Читать книгу: «Die Wiederaufnahme in Strafsachen», страница 7
(c) Geeignete Beweismittel
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Geeignetes Beweismittel ist die Entscheidung, durch die das dem angefochtenen Strafurteil zugrunde gelegte zivilgerichtliche Urteil oder die diesem gleichstehende Entscheidung aufgehoben worden ist.
(5) Neue Tatsachen oder Beweismittel, Nr. 5
(a) Gesetzliche Voraussetzungen
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Nach § 359 Nr. 5 StPO ist die Wiederaufnahme zulässig auf Grund neuer Tatsachen oder Beweismittel, die allein oder in Verbindung mit den früher erhobenen Beweisen geeignet sind, das Antragsziel zu begründen.
(aa) Tatsachen oder Beweismittel
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Erforderlich ist zunächst, dass der Wiederaufnahmeantrag auf Tatsachen oder Beweismittel gestützt wird.[289] Dadurch sollen Anträge, die allein Rechtsfehler des angefochtenen Urteils oder eine fehlerhafte Beweiswürdigung rügen, ausgeschlossen werden.
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Da nur Tatsachen oder Beweismittel vorzuliegen brauchen, reicht es für § 359 Nr. 5 StPO aus, wenn der Antragsteller Tatsachen vorträgt, ohne zusätzlich Beweismittel zu bezeichnen. Allerdings setzt die Zulassung des Antrags in diesem Fall nach § 368 Abs. 1 StPO grundsätzlich auch die Bezeichnung geeigneter – nicht unbedingt neuer – Beweismittel voraus.[290]
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Tatsachen sind alle dem Beweis zugänglichen vergangenen oder gegenwärtigen Vorgänge oder Zustände.[291] Dieser weite Tatsachenbegriff des materiellen Strafrechts[292] liegt auch der StPO zugrunde.[293]
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Die verbreitete Beschränkung des Tatsachenbegriffs auf ziel- und gegenstandsbezogene Umstände[294] enthält somit einen Systembruch.[295] Sie ist zudem überflüssig und führt zu vermeidbaren Schwierigkeiten bei der Abgrenzung gesetzlicher Merkmale. Denn sprachlich und sachlich passt das Merkmal der Geeignetheit sehr viel besser, wenn nach der Ziel- und Gegenstandsbezogenheit des Vorbringens gefragt wird.[296] – Ein Wiederaufnahmeantrag, der sich auf tatsächliche Umstände stützt, die keinerlei Sachbezug haben, scheitert daher nicht wegen fehlenden Tatsachenvortrags, sondern weil die vorgetragenen Tatsachen nicht zur Begründung des Antrags geeignet sind.[297]
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Keine Tatsachen sind die sog. Rechtstatsachen.
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Dieser Begriff soll sich nach Peters[298] auf „die Realität eines Rechtssatzes“ beziehen und beispielsweise Verstöße gegen Beweismittelverbote und Verbote des § 136a StPO, das Fehlen eines Strafgesetzes und Verstöße gegen eindeutige Normen[299] umfassen. – Auf den Begriff der Rechtstatsache sollte verzichtet werden. Er hat keine klaren Konturen. Außerdem ist er überflüssig, soweit er sich auf Tatsachen erstreckt, die ohnehin die Wiederaufnahme nach § 359 Nr. 5 StPO zu begründen geeignet sind.[300] Schließlich ist er unrichtig, soweit er dem Versuch dient, solche Fälle in den Anwendungsbereich des § 359 Nr. 5 StPO einzubeziehen, in denen in Wahrheit die fehlerhafte Rechtsanwendung gerügt wird.[301] Die Wiederaufnahme auf Grund des § 359 Nr. 5 StPO darf nicht zu einer Nichtigkeitsbeschwerde umfunktioniert werden.[302]
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Beweismittel im Sinne des § 359 Nr. 5 StPO sind nur die förmlichen Beweismittel der StPO, also Zeugen, Sachverständige, Urkunden und Augenschein.[303]
(bb) Neuheit von Tatsachen oder Beweismitteln
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Tatsachen oder Beweismittel können die Wiederaufnahme nach § 359 Nr. 5 StPO nur begründen, wenn sie neu sind. Neu sind alle Tatsachen oder Beweismittel, die das erkennende Gericht bei Erlass der angefochtenen Entscheidung nicht berücksichtigt hat.[304]
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Umstände, die bei Erlass der angefochtenen Entscheidung bereits berücksichtigt worden sind, können die Wiederaufnahme nach § 359 Nr. 5 StPO nicht begründen.[305] Unter dem Erlass der Entscheidung (Urteil, Strafbefehl oder Beschluss) ist der Zeitpunkt zu verstehen, in dem die Entscheidung gefällt worden ist.
