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Frau Bovary

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Dieses Signal gab Emma. Dreiviertel Stunden saß sie wartend am Fenster, da bemerkte sie mit einem Male den Geliebten an der Ecke der Hallen. Beinahe hätte sie das Fenster aufgerissen und ihn hergerufen. Aber schon war er wieder verschwunden; Verzweiflung überkam sie.

Bald darauf vernahm sie unten auf dem Bürgersteige Tritte. Das war er. Zweifellos! Sie eilte die Treppe hinunter und über den Hof. Rudolf war hinten im Garten. Sie fiel in seine Arme.

„Sei doch ein bißchen vorsichtiger!“ mahnte er.

„Ach, wenn du wüßtest!“ Und sie begann ihm den ganzen Vorfall zu erzählen, in aller Eile und ohne rechten Zusammenhang. Dabei übertrieb sie manches, dichtete etliches hinzu und machte eine solche Unmenge von Bemerkungen dazwischen, daß er nicht das mindeste von der ganzen Geschichte begriff.

„So beruhige dich nur, mein Schatz! Mut und Geduld!“

„Geduld? Seit vier Jahren hab ich die. Wie ich leide!“ erwiderte sie. „Eine Liebe wie die unsrige braucht das Tageslicht nicht zu scheuen! Man martert mich! Ich halte es nicht mehr aus! Rette mich!“

Sie schmiegte sich eng an ihn an. Ihre Augen, voll von Tränen, glänzten wie Lichter unter Wasser. Ihr Busen wogte ungestüm.

Rudolf war verliebter denn je. Einen Augenblick war er nicht der kühle Gedankenmensch, der er sonst immer war. Und so sagte er:

„Was soll ich tun? Was willst du?“

„Flieh mit mir!“ rief sie. „Weit weg von hier! Ach, ich bitte dich um alles in der Welt!“

Sie preßte sich an seinen Mund, als wolle sie ihm mit einem Kusse das Ja einhauchen und wieder heraussaugen.

„Aber …“

„Kein Aber, Rudolf!“

„… und dein Kind?“

Sie dachte ein paar Sekunden nach. Dann sagte sie:

„Das nehmen wir mit! Das ist ihm schon recht!“

„Ein Teufelsweib!“ dachte er bei sich, wie er ihr nachsah. Sie mußte ins Haus. Man hatte nach ihr gerufen.

Während der folgenden Tage war die alte Frau Bovary über das veränderte Wesen ihrer Schwiegertochter höchst verwundert. Wirklich, sie zeigte sich außerordentlich fügsam, ja ehrerbietig, und das ging so weit, daß Emma sie um ihr Rezept, Gurken einzulegen, bat.

Verstellte sie sich, um Mann und Schwiegermutter um so sicherer zu täuschen? Oder fand sie eine schmerzliche Wollust darin, noch einmal die volle Bitternis alles dessen durchzukosten, was sie im Stiche lassen wollte? Nein, das lag ihr durchaus nicht im Sinne. Der Gegenwart entrückt, lebte sie im Vorgeschmacke des kommenden Glückes. Davon schwärmte sie dem Geliebten immer und immer wieder vor. An seine Schulter gelehnt, flüsterte sie:

„Sag, wann werden wir endlich zusammen in der Postkutsche sitzen? Kannst du dir ausdenken, wie das dann sein wird? Mir ist es wie ein Traum! Ich glaube, in dem Augenblick, wo ich spüre, daß sich der Wagen in Bewegung setzt, werde ich das Gefühl haben, in einem Luftschiffe aufzusteigen, zur Reise in die Wolken hinein! Weißt du, ich zähle die Tage … Und du?“

Frau Bovary hatte nie so schön ausgesehen wie jetzt. Sie besaß eine unbeschreibliche Art von Schönheit, die aus Lebensfreude, Schwärmerei und Siegesgefühl zusammenströmt und das Symbol seelischer und körperlicher Harmonie ist. Ihre heimlichen Lüste, ihre Trübsal, ihre erweiterten Liebeskünste und ihre ewig jungen Träume hatten sich stetig entwickelt, just wie Dünger, Regen, Wind und Sonne eine Blume zur Entfaltung bringen, und nun erst erblühte ihre volle Eigenart. Ihre Lider waren wie ganz besonders dazu geschnitten, schmachtende Liebesblicke zu werfen; sie verschleierten ihre Augäpfel, während ihr Atem die feinlinigen Nasenflügel weitete und es leise um die Hügel der Mundwinkel zuckte, die im Sonnenlichte ein leichter schwarzer Flaum beschattete. Man war versucht zu sagen: ein Verführer und Künstler habe den Knoten ihres Haares über dem Nacken geordnet. Er sah aus wie eine schwere Welle, und doch war er nur lose und lässig geschlungen, weil er im Spiel des Ehebruchs Tag für Tag aufgenestelt ward. Emmas Stimme war weicher und graziöser geworden, ähnlich wie ihre Gestalt. Etwas unsagbar Zartes, Bezauberndes strömte aus jeder Falte ihrer Kleider und aus dem Rhythmus ihres Ganges. Wie in den Flitterwochen erschien sie ihrem Manne entzückend und ganz unwiderstehlich.

