Die fröhliche Wissenschaft

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8.

Unbewußte Tugenden. – Alle Eigenschaften eines Menschen, deren er sich bewußt ist – und namentlich, wenn er deren Sichtbarkeit und Evidenz auch für seine Umgebung voraussetzt –, stehen unter ganz andern Gesetzen der Entwicklung als jene Eigenschaften, welche ihm unbekannt oder schlecht bekannt sind und die sich auch vor dem Auge des feineren Beobachters durch ihre Feinheit verbergen und wie hinter das Nichts zu verstecken wissen. So steht es mit den feinen Skulpturen auf den Schuppen der Reptilien: es würde ein Irrtum sein, in ihnen einen Schmuck oder eine Waffe zu vermuten – denn man sieht sie erst mit dem Mikroskop, also mit einem so künstlich verschärften Auge, wie es ähnliche Tiere, für welche es etwa Schmuck oder Waffe zu bedeuten hätte, nicht besitzen! Unsere sichtbaren moralischen Qualitäten, und namentlich unsere sichtbar geglaubten, gehen ihren Gang – und die unsichtbaren ganz gleichnamigen, welche uns in Hinsicht auf andere weder Schmuck noch Waffe sind, gehen auch ihren Gang: einen ganz andern wahrscheinlich, und mit Linien und Feinheiten und Skulpturen, welche vielleicht einem Gotte mit einem göttlichen Mikroskope Vergnügen machen könnten. Wir haben zum Beispiel unsern Fleiß, unsern Ehrgeiz, unsern Scharfsinn: alle Welt weiß darum –, und außerdem haben wir wahrscheinlich noch einmal unsern Fleiß, unsern Ehrgeiz, unsern Scharfsinn: aber für diese unsere Reptilien-Schuppen ist das Mikroskop noch nicht erfunden! – Und hier werden die Freunde der instinktiven Moralität sagen: »Bravo! Er hält wenigstens unbewußte Tugenden für möglich – das genügt uns!« – Oh ihr Genügsamen!

9.

Unsere Eruptionen. – Unzähliges, was sich die Menschheit auf früheren Stufen aneignete, aber so schwach und embryonisch, daß es niemand als angeeignet wahrzunehmen wußte, stößt plötzlich, lange darauf, vielleicht nach Jahrhunderten, ans Licht: es ist inzwischen stark und reif geworden. Manchen Zeitaltern scheint dies oder jenes Talent, diese oder jene Tugend ganz zu fehlen, wie manchen Menschen: aber man warte nur bis auf die Enkel und Enkelkinder, wenn man Zeit hat zu warten, – sie bringen das Innere ihrer Großväter an die Sonne, jenes Innere, von dem die Großväter selbst noch nichts wußten. Oft ist schon der Sohn der Verräter seines Vaters: dieser versteht sich selber besser, seit er seinen Sohn hat. Wir haben alle verborgene Gärten und Pflanzungen in uns; und, mit einem andern Gleichnisse, wir sind alle wachsende Vulkane, die ihre Stunde der Eruption haben werden – wie nah aber oder wie fern diese ist, das freilich weiß niemand, selbst der liebe Gott nicht.

10.

Eine Art von Atavismus. – Die seltnen Menschen einer Zeit verstehe ich am liebsten als plötzlich auftauchende Nachschößlinge vergangener Kulturen und deren Kräften: gleichsam als den Atavismus eines Volks und seiner Gesittung – so ist wirklich etwas noch an ihnen zu verstehen! Jetzt erscheinen sie fremd, selten, außerordentlich: und wer diese Kräfte in sich fühlt, hat sie gegen eine widerstrebende andere Welt zu pflegen, zu verteidigen, zu ehren, großzuziehen: und so wird er damit entweder ein großer Mensch oder ein verrückter und absonderlicher, sofern er überhaupt nicht beizeiten zugrunde geht. Ehedem waren diese selben Eigenschaften gewöhnlich und galten folglich als gemein: sie zeichneten nicht aus. Vielleicht wurden sie gefordert, vorausgesetzt; es war unmöglich, mit ihnen groß zu werden, und schon deshalb, weil die Gefahr fehlte, mit ihnen auch toll und einsam zu werden. – Die erhaltenden Geschlechter und Kasten eines Volkes sind es vornehmlich, in denen solche Nachschläge alter Triebe vorkommen, während keine Wahrscheinlichkeit für solchen Atavismus ist, wo Rassen, Gewohnheiten, Wertschätzungen zu rasch wechseln. Das Tempo bedeutet nämlich unter den Kräften der Entwicklung bei Völkern eben soviel wie bei der Musik; für unsern Fall ist durchaus ein Andante der Entwicklung notwendig, als das Tempo eines leidenschaftlichen und langsamen Geistes – und der Art ist ja der Geist konservativer Geschlechter.

11.

