Nachtstücke

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»Allerdings«, erwiderte Trabacchio; »allein ohne dass es Giorgina wusste, kam es wieder in Euern Besitz. Seht nur nach in der großen schwarzen Truhe, die in Euerm Hausflur steht, da werdet Ihr das Kistchen auf dem Boden finden.« Andres suchte in der Truhe und fand das Kistchen [120]wirklich ganz in dem Zustande wieder, wie er es damals zum ersten Mal von Trabacchio in Verwahrung erhalten. –

Andres fühlte in sich unheimlichen Unmut, ja er konnte sich des Wunsches nicht erwehren, dass Trabacchio tot gewesen sein möge, als er ihn im Graben fand. Freilich schien Trabacchios Reue und Buße wahrhaft zu sein; denn ohne seine Klause zu verlassen, brachte er seine Zeit nur damit hin, in andächtigen Büchern zu lesen und seine einzige Ergötzlichkeit war die Unterhaltung mit dem kleinen Georg, den er über alles zu lieben schien. Andres beschloss indessen doch auf seiner Hut zu sein und eröffnete bei erster Gelegenheit das ganze Geheimnis dem Grafen von Vach, der über das seltene Spiel des Schicksals nicht wenig verwundert war. So vergingen einige Monate, der Spätherbst war eingetreten und Andres mehr auf der Jagd, als sonst. Der Kleine blieb gewöhnlich bei dem Großvater und einem alten Jäger, der um das Geheimnis wusste. Eines Abends war Andres von der Jagd zurückgekehrt, als der alte Jäger hineintrat und nach seiner treuherzigen Weise anfing: »Herr, Ihr habt einen bösen Kumpan im Hause. Zu dem kommt der Gott sei bei uns! durchs Fenster und geht wieder ab in Rauch und Dampf.« Dem Andres wurde es bei dieser Rede zu Mut, als hätt’ ihn ein Blitzstrahl getroffen. Er wusste nur zu genau, was das zu bedeuten hatte; als ihm der alte Jäger weiter erzählte, wie er schon mehrere Tage hintereinander in später Abenddämmerung in Trabacchios Zimmer seltsame Stimmen gehört, die wie im Zank durcheinandergeplappert, und heute zum zweiten Mal habe es ihm, indem er Trabacchios Türe schnell geöffnet, geschienen, als rausche eine Gestalt im roten goldverbrämten Mantel zum Fenster hinaus. In vollem Zorn eilte Andres herauf zum [121]Trabacchio, hielt ihm vor, was sein Jäger ausgesagt und kündigte ihm an, dass er sich’s gefallen lassen müsse, ins Schlossgefängnis gesperrt zu werden, wenn er nicht allen bösen Tritten entsage. Trabacchio blieb ruhig, und erwiderte im wehmütigen Ton: »Ach, lieber Andres! nur zu wahr ist es, dass mein Vater, dessen Stündlein noch immer nicht gekommen, mich auf unerhörte Weise peinigt und quält. Er will, dass ich mich ihm wieder zuwende, und der Frömmigkeit, dem Heil meiner Seele entsage, allein ich bin standhaft geblieben, und glaube nicht, dass er wiederkehren wird, da er gesehen, dass er nicht mehr über mich Macht hat. Bleibe ruhig, lieber Sohn Andres! und lass mich bei dir als ein frommer Christ versöhnt mit Gott sterben!« In der Tat schien auch die feindliche Gestalt auszubleiben, indessen war es, als würden Trabacchios Augen wieder glühender, er lächelte zuweilen so seltsam höhnisch, wie sonst. Während der Betstunde, die Andres jeden Abend mit ihm zu halten pflegte, schien er oft krampfhaft zu erzittern; zuweilen strich eine seltsam pfeifende Zugluft durch das Zimmer, welche die Blätter der Gebetbücher raschelnd umschlug, ja die Bücher selbst dem Andres aus den Händen warf. »Gottloser Trabacchio, verruchter Satan! Du bist es, der hier höllischen Spuk treibt! Was willst du von mir? hebe dich weg, denn du hast keine Macht über mich! – hebe dich weg!« – So rief Andres mit starker Stimme! Da lachte es höhnisch durch das Zimmer hin, und schlug wie mit schwarzen Fittigen an das Fenster. Und doch war es nur der Regen, der an das Fenster geschlagen, und der Herbstwind, der durch das Zimmer geheult, wie Trabacchio meinte, als das Unwesen wieder einmal recht arg war und Georg vor Angst weinte.