Wenn er nachts spät nach Hause kam, wagte er sie nicht zu wecken. Das in seiner Porzellanschale schwimmende Nachtlicht warf tanzende Kringel an die Decke. Am Bett leuchtete im Halbdunkel wie ein weißes Zelt die Wiege mit ihren zugezogenen bauschigen Vorhängen. Karl betrachtete sie und glaubte die leisen Atemzüge seines Kindes zu hören. Es wuchs sichtlich heran, jeder Monat brachte es vorwärts. Im Geiste sah er es bereits abends aus der Schule heimkehren, froh und munter, Tintenflecke am Kleid, die Schultasche am Arm. Dann mußte das Mädel in eine Pension kommen. Das würde viel Geld kosten. Wie sollte das geschafft werden? Er sann nach. Wie wäre es, wenn man in der Umgegend ein kleines Gut pachtete? Alle Morgen, ehe er seine Kranken besuchte, würde er hinreiten und das Nötige anordnen. Der Ertrag käme auf die Sparkasse, später könnten ja irgendwelche Papiere dafür gekauft werden. Inzwischen erweiterte sich auch seine Praxis. Damit rechnete er, denn sein Töchterchen sollte gut erzogen werden, sie sollte etwas Ordentliches lernen, auch Klavier spielen. Und hübsch würde sie sein, die dann Fünfzehnjährige! Ein Ebenbild ihrer Mutter! Ganz wie sie müßte sie im Sommer einen großen runden Strohhut tragen. Dann würden die beiden von weitem für zwei Schwestern gehalten. Er stellte sich sein Töchterchen in Gedanken vor: abends, beim Lampenlicht, am Tisch arbeitend, bei Vater und Mutter, Pantoffeln für ihn stickend. Und in der Wirtschaft würde sie helfen und das ganze Haus mit Lachen und Frohsinn erfüllen. Und weiter dachte er an ihre Versorgung. Es würde sich schon irgendein braver junger Mann in guten Verhältnissen finden und sie glücklich machen. Und so bliebe es dann immerdar …

Emma schlief gar nicht. Sie stellte sich nur schlafend, und während ihr Gatte ihr zur Seite zur Ruhe ging, hing sie fernen Träumereien nach.

Seit acht Tagen sah sie sich, von vier flotten Rossen entführt, auf der Reise nach einem andern Lande, aus dem sie nie wieder zurückzukehren brauchte. Sie und der Geliebte fuhren und fuhren dahin, Hand in Hand, still und schweigsam. Zuweilen schauten sie plötzlich von Bergeshöh auf irgendwelche mächtige Stadt hinab, mit ihrem Dom, ihren Brücken, Schiffen, Limonenhainen und weißen Marmorkirchen mit spitzen Türmen. Zu Fuß wanderten sie dann durch die Straßen. Frauen in roten Miedern boten ihnen Blumensträuße an. Glocken läuteten, Maulesel schrien, und dazwischen girrten Gitarren und rauschten Fontänen, deren kühler Wasserstaub auf Haufen von Früchten herabsprühte. Sie lagen zu Pyramiden aufgeschichtet da, zu Füßen bleicher Bildsäulen, die unter dem Sprühregen lächelten. Und eines Abends erreichten sie ein Fischerdorf, wo braune Netze im Winde trockneten, am Strand und zwischen den Hütten. Dort wollte sie bleiben und immerdar wohnen, in einem kleinen Hause mit flachem Dache, im Schatten hoher Zypressen, an einer Bucht des Meeres. Sie fuhren in Gondeln und träumten in Hängematten. Das Leben war ihnen so leicht und weit wie ihre seidenen Gewänder, und so warm und sternbesät wie die süßen Nächte, die sie schauernd genossen … Das war ein unermeßlicher Zukunftstraum; aber bis in die Einzelheiten dachte sie ihn nicht aus. Ein Tag glich dem andern, wie im Meer eine Woge der andern gleicht, an Pracht und Herrlichkeit. Und diese Wogen fluteten fernhin bis in den Horizont, endlos, in leiser Bewegung, stahlblau und sonnenbeglänzt …

Das Kind in der Wiege begann zu husten, und Bovary schnarchte laut. Emma schlief erst gegen Morgen ein, als das weiße Dämmerlicht an den Scheiben stand und Justin drüben die Läden der Apotheke öffnete.