Das Bewusstsein. – Die Bewusstheit ist die letzte und späteste Entwicklung des Organischen und folglich auch das Unfertigste und Unkräftigste daran. Aus der Bewusstheit stammen unzählige Fehlgriffe, welche machen, daß ein Tier, ein Mensch zugrunde geht, früher als es nötig wäre, »über das Geschick«, wie Homer sagt. Wäre nicht der erhaltende Verband der Instinkte so überaus viel mächtiger diente er nicht im ganzen als Regulator: an ihrem verkehrten Urteilen und Phantasieren mit offnen Augen, an ihrer Ungründlichkeit und Leichtgläubigkeit, kurz eben an ihrer Bewusstheit müßte die Menschheit zugrunde gehen: oder vielmehr, ohne jenes gäbe es diese längst nicht mehr! Bevor eine Funktion ausgebildet und reif ist, ist sie eine Gefahr des Organismus: gut, wenn sie so lange tüchtig tyrannisiert wird! so wird die Bewusstheit tüchtig tyrannisiert – und nicht am wenigsten von dem Stolze darauf! Man denkt, hier sei der Kern des Menschen; sein Bleibendes, Ewiges, Letztes, Ursprünglichstes! Man hält die Bewusstheit für eine feste gegebene Größe! Leugnet ihr Wachstum, ihre Intermittenzen! Nimmt sie als »Einheit des Organismus«! – Diese lächerliche Überschätzung und Verkennung des Bewusstseins hat die große Nützlichkeit zur Folge, daß damit eine allzuschnelle Ausbildung desselben verhindert worden ist. Weil die Menschen die Bewusstheit schon zu haben glaubten, haben sie sich wenig Mühe darum gegeben, sie zu erwerben – und auch jetzt noch steht es nicht anders! Es ist immer noch eine ganz neue und eben erst dem menschlichen Auge aufdämmernde, kaum noch deutlich erkennbare Aufgabe, das Wissen sich einzuverleiben und instinktiv zu machen, – eine Aufgabe, welche nur von denen gesehen wird, die begriffen haben, daß bisher nur unsere Irrtümer uns einverleibt waren und daß alle unsre Bewusstheit sich auf Irrtümer bezieht!

12.

Vom Ziele der Wissenschaft. – Wie? Das letzte Ziel der Wissenschaft sei, dem Menschen möglichst viel Lust und möglichst wenig Unlust zu schaffen? Wie, wenn nun Lust und Unlust so mit einem Stricke zusammengeknüpft wären, daß, wer möglichst viel von der einen haben will, auch möglichst viel von der andern haben muß – daß, wer das »Himmelhoch-Jauchzen« lernen will, sich auch für das »Zum-Tode-betrübt« bereit halten muß? Und so steht es vielleicht! Die Stoiker glaubten wenigstens, daß es so stehe, und waren konsequent, als sie nach möglichst wenig Lust begehrten, um möglichst wenig Unlust vom Leben zu haben. (Wenn man den Spruch im Munde führte: »Der Tugendhafte ist der Glücklichste«, so hatte man in ihm sowohl ein Aushängeschild der Schule für die große Masse, als auch eine kasuistische Feinheit für die Feinen.) Auch heute noch habt ihr die Wahl: entweder möglichst wenig Unlust, kurz Schmerzlosigkeit – und im Grunde dürften Sozialisten und Politiker aller Parteien ihren Leuten ehrlicherweise nicht mehr verheißen – oder möglichst viel Unlust als Preis für das Wachstum einer Fülle von feinen und bisher selten gekosteten Lüsten und Freuden! Entschließt ihr euch für das erstere, wollt ihr also die Schmerzhaftigkeit der Menschen herabdrücken und vermindern, nun, so müßt ihr auch ihre Fähigkeit zur Freude herabdrücken und vermindern. In der Tat kann man mit der Wissenschaft das eine wie das andre Ziel fördern! Vielleicht ist sie jetzt noch bekannter wegen ihrer Kraft, den Menschen um seine Freuden zu bringen und ihn kälter, statuenhafter, stoischer zu machen. Aber sie könnte auch noch als die große Schmerzbringerin entdeckt werden – und dann würde vielleicht zugleich ihre Gegenkraft entdeckt sein, ihr ungeheures Vermögen, neue Sternenwelten der Freude aufleuchten zu lassen!

13.