[122]»Nein«, rief Andres, »Euer gottloser Vater könnte hier nicht so herumspuken, wenn Ihr aller und jeder Gemeinschaft mit ihm entsagt hättet. Ihr müsst fort von mir. Eure Wohnung ist Euch längst bereitet. Ihr müsst fort ins Schlossgefängnis; dort möget Ihr Euern Spuk treiben wie Ihr wollt.« Trabacchio weinte heftig, er bat um aller Heiligen willen ihn im Hause zu dulden und Georg, ohne zu begreifen, was das alles wohl bedeute, stimmte in seine Bitten ein. »So bleibt denn noch morgen hier«, sagte Andres, »ich will sehen, wie es mit der Betstunde gehen wird, wenn ich heimkomme von der Jagd.« Am andern Tage gab es herrliches Herbstwetter, und Andres versprach sich eine reiche Beute. Als er von dem Anstand zurückkehrte, war es ganz finster geworden. Er fühlte sich im innersten Gemüt besonders bewegt; seine merkwürdigen Schicksale, Giorginas Bild, sein ermordeter Knabe traten ihm so lebendig vor Augen, dass er tief in sich gekehrt, immer langsamer und langsamer den Jägern nachschlenderte, bis er sich endlich unversehends auf einem Nebenwege allein im Forst befand. Im Begriff zurückzukehren in den breiten Waldweg, wurde er ein blendendes Licht gewahr, welches durch das dickste Gebüsch flackerte. Da ergriff ihn eine wunderbare verworrene Ahnung großer Gräueltat, die verübt werde; er drang durch das Dickicht, er war dem Feuer nahe, da stand des alten Trabacchio Gestalt im goldverbrämten Mantel, den Stoßdegen an der Seite, den niedergekrempten Hut mit roter Feder auf dem Kopfe, das Arzneikistchen unterm Arm. Mit glühenden Augen blickte die Gestalt in das Feuer, das wie in rot und blau flammenden Schlangen unter einer Retorte hervorloderte. Vor dem Feuer lag Georg nackt ausgebreitet auf einer Art Rost und der verruchte [123]Sohn des satanischen Doktors hatte hoch das funkelnde Messer erhoben zum Todesstoß. Andres schrie auf vor Entsetzen; aber so wie der Mörder sich umblickte, sauste schon die Kugel aus Andres’ Büchse und Trabacchio stürzte mit zerschmettertem Gehirn über das Feuer hin, das im Augenblick erlosch. Die Gestalt des Doktors war verschwunden. Andres sprang hinzu, stieß den Leichnam bei Seite, band den armen Georg los und trug ihn schnell fort bis ins Haus. Dem Knaben fehlte nichts; nur die Todesangst hatte ihn ohnmächtig gemacht. Den Andres trieb es heraus in den Wald, er wollte sich von Trabacchios Tode überzeugen und den Leichnam gleich verscharren; er weckte daher den alten Jäger, der in tiefen, wahrscheinlich von Trabacchio bewirkten Schlaf gesunken, und beide gingen mit Laterne, Hacke und Spaten an die nicht weit entlegene Stelle. Da lag der blutige Trabacchio; aber so wie Andres sich näherte, richtete er sich mit halbem Leibe auf, starrte ihn grässlich an und röchelte dumpf: »Mörder! Mörder des Vaters deines Weibes, aber meine Teufel sollen dich quälen!« »Fahre zur Hölle, du satanischer Bösewicht«, schrie Andres, der dem Entsetzen, das ihn übermannen wollte, widerstand; »fahre hin zur Hölle, du, der du den Tod hundertfältig verdient hast, dem ich den Tod gab, weil er verruchten Mord an meinem Kinde, an dem Kinde seiner Tochter verüben wollte! Du hast nur Buße und Frömmigkeit geheuchelt um schändlichen Verrats willen, aber nun bereitet der Satan manche Qual deiner Seele, die du ihm verkauft.« Da sank Trabacchio heulend zurück und immer dumpfer und dumpfer wimmernd gab er seinen Geist auf. Nun gruben die beiden Männer ein tiefes Loch, in das sie Trabacchios Körper warfen. »Sein Blut komme nicht über mich!« sprach [124]Andres, »aber ich konnte nicht anders, ich war dazu ausersehen von Gott, meinen Georg zu retten und hundertfältige Frevel zu rächen. Doch will ich für seine Seele beten und ein kleines Kreuz auf sein Grab stellen.« Als andern Tages Andres dieses Vorhaben ausführen wollte, fand er die Erde aufgewühlt, der Leichnam war verschwunden. Ob das nun von wilden Tieren, oder wie sonst bewirkt, blieb in Zweifel. Andres ging mit seinem Knaben und dem alten Jäger zum Grafen von Vach, und berichtete treulich die ganze Begebenheit. Der Graf von Vach billigte die Tat des Andres, der zur Rettung seines Sohnes einen Räuber und Mörder niedergestreckt hatte und ließ den ganzen Verlauf der Sache niederschreiben und im Archiv des Schlosses aufbewahren. –