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Bei Urteilen und bei Beschlüssen von Kollegialgerichten trifft dieser Zeitpunkt mit dem Abschluss der Beratung zusammen.[306] Die in der Rechtsprechung[307] und im Schrifttum[308] teilweise vertretene Ansicht, für Urteile und sonstige Entscheidungen, die auf Grund mündlicher Verhandlung ergingen, sei der Abschluss der mündlichen Verhandlung maßgeblich, entspricht nicht dem Gesetz. Der Entscheidung geht eine Beratung voraus. Sie kann also auf Umständen beruhen, die erst in der Beratung eingeführt worden sind. Der in diesem Fall vorliegende Rechtsverstoß gegen § 261 StPO ändert nichts daran, dass die Umstände in der Entscheidung Berücksichtigung gefunden haben, also nicht neu sind. Das Wiederaufnahmeverfahren dient nicht der Korrektur derartiger Verfahrensfehler.[309]
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Rechtsanwendungs- und Beweisfragen werden vermengt, wenn für Strafbefehle (und zum Teil auch für Beschlüsse) auf die „Aktenneuheit“ abgestellt wird, weil die Entscheidung auf Grund der Aktenlage ergehe.[310] Zwar beruht der Strafbefehl zumeist auf dem Akteninhalt. Das muss aber nicht so sein. Aktenkundige Umstände, die bei Erlass des Strafbefehls nicht berücksichtigt werden, müssen gleichermaßen als neu gelten wie Gegenstände aus der Hauptverhandlung, die der Richter bei der Urteilsfällung außer Acht gelassen hat.[311] Wenn auch der Nachweis schwer zu führen sein mag, so kann doch davon nicht die Beurteilung der Neuheit abhängen.[312]
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Da die Neuheit des Sachvortrags allein auf den Zeitpunkt zu beziehen ist, in dem die angefochtene Entscheidung gefällt worden ist, kann sie durch Verwertung in einem früheren Wiederaufnahmeantrag nicht weggefallen sein.[313] Daher kann das erneute Vorbringen nicht wegen fehlender Neuheit zurückgewiesen werden, sondern nur unter dem Gesichtspunkt des Verbrauchs, falls der frühere Wiederaufnahmeantrag rechtskräftig verworfen wurde.[314]
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Die Neuheit von Tatsachen oder Beweismitteln ist danach zu bemessen, was das Gericht, das die angefochtene Entscheidung gefällt hat, berücksichtigt hat. Das bezieht sich auf den gesamten Spruchkörper, so dass auch Umstände, die nur einzelnen Mitgliedern des Spruchkörpers nicht bekannt waren, neu sind.[315]
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Da allein die Berücksichtigung eines Umstandes durch das Gericht über die Neuheit entscheidet, sind auch solche Tatsachen oder Beweismittel neu, die der Angeklagte kannte, aber nicht vorgebracht, möglicherweise sogar bewusst zurückgehalten hat.[316]
(aaa) Neuheit von Tatsachen
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Nicht berücksichtigt worden und damit neu sind in erster Linie diejenigen Tatsachen, die dem Gericht nicht bekannt waren. Auf Unkenntnis lässt sich vor allem bei Tatsachen schließen, die nicht aktenkundig waren, nicht zum Gegenstand der Hauptverhandlung gemacht worden sind und auch keinem anderen Verfahrensbeteiligten bekannt waren. Doch handelt es sich dabei nur um Indizien. Die tatsächliche Kenntnis kann gleichwohl gegeben sein. Ein etwaiger Rechtsverstoß gegen § 261 StPO ist in diesem Zusammenhang ohne Bedeutung.[317] Umgekehrt gilt Gleiches. Aktenkundigkeit oder Erörterung in der Hauptverhandlung schließen die Neuheit einer Tatsache nicht zwingend aus.[318] – Kenntnis setzt Wahrnehmung voraus.[319] Sie kann gefehlt haben, etwa im Fall des Überlesens oder Überhörens. Auch kann sie fehlerhaft gewesen sein.[320] So kann das Gericht einen Zeugen oder Sachverständigen missverstanden haben. Ferner muss eine durch korrekte Wahrnehmung erlangte Kenntnis bis zur Entscheidung präsent gehalten werden. Somit kann eine Tatsache als neu vorgetragen werden, wenn sie dem Gericht zwar einmal bekannt gewesen, jedoch bis zum Zeitpunkt der Entscheidung wieder in Vergessenheit geraten ist.[321] Nicht neu dagegen ist eine richtig wahrgenommene, aber falsch gewürdigte Tatsache. Denn die Tatsache als solche ist vom Gericht berücksichtigt worden. Der in der fehlerhaften Würdigung enthaltene Rechtsfehler kann nicht im Wiederaufnahmeverfahren geltend gemacht werden.