Zur Lehre vom Machtgefühl. – Mit Wohltun und Wehtun übt man seine Macht an andern aus – mehr will man dabei nicht! Mit Wehtun an solchen, denen wir unsere Macht erst fühlbar machen müssen; denn der Schmerz ist ein viel empfindlicheres Mittel dazu als die Lust – der Schmerz fragt immer nach der Ursache, während die Lust geneigt ist, bei sich selber stehenzubleiben und nicht rückwärts zu schauen. Mit Wohltun und Wohlwollen an solchen, die irgendwie schon von uns abhängen (das heißt gewohnt sind, an uns als ihre Ursachen zu denken); wir wollen ihre Macht mehren, weil wir so die unsere mehren, oder wir wollen ihnen den Vorteil zeigen, den es hat, in unserer Macht zu stehen, – so werden sie mit ihrer Lage zufriedener und gegen die Feinde unserer Macht feindseliger und kampfbereiter sein. Ob wir beim Wohl- oder Wehtun Opfer bringen, verändert den letzten Wert unserer Handlungen nicht; selbst wenn wir unser Leben daran setzen, wie der Märtyrer zugunsten seiner Kirche, – es ist ein Opfer, gebracht unserm Verlangen nach Macht oder zum Zweck der Erhaltung unseres Machtgefühls. Wer da empfindet »ich bin im Besitz der Wahrheit«, wie viel Besitztümer läßt der nicht fahren, um diese Empfindung zu retten! Was wirft er nicht alles über Bord, um sich »oben« zu erhalten – das heißt über den andern, welche der »Wahrheit« ermangeln! Gewiß ist der Zustand, wo wir wehtun, selten so angenehm, so ungemischt-angenehm, wie der, in welchem wir wohltun – es ist ein Zeichen, daß uns noch Macht fehlt, oder verrät den Verdruss über diese Armut, es bringt neue Gefahren und Unsicherheiten für unsern vorhandenen Besitz von Macht mit sich und umwölkt unsern Horizont durch die Aussicht auf Rache, Hohn, Strafe, Misserfolg. Nur für die reizbarsten und begehrlichsten Menschen des Machtgefühls mag es lustvoller sein, dem Widerstrebenden das Siegel der Macht aufzudrücken; für solche, denen der Anblick des bereits Unterworfenen (als welcher der Gegenstand des Wohlwollens ist) Last und Langeweile macht. Es kommt darauf an, wie man gewöhnt ist, sein Leben zu würzen; es ist eine Sache des Geschmacks, ob man lieber den langsamen oder den plötzlichen, den sicheren oder den gefährlichen und verwegenen Machtzuwachs haben will – man sucht diese oder jene Würze immer nach seinem Temperamente. Eine leichte Beute ist stolzen Naturen etwas Verächtliches, sie empfinden ein Wohlgefühl erst beim Anblick ungebrochener Menschen, welche ihnen feind werden könnten, und ebenso beim Anblick aller schwer zugänglichen Besitztümer; gegen den Leidenden sind sie oft hart, denn er ist ihres Strebens und Stolzes nicht wert – aber um so verbindlicher zeigen sie sich gegen die Gleichen, mit denen ein Kampf und Ringen jedenfalls ehrenvoll wäre, wenn sich einmal eine Gelegenheit dazu finden sollte. Unter dem Wohlgefühle dieser Perspektive haben sich die Menschen der ritterlichen Kaste gegeneinander an eine ausgesuchte Höflichkeit gewöhnt. – Mitleid ist das angenehmste Gefühl bei solchen, welche wenig stolz sind und keine Aussicht auf große Eroberungen haben: für sie ist die leichte Beute – und das ist jeder Leidende – etwas Entzückendes. Man rühmt das Mitleid als die Tugend der Freudenmädchen.

 

14.

Was alles Liebe genannt wird. – Habsucht und Liebe: wie verschieden empfinden wir bei jedem dieser Worte! – und doch könnte es derselbe Trieb sein, zweimal benannt, das eine Mal verunglimpft vom Standpunkte der bereits Habenden aus, in denen der Trieb etwas zur Ruhe gekommen ist, und die nun für ihre »Habe« fürchten; das andere Mal vom Standpunkte der Unbefriedigten, Durstigen aus, und daher verherrlicht als »gut«. Unsere Nächstenliebe – ist sie nicht ein Drang nach neuem Eigentum? Und ebenso unsre Liebe zum Wissen, zur Wahrheit? und überhaupt all jener Drang nach Neuigkeiten? Wir werden des Alten, sicher Besessenen allmählich überdrüssig und strecken die Hände wieder aus; selbst die schönste Landschaft, in der wir drei Monate leben, ist unsrer Liebe nicht mehr gewiß, und irgendeine fernere Küste reizt unsre Habsucht an: der Besitz wird durch das Besitzen zumeist geringer. Unsere Lust an uns selber will sich so aufrecht erhalten, daß sie immer wieder etwas Neues in uns selber verwandelt – das eben heißt Besitzen. Eines Besitzes überdrüssig werden, das ist: unser selber überdrüssig werden. (Man kann auch am Zuviel leiden – auch die Begierde wegzuwerfen, auszuteilen kann sich den Ehrennamen »Liebe« zulegen.) Wenn wir jemanden leiden sehen, so benützen wir gerne die jetzt gebotene Gelegenheit, Besitz von ihm zu ergreifen; dies tut zum Beispiel der Wohltätige und Mitleidige, auch er nennt die in ihm erweckte Begierde nach neuem Besitz »Liebe« und hat seine Lust dabei wie bei einer neuen ihm winkenden Eroberung. Am deutlichsten aber verrät sich die Liebe der Geschlechter als Drang nach Eigentum: der Liebende will den unbedingten Alleinbesitz der von ihm ersehnten Person, er will eine ebenso unbedingte Macht über ihre Seele wie ihren Leib, er will allein geliebt sein und als das Höchste und Begehrenswerteste in der andern Seele wohnen und herrschen. Erwägt man, daß dies nichts anderes heißt, als alle Welt von einem kostbaren Gute, Glücke und Genuss ausschließen: erwägt man, daß der Liebende auf die Verarmung und Entbehrung aller anderen Mitbewerber ausgeht und zum Drachen seines goldenen Hortes werden möchte, als der rücksichtsloseste und selbstsüchtigste aller »Eroberer« und Ausbeuter: erwägt man endlich, daß dem Liebenden selber die ganze andere Welt gleichgültig, blaß, wertlos erscheint und er jedes Opfer zu bringen, jede Ordnung zu stören, jedes Interesse hintennach zu setzen bereit ist: so wundert man sich in der Tat, daß diese wilde Habsucht und Ungerechtigkeit der Geschlechtsliebe dermaßen verherrlicht und vergöttlicht worden ist, wie zu allen Zeiten geschehen, ja daß man aus dieser Liebe den Begriff Liebe als den Gegensatz des Egoismus hergenommen hat, während sie vielleicht gerade der unbefangenste Ausdruck des Egoismus ist. Hier haben offenbar die Nichtbesitzenden und Begehrenden den Sprachgebrauch gemacht – es gab wohl ihrer immer zu viele. Solche, welchen auf diesem Bereiche viel Besitz und Sättigung gegönnt war, haben wohl hier und da ein Wort vom »wütenden Dämon« fallen lassen, wie jener liebenswürdigste und geliebteste aller Athener, Sophokles: aber Eros lachte jederzeit über solche Lästerer – es waren immer gerade seine größten Lieblinge. – Es gibt wohl hier und da auf Erden eine Art Fortsetzung der Liebe, bei der jenes habsüchtige Verlangen zweier Personen nacheinander einer neuen Begierde und Habsucht, einem gemeinsamen höheren Durste nach einem über ihnen stehenden Ideale, gewichen ist: aber wer kennt diese Liebe? wer hat sie erlebt? Ihr rechter Name ist Freundschaft.