Die schreckliche Begebenheit hatte den Andres tief im Innersten erschüttert, und wohl mochte er sich deshalb, wenn die Nacht eingebrochen, schlaflos auf dem Lager wälzen. Aber wenn er so zwischen Wachen und Träumen hinbrütete, da hörte er es im Zimmer knistern und rauschen, und ein roter Schein fuhr hindurch und verschwand wieder. So wie er anfing zu horchen und zu schauen, da murmelte es dumpf: »Nun bist du Meister – Du hast den Schatz – Du hast den Schatz – gebeut über die Kraft, sie ist dein! –« Dem Andres war es, als wolle ein unbekanntes Gefühl ganz eigner Wohlbehaglichkeit und Lebenslust in ihm aufgehen; aber so wie die Morgenröte durch die Fenster brach, da ermannte sich Andres und betete, wie er es zu tun gewohnt, kräftig und inbrünstig zu dem Herrn, der seine Seele erleuchtete. »Ich weiß was nun noch meines Amts und Berufs ist, um den Versucher zu bannen und die Sünde abzuwenden von meinem Hause!« – So sprach [125]Andres, nahm Trabacchios Kistchen und warf es, ohne es zu öffnen, in eine tiefe Bergschlucht. Nun genoss Andres eines ruhigen heitern Alters, das keine feindliche Macht zu zerstören vermochte.

[126]Die Jesuiterkirche in G.

In eine elende Postchaise gepackt, die die Motten, wie die Ratten Prosperos Fahrzeug, aus Instinkt verlassen hatten, hielt ich endlich, nach halsbrechender Fahrt, halbgerädert, vor dem Wirtshause auf dem Markte in G. Alles Unglück, das mir selbst begegnen können, war auf meinen Wagen gefallen, der zerbrochen bei dem Postmeister der letzten Station lag. Vier magere abgetriebene Pferde schleppten nach mehrern Stunden endlich mit Hülfe mehrerer Bauern und meines Bedienten das baufällige Reisehaus herbei; die Sachverständigen kamen, schüttelten die Köpfe und meinten, dass eine Hauptreparatur nötig sei, die zwei, auch wohl drei Tage dauern könne. Der Ort schien mir freundlich, die Gegend anmutig und doch erschrak ich nicht wenig über den mir gedrohten Aufenthalt. Warst Du, günstiger Leser! jemals genötigt, in einer kleinen Stadt, wo Du niemanden – niemanden kanntest, wo Du jedem fremd bliebst, drei Tage zu verweilen, und hat nicht irgendein tiefer Schmerz den Drang nach gemütlicher Mitteilung in Dir weggezehrt, so wirst Du mein Unbehagen mit mir fühlen. In dem Wort geht ja erst der Geist des Lebens auf in allem um uns her; aber die Kleinstädter sind wie ein in sich selbst verübtes, abgeschlossenes Orchester eingespielt und eingesungen, nur ihre eignen Stücke gehen rein und richtig, jeder Ton des Fremden dissoniert ihren Ohren und bringt sie augenblicklich zum Schweigen. – Recht misslaunig schritt ich in meinem Zimmer auf und ab; da fiel mir plötzlich ein, dass ein Freund in der Heimat, der ehemals ein paar Jahre hindurch in G. gewesen, oft von einem gelehrten geistreichen Manne sprach, mit dem er damals viel umge[127]gangen. Auch des Namens erinnerte ich mich: es war der Professor im Jesuiter-Collegio Aloysius Walter. Ich beschloss hinzugehen und meines Freundes Bekanntschaft für mich selbst zu nutzen. Man sagte mir im Collegio, dass Professor Walter zwar eben lese, aber in kurzer Zeit endigen werde, und stellte mir frei, ob ich wiederkommen, oder in den äußeren Sälen verweilen wolle. Ich wählte das Letzte. Überall sind die Klöster, die Kollegien, die Kirchen der Jesuiten in jenem italienischen Stil gebaut, der auf antike Form und Manier gestützt, die Anmut und Pracht dem heiligen Ernst, der religiösen Würde vorzieht. So waren auch hier die hohen, luftigen, hellen Säle