Emma hatte Lheureux kommen lassen und ihm gesagt:

„Ich brauche einen Mantel, einen großen gefütterten Reisemantel mit einem breiten Kragen.“

„Sie wollen verreisen?“ fragte der Händler.

„Nein, aber … das ist ja gleichgültig! Ich kann mich auf Sie verlassen? Nicht wahr? Und recht bald!“

Lheureux machte einen Kratzfuß.

„Und dann brauche ich noch einen Koffer … keinen zu schweren … einen handlichen …“

„Schön! Schön! Ich weiß schon: zweiundneunzig zu fünfzig! Wie man sie jetzt meist hat!“

„Und eine Handtasche für das Nachtzeug!“

„Aha,“ dachte der Händler, „sie hat sicher Krakeel gehabt!“

„Da!“ sagte Frau Bovary, indem sie ihre Taschenuhr aus dem Gürtel nestelte. „Nehmen Sie das! Machen Sie sich damit bezahlt!“

Aber Lheureux sträubte sich dagegen. Das ginge nicht. Sie wäre doch eine so gute Kundin. Ob sie kein Vertrauen zu ihm habe? Was solle denn das? Doch sie bestand darauf, daß er wenigstens die Kette nähme.

Er hatte sie bereits eingesackt und war schon draußen, da rief ihn Emma zurück.

„Behalten Sie das Bestellte vorläufig bei sich! Und den Mantel …“ sie tat so, als ob sie sichs überlegte „… den bringen Sie auch nicht erst … oder noch besser: geben Sie mir die Adresse des Schneiders und sagen Sie ihm, der Mantel soll bei ihm zum Abholen bereitliegen.“

Die Flucht sollte im kommenden Monat erfolgen. Emma sollte Yonville unter dem Vorwande verlassen, in Rouen Besorgungen zu machen. Rudolf sollte dort schon vorher die Plätze in der Post bestellen, Pässe besorgen und nach Paris schreiben, damit das Gepäck gleich direkt bis Marseille befördert würde. In Marseille wollten sie sich eine Kalesche kaufen, und dann sollte die Reise ohne Aufenthalt weiter nach Genua gehen. Emmas Gepäck sollte Lheureux mit der Post wegbringen, ohne daß irgendwer Verdacht schöpfte. Bei allen diesen Vorbereitungen war von ihrem Kinde niemals die Rede. Rudolf vermied es, davon zu sprechen. „Sie denkt vielleicht nicht mehr daran“, sagte er sich.

Er erbat sich zunächst zwei Wochen Frist, um seine Angelegenheiten zu ordnen; nach weiteren acht Tagen forderte er nochmals zwei Wochen Zeit. Hernach wurde er angeblich krank, sodann mußte er eine Reise machen. So verging der August, bis sie sich nach allen diesen Verzögerungen schließlich „unwiderruflich“ auf Montag den 4. September einigten.

 

Am Sonnabend vorher stellte sich Rudolf zeitiger denn gewöhnlich ein.

„Ist alles bereit?“ fragte sie ihn.

„Ja.“

Sie machten einen Rundgang um die Beete und setzten sich dann auf den Rand der Gartenmauer.

„Du bist verstimmt?“ fragte Emma.

„Nein. Warum auch?“

Dabei sah er sie mit einem sonderbaren zärtlichen Blick an.

„Vielleicht weil es nun fortgeht?“ fragte sie. „Weil du Dinge, die dir lieb sind, verlassen sollst, dein ganzes jetziges Leben? Ich verstehe das wohl, wenn ich selber auch nichts derlei auf der Welt habe. Du bist mein alles! Und ebenso möchte ich dir alles sein, Familie und Vaterland. Ich will dich hegen und pflegen. Und dich lieben!“

„Wie lieb du bist!“ sagte er und zog sie an sein Herz.

„Wirklich?“ fragte sie in lachender Wollust. „Du liebst mich? Schwöre mirs!“

„Ob ich dich liebe! Ob ich dich liebe! Ich bete dich an, Liebste!“

Der Vollmond ging purpurrot auf, drüben über der Linie des flachen Horizonts, wie mitten in den Wiesen. Rasch stieg er hoch, und schon stand er hinter den Pappeln und schimmerte durch ihre Zweige, versteckt wie hinter einem löchrigen, schwarzen Vorhang. Und bald erschien er glänzend-weiß im klaren Raume des weiten Himmels. Er ward immer silberner, und nun rieselte seine Lichtflut auch unten im Bache über den Wellen in zahllosen funkelnden Sternen, wie ein Strom geschmolzener Diamanten. Ringsum leuchtete die laue lichte Sommernacht. Nur in den Wipfeln hingen dunkle Schatten.

