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Читать книгу: «Der Waldläufer», страница 3

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3 . Wie Pepe der Schläfer seine Pflichtverletzung wiedergutmacht

Als Pepe der Schläfer dem Capitan Despierto sein Geheimnis abgelockt hatte – ein Geheimnis, von dem er seinen Vorteil gezogen hatte —, wußte er nicht, daß Don Lucas ihm noch ein anderes verbarg. Der Soldat jedoch, der infolge einiger Gewissensbisse eifrig wünschte, seine Pflicht vielleicht zum erstenmal in seinem Leben zu erfüllen, bat an dem Tag nach der Nacht, in der er auf Posten gestanden hatte, seinen Capitan um die Gunst, seinen Wachtdienst an demselben Abend wiederaufnehmen zu dürfen. Man errät, daß er ohne Mühe die Erlaubnis erhielt; aber während Don Lucas ihn seiner Gewohnheit nach eingeschlafen glaubte, wachte Pepe wie in der vorhergehenden Nacht.

Wir wollen ihn unterdessen auf seinem Posten lassen, um zu erzählen, was sich an der Küste Elanchoves, nicht weit von der Bucht Ensenada, ereignete.

Die Nacht war ebenso neblig wie die vorhergehende, als gegen zehn Uhr abends ein rascher und segeltüchtiger Kutter in die geheimen Zugänge eines Felsenlabyrinths einbog. Die Haltung des Kutters, sein Takelwerk, seine Segelstellung bezeichneten ihn als ein Kriegsschiff oder wenigstens als ein bewaffnetes Schiff auf der Fahrt. Die Kühnheit, mit der er mitten durch die Dunkelheit steuerte, bewies ebenfalls, daß sein Lotse seit langer Zeit diese gefährliche Küste befahren haben mußte und daß der Kommandant des Schiffes geheime Verbindungen auf dem Festland hatte. Das Meer brach sich wütend links und rechts von dem engen Labyrinth, an dessen Felsen das Fahrzeug unter gerefften Segeln hinglitt, nur wenig von ihnen entfernt. Als diese enge Durchfahrt erst hinter ihm lag, öffnete sich eine weite Bucht vor dem Kutter, in der das viel ruhigere Meer ein ebenes und sandreiches Ufer bespülte.

Das Schiff drehte jetzt nach einer Wendung, die der wachhabende Offizier auf französisch befahl, mit einer Schnelligkeit bei, die eine zahlreiche Mannschaft voraussetzen ließ. Zwei kleine Fahrzeuge wurden nach und nach bewaffnet und ins Meer gelassen, und ihre Bemannung steuerte nach dem höchsten Punkt der Bucht, über der sich einige auf dem flachen Ufer verstreut liegende Häuser durch ihre weiße Farbe unterscheiden ließen.

Wir wollen es gleich hier sagen, um nicht noch länger ein Geheimnis daraus zu machen, daß das kleine Fahrzeug ein französisches war – halb Korsar, halb Schmuggler —, das in der doppelten Absicht kam, eine Anzahl Kaufmannsgüter an ihren Bestimmungsort zu bringen und Mundvorräte, an denen es zu fehlen begann, wieder einzunehmen.

Der Kapitän hatte es, geführt durch einen Fischer von Elanchove, den der Capitan Despierto gestellt hatte, für gut gehalten, in diesen Engpaß einzulaufen, um sich während des Augenblicks sicherzustellen, wo er, einer bestimmten Zahl seiner Matrosen beraubt, ein gefährliches Zusammentreffen auf offener See hätte haben können.

Der wachhabende Offizier schritt schweigend auf dem Verdeck auf und ab, lauschte auf das Anschlagen des Meeres längs der Seiten des Schiffes, prüfte sorgfältig den Wind, dessen Hauch die nach der entgegengesetzten Seite gerichteten Segel anschwellte, und neigte sich von Zeit zu Zeit gegen das Licht des Kompaßhäuschens.

Eine Stunde verging auf diese Weise, als plötzlich ein lebhaftes Gewehrfeuer von allen Punkten der Küste prasselte; andere Schüsse antworteten, und kurze Zeit nachher legten die beiden Boote am Kutter bei.

Pepe war es, der zum großen Mißfallen seines Capitans die Küstenwächter alarmiert hatte; zu spät jedoch, denn die Barken kamen mit Hammelfleisch und Lebensmitteln jeder Art beladen zurück. Der letzte Mann, der auf das Verdeck stieg, ehe man die Fahrzeuge wieder hinaufhißte, war ein Matrose von gigantischer Gestalt. Er trug ein kleines Kind regungslos auf seinen Armen, das man für tot gehalten haben würde, wenn nicht einige leichte Schauer des Körpers einen Rest von Leben in ihm offenbart hätten.

