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2

In bester Stimmung schlenderte Luke Maddison durch das Schneegestöber, das durch die Straßen Londons fegte. Seine Fehler waren ihm vergeben worden – und es sollte eine stille Hochzeitsfeier sein, zu der nur wenige Gäste eingeladen waren. Vor wenigen Minuten hatte er sich sein Coupé im Zuge reservieren lassen – eine heilige Pflicht, die er keinem Sekretär anvertrauen mochte.

Trotz der dicken Schneeflocken, die sein Gesicht trafen, klopfte sein Herz heiter und ungestüm. Das kleine Blumenmädchen hing das Tragband ihres Korbes über die andere Schulter und starrte mißmutig in den weißen Nebel hinein, der sich auf St. James Street hinabsenkte und langsam alles mit seinem Schleier verhüllte. Man konnte nicht mehr von einer Seite der Straße auf die andere blicken. Der Boden war dicht von einer weißen Decke verhüllt. Wenn man die keuchenden Motore nicht gehört hätte, würde man nicht gewußt haben, daß so etwas wie Autobusse vorbeiführen.

Schnee bedeckte die Veilchen im Korb des jungen Mädchens, drang durch den dünnen Schal auf ihren Schultern, folgte ihr selbst in den Zufluchtsort, den der Eingang zu einer Bank ihr darbot.

Zwei Männer strichen an ihr vorbei und gingen in die Bank hinein. Ganz mechanisch bot sie ihnen ihre Blumen an. Der jüngere der beiden bemerkte sie nicht, der andere, ein Mann in mittleren Jahren mit einem kurzen Schnurrbart, warf ihr einen schnellen, prüfenden Blick zu und blieb stehen.

»Nun, Kleine – gute Geschäfte?«

Sie antwortete nicht. Er zögerte einen Augenblick, dann öffnete sich die Tür der Bank, und die Stimme des jungen Mannes rief ihn ungeduldig.

In diesem Augenblick kam Luke Maddison die Straße herunter. Er hatte keinen Mantel an, und seine Schultern waren schon mit Schnee bedeckt.

Im Vorbeigehen sah er das Mädchen, das zitternd in dem Torweg stand, blieb stehen und ging dann zu ihr zurück.

»Kleine, Sie sehen aber verfroren aus! Mein Herz ist warm – aber glauben Sie nicht, daß ich Ihnen Liebesanträge machen will! Ich will Blumen haben, und Sie werden ein Geschenk von mir erhalten, und dann werden wir wieder auseinandertreiben, als ob wir uns nie gesehen hätten – geboren und gestorben in diesem einzigen, eisigen Augenblick! Das Beste wäre ein Kranz!«

Er zog eine Banknote hervor und schwenkte sie lachend vor ihren Augen hin und her. Und dann blickte er sie überrascht an.

Sie war hübsch, sehr hübsch – und Blumenmädchen, mit Ausnahme auf der Bühne, sind es gewöhnlich nicht. Sie hatte eine zarte Figur und wundervollen Teint. Ihre ärmliche Kleidung, ihre ganze Person, sprachen von Armut und Entbehrung.

»Warten Sie, hier ist etwas Besseres.«

Er steckte die Banknote in seine Tasche, zog eine andere heraus und schrieb einige Worte auf diese.

»Hier ist Name und Adresse meiner Firma. Für den Fall, daß man Ihnen beim Wechseln Schwierigkeiten machen sollte, können Sie die Leute oder die Polizei an mich verweisen.«

Sie antwortete nicht, sondern blickte nur von dem Schein in ihren kalten Händen zu dem Geber. Eine Banknote über hundert Pfund! Als sie wieder aufblickte, war er im Nebel verschwunden.

Wieder öffnete sich die Tür der Bank, und die beiden Männer kamen heraus. Das junge Mädchen zerknitterte die Banknote in ihrer Hand, bestürzt, beglückt und in gewisser Beziehung enttäuscht. Dann fiel ihr das Gesicht des jungen Mannes auf, totenblaß, sein Atem kam in Stößen. Sie konnte dies bei der Kälte leicht bemerken.

»Du lieber Gott ... das war ein entsetzlicher Zufall, Danty – nimm nur mal an, er wäre hineingekommen –«

»Halt's Maul, du Narr!« Der ältere der beiden blickte argwöhnisch auf das Blumenmädchen, das eifrig mit ihren Veilchen beschäftigt war.