15.

Aus der Ferne. – Dieser Berg macht die ganze Gegend, die er beherrscht, auf alle Weise reizend und bedeutungsvoll: nachdem wir dies uns zum hundertsten Male gesagt haben, sind wir so unvernünftig und so dankbar gegen ihn gestimmt, daß wir glauben, er, der Geber dieses Reizes, müsse selber das Reizvollste der Gegend sein – und so steigen wir auf ihn hinauf und sind enttäuscht. Plötzlich ist er selber, und die ganze Landschaft um uns, unter uns, wie entzaubert; wir hatten vergessen, daß manche Größe, wie manche Güte, nur auf eine gewisse Distanz hin gesehen werden will, und durchaus von unten, nicht von oben – so allein wirkt sie. Vielleicht kennst du Menschen in deiner Nähe, die sich selber nur aus einer gewissen Ferne ansehen dürfen, um sich überhaupt erträglich oder anziehend und kraftgebend zu finden; die Selbsterkenntnis ist ihnen zu widerraten.

16.

Über den Steg. – Im Verkehre mit Personen, welche gegen ihre Gefühle schamhaft sind, muß man sich verstellen können; sie empfinden einen plötzlichen Haß gegen den, welcher sie auf einem zärtlichen oder schwärmerischen und hochgehenden Gefühle ertappt, wie als ob er ihre Heimlichkeiten gesehen habe. Will man ihnen in solchen Augenblicken wohltun, so mache man sie lachen oder sage irgendeine kalte scherzhafte Bosheit – ihr Gefühl erfriert dabei, und sie sind ihrer wieder mächtig. Doch ich gebe die Moral vor der Geschichte. – Wir sind uns einmal im Leben so nahe gewesen, daß nichts unsere Freund- und Bruderschaft mehr zu hemmen schien und nur noch ein kleiner Steg zwischen uns war. Indem du ihn eben betreten wolltest, fragte ich dich: »willst du zu mir über den Steg?« – aber da wolltest du nicht mehr; und als ich nochmals bat, schwiegst du. Seitdem sind Berge und reißende Ströme, und was nur trennt und fremd macht, zwischen uns geworfen, und wenn wir auch zueinander wollten, wir könnten es nicht mehr! Gedenkst du aber jetzt jenes kleinen Steges, so hast du nicht Worte mehr – nur noch Schluchzen und Verwunderung.

17.

Seine Armut motivieren. – Wir können freilich durch kein Kunststück aus einer armen Tugend eine reiche, reichfließende machen, aber wohl können wir ihre Armut schön in die Notwendigkeit umdeuten, so daß ihr Anblick uns nicht mehr wehtut und wir ihrethalben dem Fatum keine vorwurfsvollen Gesichter machen. So tut der weise Gärtner, der das arme Wässerchen seines Gartens einer Quellnymphe in den Arm legt und also die Armut motiviert – und wer hätte nicht gleich ihm die Nymphen nötig!

18.

