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Der Leitgedanke der verfahrensinternen Widersprüchlichkeit lässt Erweiterungen dieser anerkannten Fallgruppen zu. Eine Reduzierung des Beweiswerts kann etwa auch dann angenommen werden, wenn der Verurteilte sich auf Umstände beruft, die er in der Hauptverhandlung bewusst zurückgehalten hatte.[440] Ferner ist der Fall hier einzuordnen, dass bei der Anfechtung eines Berufungsurteils im Wege der Wiederaufnahme ein in erster Instanz vernommener Zeuge benannt wird, der zur Berufungshauptverhandlung geladen, dort aber nicht erschienen und somit nicht vernommen worden war, ohne dass der Angeklagte in der Berufungshauptverhandlung dagegen etwas erinnert und ohne dass die entsprechende Revisionsrüge Erfolg gehabt hat.[441]
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Die mit dem Leitgedanken der verfahrensinternen Widersprüchlichkeit gesetzten Grenzen sollten unbedingt eingehalten werden. Bedenklich ist es, wenn im Zusammenhang mit der „erweiterten Darlegungslast“ Formeln benutzt werden, die zu einer pauschalen Vorwegnahme der Beweiswürdigung verleiten können: Erweiterte Darlegungen seien erforderlich, wenn der Wert der neu vorgebrachten Tatsachen oder Beweismittel nicht ohne weiteres erkennbar sei[442] oder wenn alles für die Nutzlosigkeit der Beweiserhebung spreche.[443] Derartige Formeln verleiten nur dazu, die früheren Beweisergebnisse zu verabsolutieren und dadurch Wiederaufnahmeanträge überzogen restriktiv zu behandeln.[444]
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Eine rechtsstaatlichen Anforderungen genügende Handhabung des Maßstabes der hinreichenden Erfolgsaussicht nutzt den Gesichtspunkt verfahrensinterner Widersprüchlichkeit auch durch Umkehrung: Liegt kein derartiger Fall vor, so spricht alles für den Erfolg des Vorbringens.[445] Wird also etwa ein neuer Zeuge benannt, der bisher in keiner Weise in das Verfahren einbezogen war, so muss seine Glaubwürdigkeit nicht noch durch zusätzliche Hilfstatsachen besonders belegt sein. Die Glaubwürdigkeit ist anzunehmen, solange sie nicht durch die Vernehmung des Zeugen im Rahmen der Beweisaufnahme gemäß § 369 StPO in Zweifel gezogen wird.[446]
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– Zur hinreichenden Erfolgsaussicht einer Strafmaß-Wiederaufnahme
Ein ähnliches Problem wie bei der Würdigung der Beweiskraft verbleibender belastender Hilfstatsachen kann sich bei einer vom Antragsteller erstrebten Strafmilderung ergeben. Fallen unter Zugrundelegung des neuen Sachvortrags belastende Strafzumessungsgesichtspunkte weg oder kommen entlastende Strafzumessungsgesichtspunkte hinzu, so wird üblicherweise eine hinreichende Erfolgsaussicht dennoch verneint, „wenn der Strafausspruch auch unter Berücksichtigung der nova gerecht erscheint“.[447] Diese Formulierung birgt zwar einen zutreffenden Kern in sich, ist aber in hohem Maße missverständlich. Das Wiederaufnahmegericht hat keineswegs nach freiem Ermessen über die Strafzumessung zu befinden.[448] Dazu ist es anders als das bisherige erkennende Gericht oder das nach neuer Hauptverhandlung erkennende Gericht auch gar nicht in der Lage. Wie in allen sonstigen Fällen ist es lediglich dazu aufgerufen, eine Prognose über den wahrscheinlichen Verfahrensausgang zu treffen. Dabei ist in Fällen der Strafmaß-Wiederaufnahme entscheidend, ob eine wesentlich mildere Strafzumessungsentscheidung zu erwarten ist.[449] Dieser hier vertretene Wesentlichkeitsmaßstab dürfte letztlich auch der üblichen „Gerechtigkeitsformel“ zugrunde liegen. Beim Wegfall belastender Strafzumessungsgründe oder bei hinzutretenden entlastenden Strafzumessungsgründen ist eine wesentliche Strafmilderung allerdings in der Regel wahrscheinlich. Dass mit keiner wesentlichen Strafmilderung zu rechnen ist, kommt nur ausnahmsweise in Betracht. Insbesondere beim Wegfall eines qualifizierenden bzw. beim Hinzutreten eines privilegierenden Tatumstandes oder beim Wegfall benannter Strafschärfungsgründe bzw. beim Hinzutreten benannter Strafmilderungsgründe dürfte eine wesentliche Strafmilderung stets wahrscheinlich sein.