»Aber wenn er nun gekommen wäre... er sagte, er würde abreisen, bevor er seine Abrechnung verlangte.«

Er zitterte am ganzen Körper, und wenn das Blumenmädchen ihn beobachtet hätte, müßte sie es bemerkt haben. Dantys dunkle Augen suchten auf der Straße nach einem Taxi, blieben dann einen Augenblick auf der Blumenverkäuferin ruhen. Sie war niedlich, auch wenn ihr Gesicht im Augenblick gänzlich ausdruckslos war. Er nahm an, sie hatte sicher mehr Interesse an ihren armseligen Blumen als an unverständlichen Brocken einer Unterhaltung.

»Nun, Rex, sei mal vernünftig. Es liegt wirklich keine Veranlassung zu irgendwelcher Besorgnis vor. Du könntest sehr gut gesagt haben, daß Margaret ...«

Seine Stimme sank zu einem unverständlichen Flüstern herab. Das Mädchen hörte verschiedene Male das Wort »Abrechnung«, »Übertragung«, »Konto«, gleichzeitig zweimal den Namen »Margaret« und »Luke«.

»... schon in Ordnung bringen, mach dir man keine Sorgen!« Danty klopfte dem anderen beruhigend auf die Schultern, und das junge Mädchen war sich klar, daß sie »Danty« nicht ausstehen konnte. »Da ist ein Taxi!«

Der jüngere der beiden winkte und lief auf den Wagen zu. Der andere folgte langsam und ließ beim Vorbeigehen etwas auf ihre Blumen fallen – eine Visitenkarte.

»Komm so gegen neun mit heran und trink ein Glas Wein bei mir«, murmelte er.

Sie ergriff die Karte vor seinen Augen, las langsam Namen und Adresse – und zerriß sie.

Danty war in nicht besonders guter Stimmung, als er seinen Freund einholte.

»Mr. Danton Morell, 907 Half Moon Street«, hatte sie gelesen, ein Name, den sie nicht vergessen sollte.

Und dann tauchte aus dem Nebel der wirbelnden Flocken eine riesige Figur auf, und sie fühlte instinktiv, daß der Mann, der auf sie zu kam, mit ihr sprechen würde. Warum sie dies wußte, konnte sie nicht sagen – er hätte ja ebensogut in die Bank gehen können.

Er war groß und dick. Als er noch nicht neben ihr stand, schien seine Länge gar nicht so außerordentlich zu sein; wenn man seine Länge geschätzt hatte, war die enorme Breite seiner Schultern noch nicht einmal so auffällig. Er war weit über zwei Meter groß, sein breites, rundes Gesicht war dunkel und wenig anziehend, er hatte einen kurzen Stiernacken und eine volle tiefe, ein wenig heisere Stimme.

Langsam, beinah wie im Schlaf, ging er durch den Schnee dahin, die Hände auf dem Rücken, seinen steifen Hut auf dem Hinterkopf, die zerkaute, unregelmäßig brennende Zigarre zwischen den Zähnen.

Das Blumenmädchen nahm an, daß er schließlich doch in die Bank gehen würde, aber – er pflanzte sich vor ihr auf und blickte auf sie hinab. In den kleinen Schlitzaugen lag keinerlei Ausdruck: seine Aufmerksamkeit konnte ebensogut durch sie selbst in Anspruch genommen sein oder durch den Versuch, sich an irgend etwas zu erinnern.

Und dann sagte er heiser: » Sie sind kein Kind der Armen!«

Es lag so viel Freundlichkeit, so viel guter Humor in dem Ton dieser Worte, daß sie lachte.

»Und auch kein Übeltäter«, sagte sie betont ernsthaft, und sein rundes Gesicht verzog sich zu einem entzückten Lächeln.

»Sie sind wirklich die erste Person, die mir jemals die richtige Antwort gegeben hat«, sagte er. »Jetzt will ich Sie noch etwas anderes fragen: Wo in unserer guten Stadt London steht dieser Text in Stein geschrieben?«

Beinahe verächtlich erwiderte das junge Mädchen:

»Solch eine Frage! Über dem Eingang von Old Bailey – »Beschütze die Kinder der Armen und strafe die Übeltäter.«

Er nickte.

»Sie haben wenigstens eine Butterdose gewonnen, aber Sie können sich auswählen, was Sie wollen. Um mal auf etwas anderes zu kommen: Wer und was bin ich? Für die richtige Antwort bekommen Sie eine Tüte Kameruner und ein Freibillett für den Zoo.«

Sie blickte ihn mit einer gewissen übertriebenen Feierlichkeit an, die ihn entzückte.