Antiker Stolz. – Die antike Färbung der Vornehmheit fehlt uns, weil unserm Gefühle der antike Sklave fehlt. Ein Grieche edler Abkunft fand zwischen seiner Höhe und jener letzten Niedrigkeit solche ungeheure Zwischen-Stufen und eine solche Ferne, daß er den Sklaven kaum noch deutlich sehen konnte: selbst Plato hat ihn nicht ganz mehr gesehen. Anders wir, gewöhnt wie wir sind an die Lehre von der Gleichheit der Menschen, wenn auch nicht an die Gleichheit selber. Ein Wesen, das nicht über sich selber verfügen kann und dem die Muße fehlt – das gilt unserm Auge noch keineswegs als etwas Verächtliches; es ist von derlei Sklavenhaftem vielleicht zu viel an jedem von uns, nach den Bedingungen unserer gesellschaftlichen Ordnung und Tätigkeit, welche grundverschieden von denen der Alten sind. – Der griechische Philosoph ging durch das Leben mit dem geheimen Gefühle, daß es viel mehr Sklaven gebe, als man vermeine – nämlich daß jedermann Sklave sei, der nicht Philosoph sei; sein Stolz schwoll über, wenn er erwog, daß auch die Mächtigsten der Erde unter diesen seinen Sklaven seien. Auch dieser Stolz ist uns fremd und unmöglich: nicht einmal im Gleichnis hat das Wort »Sklave« für uns seine volle Kraft.

19.

Das Böse. – Prüfet das Leben der besten und fruchtbarsten Menschen und Völker und fragt euch, ob ein Baum, der stolz in die Höhe wachsen soll, des schlechten Wetters und der Stürme entbehren könne: ob Ungunst und Widerstand von außen, ob irgendwelche Arten von Haß, Eifersucht, Eigensinn, Mißtrauen, Härte, Habgier und Gewaltsamkeit nicht zu den begünstigenden Umständen gehören, ohne welche ein großes Wachstum selbst in der Tugend kaum möglich ist? Das Gift, an dem die schwächere Natur zugrunde geht, ist für den Starken Stärkung – und er nennt es auch nicht Gift.

20.

Würde der Torheit. – Einige Jahrtausende weiter auf der Bahn des letzten Jahrhunderts! – und in allem, was der Mensch tut, wird die höchste Klugheit sichtbar sein: aber eben damit wird die Klugheit alle ihre Würde verloren haben. Es ist dann zwar notwendig, klug zu sein, aber auch so gewöhnlich und so gemein, daß ein edlerer Geschmack diese Notwendigkeit als eine Gemeinheit empfinden wird. Und ebenso wie eine Tyrannei der Wahrheit und Wissenschaft imstande wäre, die Lüge hoch im Preise steigen zu machen, so könnte eine Tyrannei der Klugheit eine neue Gattung von Edelsinn hervortreiben. Edel sein – das hieße dann vielleicht: Torheiten im Kopfe haben.

21.