»Was, zum Henker, bringst du da, Bois-Rosé?« fragte ihn der Offizier.

»Mit Eurer Erlaubnis, Herr Lieutenant, es ist ein kleines Kind, das ich halbtot vor Hunger und Kälte in einem mit dem Wind treibenden Boot gefunden habe. Eine tote, in ihrem Blut gebadete Frau hielt es noch in ihren Armen, und ich hatte die größte Mühe der Welt, es aus dem Fahrzeug zu nehmen, in dem es sich befand und das diese Hunde von Spaniern, da sie es für eines der unsrigen hielten, über die Maßen aufs Korn nahmen. Besonders war da ein großer Schlingel von Soldat (der Leser mag wissen, daß es Pepe der Schläfer war), der während des Überladens mit ebenso großer Hartnäckigkeit als Ungeschicklichkeit auf mich schoß. Übrigens hätte ich ihn für immer zum Schweigen bringen können, wäre ich nicht durch die Sorgfalt, die ich auf dieses schwache Geschöpf verwenden mußte, daran gehindert worden … Aber wenn ich ihn jemals wieder treffe … Genug davon!«

»Und was denkst du mit dem Kind anzufangen?« fragte der von Mitleid bewegte Offizier.

»Es bei mir behalten – wahrhaftig! —, bis zu dem Augenblick, wo mir der Friede erlauben wird, hierher zurückzukehren und die nötigen Erkundigungen darüber einzuziehen.«

Unglücklicherweise waren die einzigen Auskünfte, die man von diesem Kind, das drei Jahre alt erschien, erhalten konnte, die, daß es Fabian heiße und daß die ermordete Frau seine Mutter wäre. —

Zwei Jahre verflossen, ohne daß das französische Schiff in Spanien landen konnte. Die zärtliche Liebe des Matrosen, der den jungen Fabian von Mediana aufgenommen hatte, verleugnete sich keinen Augenblick und wuchs immer mehr. Dieser Mann von kolossaler Gestalt und herkulischer Kraft war ein Kanadier und hieß, wie wir schon gesehen haben, Bois-Rosé. Es war ein sonderbares und rührendes Schauspiel, welche fast mütterliche Sorgfalt der Riese auf dieses kleine Kind verwendete, welche List er anwendete, um sich täglich eine Zulage zu seiner Ration für seinen angenommenen Sohn zu verschaffen. Der Matrose war so weit gekommen, daß er nach seiner Art auf dieses hinfällige Leben tausend Träume des Glücks baute, die seine Prisenanteile ihm eines Tages verwirklichen sollten.

Unglücklicherweise übersah der ehrliche Matrose bei seinen Rechnungen die gefährlichen Zufälle des Seelebens.

Eines Morgens wurde der französische Kreuzer gezwungen, vor einer englischen Brigg, die doppelt so stark war als er, das Weite zu suchen. Ein so guter Segler er nun auch war, so konnte er doch die Verfolger nicht täuschen und dem Kampf nicht ausweichen.

Die beiden Schiffe beschossen sich mit Erbitterung seit mehreren Stunden, als der Matrose, ganz schwarz von Pulver, in den untersten Schiffsraum hinabstieg, wohin er seinen Sohn in Sicherheit gebracht hatte. Nachdem er ihn zärtlich umarmt hatte, trug er ihn in seinen Armen auf das Verdeck. Hier, während des heftigsten Kampfes; inmitten des Lärms, des Blutes, das überall floß, des Geschreies der Kämpfenden; mitten unter stürzenden Masten wollte er für jeden Fall seinem Gedächtnis die Umstände einer Trennung eingraben, die er fürchtete.

In einem solchen Augenblick, der selbst einem Kind eine Erinnerung zurücklassen muß, die niemals erlischt, sagte er zu ihm, indem er ihn mit seinem gewaltigen Leib deckte: »Knie nieder, mein Sohn!«

Das Kind kniete zitternd nieder.

»Du siehst, was vorgeht?« fuhr der Kanadier mit feierlicher Stimme fort.

»Ich fürchte mich«, murmelte Fabian, »vor dem Blut, das ich sehe, vor dem Lärm, den ich höre.« Und er barg sich in den Armen des Riesen.