»Sie sind der Detektiv-Inspektor Horace Bird – und man nennt Sie gewöhnlich ›Spatz‹.«

Er beugte sich zu ihr, und sein Gesicht wurde purpurrot vor unterdrücktem Gelächter.

»Sie sind einzig! Jetzt lassen Sie mich auch einmal ein bißchen hervorragende Detektivarbeit leisten, genau so wie der allgemein bekannte Mr. wie-heißt-er-doch in der Baker Street. Also: Ihr Name ist Mary Bolford, Sie sind Reporter im Daily Post Herald, und Sie erleben gerade praktisch einen kleinen Artikel, betitelt: ›Ein Tag in dem Leben eines Blumenmädchens.‹ Streiten Sie es nur nicht ab. Ihr Verleger hat mich vor einer Stunde auf Sie aufmerksam gemacht und mich gebeten, Sie im Auge zu behalten. Was sagen Sie zu meiner ausgezeichneten Schlussfolgerung? Kommen Sie mit und trinken Sie eine Tasse Tee mit mir, und ich will Ihnen bei dieser Gelegenheit meine hervorragende Lebensgeschichte mitteilen.«

Er schob die Zigarre in den anderen Mundwinkel, nahm ihr den Blumenkorb ab, und Seite an Seite marschierten die beiden durch den Schnee St. James Street hinunter. So unbehaglich sich auch die Fußgänger in diesem Schneegestöber fühlen mochten, ein jeder blieb stehen, um einen Blick auf diesen riesenhaften Mann mit einem Korb Veilchen unter dem Arm zu werfen.

»Ich möchte wetten, Sie werden das noch teuer bezahlen müssen«, brummte er. »Naß bis auf – Ich hoffe, Sie tragen wenigstens warmes Unterzeug! Ich möchte eigentlich wissen, warum es unfein ist, von Unterzeug zu reden, und warum kein Mensch etwas gegen den Ausdruck ›Pelzmantel‹ einzuwenden hat. Ach was. Ist auch eines der großen Rätsel. Guten Tag, Tom.« Er hielt einen Mann auf, der mit gebeugtem Haupt gegen den Schneesturm ankämpfte und an ihnen vorbeizuschlüpfen versuchte.

»Morgen, Mr. Bird – verdammt kalt, was?«

»Man merkt es noch mehr, wenn man vor dem Personaleingang von Hoyce & Drake wartet, nicht wahr, Tom? Niedliches Mädel, was, Tom? Ich möchte aber wetten, Ihre Frau hat nicht dieselbe Meinung. Tun Sie's lieber nicht, Tom, oder ich komme mal eines Tages zu Ihnen, und das wird Ihnen verd... wenig gefallen! Auf Wiedersehen!«

 

»Sie sind ja fürchterlich!« murmelte sie, als der Mann davoneilte.

»Ich muß so sein«, sagte er gleichgültig. »Es ist die einzige Sprache, die diese Art Leute richtig versteht. Was haben Sie eben gesagt – fürchterlich? Das ist ein seines Wort. Bitte, gehen Sie voran, Miß Bolford.«

Sie traten in das Restaurant ein, Mary Bolford fühlte die Wärme, roch die frischen Backwaren und seufzte behaglich.

»Bestellen Sie, was Sie wollen, bis zum Preise von vierzig Pfennig«, sagte der Spatz. »Ich habe gerade gegessen, und so werden Sie mich entschuldigen, wenn ich beim zehnten Kuchen aufhöre.«

Er schien sich um die anderen Gäste in dem langen Teeraum in keiner Weise zu kümmern und doch –

»Der Kerl da gegenüber in der Ecke ist Sam Larber, der bekannte Hochstapler. Die Zeiten sind jetzt sehr schlecht, und es gibt wenig Goldfische. Es müßte eigentlich einen Unterstützungsfonds für Hochstapler geben, denn die Sonne muß scheinen, um die Leute Dummheiten machen zu lassen. Das Mädel, das mit ihm zusammensitzt, ist Lisa Keane – weiß Gott, kein Engel der Barmherzigkeit! Sehen Sie den kahlköpfigen jungen Menschen, der sich hinter seiner Zeitung versteckt? Ich habe ihm neun Monate verschafft, weil er Autos geklaut hat – klauen heißt mausen – entschuldigen Sie bitte meine ausländischen Ausdrücke.«

»Was halten Sie davon?«

Sie strich ein Stückchen knisterndes Papier glatt und legte es vor ihn auf den Marmortisch.

