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Die Colonie: Brasilianisches Lebensbild. Zweiter Band.

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»Wir bezeugen andurch auf Verlangen, daß Frau Margarethe Pilger, vormals Protestantin und als solche verheirathet nach dem Ritus der evangelischen Gemeinde mit Herrn Gottlieb Pilger unter'm 15. November, sich kürzlich mit der Bitte an mich wandte, die protestantische Ketzerei abzuschwören und den katholischen Glauben anzunehmen, welchem Verlangen ich mit bestem Willen genügte und in Person den Widerruf des Irrglaubens entgegennahm, gemäß dem Gebrauche der Römischen Kirche.

»Besagte Frau Margarethe Pilger bat mich hierauf um Erlaubniß, sich mit Herrn Franklin Brasileiro Jansen Lima, römischem Katholiken, zu welchem sie sich hingezogen fühlte, zu verheirathen, und auch diese Erlaubniß gab ich ihr durch Bescheid vom 27. Januar, da nach Einhaltung des üblichen Verfahrens kein canonisches Hinderniß zwischen Franklin und Margarethe sich gezeigt hatte und die Heirath Letzterer mit Pilger augenscheinlich ungültig ist, als gefeiert gegen die Form des im Kaiserreiche publicirten und immer beobachteten Tridentiner Concils.

»Palast der Conceicao, 5. Februar 1857.

»(Unterz.) † Manoel, Bischof, Graf Capellao-Môr.«3

»Nun,« sagte die Senhora, »sind Sie überzeugt? Der ehrwürdige Bischof selber, der sich gerade zufällig auf einer seiner Hacienden in dieser Provinz befand, hat die Ehe geschlossen. Dom Franklin ist ihm eng befreundet – glauben Sie also jetzt noch Etwas mit einer Klage des Herrn Directors Sarno ausrichten zu können?«

»Nein, gnädige Frau,« sagte Günther ruhig, »Sie haben vollkommen Recht. Es ist übrigens gut, daß ein solcher Thatbestand bekannt wird, denn in einem ähnlichen Falle wäre der geschädigte Theil ein Thor, noch auf Schutz und Gesetz in Brasilien zu warten, und weiß dann gleich, daß er sich sein Recht selber zu verschaffen hat.«

»Sie predigen Revolution!« rief die Senhora streng.

»Ich predige das, was ich selber ausführen würde,« sagte Günther kalt; »unter solchen Umständen möchte ich denn auch Ihre werthvolle Zeit nicht länger in Anspruch nehmen.«

»Aber Sie wollten mir noch Etwas über die Colonie sagen,« rief der Präsident, der unruhig auf seinem Stuhle hin und her gerückt war.

»Das wollte ich allerdings,« erwiederte Herr von Schwartzau, »aber nach dem eben Gehörten wird auch das Nichts fruchten.«

»Und was war es?«

»Ich wollte Sie bitten, Senhor, Ihren Entschluß, das Directorium der Colonie zu ändern, noch nicht auszuführen, bis Sie nicht wenigstens genauere Erkundigungen über die dortigen Verhältnisse eingezogen. Director Sarno…«

»Kommen Sie uns nicht mit dem Unterofficier!« sagte die Präsidentin ungeduldig – »mein Mann will Nichts von ihm hören.«

»Sarno war Officier,« entgegnete Günther, »und gehört meiner Überzeugung nach zur besten Classe dieser Herren. Daß er derb ist und gerade durch geht, sollte ihm eher zum Lobe gereichen.«

»Die Sache ist schon abgemacht,« sagte die Senhora.

»Aber so laß ihn doch ausreden, mein Kind,« bat der Präsident.

»Ich bin schon fertig, Senhor,« sagte Günther aufstehend – »die Sache scheint allerdings abgemacht, und alles Weitere wäre nur Wortverschwendung. Allein der Colonie zu Liebe möchte ich Sie bitten, kein Militär dorthin zu legen. Es thut nicht gut, und Sie selber haben die Verantwortung zu tragen, wenn Sie den Frieden der jetzt vollkommen ruhigen Verhältnisse dort nicht allein stören, nein, förmlich vernichten.«

»Wir werden die Verantwortung zu tragen haben, Senhor,« sagte die Präsidentin gemessen – »übrigens machen Sie sich keine Sorge weiter deshalb, denn das sind Dinge, welche eigentlich die Regierung am Besten zu beurtheilen versteht.«

Herr von Schwartzau verbeugte sich kalt, und das Gespräch über diesen Gegenstand vollkommen abbrechend, legte er dem Präsidenten nur einige Papiere vor, welche rein geschäftlicher Natur waren, und sich auf seine bereits vollendeten, wie die dort noch nöthigen Arbeiten bezogen. In einer halben Stunde war das Alles erledigt, und der Ingenieur empfahl sich dann sehr förmlich wieder dem Präsidenten und seiner Gattin. Er war fest entschlossen, sie nicht weiter zu belästigen.