»Gut«, begann der Matrose abermals. »Auf! Vergiß niemals, daß dich in diesem Augenblick ein Matrose – ein Mann, der dich liebte wie sein Leben – hat niederknien lassen, um dir zu sagen: ›Knie nieder, mein Kind, und bete für deine Mutter …‹«

Er beendete den Satz nicht; eine Kugel hatte ihn getroffen, und sein Blut spritzte über Fabian hin, der ein herzzerreißendes Geschrei ausstieß. Der Kanadier hatte nur noch Zeit, ihn mit einer verzweifelten Umarmung an sein Herz zu pressen und den Satz zu beenden, aber so leise, daß der Knabe nur mit Mühe die Worte vernahm, die er angefangen hatte: »… die ich sterbend bei dir gefunden habe.« Dann verlor er das Bewußtsein.

Als er wieder zu sich kam, war dies mitten in einem verpesteten Schiffsraum. Ein brennender Durst verzehrte ihn. Er rief den mit schwacher Stimme, der ihm jeden Morgen beim Erwachen zulächelte, aber niemand antwortete; Fabian war nicht mehr da. Der Matrose war ein Gefangener, und auf einem Ponton konnte er nun den Verlust seiner Freiheit und seines Adoptivsohnes, den ihm die Vorsehung gesandt hatte, beweinen. —

Was war aus Fabian geworden? Darüber soll uns die Geschichte des Waldläufers Aufschluß geben. Jedenfalls aber müssen wir noch, ehe wir vom Prolog zum Drama und von Europa nach Amerika übergehen, die Geschichte der Ereignisse in Elanchove vervollständigen.

Es war nur einige Tage nach dem Verschwinden der Gräfin, als Fischer am flachen Ufer ihren Körper fanden und das verlassene Boot, in dem er leblos lag.

Der alte Juan de Dios umwand die Fahnen des Schlosses mit schwarzem Flor und errichtete mit eigenen Händen ein hölzernes Kreuz an der Stelle, wo seine Gebieterin wiedergefunden worden war. Aber wie alles sich abnützt in der Welt, und zwar bald sich abnutzt, so hatte auch der Seewind den schwarzen Flor noch nicht gebleicht, die Flut hatte noch nicht das hölzerne Kreuz grün gefärbt, als man schon – trotz der durch das tragische Ereignis im Dorf entstandenen Bewegung – seit langer Zeit nicht mehr davon sprach.

4. Zwei ehrliche Leute

Im Jahre 1830 konnte die Provinz Sonora, eine der reichsten des mexikanischen Staatenbundes, mit gutem Recht für eine der am wenigsten erforschten Gegenden dieses Teiles von Amerika angesehen werden. Und doch hat die Natur sie verschwenderisch ausgestattet. Der vom Pflug kaum gestreifte Boden bedeckt sich dort mit zwei Ernten jährlich, und an vielen Stellen kann man unter freiem Himmel das verschwenderisch hingestreute Gold auf diesem fruchtbaren Boden sammeln, der von diesem Gesichtspunkt aus mit dem heutigentags so gerühmten Kalifornien wetteifert.

Freilich werden diese Vorzüge durch einige Nachteile fast aufgehoben. Ungeheure Steppen, die hier und da die bebauten Teile Sonoras durchschneiden, machen das Reisen darin schwierig und gefährlich. Kriegerische Indianerstämme sind dort noch im Besitz der ungeheuren Ebenen, wo, wie man sagt, das Gold sich ebenso reichlich findet als der Sand.

Wir könnten viele Fälle anführen, wo beträchtliche Reichtümer durch die Auffindung von irgendeinem Stück reinen Goldes begründet sind, wie auch andere, wo dem Vermögen die auf diesem fruchtbaren Boden gesammelten reichen Ernten zugrunde liegen.

Männer, deren ganze Wissenschaft nur auf eine praktische Kenntnis der Erzbildung hinausgeht, begeben sich von Zeit zu Zeit in die Steppen. Dort leben sie unter Entbehrungen, sind tausend Gefahren ausgesetzt und beuten in der Eile irgendeine bloßliegende Silbermine aus oder beschäftigen sich mit dem Waschen des goldführenden Sandes; dann werden sie umzingelt, gefangengenommen oder vertrieben von den Apachen, kehren endlich in die Städte zurück und erzählen tausend wunderbare Geschichten von halb gesehenen, aber unnahbaren Schätzen, von verschwenderisch ausgestatteten Minen oder von unerschöpflichen Goldlagern an der Oberfläche des Bodens.