An die Lehrer der Selbstlosigkeit. – Man nennt die Tugenden eines Menschen gut, nicht in Hinsicht auf die Wirkungen, welche sie für ihn selber haben, sondern in Hinsicht auf die Wirkungen, welche wir von ihnen für uns und die Gesellschaft voraussetzen – man ist von jeher im Lobe der Tugenden sehr wenig »selbstlos«, sehr wenig »unegoistisch« gewesen! Sonst nämlich hätte man sehen müssen, daß die Tugenden (wie Fleiß, Gehorsam, Keuschheit, Pietät, Gerechtigkeit) ihren Inhabern meistens schädlich sind, als Triebe, welche allzu heftig und begehrlich in ihnen walten und von der Vernunft sich durchaus nicht im Gleichgewicht zu den andern Trieben halten lassen wollen. Wenn du eine Tugend hast, eine wirkliche, ganze Tugend (und nicht nur ein Triebchen nach einer Tugend!) – so bist du ihr Opfer! Aber der Nachbar lobt eben deshalb deine Tugend! Man lobt den Fleißigen, ob er gleich die Sehkraft seiner Augen oder die Ursprünglichkeit und Frische seines Geistes mit diesem Fleiß schädigt: man ehrt und bedauert den Jüngling, welcher sich »zuschanden gearbeitet hat«, weil man urteilt: »Für das ganze Große der Gesellschaft ist auch der Verlust des besten einzelnen nur ein kleines Opfer! Schlimm, daß das Opfer nottut! Viel schlimmer freilich, wenn der einzelne anders denken und seine Erhaltung und Entwicklung wichtiger nehmen sollte, als seine Arbeit im Dienste der Gesellschaft!« Und so bedauert man diesen Jüngling, nicht um seiner selbst willen, sondern weil ein ergebenes und gegen sich rücksichtsloses Werkzeug – ein sogenannter »braver Mensch« – durch diesen Tod der Gesellschaft verloren gegangen ist. Vielleicht erwägt man noch, ob es im Interesse der Gesellschaft nützlicher gewesen sein würde, wenn er minder rücksichtslos gegen sich gearbeitet und sich länger erhalten hätte – ja man gesteht sich wohl einen Vorteil davon zu, schlägt aber jenen andern Vorteil, daß ein Opfer gebracht ist und die Gesinnung des Opfertiers sich wieder einmal augenscheinlich bestätigt hat, für höher und nachhaltiger an. Es ist also einmal die Werkzeug-Natur in den Tugenden, die eigentlich gelobt wird, wenn die Tugenden gelobt werden, und sodann der blinde in jeder Tugend waltende Trieb, welcher durch den Gesamt-Vorteil des Individuums sich nicht in Schranken halten läßt, kurz: die Unvernunft in der Tugend, vermöge deren das Einzelwesen sich zur Funktion des Ganzen umwandeln läßt. Das Lob der Tugenden ist das Lob von etwas Privat-Schädlichem – das Lob von Trieben, welche dem Menschen seine edelste Selbstsucht und die Kraft zur höchsten Obhut über sich selber nehmen. – Freilich: zur Erziehung und zur Einverleibung tugendhafter Gewohnheiten kehrt man eine Reihe von Wirkungen der Tugend heraus, welche Tugend und Privat-Vorteil als verschwistert erscheinen lassen – und es gibt in der Tat eine solche Geschwisterschaft! Der blind wütende Fleiß zum Beispiel, diese typische Tugend eines Werkzeugs, wird dargestellt als der Weg zu Reichtum und Ehre und als das heilsamste Gift gegen die Langeweile und die Leidenschaften: aber man verschweigt seine Gefahr, seine höchste Gefährlichkeit. Die Erziehung verfährt durchweg so: sie sucht den einzelnen durch eine Reihe von Reizen und Vorteilen zu einer Denk- und Handlungsweise zu bestimmen, welche, wenn sie Gewohnheit, Trieb und Leidenschaft geworden ist, wider seinen letzten Vorteil, aber »zum allgemeinen Besten« in ihm und über ihn herrscht. Wie oft sehe ich es, daß der blind wütende Fleiß zwar Reichtümer und Ehre schafft, aber zugleich den Organen die Feinheit nimmt, vermöge deren es einen Genuss an Reichtum und Ehren geben könnte, ebenso, daß jenes Hauptmittel gegen die Langeweile und die Leidenschaften zugleich die Sinne stumpf und den Geist widerspenstig gegen neue Reize macht. (Das fleißigste aller Zeitalter – unser Zeitalter – weiß aus seinem vielen Fleiß und Gelde nichts zu machen, als immer wieder mehr Geld und immer wieder mehr Fleiß: es gehört eben mehr Genie dazu, auszugeben, als zu erwerben! – Nun, wir werden unsre »Enkel« haben!) Gelingt die Erziehung, so ist jede Tugend des einzelnen eine öffentliche Nützlichkeit und ein privater Nachteil im Sinne des höchsten privaten Zieles, – wahrscheinlich irgendeine geistig-sinnliche Verkümmerung oder gar der frühzeitige Untergang: man erwäge der Reihe nach von diesem Gesichtspunkte aus die Tugend des Gehorsams, der Keuschheit, der Pietät, der Gerechtigkeit. Das Lob des Selbstlosen, Aufopfernden, Tugendhaften – also desjenigen, der nicht seine ganze Kraft und Vernunft auf seine Erhaltung, Entwicklung, Erhebung, Förderung, Macht-Erweiterung verwendet, sondern in Bezug auf sich bescheiden und gedankenlos, vielleicht sogar gleichgültig oder ironisch lebt – dieses Lob ist jedenfalls nicht aus dem Geiste der Selbstlosigkeit entsprungen! Der »Nächste« lobt die Selbstlosigkeit, weil er durch sie Vorteile hat! Dächte der Nächste selber »selbstlos«, so würde er jenen Abbruch an Kraft, jene Schädigung zu seinen Gunsten abweisen, der Entstehung solcher Neigungen entgegenarbeiten und vor allem seine Selbstlosigkeit eben dadurch bekunden, daß er dieselbe nicht gut nennte! – Hiermit ist der Grundwiderspruch jener Moral angedeutet, welche gerade jetzt sehr in Ehren steht: die Motive zu dieser Moral stehen im Gegensatz zu ihrem Prinzip! Das, womit sich diese Moral beweisen will, widerlegt sie aus ihrem Kriterium des Moralischen! Der Satz »du sollst dir selber entsagen und dich zum Opfer bringen« dürfte, um seiner eignen Moral nicht zuwiderzugehen, nur von einem Wesen dekretiert werden, welches damit selber seinem Vorteil entsagte und vielleicht in der verlangten Aufopferung der einzelnen seinen eigenen Untergang herbeiführte. Sobald aber der Nächste (oder die Gesellschaft) den Altruismus um des Nutzens willen anempfiehlt, wird der gerade entgegengesetzte Satz, »du sollst den Vorteil, auch auf Unkosten alles anderen, suchen«, zur Anwendung gebracht, also in einem Atem ein »Du sollst« und »Du sollst nicht« gepredigt!