mit reicher Architektur geschmückt, und sonderbar genug stachen gegen Heiligenbilder, die hie und da an den Wänden zwischen ionischen Säulen hingen, die Superporten ab, welche durchgehends Genientänze, oder gar Früchte und Leckerbissen der Küche darstellten. – Der Professor trat ein, ich erinnerte ihn an meinen Freund, und nahm auf die Zeit meines gezwungenen Aufenthalts seine Gastlichkeit in Anspruch. Ganz, wie ihn mein Freund beschrieben, fand ich den Professor; hellgesprächig – weltgewandt – kurz, ganz in der Manier des höheren Geistlichen, der wissenschaftlich ausgebildet, oft genug über das Brevier hinweg in das Leben geschaut hat, um genau zu wissen, wie es darin hergeht. Als ich sein Zimmer auch mit moderner Eleganz eingerichtet fand, kam ich auf meine vorigen Bemerkungen in den Sälen zurück, die ich gegen den Professor laut werden ließ. »Es ist wahr«, erwiderte er, »wir haben jenen düstern Ernst, jene sonderbare Majestät des niederschmetternden Tyrannen, die im gotischen Bau unsere Brust beklemmt, ja wohl ein unheimliches Grauen erregt, aus unseren Gebäuden ver[128]bannt, und es ist wohl verdienstlich, unsern Werken die regsame Heiterkeit der Alten anzueignen.« »Sollte aber«, erwiderte ich, »nicht eben jene heilige Würde, jene hohe zum Himmel strebende Majestät des gotischen Baues recht von dem wahren Geist des Christentums erzeugt sein, der, übersinnlich, dem sinnlichen, nur in dem Kreis des Irdischen bleibenden Geiste der antiken Welt geradezu widerstrebt?« – Der Professor lächelte. »Ei«, sprach er, »das höhere Reich soll man erkennen in dieser Welt und diese Erkenntnis darf geweckt werden durch heitere Symbole, wie sie das Leben, ja der aus jenem Reich ins irdische Leben herabgekommene Geist, darbietet. Unsere Heimat ist wohl dort droben; aber solange wir hier hausen, ist unser Reich auch von dieser Welt.« »Ja wohl«, dachte ich, »in allem was ihr tatet, bewieset ihr, dass euer Reich von dieser Welt, ja nur allein von dieser Welt ist.« Ich sagte aber das, was ich dachte, keinesweges dem Professor Aloysius Walter, welcher also fortfuhr: »Was Sie von der Pracht unserer Gebäude hier am Orte sagen, möchte sich wohl nur auf die Annehmlichkeit der Form beziehen. Hier, wo der Marmor unerschwinglich ist, wo große Meister der Malerkunst nicht arbeiten mögen, hat man sich, der neuen Tendenz gemäß, mit Surrogaten behelfen müssen. Wir tun viel, wenn wir uns zum polierten Gips versteigen, mehrenteils schafft nur der Maler die verschiedenen Marmorarten, wie es eben jetzt in unserer Kirche geschieht, die, Dank sei es der Freigebigkeit unserer Patronen, neu dekoriert wird.« Ich äußerte den Wunsch, die Kirche zu sehen; der Professor führte mich hinab, und als ich in den korinthischen Säulengang, der das Schiff der Kirche formte, eintrat, fühlte ich wohl den nur zu freundlichen Eindruck der zierlichen Verhält[129]nisse. Dem Hochaltare links war ein hohes Gerüste errichtet, auf dem ein Mann stand, der die Wände in Giallo antik übermalte. »Nun wie geht es, Berthold?« rief der Professor hinauf. Der Maler wandte sich nach uns um, aber gleich fuhr er wieder fort zu arbeiten, indem er mit dumpfer beinahe unvernehmbarer Stimme sprach: »Viel Plage – krummes verworrenes Zeug – Kein Lineal zu brauchen – Tiere – Affen – Menschengesichter – Menschengesichter – o ich elender Tor!