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Der Kunstreiter, 2. Band

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Der Kunstreiter, 2. Band
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»Wirt, mir noch einen Schnaps,« sagte Tobias, »der Waldläufer holt mir zu weit und moralisch aus.«

»Mir auch noch einen!« rief Mühler, den der Bursche mit seinem Ernst zu amüsieren anfing. Barthold nahm keine Notiz von der Unterbrechung.

»Siehst du,« fuhr er fort, »wenn du einen einzelnen Baum da draußen stehen siehst, so denkst du wohl – wenn du überhaupt je etwas dächtest – das sei ein lebloses, totes Ding, was da steht, und allerdings kann sich's nicht von der Stelle bewegen, es muß am Boden haften, wo unser Herrgott es hingepflanzt hat. Aber in ihm lebt's und wirkt und schafft und treibt und wächst, reckt die Arme nach dem Himmel empor, von dort her Licht und Regen zu saugen, und hält sich mit den Wurzeln derb im Boden fest, um vom Winde nur gerüttelt, aber nicht geworfen zu werden. Mehr im Leben tut auch nicht einmal der Mensch, nur auf ein wenig andere, sogar nicht immer so erfolgreiche Art. Der Baum ist aber nicht tot, er lebt – er lebt und atmet, wie ein jedes Tier, wenn sich ihm auch die Brust dabei nicht heben kann; aber durch seine Poren zieht der Lebenssaft, zieht Luft und Feuchtigkeit, was er zum Leben braucht, und wird ihm das genommen, muß er sterben. Nimm nur die Axt und hau' in einen Stamm hinein, und sieh, ob er nicht blutet, wenn auch sein Blut nicht rot aussieht wie das unsere. Langsam tropft es zu Boden, und wenn die Wunde ausgeblutet hat, vernarbt sie wieder, wie bei dem Menschen. Sieh nur einen gefällten Baum dir an, aber nicht, wie es die meisten Menschen tun, die bei einem solchen Baume immer gleich berechnen, wie viel Klaftern Scheite oder wie viel Ellen Nutzholz er geben kann. Sieh ihn an, wie er als Leiche daliegt, denn es gibt ebensogut Baum- wie Menschenleichen – sieh, wie die Rinde abstirbt, ihre gesunde, frische Farbe verliert und fahl und erdfarben wird, und die Blätter welken und dorren, die Zweige eintrocknen – und langsam geht er zur Erde zurück, von der er kam, wie der Mensch, anderen, seinesgleichen, Raum zu geben. Und das ist nur der einzelne Baum, nun aber seht die Masse, seht den Wald, wo einer dem andern die Hand hinüberreicht; seht ihn, wenn er sich abends die Sternendecke über den Kopf zieht und duftet und träumt, und leise rauschend der Atem des Herrn durch seine Wipfel fährt; seht ihn, wenn er morgens erwacht, mit rosig verklärtem Gesicht der Sonne entgegenlächelt, und all die tausend Sänger hegt und pflegt, die mit der Morgensonne dem Allerhalter ihre Danklieder entgegenwirbeln – seht ihn am Tage, wie er die Arme schützend über die Erde breitet, den heißen Sonnenstrahlen zu wehren, seine Quellen am liebsten Kinder, die Blumen, zu erreichen und auszutrocknen; seht ihn, wie ihm am Abend spät der helle Schweiß von der vielen Anstrengung an der Stirn steht und in Millionen Tropfen von den Blättern funkelt. Seht ihn im Sommer in seiner Kleiderpracht, im Winter, wenn er sich fest eingehüllt hat in seine warmen Schneetücher – seht ihn, wenn ihr wollt, aber er bleibt immer schön und groß und hehr, ein Tempel des Herrn, den er sich selber auferbaut.«