Diese Gambusinos, wie man sie nennt, sind für die Minenindustrie gerade das, was die amerikanischen Hinterwäldler für den Ackerbau oder den Handel sind – sie unterhalten nämlich durch ihre Erzählungen, an denen die Übertreibung immer größeren Anteil hat als die Wirklichkeit, das Verlangen nach Eroberungen und den Durst nach Gold. Was die Indianer betrifft, so läßt sie nur ihr Haß gegen die weiße Farbe – nicht das Verlangen, Schätze zu behalten, deren Wert sie nicht kennen – die fortschreitenden Einfälle wütend zurückweisen.

Die durch die Erzählungen der Gambusinos oder auch oft durch den Anblick eines glücklichen und reichen in der Steppe gemachten Fundes angestachelte Leidenschaft entflammt sich auf den Ruf irgendeines tollkühnen Abenteurers, der zu einer Unternehmung auffordert. Andere Abenteurer – ruinierte Söhne von guter Familie, Männer, die sich mit der Justiz überworfen haben – schließen sich ihm an; es bildet sich eine Expedition. Aber sie scheitert, weil sie leichtsinnig unternommen oder unbesonnen geführt ist, und kaum kehren einige von denen, die sie bildeten, zurück, um die Unfälle zu erzählen, durch die die anderen zugrunde gingen. —

Zu dem Zeitpunkt, wo die Erzählung, die ich übertrage, wieder beginnt – im Jahre 1830, das heißt zweiundzwanzig Jahre nach den in der Vorrede erwähnten Ereignissen —, war von einer ähnlichen Expedition in Arizpe, der Hauptstadt der Provinz Sonora, die Rede. Der sie unternahm war ein Fremder, ein Spanier, der vor kaum zwei Monaten angekommen war und den man nur unter dem Namen Don Estévan de Arechiza kannte.

Dieser Mann schien früher in der Gegend gelebt zu haben, ohne daß sich jedoch jemand erinnerte, ihn gesehen zu haben. Er mußte von Europa mit einem schon im voraus gefaßten Plan angekommen sein; örtliche Kenntnisse von unbestreitbarer Richtigkeit, ganz bestimmte Urteile über Personen und Sachen bewiesen klar, daß Sonora ihm nicht fremd und sein Plan schon lange vorher überdacht war. Er verfügte ohne Zweifel auch über mächtige und geheimnisvolle Hilfsquellen, denn er hatte ein ungeheures Gefolge bei sich, hielt offene Tafel, spielte hoch, lieh Geld her, ohne jemals zu denken, es wiederzufordern, und niemand konnte sagen, an welcher verborgenen Quelle er schöpfte, um dieses Leben eines großen Herrn führen zu können.

Doch wie dem auch sein mochte – die großartige Lebensweise des Spaniers, sein Edelmut und seine Freigebigkeit hatten ihm bald in Arizpe einen raschen und mächtigen Einfluß verschafft. Er benützte ihn, um eine ferne Expedition nach einem Ort hin zu bilden, wohin sozusagen noch kein Weißer bis jetzt gedrungen war.

Da Don Estévan fast immer im Spiel verlor; da er ständig vergaß, wie wir schon gesagt haben, das Geld, das er ausgeliehen hatte, wieder einzufordern, und da man folglich nicht annehmen konnte, daß er vom Spiel oder vom Borgen lebte, so argwöhnte man, daß er nicht weit von Arizpe irgendein reiches Goldlager besäße und daß er noch reichere tief im Lande der Apachen wüßte.

Die von Zeit zu Zeit eintretenden Reisen von Señor Arechiza bestätigten diese erstere Annahme. Was die zweite anlangt, so sollte der Zufall nicht lange ausbleiben, um daraus eine Wahrheit zu machen. Wir werden weiter unten sagen, auf welche Weise.

Don Estévan hatte also weniger Mühe als jeder andere, dank dem Einfluß, den er ausübte, abenteuernde Gefährten zu finden. Schon begaben sich, sagte man, achtzig entschlossene Männer von verschiedenen Punkten Sonoras aus zum Presidio von Tubac an der indianischen Grenze, das Arechiza ihnen als Sammelplatz der Expedition bezeichnet hatte, und nach dem allgemeinen Gerücht war der Tag nahe, wo Don Estévan selbst von Arizpe abreisen sollte, um sich an ihre Spitze zu setzen. Dieses zuerst unbestimmte Gerücht wurde bald zur Gewißheit, als der Spanier bei einer der Mahlzeiten, die er gab, seinen Tischgenossen ankündigte, daß er sich innerhalb dreier Tage zum Presidio von Tubac auf den Weg machen würde. Während dieses Mahles wurde auch ein Bote in den Speisesaal geführt, und dieser übergab Don Estévan einen Brief, auf den er, wie er sagte, eine Antwort erwarte.