»Ich halte überhaupt nichts von Hundert-Pfund-Noten – ich träum' bloß davon«, erwiderte er und fügte ganz unzusammenhängend hinzu: »Jedenfalls, weil er sich verheiraten will. Ich sah, wie er den Schein vor Ihren Augen hin und her schwenkte, und dachte erst, er versuchte einen guten Eindruck bei Ihnen zu machen. Ich war eigentlich etwas enttäuscht, denn Mr. Maddison hat mir niemals den Eindruck eines Schürzenjägers gemacht, und dann wurde mir auf einmal klar, was das Ganze bedeuten sollte.«

Wenn sie auch Reporter war, Frau war sie doch geblieben, denn sie fragte neugierig:

»Wen heiratet er denn?«

»Eine Dame.«

»Es war ihr Bruder, der mit einem anderen Herrn am Eingang der Bank sprach. Danty heißt der andere. Was Rex verliert, läuft auf einem kleinen Umweg in Dantys Tasche. Die Buchmacher haben das Leben von Rex versichern lassen – der Gedanke, daß sie mal ihr jährliches Einkommen verlieren könnten, ist ihnen mehr als widerwärtig. Und wenn er sich mal in dem großen Teich der Spekulanten blicken läßt, schärfen alle Haifische ihre Zähne. Sein Geld ist so leicht zu bekommen – oder sagen wir lieber nicht sein, sondern das Geld, was er seinen guten Freunden abpumpen kann? Ist das Klatsch oder Verleumdung?«

»Beides – wenn ich es drucken lassen würde«, lächelte sie zurück.

Die Kellnerin kam, und sie trank ihren heißen Tee mit großem Behagen, während Mr. Bird ernsthaft seine zahlreichen Keks knabberte. Als der Teller beinahe leer war, erklärte er:

»Ich bin ein großer, kräftiger Mann und muß vorsichtig leben. Solche Kuchen wirken ganz eigenartig auf mich. Wenn ich so ein Dutzend intus habe, fühle ich mich fast wie bezecht, und alle meine Sorgen verschwinden. Bei zwanzig fange ich an, verrückt zu werden, und reiße dann das Pflaster auf.«

Glücklicherweise hörte er schon bei dem siebenten auf.

»Was soll ich denn mit den hundert Pfund hier anfangen?« fragte sie. »Ich habe das Gefühl, daß ich das Geld unter falschen Voraussetzungen erhalten habe.«

»Ich habe bei Cecilia & Co. ein paar sehr schöne Gesellschaftskleider gesehen«, entgegnete er ernsthaft. »Es ist ein großes Modewarenhaus in der Bond Street – und wenn Sie mich fragen, was die Mode mit den Kleidern noch vorhat, dann sage ich: ›Sprechen wir lieber nicht davon!‹ Da war ein Kleid mit Schulterbändern oben, tragen Sie das, und Sie bekommen den ersten Preis beim Kunst- und Wettschwimmen ...«

»Wer ist eigentlich Danty?«

Sie befand sich in einer neuen Welk, eine Welt, in die sie gerade vor einer Viertelstunde getreten war.

»Ich kenne seinen Namen«, fuhr sie schnell fort. »Danton Morell, er gab mir seine Karte.«

Mr. Bird nickte.

»Selbstverständlich hat er das; er gehört zu dieser Art von Menschenfreunden. ›Komm mal am Abend zu mir, wenn die Dienstboten in das Kino gegangen sind.‹ Danty ist gerissen. Ich bin einer der wenigen, die wissen, wie gerissen er eigentlich ist. Eines schönen Tages werde ich ihm mal meinen Besuch machen und ihm mitteilen, sich ein anderes Jagdgelände zu suchen.« Und dann begann er ihr von allerhand Menschen zu erzählen – von der stets wechselnden Bevölkerung im West End. Von den Männern und Frauen, die kamen und gingen; von dem gütigen alten Herrn, der das ganze Jahr hindurch seine Zimmer im Cecil-Hotel hatte, aber seine Zeit damit verbrachte, zwischen England und New York hin und her zu fahren, um leichtgläubige und vertrauensselige Menschen beim Kartenspiel um ihr Geld zu erleichtern. Er sprach ihr von merkwürdigen Leuten, die keinerlei Beruf hatten, von deren Einkünften nichts bekannt war, und die dennoch ständig in den besten Hotels lebten. Er nannte sie die Einmal-im-Jahr-Leute.

