Mord und Totschlag in Chicago

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Victor Vinsetti nahm eine recht außergewöhnliche Stellung in der Unterwelt von Chicago ein. Seit zwei Jahren war er der Unterhändler einiger großen Banden, die den Schmuggelbetrieb auf den großen Seen Kanadas aufrechterhielten. Seine Haupttätigkeit bestand außerdem darin, die vielen Streitigkeiten zu schlichten, die für gewöhnlich unter den Geschäftspartnern auszubrechen drohten.

Er sah gut aus und stand in dem Ruf, zu Damen besonders höflich zu sein.

Zu seinem Unglück machte er den Fehler, sich in Kanada mit einer jungen Dame zu verloben, die sich nicht ohne weiteres abschütteln ließ, als er ihrer überdrüssig wurde. Sie verklagte ihn wegen Bruchs des Heiratsversprechens, und obwohl er mit Hilfe eines geschickten Rechtsanwaltes die Sache durch einen Vergleich beizulegen versuchte, wurde er zur Zahlung einer beachtlich großen Schadenersatzsumme verurteilt. Er zahlte, ohne mit der Wimper zu zucken. Viel schlimmer war es für ihn, daß er durch diese Sache seinen Posten als Agent verlor, was ihn um einen großen Teil seiner Einnahmen brachte.

»Skandale liegen mir nicht«, erklärte ihm Tony Perelli, als die Angelegenheit zwischen ihnen zur Sprache kam. »Sie sind in Kanada jetzt bekannt wie ein bunter Hund, und das kann ich begreiflicherweise nicht gebrauchen.«

»Das ist doch unsinnig«, entgegnete Vinsetti, für den allerhand auf dem Spiel stand.

»Möglich. Das ist wenigstens Ihre Ansicht – ich denke anders darüber. Gehen Sie eine Zeitlang nach dem Osten und seien Sie froh, daß ich Ihnen nichts weiter nachtrage.«

Er klopfte Vinsetti liebenswürdig auf die Schulter.

Als er am Abend allein mit Minn Lee zusammensaß, unterhielt er sich eingehend mit ihr über den Vorfall. Sie saßen Seite an Seite auf einer breiten Couch; der Raum war matt erleuchtet vom Schimmer einiger bernsteinfarbiger Lampen.

»Dieser Vinsetti läuft zu sehr den Weibern nach. Unentwegt diese Liebeleien und ähnlicher Unsinn.«

»Ist denn Liebe Unsinn?« fragte sie lächelnd.

Er schmunzelte. »Die Liebe zu dir natürlich nicht! Aber wo in der Welt findet man auch eine solche Frau wie dich?«

Er streichelte vorsichtig ihre kleine Hand und schaute sie zärtlich an; dann ging er zum Klavier und spielte eine Stunde lang. Sie lauschte ihm hingegeben; er war ein hervorragender Pianist. Auch Geigenspielen konnte er virtuos, aber vor allem Klaviermusik war seine Leidenschaft.

Als Tony zu Minn Lee zurückkehrte und sich an ihrer Seite niederließ, fing er noch einmal von Vinsetti an.

»Der Junge ist tatsächlich ein wenig zu unbeständig – aber trotzdem war er mir sehr nützlich. Er konnte wenigstens wie ein vornehmer Mann auftreten und mit vornehmen Leuten verhandeln. Vielleicht überlege ich mir die Sache doch noch. Schließlich macht jeder einmal einen Fehler...«

Ein paar Tage später hatte er Victor Vinsetti schon beauftragt, mit dem Polizeichef Kelly über die Freilassung eines Bandenmitglieds zu verhandeln, das die Polizei geschnappt hatte. Es war ein Triumph für Vinsetti, daß er den Mann durch seine geschickte Verhandlungstaktik freibekam.

»Eigentlich hätten wir den Burschen ja hierbehalten sollen«, sagte Kelly, als er mit Harrigan die Sache besprach.

»Vielleicht – vielleicht auch nicht«, erwiderte Sergeant Harrigan. »Meiner Meinung nach hat Perelli nur deshalb so viel Wert darauf gelegt, daß dieser Bursche freikommt, weil er fürchtet, man könnte dem Mann noch ein anderes Verbrechen zur Last legen. Heute morgen wurde Red Gallway gefunden – er ist von hinten niedergeknallt worden.«

»Das war zu erwarten – der Mensch hat auch wirklich zu viel geredet. Übrigens, es ist zwar Zeitvergeudung, aber vielleicht besuche ich doch einmal Perelli.«

»Wissen Sie, daß er eine neue Frau im Haus hat?«

»Ja, ich weiß – Minn Lee, Mrs. Waite oder wie sie sonst heißt. Eines muß man Perelli schon lassen – er ist das, was es eigentlich gar nicht gibt: ein Gentleman Verbrecher. Eine nette Auswahl von Rohlingen hat er ja um sich versammelt, aber niemals hat einer seiner Bande etwas verraten.«

Harrigan sah ihn bedeutungsvoll an.

