Guy de Maupassant – Gesammelte Werke

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Die Totenwache

Sie war ru­hig ge­stor­ben, ohne To­des­kampf, wie ein Weib, das ein un­sträf­li­ches Le­ben hin­ter sich hat, und nun lag sie mit ge­schlos­se­nen Au­gen und fried­li­chen Zü­gen auf ih­rem Bet­te, als ob sie schlie­fe; ihr lan­ges wei­ßes Haar war sorg­fäl­tig fri­siert, als ob sie es erst zehn Mi­nu­ten vor ih­rem Tode ge­ord­net hät­te. Ihr mar­mor­nes To­ten­ant­litz drück­te sol­che Samm­lung und Ruhe, eine sol­che Er­ge­bung aus, dass man sich wohl vor­stel­len konn­te, wel­che schö­ne See­le in die­sem Kör­per ge­wohnt, wel­ches sturm­lo­se Le­ben die­se hei­te­re Grei­sin ge­führt, wel­ches fried­li­che Ende ohne Qua­len und Ge­wis­sens­bis­se die­se un­sträf­li­che Frau ge­fun­den hat­te.

An ih­rem Bet­te knie­ten in ver­zwei­fel­tem Schluch­zen ihr Sohn, ein Be­am­ter von un­beug­sa­men Grund­sät­zen, und ihre Toch­ter Mar­gue­ri­te, die als Non­ne Schwes­ter Eu­la­lia hieß. Sie hat­te sie in stren­ger Moral er­zo­gen, im Glau­ben ohne Wan­kel­mut un­ter­wie­sen und mit un­wan­del­ba­rem Pf­licht­ge­fühl be­seelt. Der Sohn war Be­am­ter ge­wor­den; er hielt das Ge­setz hoch und schlug die Läs­si­gen und Saum­se­li­gen mit un­er­bitt­li­cher Stren­ge. Und die Toch­ter war im Dran­ge der Tu­gend, mit der sie die­ses from­me Haus er­füllt hat­te, und weil sie die Men­schen ver­schmäh­te, Got­tes Braut ge­wor­den.

Ihren Va­ter hat­ten sie nicht ge­kannt; sie wuss­ten nur, dass er ihre Mut­ter un­glück­lich ge­macht hat­te; Ein­zel­hei­ten hat­ten sie nie er­fah­ren.

Die Non­ne drück­te in ir­rem Schmerz einen Kuss auf die her­ab­hän­gen­de El­fen­bein­hand der To­ten, eine wah­re Chris­tus­hand. Die an­de­re Hand, die auf der an­de­ren Sei­te des hin­ge­streck­ten Kör­pers ruh­te, hat­te sich noch vom To­des­kampf her mit ir­ren­dem Tas­ten in das Bett­tuch ge­krampft, und das Lei­nen lag noch in klei­nen wei­ßen, wel­li­gen Fal­ten, wie in Erin­ne­rung an die­se letz­ten Be­we­gun­gen, die der ewi­gen Un­be­weg­lich­keit vor­aus­ge­hen.

Es klopf­te lei­se an die Tür und die bei­den ver­wein­ten Ge­sich­ter blick­ten auf. Es war der Pries­ter, der vom Es­sen kam und eben ein­trat. Er war rot und pus­te­te von der be­gin­nen­den Ver­dau­ung, denn er hat­te viel Co­gnac in den Kaf­fee ge­gos­sen, um die Mü­dig­keit der letz­ten ver­wach­ten Näch­te und der be­vor­ste­hen­den Nacht zu be­kämp­fen.

Er blick­te trau­rig drein, mit je­ner be­rufs­mä­ßi­gen Trau­rig­keit, hin­ter der die Freu­de über den ein­träg­li­chen To­des­fall grinst. Er mach­te das Zei­chen des Kreu­zes und kam in be­rufs­mä­ßi­ger Gan­gart nä­her. »Mei­ne lie­ben Kin­der«, hub er an, »lasst mich Euch hel­fen, die­se trau­ri­gen Stun­den zu ver­brin­gen.« Aber Schwes­ter Eu­la­lia rich­te­te sich plötz­lich auf und sag­te: »Dan­ke, mein Va­ter, aber es ist un­ser bei­der Wunsch, al­lein bei der To­ten zu blei­ben. Es sind dies die letz­ten Au­gen­bli­cke, wo wir sie se­hen, und da wol­len wir wie­der alle drei zu­sam­men sein, wie einst, als wir… als wir klein wa­ren und un­se­re ar­me… arme Mut­ter…« Wei­ter kam sie nicht; der Schmerz und die her­vor­bre­chen­den Trä­nen er­stick­ten ihre Stim­me.

