Nach Amerika! Bd. 1

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«Zwischendeck – immer wo’s am billigsten ist», lachte Menzel und strich sich wohlgefällig über die silbernen Knöpfe.

«Ja, kann mir’s denken», rief Herr Weigel, auf den Scherz eingehend und ihn leise gegen den Arm von sich stoßend, «Sie sehen mir auch gerade aus, als ob’s Ihnen auf ein paar Taler ankäme!»

«Ja, wo man’s kann, muß man’s zusammennehmen», beteuerte auch Müller, «also wie viel kostet’s im Zwischendeck à Person?»

«Vierundvierzig Taler für die Person – Kinder zahlen die Hälfte.»

«Aber ganz kleine Kinder?» sagte Müller.

«Nun, Säuglinge gehen ein», lachte Herr Weigel, «das ist die Beilage, die doch auch nur vom Schiff aus indirekte Nahrung bekommen.»

«Leichten Zwieback?» frug Menzel.

«Ja wohl», sagte Herr Weigel, etwas verlegen lächelnd, da er nicht wußte, ob der Bauer das im Spaß oder Ernst gemeint. – «Wie viel Personen sind sie denn aber wohl etwa?»

«Nu, so einige sechzig möchten wir immer zusammen herausbekommen», meinte Müller.

«Aber alle auf ein Schiff müßtet Ihr uns bringen», sagte Menzel.

«Nun, das versteht sich von selbst», rief Herr Weigel, «und ein famoses Schiff geht gerade den 15. ab – ich glaube, das beste, das von Bremen und Hamburg überhaupt läuft – die Diana.»

«Ne, das wär’ uns noch zu früh. »

«Am 1. nächsten Monats geht ein noch besseres», sagte Herr Weigel, «wenigstens geräumiger und ein besserer Segler.»

«Ne, das wär’ uns auch noch zu früh», sagte Menzel.

«Gut, dann träfen sie es gerade ausgezeichnet mit dem Meteor», versicherte Herr Weigel, keineswegs außer Fassung gebracht, «ich wollte Ihnen den im Anfang nicht anbieten, weil ich fürchtete, daß Sie früher zu reisen wünschten; wenn Sie aber s o lange Zeit haben, dann kann ich Ihnen allerdings die vorzüglichste Reisegelegenheit bieten, die sich nur überhaupt denken läßt.»

«So – na, das paßte schon besser», sagte Müller, «wie hieß das Schiff gleich?»

«Meteor.»

«Hm – werd’ es mir merken – aber nicht wahr, beim D u t z e n d kriegen wir die Passage doch auch ‘was billiger.»

«Ne, d a s geht nicht», lachte Herr Weigel gerade heraus. «Es ist ja nicht so, daß ein Schiff nur eben so viel Menschen an Bord nehmen kann, wie darauf Platz haben, sondern es muß auch genug Raum und über und über genug Essen und Trinken für sie dabei sein, w e n n einmal die Reise in einem unglücklichen Fall länger dauerte als gewöhnlich. So ein Schiff hat deshalb auch nur eine bestimmte Zahl von Auswanderern, die es an Bord nehmen kann und nach amerikanischen Gesetzen nehmen d a r f , und auf die ist alles mit Kosten und Preis ausgerechnet, auf’s tz. Die kleinen Kinder werden eingegeben, aber die großen müssen bezahlen. Und wie war’s mit der Farm? »

«Wo ist denn der andere Platz, zu dem der lange Zettel gehört?» sagte Menzel, der sich diesen indessen genau betrachtet und nach allen Ecken herum und herumgedreht hatte, ohne, wie er meinte, einen Handgriff dran bekommen zu können.

«Der hier? Der ist in Wisconsin; auch ein guter Platz, aber kein so großer Strom dabei», sagte Herr Weigel. «Ist aber auch billiger. Dort kann ich Ihnen eine Farm, allerdings nur mit einigen vierzig Kühen, für etwa Siebenhundertundfünfzehn Dollars überlassen, und dann habe ich noch fünf andere von sechs-, acht-, elf-, neun- und, ich glaube, zwölfhundert Dollars – die letztere ist aber eine wirkliche Musterwirtschaft mit importiertem Schweizer Vieh, Backsteingebäuden und einer prachtvollen Lage, um Milch und Butter in die nicht zu entfernte Stadt zu bringen, wird Ihnen aber auch freilich wohl zu teuer sein?»