Der Spanier bat seine Gäste um Entschuldigung und brach das Siegel des Briefes.

Da alles im Verfahren des Fremden einen geheimnisvollen Charakter annahm, so schwiegen seine Gäste einen Augenblick, um seine Haltung und sein Mienenspiel zu prüfen. Aber die unempfindliche Gestalt Don Estévans, der sich allgemein beobachtet sah, verriet keinen seiner Gedanken; es ist wahr, er wußte vollkommen seine Empfindungen zu verbergen, und vielleicht hatte er an diesem Tag seine ganze Selbstbeherrschung nötig. »Es ist gut«, sagte er ruhig zum Boten. »Bringt dem, der Euch sendet, die Antwort, daß ich nach genau drei Tagen, von heute an gerechnet, am bestimmten Ort sein werde.«

Er verabschiedete ihn, indem er sich abermals bei seinen Gästen wegen der Unhöflichkeit entschuldigte, zu der er genötigt gewesen war. Dann nahm die unterbrochene Mahlzeit wieder ihren Verlauf, doch schien der Spanier nachdenklicher als gewöhnlich, und als seine Gäste sich entfernten, zweifelten sie nicht, daß er irgendeine Nachricht von großem Interesse für ihn empfangen hätte.

Wir wollen die Bewohner Arizpes ihren Vermutungen überlassen und Don Estévan zu jener geheimnisvollen Zusammenkunft begleiten, zu der er eben an einem Ort eingeladen war, der gerade auf dem Weg zum Presidio von Tubac lag.

Wenn man Arizpe verlassen hat, trifft man auf dem Marsch nach dem erwähnten Presidio nur von Zeit zu Zeit verfallene, zuweilen zusammenliegende Wohnungen; öfter noch liegen sie ganz vereinzelt. Diese Wohnungen sind etwa durch eine Entfernung voneinander getrennt, die ein Pferd zwischen Sonnenaufgang und Untergang zurücklegen kann. Daraus folgt, daß sie ebenso viele Haltepunkte für die Reisenden sind, die sich zur Grenze begeben. Aber die Reisenden sind nicht zahlreich, und die Bewohner jener Hütten bringen einen Teil ihres Lebens in tiefer Einsamkeit zu. Ein Maisfeld, das sie bebauen; einige Stück Rindvieh, die sie auf jenen duftreichen Triften mästen, die dem Fleisch eine ausgesuchte Schmackhaftigkeit verleihen; ein immer heiterer Himmel und besonders eine wunderbare Mäßigkeit lassen diese Steppenwirte wenn nicht im Wohlstand, doch fern von aller Sorge leben. Welche Wünsche könnte auch wohl der Mensch haben, dessen Decke der blaue Himmel ist und der im Rauch einer Zigarre ein untrügliches Schutzmittel gegen die Angriffe des Hungers findet?

An einem Morgen des Jahres 1830 saß – oder lag vielmehr – halb an der Tür einer Hütte, etwa drei Tagereisen von Arizpe, ein Mann auf einer der wollenen, sorgfältig gearbeiteten Decken, die man Zarapas nennt. Einige hier und da in einem vollkommenen Zustand der Verlassenheit verstreut liegende Hütten kündigten eines jener Dörfer an, die nur während der Regenzeit und während eines Teils der trockenen Monate von einer nomadischen Bevölkerung bewohnt sind. Sobald die Zisternen, die von den Wassern des Himmels gespeist werden, anfangen auszutrocknen, bleiben diese Dörfer öde und sehen ihre Bewohner erst wieder, wenn die Wasserbehälter sich von neuem füllen. Zwei kaum gebahnte Wege, die mitten durch den dichten Wald führten, der die ganze Umgegend bedeckte, kreuzten sich nahe bei der Stelle, wo der Reisende sich gelagert hatte, der keineswegs erschrocken schien über die tiefe Einsamkeit, in der er sich befand.

Einige Raben, die krächzend von Baum zu Baum flatterten, und der Schrei der Chachalacas,dunkelfarbige Elsternart, die von ihrem Geschrei den Namen erhalten hat die den heraufziehenden Tag begrüßten, unterbrachen allein das tiefe Schweigen des Waldes. Sobald die Sonne erst einige Wärme ausstrahlte, begann der dicke Nebel, der sich unter diesem Himmelsstrich des Nachts wie ein Schleier ausbreitet, sich zu zerstreuen und ließ nur große, an den Gipfeln der Eisenholzbäume und der Mesquiten hängende Flocken zurück. Die Reste eines großen Feuers, das ohne Zweifel angezündet worden war, um die nächtliche Kälte abzuhalten, diente jetzt dazu, um die Mahlzeit des einzigen Bewohners dieses Dorfes zu bereiten.