Der Pries­ter ver­neig­te sich; im Grun­de freu­te er sich auf sein Bett. »Wie Ihr wollt, mei­ne lie­ben Kin­der«, sag­te er sal­bungs­voll, knie­te nie­der, be­kreu­zig­te sich, ver­rich­te­te sein Ge­bet, stand wie­der auf und ver­ließ das Zim­mer mit sanf­ten Schrit­ten. »Sie war eine Hei­li­ge!« mur­mel­te er.

Nun wa­ren sie wie­der al­lein, die Tote und ihre Kin­der. Eine Wand­uhr, die man nicht sah, un­ter­brach das Schwei­gen mit re­gel­mä­ßi­gem Ti­cken, und durch das of­fe­ne Fens­ter quoll der wei­che Duft des Heus und der Wäl­der mit dem sehn­süch­ti­gen Schim­mer des Mon­des her­ein. Al­les war still; nur zit­tern­de Un­ken­ru­fe ver­nahm man, und zu­wei­len das nächt­li­che Sur­ren ei­nes In­sekts, das wie eine Ku­gel her­ein­ge­flo­gen kam und brum­mend an die Wand stieß. Unend­li­cher Frie­den, himm­li­sche Schwer­mut und schwei­gen­de Hei­ter­keit wa­ren um die­se Tote, sie schie­nen von ihr aus­zu­ge­hen und sich be­sänf­ti­gend auf die Na­tur rings­um zu le­gen.

Da schluchz­te der Be­am­te, der noch im­mer auf den Kni­en lag und das Haupt in die Lei­nen­tü­cher des Bet­tes ver­gra­ben hat­te, plötz­lich mit hei­se­rer, herz­bre­chen­der Stim­me durch De­cken und Tü­cher hin­durch: »O Mut­ter! Mut­ter! Mut­ter!« Und die Schwes­ter warf sich wild auf den Fuß­bo­den nie­der und schlug mit ra­sen­der Stirn ge­gen den Bett­pfos­ten. Sie wand sich krampf­haft am Bo­den und zit­ter­te, wie bei ei­nem epi­lep­ti­schen An­fall. »Je­sus! Je­sus! O Mut­ter! Je­sus!« hauch­te sie.

Dann keuch­ten und rö­chel­ten bei­de, wie von ei­nem Schmer­zen­sor­kan ge­peitscht. Nur all­mäh­lich ließ der An­fall nach und mach­te ei­nem sanf­ten Wei­nen Platz, wie wind­stil­le Re­gen­güs­se nach Ge­wit­ter­böen auf to­ben­dem Mee­re.

Erst lan­ge nach­her er­ho­ben sie sich wie­der und be­gan­nen die teu­re Lei­che zu be­trach­ten. Und die Erin­ne­rung, die ges­tern noch so süße, heu­te so quä­len­de Erin­ne­rung, be­fiel ih­ren Geist mit al­len ih­ren ver­ges­se­nen Ein­zel­hei­ten, al­len ih­ren in­ti­men und trau­ten Klei­nig­kei­ten; und die ge­lieb­te Tote leb­te ih­nen wie­der auf. Sie er­in­ner­ten sich der man­nig­fachs­ten Le­bens­la­gen, der Wor­te, des Lä­chelns, des Stimm­falls der Frau, die nun nie mehr mit ih­nen re­den soll­te. Sie ver­ge­gen­wär­tig­ten sie sich in ih­rer glück­li­chen Ruhe, sie ent­san­nen sich al­ler Wor­te, die sie zu ge­brau­chen pfleg­te, und ei­ner ge­wis­sen klei­nen Hand­be­we­gung, die sie bis­wei­len mach­te, wenn sie ein wich­ti­ges Ge­spräch führ­te.

Und sie lieb­ten sie, wie sie sie nie ge­liebt hat­ten, und er­ma­ßen an ih­rer Verzweif­lung, wie teu­er sie ih­nen ge­we­sen war, wie al­lein und ver­las­sen sie jetzt wa­ren.