An demselben Morgen ging aber der Regierungsdampfer wieder nach Santa Clara und von da nach Rio de Janeiro zurück, und Günther war Zeuge, daß vierzig Mann brasilianischer Truppen, ohne Officier, auf ihm eingeschifft wurden, um, wie das Gerücht ging, die Colonie Santa Clara gegen in deren Nähe herumstreifende Indianerhorden zu schützen.

4
Der neue Director

Die Colonie Santa Clara befand sich indessen in einer Art von Gährung, zu der nicht allein alte Unzufriedenheit, sondern auch neu eingetretene Elemente nicht wenig beigetragen hatten. Die Bittschrift an den Präsidenten, den Director Sarno abzusetzen, war in der That von hier ausgegangen, und zwar, so unglaublich das scheinen mag, durch erste Veranlassung jenes nichtswürdigen Burschen mit dem Tressenstreifen, mit dem sich kein anständiger Mensch in der Colonie abgeben mochte.

Größere Dinge werden aber in unserer wunderlichen Welt gar nicht etwa so selten durch noch schlechtere Hebel in Bewegung gesetzt, wenn man auch oft, nachdem sie geschehen, schwer im Stande ist, auf ihren Ursprung zurückzugehen. Die Sache war jedenfalls angeregt worden, die Gräfin hatte zufällig davon gehört, Herr von Pulteleben war Feuer und Flamme für die Idee, denn der Director hatte ihn ja nicht einmal angenommen, und da es galt eine große Zahl von Unterschriften zusammen zu bringen, so vereinigte sich in dem Schriftstücke – Dinge, die ebenfalls sogar in unserem civilisirtesten Leben manchmal möglich gemacht werden – Aristokratie und Proletariat gegen einen Mann und ein System, der und das beiden Theilen unbequem war, weil er eben weder der einen, noch der andern Seite Zugeständnisse machen wollte.

Der Bursche mit der Tresse übte überdies einen schlimmen Einfluß aus, denn wo er nur konnte, suchte er Unzufriedenheit zu erregen, und wenn man ihn selber auch bald als einen Lump kennen lernte, fielen doch seine Worte nur zu häufig auf fruchtbaren Boden. Die Menschen sind ja leider nur zu gern gewillt, Böses oder Nachtheiliges von ihren Mitmenschen anzuhören und zu glauben, mag die Quelle, aus welcher sie es schöpfen, noch so unrein sein. Außerdem trat er übrigens dem Director auch in offener Opposition entgegen, und wurde darin von einem neu eingewanderten Individuum, das von Santa Catharina mit einem kleinen Schooner gekommen war, unterstützt.

Dieser Mann hieß Buttlich, und begann damit, ein Grundstück in der Stadt mit einem kleinen Hause zu kaufen, wo er mit eingeführten Waaren einen Laden aufsetzte, und in der unteren Eckstube eine Wirthschaft eröffnete. Er hatte dazu gleich die specielle Erlaubniß des Präsidenten mitgebracht, und schien von diesem auch in mancher andern Art begünstigt zu werden.

Bux war unter der Zeit bei dem Director eingekommen, ein kleines Haus, das jetzt nicht mehr benutzt wurde, zur Verfügung gestellt zu bekommen, um darin Vorstellungen in der Bauchredekunst zu geben, aber augenblicklich abschlägig beschieden worden. Der Director ließ ihm sagen, sie brauchten Ackerbauer in der Colonie und fleißige Handwerker, aber kein Meßgesindel aus der alten Welt.

Damit begnügte sich indessen Bux natürlich nicht, und wenn der neue Wirth auch im Anfange Nichts mit dem liederlichen Gesellen zu thun haben mochte, fand er doch kaum, daß sich dieser als Mittel gegen den Director gebrauchen ließ, als er ihm seine Hülfe zusagte, und ihm auf seinem eigenen Grundstück eine Ecke zuwies, in der er sich eine Art von Bude aus Pfählen und Reisig, oder wie er sonst wollte, herrichten konnte; ja, er unterstützte ihn sogar dabei mit Geld.