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Fallbeispiel:
Der Antragsteller ist wegen Bandendiebstahls, § 244 Abs. 1 Nr. 2 StGB, verurteilt worden. Sein neuer Sachvortrag bietet hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass er den Diebstahl allein begangen hat. Hier ist ohne weiteres auch hinreichend wahrscheinlich, dass der in der neuen Hauptverhandlung nach § 242 StGB zu bestimmende Strafausspruch wesentlich milder ausfallen wird.
(b) Schlüssiger Sachvortrag und geeignete Beweismittel
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Entsprechend den allgemeinen Anforderungen an das Vorbringen eines Wiederaufnahmegrundes[450] setzt auch die Zulässigkeit eines auf § 359 Nr. 5 StPO gestützten Wiederaufnahmeantrags einen schlüssigen Sachvortrag sowie die Bezeichnung geeigneter Beweismittel voraus. Beide Voraussetzungen sollen hier zusammen erörtert werden, weil sie im Hinblick auf die für die Wiederaufnahme gemäß § 359 Nr. 5 StPO notwendige hinreichende Erfolgsaussicht auf identische inhaltliche Anforderungen an das Antragsvorbringen hinauslaufen.
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Auffällig ist, dass Wiederaufnahmeanträge, die auf den praktisch mit Abstand bedeutendsten Wiederaufnahmegrund gemäß § 359 Nr. 5 StPO gestützt werden, häufig wegen unzureichender Darlegungen als unzulässig verworfen werden. Das gilt insbesondere in den Fällen der sog. erweiterten Darlegungslast. Daher ist bei der Begründung von Wiederaufnahmeanträgen auf Grund des § 359 Nr. 5 StPO besondere Sorgfalt geboten.
(aa) Tatsachen
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Die Anforderungen an die Darlegung von Tatsachen sind ähnlich hoch wie bei der Begründung von Verfahrensrügen im Revisionsverfahren (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO).[451] Die Tatsachen sind zunächst möglichst genau zu bezeichnen.[452] Die bloße Angabe, es hätten sich neue entlastende Umstände ergeben, reicht beispielsweise ebenso wenig aus wie die bloße Behauptung, der Verurteilte habe in Notwehr gehandelt. Außerdem müssen die Tatsachen vollständig vorgetragen werden. Erforderlich ist eine in sich geschlossene und aus sich heraus verständliche Darstellung. Schließlich ist zwingend geboten, dass das Vorliegen bzw. der Wegfall der Tatsachen bestimmt behauptet wird.[453] Bloße Anregungen an das Gericht, Tatsachen zu überprüfen, oder das Äußern von Vermutungen genügen den Anforderungen nicht.
(bb) Beweismittel
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Wird der Antrag auf neue Beweismittel gestützt, dann müssen diese so genau bezeichnet werden, dass sie vom Gericht herangezogen werden können.[454] Der Struktur des Wiederaufnahmeverfahrens entsprechend[455] gelten ähnlich hohe Anforderungen wie beim Beweisantritt im Zivilprozess. Demgemäß ist bei Zeugen eine ladungsfähige Anschrift mitzuteilen, es sei denn, sie ist bereits aktenkundig. Um die Anschrift des Zeugen in Erfahrung zu bringen, muss der Antragsteller notfalls eigene Ermittlungen anstellen, soweit sie ihm zumutbar sind. Hat der Zeuge keine ladungsfähige Anschrift, so reicht es aus, wenn der Weg angegeben wird, auf dem der Aufenthaltsort zu ermitteln ist.[456] Das Wiederaufnahmegericht braucht allerdings keine aufwändigen Ermittlungen vorzunehmen, sondern kann vom Antragsteller nähere Angaben verlangen. Bei Sachverständigen ist zu differenzieren. Beruft der Antragsteller sich auf ein bereits vorliegendes Privatgutachten, so ist es der Antragsbegründung beizufügen. Zumindest ist die Anschrift anzugeben, unter der das Gericht das Gutachten anfordern kann. Macht der Antragsteller dagegen lediglich geltend, eine sachverständige Untersuchung werde zu bestimmten Ergebnissen führen, so genügt für die Darlegung des Beweismittels die bloße Angabe, welchem Fachgebiet der heranzuziehende Sachverständige angehören soll. Dass außerdem die Gründe vorzubringen sind, die zu der Erwartung des Antragstellers Anlass geben, bezieht sich nicht auf die Darlegung des Beweismittels, sondern erst auf die Darlegung der Geeignetheit.[457] Für Urkunden gilt Entsprechendes wie für bereits vorliegende Sachverständigengutachten. Sie sind grundsätzlich bei Antragstellung vorzulegen. Augenscheinsobjekte sind ebenfalls der Antragsbegründung beizufügen. Ist dies nicht möglich, so sind sie jedenfalls genau zu bezeichnen.
