graf, der dieses sah und wohl denken mochte, dass der Neid der Hofleute mächtiger wirken würde als sein gutes Gewissen, und zugleich befürchten musste, dass die boshafte Verleumdung der Prinzessin mehr Glauben finden würde als seine Unschuld, eilte so schnell er konnte aus der Kammer und aus dem Palast und entfloh nach seinem Hause, wo er, ohne sich bei anderen Rat zu holen, seine beiden Kinder zu Pferde setzte, sich selbst auf sein Ross schwang und seinen Weg nach Calais nahm.

Auf das Geschrei der Prinzessin liefen alle Hofleute zusammen; da sie die Ursache ihres Geschreies vernahmen, glaubten sie nicht nur ihren Worten, sondern stichelten, der Graf habe sich gewiss aus keiner anderen Ursache seit langer Zeit so artig und kavaliermäßig benommen als in dieser Absicht. Sie eilten demnach voll Wut nach dem Hause des Grafen, um sich seiner Person zu bemächtigen. Als man ihn aber nicht fand, ward sein Haus erst ausgeplündert und dann dem Erdboden gleichgemacht. Die Nachricht davon kam entstellt, wie sie verbreitet wurde, dem Könige und dem Prinzen im Felde zu Ohren, und brachte sie dergestalt gegen den Grafen auf, dass sie ihn und die Seinigen zu ewiger Verbannung verdammten und demjenigen eine große Belohnung versprachen, der den Grafen tot oder lebendig einliefern würde.

Es bekümmerte den Grafen, durch seine unverschuldete Flucht sich gleichsam schuldig bekannt zu haben. Er kam mit seinen Kindern unerkannt nach Calais und ließ sich eiligst nach England übersetzen, wo er in armseliger Kleidung nach London wanderte. Er kam in dieser Hauptstadt an, gab seinen Kindern eine Menge guter Lehren und Warnungen und empfahl ihnen hauptsächlich zwei Dinge: zum ersten, dass sie mit Geduld den armseligen Zustand ertragen möchten, in welchen das Schicksal sie und ihn ohne sein Verschulden gestürzt hätte, und zweitens sollten sie, wenn ihnen ihr Leben lieb wäre, sich sorgfältig hüten, dass jemand erführe, woher sie gekommen und wessen Kinder sie wären. Der Sohn namens Louis war ungefähr neun Jahre, und die Tochter, welche Violante hieß, etwa sieben Jahre alt. Nach Maßgabe ihres zarten Alters machten sie sich die Lehren ihres Vaters vortrefflich zunutze und bewiesen dieses in der Folge auch durch ihre Handlungen. Damit es ihnen desto leichter würde, unerkannt zu bleiben, gab er ihnen andere Namen und nannte den Knaben Pierrot und das Mädchen Jeannette. Weil sie in dem armseligsten Aufzuge französischer Bettler nach London gekommen waren, pflegten sie umherzugehen und Almosen zu sammeln. Da sie nun eines Morgens ihrem Handwerk vor einer Kirche nachgingen, trug es sich zu, dass eine vornehme Dame, die Gemahlin eines königlichen Feldmarschalls, als sie aus der Kirche kam, den Grafen und seine Kinder gewahr ward, wie sie bettelten, und ihn fragte, woher er wäre und ob die Kinder ihm gehörten. Er antwortete, er wäre aus der Pikardie und hätte wegen einer Übeltat seines ungeratenen ältesten Sohnes mit seinen beiden Kindern landflüchtig werden müssen. Die mitleidige Dame heftete ihre Blicke auf das Mädchen, das ihr ungemein gefiel, weil es sehr schön, artig und einnehmend war. „Guter Mann“, sprach sie, „wenn Ihr mir Eure Tochter überlassen wollt, so will ich sie zu mir nehmen, weil sie mir gefällt, und wenn sie ein gutes Mädchen wird, so will ich sie zu rechter Zeit anständig verheiraten.“ Dem Grafen war das Anerbieten willkommen. Er willigte auf der Stelle ein und übergab ihr mit Tränen seine Tochter, indem er sie ihrer Sorgfalt empfahl. Als er sie untergebracht hatte und wusste, dass sie in guten Händen war, wollte er sich dort nicht länger aufhalten, bettelte sich quer durch die Insel und kam mit seinem Sohne nach Wales, nicht ohne große Beschwerlichkeit, weil er das Tippeln auf der Landstraße nicht gewohnt war. Hier befand sich ein anderer Marschall des Königs, der einen großen Hofstaat und viele Diener hielt, an dessen Hof der Graf mit seinem Sohn bisweilen ein Mittagessen abbekam. Einst versuchte sich der Sohn des Marschalls mit den Kindern einiger anderer Edelleute im Laufen, Springen und anderen jugendlichen Übungen. Pierrot mischte sich unter die Knaben und machte alles so geschickt mit wie die übrigen, und zum Teil noch besser. Als der Marschall dies einige Male bemerkt hatte und Wohlgefallen an dem Anstand und Betragen des Knaben fand, so fragte er, wer er sei. Man sagte ihm, er sei der Sohn eines armen Mannes, der bisweilen um Almosen nachsuche; worauf der Marschall ihn um den Knaben bitten ließ. Der Graf, der nur dies von Gott erfleht hatte, gab ihm gerne den Knaben, so ungern er sich auch sonst von ihm getrennt hätte. Er sah nun seinen Sohn und seine Tochter versorgt und wollte nicht länger in England bleiben. Er ging, sobald er konnte, nach Irland, und als er nach Stamford kam, begab er sich bei einem Edelmann auf dem Lande in Dienst. Hier verrichtete er alles, was gewöhnlich von einem Knecht oder Knappen gefordert wird, und führte lange Zeit im Verborgenen ein beschwerliches Leben. Violante, unter dem Namen Jeannette, nahm indessen zu an Jahren, an Wachstum und an Schönheit und war bei ihrer Dame in London und bei deren Gemahl in solcher Gunst und bei jedermann im Hause und bei allen, die sie kannten, so wohl beliebt, dass es zu verwundern war. Aber wer ihre Sitten und ihre Aufführung betrachtete, der musste gestehen, dass sie wert war, zu Glück und Ehren erhoben zu werden. Die Edelfrau, die sie von ihrem Vater empfangen hatte, allein nichts weiter von seinen Umständen wusste, als was er selbst ihr gesagt hatte, war demnach willens, sie so anständig zu verheiraten, wie es denjenigen Umständen angemessen wäre, in welchen sie glaubte, dass sie geboren sein könnte. Aber Gott, der am gerechtesten über die Verdienste der Menschen waltet, wusste wohl, dass sie ein adliges Mädchen war, das ohne Schuld für fremde Sünde büßte, und bestimmte ihr ein besseres Los, und man musste glauben, dass das, was sich begab, durch seine gütige Schickung geschah, damit sie nicht einem Menschen niedrigen Standes in die Arme geworfen würde.