Barthold hätte sich für seine schwärmerischen Gedanken keine unglückseligeren und unpassenden Zuhörer wählen können, und wenn er ein Jahr danach gesucht hätte, als eben die beiden alten Burschen mit dem Wirt zu Kauf, der mit offenem Munde hinter ihm stand. Auf Tobias' Gesicht lag, solange der alte Mann sprach, ein breites Grinsen, und die rotgeränderten feuchten Augen zwinkerten nur manchmal mit einem verschmitzt sein sollenden Lächeln nach dem »Schwiegervater« hinüber. Mühler seinerseits saß mit fast bis in die Haare hinaufgezogenen Augenbrauen, die Stuhllehne zwischen den Knien und beide Ellbogen darauf gelehnt, dicht vor dem alten Forstwart, und über sein Gesicht zuckte und zerrte es dabei so wunderbar, daß Tobias zuletzt gar nicht mehr auf die Worte hörte, sondern nur ganz erstaunt in die wunderbar veränderliche Physiognomie des »Schwiegervaters« schaute.

»Bravo!« sagte dieser mit seiner heisern Stimme, als Barthold jetzt geendet und wie verklärt durch das Fenster nach seinem lieben Walde hinüberschaute, »bravo, alter Junge, vortrefflich – der Pastor hätt's nicht besser machen können! – Wirt, noch mehr Kümmel, für uns alle, nicht in so kleinen spitzen Gläsern, sondern die ganze Flasche, wir schenken uns selber ein und machen Kreidestriche.«

»Ich danke Ihnen,« sagte der Forstwart ruhig, »ich trinke höchstens morgens ein einziges Glas.«

»Auf einem Beine kann kein Mensch stehen!« rief Tobias.

»Gott sei Dank, daß ich den Branntwein noch nicht brauche, um darauf zu stehen,« meinte der alte Forstwart, »ein nüchterner Kopf und ein volles Herz ist mein Wahlspruch, und – andere Leute führen vielleicht besser, wenn es auch der ihrige wäre. Das aber ist anderer Leute Sache und geht mich nichts an – und nun guten Morgen mitsammen. Ich denke, Tobias, meine Rede hat mir bei dir nicht viel geholfen, und du wirst nach wie vor doch lieber in das Wirtshaus als in den Wald gehen. Du hast aber auch recht, du paßt nicht hinein, und ein Baum sähe gewiß nicht besser aus, wenn du darunter in seinem Schatten lägst. Gott zum Gruß – ich muß wieder hinaus!« Mit den Worten zahlte er dem Wirt sein Glas Branntwein und verließ, still wie er gekommen, die Stube.

»Bei dem rappelt's wohl?« lachte Mühler, als Barthold die Tür hinter sich zugezogen hatte.

»Ein bißchen, ja,« bestätigte der Wirt, »aber er ist ganz harmlos und tut keinem Menschen was. Nur im Walde darf man ihm nicht begegnen, und abends möchte ich da drin nicht um alles in der Welt mit ihm zusammenstoßen.«

»Beißt er?« meinte Mühler trocken.

»Nun, er beißt wohl gerade nicht,« erwiderte der Wirt, »aber daß er allerlei faule Kunststücke kann, ist gewiß. Hier spricht er immer vom lieben Gott, aber da draußen da schwatzt er mit den Bäumen und den Vögeln, ruft die wilden Tiere, sucht geheimnisvolle Wurzeln und treibt allerlei heidnischen Unsinn, wie es hier früher soll Sitte gewesen sein. Im Walde drin steht auch noch eine alte Eiche – kein Mensch weiß, wie alt sie ist – mit einem steinernen Altar darunter, auf dem in alten Zeiten die Heiden ihren Abgöttern Menschen geschlachtet haben. Dort ist er am liebsten, und da treibt er auch nicht selten um Mitternacht seinen Spuk mit bösen Geistern, was eigentlich gar nicht geduldet werden sollte.«

»Ach was!« sagte Tobias, der indessen mit Mühler wacker der Flasche zugesprochen hatte, »er schadet doch keinem Menschen damit, und wenn man ihn zufrieden läßt, ist er gut genug; nur manchmal ein bißchen grob.«

»Wie viel Uhr schlägt das?« sagte Mühler aufhorchend.