Mit halbgeschlossenen Augen atmete Emma in tiefen Zügen den kühlen Nachtwind ein. Sie sprachen beide nicht, ganz versunken und verloren in ihre Gedanken. Die Zärtlichkeit vergangener Tage ergriff von neuem ihre Herzen, unerschöpflich und schweigsam wie der dahinfließende Bach, lind und leise wie der Fliederduft. Die Erinnerung an das Einst war von Schatten durchwirkt, die verschwommener und wehmütiger waren als die der unbeweglichen Weiden, deren Umrisse aus den Gräsern wuchsen. Zuweilen raschelte auf seiner nächtlichen Jagd ein Tier durchs Gesträuch, ein Igel oder ein Wiesel, oder man hörte, wie ein reifer Pfirsich von selber zur Erde fiel.

„Was für eine wunderbare Nacht!“ sagte Rudolf.

„Wir werden noch schönere erleben!“ erwiderte Emma. Und wie zu sich selbst fuhr sie fort: „Ach, wie herrlich wird unsere Reise werden … Aber warum ist mir das Herz so schwer? Warum wohl? Ist es die Angst vor dem Unbekannten … oder die Scheu, das Gewohnte zu verlassen … oder was ists? Ach, es ist das Übermaß von Glück! Ich bin zaghaft, nicht? Verzeih mir!“

„Noch ist es Zeit!“ rief er aus. „Überleg dirs! Wird es dich auch niemals reuen?“

„Niemals!“ beteuerte sie leidenschaftlich.

Sie schmiegte sich an ihn.

„Was könnte mir denn Schlimmes bevorstehen! Es gibt keine Wüste, kein Weltmeer, die ich mit dir zusammen nicht durchqueren würde! Je länger wir zusammen leben werden, um so inniger und vollkommener werden wir uns lieben! Keine Sorge, kein Hindernis wird uns mehr quälen! Wir werden allein sein und eins immerdar … Sprich doch! Antworte mir!“

Er antwortete wie ein Uhrwerk in gleichen Zwischenräumen:

„Ja … ja … ja!“

Sie strich mit den Händen durch sein Haar und flüsterte wie ein kleines Kind unter großen rollenden Tränen immer wieder:

„Rudolf … Rudolf … ach, Rudolf … mein lieber guter Rudolf …“

Es schlug Mitternacht.

„Mitternacht!“ sagte sie. „Nun heißt es: morgen! Nur noch ein Tag!“

Er stand auf und schickte sich an zu gehen. Und als ob diese Gebärde ein Symbol ihrer Flucht sei, wurde Emma mit einem Male fröhlich.

„Hast du die Pässe?“ fragte sie.

„Ja.“

„Hast du nichts vergessen?“

„Nein.“

„Weißt du das genau?“

„Ganz genau!“

„Nicht wahr, du erwartest mich im Provencer Hof? Mittags?“

Er nickte.

„Also morgen auf Wiedersehen!“ sagte Emma mit einem letzten Kusse.

Er ging, und sie sah ihm nach.

Er blickte sich nicht um. Da lief sie ihm nach bis an den Bachrand und rief durch die Weiden hindurch:

„Auf morgen!“

Er war schon drüben auf dem andern Ufer und eilte den Pfad durch die Wiesen hin. Nach einer Weile blieb er stehen. Als er sah, wie ihr weißes Kleid allmählich im Schatten verschwand wie eine Vision, da bekam er so heftiges Herzklopfen, daß er sich gegen einen Baum lehnen mußte, um nicht umzusinken.

„Ich bin kein Mann!“ rief er aus. „Hol mich der Teufel! Ein hübsches Weib wars doch!“

Emmas Reize und all die Freuden der Liebschaft mit ihr lockten ihn noch einmal. Er ward weich. Dann aber empörte er sich gegen diese Rührung.

„Nein, nein! Ich kann Haus und Hof nicht verlassen!“

Er gestikulierte heftig.

„Und dann das lästige Kind … die Scherereien … die Kosten!“

Er zählte sich das alles auf, um sich stark zu machen.

„Nein, nein! Tausendmal nein! Es wäre eine Riesentorheit!“

Dreizehntes Kapitel

Kaum auf seinem Gute angekommen, setzte sich Rudolf eiligst an den Schreibtisch, über dem an der Wand ein Hirschgeweih, eine Jagdtrophäe, hing. Aber sowie er die Feder in der Hand hatte, wußte er nicht, was er schreiben sollte. Den Kopf zwischen beide Hände gestützt, begann er nachzudenken. Emma war ihm in weite Ferne entrückt. Der bloße Entschluß, mit ihr zu brechen, hatte sie ihm mit einem Male ungeheuerlich entfremdet.