« Das Letzte rief er laut mit einer Stimme, die nur der tiefste im Innersten wühlende Schmerz erzeugt; ich fühlte mich auf die seltsamste Weise angeregt, jene Worte und der Ausdruck des Gesichts, der Blick, womit er zuvor den Professor anschaute, brachten mir das ganze zerrissene Leben eines unglücklichen Künstlers vor Augen. Der Mann mochte kaum über vierzig Jahr alt sein; seine Gestalt, war sie auch durch den unförmlichen schmutzigen Maleranzug entstellt, hatte was unbeschreiblich Edles, und der tiefe Gram konnte nur das Gesicht entfärben, das Feuer, was in den schwarzen Augen strahlte, aber nicht auslöschen. Ich frug den Professor, was es mit dem Maler wohl für eine Bewandtnis hätte. »Es ist ein fremder Künstler«, erwiderte er, »der sich gerade zu der Zeit hier einfand, als die Reparatur der Kirche beschlossen worden. Er unternahm die Arbeit, die wir ihm antrugen, mit Freuden, und in der Tat war seine Ankunft ein Glücksfall für uns; denn weder hier, noch in der Gegend weit umher hätten wir einen Maler auftreiben können, der für alles, dessen es hier zu malen bedarf, so tüchtig gewesen wäre. Übrigens ist es der gutmütigste Mensch von der Welt, den wir alle recht lieben, und so kommt es denn, dass er in unserm Collegio gut aufgenommen wurde. Außer dem ansehnlichen Hono[130]rar, das er für seine Arbeit erhält, verköstigen wir ihn; dies ist aber für uns ein sehr geringer Aufwand, denn er ist beinahe zu mäßig, welches freilich seinem kränklichen Körper zusagen mag.«

 

»Aber«, fiel ich ein, »er schien heute so mürrisch – so aufgeregt.« »Das hat seine besondere Ursache«, erwiderte der Professor, »doch lassen Sie uns einige schöne Gemälde der Seiten-Altäre anschauen, die vor einiger Zeit ein glücklicher Zufall uns verschaffte. Nur ein einziges Original, ein Dominichino, ist dabei, die anderen sind von unbekannten Meistern der italienischen Schule, aber, sind Sie vorurteilsfrei, so werden Sie gestehen müssen, dass jedes den berühmtesten Namen tragen dürfte.« Ich fand es ganz so, wie der Professor gesagt hatte. Es war seltsam, dass das einzige Original gerade zu den schwächern Stücken gehörte, war es nicht wirklich das schwächste, und dass dagegen die Schönheit mancher Gemälde ohne Namen mich unwiderstehlich hinriss. Über das Gemälde eines Altars war eine Decke herabgelassen; ich frug nach der Ursache. »Dies Bild«, sprach der Professor, »ist das schönste was wir besitzen, es ist das Werk eines jungen Künstlers der neueren Zeit – gewiss sein letztes, denn sein Flug ist gehemmt – Wir mussten in diesen Tagen das Gemälde aus gewissen Gründen verhängen lassen, doch bin ich vielleicht morgen, oder übermorgen im Stande, es Ihnen zu zeigen.« – Ich wollte weiter fragen, indessen schritt der Professor rasch durch den Gang fort, und das war genug, um seine Unlust zu zeigen, mir weiter zu antworten. Wir gingen in das Collegium zurück, und gern nahm ich des Professors Einladung an, der mit mir nachmittags einen nahegelegenen Lustort besuchen wollte. Spät kehrten wir heim, ein Ge[131]witter war aufgestiegen, und kaum langte ich in meiner Wohnung an, als der Regen herabströmte. Es mochte wohl schon Mitternacht sein, da klärte sich der Himmel auf, und nur noch entfernt murmelte der Donner. Durch die geöffneten Fenster wehte die laue, mit Wohlgerüchen geschwängerte, Luft in das dumpfe Zimmer, ich konnte der Versuchung nicht widerstehen, unerachtet ich müde genug war, noch einen Gang zu machen; es glückte mir, den mürrischen Hausknecht, der schon seit zwei Stunden schnarchen mochte, zu erwecken, und ihn zu bedeuten, dass es kein Wahnsinn sei, noch um Mitternacht spazieren zu gehen, bald befand ich mich auf der Straße. Als ich bei der Jesuiterkirche vorüberging, fiel mir das blendende Licht auf, das durch ein Fenster strahlte. Die kleine Seitenpforte war nur angelehnt, ich trat hinein und wurde gewahr, dass vor einer hohen Blende eine Wachsfackel brannte. Näher gekommen bemerkte ich, dass vor der Blende ein Netz von Bindfaden aufgespannt war, hinter dem eine dunkle Gestalt eine Leiter hinauf und hinunter sprang, und in die Blende etwas hineinzuzeichnen schien. Es war Berthold, der den Schatten des Netzes mit schwarzer Farbe genau überzog. Neben der Leiter auf einer hohen Staffelei stand die Zeichnung eines Altars. Ich erstaunte über den sinnreichen Einfall. Bist Du, günstiger Leser, mit der edlen Malerkunst was weniges