»Eben elf – Zeit genug zum Mittagessen.«

»Ja, aber ich muß fort,« meinte der Alte, »will meinen Jungen gleich aus der Schule mit nach Hause nehmen. – Hier, Wirt, meine Zeche, – zwei Glas Bier und ein, zwei, drei, vier, fünf, sechs, sieben Schnäpse – gerade sieben – seht Ihr, hier sind die Striche – famoses Zeug, der Kümmel – hahahaha, den alten Forstwart müssen wir uns einmal wieder hierher einladen; das ist ein kreuzkurioser Kerl. – Guten Morgen, Tobias, guten Morgen, Sternenwirt – der Kümmel soll leben!« Und seinen Hut gegen die Decke werfend, daß er ihm zurück gerade wieder auf den Kopf fiel, nickte er den beiden, darüber nicht wenig erstaunten Männern huldreich zu und verließ mit steifen Schritten die Wirtsstube.

14

Die Schule war gerade aus, und die Knaben und Mädchen, froh, der engen Stube entronnen zu sein, tummelten sich lustig draußen herum. In der Tür des Schulhauses aber stand der Lehrer und zog mit voller Brust, nach drei Stunden dunstiger, erdrückender Schulstubenatmosphäre, die kalte, frische Luft ein, die von dem See herüberstrich. Die Kleinen, die sich noch etwas im Zimmer aufgehalten hatten, drückten sich scheu und grüßend an ihm vorüber, bogen dann um die Ecke, warfen noch einen Blick zurück, ob er sie nicht mehr sehen könne, und sprangen dann jauchzend den Gefährten nach. Es war Samstag und heute nachmittag keine Schule weiter, und die kleinen Kerle wußten das zu würdigen und zu genießen.

Es ist aber doch die Frage, wer sich mehr darüber freute – der Lehrer oder die Schüler – wenn der erstere auch keine Luftsprünge machte, sondern ernst, mit dem bleichen, abgemagerten Gesicht nach den leichten Wolken hinaufschaute, die oben am Himmel ihre freie, luftige Bahn zogen. Auge und Atemzug drängte dem Weiten entgegen, und wie gern, wie froh wäre der Körper ihnen gefolgt! Der aber war gebannt, gefesselt an den engen Raum, an seine Klasse, an der Schüler Schar, und wenn er auch nur wenig, erstaunlich wenig Lohn dafür bekam, die wenigen Taler brauchte er eben zum Leben und konnte sie nicht entbehren: denn leben wollen wir ja alle, obgleich viele Leute das auch noch leben nennen, was eigentlich existieren heißt.

Heute war Samstagnachmittag, und anderthalb Tage – wenn auch nur kurze Wintertage – freie Zeit lag vor ihm, in denen er seine kranke Brust ausruhen konnte, um am nächsten Montag wieder einen neuen Anlauf zu nehmen, sie vollständig zu ruinieren. Und doch lächelte er, als sein Blick auf die sich von ihm forttummelnde kleine lustige Schar fiel, die, mit den Büchern unter dem Arm oder im Ränzel auf dem Rücken, keine Sorgen, keinen Kummer ahnten, wie viel das Schicksal auch vielleicht schon für sie bereit hielt. Er dachte der eigenen Jugendzeit, dachte der frohen Jahre, die auch er durchlebt, und seufzte nur eigentlich darüber, daß er an frohe Jahre stets so weit zurück denken mußte, wenn er sich ihrer freuen wollte.

Auch die Knechte kehrten von ihrer Arbeit heim, denn die Pferde mußten zwei Stunden Ruhe haben. Vom Gute waren drei Geschirre unten am See beschäftigt gewesen, bei dem jetzigen Frostwetter Schlamm herauszuschaffen und auf die Wiesen zu fahren. Die Geschirre hatten sie unten stehen lassen und ritten nun auf den Sattelpferden, die Handpferde führend, in den Hof zurück, quer über die gefrorene Wiese hinüber, den nächsten Weg einschlagend.