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Es mag in der wiederaufnahmegerichtlichen Praxis häufig nahe liegen, einen Wiederaufnahmeantrag als unzulässig zu verwerfen, weil die Bezeichnung des neuen Beweismittels den strengen Anforderungen nicht genügt. Zuvor ist jedoch stets zu beachten, dass dem Antragsteller auf Grund der besonderen Fürsorgepflicht des Wiederaufnahmegerichts Gelegenheit zur Ergänzung seiner Angaben zu geben ist, sofern die Mängel nicht unbehebbar erscheinen.[458]
(cc) Neuheit
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Der Antragsteller muss mit Bestimmtheit behaupten, dass das erkennende Gericht die Tatsachen oder Beweismittel bei Erlass der angefochtenen Entscheidung nicht berücksichtigt hat. Darlegungsprobleme bereiten Umstände, die bereits vor Erlass der Entscheidung vorlagen. Besonders schwierig ist es, ihre Neuheit darzulegen und zu beweisen, wenn sie sogar aktenkundig und dem Gericht bekannt waren. Diese Probleme treten vor allem bei der Anfechtung von Strafbefehlen auf. In derartigen Fällen kann sich der Wiederaufnahmeantrag auf vom Wiederaufnahmegericht einzuholende dienstliche Äußerungen der erkennenden Richter stützen. Ferner lässt sich die Neuheit damit begründen, dass die Umstände in den Urteilsgründen nicht erörtert worden sind, was jedoch wegen ihrer Bedeutung für die Sache zu erwarten gewesen wäre, wenn das erkennende Gericht sie berücksichtigt hätte.
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Fallbeispiel:[459]
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags verurteilt. Es hat die Feststellung, der Angeklagte habe das Opfer A durch Tritte tödlich verletzt, ohne nähere Erörterung darauf gestützt, dass das am Schuh des Angeklagten gesicherte Menschenblut zur Blutgruppe B, der Blutgruppe des Getöteten, gehört habe. Der in der Hauptverhandlung hinzugezogene Sachverständige hatte vorgetragen, dass die Blutgruppe des am Schuh des Angeklagten sichergestellten Blutes nicht habe festgestellt werden können. Der Sachverständige hatte sich auch bereits in seinem bei den Akten befindlichen schriftlichen Gutachten dahingehend geäußert. Da eine Erörterung des Umstandes, dass das Blut keiner Blutgruppe zugeordnet werden konnte, in den Urteilsgründen unbedingt zu erwarten gewesen wäre, ist von seiner Nichtberücksichtigung bei Erlass der Entscheidung und somit von seiner Neuheit auszugehen.
(dd) Geeignetheit
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Die Geeignetheit der neuen Tatsachen oder Beweismittel ausreichend darzulegen, bereitet in der Praxis die größten Schwierigkeiten.
(aaa) Erheblichkeit
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Zunächst muss die Erheblichkeit der neuen Umstände dargetan werden. Auch hier ist besonderer Wert darauf zu legen, dass die Ausführungen vollständig und aus sich heraus verständlich sind. Es empfiehlt sich, diejenigen Feststellungen des angefochtenen Urteils (möglichst wörtlich) anzuführen, die durch das neue Vorbringen erschüttert werden sollen, und ihnen die neuen Umstände so gegenüberzustellen, dass deren Erheblichkeit ohne weiteres klar ist.