«Zu teuer? – Warum?» sagte Menzel. «Wenn man sich einmal etwas kauft, soll man sich auch gleich ‘was Ordentliches anschaffen. Ich habe mir übrigens die Sache immer viel schwieriger vorgestellt mit dem Ankaufen und gedacht, daß man erst lange in der Welt umherfahren und sein Geld verreisen müßte. Wenn man das hier gleich an Ort und Stelle abmachen kann, ist das ja weit bequemer.»

«Auf eins möchte ich Sie übrigens noch aufmerksam machen, meine Herren, was Sie ja nicht versäumen dürfen», sagte Herr Weigel, «nämlich sich hier gleich Ihre Billets zur Weiterfahrt ins Innere, wohin Sie auch immer wollen, zu lösen.»

«Von New York aus?» fragte Menzel verwundert.

«Jawohl, von New York oder Philadelphia, oder wohin Ihr Reiseziel liegt.»

«Ja, aber kann man denn die h i e r bekommen?» frug Müller.

«Gewiß kann man das», lächelte Herr Weigel, «und das ist gerade der ungeheure Vorteil unserer jetzigen Verbindung, die den Auswanderer von der Tür seiner alten Heimat fort vor die seiner neuen setzt, ohne daß er ein einziges Mal in die Tasche zu greifen und mehr zu bezahlen braucht, als was er gleich von allem Anfang entrichtet hat. Das eben macht auch das Reisen jetzt so billig, daß man mit e i n e m Blick imstande ist, sämtliche Kosten zu übersehen. Die E x t r a – Ausgaben fallen ganz weg.»24

«Das wäre freilich ein Glück», sagte Müller, von dem erst vor einigen Monaten ein Bruder ,hinüber’ gegangen war. «Die Extra-Ausgaben fressen sonst das meiste Geld.»

« O b sie’s fressen, bester Herr, o b sie’s fressen », sagte Herr Weigel, sich wieder vergnügt die Hände reibend.

«Und wo kann man die Billete also bekommen?» frug Menzel.

«Bei mir hier, versteht sich», sagte Herr Weigel. «Alle bei mir.»

«Und die gelten dann drüben?»

«Nun, versteht sich doch von selbst», lachte der freundliche Agent. «Ich würde sie Ihnen ja doch sonst nicht verkaufen. Sehen Sie, wenn die Deutschen hinüber kommen, dann sprechen sie gewöhnlich noch kein Englisch – oder haben Sie das etwa schon gelernt?»

«Ne.»

«Nun sehen Sie, und dann werden sie dort von ihren Landsleuten – denn der Amerikaner ist nicht halb so schlimm – die sich das richtig zunutze zu machen wissen, tüchtig übers Ohr gehauen und müssen gewöhnlich gerade noch einmal so viel bezahlen, als die Sachen eigentlich kosten.»

«Aber es soll doch eine ,Deutsche Gesellschaft’ drüben in New York sein25», sagte jetzt Brauhede, der zum erstenmal bei der ganzen Versammlung den Mund auftat, «die sich eben der Deutschen annimmt und nichts dafür verlangt.»

«Leben wollen wir a l l e », sagte Herr Weigel achselzuckend, «umsonst ist der Tod, und daß die Leute, wenn sie ihre Zeit darauf verwenden, für die Deutschen zu sorgen, auch etwas dafür nehmen werden, läßt sich wohl an den fünf Fingern abzählen. New York ist aber ein teures Pflaster, die Leute b r a u c h e n dort mehr, wie wir hier, und wer es daher b i l l i g e r tun kann, liegt auf der Hand. Ich will m i c h auch keineswegs empfehlen, lieber Gott, es gibt noch eine Menge Leute in Deutschland, die sich demselben schwierigen und undankbaren Geschäft unterzogen haben wie ich, und die es sich vielleicht ebenso sauer werden lassen, gerade und ehrlich durch die Welt zu kommen; aber einen, der es besser m e i n t dabei, werden Sie wohl schwerlich finden, und ich überrede gewiß niemand, nach Amerika auszuwandern. Jeder Mensch muß seinen freien Willen haben und auch am besten selber wissen, was ihm gut ist.»

«Ne gewiß», sagte Menzel, «da habt Ihr ganz Recht, das ist auch mein Grundsatz; aber das mit dem Amerika leuchtet mir auch ein, und umsonst tut da gewiß niemand etwas. Das sind verflixte Kerle da, hab’ ich mir sagen lassen, besonders die Deutschen, und wo die nicht wollen, gucken sie nicht ‘raus.»

«Also die Billete kann man hier bei Euch kriegen?»