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Auch eine Tatsache, die dem Gericht bekannt war, kann neu sein. Denn trotz Kenntnis kann das Gericht sie unberücksichtigt gelassen haben, z.B. weil es deren Bedeutung für die Entscheidung verkannt hat. Dass die Tatsache in diesem Fall vom Gericht hätte berücksichtigt werden können, ist ohne Bedeutung.[322]
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Der Kreis der vom Gericht berücksichtigten Tatsachen beschränkt sich nicht auf diejenigen, die in den Urteilsgründen ausdrücklich angesprochen werden. Aus dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe kann sich ergeben, dass auch andere Tatsachen bedacht worden sind. Die Feststellung kann im Einzelnen sehr schwierig sein.[323] Dagegen ist es unzulässig, generell für allgemeinkundige oder gerichtskundige Tatsachen anzunehmen, dass sie Gegenstand der gerichtlichen Urteilsfindung gewesen seien. Vielmehr fehlt es nur dann an der Neuheit dieser Tatsachen, wenn sie erkennbar in das Verfahren einbezogen worden sind.[324]
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Ferner kann eine Tatsache dann nicht als neu gelten, wenn sie lediglich das denknotwendige Gegenteil einer festgestellten Tatsache darstellt. Denn damit ist sie vom Gericht notwendigerweise berücksichtigt worden.[325] Beispielsweise kann ein Urteil, das auf der Feststellung beruht, der Angeklagte habe ein lebendes Kind vergraben, nicht mit der Behauptung angefochten werden, das Kind sei im Zeitpunkt des Eingrabens bereits tot gewesen.[326] Das Merkmal der Denknotwendigkeit schließt allein unmittelbar gegenteilige Tatsachen aus. Nicht ausgeschlossen werden somit Tatsachen, die erst über eine Schlussfolgerung zum Gegenteil einer festgestellten Tatsache hinführen.[327] Sie können durchaus als neu geltend gemacht werden, es sei denn, dass auch ihr Gegenteil festgestellt worden ist. Ein Beispiel: Wer die Urteilsfeststellung, er sei geisteskrank, mit der Behauptung angreift, er habe die Geisteskrankheit nur simuliert, trägt eine neue Tatsache vor, wenn nicht das erkennende Gericht auch bereits eine mögliche Simulation in Betracht gezogen hatte.[328]
(bbb) Neuheit von Beweismitteln
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Die Neuheit von Beweismitteln ist wie die Neuheit von Tatsachen allein danach zu beurteilen, ob sie bei der Entscheidungsfällung vom Gericht berücksichtigt worden sind. Die Nichtberücksichtigung von Beweismitteln kann auf der Unkenntnis von deren Existenz beruhen. Sie ist aber auch im Fall der Kenntnis denkbar.[329] Dass das Beweismittel nicht in die Hauptverhandlung eingeführt wurde, ist ein bloßes, allerdings wichtiges Indiz für seine Neuheit. Nicht neu ist daher ein Beweismittel, das verwertet wurde, ohne in die Hauptverhandlung eingeführt worden zu sein. Der Verstoß gegen § 261 StPO ändert daran nichts. Dementsprechend schließt auch die Beweiserhebung in der Hauptverhandlung die Neuheit des betreffenden Beweismittels nicht unbedingt aus. In Betracht kommt etwa der Fall, dass die Kenntnis vom Beweismittel und der Beweiserhebung zum Zeitpunkt der Entscheidungsfällung nicht mehr präsent war.