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Werden neue Haupttatsachen vorgebracht, so ergibt sich die Erheblichkeit schon aus ihrer schlüssigen Darlegung selbst.
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Formulierungsbeispiel:
„Der Antragsteller ist wegen Körperverletzung verurteilt worden. Der Verurteilung liegen folgende Feststellungen zugrunde (Bl. 3 ff. UA): Der Angeklagte verbrachte den Abend des 23. Mai 2010 in der Gaststätte ‚Bärenkrug‘ in Hannover. Gemeinsam mit dem Zeugen A nahm er am Tresen alkoholische Getränke zu sich. Im Laufe des Abends gesellte sich der Zeuge B zu ihnen und unterhielt sich mit dem Angeklagten. Im Verlauf des Gesprächs schlug der Angeklagte dem Zeugen B völlig überraschend und ohne Grund mit der Faust ins Gesicht. – Die Feststellung, der Verurteilte habe den Zeugen B grundlos geschlagen, ist unrichtig. Es war zuvor zu einer verbalen Auseinandersetzung zwischen dem Verurteilten und dem Zeugen B gekommen. In deren Verlauf zog der Zeuge B plötzlich ein Messer aus seiner Hosentasche und versuchte, auf den Verurteilten einzustechen. Das konnte der Verurteilte nur dadurch verhindern, dass er dem Zeugen B den Faustschlag ins Gesicht versetzte und das Lokal danach fluchtartig verließ.“
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Bringt der Antragsteller neue Hilfstatsachen oder neue Beweismittel vor, so ist über deren schlüssige Darlegung hinaus erforderlich, dass die Haupttatsachen, auf die sie sich beziehen, ebenfalls genau, vollständig und bestimmt vorgetragen werden. Das ergibt sich bei verständlicher Darstellung zumeist allerdings ohnehin von selbst.
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Formulierungsbeispiel:[460]
„Der Antragsteller ist wegen Vergewaltigung verurteilt worden. Nach den Urteilsfeststellungen hat er die Zeugin A, die er gemeinsam mit ihrem Ehemann in sein Haus aufgenommen hatte, mehrmals zum Geschlechtsverkehr gezwungen (Bl. 6 UA). Die Einlassung des Verurteilten, die Zeugin A, die für Geld den Geschlechtsverkehr mit jedem ausführe, habe sich ihm wiederholt unsittlich genähert, was er aber stets von sich gewiesen habe, sah das erkennende Gericht insbesondere auf Grund der beeideten Aussage der Zeugin A als widerlegt an. Im Rahmen der Beweiswürdigung hat das erkennende Gericht ausgeführt (Bl. 8 f. UA): ‚Die Zeugin A hat eine konstante und widerspruchsfreie Schilderung des Vorgefallenen gegeben. Anhaltspunkte dafür, dass sie den Angeklagten etwa aus Hass zu Unrecht belasten wollte, sind nicht ersichtlich. So hat sie beispielsweise die Einleitung des Ermittlungsverfahrens in keiner Weise forciert. Im Übrigen haben die von ihr unterrichteten Zeugen – ihr Ehemann, die Frau des Angeklagten sowie ein Gemeindepfarrer – übereinstimmend bekundet, den Eindruck gewonnen zu haben, dass die Schilderung der Zeugin A von der Vergewaltigung der Wahrheit entspreche.‘ – Das vom erkennenden Gericht gewonnene Beweisergebnis wird durch neue Tatsachen und Beweismittel erschüttert. Nach Rechtskraft des Urteils äußerte die Zeugin A den bisher nicht vernommenen Zeugen B und C gegenüber, dass sie in dem Verfahren gegen den Verurteilten aus Rache einen Meineid geleistet habe und dies, wenn nötig, auch ein weiteres Mal tun werde. Die Zeugen B, wohnhaft X-Straße in A., und C, wohnhaft Y-Straße in A., können das bestätigen. Sie können ferner angeben, dass die Zeugin A schon seit Jahren der Prostitution nachgeht.“
(bbb) Hinreichende Erfolgsaussicht