Um sie greifbarer vor sich zu haben, suchte er aus dem Schranke, der am Kopfende seines Bettes stand, eine alte Blechschachtel hervor, in der ursprünglich einmal Kakes drin gewesen waren und in der er seine „Weiberbriefe“ aufbewahrte. Geruch von Moder und vertrockneten Rosen drang ihm entgegen. Zu oberst lag ein Taschentuch, verblaßte Blutflecken darauf. Es war von Emma; auf einem ihrer gemeinsamen Spaziergänge hatte sie einmal Nasenbluten bekommen. Jetzt fiel es ihm wieder ein. Daneben lag ein Bild von ihr, das sie ihm geschenkt hatte. Alle vier Ecken daran waren abgestoßen. Das Kleid, das sie auf diesem Bilde anhatte, kam ihm theatralisch vor und ihr himmelnder Blick jämmerlich. Wie er sich ihr Konterfei so betrachtete und sich das Urbild in die Phantasie zurückzurufen suchte, verschwammen Emmas Züge in seinem Gedächtnisse, gleichsam als ob sich die noch lebende Erinnerung und das gemalte Bildchen gegenseitig befehdeten und eins das andre vernichtete.

Nun fing er an, in ihren Briefen zu lesen. Die aus der letzten Zeit wimmelten von Anspielungen auf die Reise; sie waren kurz, sachlich und in Eile hingeschrieben, wie Geschäftsbriefe. Er suchte nach den langen Briefen von einst. Da sie zu unterst lagen, mußte er den ganzen Kasten durchwühlen. Aus dem Wust von Papieren und kleinen Gegenständen zog er mechanisch welke Blumen, ein Strumpfband, eine schwarze Maske, Haarnadeln und Locken heraus. Braune und blonde Locken. Ein paar Haare davon hatten sich ins Scharnier gezwängt und rissen nun beim Herausnehmen …

Mit allen diesen Andenken vertrödelte er eine Weile. Er stellte seine Betrachtungen über die verschiedenen Handschriften an, über den Stil in den einzelnen Briefbündeln, über die nicht minder variierende Rechtschreibung darin. Die einen hatten zärtlich geschrieben, andre lustig, witzig oder rührselig. Die wollten Liebe, jene Geld. Zuweilen erinnerte sich Rudolf bei einem bestimmten Worte an Gesichter, an gewisse Gesten, an den Klang einer Stimme. Manche wiederum beschworen nicht die geringste Erinnerung herauf.

Alle diese Frauen kamen ihm jetzt alle auf einmal in den Sinn. Jede war eine Feindin der andern. Alle zogen sie sich gegenseitig in den Schmutz. Etwas Gemeinsames – die Liebe – stellte sie allesamt auf ein und dasselbe Niveau.

Wahllos nahm er einen Stoß Briefe in die Finger, bildete eine Art Fächer daraus und spielte damit. Schließlich aber warf er sie, halb gelangweilt, halb verträumt, wieder in den Kasten und stellte diesen in den Schrank zurück.

„Lauter Blödsinn!“

Das war der Extrakt seiner Lebensweisheit. Sein Herz war wie ein Schulhof, auf dem die Kinder so erbarmungslos herumgetrampelt waren, daß kein grüner Halm mehr sproß. Die Freuden des Daseins hatten noch gründlicher gewirtschaftet. Die Schüler kritzeln ihre Namen an die Mauern. In Rudolfs Herz war keiner zu lesen.

„Nun aber los!“ rief er sich zu.

Er begann zu schreiben:

„Liebe Emma!

Sei tapfer! Ich will Dir Deine Existenz nicht zertrümmern …“

„Eigentlich sehr richtig!“ dachte er bei sich. „Das ist nur in ihrem Interesse. Also durchaus anständig von mir …“

„… Hast Du Dir Deinen Entschluß wirklich reiflich überlegt? Hast Du aber auch den Abgrund bemerkt, armes Lieb, in den ich Dich beinahe schon geführt hätte? Wohl nicht! Du folgst mir tollkühn und zuversichtlich, im festen Glauben an das Glück, an die Zukunft! Ach, wie unglücklich sind wir! Und wie verblendet waren wir!“

Rudolf hörte zu schreiben auf. Er suchte nach guten Ausflüchten. „Wenn ich ihr nun sagte, ich hätte mein Vermögen verloren? Ach, nein, lieber nicht! Übrigens nützte das nichts. Die Geschichte ging dann doch wieder von neuem los. Es ist, weiß Gott, verdammt schwer, so eine Frau wieder vernünftig zu machen!“