Sie war ihr Halt, ihr Leit­stern ge­we­sen; ihre gan­ze Ju­gend, die gan­ze fröh­li­che Hälf­te ih­res Da­seins war mit ihr da­hin; das Band, das sie an’s Le­ben ge­knüpft, ihre Mut­ter, der Leib, der sie ge­bo­ren, das Glied, das sie an die Ket­te der Vor­fah­ren ge­bun­den, war zer­ris­sen. Von nun an wür­den sie al­lein und ver­ein­samt sein und nicht mehr zu­rück­bli­cken kön­nen.

– Du weißt, sag­te die Non­ne zu ih­rem Bru­der, wie ger­ne Mama ihre al­ten Brie­fe wie­der las. Sie sind da alle in ih­rer Schub­la­de. Wenn wir sie jetzt le­sen, wer­den wir ihr gan­zes Le­ben in die­ser Nacht noch ein­mal durch­le­ben. Es wäre wie ein Gang auf den Kirch­hof, denn wir wür­den auch ihre Mut­ter und ihre Gro­ß­el­tern ken­nen ler­nen, die wir nicht kann­ten, de­ren Brie­fe auch da sind, und von de­nen sie so oft sprach. Du ent­sinnst dich doch? –

Und sie nah­men aus der Schub­la­de ein Dut­zend Päck­chen von ver­gilb­tem Pa­pier, die sorg­fäl­tig zu­sam­men­ge­bun­den und auf ein­an­der ge­legt wa­ren. Sie war­fen die­se Re­li­qui­en auf das Bett und nah­men ein Päck­chen mit der Auf­schrift »Va­ter« her­aus, mach­ten es auf und la­sen.

Es wa­ren alte Epis­teln, wie man sie in al­ten Fa­mi­li­en-Schreib­ti­schen vor­fin­det, Epis­teln, die nach dem letz­ten Jahr­hun­dert schmeck­ten. Die ers­te be­gann: »Mein Herz­chen«, eine an­de­re »Mein lie­bes klei­nes Mäd­chen«, wie­der an­de­re: »Lie­bes Kind« und schließ­lich auch »Mei­ne lie­be Toch­ter.« Und plötz­lich be­gann die Non­ne laut zu le­sen – der To­ten ihre ei­ge­ne Le­bens­ge­schich­te vor­zu­le­sen, all ihre hol­den Erin­ne­run­gen, und der Be­am­te hör­te auf­merk­sam zu, wäh­rend er einen El­len­bo­gen auf das Bett stütz­te und sei­ne Mut­ter an­blick­te. Die Lei­che lag un­be­weg­lich; ihr schi­en wohl zu sein.

Schwes­ter Eu­la­lia hielt plötz­lich inne und sag­te: »Wir soll­ten sie ihr alle ins Grab le­gen, ihr ein Lei­chen­tuch dar­aus ma­chen und sie dar­in be­gra­ben.« Dann nahm sie ein andres Päck­chen zur Hand, das kei­ne Auf­schrift trug, und be­gann mit lau­ter Stim­me: »An­ge­be­te­tes Weib! ich lie­be dich bis zur Be­ses­sen­heit. Seit ges­tern schmach­te ich wie ein Ver­damm­ter im Fe­ge­feu­er; die Erin­ne­rung an dich ver­zehrt mich. Ich füh­le dei­ne Lip­pen noch auf mei­nen Lip­pen, dei­ne Au­gen noch in mei­nen Au­gen, dei­ne Brust an mei­ner Brust. Ich lie­be dich! Ich lie­be dich! Ra­send hast du mich ge­macht. Mei­ne Arme stre­cken sich dir ent­ge­gen. Ich atme be­klom­men und seh­ne mich un­end­lich, dich noch ein­mal mein zu nen­nen! Mein gan­zes We­sen schreit nach dir! Auf mei­ner Zun­ge liegt mir noch der Ge­schmack dei­ner Küs­se«…

Der Be­am­te hat­te sich hoch auf­ge­rich­tet, die Non­ne hielt inne. Er riss ihr das Blatt aus der Hand und such­te nach der Un­ter­schrift. Es stand nichts dar­un­ter, als die­se Wor­te: »Dein dich an­be­ten­der« und dar­un­ter »Hen­ry.« Ihr Va­ter hat­te René ge­hei­ßen. Er konn­te es also nicht sein. Da wühl­te der Sohn mit zit­tern­der Hand in den Päck­chen her­um, riss ein an­de­res Schrei­ben her­aus und las: »Ich kann es ohne dei­ne Lie­be nicht mehr er­tra­gen«… Er war auf­ge­stan­den, streng, als ob er von sei­nem Richter­stuhl auf­stün­de, und sah die Tote un­ver­wandt an.