«Wohin Sie wollen, und ich stehe Ihnen dafür, daß sie nicht allein echt sind, sondern daß die hier in Deutschland gelösten Plätze auch noch den Vorrang haben vor allen in Amerika genommenen – wenn einmal Eisenbahn26 oder Dampfboote zu sehr besetzt sein sollten. Es ist ja hier gerade so mit der Post, wo die, die sich zuerst und auf der längsten Station haben einschreiben lassen, den Vorrang erhalten müssen vor denen, die nachher kommen.»

«Ahem, das ist klar», sagte Menzel. «Na also, da dächt’ ich, ließen wir uns gleich einmal Plätze belegen und gäben das Draufgeld, damit wir die Sache richtig hätten, und nachher können wir ja einmal über die Farmen sprechen. Ich habe verwünschte Lust.»

«Du, das hat noch Zeit», sagte aber jetzt Brauhede wieder, Menzel am Rocke zupfend. «Erst müssen wir es uns doch einmal mit den anderen zu Hause überlegen.»

«Wenn aber nachher die Plätze auf dem ganz guten Schiff fort sind», sagte Müller mit einem sehr bedenklichen Gesicht.

«Ja, s t e h e n kann ich Ihnen n i c h t dafür», versicherte Herr Weigel, die Achseln zuckend, daß sie beinahe seine Ohrläppchen berührten.

«Na, meintwegen», sagte Brauhede, der allerdings auch in der Absicht hierher gekommen war, ihre Passage fest zu akkodieren, jetzt aber, da es dazu kam, Geld zu zahlen, nur ungern damit herausrückte. «Aber von wegen der Farm müssen wir noch erst mit den anderen sprechen, und eine Farm kriegen wir auch noch immer.»

«Ja, aber w a s für eine», sagte Herr Weigel.

Brauhede blieb aber bei seiner Meinung, und Menzel bestand jetzt nur wenigstens darauf, die beiden Pläne einmal mitzunehmen, damit sie sich zu Hause ordentlich hineindenken könnten. Wenn auch Herr Weigel sie im Anfang nicht außer Händen geben mochte, ja sogar versicherte, er habe nicht übel Lust, die eine Farm für sich selber auf Spekulation zu kaufen, ließ er sich doch zuletzt überreden, ihnen, aber allerdings nur auf zwei Tage, die Pläne zu überlassen, und dann das weitere über den Ankauf mit einer zweiten Deputation der Gesellschaft zu besprechen.

Menzel bezahlte dann das Aufgeld auf ihre Passage im M e t e o r für siebenundfünfzig Personen und dreizehn Kinder, die sämtlich aus e i n e r Ortschaft auswandern wollten, und nahm dann auch noch, nach einer kurzen Beratung mit den beiden anderen, die nötigen Billete auf der Eisenbahn von New York aus, oder machte wenigstens eine Anzahlung darauf, daß sie ihnen der Agent aufbewahrte, da dieser versicherte, er sei nur noch in Besitz einer sehr kleinen Anzahl und wisse nicht, wenn er gleich wieder andere bekommen würde, während die Anfrage danach sehr stark wäre.

 

Außerdem kauften sie sich auch noch ein halbes Dutzend kleine Broschüren, die Herr Weigel, wie er sagte, gerade frisch aus der Druckerei als etwas g a n z N e u e s bekommen hatte – ein Datum stand nicht darauf – und die drei Männer verließen dann wieder, von dem schmunzelnden Agenten bis an die auf den Markt führende Tür begleitet, das Haus.

«Höre Du», sagte Brauhede, als sie wieder vor dem Haus und auf der Straße waren, und langsam über den Markt weggingen, «mit dem Landkaufen wollen wir uns doch lieber hier noch nicht einlassen, das ist eine wunderliche Geschichte und will mir nicht recht in den Kopf.»

«Nicht in den Kopf?» rief aber Menzel. «Und warum nicht? – Der Mann bekommt alle Tage Briefe aus Amerika, warum soll der nicht wissen, was dort zu verkaufen ist?»

«Wenn’s aber so gut und billig wäre, brauchten sie’s doch nicht hier herüber zu schicken», meinte Brauhede kopfschüttelnd.

«Das ist alles, was Du davon verstehst», sagte Müller. «Amerikaner könnten sie gewiß genug zu Käufern kriegen, aber deutsche Bauern wollen sie, die ihnen zeigen, wie man das Land behandeln muß, und darum schicken sie herüber. Die sind froh drüben, wenn unsereins hinüberkommt.»