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• Neuheit des Zeugenbeweises
Ein Zeuge kommt als neues Beweismittel in Betracht, wenn er in der Hauptverhandlung nicht gehört worden ist, etwa weil er nicht erreichbar oder nicht geladen war, weil er die Aussage verweigert hat, weil ein auf die Vernehmung des Zeugen gerichteter Beweisantrag abgelehnt oder weil auf die Vernehmung des Zeugen verzichtet[330] worden ist.[331] Zweifelhaft ist, ob ein bereits vernommener Zeuge deswegen als neues Beweismittel angesehen werden kann, weil er nunmehr zu einem anderen Beweisthema aussagen soll.[332] Als Beweismittel ist dieser Zeuge berücksichtigt worden. Eine Notwendigkeit, ihn allein wegen des geänderten Beweisthemas als neues Beweismittel anzusehen, besteht nicht, weil seine neuen Angaben als neue Tatsachen zu werten sind.[333] Auch der bloße Eintritt der Eidesmündigkeit eines früher eidesunmündigen Zeugen hat nicht zur Folge, dass der bereits als Beweismittel berücksichtigte Zeuge nunmehr neu ist. Es liegt kein neues Beweismittel, sondern eine neue Tatsache, die inzwischen eingetretene Eidesmündigkeit, vor.[334]
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Ein neues Beweismittel ist ein früherer Mitangeklagter, der nunmehr als Zeuge vernommen werden soll.[335]
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Die teilweise in Rechtsprechung und Literatur vertretene andere Ansicht[336] lässt den förmlichen Beweismittelbegriff der StPO außer Betracht. Danach ist ein Mitangeklagter kein Beweismittel.[337] Beweismittel wird er erst nach seinem Ausscheiden aus dem Verfahren. Er kann dann als Zeuge vernommen werden.[338] Auf Grund dessen muss er aber folgerichtig auch im Wiederaufnahmeverfahren als neues Beweismittel angesehen werden.