Die Non­ne stand hoch auf­ge­rich­tet, wie ein Mar­mor­bild, und blick­te, wäh­rend Trä­nen ihr in die Au­gen­win­kel tra­ten, ih­ren Bru­der er­war­tungs­voll an. Der aber schritt lang­sam durchs Zim­mer bis an’s Fens­ter und starr­te träu­mend in die Nacht hin­aus.

Als er sich um­dreh­te, stand Schwes­ter Eu­la­lia, jetzt tro­ckenen Au­ges, noch im­mer am Bet­te der To­ten und senk­te das Haupt.

Er trat wie­der nä­her, hob die Brie­fe has­tig auf und warf sie durch­ein­an­der in die Schub­la­de, dann zog er den Bett­vor­hang schwei­gend zu.

Und als die Ker­zen, die auf dem Ti­sche brann­ten, im Ta­ges­schein ver­bli­chen, er­hob sich der Sohn lang­sam aus sei­nem Lehn­stuhl, ohne die Mut­ter, die er so von ih­ren Kin­dern ge­trennt und ver­dammt hat­te, noch ei­nes Blickes zu wür­di­gen, und sag­te in lang­sa­mem Tone: »So, Schwes­ter, nun kön­nen wir zur Ruhe ge­hen!«

 

*

Träume

Es war nach ei­nem Es­sen un­ter gu­ten, al­ten Freun­den. Es wa­ren ih­rer fünf, ein Schrift­stel­ler, ein Arzt und drei rei­che Jung­ge­sel­len ohne Be­ruf.

Sie hat­ten von al­lem Mög­li­chen ge­spro­chen und wa­ren nun je­ner Ab­span­nung ver­fal­len, wie sie dem Auf­bruch vor­an­zu­ge­hen und ihn zu be­stim­men pflegt. End­lich un­ter­brach ei­ner der Gäs­te das Schwei­gen. Er hat­te seit fünf Mi­nu­ten dem lär­men­den Trei­ben auf dem lich­ter­durch­flu­te­ten Bou­le­vard un­ver­wandt zu­ge­se­hen.

– Ja, seufz­te er, wenn man so vom Mor­gen bis in die Nacht nichts zu tun hat, sind die Tage lang!

– Und die Näch­te gleich­falls, be­merk­te sein Nach­bar! Ich schla­fe schon lan­ge nicht mehr, die Ver­gnü­gun­gen lang­wei­len mich, und die Un­ter­hal­tung ist im­mer die­sel­be. Nicht ei­nem neu­en Ge­dan­ken be­geg­net man, und ehe ich mit ir­gend­je­mand spre­che, packt mich schon ein hei­ßes Ver­lan­gen, nichts zu sa­gen und nichts zu hö­ren. Ich weiß nicht, wie ich mei­ne Aben­de un­ter­brin­gen soll.

– Und ich, er­klär­te der drit­te Mü­ßig­gän­ger, ich wür­de eine Prä­mie da­für aus­set­zen, wenn ei­ner ein Mit­tel er­fän­de, das ei­nem we­nigs­tens zwei Stun­den am Tage er­träg­lich macht!

– Der Mensch, sag­te der Schrift­stel­ler, der so­eben sei­nen Pa­le­tot über den Arm ge­wor­fen hat­te, der Mensch, der ein neu­es Las­ter ent­deck­te, täte der Mensch­heit einen grö­ße­ren Dienst, – auch wenn er ihre Le­bens­zeit um die Hälf­te ver­rin­ger­te – als je­mand, der ein Mit­tel aus­fin­dig mach­te, das ihr ewi­ge Ge­sund­heit und Ju­gend si­chert.

Der Arzt muss­te la­chen.

– Ja­wohl, sag­te er, in­dem er an sei­ner Zi­gar­re kau­te, aber solch ein Mit­tel ent­deckt sich nicht so leicht, trotz­dem man die Sa­che nach al­len Rich­tun­gen hin ver­sucht hat, seit­dem die Welt steht. Die ers­ten Men­schen sind da mit ei­nem Schla­ge zur Vollen­dung ge­kom­men und wir kön­nen uns kaum mit ih­nen mes­sen.