Er sann nach, dann schrieb er weiter:

„Ich werde Dich niemals vergessen. Glaube mir das! Mein ganzes Leben lang werde ich in inniger Verehrung Deiner gedenken. So aber hätte sich unsre Leidenschaft (das ist nun einmal das Schicksal alles Menschlichen!) eines Tages, früher oder später, doch verflüchtet. Zweifellos! Wir wären ihrer müde geworden, und wer weiß, ob mir nicht der gräßliche Schmerz beschieden gewesen wäre, Deine Reue zu erleben und selber welche zu empfinden als Veranlasser der Deinigen? Die bloße Vorstellung, Dir dieses Leid verursachen zu können, martert mich. Liebste Emma, vergiß mich! Wir hätten uns nie kennen lernen sollen! Warum bist Du so schön! Bin ich der Schuldige? Bei Gott, nein, nein! Wir müssen das Schicksal anklagen …“

„Dieses Wort machte immer Eindruck“, sagte er zu sich.

„Ja, wenn Du eine leichtsinnige Frau wärst, wie es ihrer so viele gibt, ja dann hätte ich den Versuch wagen können, aus Egoismus, ohne Gefahr für Dich. Aber bei Deiner köstlichen schwärmerischen Art, dem Quell Deines Reizes und zugleich Deines vielen Kummers, bist Du nicht imstande, Du Beste aller Frauen, die Kehrseite unsrer zukünftigen Stellung in der Welt vorauszusehen. Auch ich habe zunächst gar nicht daran gedacht, habe mich in unserm Höhenglücke behaglich gesonnt, mich in ein Märchenland geträumt und mich um keine Folgen gekümmert …“

„Vielleicht glaubt sie, ich zöge mich aus Geiz zurück … Auch egal! Desto besser! Wenns nur Schluß wird!“

„… Die Welt ist grausam, geliebte Emma. Man hätte uns überall, wohin wir gekommen wären, Schwierigkeiten bereitet. Du hättest unverschämte Fragen, Verleumdungen, Schmähungen und vielleicht Beleidigungen über Dich ergehen lassen müssen. Beleidigungen, Du! Und ich wollte Dich zu meiner Königin erheben. Du solltest mein Heiligstes sein. Nun bestrafe ich mich mit der Verbannung, weil ich Dir so viel Schlimmes angetan habe. Ich gehe fort. Wohin? Ach, ich weiß es nicht, ich bin wahnsinnig!

Lebwohl! Bleib immer gut! Und vergiß den Unglücklichen nicht ganz, der Dich verloren hat! Lehre Deine Kleine meinen Namen, damit sie mich in ihre Gebete einschließt!“

Die Lichter der beiden Kerzen flackerten unruhig. Rudolf stand vom Schreibtisch auf und schloß das Fenster.

„So! Ich denke, das genügt! Halt! Noch etwas! Auf keinen Fall eine Aussprache!“

Er setzte sich wieder hin und schrieb weiter:

„Wenn Du diese betrübten Zeilen lesen wirst, bin ich schon weit weg, denn ich muß eilends fliehen, um der Versuchung zu entrinnen, Dich wiedersehen zu wollen. Ich darf nicht schwach werden! Wenn ich wiederkomme, dann werden wir vielleicht miteinander von unsrer verlorenen Liebe reden, kühl und vernünftig. Adieu!“

Er setzte noch ein „A dieu!“ darunter, in zwei Worten geschrieben. Das hielt er für sehr geschmackvoll.

„Wie soll ich nun unterzeichnen?“ fragte er sich. „Dein ergebenster? Nein! Dein treuer Freund? Ja, ja! Machen wir!“

Und er schrieb:

„Dein treuer Freund

R.“

Er las den ganzen Brief noch einmal durch. Er gefiel ihm.

„Armes Frauchen!“ dachte er in einem Anflug von Rührseligkeit. „Sie wird denken, ich sei gefühllos wie Stein. Eigentlich fehlen ein paar Tränenspuren. Aber heulen kann ich nicht. Das ist mein Fehler.“

Er goß etwas Wasser aus der Flasche in ein Glas, tauchte einen Finger hinein, hielt die Hand hoch und ließ einen großen Tropfen auf den Briefbogen herabfallen. Die Tinte der Schrift färbte ihn blaßblau. Um den Brief zu versiegeln, suchte er nun nach einem Petschaft. Das mit dem Wahlspruch Amor nel Cor geriet ihm in die Hand.

 

„Paßt eigentlich nicht gerade!“ dachte er. „Ach was! Tut nichts!“

Er rauchte noch drei Pfeifen und ging dann schlafen.