»Früher oder später wird wenigstens einer pfeifen«, meinte er leise.

»Denken Sie an Vinsetti? Wenn der Fall eintreten sollte, weiß Perelli früher davon als wir – und wenn erst Perelli etwas davon weiß ...«

Er lächelte und vollendete den Satz nicht.

Harrigan zündete sich eine Zigarre an.

»Natürlich wird Vinsetti niemals als Zeuge vor Gericht zu gebrauchen sein. Immerhin will er sich aber gut mit der Polizei stellen, und ganz bestimmt wird er uns eines Tages Einzelheiten sagen, die uns Perelli vielleicht ans Messer liefern.«

»Glauben Sie? Dann sagen Sie ihm, wenn Sie ihn das nächste Mal sehen, daß Perelli ganz genau weiß, was für ein unsicherer Kantonist er ist. Sichern Sie Vinsetti zu, daß wir ihm jeden Schutz gewähren, wenn er beichtet.«

Harrigan versuchte während der beiden nächsten Tage ein zufälliges Zusammentreffen mit Victor Vinsetti herbeizuführen. Er hatte keinen Erfolg, weil Vinsetti inzwischen Minn Lee getroffen und prompt Feuer gefangen hatte.

Minn Lee hatte zwar etwas eigenartige Begriffe von Ehrenhaftigkeit, aber man mußte ihr lassen, daß sie sich wenigstens streng danach richtete. Zum Beispiel wäre es ihr nie eingefallen, den Mann zu betrügen, dem sie angehörte. So hinterbrachte sie alles, was Vinsetti tat und was er ihr vorschlug, getreulich Tony. Ohne viel Aufhebens davon zu machen, erzählte sie ihm, was sich jeden Tag zugetragen hatte. Gerade ihre Bescheidenheit und Zurückhaltung waren es, was Tony Perelli so an ihr leiden mochte.

Vinsetti hatte über viele Dinge mit ihr gesprochen; vor allem natürlich über seine Liebe und über das glanzvolle und abwechslungsreiche Leben in Europa, das er ihr bieten wollte. Aber er hatte auch andere Dinge berührt, die Antonio Perelli nicht im günstigsten Licht erscheinen ließen. Zum Beispiel erzählte er ihr von einigen Gebäuden im Stadtteil Cicero, die eine ganze Reihe sehr übel beleumdeter Lokale enthielten.

Minn Lee war nicht sehr aufgebracht darüber. Was Tony Perelli auch tat, war für sie richtig.

Tony dagegen, dem sie berichtete, war ernstlich böse; als er Vinsetti am nächsten Tag traf, war er kurz angebunden.

»Wenn du mit Minn Lee sprechen willst«, sagte er zu ihm, »dann benütze in Zukunft am besten das Telefon. Du bist zwar brauchbar – aber auch du redest zu viel!«

Als Vinsetti Tony ansah, erschrak er. War er diesmal zu weit gegangen?

An und für sich war Tony Perelli durchaus nicht sehr nachtragend. Man konnte mit ihm streiten, und er war nicht der Mann, der sich ewig über eine solche Zwistigkeit ärgerte. Anders war es, wenn gewisse Grenzen überschritten wurden – dann konnte er erbarmungslos sein.

Bis jetzt war Tony Perellis Streit mit Vinsetti rein privater Natur. Man hatte ihn in den Augen seiner Frau herabgesetzt, und er fühlte sich deshalb in seiner persönlichen Ehre angegriffen. Allerdings schien er auch diese Sache noch einmal vergessen zu wollen. Doch Vinsetti hatte den Haß in Perellis Augen gesehen, und das hatte genügt, um seine Leidenschaft abkühlen zu lassen. Er wurde vorsichtig. Als geborener Diplomat wußte er, daß man seinem Gegner schmeichelte, wenn man sich vor ihm in acht nahm. Nach einer Weile schien auch wieder alles im alten Geleise zu sein, wenigstens war Perelli liebenswürdig wie immer. Vinsetti aber war trotzdem beunruhigt.

Er sollte recht behalten.