«Nun, mag sein», brummte Brauhede. «Aber sicher ist doch sicher, und wenn ich mein Geld hier weggegeben habe, und kann das Land, was mein sein soll, nachher nicht finden, wie’s dem Niklas seinem Bruder gegangen ist, nachher wäre die Geschichte faul.»

«Dem Niklas sein Bruder war aber auch ein Esel», sagte der andere, «der sich hier Land von einem herumziehenden Vagabunden gekauft; da sollt’ er nachher wohl suchen. Aber d e r Mann hier ist in der Stadt ansässig und hat ein Geschäft; was der verkauft, das muß gut sein, sonst wär’ er ja gar nicht sicher, daß man ihn einmal deshalb beim Kragen kriegte.»

«Ja, krieg’ ihn einmal, wenn Du drüben in Amerika bist», sagte Brauhede ruhig. «Das ist ein verwünscht weiter und umständlicher Weg und – wenn man sich einmal hat anführen lassen, will man auch nicht gern noch dazu ausgelacht werden.»

«Papperlapapp!» sagte Menzel. «Dafür hat jeder seine Augen, daß er sie offen hält, und ehe ich ihm mein gutes Geld gebe, werd’ ich mich schon sicherstellen, daß er mir nichts aufbindet.»

Und die Männer schritten, jeder von jetzt mit seinen eigenen Gedanken über die nahe Auswanderung beschäftigt, langsam die Straße hinunter, während in seinem kleinen Büro, vergnügt die Hände zusammenreibend, Herr Weigel auf und ab spazieren ging, und sich im Geist die nächst zu ziehenden Summen zusammenaddierte, die er in kurzer Zeit, nach eifriger Aussaat, einzuernten hoffte. Die Geschäfte gingen vortrefflich; Lust zur Auswanderung hatte in der Tat ein Drittel der sämtlichen Bevölkerung, und es bedurfte nur manchmal wirklich einer leisen Anregung, die Leute zu etwas zu bewegen, zu dem sie schon halb und halb selber entschlossen gewesen waren.

Herr Weigel war sehr guter Laune; er legte jetzt die Hände auf den Rücken und summte leise ein Lied vor sich hin, seinen Marsch dabei fortsetzend. Aber er sang falsch, er hatte keine Idee von irgendeiner Melodie, doch das schadete nichts, er m e i n t e wenigstens eine, und da er selber nicht hörte, w a s er sang, genügte es ihm vollkommen.

Die Tür ging auf und der Tischler oder Schreiner kam herein, irgendetwas an dem Pult auszubessern – er hatte zweimal angeklopft, ohne daß der vergnügte Agent darauf geantwortet hätte.

«Guten Morgen, Herr Weigel.»

«Ah, guten Morgen, Meister – nun, können Sie endlich ? Ich hatte schon ein paarmal nach Ihnen hinübergeschickt.»

«Ja, lieber Gott, Herr Weigel, ich war gerade drüben beim Herrn Geheimen Rat Bärlich beschäftigt – die Leute sind so eigen, wenn man von der Arbeit fortgeht.»

«Sehen Sie, hier das Bein möcht’ ich gemacht haben; der Tisch wackelt da immer, und wenn man etwas darunter legt, verschiebt es sich doch jedesmal wieder. Können Sie es mir wohl bis heute Nachmittag in Ordnung bringen?»

«Ja, gewiß», sagte der Mann, «das ist nur eine Kleinigkeit.»

«Und wie ist es mit den Auswandererkisten, die ich bestellt habe – werden sie bis heute Abend fertig?»

«Jawohl, Herr Weigel, sechs habe ich schon in das Gasthaus ,Stadt Breslau’, wie Sie mir sagten, abgeliefert.»

«Nun, das ist gut, denn der ganze Zug wird noch heute Vormittag ankommen und will morgen früh wieder fort – es sind doch noch keine Auswanderer heute Morgen hier eingetroffen?»

«Nicht, daß ich gesehen hätte – aber gestern Abend zogen viele durch.»

«Ja, ich weiß – von Hessen herüber – die armen Teufel; denen wird’s einmal wohl drüben werden. Nun, wie gehen denn bei Ihnen die Geschäfte jetzt?»

«Ih nu, gut, Herr Weigel, ich kann gerade nicht klagen, das Brot wird freilich immer teurer, aber man schlägt sich so durch. Kinder haben wir nicht, und was verdient wird, reicht eben ordentlich aus.»