Kleine Fladen von Mehl, Käse und einige Stücke in der Sonne getrockneten Fleisches drehten sich eingeschrumpft über den Kohlen, ohne daß der Mann, dem dieses ärmliche Mahl bestimmt war, sich über die allzu raschen Fortschritte des Bratens sehr zu beunruhigen schien.

Nicht weit davon weidete ein Pferd mit einer Genügsamkeit, die nur mit der seines Herrn verglichen werden konnte, das seltene und welke Gras, das am Saum des Waldes wuchs und das der Morgenwind schauern machte. Wider alle Gewohnheit war das Pferd durch keine Fessel festgebunden.

Der Anzug des Reiters bestand in einer Weste ohne Knöpfe, die man wie ein Hemd über den Kopf streift, und in einem weiten Beinkleid; alles von gegerbtem, ziegelfarbigem Leder. Das Beinkleid, das vom Knie bis zu den Fersen offenstand, ließ die von gegerbtem und bemaltem Ziegenleder umgebenen Füße sehen. Diese unförmigen Stiefel waren mit scharlachfarbigem Knieriemen zugebunden, und in einem stak ein langes Messer in der Scheide, so daß, mochte man nun zu Pferd sitzen oder nicht, dessen Griff immer im Bereich der Hand war. Ein roter Gürtel aus chinesischem Flor, ein breiter Filzhut, der mit einer Schnur oder »Toquilla« von venezianischen Perlen umgeben war, vervollständigten einen malerischen Anzug, dessen Farben zu denen der Zarapa, auf der der Mann lag, recht wohl paßten.

Der Anzug zeigte einen der Männer, die gewohnt sind, mitten durch die dornigen Gebüsche der amerikanischen Savannen zu galoppieren, und die auf ihren Expeditionen – mögen diese nun den Zweck einer Treibjagd oder irgendeine andere Ursache haben – gleichgültig unter einem Dach oder unter freiem Himmel schlafen, in der Ebene oder im Wald. Im ganzen straften seine Adlernase, seine dicken Augenbrauen, seine schwarzen Augen, die nicht selten in unheilbringendem Feuer glänzten, den zuweilen lächelnden Ausdruck seines Mundes zu sehr Lügen, um nicht beim ersten Anblick einen lebhaften, mit Schrecken verbundenen Widerwillen einzuflößen.

Ungeachtet der anscheinend großen Kraft seiner hohen Gestalt und des schrecklichen Ausdrucks seiner Züge ließen doch seine beinahe zart gebauten Hände und Füße und sein etwas verschleierter Blick das immer unvollständige Wesen des amerikanischen Kreolen erkennen.

Es ist eine bemerkenswerte Tatsache, daß Gott nur dem Europäer, dem ewigen Eroberer der drei anderen Welten, das gegeben hat, was er dem Amerikaner des Südens, dem Afrikaner und dem Asiaten verweigerte, nämlich den Forschergeist, der sichtet und scheidet; die Einsicht, die begreift; das Genie, das schafft; die Kraft, die ausführt – mit einem Wort eine vollständige Organisation, eine Seele von Stahl in einem Körper von Eisen.

Eine kurze Büchse, die neben dem Reiter lag, vollendete nebst dem langen Messer in seinem Stiefel seine Ausrüstung und machte ein Zusammentreffen mit ihm in diesen Einöden zu einem gefährlichen Ereignis.

Es war bei seiner nachlässigen Stellung offenbar, daß er jemand erwartete; aber da in der Steppe alles größere Verhältnisse annimmt, so schien auch der Bandit (denn alles an ihm schien ihn als einen Menschen außerhalb des Gesetzes zu bezeichnen), nachdem er vielleicht drei Tagesmärsche gemacht hatte, um an den Ort zu gelangen, wo er sich befand, die fieberhafte Spannung nicht zu empfinden, die so oft inmitten einer volkreichen Stadt den zuerst am Bestimmungsort Angekommenen ergreift. In der Steppe kann derjenige, der hundert Meilen zurückgelegt hat, hundert Stunden warten, während dagegen in den großen Städten, wo das Leben wie ein Sturzbach zwischen zwei eingeengten Ufern dahinströmt, eine Stunde Wegs nur eine Viertelstunde ruhigen Wartens gestattet, denn der Weg wird hier eine Reise, die Viertelstunde ein Jahrhundert.