Es war spät geworden. Am andern Tage stand er mittags gegen zwei Uhr auf. Alsbald ließ er ein Körbchen Aprikosen pflücken, legte den Brief unter die Weinblätter am Boden und befahl Gerhard, seinem Kutscher, den Korb unverzüglich Frau Bovary zu bringen. Auf diese Art hatte er Emma häufig Nachrichten zukommen lassen, je nach der Jahreszeit, zusammen mit Früchten oder Wild.

„Wenn sie sich nach mir erkundigt,“ instruierte er, „dann antwortest du, ich sei verreist! Den Korb gibst du ihr persönlich in die Hände! Verstanden? So! Ab!“

Gerhard zog seine neue Bluse an, knüpfte sein Taschentuch über die Aprikosen und marschierte in seinen Nagelschuhen mit schwerfälligen Schritten voller Gemütsruhe gen Yonville.

Als der Kutscher dort ankam, war Frau Bovary gerade damit beschäftigt, auf dem Küchentische zusammen mit Felicie Wäsche zu falten.

„Eine schöne Empfehlung von meinem Herrn,“ vermeldete er, „und das schickt er hier!“

Emma überkam eine bange Ahnung, und während sie in ihrer Schürzentasche nach einem Geldstücke zum Trinkgeld suchte, sah sie den Mann mit verstörtem Blick an. Der betrachtete sie verwundert; er begriff nicht, daß ein solches Geschenk jemanden so sehr aufregen könne. Dann ging er.

Felicie war noch da. Emma hielt es nicht länger aus, sie eilte in das Eßzimmer, indem sie sagte, sie wolle die Aprikosen dahin tragen. Dort schüttete sie den Korb aus, nahm die Weinblätter heraus und fand den Brief. Sie öffnete ihn und floh hinauf nach ihrem Zimmer, als brenne es hinter ihr. Sie war fassungslos vor Angst.

Karl war auf dem Flur. Sie sah ihn. Er sagte etwas zu ihr. Sie verstand es nicht. Nun lief sie hastig noch eine Treppe höher, außer Atem, wie vor den Kopf geschlagen, halbverrückt, immer den unseligen Brief fest in der Hand, der ihr zwischen den Fingern knisterte. Im zweiten Stock blieb sie vor der geschlossenen Bodentüre stehen.

Sie wollte sich beruhigen. Der Brief kam ihr nicht aus dem Sinn. Sie wollte ihn ordentlich lesen, aber sie wagte es nicht. Nirgends war sie ungestört.

„Ja, hier gehts!“ sagte sie sich. Sie klinkte die Tür auf und trat in die Bodenkammer.

Unter den Schieferplatten des Daches brütete dumpfe Schwüle, die ihr auf die Schläfen drückte und den Atem benahm. Sie schleppte sich bis zu dem großen Bodenfenster und stieß den Holzladen auf. Grelles Licht flutete ihr entgegen.

Vor ihr, über den Dächern, breitete sich das Land bis in die Fernen. Unter ihr der Markt war menschenleer. Die Steine des Fußsteigs glänzten. Die Wetterfahnen der Häuser standen unbeweglich. Aus dem Eckhause schräg gegenüber, aus einem der Dachfenster drang ein schnarrendes, kreischendes Geräusch herauf. Binet saß an seiner Drehbank.

Emma lehnte sich an das Fensterkreuz und las den Brief mit zornverzerrtem Gesicht immer wieder von neuem. Aber je gründlicher sie ihn studierte, um so wirrer wurden ihre Gedanken. Im Geist sah sie den Geliebten, hörte ihn reden, zog ihn leidenschaftlich an sich. Das Herz schlug ihr in der Brust wie mit wuchtigen Hammerschlägen, die immer rascher und unregelmäßiger wurden. Ihre Augen irrten im Kreise. Sie fühlte den Wunsch in sich, daß die ganze Welt zusammenstürze. Wozu weiterleben? Wer hinderte sie, ein Ende zu machen, sie, die Vogelfreie?

Sie bog sich weit aus dem Fenster heraus und starrte hinab auf das Straßenpflaster.

„Mut! Mut!“ rief sie sich zu.

Das leuchtende Pflaster da unten zog die Last ihres Körpers förmlich in die Tiefe. Sie hatte die Empfindung, als bewege sich die Fläche des Marktplatzes und hebe sich an den Häusermauern empor zu ihr. Und die Diele, auf der sie stand, begann zu schwanken wie das Deck eines Seeschiffes … Sie lehnte sich noch weiter zum Fenster hinaus. Schon hing sie beinahe im freien Raume. Der weite blaue Himmel umgab sie, und die Luft strich ihr um den wie hohlen Kopf. Sie brauchte nur noch sich nicht mehr festzuhalten, nur noch die Hände loszulassen … Ohne Unterlaß summte unten die Drehbank wie die rufende Stimme eines bösen Geistes …

In diesem Moment rief Karl:

„Emma! Emma!“

Da kam sie wieder zur Besinnung.