«Ich begreife nicht», sagte Herr Weigel da kopfschüttelnd vor dem Mann, der seine Mütze eben wieder aufgegriffen hatte und sich zum Fortgehen anschickte, stehen bleibend, «wie Ihr Leute Euch hier vom Morgen bis Abend plagt und schindet, eben nur das liebe Brot zu verdienen, wo Ihr in ein paar Wochen drüben sein könntet und so viel Dollars für Eure Arbeit bekämt, wie hier Groschen.»

«Drüben, wo?»

«Nun, in Amerika.»

«Hm, ja», sagte der Mann, sich nachdenkend das Kinn streichend und einen leichten Seufzer unterdrückend. «Gedacht hab’ ich auch schon ein paarmal daran, aber – das geht nicht gut und – es ist auch so eine unsichere Sache mit da drüben. Hier weiß ich einmal, was ich habe und daß ich auskomme, und wie mir’s da drüben geht, weiß ich n i c h t.»

«Aber, Freund», rief Herr Weigel verwundert, «ein Mann, der fleißig arbeitet, bringt es dort immer zu ‘was. Wetter noch einmal, Meister, Amerika ist gerade der Platz für Euch, wo Ihr Euch rühren und ausbreiten könntet – wenn Ihr dort wäret, ein geschickter Arbeiter, wie Ihr! In fünf Jahren hättet Ihr zwanzig Gesellen.»

Meister Leupold nickte langsam mit dem Kopf und sah ein paar Sekunden still vor sich nieder, als ob das Bild mit der großen Werkstätte und dem regen Treiben sich vor seinem inneren Geist eben auszubreiten beginne, dann aber sagte er, jetzt herzhaft aufseufzend:

«Und es geht doch nicht, Herr Weigel – ich habe die alte Mutter zu Hause, die ich unmöglich hier allein zurücklassen könnte… »

«Hierlassen? Das fehlte auch noch!» rief der Agent. «Die nehmt Ihr mit, Mann – könnt Ihr der denn eine größere Freude machen, als wenn sie noch vor ihrem Ende sähe, wie gut es Euch geht auf der Welt und wie sich Euer Zustand mit jeder Woche, mit jedem Tag fast bessert ? – Muß sie hier nicht in Sorge und Kummer leben, daß Ihr einmal krank werdet und nichts verdienen könnt, und wie sieht’s dann aus?»

«Wenn ich aber nun dort d r ü b e n krank werde?» sagte der Meister leise.

«Wenn das nur nicht gleich die ersten Monate geschieht, und für ein Unglück kann niemand», war dagegen Herr Weigel ein, «so könnt Ihr Euch auch schon so viel gespart haben, das eine Weile ruhig mit anzusehen; und wenn Ihr n i c h t krank werdet, seid Ihr in ein paar Jahren ein wohlhabender Mann.»

«Es ist eine verwünschte Geschichte mit dem Amerika», seufzte der Mann wieder, sich hinter dem Ohr kratzend. «Man hört so viel davon, und sieht eine solche Menge Menschen hinüberziehen, die alle voller Hoffnung sind, daß es ihnen gut geht – und möchte am Ende ebenfalls gern mit – wenn man nur erst so einmal hinübergucken könnte, wie es eigentlich aussieht.»

«Dazu ist es ein bißchen zu weit», meinte Herr Weigel.

«Ja nun eben», sagte der Tischler, «und so auf’s Geratewohl… »

«Das könnt Ihr aber nicht auf’s Geratewohl nennen, wo wir alle Tage Briefe von drüben herüber bekommen, von denen einer immer besser lautet als der andere. Da – hier liegt gleich einer, der letzte, den ich bekommen habe, wo ein Deutscher, den ich selber hinüber befördert, und dem es jetzt ausgezeichnet gut geht, an mich schreibt, und einen oder zwei gute gelernte Schafknechte haben will, lesen Sie einmal den Brief.»

Leupold legte seine Mütze wieder hin, nahm den Brief und las ihn aufmerksam durch, er nickte dabei mehrmals mit dem Kopf und sah dann wieder zu dem Agenten auf, der ihn indessen mit einem triumphierenden Lächeln betrachtet hatte.

«Nun?» frug der Letztere, als jener das Schreiben beendet und wieder zusammenfaltete. «Wie klingt das?»

« S e h r gut», sagte Leupold leise, «aber – es hilft mir doch nichts. Wenn ich jetzt mein kleines Häuschen, das ich mir mit Mühe und Not zusammengespart und aufgebaut, auch verkaufen wollte, fände ich erstlich keinen Käufer, und dann bekäm’ ich auch das nicht dafür wieder, was es mich selber gekostet. Wie gesagt, der Sperling in der Hand ist doch wohl besser, wie die Taube auf dem Dache.»