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• Neuheit des Sachverständigenbeweises
Ein Sachverständiger, der bisher nicht gehört und dementsprechend auch nicht bei der Entscheidungsfällung berücksichtigt wurde, ist ein neues Beweismittel. Das gilt unabhängig davon, ob bereits ein anderer Sachverständiger am Verfahren beteiligt war und ob der jetzt benannte Sachverständige sein Gutachten auf einer geänderten tatsächlichen Grundlage erstellen kann. Diese Fragen betreffen nicht die Neuheit, sondern die Geeignetheit des Sachverständigenbeweises.[339]
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Das hat insbesondere die ältere Rechtsprechung anders gesehen und dabei offensichtlich das Ziel verfolgt, einer befürchteten Flut von Anträgen auf Anhörung neuer Sachverständiger vorzubeugen. Sie hat auf die Gutachtenerstattung abgestellt und dementsprechend die Neuheit des Sachverständigenbeweises verneint, wenn bereits ein anderer Sachverständiger gehört worden war.[340] Diese Konstruktion wird zu Recht im Schrifttum allgemein abgelehnt, weil der Sachverständige selbst Beweismittel im Sinne der StPO ist.[341]
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Wird der Wiederaufnahmeantrag damit begründet, der bisher schon gehörte Sachverständige sei inzwischen zu anderen Ergebnissen gekommen, so wird kein neues Beweismittel, sondern eine neue Tatsache vorgebracht.[342]
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• Neuheit des Urkundenbeweises
Eine Urkunde kommt als neues Beweismittel in Frage, wenn sie vom erkennenden Gericht nicht als Beweismittel berücksichtigt worden ist, beispielsweise weil sie nur anlässlich einer Zeugenvernehmung vorgehalten worden ist.[343] Die prozessordnungsgemäße Verwendung der Urkunde als Beweismittel in der Hauptverhandlung ist auch hier nicht entscheidend. Eine bei den Akten befindliche Urkunde, die nicht in die Hauptverhandlung eingeführt, aber dennoch der Beweiswürdigung zugrunde gelegt wurde, ist nicht neu.
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Eine Urkunde ist auch dann neu, wenn sie vom Gericht fehlerhaft wahrgenommen worden ist; dagegen ist sie bei bloß fehlerhafter Würdigung als Beweismittel verbraucht.[344]
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• Neuheit des Augenscheinsbeweises
Entsprechend den allgemein für die Neuheit von Beweismitteln geltenden Grundsätzen ist der Augenscheinsbeweis neu, wenn eine Augenscheinseinnahme bislang nicht erfolgt oder das Augenscheinsobjekt fehlerhaft wahrgenommen worden ist.[345] Die fehlerhafte Würdigung des richtig wahrgenommenen Augenscheinsobjekts begründet dagegen nicht die Neuheit des Augenscheinsbeweises.
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Nach einer teilweise vertretenen anderen Ansicht wird die Neuheit des Augenscheinsbeweises an weitere Voraussetzungen geknüpft. So soll beispielsweise erforderlich sein, dass das Gericht bisher nicht in der Lage war oder keine Veranlassung hatte, den Augenschein einzunehmen, oder dass das Auffinden bestimmter neuer Tatsachen zu erwarten ist.[346] Damit wird aber auf die Prüfung der Geeignetheit vorgegriffen. Dieses Vorgehen steht nicht mit dem Gesetz in Einklang, das die Merkmale Neuheit und Geeignetheit unterscheidet und für die Neuheit von Tatsachen und Beweismitteln lediglich voraussetzt, dass sie vom erkennenden Gericht nicht berücksichtigt worden sind.
(cc) Geeignetheit
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Die Wiederaufnahme des Verfahrens gemäß § 359 Nr. 5 StPO ist nur zulässig, wenn der neue Sachvortrag (Tatsachen oder Beweismittel) geeignet ist, die vom Antragsteller angestrebte Entscheidung zu begründen.
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Das Geeignetheitsmerkmal ist von größter praktischer Bedeutung. Mangelnde Geeignetheit ist der in der Praxis am häufigsten anzutreffende Verwerfungsgrund. Im Umgang mit diesem Merkmal ist daher besondere Sorgfalt geboten. Zweckmäßig ist eine der allgemeinen prozessrechtlichen Methodik entsprechende Trennung zwischen zwei aufeinander aufbauenden Prüfungsstufen:
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Zunächst ist zu prüfen, ob der neue Sachvortrag überhaupt gegenüber dem angefochtenen Urteil erheblich ist. Geprüft wird abstrakt die Relevanz des Vorbringens. Nach der Richtigkeit einer neuen Haupttatsache und der Beweiskraft einer neuen Hilfstatsache[347] oder eines neuen Beweismittels wird an dieser Stelle noch nicht gefragt. Vielmehr wird unterstellt, dass die behaupteten Tatsachen vorliegen und dass die beigebrachten Beweismittel das dargelegte Beweisergebnis haben werden. Ziel der Erheblichkeitsprüfung ist es, Vorbringen auszuscheiden, das sich bereits unabhängig von seiner Richtigkeit oder seiner Beweiskraft nicht zugunsten des Verurteilten auswirken kann. Dementsprechend ist der neue Sachvortrag als erheblich anzusehen, wenn er – Richtigkeit und Beweiskraft unterstellt – den im angefochtenen Urteil ausgesprochenen Rechtsfolgen die tatsächliche Grundlage entzieht.