Für gewöhnlich war Tony großzügig, gleichzeitig lag aber etwas von der Hinterlist einer Katze in seinem Charakter: Ohne vorher zu warnen, schlug er rücksichtslos zu. Diesmal machte er eine Ausnahme und deutete bei Vinsettis nächstem Besuch an, was er wußte.

»Dein Urlaub fällt dieses Jahr ins Wasser«, sagte er. »Gib deinen Platz auf der ›Empress of Australia‹ lieber zurück. Du hättest das Geld zum Fenster hinausgeworfen, verstehst du?«

Mehr sagte er nicht. Er machte Vinsetti seltsamerweise keinerlei Vorhaltungen und geriet nicht in Wut über dessen unverzeihliche Handlungsweise. Unverzeihlich war sie, denn wenn ein Mann sich heimlich von seiner Bande zu drücken versucht, der er angehört, ist er für immer bei seinen früheren Freunden geächtet. Früher oder später ist ihm eine Kugel sicher.

Perellis Nachrichtensystem hatte auch diesmal wieder vorzüglich gearbeitet. In jeder Bank, auf jedem Reisebüro hatte er Leute sitzen, die ihn informierten, wenn ein Mitglied seiner Bande irgendeinen verdächtigen Schritt unternahm.

Eigentlich war es schade um Vinsetti, auch nach Angelos Meinung. In seiner Art hatte ihn niemand übertroffen. Man brauchte Leute, die sich so zu kleiden verstanden wie er und die vor allem mit den nach außen hin sehr ehrenwerten Schuften umgehen konnten, die den Rohstoff für Perellis Handel lieferten. Auch als Verbindungsmann zwischen den einzelnen Schmugglerbanden war Vinsetti unbezahlbar. Er war der einzige, der sich ohne weiteres in jedem Bezirk sehen lassen konnte. Sowohl zu dem Polen Joe als auch zu Tom Feeney und den Chefs anderer Organisationen stand er in guten Beziehungen. Schwierige Angelegenheiten behandelte er diskret; wenn er etwas versprochen hatte, konnte man sich darauf verlassen – und außerdem verstand er ausgezeichnet, mit Pistolen aller Kaliber umzugehen.

Perellis Tätigkeit erstreckte sich auf die verschiedensten Gebiete. Fast überall war er an erlaubten und unerlaubten Geschäften beteiligt; einen scharfen Trennungsstrich zog er aber zwischen sich und der gewöhnlichen Sorte von Gangstern. Er hatte seinen eigenen Ehrenkodex, von dem er unter keinen Umständen abwich. Das Geld der Leute, die er aus irgendwelchen Gründen hatte beseitigen lassen, fand man stets unberührt. Vor allem aber schätzten es seine Geschäftspartner, daß man sich sowohl als Käufer wie als Verkäufer unbedingt auf ihn verlassen konnte. Seinen ›Angestellten‹ zahlte er unheimliche Gehälter, aber obgleich er eine kleine Armee beschäftigte, hatte er doch alle Einzelheiten seiner vielen geschäftlichen Transaktionen selbst im Kopf.

 

Er war klug, am meisten nützte ihm aber sein sechster Sinn, der ihn fast immer rechtzeitig vor Gefahren warnte. Deshalb gehorchte er auch seinen Eingebungen blindlings. Auch Red hatte er nicht etwa erschießen lassen, weil dieser zur Polizei gegangen war, sondern weil er das Gefühl hatte, daß er für ihn in Zukunft eine große Gefahr bedeuten könne.

4

So rücksichtslos Perelli bestrafte, so großzügig belohnte er auf der andern Seite. Fünfzigtausend Dollar gab er allein für die Einrichtung der neuen Wohnung Angelos aus, und einen Mann, der sich zwar nicht für ihn eignete, ihm aber das Leben gerettet hatte, schickte er mit einer Summe, die ihn aller Sorgen enthob, nach Sizilien zurück.

Über Vinsetti dachte Perelli lange nach. Ohne Zweifel war der Mann nicht mehr mit der alten Begeisterung bei der Sache; im Gegenteil, seine Tätigkeit schien ihm nicht mehr zu behagen. Übrigens tat er genau das, was Perelli erwartet hatte: seine auf der ›Empress of Australia‹ belegte Passage ließ er zwar annullieren, aber durch ein anderes Reisebüro belegte er sofort dieselben Kabinen unter anderem Namen.

Von Minn Lee war Vinsetti noch genauso bezaubert wie vorher. Er schickte ihr Blumen und schrieb ihr häufig sehr geschickt abgefaßte Briefe. Tony las sie und lächelte darüber.