Bux ging nun auch scharf an die Arbeit, und nach einigen Wochen schon überraschte die Bewohner von Santa Clara die allerdings nur geschriebene Anzeige an verschiedenen Ecken der Stadt und in Bohlos' wie Buttlich's Wirthsstuben, daß am nächsten Sonntag Abend die erste große Vorstellung des berühmten Ventriloquisten Bux aus Paris mit außerordentlichen Productionen der Wunderkinder Guido und Isabella stattfinden solle.

Der Director schickte zu Buttlich und ließ die Vorstellung verbieten. Buttlich sandte aber die Abschrift eines Dokumentes zurück, worin ihm der Präsident erlaubte, auf seinem Grundstücke, vollkommen unabhängig von irgend einer Behörde, zu treiben was ihm beliebe, vorausgesetzt nur, daß es keine feuergefährlichen, oder sonst den Gesetzen des Staates zuwiderlaufende Dinge seien. Damit war die Sache an dem Tage – an einem Samstage – abgemacht. Am Sonntag Abend war die Vorstellung, und man kann sich etwa denken wie erstaunt – weniger die Colonisten, denn diese hatten Derartiges ja schon in Deutschland gesehen – aber besonders die Kinder derselben und der junge Nachwuchs waren. Vor Staunen beinahe sprachlos standen sie, als Sonntag gegen Abend die Vorbereitungen begannen, und Bux plötzlich in fleischfarbenen, etwas schmutzigen Tricots, nur allein mit einer flittergestickten, himmelblauen Schwimmhose und ein Paar eben solchen Schuhen an, auf dem etwas erhöhten Entrée seiner rauh genug hergestellten Bude erschien.

Vorher schon hatte seine Frau, das bleiche, abgehärmte Gesicht von einer verdrückten Rosenguirlande entstellt, die müden Glieder in ein fleckiges, oft und oft ausgebessertes Seidenkleid gesteckt, an einem kleinen Tische vor dem Eingange ihren Sitz genommen, um die Billete für die Zuschauer auszugeben, und Isabella, ihre Tochter, in einem sehr kurzen weißen Kleide, ebenfalls mit fleischfarbenen Tricots, eine Menge Blumen im Haar und die Wangen unnatürlich roth geschminkt, trat zu ihr und lehnte ihren Kopf an der Mutter Schulter.

 

»Du, Wilhelm – was ist denn das?« fragte ein junger Bursche von vielleicht zwanzig Jahren, der hier in Brasilien geboren worden, seinen Kameraden, indem er mit offenem Munde auf die Gruppe zeigte – »wo kommen die Leut' her und was wollen die hier? Sind das vielleicht deutsche Indianer?«

»Gott weiß es!« sagte der Angeredete, der kein Auge von Bux verwandte – »sieh' nur, der Kerl geht ganz nackigt – oder hat er sich die Beine nur so angestrichen?«

»Und wie sich die Frau herausgeputzt hat,« flüsterten ein paar junge Mädchen mit einander – »und sieh nur, was das Kleid für Flecken hat, und da am linken Ärmelbesatz sitzt ein blauer Streifen, der eingeflickt ist.«

»Und das Kind haben sie roth angestrichen,« antwortete die Freundin – »was mag denn nur los sein, daß sie solchen Unsinn treiben!«

»Immer herein, meine Hörrschaften!« rief da der Ventriloquist mit seiner scharfen Stimme über die sich mehr und mehr sammelnden Zuschauer hin, von denen sich aber noch Keiner getraut hatte, den Platz selber zu betreten – »immer herein, immer herein! Hür ist der Platz, wo Sie Staunenswerthes sehen und erleben werden, hür ist die Gelegenheit, die Wunder des menschlichen Geistes und Körpers zu erkennen! Hür ist der Ort, wo der berühmte Bux Ihnen zeigen wird, was Sie bis jetzt noch nicht gewußt haben, und der junge Athlete Guido seine Kraft und Gelenkigkeit entwickeln soll, während Mademoiselle Isabella in Grazie und jugendlicher Unschuld einige Tänze aus der alten griechischen Heidenzeit aufzuführen die Ehre haben wird! Immer herein, meine Hörrschaften, immer herein! Keiner ist genöthigt da draußen stehen zu bleiben, und es kostet gar Nichts – nur fünfhundert Reis die Person, Kinder unter zwölf Jahren die Hälfte, Säuglinge frei; immer herein, meine Hörrschaften, immer herein – jetzt gerade wird der Anfang beginnen!«

»Herr Gott, hat der Kerl ein Maulwerk am Kopfe!« sagte einer der Außenstehenden – »wie ein Mühlwerk geht's und klappert auch gerade so.«

Bux stolzirte indessen auf dem schmalen Raume, welcher ihm zum Entrée diente, auf und ab, und zwar mit einem großen rothbaumwollenen Taschentuch in der Hand, das ihm Guido aus der Thür herausreichen mußte. Er hatte den Schnupfen, in seinem gegenwärtigen Costüm aber leider keine Tasche, und der rothe geblümte Lappen paßte eigentlich nicht recht zu den himmelblauen gestickten Schwimmhosen und dem Goldreif um den Kopf.