– Lei­der! brumm­te der eine Nichts­tu­er. Dann ließ er eine Mi­nu­te ver­strei­chen und fuhr fort: Wenn man nur we­nigs­tens schla­fen könn­te, ohne ir­gen­det­was zu emp­fin­den; so schön schla­fen, wie nach großen An­stren­gun­gen, ganz fort sein, ohne Träu­me…

– Wa­rum ohne Träu­me? frag­te sein Nach­bar.

– Weil Träu­me nie an­ge­nehm sind, er­wi­der­te je­ner. Au­ßer­dem sind sie stets ver­dreht und un­mög­lich, ja ganz un­ge­reimt, und im Schla­fe kön­nen wir die bes­ten nicht mal nach un­serm Wun­sche aus­kos­ten. Man muss im Wa­chen träu­men!

– Wer hin­dert Sie denn dar­an? frag­te der Schrift­stel­ler.

– Mein Freund, sag­te der Arzt, in­dem er sei­ne Zi­gar­re weg­warf, um im Wa­chen zu träu­men, be­darf es ei­ner großen Kraft- und Wil­lens­an­stren­gung, und dar­auf folgt dann eine große Schwä­che. Ge­wiss ge­hört der wirk­li­che Traum, die­ses Schwei­fen un­se­rer Ge­dan­ken durch die Ge­fil­de der Ein­bil­dung, zum Schöns­ten auf Er­den, aber er muss von selbst kom­men und nicht müh­sam her­vor­ge­ru­fen wer­den. Auch muss er bei völ­li­gem leib­li­chen Wohl­be­fin­den kom­men und ge­hen. – Und die­sen Traum, setz­te er hin­zu, kann ich Ih­nen ver­schrei­ben, vor­aus­ge­setzt, dass Sie mir ver­spre­chen, kei­nen Miss­brauch da­mit zu trei­ben.

Der Schrift­stel­ler zuck­te die Ach­seln.

– Ja­wohl, weiß schon, Ha­schisch, Opi­um, grü­nes Kon­fekt und künst­li­che Pa­ra­die­se. Ich habe Bau­de­laire ge­le­sen und selbst das be­rüch­tig­te Zeug ge­nom­men; und tüch­tig krank bin ich da­von ge­wor­den.

Der Arzt hat­te sich wie­der ge­setzt.

– Nein, sag­te er, Äther, nichts als Äther. Und zwar soll­ten ge­ra­de Sie, die Schrift­stel­ler, zu­wei­len Ge­brauch da­von ma­chen.

Die drei wohl­ha­ben­den Her­ren dräng­ten sich wiss­be­gie­rig her­an.

– Er­zäh­len Sie uns doch, wel­che Wir­kun­gen das hat, bat der eine.

Und der Arzt be­gann.

– Zu­nächst wol­len wir die großen Wor­te las­sen, nicht wahr? Ich spre­che we­der me­di­zi­nisch, noch mo­ra­lisch, son­dern ein­fach prak­tisch. Sie leis­ten sich je­den Tag Aus­schwei­fun­gen, die Ihre Ge­sund­heit zer­rüt­ten. Ich will Ih­nen ein neu­es Ge­fühl sa­gen, das nur in­tel­li­gen­ten, viel­leicht nur sehr in­tel­li­gen­ten Men­schen zu­gäng­lich ist. Es ist ge­fähr­lich, wie al­les, was uns­re Or­ga­ne reizt, aber groß­ar­tig. Ich be­mer­ke noch, dass es ei­ner ge­wis­sen Vor­be­rei­tung be­darf, d. h. ei­ner ge­wis­sen Ge­wohn­heit, da­mit man die ei­gen­tüm­li­chen Wir­kun­gen des Äthers voll ge­nie­ßen kann.

Sie sind an­ders als die Wir­kun­gen des Ha­schisch oder Mor­phi­um und dau­ern nur so lan­ge, als der Ge­nuss des Me­di­ka­men­tes an­hält. Wo­ge­gen die Wir­kun­gen der an­de­ren Trau­mer­zeu­ger Stun­den lang fort­dau­ert, wie Sie wis­sen.