»Immer elegant – sogar als Briefschreiber. Bitte ihn doch, dich wieder einmal zu besuchen, Minn Lee ... Nein, nein, ich habe nichts dagegen – er macht mir wirklich Spaß.«

Minn Lee sandte ihm also eine Einladung. Vinsetti kam von da an wieder öfters zu ihr. Manchmal war Tony dabei, aber meistens ließ er sie allein.

Es war möglich, daß er Vinsettis Dienste bald wieder in Anspruch nehmen mußte. Die beiden großen Alkoholschmugglerbanden Chicagos waren auf neutralem Boden aneinandergeraten.

Tom Feeneys Leute versorgten eine große Anzahl von Kneipen im Süden der Stadt mit Schnaps und Bier. Tom hatte eigene Brauereien und war selbstverständlich vielfacher Millionär.

Nun gab es in Chicago ein gewisses Gebiet, in dem beide Parteien friedlich nebeneinander arbeiteten. Die Eigentümer der dortigen Lokale konnten ihre Waren sowohl von Tony als auch von Tom beziehen.

Mit einem Schlag störte Tom Feeney dieses stillschweigende Übereinkommen und reklamierte den Bezirk ausschließlich für sich. Er ließ den Lokalbesitzern Warnungen zugehen, und darauf folgten die üblichen Vergeltungsmaßnahmen für diejenigen, die nicht gehorchten. Man zerstörte das Lokal eines guten Kunden Perellis und griff auch den Besitzer selbst an. Der Mann eilte mit der Schreckensnachricht sofort zu Angelo, und Angelo erstattete Perelli Bericht.

»Schick Vinsetti zu Tom; er soll mit ihm verhandeln«, befahl Tony. »Wer hat in dem Lokal Radau gemacht?«

Man erzählte ihm, daß ›Toten-Hennessey‹, ein bekannter Schläger, mit seiner Bande den Überfall durchgeführt hatte. Shaun O'Donnell engagierte ihn häufig für Racheakte, bei denen er selbst ein wenig im Hintergrund bleiben wollte.

»Wischt Hennessey eins aus«, ordnete Perelli an. »Victor soll mit Feeney oder O'Donnell persönlich sprechen.«

Victor vereinbarte einen Treffpunkt mit dem Iren und machte ihm Vorwürfe. Shaun O'Donnell aber blieb stur. Obwohl Vinsetti sein Bestes tat, um einen annehmbaren Mittelweg zu finden, ließ er sich sogar zu Drohungen hinreißen.

»Gib dir keine Mühe, Vic, das Gebiet hat schon früher zu unserem Bezirk gehört – du kannst Mr. Perelli sagen, daß wir zwar eine Zeitlang Rücksicht auf ihn genommen haben, durch den scharfen Konkurrenzkampf mit den Polen jetzt aber gezwungen sind, den Bezirk für uns zu behalten. Wir würden dir gerne entgegenkommen, Vic – aber in diesem Fall, tut mir leid ...«

Sie verhandelten auch noch über andere Angelegenheiten.

»Möchte nur wissen, warum du eigentlich immer noch bei Perelli bleibst«, sagte Shaun am Ende des Gespräches. »Tom und ich würden es gern sehen, wenn du zu uns kommst. Ich weiß, daß du eine Heidenangst vor Tony hast«, fuhr er fort, als Vinsetti protestierte. »Aber vielleicht könntest du uns helfen, einen Ort ausfindig zu machen, wo wir Tony bestimmt träfen ...? Der Kerl behandelt seine Leute ja wie Hunde.«

Obwohl das ein ziemlich plumper Anbiederungsversuch war, dachte Victor doch darüber nach. In der Zwischenzeit wurde Toten-Hennessey von Perellis Leuten erledigt.

Vor Minn Lee hatte Tony keine Geheimnisse.

»In unserem Geschäft gibt es keine Halbheiten«, erklärte er ihr. »Victor hat als Unterhändler bisher noch nie versagt – aber diesmal ist es ihm seltsamerweise nicht gelungen, Shaun O'Donnell zu überreden. In der vergangenen Nacht haben sie mir wieder eine Kneipe zerstört. Und warum? Weil Victor sagte: Abwarten! Soll ich noch so lange warten, bis mein ganzes Geschäft zum Teufel geht?«

Victor wußte gut genug, warum er zum Abwarten riet. Tony, der ihm geduldig zuhörte, berichtete er über den Verlauf der Verhandlungen.