»Immer herein, meine Hörrschaften!« schrie da plötzlich eine andere Stimme, die unserm Freunde Jeremias gehörte. Dieser war nämlich durch den Lärm ebenfalls angelockt worden und hatte der Versuchung nicht widerstehen können, dem aufgeputzten Burschen, den er haßte, einen Streich zu spielen – »immer nur herein – hür werden Sie sehen, wie man Sie auf geschickte Weise um Ihr Geld bringt – hür werden Sie schauen, wie sich Jammer und Elend mit Blumen herausstaffirt und ein paar aufgeputzte Kindergerippe auf einem Beine tanzen – hür werden Sie sehen…«

»Du hast einen silbernen Löffel gestohlen!« rief es plötzlich neben Jeremias, aber auf der entgegengesetzten Seite von der, wo Bux stand, welcher den neuen Ausrufer vollkommen ruhig betrachtete.

»Is nich wahr!« schrie Jeremias, und drehte sich rasch und wüthend nach der Seite, wo er aber zu seinem Erstaunen Niemand sah.

»Hast 'en ja in der Tasche!« sagte da die Stimme wieder, und Jeremias lief es kalt über den Rücken.

»Lügenhund, verdammter!« schrie er, wobei er fast unwillkürlich in die rechte Tasche griff, und Bux wollte sich jetzt auf seinem Stande vor Lachen ausschütten.

»Na, was ist denn das? Was geht denn hier vor?« riefen Andere und drängten näher.

»Immer herein, meine Hörrschaften!« schrie da Bux wieder, den für ihn günstigen Moment benutzend – »das gehört Alles mit zum Spaß – da drinn wird's jetzt losgehen, immer herein – immer herein!« und während er dem kleinen Mädchen einen Wink gab, ihm zu folgen, verschwand er in der Thür, und gleich darauf begann darin die schon von ihm bestellte Musik, zwei Trompeten, eine Trommel und eine Clarinette, einen lustigen Walzer aufzuspielen.

»Ei, zum Henker, fünfhundert Reis wend' ich dran,« sagte da ein junger, schlanker Bauer, der gerade eine Ladung Bohnen in die Stadt geschafft hatte – »sie werden Einen ja doch nicht beißen!« und mit entschlossenem Schritt trat er auf den Tisch zu, legte das Geldstück darauf und tauchte dann ebenfalls in die niedere Thür ein. Ein paar andere Colonisten, die derartige Dinge schon von daheim kannten, folgten, und bald trieb die Neugierde wohl fünfzehn oder zwanzig Personen mehr nach, welche sich in dem innern Raume auf roh genug eingerichteten Bänken sammelten.

Das Innere der Hütte war, so gut das eben anging, bühnenartig eingerichtet, mit einem etwas erhöhten Podium aus ungehobelten Brettern, und einem freilich sehr dürftigen, von Kattunresten zusammengeflickten Vorhange. Dieser verrichtete aber doch wenigstens den Dienst, die Zuschauer etwas Geheimnißvolles ahnen zu lassen, was hinter demselben vorgehen könnte, und genügte deshalb vollkommen.

Die Ouverture – jener Walzer – war beendet, der Vorhang wurde durch den dazu abgerichteten Hausknecht Buttlich's aufgezogen, und den Zuschauern zeigte sich eine von der Hand des kunstfertigen Schneiders gemalte, außerordentlich merkwürdige Decoration, welche vollkommen im Dunkeln ließ, ob die Phantasie ersucht wurde sich in einen Wald, oder in eine Tempelhalle hineinzudenken.

Das Publicum zerbrach sich aber darüber gar nicht den Kopf, denn Bux erschien mitten auf dem Schauplatze, auf den er eine kurze Leiter und eine Stange mitbrachte, und begann jetzt, als Herkules und Athlet, eine Anzahl von Productionen auszuführen, wie wir sie Deutschland nur zu häufig auf Märkten und Messen in kleinen Winkelbuden oder auch gar auf offener Straße zu sehen bekommen. Der Beifall, den er damit erntete, war freilich sehr gering; das Publicum lachte ein paar Mal, wenn ihm Etwas mißglückte, das war Alles; applaudiren wollte Niemand, was wußten die Leute auch davon, und er ging dann zu dem zweiten Theil seiner Vorstellung – der höheren Bauchredekunst – über, bei welcher er aber ebenfalls einen weit geringeren Erfolg erzielte, als er erwartet haben mochte.