»Sie machen bloß einen einzigen Schlag im Jahre, und das genügt ihnen. Sie sind die bestbezahlten Märchenerzähler der ganzen Welt. Kipling und, wie heißt er doch gleich – Shaw? – verdienen nicht die Hälfte von dem, was den Kerls für ihre Geschichten bezahlt wird.«

»Ich glaube, Sie machen tagtäglich neue Erfahrungen?«

Mr. Bird seufzte.

»Ich glaube, daß mir im Laufe der Zeit alles bekannt geworden ist, was man von den krummen Wegen der Hochstaplergesellschaft wissen muß«, antwortete er.

Aber hierin irrte er sich.

In derselben Nacht rief man ihn nach Nummer 342 in der Brook Street. Mit Hilfe des leichenblassen Mr. Danton Morell brach er die Tür des Schlafzimmers auf und fand dort Rex Leferre – tot – von seiner eigenen Hand getötet. Er lag auf dem Fußboden und der Revolver an seiner Seite. Im gleichen Augenblick hatte Danty die Zettelchen mit den Bleistiftzeilen bemerkt und seine Hand darüber gelegt. Eine Stunde später las Margaret erschüttert die Mitteilung, die der Detektiv nicht gesehen hatte:

»Margaret, mein Liebling, ich bin verloren. Monatelang habe ich spekuliert und heute einen verzweifelten Schritt gewagt auf den Rat von

Luke Maddison. Er hat mich ruiniert – Geld ist sein Gott. Ich bitte Dich um alles in der Welt, traue ihm nicht. Er hat mich von einer Torheit in die andere getrieben. Gott segne Dich. Rex.«

Wieder und wieder las sie diese erschütternden Zeilen. Luke Maddison: der Mann, den sie in einer Woche heiraten würde!

3

Zwei Tage hindurch lebte Margaret Leferre in einer Welt schrecklicher Unwirklichkeit. Merkwürdige Leute suchten sie auf: ein großer starker, dunkelgekleideter Mann, der in schwerfälliger Weise versuchte, einen Klang von merkwürdiger Sympathie in seine geschäftlichen Besprechungen zu bringen, ein Bankdirektor, der wild und unverständlich durcheinander sprach, bis glücklicherweise Danty erschien und ihn verschwinden ließ.

Eine einzige Tatsache stand Tag und Nacht in ihrem schmerzenden Gehirn: Rex war tot, hatte sich selbst das Leben genommen, und der Mann, den sie heiraten wollte, der Mann, der halb irre in seiner Angst um sie drei-, viermal am Tage vorsprach und nicht angenommen wurde, dieser Mann hatte den Tod ihres Bruders verursacht. Geld war sein Gott! Es war schwer, sich an diese unerwartete Seite seines Charakters zu gewöhnen, noch schwerer war es, diese gefühllose Brutalität zu verstehen, die eine junge Seele in die ewige Nacht wandern ließ.

Die Verlobung zwischen ihnen beiden war auf ganz natürliche Weise entstanden. Beide Familien waren seit Jahrzehnten miteinander bekannt. Sie hatte schon als Kind mit Luke Maddison gespielt. Es war zwischen ihnen kein plötzliches Zusammentreffen, keine Liebe auf den ersten Blick gewesen, und sie erinnerte sich nicht, ihn jemals nicht gern gehabt zu haben, war aber auch nicht imstande, Tag, Monat oder Jahr anzugeben, als Sympathie zur Liebe wurde.

Das war das wirkliche Unglück in ihrer Situation. Sie erinnerte sich nun an alles, was Rex von ihm gesagt hatte – er war »zugeknöpft« ... Immer hatte sie gedacht, daß Luke großzügig wäre, von einer Großzügigkeit, die beinah an Dummheit grenzte. Aber hier wurden die nackten Tatsachen vor sie gelegt – Männer kannten ihn besser. Sie biß die Zähne zusammen und zwang sich zu einer Frage an Danty, der ihr in diesen furchtbaren Tagen merkwürdig nähergekommen war. Danty zuckte die Achseln.