Ich will nun ver­su­chen, Ih­nen so deut­lich wie mög­lich zu ma­chen, was man da­bei emp­fin­det. Es ist dies näm­lich kei­ne leich­te Sa­che: so de­li­kat, so un­fass­lich sind die­se Emp­fin­dun­gen.

Was mich zu die­sem Mit­tel grei­fen ließ, das ich in der Fol­ge viel­leicht et­was miss­braucht habe, wa­ren hef­ti­ge neur­al­gi­sche Schmer­zen. Sie plag­ten mich in Kopf und Na­cken, wä­rend ich eine un­er­träg­li­che Hit­ze in der Haut und eine fie­ber­haf­te Un­ru­he am gan­zen Kör­per ver­spür­te. Ich nahm mir also eine große Fla­sche Äther vor, leg­te mich hin und at­me­te sie lang­sam ein.

Nach ei­ni­gen Mi­nu­ten glaub­te ich ein un­be­stimm­tes Mur­meln zu ver­neh­men, das bald zu ei­nem lau­ten Schwir­ren wur­de. Da­bei war mir, als ob das gan­ze In­ne­re mei­nes Kör­pers leicht, fe­der­leicht wür­de und in Dunst zer­gin­ge.

Dann kam eine Art see­li­scher Star­re, ein schläf­ri­ges Be­ha­gen, und trotz al­le­dem dau­er­ten die Schmer­zen fort, hör­ten aber auf, qual­voll zu sein. Es war eine Art von Schmer­zen, wie man sie ger­ne hin­nimmt, und nicht mehr die­ses schau­der­haf­te Rei­ßen, ge­gen das der gan­ze Kör­per sich sträubt.

Bald ver­brei­te­te sich die­ses selt­sa­me und an­ge­neh­me Ge­fühl von Lee­re, das ich in der Brust hat­te, auch über die Glie­der; sie wur­den gleich­falls so leicht, als ob Fleisch und Kno­chen schmöl­zen und die Haut al­lein üb­rig blie­be: ge­ra­de so viel Haut, um mich emp­fin­den zu las­sen, wie herr­lich das Le­ben ist und das Lie­gen in die­sem se­li­gen Zu­stan­d… Ich merk­te auch, dass ich nicht mehr litt, dass der Schmerz fort war, wie weg­ge­weht, ver­duns­tet… Ich hör­te Stim­men, vier Stim­men, zwei Un­ter­hal­tun­gen, ohne von den Wor­ten et­was zu ver­ste­hen. Bald wa­ren es nur un­be­stimm­te Lau­te, bald fing ich ein­zel­ne Wor­te auf, bis ich schließ­lich er­kann­te, dass es ein­fach das star­ke Brau­sen in mei­nen Ohren war, was sich so an­hör­te. Ich schlief nicht, ich wach­te, ich hat­te Ver­stand und Ge­fühl, ich dach­te mit ei­ner Hel­lig­keit, mit ei­ner tie­fen, au­ßer­or­dent­li­chen Kraft und Lust am Geis­te, ei­ner selt­sa­men Trun­ken­heit, die von die­ser mäch­ti­gen Ent­fal­tung mei­ner men­ta­len Fä­hig­kei­ten her­rühr­te.

Es war kein Ha­schisch­traum noch eine je­ner krank­haf­ten Vi­sio­nen des Opi­um­rau­sches, son­dern eine wun­der­ba­re Schär­fe des Ge­dan­kens, eine neue Art, alle Din­ge zu se­hen, zu schät­zen, zu be­ur­tei­len, und dies al­les mit ei­ner Si­cher­heit und dem un­be­ding­ten Be­wusst­sein, dass die­se Art die rich­ti­ge war.

Und plötz­lich kam mir das alte Wort der Schrift in den Sinn. Mir war, als hät­te ich vom Baum der Er­kennt­nis ge­ges­sen, als ent­hüll­ten sich mir alle Ge­heim­nis­se der Welt. Ich fühl­te mich im Be­sitz ei­ner neu­en, selt­sa­men, un­wi­der­leg­li­chen Lo­gik. Grün­de, Ver­nunft­schlüs­se, Be­wei­se ström­ten mir in Men­ge zu, um gleich dar­auf durch stär­ke­re Grün­de und Be­wei­se wie­der um­ge­sto­ßen zu wer­den. Mein Kopf war zum Schlacht­feld von Ide­en ge­wor­den. Ich war ein hö­he­res We­sen mit un­über­wind­li­cher In­tel­li­genz, und ich hat­te einen wun­der­ba­ren Ge­nuss dar­an, mei­ne Macht zu kon­sta­tie­ren…

Das dau­er­te lan­ge, lan­ge. Ich hat­te im­mer noch das Mund­stück mei­ner Äther­fla­sche vor dem Mun­de. Plötz­lich merk­te ich, dass sie leer war, und eine un­glaub­li­che Trau­rig­keit über­fiel mich.