vertraut, so wirst Du ohne weitere Erklärung sogleich wissen, was es mit dem Netz, dessen Schattenstriche Berthold in die Blende hineinzeichnete, für eine Bewandtnis hat. Berthold sollte in die Blende einen hervorspringenden Altar malen. Um die kleine Zeichnung richtig in das Große zu übertragen, musste er beides, den Entwurf und die Fläche, worauf der Entwurf ausge[132]führt werden sollte, dem gewöhnlichen Verfahren gemäß mit einem Netz überziehn. Nun war es aber keine Fläche, sondern eine halbrunde Blende, worauf gemalt werden sollte; die Gleichung der Quadrate, die die krummen Linien des Netzes auf der Höhlung bildeten, mit den geraden des Entwurfs und die Berichtigung der architektonischen Verhältnisse, die sich herausspringend darstellen sollten, war daher nicht anders zu finden, als auf jene einfache geniale Weise. Wohl hütete ich mich vor die Fackel zu treten, und mich so durch meinen Schlagschatten zu verraten, aber nahe genug zur Seite stand ich, um den Maler genau zu beobachten. Er schien mir ganz ein anderer, vielleicht war es nur Wirkung des Fackelscheins, aber sein Gesicht war gerötet, seine Augen blitzten wie vor innerm Wohlbehagen, und als er seine Linien fertig gezeichnet, stellte er sich mit in die Seite gestemmten Händen vor die Blende hin, und pfiff, die Arbeit beschauend, ein muntres Liedchen. Nun wandte er sich um und riss das aufgespannte Netz herunter. Da fiel ihm meine Gestalt ins Auge, »he da! he da!« rief er laut, »seid Ihr es Christian?« – Ich trat auf ihn zu, erklärte ihm was mich in die Kirche gelockt, und, den sinnreichen Einfall mit dem Schattennetz hochpreisend, gab ich mich als Kenner und Ausüber der edlen Malerkunst zu erkennen. Ohne mir darauf weiter zu antworten, sprach Berthold: »Christian ist auch weiter nichts, als ein Faulenzer; treu wollte er aushalten bei mir die ganze Nacht hindurch, und nun liegt er gewiss irgendwo auf dem Ohr! – Mein Werk muss vorrücken, denn morgen malt sich’s vielleicht hier in der Blende teufelmäßig schlecht – und allein kann ich doch jetzt nichts machen.« Ich erbot mich ihm behülflich zu sein. Er lachte laut auf, fasste mich bei beiden [133]Schultern und rief: »Das ist ein exzellenter Spaß; was wird Christian sagen, wenn er morgen merkt, dass er ein Esel ist, und ich seiner gar nicht bedurft habe? Nun so kommt, fremder Geselle und Bruder, helft mir erst fein bauen.« Er zündete einige Kerzen an, wir liefen durch die Kirche, schleppten Böcke und Bretter herbei und bald stand ein hohes Gerüst in der Blende. »Nun frisch zugereicht«, rief Berthold, indem er heraufstieg. Ich erstaunte über die Schnelligkeit, mit der Berthold die Zeichnung ins Große übertrug; keck zog er seine Linien, niemals gefehlt, immer richtig und rein. An dergleichen Dinge in früherer Zeit gewöhnt, half ich dem Maler treulich, indem ich, bald oben, bald unter ihm stehend, die langen Lineale in die angedeuteten Punkte einsetzte und festhielt, die Kohlen spitz schliff und ihm zureichte u. s. w. »Ihr seid ja gar ein wackerer Gehülfe«, rief Berthold ganz fröhlich, »und Ihr«, erwiderte ich, »in der Tat einer der geübtesten Architekturmaler, die es geben mag; habt Ihr denn bei Eurer fertigen kecken Faust nie andere Malerei getrieben, als diese? – Verzeiht meine Frage.« »Was meint Ihr denn eigentlich?« sprach Berthold. »Nun«, erwiderte ich, »ich meine, dass Ihr zu etwas Besserem taugt, als Kirchenwände mit Marmorsäulen zu bemalen. Architekturmalerei bleibt doch immer etwas Untergeordnetes; der Historienmaler, der Landschafter steht unbedingt höher. Geist und Fantasie, nicht in die engen Schranken geometrischer Linien gebannt, erheben sich in freiem Fluge. Selbst das einzige Fantastische Eurer Malerei, die sinnetäuschende Perspektive, hängt von genauer Berechnung ab, und so ist die Wirkung das Erzeugnis, nicht des genialen Gedankens, sondern nur mathematischer Spekulation.