»Ich befürchte, es ist wirklich so – Maddison denkt zu viel an sein Geld. Ich sah ihn kürzlich, und das einzige, was er von Rex erwähnte, war, daß es ein Glück wäre, Rex sei versichert gewesen.«

(Und hiermit sagte er die Wahrheit, denn Luke hatte die Versicherung als einen Schutz für das junge Mädchen erwähnt, das sonst auch noch für die Schulden ihres Bruders hätte einstehen müssen.) »In diesem Punkt ist er wie närrisch. Natürlich wird er Ihnen nicht in diesem Licht erscheinen; das Geld und Sie sind seine beiden Hauptleidenschaften.« Er sah, wie sie zusammenzuckte, und fuhr schnell fort: »Es ist furchtbar, so etwas zu sagen, aber es ist wahr – mit der Ausnahme vielleicht, daß ich im Augenblick nicht so sicher bin, ob Sie nicht jetzt an erster Stelle stehen.«

Es war nach dieser kurzen Unterredung, daß der Haß, den sie in sich gegen den Mann wachsen fühlte, dessen Namen sie tragen sollte, bestimmte Formen annahm. Sie konnte nicht wissen, wie sehr dieser beinahe wahnsinnige Haß durch die Intrigen ihres neuen Ratgebers geschürt wurde.

Danty war geschickt – teuflisch geschickt. Er dachte schnell, plante schnell und handelte ebenso schnell. Ein Gedanke war ihm in der Nacht von Rex' Tode gekommen. Im ersten Augenblick erschien er ihm allzu phantastisch, und er arbeitete seinen Plan nicht weiter aus, bevor er nicht bei Margaret vorsichtig sondiert hatte. Wenn sie Maddison liebte, wirklich liebte, würde sie seine Handlungen milder beurteilen. Sie würde, wenn auch halb widerwillig, durch das Urteil der Totenschaukommission befriedigt sein und den letzten Brief ihres Bruders in anderem Lichte betrachten. Das würde natürlich die noch halb fertigen Pläne Mr. Morells durchkreuzt haben. Aber er fand Margaret in einer Stimmung, ja sogar in dem Wunsche, das Schlimmste von ihrem Verlobten zu glauben, und so stand sein Plan fest.

»Geld ist sein Gott«, das war sein Text. Und er arbeitete diesen Text tagtäglich aus. Bearbeitete dies Thema eifriger, sprach überzeugender, als jemals in den Tagen, wo er von der Leichtgläubigkeit neugefundener Bekannter lebte. Alle seine professionellen Tricks, alle nur möglichen Überredungsmöglichkeiten, die oft wirksamer in indirekter Weise wirken, alle seine suggestiven Kräfte wandte er an.

»Jetzt im Augenblick ist er meiner Meinung nach so sehr darauf aus, Sie zu heiraten, daß er jeden Pfennig opfern würde. Ganz ehrlich gesagt, ich glaube, wenn Sie von ihm verlangten, Ihnen sein ganzes Vermögen zu verschreiben – und das könnte ja natürlich in Ihrem Heiratsvertrag geschehen – er würde die Unterschrift ohne jedes Zögern geben. Er würde es natürlich später bereuen, und ich glaube, schon während der Flitterwochen würde er versuchen, diese Überschreibung rückgängig zu machen. Ich habe oft darüber nachgedacht, was diese so überaus großzügigen Liebhaber wohl tun würden, wenn ihre Frauen sich einmal weigerten, ihren Wünschen nachzukommen...«

Sie starrte an ihm vorbei durch das Fenster hinaus. Sie war bildschön, nicht von jener etwas herausfordernden Schönheit von Millie Haynes, die im Asyl gestorben war, sondern von einer so feinen, sensitiven Schönheit, daß ihm der Atem stockte. Seine Augen wanderten über sie hinweg. Er kalkulierte mit der Strenge ihres Charakters und mit Luke Maddisons Schwäche, und in Luke lag sicher etwas von einem Schwächling, oder er müßte sich sehr irren – aber Mr. Danton Morell irrte sich selten in seiner Beurteilung eines Mannes.

»Es ist fast unmöglich«, sagte sie langsam. »Wenn ich glauben sollte ...« Dantys Pläne standen jetzt unerschütterlich fest.

»Sie meinen, daß das Geld Maddisons Gott ist?« Sein Ton klang überrascht. Es kränkte ihn beinah, daß sie nicht dieselbe Meinung über ihren Verlobten hatte wie er selbst. »Du lieber Himmel! Ich könnte Ihnen Dutzende von Beispielen bringen ...«, und er gab sie ihr. Wenn auch nicht ein Dutzend, so doch völlig genügend. Dantys erfinderischer Geist benötigte keinen besonderen Anreiz.