 

Auf der Straße kam die Erzieherin mit Josefine herunter; sie hatten einen kleinen Spaziergang gemacht, dem aus der Schule kommenden Karl entgegen zu gehen, und der Hauslehrer begleitete sie, um seinen Schüler gleich in Empfang zu nehmen. Karl hatte sich in der letzten Zeit besonders wild und ausgelassen gezeigt, und der Hauslehrer, ein junger Kandidat der Theologie, wußte aus eigener Erfahrung, wie es die jungen Burschen gerade an einem Samstagmittag gewöhnlich ausgelassen treiben; es war deshalb besser, ihm beizeiten einen Zügel anzulegen.

Der alte Mühler hatte seinen Neffen schon im Dorfe selber unter dem Schwarm der übrigen herausgelesen, sich aber keineswegs Mühe gegeben, den Uebermut der kleinen fröhlichen Bande zu zähmen. Selber äußerst guter Laune, stieß er, wie er mitten unter die Knaben kam, einen eigentümlich schrillen Schrei aus und sammelte dadurch im Nu den ganzen Schwarm um sich.

»Hallo, ihr Kerle!« rief er jetzt, »gebt Frieden, macht nicht einen solchen Heidenspektakel, daß man seine eigenen Worte nicht hören kann! Heda, was seid ihr für ungeschickte Jungen!« wandte er sich plötzlich an zwei, die übereinander wegzuspringen suchten, »kommt einmal her, so müßt ihr's machen!«

»Hurra, der Schwiegervater will springen!« riefen einige der größeren Jungen und drängten sich rasch herbei, und der alte Mühler machte in der Tat, von dem Branntwein aufgeregt, Anstalt, ihnen eine seiner Künste zum besten zu geben, als etwas anderes ihre Aufmerksamkeit plötzlich ablenkte.

»Dort! dort! da geht ein Pferd durch!« schrie der eine der Knaben, und als alle nach der angedeuteten Richtung blickten, sahen sie, wie eins der herrschaftlichen Pferde, das sich losgerissen hatte, in voller Flucht über die Wiese nach der Straße zu kam und quer darüber hin wollte.

»Nimm meinen Ranzen, Onkel!« schrie da Karl, der, ohne ein Wort weiter zu sagen, seinen Ranzen und seine Mütze zu Boden warf und, ehe nur jemand eine Ahnung hatte, was er wollte, dem durchgehenden Pferde entgegenflog.

»Karl! Teufelsjunge!« schrie der Alte hinter ihm drein, aber Karl hörte ihn schon nicht mehr. Mit einer Schnelle, die seine Mitschüler besonders in Erstaunen setzte, flog er mehr als er lief, über die hartgefrorene Straße hin, und traf gerade dort mit dem wenig seiner achtenden Pferde zusammen, als dieses über den Chausseegraben setzte. Im Nu aber war er an seiner Seite – die linke Hand krallte in seine Mähne, die rechte stemmte er gegen die Schulter des Tieres, und halb im Sprunge, halb von dem bäumenden Pferde emporgerissen, saß er schon auf dessen Rücken, wie es eben an der andern Seite wieder heraus über die Wiese setzte, um dem Walde zuzustürmen.

Der kleine wilde Reiter machte ihm aber bald begreiflich, daß es nicht länger sein eigener Herr sei, sondern folgen müsse, wohin er es lenkte. Kaum auf seinem Rücken, auf dem er sich vollkommen zu Hause fühlte, griff er, mit dem rechten Bein sich einklammernd, nach dem heruntergefallenen Zügel, brachte ihn dem Pferde über den Kopf und hatte es, ehe es kaum zweihundert Schritte weiter geflogen war, völlig wieder im Zaum und in seiner Gewalt. Zu gleicher Zeit spielte unter der Schuljugend ein anderes Intermezzo, das die kleine Schar kaum weniger belustigte und in Erstaunen setzte als der tollkühne Reitersprung ihres Kameraden.