»Ausgezeichnet!« sagte Perelli schließlich. »Ich kann ja warten, bis Shaun O'Donnell alt und vernünftig wird. Vielleicht in zehn Jahren! Nein, so geht es nicht; entweder Tom Feeney verständigt sich jetzt sofort mit mir, oder ich lasse ihn über den Haufen knallen! In der letzten Zeit wird sowieso viel zu viel geredet – Ricardo sollte wieder einmal zu Wort kommen.«

Ricardo war sein bester Maschinengewehrschütze; wirklich ein Meister seines Fachs.

»Ein wenig werde ich noch warten«, fuhr Perelli fort, »aber dann ...«

Am Nachmittag fuhr er nach Cicero hinaus. Er saß in einem seiner eigenen Restaurants und trank gerade Kaffee, als mit kreischenden Bremsen drei Autos vor den großen Fensterscheiben stoppten und das ganze Lokal unter Maschinengewehrfeuer nahmen. Perelli warf sich wie der Blitz flach auf den Boden. Zum Glück hielt sich fast niemand außer ihm in dem Raum auf. Alles ging in Trümmer: Scheiben, Gläser, die Theke splitterten unter einem Hagel von Geschossen. Klatschend fuhr eine Garbe in die Wände, von denen der Putz herunterbröckelte. In diesem Augenblick, die Nase auf die Dielen gepreßt, entschied sich Perelli, nicht länger zu warten. Jetzt mußte er handeln.

Es war ihm klar, daß es sich um keinen improvisierten, sondern um einen sorgfältig geplanten Angriff handelte. Vinsetti gehörte zu den wenigen Leuten, die wußten, daß Perelli an diesem Tag und zu dieser Stunde in Cicero sein würde. Er selbst hatte vorgeschlagen, daß Tony sich in dem betreffenden Lokal mit einem kanadischen Kapitän treffen solle.

Perelli stellte Nachforschungen an. Tom Feeney und Shaun O'Donnell waren am Abend vorher nach New York gefahren und wiesen damit ihr Alibi etwas zu deutlich nach.

Nach seiner Rückkehr suchte er Victor Vinsetti auf und erzählte ihm ausführlich, daß er kaum mit dem Leben davongekommen sei. Er redete so, als hätte er nicht den geringsten Verdacht gegen ihn.

Trotzdem hatte Victor eine böse Vorahnung. Heimlich suchte er Kelly auf und gab ihm einige kleine Informationen. Dann tat Victor etwas Merkwürdiges, das letzten Endes ganz seinem Charakter entsprach. Er fuhr zu seinem Rechtsanwalt und setzte sein Testament auf. Ein Abschnitt darin lautete:

›Sollte ich eines gewaltsamen Todes sterben, so verfüge ich hiermit, daß eine Summe von hunderttausend Dollar von meinem Vermögen abgezweigt wird. Diesen Betrag soll diejenige Person als Belohnung erhalten, durch deren Hilfe mein Mörder entdeckt wird.‹

Am Nachmittag machte er einen Besuch bei Minn Lee, die ihn auf Tonys Wunsch telefonisch zu einer Tasse Tee eingeladen hatte.

»Bleib in deinem Zimmer, Liebling«, sagte Tony zu ihr. »Ich muß zunächst noch einiges mit Victor besprechen.«

Vinsetti kam um vier Uhr dreißig, eine Viertelstunde später tauchte Kelly auf. Die beiden hatten das so verabredet. In Wirklichkeit hatte der Beamte schon fünf Minuten nach Vinsettis Ankunft am Eingang des Gebäudes gestanden. Er beobachtete die Haustür und sah, daß einige Möbel herausgeschafft und auf einen Wagen geladen wurden. Es handelte sich um zwei große Sessel, ein Sofa, einen Garderobenständer und einen Tisch. Das Möbelauto setzte sich gerade in Bewegung, als Kelly ins Haus trat.

Angelo öffnete ihm.

»Victor ist schon wieder gegangen«, beantwortete er Kellys Frage. »Er wollte Minn Lee besuchen, aber sie hat Kopfschmerzen.«

»Wo ist Perelli?«

Tony saß auf dem sonnigen Balkon, und Angelo ließ ihn rufen.

»Vinsetti ist vor fünfzehn Minuten hierhergekommen, und ich habe ihn nicht weggehen sehen«, sagte Kelly scharf.

»Tut mir leid, aber er ist nicht mehr hier«, entgegnete Tony seelenruhig. »Möglich, daß er den Ausgang auf der Hinterseite benutzte.«

»Hätten Sie etwas dagegen, wenn ich die Wohnung durchsuche?« erwiderte Kelly ziemlich rücksichtslos.

»Wenn es Ihnen Spaß macht – bitte!« sagte Tony lächelnd.