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Da das neue Vorbringen nur geeignet ist, wenn es über seine Erheblichkeit hinaus hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet, sind grundsätzlich auch insoweit schlüssige Darlegungen erforderlich.[461] Allerdings braucht der Antragsteller sich regelmäßig nicht erschöpfend damit auseinanderzusetzen, wie das neue Vorbringen in der Gesamtschau mit dem bisherigen Beweisergebnis zu beurteilen ist. Das folgt schon aus den gesetzlichen Voraussetzungen für die Begründetheit eines auf § 359 Nr. 5 StPO gestützten Wiederaufnahmeantrags. Danach ist die Darlegung des Beweiswerts neuer Hilfstatsachen oder Beweismittel durch zusätzliche Hilfstatsachen des Beweises nur in Fällen verfahrensinterner Widersprüchlichkeit notwendig.[462]
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Es ist dem Antragsteller jedoch zu empfehlen, die Überzeugungskraft neuer Hilfstatsachen und den Beweiswert neuer Beweismittel möglichst umfassend und plausibel darzulegen. Er sollte tunlichst alle in Betracht kommenden weiteren Hilfstatsachen oder Beweismittel anführen, die seinen neuen Vortrag stützen. Denn die wiederaufnahmegerichtliche Praxis tendiert dazu, Wiederaufnahmeanträge als unzulässig zu verwerfen, weil die Darlegungen zum Beweiswert des neuen Vorbringens zu dürftig wirken und daher alles für die „Nutzlosigkeit der Beweiserhebung“ zu sprechen scheint.[463]
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Formulierungsbeispiele:
„Der Antragsteller ist durch Urteil des Landgerichts Karlsruhe vom 29. Januar 1999 wegen gemeinschaftlicher schwerer Brandstiftung und wegen gemeinschaftlichen Diebstahls in 2 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 4 Jahren und 6 Monaten verurteilt worden. Die Verurteilung beruhte auf den Angaben des Mitangeklagten A. A hatte angegeben, die Straftaten gemeinsam mit dem Antragsteller begangen zu haben. Der Antragsteller hat stets bestritten, daran beteiligt gewesen zu sein. A hat seine den Antragsteller belastenden Angaben inzwischen widerrufen und eidesstattlich versichert: Er habe den Antragsteller nur deshalb der Mittäterschaft bezichtigt, weil er und seine Ehefrau von dem wahren Mittäter B bedroht worden seien. Diese Bedrohung bestehe jetzt nicht mehr, da B verstorben sei.“[464]
„Das erkennende Gericht hat den Antragsteller wegen Beihilfe zum Raub zu einer Freiheitsstrafe von 1 Jahr und 6 Monaten verurteilt. Dem Urteil liegen im Wesentlichen folgende Feststellungen zugrunde (Bl. 4 ff. UA): ‚Der Angeklagte hat den Zeugen C und D, die auf der Suche nach einem geeigneten Objekt für einen Banküberfall waren, anlässlich eines Gesprächs in der Wohnung des C den Hinweis auf eine Bankfiliale gegeben, in der nur ein älterer Mann als Kassierer tätig ist. Einige Zeit danach unternahm der Zeuge C, die treibende Kraft bei den Planungen für den Überfall, mit dem Angeklagten eine Fahrt zu der Ortschaft, in der sich die Bankfiliale befand, und ließ sich das Gebäude zeigen. Wenig später wurde dann von den Zeugen C und D sowie dem E der Banküberfall durchgeführt. Der Angeklagte bekam für seinen Hinweis einen Betrag von 600,– Euro ausgehändigt.‘ – Diese Feststellungen beruhten auf den Angaben der Zeugen C und D. Der Angeklagte hatte stets jede Tatbeteiligung bestritten (Bl. 8 f. UA). – Die Urteilsfeststellungen sind, soweit sie die Beteiligung des Antragstellers betreffen, unrichtig. Die Zeugen C und D haben den Antragsteller in der Hauptverhandlung zu Unrecht belastet, um sich dafür zu rächen, dass er sie seinerzeit bei der Polizei angezeigt hatte. Die Zeugen C und E haben inzwischen bekundet, dass in Wirklichkeit C auf die betreffende Bankfiliale verfallen sei und dass bei dem fraglichen Gespräch in dessen Wohnung schon von jener Bank die Rede gewesen sei, als sich der Antragsteller dazugesellt habe. E, der an der Erkundungsfahrt teilgenommen hat, hat nunmehr ferner eingeräumt, dass der Antragsteller während der Fahrt völlig betrunken gewesen sei und keinerlei Hinweise gegeben habe und dass der Antragsteller das Geld bloß erhalten habe, um ihn zum Schweigen zu veranlassen.“[465]