Der alte Mühler nämlich hatte, statt Ranzen und Mütze seines Neffen aufzuheben, mit halb zusammengeducktem Körper, beide Hände auf die Kniee gestützt, den Kopf etwas zurückgebogen, die Augenbrauen bis in die Haare hineingezerrt, Mund und Augen weit geöffnet, ihm nachgeschaut. Kaum aber sah er, daß der Sprung gelungen war, sah, daß sein Karl sich »nicht blamiert hatte« – wie er ihm später gestand, daß er gefürchtet – sah ihn auf dem Rücken des Tieres, als er plötzlich ein lautes Hussa! ausstieß. Zu gleicher Zeit warf er seinen Hut in die Luft, sprang selber hoch in die Höhe, überschlug sich, zum unsagbaren Ergötzen der Umstehenden, in freier Luft, kam wieder auf die Füße, fing in demselben Moment den zurückfallenden Hut, ohne ihn mit den Händen zu berühren, auf der Stirn und stieß dabei ein wahrhaft diabolisches Gelächter aus.

Der Jubel der Schuljugend bei dem Luftsprunge des »Schwiegervaters« läßt sich eher denken als beschreiben. Ueberhaupt wurden ihnen hier zu viele der Genüsse auf einmal geboten, um nicht dabei über die Stränge zu schlagen. Samstagmittag, ein durchgehendes Pferd, das Kunststück des Kameraden, und nun hier gar der Luftsprung eines Mannes, der bis jetzt, als zum Gute gehörig, nur mit scheuen Blicken von ihnen betrachtet worden und in der Tat auch nur finster und grämlich zwischen ihnen aufgetreten war – das alles zusammen schien, wie gesagt, zu viel für sie.

Ein ähnliches Geschrei oder Geheul, wie es die Wilden in Amerika bei plötzlichen Ueberfällen ausstoßen, machte für einen Augenblick die Luft erzittern, und dann brach sich der Jubel der jugendlichen Bevölkerung in einer Unzahl von Purzelbäumen, wie anderen ländlich-gymnastischen Uebungen Bahn.

Aber auch der Erzieherin Josefinens war eine kleine, wenn auch nicht in Tätlichkeiten ausartende Ueberraschung vorbehalten. Wie nämlich das durchgehende Pferd, kaum zehn Schritt von ihnen entfernt, über die Straße setzte, und Karl vor ihren Augen auf dessen Rücken sprang, da faßte die Erzieherin erschreckt Josefinens Arm, sie zurück und einer möglichen Gefahr aus dem Wege zu ziehen. Josefine aber, sich rasch und erregt von ihr losmachend – denn die Szene hatte ebenfalls in ihrem kleinen Herzen all die früheren lustigen Ritte, das freie, herrliche Leben im Zirkus zurückgerufen – sagte lachend: »Ich fürchte mich nicht, Mademoiselle, wenn ich die langen, unbequemen Kleider nicht anhätte, könnte ich das auch!«

»Du?« rief Mademoiselle Adele erschreckt aus.

»Ich? gewiß. Ich reite so gut wie Charles, und das ist gar nichts, was er da macht. Er sitzt ja auf dem Pferde.«

Zum Glück für die Ordnung in Schildheim – denn wer weiß, wie weit der einmal losgelassene Uebermut der Knaben sowohl wie des Alten gegangen wäre! – erschien in diesem Augenblick eine Person auf dem Schauplatze, die den Lärm plötzlich verstummen machte. – Auf seinem Rappen sprengte Baron von Geyfeln, der am See heruntergeritten war, um zu sehen, wie weit die Knechte mit ihrer Arbeit gekommen wären, unten in den Schwarm hinein, und sein Anruf erschreckte und bändigte zugleich die Schuljugend, die den Baron, als oberste Herrschaft im Orte, mit ganz besonderem Respekt betrachtete.

Aber auch der alte Mühler geriet, wie er nur den Kopf nach dem Geräusche des herangaloppierenden Pferdes gedreht hatte, fast unwillkürlich wieder in seine gewöhnlich ernsthafte Verbissenheit hinein, hielt sich steif und aufrecht, rückte sich rasch den verkehrt sitzenden Hut zurecht und gab dem ihm nächsten Jungen, der von dem Gutsherrn noch nichts gesehen hatte und eben zu einem frischen Purzelbaume ausholte, eine so gutgemeinte Ohrfeige, daß er ihn stolpernd bis über den Weg hinüberschickte.