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Auf der zweiten Prüfungsstufe werden Richtigkeit und Beweiskraft des neuen Sachvortrags thematisiert. Auf Grund einer der Verfahrenssituation entsprechenden vorläufigen Einschätzung wird festgestellt, ob insoweit eine hinreichende Erfolgsaussicht besteht.
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Die Begriffsverwendung sei kurz begründet, weil die Terminologie uneinheitlich ist. Es empfiehlt sich, von „Erheblichkeitsprüfung“ statt von „hypothetischer Schlüssigkeitsprüfung“[348] zu sprechen. Denn dadurch wird klargestellt, dass inhaltlich eine Gegenüberstellung vorzunehmen ist. Auf diese Weise erhält auch der Begriff der Erheblichkeit einen festen Platz zugewiesen. Vielfach bleibt nämlich sein Verhältnis zum Begriff der Geeignetheit unklar.[349] Der Begriff der hinreichenden Erfolgsaussicht bringt die sachlichen Übereinstimmungen mit dem Begriff des hinreichenden Tatverdachts zum Ausdruck.[350]
(aaa) Erheblichkeit
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Das neue Vorbringen kann unmittelbar oder mittelbar erheblich sein. Unmittelbare Erheblichkeit kommt nur beim Vorbringen neuer Haupttatsachen in Betracht. Das sind solche Tatsachen, die ohne weiteres rechtsfolgenrelevant sind. Demgegenüber können neue Hilfstatsachen und neue Beweismittel nur mittelbar erheblich sein, indem sie den Schluss auf eine (unmittelbar rechtsfolgenrelevante) Haupttatsache zulassen.[351] Diese kann ebenfalls neu sein, muss aber nicht neu sein. So wie der Antragsteller sich zum Nachweis vorgebrachter neuer Haupttatsachen auf alte Hilfstatsachen oder Beweismittel berufen kann, so hat er die Möglichkeit, neue Hilfstatsachen oder Beweismittel zum Nachweis alter Haupttatsachen geltend zu machen.
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Welche Beweiskraft den vorgebrachten Hilfstatsachen oder Beweismitteln tatsächlich (konkret) zukommt, ist, wie dargelegt, für ihre Erheblichkeit ohne Bedeutung. Es braucht nur jedenfalls denkbar zu sein, dass sie den Nachweis der fraglichen Haupttatsache ermöglichen.
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Gegenüber welchen Elementen der tatsächlichen Urteilsgrundlage der neue Sachvortrag erheblich sein muss, richtet sich nach dem Antragsziel:
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Wird die Freisprechung erstrebt, muss der neue Sachvortrag gegenüber den Schuldfeststellungen des erkennenden Gerichts erheblich sein. Das Bestreiten der Täterschaft (Haupttatsache) allein kommt nicht in Betracht, weil diese Tatsache als denknotwendiges Gegenteil einer festgestellten Tatsache schon nicht neu ist.[352] Als neue Haupttatsachen sind gegenüber den Schuldfeststellungen dagegen etwa solche Tatsachen erheblich, aus denen sich ein vom erkennenden Gericht nicht berücksichtigter Rechtfertigungs- oder Schuldausschließungsgrund ergibt.