Vinsetti war tatsächlich nicht mehr da – aber wie er das Haus verlassen hatte, das blieb ein Geheimnis. Kelly kannte natürlich den hinteren Ausgang und hatte dort einen Mann postiert. Aber auch dieser Beamte hatte Vinsetti nicht gehen sehen.

Zwei Tage später fand man Victors Leiche in einem Parksee. Er war aus kürzester Entfernung erschossen worden. In seinen Taschen fand man achtzig vollständig durchweichte Tausenddollarnoten.

Perelli wurde aufs Polizeipräsidium bestellt und ausgefragt.

»Ich kann nur hoffen, daß Sie den Kerl fangen, der den armen Victor auf dem Gewissen hat«, meinte Tony, als er sich nach einem fruchtlosen Verhör sehr höflich verabschiedete. »In letzter Zeit nehmen diese Morde wirklich überhand.«

Tony Perelli nahm höchstpersönlich an der Beerdigung teil. In einem Panzerauto fuhr er direkt hinter dem Wagen mit dem Sarg her.

5

Minn Lee beobachtete das Leben, das Perelli und seine Bekannten führten, anfangs mit großen Augen. Die Frauen, die zu den Gesellschaften kamen, die Perelli gab, waren alle sehr schön – und alle ein wenig zu auffallend gekleidet. Sie und ihre Begleiter schienen sich im allgemeinen wenig Sorgen zu machen und lebten vergnügt in den Tag hinein.

Über Tony hatte sie nach wie vor nicht zu klagen. Er war sehr liebenswürdig zu ihr; viel freundlicher, als es John Waite jemals gewesen war.

Einmal besuchte sie eine Bardame aus Cicero, die früher mit Perelli zusammengelebt hatte. Er behandelte sie äußerst kurz angebunden, und als sie wieder gegangen war, wollte er mit Minn Lee nicht über sie sprechen.

»Ein hübsches Gesicht und wenig Verstand«, knurrte er als Antwort auf ihre Fragen. »Sie hat mich gelangweilt – und ich hasse Leute, die mich langweilen.«

Sie sah ihn lächelnd an.

»Vielleicht langweile ich dich auch einmal ...«

Er nahm ihre Hände und küßte sie.

»Vielleicht einmal, wenn ich uralt bin und nicht mehr sehen und hören kann. Aber bis dahin ist's noch lange.« Er faßte ihren Kopf mit beiden Händen. »Bist du glücklich?« Sie nickte, und er schloß sie zufrieden in die Arme.

Immer wenn sich Tony mit Minn Lee unterhalten hatte, konnte er nachher besonders ruhig und leidenschaftslos über Tom Feeney, Shaun O'Donnell und ihre Bande nachdenken, die ihm in letzter Zeit allerhand zu schaffen machte.

Tom Feeney war groß und schwerfällig gebaut. Er hatte seine Laufbahn als Bauarbeiter begonnen und sich mit Hilfe einer beachtlichen Zähigkeit zu seiner jetzigen Position hochgekämpft. Die Methoden, die er anwandte, waren nicht gerade fein. Wenn er sich irgendwelche Leute gefügig machen wollte, war ihm jedes Mittel recht dazu. Mit Vorliebe wandte er die Ananas-Methode an. Als Ananas wurde in diesem Fall eine Bombe bezeichnet, die vor den Hauseingang des betreffenden Gegners gelegt wurde. Für gewöhnlich genügte diese Warnung. Wenn nicht, richtete die nächste Bombe schon mehr Schaden an. Aber nur wenige Leute warteten die zweite Bombe ab – die dritte überlebte niemand.

Da Tom Feeney die Mittel besaß, mit Hilfe seiner ausgedehnten Organisation jeden Widerstand zu brechen, brachte ihm der Alkoholschmuggel immer größere Summen ein. Spelunken und elegante Luxuslokale, die ihm gehörten, wuchsen wie Pilze aus der Erde.

 

Seine Schwester, Mrs. Shaun O'Donnell, spielte eine wichtige Rolle in der Organisation. Durch ihren Mann besaß sie großen Einfluß, den sie unbedenklich anzuwenden wußte. Sie war fast ebenso groß wie ihr Bruder, starkknochig und hager, hatte ein rotes Gesicht und häßliche Hände. Ihre Nase fiel durch ein geradezu unwahrscheinliches Tiefrot auf. Man erzählte sich, daß sie einmal mit einem früheren Boxer gerauft und ihn verprügelt hätte. Wenn Tom Feeney einen kleinen Schwips hatte, pflegte er sogar damit zu prahlen.