Georg sprach kein Wort, weder zu den Kindern noch zu seinem Schwiegervater. Nur einen einzigen finstern Blick warf er dem Alten zu, dann aber, wie er sich aus dem Menschengedränge frei sah, fühlte sein Pferd Sporen und Peitsche, und in gestreckter Karriere flog es die Straße hin, dem ahnungslos vor ihm hergaloppierenden Karl nach. Dessen Pferd, wie es die raschen Hufschläge hinter sich hörte, wollte allerdings jetzt ebenfalls in ein rascheres Tempo fallen, aber sein junger Reiter, der den Nachfolgenden erkannte, griff ihm erschreckt in die Zügel. Dem Rappen hätte er auch nicht entfliehen können. In kaum zwei Minuten hatte er ihn eingeholt, und während Georg, der das Kunststück des Knaben von dem Ufer des Sees aus mit angesehen, jetzt dunkelrot vor Zorn im Antlitz, dicht neben ihm sein Tier parierte, hieb er dem zusammenzuckenden Knaben mit voller Wucht die Peitsche über die Schultern, daß dieser mit einem Angst- und Schmerzensschrei seitwärts von seinem Pferde hinunterflog und, was er laufen konnte, quer hin über die Wiese floh.

Georg aber sah sich nicht weiter nach ihm um. Das davonsprengende Pferd rasch einholend und am Zügel fassend, führte er es langsam dem jetzt nicht mehr fernen Gute zu und überließ den anderen, ihm zu folgen.

Zu Hause angelangt, nahm indessen ein wirtschaftliches und noch dazu unangenehmes Geschäft Georgs Aufmerksamkeit gleich so in Anspruch, daß er eine Zeitlang im Hofe aufgehalten wurde.

Ein Knecht hatte nämlich Hafer veruntreut, denselben den Pferden entzogen und verkauft, der Verwalter ihn aber auf der Tat ertappt, und der Schuldige mußte verhört und bestraft werden. Georg war auch heute nicht in der Stimmung, ihm das Vergehen nachzusehen. Der Bursche wollte allerdings seine Tat erst noch ableugnen und dann wenigstens beschönigen, aber es half ihm nichts. Sein Lohn wurde ihm ausgezahlt und er in derselben Stunde mit seiner Kiste, die er auf dem Rücken nach Schildheim hinunter tragen mußte, vom Hofe fortgejagt.

Zum Mittagessen, das bald nachher aufgetragen wurde, kam die ganze Familie zusammen. Selbst Karl hatte sich wieder eingefunden, denn er wußte, daß er nicht fehlen durfte. Der alte Mühler war aber vollkommen nüchtern geworden und blieb sehr kleinlaut, und kein Wort wurde über dem Essen von den Vorgängen des heutigen Tages erwähnt.

Georginen konnte übrigens nicht entgehen, daß irgend etwas Außergewöhnliches vorgefallen sein müsse. Als sie ihren Gatten deshalb fragte, schützte dieser allerdings die Angelegenheit mit dem Knechte vor, aber sie ließ sich nicht durch solche Ausrede täuschen; denn wenn das ihn auch verstimmen konnte, hatte es den nämlichen Einfluß doch nicht auch zu gleicher Zeit auf ihren Vater, wie alle übrigen, die gar nicht damit in Verbindung standen, ausgeübt. Da Georg indessen selber nichts weiter darüber äußerte, so vermutete sie, daß er mit ihr allein davon reden wolle, und schwieg ebenfalls, und die Mahlzeit verlief düster und lautlos.

Nach Tische verließ Georg die Tafel, ohne ihr das geringste zu sagen. Er ging mit dem Verwalter in sein Zimmer, das im andern Flügel lag, ihm das Geld für die heutige Ablohnung der Tagelöhner zu überliefern, und der Hauslehrer zog sich ebenfalls zurück, um nach Tische ungestört seine Zigarre zu rauchen. Nur die Gouvernante blieb noch zurück, und diese entfernte Georgine bald mit einem Auftrage.