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Fallbeispiel:
Der wegen Körperverletzung verurteilte Antragsteller begründet seinen Wiederaufnahmeantrag damit, dass der von ihm mit einem Faustschlag Verletzte zuvor versucht habe, mit einem Messer auf ihn einzustechen. Mit diesem Tatsachenvortrag sind unmittelbar die Voraussetzungen der Notwehr dargelegt.
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Gegenüber der im Urteil festgestellten Täterschaft können neue Hilfstatsachen oder neue Beweismittel erheblich sein. In der Praxis werden in diesem Zusammenhang häufig als neue Hilfstatsachen der Geständniswiderruf und der Widerruf belastender Angaben eines Zeugen[353] sowie der Widerruf belastender Angaben eines früheren Mitangeklagten[354] vorgebracht.
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Erforderlich ist stets, dass das neue Vorbringen die Täterschaft des Verurteilten unter jedem rechtlichen Gesichtspunkt ausschließt: Begründet etwa der Verurteilte seinen Wiederaufnahmeantrag damit, dass nicht er selbst, sondern ein dem Gericht Unbekannter und bisher nicht Verfolgter die Tathandlung begangen habe, so ist diese neue (Hilfs-)Tatsache gegenüber der festgestellten Täterschaft des Verurteilten unerheblich, wenn er auch nach seinem neuen Vortrag immer noch als Mittäter anzusehen wäre.[355]
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Die Erheblichkeit neuer Hilfstatsachen oder neuer Beweismittel kann auch darauf beruhen, dass aus ihnen auf das Vorliegen eines Rechtfertigungs- oder eines Schuldausschließungsgrundes geschlossen werden kann.
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Fallbeispiel:
Der Antragsteller ist wegen Körperverletzung verurteilt worden. Seiner Behauptung, der von ihm durch einen Faustschlag Verletzte habe zuvor versucht, mit einem Messer auf ihn einzustechen, hatte das erkennende Gericht keinen Glauben geschenkt. Seinen Wiederaufnahmeantrag begründet der Verurteilte damit, dass der Zeuge A, wie sich erst jetzt herausgestellt habe, das Geschehen beobachtet habe und bestätigen könne, dass der Verletzte versucht habe, auf den Verurteilten einzustechen. Außerdem habe der Verletzte am Tage vor dem Geschehen dem Zeugen B gegenüber erklärt, er wolle den Verurteilten töten. – Der Antragsteller trägt hier keine neue Haupttatsache vor, wohl aber ein neues Beweismittel zum Nachweis der Notwehrsituation (Zeuge A). Die behauptete Erklärung des Verletzten gegenüber dem Zeugen B ist eine neue Hilfstatsache, zu deren Bestätigung ebenfalls ein neues Beweismittel bezeichnet wird (Zeuge B). Hilfstatsache und Beweismittel sind erheblich.
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Wird die Einstellung oder eine vergleichbare Entscheidung (etwa das Absehen von Strafe oder die Straffreierklärung)[356] angestrebt, dann muss der neue Sachvortrag als Haupttatsachen die tatsächlichen Voraussetzungen des Straflosigkeitsgrundes enthalten, der zur Einstellung oder einer vergleichbaren Entscheidung führt, oder es müssen Hilfstatsachen oder Beweismittel vorgebracht sein, die den Schluss auf das Vorliegen dieser Voraussetzungen erlauben.[357]
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Bei angestrebter Strafmilderung sind neue Hilfstatsachen oder Beweismittel erheblich, wenn sie als denkbar erscheinen lassen, dass ein vom erkennenden Gericht angenommener Strafschärfungsgrund, insbesondere ein Qualifikationstatbestand, nicht vorgelegen hat. Neue Haupttatsachen, die eine Privilegierung ergeben, sind ebenfalls erheblich. Ferner kommen als erheblich neue Hilfstatsachen oder Beweismittel in Betracht, die auf das Vorliegen einer Privilegierung schließen lassen, welche vom erkennenden Gericht für nicht gegeben erachtet wurde. Auch neue Haupttatsachen, die einen benannten oder unbenannten Strafmilderungsgrund ausmachen, sind erheblich. Gleiches gilt für neue Hilfstatsachen oder neue Beweismittel, die der Annahme des erkennenden Gerichts entgegenstehen, ein benannter oder unbenannter Strafmilderungsgrund habe nicht vorgelegen. Soweit eine Strafmilderung auf der Grundlage des bereits der Verurteilung zugrunde liegenden Strafgesetzes erstrebt wird, was nach hier vertretener Ansicht zulässig ist, falls es sich um eine wesentliche Strafmilderung handelt,[358] ist der neue Sachvortrag erheblich, wenn die Annahme erschwerender Strafzumessungstatsachen durch neue Hilfstatsachen oder Beweismittel entkräftet wird oder neue entlastende Strafzumessungstatsachen vorgebracht werden.