Obgleich sie Geld wie Heu hatte, kleidete sie sich geradezu unmöglich. Was sie an sich hatte, war von ausgesuchter Geschmacklosigkeit – darüber konnten auch nicht die haselnussgroßen Brillanten hinwegtäuschen, die sie symmetrisch über den ganzen Körper verstreut trug.

Perelli wurde von dieser feinen Dame vor allem wegen seines distinguierten Aussehens gehaßt. Für gewöhnlich bezeichnete sie ihn nur als Geck. Sowohl ihren Mann als auch ihren Bruder hielt sie unter ständiger Kontrolle, und es war ganz klar, daß sie von beiden etwas gefürchtet wurde.

Mrs. O'Donnell ging rücksichtslos gegen alle vor, die ihr in den Weg traten. Es kam ihr nicht darauf an, jemand umlegen zu lassen. Sie war es auch gewesen, die den Angriff auf Tony Perelli organisiert hatte.

»Wenigstens haben wir diesem Hampelmann einen ordentlichen Schrecken eingejagt«, sagte sie später zu ihrem Mann. »Wenn du nur ein wenig mehr Mumm in den Knochen hättest, dann brauchte ich mich über diesen Burschen nicht mehr zu ärgern. Es ist unglaublich, was er neulich zu Mrs. Merlo über mich gesagt hat – aber du machst dir natürlich nichts daraus, wenn mich andere Leute eine Vogelscheuche nennen. Knöpfe dir ihn endlich vor, Shaun!«

»Du scheinst mich ja sehr schnell loswerden zu wollen«, entgegnete er bissig.

Eines Tages erfuhr Mrs. O'Donnell – die den schönen Vornamen Floribella trug –, daß eine schöne Chinesin in Perellis Wohnung eingezogen war. Trotz aller männlichen Energie besaß sie eine gehörige Portion weiblicher Neugier und machte mit der ihr eigenen Unverfrorenheit bei Perelli einen Besuch. Neben der schönen, grazilen Minn Lee wirkte sie wie ein Verladekran älteren Modells neben einer Feuerlilie. Immerhin benahm sie sich sehr liebenswürdig, und Perelli erfuhr zu seiner Verwunderung, daß sie einen recht guten Eindruck auf Minn Lee gemacht hatte.

Auch Mrs. O'Donnell äußerte zu Hause ihre Meinung.

»Dieses Mädchen ist viel zu gut, um mit einem schmutzigen Sizilianer zusammenzuleben. Denk dir, der Kerl setzt Fett an! Shaun, du kannst einfach nicht an ihm vorbeischießen, wenn du nicht gerade betrunken bist – aber natürlich bist du immer betrunken!«

Shaun erwiderte nichts. Er hatte seine eigenen Pläne. Seine Frau brachte ihm noch eine wichtige Information.

»Perelli hat einen neuen Mann aus New York engagiert; er gehörte zu der Five Points-Bande – ein gewisser Con O'Hara. Kennst du ihn?«

Shaun wußte, um wen es sich handelte; Tom Feeney kannte den Mann noch besser und hatte allen Grund, ihn zu hassen.

»Ein ausgezeichneter Pistolenschütze und mit allen Wassern gewaschen. Hoffe, daß er bald wieder aus dieser Stadt verschwindet.«

In derselben Woche erhielt Perellis Bande noch mehr Zuwachs. Ein Alkoholimporteur in Boston, nach außen hin ein sehr angesehener Bürger dieser Stadt, hörte durch einen Freund von einem Harvard-Studenten, der in seiner Karriere Schiffbruch erlitten hatte. Er schrieb deshalb an Tony:

Ich weiß nicht, ob Sie etwas für diesen jungen Mann tun können. Er stammt aus guter Familie, spricht mehrere Sprachen, und ich halte es durchaus für möglich, daß er Ihnen nützlich sein könnte.

So kam Jimmy McGrath mit einem Empfehlungsbrief nach Chicago. Er war von der Universität relegiert worden, weil er einen Diebstahl begangen hatte, von dem er in seinen nüchternen Augenblicken selbst nicht verstehen konnte, wie er dazu fähig gewesen war. Die Professoren hatten zwar angenommen, daß er unter Alkoholeinfluss gestanden hatte, aber schließlich war das keine Entschuldigung. Jimmy schrieb einen Eilbrief an seine Mutter in Neu-England, verbarg sich in New York, und nachdem er einen Monat lang dort vergeblich Arbeit gesucht hatte, fuhr er mit dem Empfehlungsbrief nach Chicago, wo er sich Tony Perelli vorstellte.