 

»Ich kenne einen Mann in Norfolk – übrigens einer der besten Freunde Maddisons – Maddison hatte einen Haufen Aktien einer Ölgesellschaft, deren Produktion fast auf Null gesunken war. Eines schönen Abends hatte er seinen Bekannten zum Essen eingeladen, und bevor noch die Nacht vorüber war, waren hunderttausend absolut wertlose Aktien in den Besitz des Mannes übergegangen, der ihm vertraute, wie ... nun, wie Sie ihm trauen! Noch ein anderer Fall – und darüber sprach seinerzeit die ganze City – da war ein Mann, der...«

Auch diese zweite Lüge lief ihm ebenso glatt von den Lippen wie die erste. Es war alles sehr roh, was er vorbrachte, und hätte bei einem unbefangenen Zuhörer nur auf verächtlichen Unglauben stoßen können. Hätte er eine Woche früher derartiges versucht, wäre er sicher sofort vor die Tür gesetzt worden. Aber Rex lag in der kleinen Kammer der Leichenhalle, und ein Beamter der Kommission sammelte schon zwölf brave Leute zusammen, die ihr Urteil über einen Geisteszustand abgeben sollten, der die Veranlassung war, daß ein Revolver sich entlud und ein Leben abgeschlossen war.

Danty sah, wie die roten Lippen sich zusammenpreßten.

Er hatte einen Diener, der früher einer seiner Helfershelfer gewesen war. Pi Coles war Falschspieler, bis eine gerechte Vorsehung seinen Händen Rheumatismus schenkte. Er war ein ungewöhnlich kleiner Mann, kahlköpfig, mit einem Gesicht, in das Alter und Schmerzen ihre Zeichen gegraben hatten. Ihm vertraute Danty die meisten seiner Gedanken, ohne jedoch Namen zu erwähnen. Das tat er niemals.

»Es ist doch eigentlich komisch, Pi, wie die Dummköpfe auf irgendeine gute Geschichte hineinfallen. Erinnerst du dich noch, wie wir beide auf demselben Korridor im Strangeway-Gefängnis saßen? Kommt mir gar nicht so vor, als ob das acht Jahre zurückläge, und jetzt bin ich hier in der feinsten Gesellschaft und gebe Leuten Ratschläge, die Hunderttausende besitzen – Leute, die mit ganz feinen auf du und du stehen!«

»Und du bist immer Kavalier gewesen, Larry – solange ich dich kenne, hast du dich sogar immer fürs Abendessen umgezogen«, sagte Pi schmeichelnd.

»Nicht immer ›Larry‹, paß doch auf«, warnte Mr. Morell. Er saß in seinem behaglichen Zimmer und konnte darüber nachdenken, wie gnädig ihm das Schicksal gewesen war. Seine Lage war allerdings nicht ganz einzigartig – war denn nicht einmal ein berüchtigter Hochstapler der geehrte Gast einer fremden, hochstehenden Persönlichkeit gewesen und war nicht derselbe später an verschiedenen europäischen Höfen als der Freund Königlicher Hoheiten empfangen worden?

Es war am dritten Tage nach dem Drama. Die zwölf braven Leute, die die Leichenschaukommission bildeten, hatten sich am Nachmittag zusammengefunden. Es war nicht der glücklichste Tag in Dantys Leben. Am Abend vorher hatte er eine Nachricht von Luke Maddison erhalten, und der Ton dieser Mitteilung war eigenartig, beinahe unfreundlich; um was es sich handelte, wußte Danty nur zu gut. Nur hatte er gehofft, daß seine Anwesenheit in der Bank an einem gewissen Nachmittage von dem Kassierer nicht bemerkt worden war.

Das Büro Lukes lag in Pall Mall – kaum eine Gegend, die ein Mann, dessen Hauptbeschäftigung in Finanzsachen lag, gewählt haben würde; aber Maddisons Bank war schon seit mehr denn zweihundert Jahren die Besitzerin des Grundstücks, auf dem jetzt das moderne Gebäude stand, und der bescheidene Raum, dessen Fenster auf den Waterloo-Platz blickten, war bereits in den weit zurückliegenden Tagen das Zimmer des Inhabers gewesen.

Luke war schon seit acht Uhr, eine Stunde früher als das Personal, in seinem Büro, und hier fand ihn sein Prokurist. Er saß still vor dem Schreibtisch, den Kopf in die Hände gestützt, seine Privatbriefe lagen ungeöffnet vor ihm.

Maddison fuhr hoch, als sein Angestellter eintrat.

»Hallo!« sagte er halb verlegen. »Was gibt's denn?«

Nach der Ansicht Mr. Steeles, dieses erfahrenen Geschäftsmannes, gab es sehr viel. Er legte ein kleines Paket Papiere auf den Tisch und berichtete in kurzen Worten über ihren Inhalt.