Bux war darin wirklich nicht ungeschickt, aber sein ganzer Triumph scheiterte an der Gleichgültigkeit der Zuschauer, welche sich eben nicht wollten überzeugen lassen, daß er wirklich allein die bald von da, bald von dorther schallenden Töne hervorbrachte.

Ach, da hinten oder da drüben steckt auch Jemand, sagten die Leute, und als er sich mit einem Wesen unterhielt, welches angeblich unter einer verkehrt auf dem Tische stehenden Papierdüte stak, sagten sie, »das klang so natürlich, als ob Jemand da drunter wäre,« und damit war die Sache abgemacht.

Wieder war eine Pause, und einzelne der Zuschauer gingen schon hinaus, weil sie sich zu langweilen anfingen, dann kamen die Kinder, Guido und Isabella, welche sich produciren sollten, und hier scheiterte das Ganze.

Die kleine »Isabella« trat kaum vorn auf die Bühne heraus, als die Frauen unter den Zuschauern, mehr aus einer gewissen Art von Instinct, als weil sie sich des Entwürdigenden solcher Darstellung für das Kindesalter klar bewußt gewesen wären, Mitleid mit der kläglich genug aussehenden Erscheinung fühlten.

»Ach, das arme Wurm,« sagte eine alte Frau, die vorn auf der zweiten Bank saß – »wie sie das Kind angestrichen und geputzt haben, und halb verhungert ist's dabei!«

»Und der Vater prügelt's noch außerdem zu Hause,« sagte ein junges Mädchen, welches neben ihr saß – »ich hab' es oft gesehen, und jetzt soll das arme Ding tanzen.«

»Und der Junge könnte auch was Gescheiteres thun,« meinte ein alter Bauer, der auf der ersten Bank saß, als Guido jetzt, ebenfalls in Tricots und geschminkt, neben seiner Schwester erschien und anfing zu tanzen – »'s ist ein Skandal, daß Kinder zu so 'was auferzogen werden, wo sie sich überall im Lande ihr Geld auf ehrliche Art erwerben können!«

Die Musik machte gerade jetzt eine Pause, um Herrn Bux Gelegenheit zu geben, ein Gestell mit papierüberklebten Reifen auf die Bühne zu schaffen, und dann bei dem neuen Beginne mit so viel mehr Nachdruck einfallen zu können, als eine tiefe, ruhige Stimme laut sagte:

»Die Kinder fort! Ich leide nicht, daß die hier zu solcher Schlechtigkeit gebraucht werden. Die Brasilianer sind den Deutschen so schon aufsässig genug; wir wollen ihnen nicht auch noch hier im Lande selber solche Früchte heranziehen!« – Als sich die Zuschauer erstaunt nach der Stimme umsahen, erkannten sie den Director Sarno, der eben einem Polizeidiener oder Wächter den Befehl gab, das weitere Auftreten der Kinder zu verhindern. Dieser schritt auch ohne Weiteres der Bühne zu und beorderte »Guido und Isabella«, sich zurückzuziehen, als Bux wüthend auf ihn eindrang und sein Recht behaupten wollte, hier in seinem Locale und mit seiner Familie zu treiben, was ihm beliebe.

Der Schneider, welcher seinen Platz auf der ersten Bank hatte, war rasch aufgesprungen als er den Director hörte, um Buttlich herbeizurufen, und der Wirth erschien auch fast augenblicklich, den Künstler, kraft seines Freibriefes, gegen die »Willkürlichkeiten des Directors« in Schutz zu nehmen. Jetzt aber mischte sich das Publicum in die Verhandlungen, und besonders waren es die Frauen, die zuerst des Directors Partei nahmen.