Auch begnügte sich der Unbekannte, als das Geräusch der Schritte eines Pferdes mitten durch die hallenden Tiefen des Waldes an sein Ohr schlug, ruhig seine Stellung zu ändern, während sein Pferd freudig wieherte und den Kopf hob. Er lauschte. Die Schritte wurden langsamer, als ob der Reiter zweifelte: endlich an dem Punkt, wo die beiden Wege sich kreuzten, ein neuer Ankömmling. Es war ein Mann von hohem Wuchs, mit dickem, schwarzem Bart, in Leder gekleidet wie der erste; er saß auf einem Pferd, das ebenso dauerhaft als schnellfüßig schien. Diese beiden Männer machten, als sie einander erblickten, dieselbe durch ihre gleich verdächtige Miene gerechtfertigte Bemerkung.

»Caramba!« murmelte der neue Ankömmling. »Wenn mir nicht im voraus gesagt worden wäre, daß dies der Reiter ist, an den ich gesandt bin, so würde ich glauben, ein schlechtes Zusammentreffen gefunden zu haben!«

Der Mann auf der Erde sagte leise zu sich: »Wenn diese verdammte Sieben in Bastos mir noch einige Piaster in der Tasche gelassen hätte, so würde ich sie, bei Gott, in großer Gefahr glauben!«

Indessen schien der Reiter nicht mehr ungewiß zu sein; er spornte sein Pferd an, das sich bei den Feuerbränden des Herdes aufbäumte, nahm höflich den Hut in die Hand und sagte: »Ohne Zweifel habe ich die Ehre, mit Don Pedro Cuchillo zu sprechen?«

»Mit ihm selbst, mein Herr!« sagte der Mann, der mit Cuchillo angeredet war, und erhob sich mit nicht geringerer Höflichkeit.

»Ich bin der Abgesandte von Don Arechiza, dem ich nur um einige Stunden voraus bin«, sagte der zuletzt Angekommene. »Mein Name ist Manuel Baraja, Euch zu dienen.«

»Gut; Eure Herrlichkeit steige gefälligst ab«, sagte Cuchillo.

Der neue Ankömmling ließ sich diese Einladung nicht zweimal sagen; darauf schnallte er von seinen Fersen ungeheuer große Sporen, sattelte hurtig sein Pferd ab, wand ihm einen langen Riemen um den Hals und ließ es mit einem kräftigen Schlag seiner flachen Hand auf die Hüfte ohne Umstände laufen, um die magere Kost seines Gefährten zu teilen.

In diesem Augenblick begann das Fleisch, das über den Kohlen röstete, einen Geruch zu verbreiten, der mit dem einer verlöschenden Lampe verglichen werden konnte. Baraja warf einen lüsternen Blick darauf. »Es scheint mir, Señor Cuchillo«, sagte er, »daß Ihr Euch nichts versagt. Caramba! Tortillas aus Käse und trockenem Fleisch! Das ist ein fürstliches Mahl!«

»O ja«, erwiderte Cuchillo mit einer gewissen Geziertheit, »ich pflege mich ziemlich gut. Übrigens«, setzte er hinzu, »freut es mich, daß dieses Gericht nach Eurem Geschmack ist, denn es steht Euch ganz zu Diensten.«

»Ihr seid allzu gütig, und ich nehme ohne weitere Umstände an; die Morgenluft hat mir Appetit gemacht. – Darf ich Euch alles Gute sagen, Señor Cuchillo, was ich von Euch beim ersten Anblick gedacht habe?« sagte Baraja, indem er mit der Spitze seines langen Messers eines der trockenen Fleischstücke mitten aus den Kohlen herausholte.

»Ihr würdet meine Bescheidenheit erschrecken!« erwiderte Cuchillo. »Ich möchte Euch lieber sagen, wie sehr mich der erste Blick zu Euren Gunsten eingenommen hat.«

Die beiden neuen Freunde wechselten eine freundliche Verbeugung miteinander und machten sich wieder an ihre Mahlzeit.

Cuchillo nahm das Wort: »Ist es gefällig, Señor Baraja, ein wenig über unsere Geschäfte zu reden!«

»Sehr gern!«

»Don Estévan Arechiza hat doch die Nachricht empfangen, die ich ihm habe zukommen lassen?«

»Er hat sie empfangen«, erwiderte Baraja. »Aber was sagt diese Nachricht? Nur Ihr und er wißt es.«

»Ich glaube es wohl«, murmelte Cuchillo.