Der schlanke junge Mann mit dem blonden Haar machte auf Perelli einen recht guten Eindruck. Der Bandenchef schätzte Leute mit einer ordentlichen Bildungsgrundlage und nahm sich vor, ihm zunächst beibringen zu lassen, wie man mit einer Pistole umgeht, und ihn dann später auch mit organisatorischen Aufgaben zu betrauen.

Vielleicht fand sich hier sogar ein Ersatz für Vinsetti, aber zuerst mußte sich Jimmy natürlich bewähren. In diesem Punkt war Tony unerbittlich. Vor allem mußte jeder, der in die Geheimnisse des Alkoholschmuggels eingeweiht werden wollte, bei der Polizei ein eigenes beachtliches Schuldkonto aufweisen können.

Als tüchtiger Unternehmer hatte Perelli auf dem Land eine Farm, auf der sich die Mitglieder seiner Bande erholen konnten; selbstverständlich war dort auch eine Anlage mit modernen Schießständen. Zu diesem idyllischen Aufenthalt schickte Tony den jungen Mann und empfahl ihn der besonderen Fürsorge seines Maschinengewehrschützen Ricardo.

»Sieh zu, was du aus ihm machen kannst«, sagte er.

Eine Woche später erstattete Ricardo Bericht.

»Keine Nerven. Es wäre besser, wenn du etwas anderes für ihn fändest, Tony.«

Jimmy McGrath kam daher nach Chicago zurück und wurde von Perelli höchst persönlich mit dem Geschäft vertraut gemacht. Er lernte Mitglieder verschiedener Banden kennen, unter anderem Shaun O'Donnell, der merkwürdigerweise Gefallen an dem jungen Mann fand. Eines Tages lud er ihn in seine Wohnung am North Place ein und stellte ihn seiner Frau vor.

»Gehören Sie wirklich zu Perellis Leuten?« fragte sie ohne große Umstände. »Warum wollen Sie sich denn ausgerechnet mit diesem lumpigen Sizilianer verbrüdern?«

»Das ist schließlich seine Sache«, meinte Shaun. »Er will Sie wohl bald als Agent im Außendienst verwenden?«

Jimmy war bestürzt.

»Keine Ahnung, welchen Posten ich bekommen soll.«

Shaun rieb sich nachdenklich das Kinn.

»Klar, er braucht jemand, der mit anderen Leuten verhandeln kann – Vinsetti ist ja erledigt.«

»Das war sein bester Freund – aber so treibt es dieser Kerl ja immer«, unterbrach ihn Mrs. O'Donnell.

An dem Mittagessen nahm noch ein vierter Mann teil, ein düsterer Italiener, der Jimmy als Mr. Camona vorgestellt wurde. Er hatte in Italien vor kurzem erst eine längere Gefängnisstrafe abgesessen und gehörte jetzt zu Tom Feeneys Scharfschützen.

Eines Abends machte Camona einen verhängnisvollen Fehler. Tony Perelli kam mit zwei seiner Vertrauten vom Theater zurück und bog gerade in eine Seitenstraße der Michigan Avenue ein, als ein anderer Wagen von hinten heranpreschte. Tony duckte sich instinktiv auf den Boden des Autos, als auch schon ein Hagel von Geschossen Verdeck und Seitenwände durchschlugen. Einer seiner Begleiter erhielt einen Schuss durch den Hals. In ein paar Sekunden war alles vorüber – trotzdem hatte einer von Tonys Begleitern das Gesicht Camonas hinter dem Maschinengewehr erkannt.

Tony machte auch von dieser Sache nicht viel Aufhebens. Er traf nur einige kleine Anordnungen.

Camona wohnte in einem kleinen Haus am Südrand der Stadt. Gegen zwei Uhr morgens kam er heim, aber als er gerade die Tür aufschließen wollte, trat ein Mann hinter ihn, setzte ihm die Pistole auf den Nacken und drückte ab. Dann ging der Fremde ruhig zu seinem wartenden Wagen und war schon längst fort, als die nächste Polizeistreife in Sicht kam.

»Gut gemacht, Con«, gratulierte Perelli am nächsten Tag dem neuen Mitglied seiner Firma.

Con O'Hara freute sich über das Kompliment.

»Saubere Arbeit ist meine Spezialität, Tony. Ich schieße immer nur einmal, aber das genügt auch. Natürlich hätte ich ihn schon auf der Straße erledigen können, aber es gingen gerade einige Leute vorbei. Erst als er die Stufen zur Haustür hinaufging, zog ich meinen Achtunddreißiger aus der Tasche ...«

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