»Er hat Recht, der Herr Director,« riefen sie; »es ist ein Skandal und sollte nicht erlaubt werden! Schickt die armen Kinder in die Schule oder auf eine Chagra, daß sie 'was lernen, was sie zum Leben brauchen!«

»Ich kann mit meinen Kindern machen was ich will,« schrie Bux dazwischen, »und kein Mensch hat mir ein Wort zu sagen!«

»So, mein Bursche?« rief der alte Bauer – »das ist aber doch vielleicht ein Irrthum; denn wenn wir hier frische Leute und Kräfte in's Land bekommen, so liegt uns auch daran, daß sie uns keine Schande machen, und wo wir merken, daß das doch geschehen könnte, da wär's doch sonderbar, wenn wir nicht auch noch ein Wort mit drein zu reden hätten!«

»Ich kann meine Kinder tanzen lassen, wo ich will,« schrie Bux wieder, durch den neuen Widerspruch gereizt.

»Das weiß ich nicht,« sagte der alte Bauer, indem er ruhig von seinem Sitze aufstand; »ich denke mir aber, wenn Dir Niemand weiter zusieht, wirst Du's von selber bleiben lassen. Deshalb, Landsleute, wenn Ihr meinem Rathe folgt, so laßt Ihr den Menschen hier seinen Unfug treiben, seht ihm aber nicht auch noch zu. Ich wenigstens habe die Sprünge und Dummheiten satt, und wenn ihn Niemand mehr dafür bezahlt, bekommen die armen Kinder schon von selber Ruhe!« – und damit setzte er seinen Hut auf und schritt dem Ausgange zu.

»Das ist wahr, das ist recht!« riefen die Frauen und einige junge Burschen; »es ist eine Schande, nur dabei zu sitzen!«

»Ihr werdet Euch doch nicht von einem Polizeidiener in's Bockshorn jagen lassen?« schrie jetzt der Schneider dazwischen, der das Weglaufen der Leute auch theilweise mit als eine Beleidigung gegen sich betrachtete, weil er ja die Decoration gemalt hatte. »Wir sind hier in unserem Rechte, und ich will Den sehen, der uns Etwas hier zu sagen oder zu befehlen hat!«

»Du kannst da bleiben, Schneider,« sagte der Bauer ruhig, indem er den Kopf über die Schulter nach Justus Kernbeutel hindrehte, »von Dir erwartet es auch Niemand anders!« – und mit den Worten verließ er das Haus.

Ein paar der jungen Leute zögerten noch; sie hatten ihr Geld bezahlt, und wollten doch eigentlich auch noch gern genießen, was hier zu sehen war; da aber alle Anderen gingen, mochten sie auch wieder nicht allein zurückbleiben, und ehe zehn Minuten vergangen waren, hatten sämmtliche Zuschauer den Platz geräumt, und in der That den Schneider allein als Publicum in dem öden Raume zurückgelassen. Selbst der Polizeidiener war gegangen, als er sah daß die Colonisten die Sache selber in die Hand nahmen.

Director Sarno hatte ebenfalls die Hütte verlassen, sobald er nur den Befehl gegeben, die Kinder von der Bühne zu entfernen, und wollte gerade nach seiner eigenen Wohnung zurückgehen, als ihn Jeremias einholte und, ohne weitere Umstände seinen Arm ergreifend, sagte:

»Der Teufel ist los, Herr Director, und die Bombe ist geplatzt!«

»Und was giebt's nun wieder?« fragte Sarno ruhig, und dann nach der Landung hinunter horchend, fuhr er fort – »was ist denn das für ein Lärm da unten, Jeremias?«

»Das ist ja eben die Bombe,« sagte der kleine Bursche – »der neue Director mit einem ganzen Schwarm brauner und schwarzer Soldaten, die man bei uns zu Hause alle für Geld könnte sehen lassen.«

 

»Der neue Director,« lächelte Sarno – »und woher weißt Du das?«

»Eben ist das Dampfschiff hereingekommen,« versicherte Jeremias – »gerade von Santa Catharina – und der Director ist mit den Booten unten von der kleinen Barre heraufgekommen, weil der Fluß jetzt so niedrig ist, und der Bodenlos hat einen Bekannten dabei getroffen, einen Deutschen, und der hat ihm die Geschichte erzählt. Der neue Director logirt bei dem Baron, und die Soldaten sind mitgeschickt, daß uns die Indianer hier nicht die Hälse abschneiden sollen.«

»So?« sagte Sarno ruhig und schritt auf sein Haus zu – »komm' mit, Jeremias, vielleicht giebt es Etwas zu besorgen« – und ohne weiter eine Frage an seinen Begleiter zu richten, setzte er seinen Weg fort. – Der neue Director? Er hatte etwas Ähnliches schon lange erwartet, wenn auch freilich in anderer Weise, und lange schon gewünscht, dieses lästigen, undankbaren Postens enthoben zu sein, und trotzdem war es ihm doch ein bitteres Gefühl, sich zu denken, daß er für so vollkommen entbehrlich gehalten wurde, seine Arbeit ohne weitere Umstände durch einen Andern – er wußte ja noch nicht einmal, durch wen – fortgeführt und sich bei Seite geworfen zu sehen.