 

22.

L'ordre du jour pour le roi. – Der Tag beginnt: beginnen wir für diesen Tag die Geschäfte und Feste unseres allergnädigsten Herrn zu ordnen, der jetzt noch zu ruhen geruht. Seine Majestät hat heute schlechtes Wetter: wir werden uns hüten, es schlecht zu nennen; man wird nicht vom Wetter reden – aber wir werden die Geschäfte heute etwas feierlicher und die Feste etwas festlicher nehmen, als sonst nötig wäre. Seine Majestät wird vielleicht sogar krank sein: wir werden zum Frühstück die letzte gute Neuigkeit vom Abend präsentieren, die Ankunft des Herrn von Montaigne, der so angenehm über seine Krankheit zu scherzen weiß – er leidet am Stein. Wir werden einige Personen empfangen (Personen! – was würde jener alte aufgeblasene Frosch, der unter ihnen sein wird, sagen, wenn er dies Wort hörte! »Ich bin keine Person«, würde er sagen, »sondern immer die Sache selber«) – und der Empfang wird länger dauern, als irgend jemandem angenehm ist: Grund genug, von jenem Dichter zu erzählen, der auf seine Türe schrieb: »wer hier eintritt, wird mir eine Ehre erweisen; wer es nicht tut – ein Vergnügen.« – Dies heißt fürwahr eine Unhöflichkeit auf höfliche Manier sagen! Und vielleicht hat dieser Dichter für seinen Teil ganz recht, unhöflich zu sein: man sagt, daß seine Verse besser seien als der Verse-Schmied. Nun, so mag er noch viele machen und sich selber möglichst der Welt entziehen: und das ist ja der Sinn seiner artigen Unart! Umgekehrt ist ein Fürst immer mehr wert als sein »Vers«, selbst wenn – doch was machen wir? Wir plaudern, und der ganze Hof meint, wir arbeiteten schon und zerbrächen uns die Köpfe: man sieht kein Licht früher als das in unserem Fenster brennen. – Horch! War das nicht die Glocke? Zum Teufel! Der Tag und der Tanz beginnt, und wir wissen seine Touren nicht! So müssen wir improvisieren – alle Welt improvisiert ihren Tag. Machen wir es heute einmal wie alle Welt! – Und damit verschwand mein wunderlicher Morgentraum, wahrscheinlich vor den harten Schlägen der Turmuhr, die eben mit all der Wichtigkeit, die ihr eigen ist, die fünfte Stunde verkündete. Es scheint mir, daß diesmal der Gott der Träume sich über meine Gewohnheiten lustig machen wollte – es ist meine Gewohnheit, den Tag so zu beginnen, daß ich ihn für mich zurechtlege und erträglich mache, und es mag sein, daß ich dies öfters zu förmlich und zu prinzenhaft getan habe.

23.