Die Dame, bei der Jeannette wohnte, hatte nämlich einen einzigen Sohn mit ihrem Gemahl, den beide Eltern sehr zärtlich liebten, nicht nur, weil er ihr Sohn war, sondern auch, weil er wegen seiner Tugenden und Gaben verdiente, es zu sein. Er war edel und vorzüglich von Sitten und schön und einnehmend von Gestalt. Er war ungefähr sechs Jahre älter als Jeannette, und ihre Schönheit und Liebenswürdigkeit fesselten ihn so sehr, dass außer ihr nichts Schönes in der Welt für ihn zu finden war. Weil er aber glaubte, dass sie von niedrigerem Stande, so getraute er sich nicht, seine Eltern um ihre Hand zu bitten, sondern aus Besorgnis, dass sie ihm seine unanständige Neigung verweisen möchten, suchte er sie so viel wie möglich zu verbergen, wiewohl er eben deswegen ihren Stachel noch empfindlicher fühlte, als wenn er sie frei heraus bekannt hätte. So kam es endlich dahin, dass er vor tiefem Kummer zuletzt schwer erkrankte, worüber sich seine Eltern sehr grämten und ihn oft mit liebreichen Worten baten, ihnen die Ursache seines Schmerzes zu entdecken; allein er antwortete nur durch Seufzer, oder er sagte, er fühle, dass seine Lebenskräfte gänzlich entschwänden. Einmal traf es sich, indem ein junger Arzt (der aber alt an Einsicht und Gelehrsamkeit war) neben seinem Bette saß und ihm den Puls fühlte, dass Jeannette, die ihn aus Liebe zu seiner Mutter mit aller Sorgfalt bediente, wegen irgendeiner Besorgung in das Zimmer kam, wo der Kranke lag. Als der Jüngling sie erblickte, ließ er sich zwar durch Worte und Mienen nichts merken, allein sein Herz, welches in dem Augenblich die Glut der Liebe heftiger empfand, schlug stärker, und sein Puls ging schneller als gewöhnlich, was der Arzt mit Verwunderung bemerkte und auf die Dauer des vermehrten Pulsschlages desto genauer Achtung gab. Nachdem Jeannette das Zimmer verlassen hatte, ward auch der Puls wieder schwächer, daher der Arzt glaubte, der Ursache der Krankheit auf die Spur gekommen zu sein, und deswegen Jeannette nach Verlauf einiger Zeit wieder hereinrufen ließ, als ob er etwas nötig hätte, und inzwischen die Hand des Kranken immer in der seinigen hielt. Jeannette kam herein, und kaum betrat sie die Schwelle, so stieg der Pulsschlag des Kranken und ward wieder schwächer, sobald sie sich wieder entfernte. Der Arzt, der nunmehr völlige Gewissheit erlangt zu haben glaubte, stand auf und sagte im Vertrauen zu den Eltern des Kranken: „Die Gesundheit eures Sohnes liegt nicht in der Hand des Arztes, sondern in Jeannettes Hand, denn wie ich aus deutlichen Merkmalen schließe, liebt der Jüngling sie inbrünstig, obwohl sie nach meiner Meinung nichts davon zu merken scheint. Ihr wisst nun, was ihr zu tun habt, wofern euch sein Leben lieb ist.“

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