Er stand, mit diesen Gedanken beschäftigt, vor seinem Hause, ehe er selbst recht wußte, wie er dahin gekommen. Die Entscheidung ließ aber auch nicht lange auf sich warten, denn selbst vor seiner Thür fand er einen der brasilianischen Soldaten in blauer Uniformjacke, Sommerhosen und bloßen Füßen, der ein Schreiben in der Hand hielt und auf Jemanden zu warten schien.

»Zu wem willst Du?« fragte er ihn.

»Senhor Sarno.«

»Der bin ich selber.«

»Brief abzugeben,« sagte der Soldat und reichte ihm das Schreiben.

»Weiter Nichts?«

Der Bursche hielt es nicht einmal der Mühe werth zu antworten, schüttelte nur mit dem Kopf und schlenderte dann pfeifend die Straße wieder hinab.

Jeremias sah ihm nach und sagte dann kopfschüttelnd:

»Hübsche Kerle – jetzt können wir nur unsere Häuser und Kasten zuschließen, denn wo die Bande hinkommt, hört der Friede auf.«

Sarno war vor ihm her in sein Zimmer gegangen, und brach dort das Schreiben auf. Es enthielt, wie Jeremias schon ganz richtig gemeldet hatte, seine einfache Entlassung als Director der Colonie Santa Clara, ohne irgend welchen Grund dafür anzugeben, wie außerdem die Anzeige, daß Baron von Reitschen als neuer Director von dem nämlichen Tage an, an welchem er die Colonie betreten, in seine Stellung einrücken würde. Weiteres werde Herr von Reitschen selber mit ihm besprechen, und Acten wie Casse von ihm übernehmen.

»Also abgesetzt,« lachte Sarno bitter vor sich hin, als er das Papier auf den Tisch warf – »und mit verwünscht wenig Umständen, wie es scheint.«

»Das ist Alles bei der Frau Gräfin gekocht,« sagte da Jeremias, der, von dem Director vollkommen unbeachtet, diesem in das Zimmer gefolgt war – »dorten haben sie's gebraut.«

Sarno sah sich rasch nach dem Redenden um.

»Gebraut? Was?«

»Die Eingabe nach Santa Catharina und die ganze andere Geschichte. Der Herr von Pulteleben hat's geschrieben und vorgelesen, und nachher wurd' es unterzeichnet und fortgeschickt, im ganzen Orte herum. Selbst der Lump, der Justus, und der Schuft, der seine Frau und Kinder immer prügelt und mit dem Bösen im Bunde steht, hat seinen Namen mit drauf setzen müssen.«

»Neben den der Frau Gräfin?« lächelte Sarno.

»Nun, ein Stückchen weiter unten,« sagte Jeremias – »und mich wollten sie auch dazu haben, aber ich denke, der Herr von Pulteleben bleibt künftig bei seinen Cigarren und läßt mich ungeschoren.«

»Die Fabrikation geht gut?« lächelte Sarno.

Jeremias pfiff blos leise vor sich hin, schob beide Hände in die Taschen und verließ, seinen Hut noch immer unter den Arm geklemmt, das Zimmer, kehrte aber augenblicklich wieder zurück und meldete: »'s ist ein fremder Herr draußen, der den Herrn Director zu sehen wünscht,« und dabei überreichte er Sarno eine Karte, auf der nur die Worte standen: Ferdinand von Reitschen.

»Wird mir sehr angenehm sein,« sagte Sarno, die Karte auf den Tisch werfend.

»Der Neue, nicht wahr?« fragte Jeremias, indem er Sarno mit den Augen zublinzelte. Dieser lächelte und nickte, und der kleine Bursche ließ gleich darauf den Baron von Reitschen in das Zimmer.