« Der Maler hatte, während ich dies [134]sprach, den Pinsel abgesetzt, und den Kopf in die Hand gestützt. »Unbekannter Freund«, fing er jetzt mit dumpfer feierlicher Stimme an, »unbekannter Freund, du frevelst, wenn du die verschiedenen Zweige der Kunst in Rangordnung stellen willst, wie die Vasallen eines stolzen Königs. Und noch größerer Frevel ist es, wenn du nur die Verwegenen achtest, welche taub für das Klirren der Sklavenkette, fühllos für den Druck des Irdischen, sich frei, ja selbst sich Gott wähnen und schaffen und herrschen wollen über Licht und Leben. – Kennst du die Fabel von dem Prometheus, der Schöpfer sein wollte, und das Feuer vom Himmel stahl, um seine toten Figuren zu beleben? – Es gelang ihm, lebendig schritten die Gestalten daher, und aus ihren Augen strahlte jenes himmlische Feuer, das in ihrem Innern brannte; aber rettungslos wurde der Frevler, der sich angemaßt Göttliches zu fahen, verdammt zu ewiger fürchterlicher Qual. Die Brust, die das Göttliche geahnt, in der die Sehnsucht nach dem Überirdischen aufgegangen, zerfleischte der Geier, den die Rache geboren und der sich nun nährte von dem eignen Innern des Vermessenen. Der das Himmlische gewollt, fühlte ewig den irdischen Schmerz.« – Der Maler stand in sich versunken da. »Aber«, rief ich, »aber Berthold, wie beziehen Sie das alles auf Ihre Kunst? Ich glaube nicht, dass irgendjemand es für vermessenen Frevel halten kann, Menschen zu bilden, sei es durch Malerei, oder Plastik.« Wie in bitterm Hohn lachte Berthold auf: »Ha ha – Kinderspiel ist kein Frevel! – Kinderspiel ist’s wie sie’s machen, die Leute, die getrost ihre Pinsel in die Farbentöpfe stecken und eine Leinwand beschmieren, mit der wahrhaften Begier, Menschen darzustellen; aber es kommt so heraus, als habe, wie es in jenem [135]Trauerspiele steht, irgendein Handlanger der Natur versucht Menschen zu bilden, und es sei ihm misslungen. – Das sind keine freveliche Sünder, das sind nur arme unschuldige Narren! Aber Herr! – wenn man nach dem Höchsten strebt – nicht Fleischeslust, wie Titian – nein das Höchste der göttlichen Natur, der Prometheusfunken im Menschen – Herr! – es ist eine Klippe – ein schmaler Strich, auf dem man steht – der Abgrund ist offen! – über ihm schwebt der kühne Segler und ein teuflischer Trug lässt ihn unten – unten das erblicken, was er oben über den Sternen erschauen wollte!« – Tief seufzte der Maler auf, er fuhr mit der Hand über die Stirn, und blickte dann in die Höhe. »Aber was schwatze ich mit Euch, Geselle, da drunten für tolles Zeug, und male nicht weiter? – Schaut her Geselle, das nenne ich treu und ehrlich gezeichnet. Wie herrlich ist die Regel! – alle Linien einen sich zum bestimmten Zweck, zu bestimmter deutlich gedachter Wirkung. Nur das Gemessene ist rein menschlich; was drüber geht, vom Übel. Das Übermenschliche muss Gott, oder Teufel sein; sollten beide nicht in der Mathematik von Menschen übertroffen werden? Sollt’ es nicht denkbar sein, dass Gott uns ausdrücklich erschaffen hätte, um das, was nach gemessenen erkennbaren Regeln darzustellen ist, kurz, das rein Kommensurable, zu besorgen für seinen Hausbedarf, so wie wir unsrerseits wieder Sägemühlen und Spinnmaschinen bauen, als mechanische Werkmeister unseres Bedarfs. Professor Walther behauptete neulich, dass gewisse Tiere bloß erschaffen wären, um von andern gefressen zu werden, und das käme doch am Ende zu unserm Nutzen heraus, so wie z. B. die Katzen den angebornen Instinkt hätten, Mäuse zu fressen, damit diese uns nicht den Zucker, der zum [136]Frühstück bereit läge, wegknappern sollten. Am Ende hat der Professor recht – Tiere und wir selbst sind gut eingerichtete Maschinen, um gewisse Stoffe zu verarbeiten, und zu verkneten für den Tisch des unbekannten Königs – Nun frisch – frisch, Geselle – reiche mir die Töpfe! – Alle Töne hab’ ich gestern