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Fallbeispiele:
Der Antragsteller ist wegen Diebstahls in einem besonders schweren Fall nach den §§ 242, 243 Abs. 1 Nr. 2 StGB verurteilt worden. Das Gericht hatte festgestellt, dass er ein durch ein Schloss gesichertes Fahrrad entwendet hatte. Wird der Wiederaufnahmeantrag damit begründet, das Fahrrad habe allenfalls einen Wert von 10 Euro gehabt, so liegt darin eine gegenüber der Annahme des Strafschärfungsgrundes erhebliche (§ 243 Abs. 2 StGB) neue Haupttatsache. – Hatte der Antragsteller sich in der Hauptverhandlung darauf berufen, dass das (wertvolle) Fahrrad nicht abgeschlossen gewesen sei, hatte das Gericht ihm dies aber nicht geglaubt, so kommt der Vortrag erheblicher neuer Hilfstatsachen oder Beweismittel in Betracht: Sie liegen vor, wenn der Antragsteller vorbringt, der Eigentümer des Fahrrades habe dem bislang nicht gehörten Zeugen A (neues Beweismittel) gegenüber mittlerweile eingeräumt (neue Hilfstatsache), dass das Fahrrad nicht durch ein Schloss gesichert gewesen sei.
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Der Antragsteller ist wegen Totschlags verurteilt worden. Bringt er nunmehr vor, der Getötete, dessen Willensfreiheit außer Frage steht, sei lebensmüde gewesen und habe ihn zu der Tat gedrängt, so handelt es sich um neue, für die Privilegierung nach § 216 StGB (Tötung auf Verlangen) erhebliche Haupttatsachen. – Trägt er vor, er habe einen an ihn gerichteten Brief des Getöteten wiederaufgefunden, in dem dieser ihn dringend darum gebeten habe, ihn zu töten, so liegen darin hinsichtlich der Privilegierung eine neue erhebliche Hilfstatsache und ein neues erhebliches Beweismittel.
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Will der Antragsteller eine wesentlich andere Maßregelentscheidung erreichen, so sind neue Hilfstatsachen oder neue Beweismittel erheblich, die darauf schließen lassen, dass die Voraussetzungen der Maßregelanordnung nicht vorlagen. Erhebliche neue Haupttatsachen sind solche Tatsachen, welche die Anordnung einer der Art nach günstigeren Maßregel oder eine Milderung der verhängten Maßregel gebieten. Neue Hilfstatsachen oder Beweismittel, die den Schluss auf solche maßregelmildernden Haupttatsachen zulassen, sind gleichfalls erheblich.
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Fallbeispiel:
Bringt der gemäß § 63 StGB in einem psychiatrischen Krankenhaus Untergebrachte ein neues Sachverständigengutachten vor, wonach die Annahme des erkennenden Gerichts, infolge seines Zustandes seien weitere rechtswidrige Taten von ihm zu erwarten, unzutreffend war, so liegen eine neue Hilfstatsache (das Gutachten) und ein neues Beweismittel (der Sachverständige) vor, die darauf schließen lassen, dass die Voraussetzungen der Unterbringung nicht gegeben waren, also gegenüber der Maßregelverhängung erheblich sind.[359]