«Bah, Taube», sagte Herr Weigel mürrisch, «wenn die Taube auf dem Dach eben so fest und sicher sitzen bleibt, bis man sie holen kann, wie Amerika ruhig liegt und auf die wartet, die hinüberkommen, so ist sie mir lieber wie ein erbärmlicher Sperling, zum Sterben zuviel und zum Leben zu wenig, aber – überlegt’s Euch – ah, da kommt der Briefträger – was für mich?»

«Nun, guten Morgen, Herr Weigel», sagte der Tischler und wollte sich eben entfernen, während der Briefträger dem Agenten mehrere für ihn gekommene Briefe überreichte.

«Siebzehn Silbergroschen, drei Pfennige», sagte er dabei.

«Siebzehn Silbergroschen?» rief Herr Weigel verwundert. «Aha, da ist ein Amerikaner dabei – halt, wartet noch einmal einen Augenblick, Leupold – da ist vielleicht gleich noch was für uns, und was ganz Neues – wollen gleich einmal sehen, was die Leute schreiben. Wahrscheinlich wieder von jemand, den ich hinüber befördert habe und der sich jetzt bedankt – das kostet aber viel Geld… »

«Apropos, Neues», sagte Leupold, während der Agent den Briefträger bezahlt hatte und seine Papierschere vom Tisch nahm, den amerikanischen Brief aufzuschneiden. «Haben Sie schon gehört, daß gestern Nachmittag bei Herrn Dollinger eingebrochen und für siebentausend Taler Gold und Juwelen gestohlen sind?»

«Alle Wetter», rief Herr Weigel, mit der zum Schnitt ausgehaltenen Schere in der Hand, «gestern Nachmittag?»

«Am hellen Tag», bestätigte Leupold.

«Und weiß man nicht, wer der Täter ist?»

«Sie haben den einen Komptoirdiener in Verdacht und auch schon eingezogen», sagte der Tischler.

«Gewiß den Loßenwerder», rief Weigel.

«Ich glaube, so heißt er – er ist ein wenig verwachsen…. »

«Und schielt – derselbe, ich habe den Burschen von jeher nicht leiden können, hat mir auch schon ein paarmal Kunden abspenstig gemacht aus reinem Brotneid, ich wüßte wenigstens sonst nicht weshalb, und habe ihn dabei stark in Verdacht, daß er selber damit umgeht, eine Agentur für Auswanderer zu errichten. Da könnte jeder hergelaufen kommen, ohne Briefe, ohne Connexionen und ohne Kenntnis vom Land – schickte nachher die Leute ins Blaue hinein, daß sie dort säßen und nicht wüßten, wo aus noch ein. Na, nun wird ihm das Handwerk wohl gelegt werden, ich gönne nicht gern einem Menschen etwas Übles, aber bei dem freut mich’s, daß sie’s wenigstens herausbekommen haben und er seine Schurkerei nicht mehr heimlich forttreiben darf. Ist denn das Geld schon wieder gefunden?»

«Soviel ich weiß, nicht, einige hundert Taler ausgenommen, von denen aber der Mann beteuert, daß er sie sich gespart hätte, es ist übrigens manches dabei zusammengekommen, was ihn verdächtig macht, das Nähere weiß ich freilich nicht.»

«Hm, hm, hm», sagte Herr Weigel kopfschüttelnd, den Brief, den er noch immer in der Hand hielt, aufschneidend, «böse Geschichten – böse Geschichten, was man nicht alles hört auf der Welt. – Nun wollen wir also einmal sehen, was der Herr da aus Amerika schreibt – hm – Washington County, Tennesse de 7. Januar 18 – alle Wetter, der Brief ist lange unterwegs gewesen, Herrn F.G. Weigel in Heilingen, Hauptagent der Central-Auswanderungs- und Colonisations-Gesellschaft in Deutschland – ahem – Sie nichtsw – hm – Sie haben – hm – vor allen Dingen – hm – hm – hm – hm… » Herrn Weigels Gesicht verlängerte sich immer mehr, je weiter er in seiner, wie es schien, nicht eben angenehmen Lektüre vorrückte, aber er bracht mit dem Lautlesen des Inhalts, dessen Einleitung unerwarteter Weise höchst derber Art war, schon gleich nach den ersten Silben ab und murmelte das Ganze nur flüchtig überfliegend, bloß einzelne unzusammenhängende Worte, aus denen Leupold nichts herausfinden konnte, vor sich hin.