»Herr Arechiza«, fuhr der Abgesandte fort, »wollte nach Tubac aufbrechen, als er Euren Brief erhielt. Ich sollte ihn begleiten, aber er ließ mich mit den Worten vorausreiten: ›In dem kleinen Dorf Huerfano werdet Ihr einen Mann namens Cuchillo finden; Ihr werdet ihm sagen, daß das Geschäft, das er mir vorschlägt, eine ernste Besprechung verdient; und da der Ort, an dem er mich erwartet, auf dem Weg nach Tubac liegt, so werde ich ihn bei meiner Durchreise sehen.‹ Das ereignete sich«, fuhr der Bote fort, »am Tag vor der Abreise Don Estévans; ich bin schneller geritten als er, um seine Befehle auszuführen, und bin, wie ich Euch schon gesagt habe, ihm nur einige Stunden voraus.«

»Gut!« antwortete Cuchillo. »Wohlan denn, Señor Baraja; wenn – wie ich nicht daran zweifle – mein Geschäft abgeschlossen wird, so werde ich ebenso wie Ihr einer der Teilnehmer dieser Unternehmung sein; das Gerücht davon, das mir zu Ohren kam, ist eben die Ursache des Vorschlags gewesen, den ich demjenigen gemacht habe, der deren Führer ist. Aber Ihr müßt«, fuhr der Bandit fort, »Euch ohne Zweifel wundern über den sonderbaren Ort, den ich dazu gewählt habe, um Don Arechiza zu erwarten.«

»Keineswegs«, antwortete Baraja; »ich habe mir gedacht, daß Ihr Gründe hättet, die Einsamkeit zu lieben. Wer sehnt sich nicht zuweilen nach ihr?«

Das verbindliche Lächeln in den Mienen Cuchillos bewies, daß sein Freund richtig geraten hatte. »Ganz recht … Das schlechte Betragen eines Freundes gegen mich und der lästige Haß des Alkalden von Arizpe haben mich in diese unruhige Zurückgezogenheit fliehen lassen. Das ist der Grund, warum ich mein Hauptquartier mitten in diesem verlassenen Dorf, wo niemand an mich denkt, aufgeschlagen habe.«

»Ich habe eine zu gute Meinung von Eurer Herrlichkeit«, sagte Baraja, indem er ein Stück gebratenen Fleisches verschlang, »um nicht überzeugt zu sein, daß das Unrecht ganz und gar auf Seiten des Alkalden und besonders auf seiten Eures Freundes ist.«

»Ich danke Euch für Eure gute Meinung«, antwortete Cuchillo, indem er seinerseits mit vollkommenem Gleichmut einen auf der einen Seite noch rohen, auf der anderen verkohlten Fladen zu sich nahm; »Ihr werdet darüber urteilen.«

»Ich höre«, sagte Baraja, indem er sich in eine horizontale Stellung brachte; »nach einer guten Mahlzeit liebe ich nichts so sehr als eine gute Geschichte.« Und nun schien der Gefährte Cuchillos ganz glückselig, das Gesicht gegen den Himmel gekehrt, sich darin zu gefallen, den blendenden Azur zu bewundern.

»Die Geschichte ist weder lang noch interessant, und was mir begegnet ist, kann jedermann begegnen. Ich hatte mit meinem Freund ein Spiel angefangen. Mein Freund behauptete, ich hätte ihn betrogen. Darüber gerieten wir in Wortwechsel.« Der Erzähler machte eine Pause, um einen Wasserschlauch an seinen Mund zu setzen; darauf fuhr er fort: »Mein Freund war so unzart, davon zu sterben!«

»Was? Von Eurem Wortwechsel?«

»Nein, von einem Messerstoß, der darauf folgte«, erwiderte Cuchillo mit vollem Mund.

»Ich wußte wohl, daß das Unrecht auf seiten Eures Freundes war.«

»Der Alkalde war nicht der Meinung; er quälte und hetzte mich auf lächerliche Weise; und doch hätte ich ihm die Bitterkeit in unserem Verkehr miteinander verziehen, wenn ich nicht selbst ärgerlich gewesen wäre über das schlechte Betragen eines Freundes, den ich bis jetzt geachtet hatte.«

»Man hat sich immer über Freunde zu beklagen«, sagte Baraja poesievoll, indem er den Rauch seiner Zigarre aus Maisstroh gegen das Gewölbe des Himmels blies.

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12+
Дата выхода на Литрес:
30 августа 2016
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