»Mein werther Herr,« sagte dieser, indem er rasch auf Sarno zuging und seine Hand ergriff – »ich muß tausendmal um Entschuldigung bitten, Sie noch in meinen Reisekleidern aufgesucht zu haben, aber die eigenthümlichen Umstände, unter denen ich hier…«

»Bitte, machen Sie keine Umschweife,« unterbrach ihn Sarno ruhig, indem er ihm einen Stuhl hinrückte – »dem eben erhaltenen Schreiben nach habe ich das Vergnügen, in Ihnen den neuen Director der Colonie zu sehen, und da ich von dem Augenblicke Ihres Eintreffens an, mein Amt in Ihre Hände niederlege, so versteht es sich von selbst, daß wir alles Geschäftliche so rasch wie irgend möglich erledigen. Aus diesem Grunde schon kann ich Ihnen nur dankbar sein, eine für beide Theile nicht angenehme Sache, so bald es eben angeht, zu beseitigen.«

»Ich bitte, mich um Gottes Willen nicht falsch zu verstehen!« rief Herr von Reitschen rasch – »Sie glauben doch sicherlich nicht, daß ich schon in der ersten Stunde auf etwas Derartiges dringen wollte. Nehmen Sie sich ja Zeit, mein lieber Herr – nein, ich kam eigentlich heute Nachmittag nur her, um Sie um Ihren Rath und wo möglich Ihren – Beistand zu bitten.«

»In was, wenn ich fragen darf?«

»Sie wissen, daß Se. Excellenz eine kleine Abtheilung Militär hieher beordert hat.«

»Ich habe es wenigstens heute erfahren, wenn ich auch eigentlich nicht recht begreife, zu welchem Zweck.«

»Die Indianer haben sich in der letzten Zeit wieder so frech gezeigt.«

»Hier bei uns?«

»Nun, doch in der Nachbarschaft,« sagte Herr von Reitschen etwas verlegen – »wenigstens liefen dahin lautende Berichte bei dem Präsidenten ein.«

»Dahin lautende Berichte hätten doch eigentlich von mir ausgehen müssen« sagte Sarno ruhig – »und ich weiß Nichts davon.«

»Sie haben sich in der Nähe sehen lassen, so viel ist sicher, und Sie wissen selber, daß es zu spät ist Vorsichtsmaßregeln zu treffen, wenn sie erst da sind.«

»Ihre Excellenz ist sehr besorgt um das Wohl der Colonie und hat uns davon schon viele Beweise gegeben.«

»Ihre Excellenz?« sagte Herr von Reitschen etwas verblüfft.

»Oder Seine, das bleibt sich ja gleich; doch bitte, zur Sache, denn Sie wissen ja doch, daß ich weder mit den Indianern noch mit den Soldaten weiter Etwas zu thun habe.«

»Es handelt sich jetzt darum, sie unterzubringen, bis passende Wohnungen für sie gebaut werden können,« sagte Herr von Reitschen, dem selber daran lag, das Gespräch abzubrechen – »ich bin hier noch zu fremd, und Sie können mir gewiß am Besten die Mittel und Wege…«

»Da bedauere ich doch sehr,« unterbrach ihn Sarno ruhig – »ich selber halte brasilianisches Militär hier zwischen den deutschen Colonisten nicht allein für ganz überflüssig, sondern sogar noch für vollkommen verderblich, und würde nie die Hand oder meine Hülfe dazu bieten, es hier unterzubringen, selbst wenn ich noch Director wäre.«

»Aber der bestimmte Befehl des Präsidenten.«

»Sie vergessen, verehrter Herr,« lächelte Sarno, »daß mir Se. Excellenz Nichts mehr zu befehlen hat.«

»Mißverstehen Sie mich nicht,« sagte Herr von Reitschen rasch – »in dieser Angelegenheit würde ich es nur als eine mir persönlich erwiesene Gefälligkeit betrachten.«

»Ich bedaure dann recht sehr, Ihnen diese nicht leisten zu können,« sagte Sarno kalt; »kann ich Ihnen vielleicht mit etwas Anderm dienen?«

»Ich danke Ihnen; mit Nichts was ich augenblicklich wüßte,« sagte Herr von Reitschen, und hielt seine Unterlippe mit den Zähnen.

»Dann ersuche ich Sie nur,« fuhr Sarno fort, »sich morgen um zehn Uhr zu mir zu bemühen, um die Directionspapiere zu übernehmen. Sie wohnen?«

»Bei Baron Jeorgy.«

»Es ist sonst«, lächelte Sarno, »bei einer Entlassung von Dienstboten wohl Sitte, ihnen eine vierwöchentliche Kündigungsfrist zu stellen, ich werde aber dieses »Dienstbotenrecht« nicht für mich beanspruchen, Herr Baron, und hoffe, Ihnen das Directionsgebäude übermorgen früh zur Verfügung stellen zu können.«

3Der obige Erlaß ist wörtlich, nur mit Änderung des deutschen Namens, und erst in allerneuester Zeit sind rein protestantische Ehen durch das neue Ehegesetz auch für gültig in Brasilien erklärt worden.
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