Als sie das Zimmer verlassen hatte, sah die Frau erst den Vater, dann Karl, der an den Nägeln kauend am Fenster stand, dann Josefinen an, und sagte endlich mit ernster, strenger Stimme, sich ihrer Herrschaft selbst über den Vater bewußt: »Was ist heute vorgefallen? – Ihr habt etwas, das ihr mir verbergt, und ich will es wissen. Was war es, Vater?«

»Nichts – Alfanzerei!« brummte dieser, indem er ebenfalls zum Fenster trat und an den Scheiben trommelte. »Der Junge da, der Karl, ist hinter einem durchgegangenen Pferde dreingesprungen, hat es eingefangen und ist damit fortgeritten, und er kam dazu und wurde böse darüber – das ist alles.«

»Und ich lasse mich nicht mehr mißhandeln!« knirschte jetzt Karl, der nur mit Mühe und Not die vorquellenden Tränen zurückhielt, in verbissener Wut. »Ich bin alt genug, mir mein Brot selber zu verdienen, und brauche mich nicht hier füttern und – peitschen zu lassen, wie einen Hund!«

»Er hat dich geschlagen?« fragte Georgine düster.

»Gepeitscht!« knirschte der Knabe zwischen den Zähnen, »gepeitscht vor der ganzen Schule! Ich bleibe nicht länger hier, denn ich weiß, wenn er es mir noch einmal täte, würde ich ihm mein Messer zwischen die Rippen rennen – dem…«

»Du bleibst,« sagte Georgine mit fester, entschiedener Stimme, »ich selber werde mit Georg reden.«

»Ich begreife gar nicht, warum Vater so böse darüber geworden ist,« meinte Josefine.

»Höre, Georgine,« sagte nach einigem Zögern der alte Mühler, der sich nicht ganz sicher wußte, ob Georg seinen eigenen Luftsprung gesehen hatte oder nicht, »laß das lieber bleiben.«

»Weshalb?«

»Du weißt, Georg ist heftig und…«

»Er hat kein Recht, den Knaben zu schlagen, weil er ein wild gewordenes Pferd einfängt.«

»Nun ja, die Sache war aber auch eigentlich ein bißchen anders. Karl ist auf das Pferd hinauf voltigiert, was ihm Georg streng verboten hatte. Dafür hat er ihm eins mit der Reitpeitsche aufgezählt, das war alles.«

»Alles? – aber ich bin kein Kind mehr und – kein Pferd,« rief Karl, nur noch mehr in seinem Trotze beharrend, da er Georginen auf seiner Seite fand.

»Aber du hattest unrecht,« sagte der Alte, »du weißt, du sollst keine Kunststücke mehr machen.«

»Und wer will es mir wehren?« rief der Knabe, »wenn mich der Mann als Kind Kunststücke machen ließ und mich besonders dazu anlernte, hat er kein Recht, es mir jetzt, da es ihm nicht mehr paßt, zu verwehren. Ich brauche ihn gar nicht, ich kann ohne ihn leben, und das verdammte Lernen habe ich ohnedies satt. Ich bringe nichts in den Kopf, und in der Schule lachen mich die kleinen Jungen aus, weil ich noch zwischen ihnen sitzen muß. Das tue ich auch nicht länger; ich laufe fort.«

 

»Du bist ein Esel!« sagte der Alte trocken, »wo willst du hin, he?«

»Ueberall hin, ich komme durch,« trotzte aber der Bursche. »Hol's der Böse, so ein Leben hier fortzuführen, halte ich doch nicht aus, und da war's in der freien Reitbahn zehntausend-, millionenmal besser. Ich komme durch.«

»Warte, bis ich mitlaufe,« brummte der Alte, »dann kannst du mit; jetzt aber geh zu deinem Herrn Doktor und lerne deine Geschichten, was du zu lernen hast; das ist gescheiter. Marsch auf mein Zimmer, ich komme selbst gleich nach – da kommt auch schon die Französin wieder. – Nun haltet das Maul, wenn ihr gescheit seid, und macht keinen Skandal aus der Sache, daß er nicht noch einmal böse darüber wird. Komm, Karl, heut abend lassen wir den Hanswurst wieder tanzen, wenn du brav bist.« Und mit diesen Worten den Knaben bei der Hand ergreifend, zog er ihn mit sich aus der Tür.

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