 

«Nun, was schreiben sie?» sagte dieser endlich lächelnd, er wäre schon lange gegangen, wenn ihn Weigel nicht eben zurückgehalten hätte. «Gute Neuigkeiten?»

«Bah!» rief Herr Weigel, den Brief zurück auf seinen Schreibtisch werfend. «Jemand, der seine Geschwister will hinübergeschickt haben und mich ersucht, das Geld für ihn auszulegen. Da müßt’ ich schöne Kapitale herumstehen haben, wenn ich allen Leuten umsonst wollte die Familie nachschicken. Nachher sitzt der mitten im Land drin, und ich kann ihn dann suchen.»

«Ne, das ist ein bißchen viel verlangt», sagte der Meister, wieder nach der Klinke greifend – und diesmal hielt ihn Herr Weigel nicht zurück. «Aber nun leben Sie auch recht wohl und verlassen Sie sich darauf, ich besorge Ihnen das heute noch.»

«Seien Sie so gut», sagte der Agent. Er war auf einmal ganz einsilbig geworden, und Meister Leupold verließ mit nochmaligem Gruß das Zimmer, in dem jetzt Herr Weigel mit in die Tasche geschobenen Händen, aber keineswegs mehr so guter Laune als vorher, raschen, heftigen Schrittes auf und ab ging.

«Und vierzehn Groschen bezahlt für den Wisch – es ist eine Frechheit, wahrhaftig, die ins Bodenlose geht. Lumpengesindel! Glaubt, die gebratenen Tauben sollen ihm da ins Maul fliegen, sobald sie’s nur aufsperren.» Und wieder riß er den Brief vom Pult, rückte sich die Brille zurecht und las mit halblauter, aber heftiger Stimme den Inhalt noch einmal und zwar aufmerksamer durch, als vorher:

«,Sie nichtswürdiger Halunke’ – wenn ich Dich nur hier hätte, mein Bursche, dafür solltest Du mir brummen – ,schändlich betrogen und angeführt’ – wozu hat Dir denn der liebe Gott die großen Glotzaugen gegeben, wenn Du sie nicht aufsperren willst – ,Land eine Wüste’ – nah versteht sich, ein Gewächshaus hab’ ich ihm nicht verkauft – ,Hälfte gar nicht zu bekommen’ – Holzkopf – ,kein Mensch wollte die Billete nehmen’ – hah, geschieht Dir recht – ,Wohngebäude zu schlecht für einen Hund’ – für Dich noch immer viel zu gut, mein Schatz – ,wenn Sie nur einmal herüber kämen, Sie miserabler’ – bah … » unterbrach sich Herr Weigel in dieser nichts weniger als schmeichelhaften Lektüre, indem er den Brief in zwei Hälften riß und sich dann ein Streichhölzchen mit einem Gewaltstrich an der Tür entzündete. « S o viel für den Wisch!» Und das Papier anbrennend, warf er das auflodernde in den Ofen und schloß die Klappe so heftig er konnte.

Allerdings wollte er sich nun über den Brief hinwegsetzen, aber geärgert hatte er sich doch, und Rock und Stiefel anziehend, drückte er sich seinen Hut in die Stirn, griff seinen Stock aus der Ecke und verließ sein Büro, das er sorgfältig hinter sich abschloß und eine kleine Pappe mitten an die Tür hing, auf der die Worte standen :

«Kommt um elf Uhr wieder.»

Sechstes Kapitel

Die Weberfamilie.

Nicht weit von Heilingen, und selbst in Hörweite der Domglocke, in ziemlich bergigem, aber unendlich malerischem Land, lag ein kleines armes Dorf, dessen Bewohner sich kümmerlich, aber meist ehrlich mit verschiedenen Handwerken und Gewerben, mit Holzschnitten, wie auch hier und da mit dem Webstuhl ernährten. Das Dorf hieß eigentlich ‚Zur Stelle’, welchen Namen aber die Bewohner im Laufe der Zeit und mit Hilfe des Dialekts zu dem von Zurschtel umgearbeitet hatten, und mochte etwa dreißig Häuser und Hütten mit der doppelten Anzahl von Familien, wie der sechsfachen von Kindern zählen. Es ist eine wunderliche Tatsache, daß man in den ärmlichen Distrikten stets die meisten Kinder findet.