– Dok­tor, schri­en die vier Her­ren wie aus ei­ner Keh­le, schnell ein Re­zept für ein Li­ter Äther.

Aber der Arzt setz­te sei­nen Hut auf und ging.

– Das… nein! ver­setz­te er. Ge­hen Sie zu an­de­ren, um sich ver­gif­ten zu las­sen.

*

Nun, wie wäre es da­mit, mei­ne Herr­schaf­ten? Ha­ben Sie kei­ne Lust dar­auf?…

*

Eine Beichte

Sie ba­ten mich, mein Freund, Ih­nen die leb­haf­tes­ten Erin­ne­run­gen mei­nes Da­seins zu er­zäh­len. Ich bin sehr alt und habe we­der Ver­wand­te noch Kin­der; ich füh­le mich also frei ge­nug, mich Ih­nen an­zu­ver­trau­en. Ver­spre­chen Sie mir nur, mei­nen Na­men nicht preis­zu­ge­ben.

Ich bin viel ge­liebt wor­den, das wis­sen Sie, und oft habe ich mich selbst ge­liebt. Ich war sehr schön, was ich heu­te un­ver­hoh­len sa­gen kann, da nichts mehr da­von üb­rig ist. Die Lie­be gab mei­ner See­le Le­ben, wie die Luft dem Kör­per Le­ben gibt. Ich wäre lie­ber ge­stor­ben, als ohne Zärt­lich­keits­be­wei­se, ohne je­man­den, der an mich dach­te, zu le­ben. Die Frau­en be­haup­ten oft, dass sie nur ein­mal mit gan­zer See­le lieb­ten. Mir ist es oft so er­gan­gen, dass ich so heiß lieb­te, dass ich das Ende mei­ner Lei­den­schaft für un­mög­lich hielt. Und doch ver­losch sie al­le­mal, wie ein Feu­er, dem es an Holz man­gelt.

Ich will Ih­nen heu­te mein ers­tes Aben­teu­er er­zäh­len, an dem ich sehr un­schul­dig war, das aber die an­de­ren nach sich zog. Die furcht­ba­re Ra­che des Apo­the­kers Du Pecq ge­mahnt mich wie­der an das er­schüt­tern­de Dra­ma, dem ich sehr wi­der Wil­len bei­wohn­te.

Ich war da­mals seit ei­nem Jah­re ver­hei­ra­tet. Mein Mann war ein Groß­grund­be­sit­zer, Graf Her­vé de K…, ein Bre­to­ne von al­tem Adel, den ich – wohl­ver­stan­den – gar­nicht lieb­te. Die wah­re Lie­be be­darf, so glau­be ich we­nigs­tens, der Frei­heit und der Hin­der­nis­se zu­gleich. Die ge­bo­te­ne, durch das Ge­setz ge­hei­lig­te, vom Pries­ter ge­weih­te Lie­be – ist das über­haupt noch Lie­be? Ein er­laub­ter Kuss – ist er einen ge­raub­ten wert?

Mein Mann war von ho­her Sta­tur, von ele­gan­tem Äu­ßern und in sei­nem Auf­tre­ten ein wah­rer Grands­eigneur. Er sprach scharf und hart; sei­ne Wor­te wa­ren wie schnei­den­de Klin­gen. Man merk­te, dass die­ser Geist ganz aus fer­ti­gen Ge­dan­ken be­stand, die sein Va­ter und sei­ne Mut­ter ihm ein­ge­impft – und ih­rer­seits wie­der von ih­ren Vor­el­tern über­kom­men hat­ten. Er zö­ger­te nie mit sei­ner Mei­nungs­äu­ße­rung, fäll­te über al­les ein un­be­ding­tes, bor­nier­tes Ur­teil ohne ir­gend­wel­che Ein­schrän­kung, und ohne zu be­grei­fen, dass es auch eine an­de­re An­schau­ung ge­ben könn­te. Man be­griff, dass die­ser Kopf ver­schlos­sen war, dass kein Ge­dan­ke aus und ein ging, der sei­nen Geist wie­der ver­jüng­te und er­neu­er­te, wie der Wind durch ein Haus fährt, des­sen Fens­ter und Tü­ren of­fen ste­hen.