Die Anzeichen der Korruption. – Man beachte an jenen von Zeit zu Zeit notwendigen Zuständen der Gesellschaft, welche mit dem Wort »Korruption« bezeichnet werden, folgende Anzeichen. Sobald irgendwo die Korruption eintritt, nimmt ein bunter Aberglaube überhand, und der bisherige Gesamtglaube eines Volkes wird blaß und ohnmächtig dagegen: der Aberglaube ist nämlich die Freigeisterei zweiten Ranges – wer sich ihm ergibt, wählt gewisse ihm zusagende Formen und Formeln aus und erlaubt sich ein Recht der Wahl. Der Abergläubische ist, im Vergleich mit dem Religiösen, immer viel mehr »Person« als dieser, und eine abergläubische Gesellschaft wird eine solche sein, in der es schon viele Individuen und Lust am Individuellen gibt. Von diesem Standpunkte aus gesehen, erscheint der Aberglaube immer als ein Fortschritt gegen den Glauben und als Zeichen dafür, daß der Intellekt unabhängiger wird und sein Recht haben will. Über Korruption klagen dann die Verehrer der alten Religion und Religiosität – sie haben bisher auch den Sprachgebrauch bestimmt und dem Aberglauben eine üble Nachrede selbst bei den freiesten Geistern gemacht. Lernen wir, daß er ein Symptom der Aufklärung ist. – Zweitens beschuldigt man eine Gesellschaft, in der die Korruption Platz greift, der Erschlaffung: und ersichtlich nimmt in ihr die Schätzung des Krieges und die Lust am Kriege ab, und die Bequemlichkeiten des Lebens werden jetzt ebenso heiß erstrebt wie ehedem die kriegerischen und gymnastischen Ehren. Aber man pflegt zu übersehen, daß jene alte Volks-Energie und Volks-Leidenschaft, welche durch den Krieg und die Kampfspiele eine prachtvolle Sichtbarkeit bekam, jetzt sich in unzählige Privat-Leidenschaften umgesetzt hat und nur weniger sichtbar geworden ist; ja wahrscheinlich ist in Zuständen der Korruption die Macht und Gewalt der jetzt verbrauchten Energie eines Volkes größer als je, und das Individuum gibt so verschwenderisch davon aus, wie es ehedem nicht konnte – es war damals noch nicht reich genug dazu! Und so sind es gerade die Zeiten der »Erschlaffung«, wo die Tragödie durch die Häuser und Gassen läuft, wo die große Liebe und der große Haß geboren werden und die Flamme der Erkenntnis lichterloh zum Himmel aufschlägt. – Drittens pflegt man, gleichsam zur Entschädigung für den Tadel des Aberglaubens und der Erschlaffung, solchen Zeiten der Korruption nachzusagen, daß sie milder seien und daß jetzt die Grausamkeit, gegen die ältere gläubigere und stärkere Zeit gerechnet, sehr in Abnahme komme. Aber auch dem Lobe kann ich nicht beipflichten, ebensowenig als jenem Tadel: nur so viel gebe ich zu, daß jetzt die Grausamkeit sich verfeinert, und daß ihre älteren Formen von nun an wider den Geschmack gehen; aber die Verwundung und Folterung durch Wort und Blick erreicht in Zeiten der Korruption ihre höchste Ausbildung – jetzt erst wird die Bosheit geschaffen und die Lust an der Bosheit. Die Menschen der Korruption sind witzig und verleumderisch; sie wissen, daß es noch andere Arten des Mordes gibt als durch Dolch und Überfall – sie wissen auch, daß alles Gutgesagte geglaubt wird. – Viertens: wenn »die Sitten verfallen«, so tauchen zuerst jene Wesen auf, welche man Tyrannen nennt: es sind die Vorläufer und gleichsam die frühreifen Erstlinge der Individuen. Noch eine kleine Weile: und diese Frucht der Früchte hängt reif und gelb am Baume eines Volkes – und nur um dieser Früchte willen gab es diesen Baum! Ist der Verfall auf seine Höhe gekommen und der Kampf aller Art Tyrannen ebenfalls, so kommt dann immer der Cäsar, der Schluß-Tyrann, der dem ermüdeten Ringen um Alleinherrschaft ein Ende macht, indem er die Müdigkeit für sich arbeiten läßt. Zu seiner Zeit ist gewöhnlich das Individuum am reifsten und folglich die »Kultur« am höchsten und fruchtbarsten – aber nicht um seinetwillen und nicht durch ihn: obwohl die höchsten Kultur-Menschen ihrem Cäsar damit zu schmeicheln lieben, daß sie sich als sein Werk ausgeben. Die Wahrheit aber ist, daß sie Ruhe von außen nötig haben, weil sie ihre Unruhe und Arbeit in sich haben. In diesen Zeiten ist die Bestechlichkeit und der Verrat am größten: denn die Liebe zu dem eben erst entdeckten ego ist jetzt viel mächtiger als die Liebe zum alten, verbrauchten, totgeredeten »Vaterlande«; und das Bedürfnis, sich irgendwie gegen die furchtbaren Schwankungen des Glücks sicherzustellen, öffnet auch edlere Hände, sobald ein Mächtiger und Reicher sich bereit zeigt, Gold in sie zu schütten. Es gibt jetzt so wenig sichere Zukunft: da lebt man für heute: ein Zustand der Seele, bei dem alle Verführer ein leichtes Spiel spielen – man läßt sich nämlich auch nur »für heute« verführen und bestechen und behält sich die Zukunft und die Tugend vor! Die Individuen, diese wahren An- und Für-sichs, sorgen, wie bekannt, mehr für den Augenblick als ihre Gegensätze, die Herden-Menschen, weil sie sich selber für ebenso unberechenbar halten wie die Zukunft; ebenso knüpfen sie sich gerne an Gewaltmenschen an, weil sie sich Handlungen und Auskünfte zutrauen, die bei der Menge weder auf Verständnis noch auf Gnade rechnen können – aber der Tyrann oder Cäsar versteht das Recht des Individuums auch in seiner Ausschreitung und hat ein Interesse daran, einer kühneren Privatmoral das Wort zu reden und selbst die Hand zu bieten. Denn er denkt von sich und will über sich gedacht haben, was Napoleon einmal in seiner klassischen Art und Weise ausgesprochen hat: »Ich habe das Recht, auf alles, worüber man gegen mich Klage führt, durch ein ewiges ›Das-bin-ich!‹ zu antworten. Ich bin abseits von aller Welt, ich nehme von niemandem Bedingungen an. Ich will, daß man sich auch meinen Phantasien unterwerfe und es ganz einfach finde, wenn ich mich diesen oder jenen Zerstreuungen hingebe.« So sprach Napoleon einmal zu seiner Gemahlin, als diese Gründe hatte, die eheliche Treue ihres Gatten in Frage zu ziehen. – Die Zeiten der Korruption sind die, in welchen die Äpfel vom Baume fallen: ich meine die Individuen, die Samenträger der Zukunft, die Urheber der geistigen Kolonisation und Neubildung von Staats- und Gesellschaftsverbänden. Korruption ist nur ein Schimpfwort für die Herbstzeiten eines Volkes.

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