beim lieben Sonnenlicht abgestimmt, damit mich der Fackelschein nicht trüge, sie stehn nummeriert im Winkel. Reich mir Numero eins, mein Junge! – Grau in grau! – Und was wäre das trockne mühselige Leben, wenn der Herr des Himmels uns nicht so manches bunte Spielzeug in die Hände gegeben hätte! – Wer artig ist, trachtet nicht, wie der neugierige Bube, den Kasten zu zerbrechen, in dem es orgelt, wenn er die äußere Schraube dreht. – Man sagt, es ist ganz natürlich, dass es drinnen klingt; denn ich drehe ja die Schraube! – Indem ich dies Gebälk richtig aus dem Augenpunkt aufgezeichnet, weiß ich bestimmt, dass es sich dem Beschauer plastisch darstellt – Numero zwei heraufgereicht, Junge! – Nun male ich es aus in den regelrecht abgestimmten Farben – es erscheint vier Ellen zurücktretend. Das weiß ich alles gewiss; o! man ist erstaunlich klug – Wie kommt es, dass die Gegenstände in der Ferne sich verkleinern? Die einzige dumme Frage eines Chinesen könnte selbst den Professor Eytelwein in Verlegenheit setzen; doch könnte er sich mit dem orgelnden Kasten helfen und sprechen, er habe manchmal an der Schraube gedreht, und immer dieselbe Wirkung erfahren – Violett Numero eins, Junge! – ein anderes Lineal – dicken ausgewaschenen Pinsel! Ach, was ist all unser Ringen und Streben nach dem Höheren anderes, als das unbeholfene bewusstlose Hantieren des Säuglings, der die Amme verletzt, die ihn wohltätig nährt! – Violett Numero zwei – [137]frisch Junge! – das Ideal ist ein schnöder lügnerischer Traum vom gärenden Blute erzeugt. – Die Töpfe weg, Junge – ich steige herab. – Der Teufel narrt uns mit Puppen, denen er Engelsfittige angeleimt.« – Nicht möglich ist es mir, alles das wörtlich zu wiederholen, was Berthold sprach, indem er rasch fortmalte, und mich ganz wie seinen Handlanger brauchte. In der angegebenen Manier fuhr er fort, die Beschränktheit alles irdischen Beginnens auf das bitterste zu verhöhnen; ach er schaute in die Tiefe eines auf den Tod verwundeten Gemüts, dessen Klage sich nur in schneidender Ironie erhebt. Der Morgen dämmerte, der Schein der Fackel verblasste vor den hereinbrechenden Sonnenstrahlen. Berthold malte eifrig fort, aber er wurde stiller und stiller und nur einzelne Laute – zuletzt nur Seufzer, entflohen der gepressten Brust. Er hatte den ganzen Altar mit gehöriger Farbenabstufung angelegt, und schon jetzt, ohne weiter ausgeführt zu sein, sprang das Gemälde wunderbar hervor. »In der Tat herrlich – ganz herrlich«, rief ich voll Bewunderung aus. »Meinen Sie«, sprach Berthold mit matter Stimme, »meinen Sie, dass etwas daraus werden wird? – Ich gab mir wenigstens alle Mühe richtig zu zeichnen; aber nun kann ich nicht mehr.« – »Keinen Pinselstrich weiter, lieber Berthold!« sprach ich, »es ist beinahe unglaublich, wie Sie mit einem solchen Werk in wenigen Stunden so weit vorrücken konnten; aber Sie greifen sich zu sehr an, und verschwenden Ihre Kraft.« »Und doch«, erwiderte Berthold, »sind das meine glücklichsten Stunden. – Vielleicht schwatzte ich zu viel, aber es sind ja nur Worte, in die sich der das Innere zerreißende Schmerz auflöst.« »Sie scheinen sich sehr unglücklich zu fühlen, mein armer Freund«, sprach ich, »irgendein furchtbares Ereignis trat [138]feindlich zerstörend in Ihr Leben!« – Der Maler trug langsam seine Gerätschaften in die Kapelle, löschte die Fackel aus, kam dann auf mich zu, fasste meine Hand und sprach mit gebrochener Stimme: »Könnten Sie einen Augenblick Ihres Lebens ruhigen, heitern Geistes sein, wenn Sie sich eines grässlichen, nie zu sühnenden Verbrechens bewusst wären?« – Erstarrt blieb ich stehen. Die hellen Sonnenstrahlen fielen in des Malers leichenblasses zerstörtes Gesicht, und er war beinahe gespenstisch anzusehen, als er fortwankte durch die kleine Pforte in das Innere des Collegiums. –

 
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