„Wo steckst du denn? Komm doch!“

Der Gedanke, daß sie soeben dem Tode entronnen war, erfüllte sie mit Schrecken und Grauen. Sie schloß die Augen. Zusammenfahrend fühlte sie sich von jemandem am Arm gefaßt: es war Felicie.

„Gnädige Frau, die Suppe ist angerichtet. Herr Bovary wartet.“

Sie mußte hinunter, mußte sich mit zu Tisch setzen.

Sie versuchte zu essen, aber sie brachte nicht einen Bissen hinunter. Sie faltete ihre Serviette auseinander, als ob sie sich die ausgebesserten Stellen genau ansehen wollte, und wirklich tat sie das und begann die Fäden des Gewebes zu zählen … Plötzlich fiel ihr der Brief wieder ein. Hatte sie ihn oben fallen lassen? Wohin war er? Aber ihr Geist war zu matt, als daß sie imstande gewesen wäre, einen Vorwand zu ersinnen, um bei Tisch aufstehen zu können. Sie war feig geworden. Sie hatte Furcht vor Karl. Sicherlich wußte er nun alles, sicherlich! Und wahrhaftig, da sagte er mit eigentümlicher Betonung:

„Rudolf werden wir wohl nicht sobald wieder zu sehen kriegen?“

„Wer hat dir das gesagt?“ fragte sie zitternd.

„Wer mir das gesagt hat?“ wiederholte er, ein wenig betroffen von dem harten Klang ihrer Frage. „Na, sein Kutscher, dem ich vorhin vor dem Cafe Français begegnet bin. Boulanger ist verreist, oder er steht im Begriff zu verreisen …“

Emma schluchzte laut auf.

„Wundert dich das?“ fuhr er fort. „Er verdrückt sich doch immer mal von Zeit zu Zeit so. Um sich zu zerstreuen. Kanns ihm nicht verdenken. Wenn man das nötige Geld dazu hat und Junggeselle ist … Übrigens ist unser Freund ein Lebenskünstler! Ein alter Schäker! Langlois hat mir erzählt …“

Er verstummte, aus Anstand, weil das Dienstmädchen gerade hereinkam. Sie legte die Aprikosen wieder ordentlich in das Körbchen, das auf der Kredenz stand. Karl ließ es sich auf den Tisch bringen, ohne zu bemerken, daß seine Frau rot wurde. Er nahm eine der Früchte und biß hinein.

„Ah!“ machte er. „Vorzüglich! Koste mal!“

Er schob ihr das Körbchen zu. Sie wehrte leicht ab.

„So riech doch wenigstens! Das ist ein Duft!“

Er hielt ihr eine Aprikose links und rechts an die Nase.

„Ich bekomm keine Luft!“ rief sie und sprang auf. Aber schnell beherrschte sie sich wieder, mit Aufgebot aller ihrer Kraft. „Es war nichts! Gar nichts! Wieder meine Nerven! Setz dich nur wieder hin und iß!“

Sie fürchtete, er könne sie ausfragen, um sie besorgt sein und sie dann nicht allein lassen. Karl gehorchte ihr und setzte sich wieder. Er spuckte die Aprikosenkerne immer erst in die Hand und legte sie dann auf seinen Teller.

Da fuhr draußen ein blauer Dogcart im flotten Trabe über den Markt. Emma stieß einen Schrei aus und fiel rücklings langhin zu Boden.

Rudolf hatte sich nach langer Überlegung entschlossen, nach Rouen zu fahren. Da nun aber von der Hüchette nach dorthin kein anderer Weg als der über Yonville führte, mußte er diesen Ort wohl oder übel berühren. Emma hatte ihn im Scheine der Wagenlaternen, die draußen die Dunkelheit wie Sterne durchhuschten, erkannt.

Der Apotheker, der sofort gemerkt hatte, daß im Hause des Arztes „was los sei“, stürzte herbei. Der Eßtisch war mit allem, was darauf gestanden, umgestürzt. Die Teller, das Fleisch, die Sauce, die Bestecke, Salz und Öl, alles lag auf dem Fußboden umher. Karl hatte den Kopf verloren, die erschrockene kleine Berta schrie, und Felicie nestelte ihrer in Zuckungen daliegenden Herrin mit bebenden Händen die Kleider auf.

„Ich werde schnell Kräuteressig aus meinem Laboratorium holen!“ sagte Homais.

Als man Emma das Fläschchen ans Gesicht hielt, schlug sie seufzend die Augen wieder auf.

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