Mitten im Dorf lag eins der besseren Häuser, es war weiß getüncht, und hinter den sauber gehaltenen Fenstern hingen weiße, reinliche Gardinen. Vor dem Hause, über dessen Tür ein frommer Spruch mit roten und grünen Buchstaben angeschrieben war, stand ein Brunnen- und Röhrentrog, und ein kleiner Koven an der Seite desselben zeigte in der nach außen befestigten Klappe des Futterkastens dann und wann den schmutzigen Rüssel eines seine Kartoffelschalen kauenden Schweines. Auch ein ordentlich gehaltenes Staket umgab das Haus wie den kleinen Hofraum, und die Wohnung stach sehr zu ihrem Vorteil gegen manche der Nachbarhäuser ab.

Im Inneren selber sah es ebenfalls sehr reinlich, aber nichtsdestoweniger sehr ärmlich aus. In der einen Ecke stand ein großer, viereckiger, sauber gescheuerter Tisch aus Tannenholz, an zweien der Wände waren Bänke aus dem nämlichen Material befestigt, und um den großen viereckigen Kachelofen, der fast den achten Teil der Stube einnahm, hingen verschiedene Kochgerätschaften, während auf darüber angebrachten Regalen die braunen Kaffeekannen und geblümten Tassen gewissermaßen mit als Zierrat zur Schau ausstanden. Die dritte Ecke füllte der Webstuhl des Mannes aus, und dem gegenüber stand eine riesengroße, braun angestrichene Kommode mit Messinghenkeln und Griffen und fünf Schiebladen, die, mit wirklich rührender Eitelkeit als eine Art von Nipptisch benutzt, zwei mit bunten Blumen bemalte Henkelgläser, eine vergoldete Tasse mit der Aufschrift ,Der guten Mutter’ – ein Geschenk aus früherer Zeit – und ein gelbirdenes, aber allerdings sehr wenig benutztes Tintenfaß trug, während dahinter, in zwei ordinären Stangengläsern, in dem einen Schilfblütenbüschel und in dem andern große, stattliche Ähren von Roggen, Weizen, Gerste und Hafer standen, zur Erinnerung an eine frühere segensreiche Ernte.

Die Bewohner der kleinen Stube paßten genau in ihre Umgebung. Es war eine nicht mehr ganz junge, aber doch rüstige Frau, in die nicht unschöne Bauerntracht der dortigen Gegend gekleidet, die an ihrem Spinnrad saß und eifrig das Rädchen schnurren ließ. Dabei berührte die rechte Hand manchmal eine neben ihr stehende Wiege, um den darin ruhenden kleinen Säugling, der immer wieder die großen, dunklen Augen zu ihr aufschlug, endlich in Schlaf zu bringen. Sie war reinlich, aber in die gröbsten Stoffe gekleidet, ebenso der Bube von etwa vier Jahren, der ihr zu Füßen mit einer Hand voll Steinchen auf dem über die Diele gestreuten Sand Schäfer und Schafe spielte.

Außerdem war noch eine vierte Person im Zimmer, die alte Mutter der Frau, eine Greisin von nahe an siebzig Jahren, die auch noch ihr Spinnrad drehte, sich aber mit demselben hinter den noch warmen Ofen gesetzt hatte, weil ihr das heutige naßkalte, unfreundliche Wetter fröstelnd durch die alten Glieder zog. Es war eine gutmütige, aber mürrische alte Frau, selten zufrieden mit dem, was sich ihr gerade bot, unermüdlich darin, sich und ihren Kindern die Last vorzuwerfen, die sie ihnen mache, und den lieben Gott täglich zu bitten, daß er sie doch bald zu sich nähme. Nur eine kleine, ganz kurze Frist erbat sie sich immer noch – dann wollte sie gern sterben. Erst, wie das Älteste geboren war, wollte sie das noch gern laufen sehen, dann hätte sie gern erlebt, wie es zum erstenmal in die Schule ging, dann war es Frühjahr geworden und sie hoffte nur noch einmal neue Kartoffeln zu essen, zu Jakobi aber wollte sie noch einmal von dem Pflaumenbaum die Früchte kosten, den ihr ,Seeliger’ noch gepflanzt. Wie der Herbst kam, wünschte sie im Frühjahr begraben zu werden, und die knospenden Maiblumen weckten den Wunsch nach den Astern, ihrer Lieblingsblume, von denen sie sich eigenhändig ein schmales Beet in dem kleinen Garten dicht am Hause gepflanzt. So lebt und webt die Hoffnung in unseren Herzen mit immer neuer, nie sterbender Kraft, und je älter wir werden, desto mehr lernen wir die schöne Erde lieb gewinnen, desto mehr klammern wir uns an sie und wollen uns gar nicht mehr von ihr trennen.

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