»Hier sind vier oder fünf Transaktionen, die heute abgeschlossen werden müßten, Mr. Maddison. Ich mache mir eigentlich etwas Sorgen. Die Gulanga-Öl-Abrechnuug muß erledigt werden. Wir haben hierbei einen großen Verlust erlitten.« Luke nickte ungeduldig.

»Erledigen Sie das«, sagte er, »ist keine Nachricht da von – von Miß Leferre?«

Eine törichte Frage, denn er hatte sein Privattelefon und wußte sehr gut, daß jede Nachricht, die von Margaret kam, sofort zu ihm durchgestellt werden würde.

Der Prokurist schüttelte sorgenvoll den Kopf.

»Eine sehr peinliche Sache, Sir; ich habe noch nicht mit Ihnen darüber gesprochen, weil ich mir denken kann, wie unangenehm Ihnen das sein muß. Northern & Southern waren heute morgen schon wieder am Apparat wegen des Schecks – Sie erinnern sich, daß sie gestern schon mal danach gefragt haben?«

»Ja, ja.« Lukes gewöhnlich so freundliche Stimme wurde barsch. »Sagen Sie ihnen, die Sache wäre in Ordnung.«

»Das habe ich gestern schon getan.« Mr. Steele hätte noch gern länger über diese Angelegenheit gesprochen, trotzdem er wußte, wie unangenehm sie seinem Chef war. Verzweifelt kam Luke auf die Frage der Gulanga-Öl-Konzession zurück, und zum ersten Mal in seinem Leben reizte ihn Mr. Steeles beinahe väterliches Interesse an seinem Geschäft über alle Maßen.

»Selbstverständlich, Sir, weiß ich ganz genau, daß Maddisons so gesund sind wie nur irgendeine andere erstklassige Firma, aber die Tatsache läßt sich nicht verleugnen, daß wir innerhalb der letzten sechs Monate außerordentlich schwere Verluste erlitten haben, und ich befürchte, ich muß Sie bitten, Ihre Privatguthaben in Anspruch zu nehmen. Ich persönlich«, fuhr er fort, ohne auf Lukes wachsende Ungeduld zu achten, »war immer der Ansicht, daß wir einen Fehler begingen, als wir uns nicht einem der großen Konzerne anschlossen. In privaten Bankgeschäften spielt das persönliche Vermögen des Inhabers meiner Meinung nach eine zu große Rolle als Sicherheit für –«

Glücklicherweise läutete in diesem Augenblick das Telefon. Luke ergriff den Hörer und lauschte stirnrunzelnd.

»Ja, lassen Sie ihn hereinkommen.« Und zu Mr. Steele: »Ich habe mit Mr. Morell zu sprechen und möchte nicht gestört werden.«

Mr. Steele verzog das Gesicht. Sein ganzes Leben hindurch war er in der Firma Maddison & Sons gewesen, und er scheute sich nicht, seine Abneigung dem gemeldeten Besucher gegenüber zu verbergen.

»Der Mensch hat etwas an sich, Mr. Maddison, was ich nicht ausstehen kann. Hoffentlich werden wir nicht geschäftlich mit ihm zu tun haben?« Luke schüttelte den Kopf und wies auf die Tür.

Mr. Danton Morell kam in eine Atmosphäre, die, wie er fühlte – und in derartigen Dingen war er außerordentlich feinfühlig – mit Feindschaft geladen war. Trotzdem war er sein lächelndes Selbst und stellte mit betonter Sorgfalt seinen tadellosen Zylinder vorsichtig auf den Tisch. Luke bemerkte, daß er einen Trauerstor trug, und aus irgendwelchen Gründen schien dies seine gespannten Nerven noch weiter zu reizen.

»Nehmen Sie Platz, bitte«, seine Stimme und sein Benehmen waren schroff. »Sie waren ein Freund von Rex?«

Danty bejahte kopfnickend.

»Ja. Ich hatte sein ganzes Vertrauen«, begann er. »Ich glaube, ich erzählte Ihnen bereits am Tage nach dem unglücklichen –«

Luke unterbrach ihn kurz. »Ging das so weit, daß Sie ihn vor drei Tagen nach der Northern & Southern Bank begleiteten, als er einen Scheck von achtzehntaufendfünfhundert Pfund einkassierte?«

Danty blickte ihn mit gut gespieltem Erstaunen an.

»Aber natürlich«, sagte er. »Rex hatte große Verluste in der City erlitten, und ich gab ihm den Rat, mit Ihnen zu sprechen. Soweit ich verstanden habe, gaben Sie ihm einen Scheck über diese Summe und –«

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