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Gerade die in der Praxis oft herangezogene Figur der „erweiterten Darlegungslast“ ist ein Indiz für eine abwehrende Haltung der Wiederaufnahmegerichte. Das lässt es geboten erscheinen, auch in diesem Punkt nochmals ausdrücklich auf die besondere Fürsorgepflicht des Wiederaufnahmegerichts hinzuweisen. Bevor ein Wiederaufnahmeantrag wegen unzureichender Darlegungen zur hinreichenden Erfolgsaussicht als unzulässig verworfen werden darf, ist dem Antragsteller Gelegenheit zur Ergänzung seiner Antragsbegründung zu geben.[466]
(6) Festgestellte Verletzung der Menschenrechtskonvention, Nr. 6
(a) Bedeutung des § 359 Nr. 6 StPO
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Die durch das Gesetz zur Reform des strafrechtlichen Wiederaufnahmeverfahrens vom 9. Juli 1998[467] neu eingeführte Bestimmung des § 359 Nr. 6 StPO lässt die Wiederaufnahme zu, wenn der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte eine Verletzung der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten oder ihrer Protokolle festgestellt hat und das Urteil auf dieser Verletzung beruht. Der Wiederaufnahmegrund des § 359 Nr. 6 StPO steht ebenso wie der durch § 79 Abs. 1 BVerfGG normierte[468] insofern außerhalb der Systematik der in § 359 Nr. 1 bis 5 StPO geregelten Wiederaufnahmegründe, als er nicht an die tatsächliche Unrichtigkeit der Urteilsgrundlage anknüpft, sondern an die Rechtsfehlerhaftigkeit des Urteils. Die Einführung des § 359 Nr. 6 StPO trägt dem Prinzip der konventionsfreundlichen Ausgestaltung des innerstaatlichen Rechts Rechnung und eröffnet zu diesem Zweck die nach früher geltendem Recht nicht bestehende Möglichkeit, rechtskräftig gewordene konventionswidrige Strafurteile aufzuheben.[469]
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Die am 4. November 1950 unterzeichnete Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (Menschenrechtskonvention) gewährleistet einen der gemeinsamen Überlieferung aller Vertragsstaaten entsprechenden Mindeststandard an Rechten und Freiheiten. Durch Artikel II des Zustimmungsgesetzes vom 7. August 1952[470] sind die Bestimmungen der Menschenrechtskonvention im Range eines einfachen Bundesgesetzes unmittelbar geltendes Recht der Bundesrepublik Deutschland geworden und deshalb in jedem Strafverfahren zu beachten. Verstöße gegen Bestimmungen der Menschenrechtskonvention können und müssen im Instanzenzug korrigiert werden. Konventionswidrige Strafurteile, die in Rechtskraft erwachsen sind, können von dem Verurteilten gemäß Art. 34 MRK im Wege der Individualbeschwerde vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte angefochten werden.[471] Dessen einer Individualbeschwerde stattgebenden Entscheidungen erschöpfen sich indes im Wesentlichen in der Feststellung, dass die angefochtene Entscheidung konventionswidrig ist. Abgesehen von Entscheidungen, durch die dem Verurteilten gemäß Art. 41 MRK zugleich eine Entschädigung zugesprochen wird, kommt den Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte eine die innerstaatliche Rechtslage unmittelbar gestaltende Wirkung nicht zu. Insbesondere haben sie keine Aufhebung der angefochtenen Entscheidung zur Folge.[472]
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Nach altem Recht waren solche Entscheidungen auch einer Korrektur im Wege der Wiederaufnahme entzogen. Insbesondere war die Wiederaufnahme nicht in analoger Anwendung von § 359 Nr. 5 StPO oder von § 79 Abs. 1 BVerfGG möglich.[473] Dieser Missstand ist durch die Einführung von § 359 Nr. 6 StPO behoben worden.
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