Das Schloss, das wir be­wohn­ten, lag mit­ten im of­fe­nen Lan­de ver­lo­ren. Es war ein großes, düs­te­res Ge­bäu­de mit rie­si­gen Bäu­men rings­um. Ihr lan­ges Moos ge­mahn­te mich im­mer an die wei­ßen Bär­te der Grei­se. Der Park, ein wah­rer Wald, war von ei­nem tie­fen Gra­ben um­ge­ben, wel­cher der »Wolfss­prung« hieß, und ganz am Ende, nach der Hai­de zu, hat­ten wir zwei große Tei­che vol­ler Schilf und schwim­men­der Was­ser­pflan­zen. Zwi­schen bei­den hat­te mein Mann am Ran­de des klei­nen Ba­ches, der sie ver­band, eine klei­ne Hüt­te er­rich­tet, um wil­de En­ten zu schie­ßen.

Wir hat­ten au­ßer un­sern ge­wöhn­li­chen Dienst­bo­ten noch einen Wäch­ter, der mei­nem Man­ne auf Tod und Le­ben er­ge­ben war, und ich eine Zofe, fast eine Freun­din, die für mich durchs Feu­er ging. Ich hat­te sie vor fünf Jah­ren aus Spa­ni­en mit­ge­bracht. Sie war ein ver­las­se­nes Kind. Man hät­te sie für eine Zi­geu­ne­rin hal­ten kön­nen, so dun­kel war ihre Haut und ihre Au­gen, so schwarz ihr Haar, das dicht wie ein Wald ihr kraus und stör­risch die Stir­ne um­rahm­te. Sie war da­mals sech­zehn Jah­re alt, sah aber aus wie zwan­zig.

Als es herbs­te­te, wur­de viel ge­jagt, und zwar bald bei uns, bald in der Nach­bar­schaft, wo­bei mir ein jun­ger Mann, Baron von C… be­son­ders auf­fiel. Sei­ne Be­su­che auf dem Schloss wur­den merk­wür­dig häu­fig, dann hör­ten sie plötz­lich ganz auf, und ich dach­te nicht mehr dar­an; aber ich merk­te sehr bald, dass mein Gat­te sein Be­neh­men ge­gen mich än­der­te.

 

Er schi­en fros­tig und kalt und küss­te mich nicht mehr. Und trotz­dem er nie in mein Zim­mer kam – ich hat­te mein ei­ge­nes Zim­mer für mich ver­langt, um un­ge­stört al­lein sein zu kön­nen – hör­te ich nachts oft lei­se Schrit­te bis zu mei­ner Tür kom­men und dann wie­der ver­hal­len.

Da mein Fens­ter im Erd­ge­schoss war, glaub­te ich auch oft im Schat­ten um das Schloss her­um et­was schwei­fen zu hö­ren. Als ich es mei­nem Gat­ten sag­te, blick­te er mich einen Au­gen­blick fest an und er­wi­der­te dann: »Es ist nichts, es ist der Wäch­ter.«

*

Ei­nes Abends nun nach dem Es­sen schi­en Her­vé be­son­ders auf­ge­räumt, aber von heim­tücki­scher Hei­ter­keit. »Wür­de es dir Spaß ma­chen«, frag­te er mich, »ein paar Stun­den mit mir auf den An­stand zu ge­hen, um einen Fuchs zu schie­ßen, der mir je­den Abend mei­ne Hüh­ner weg­schnappt?« Ich war über­rascht und zö­ger­te; da er mich aber mit selt­sa­mer Be­harr­lich­keit an­blick­te, sag­te ich schließ­lich: »Aber selbst­re­dend, mein Lie­ber!«

Ich muss hin­zu­fü­gen, dass ich da­mals Wolf und Eber jag­te, wie ein Mann. Sein Aner­bie­ten hat­te also nichts Un­na­tür­li­ches.

In­des­sen schi­en mein Mann plötz­lich von merk­wür­di­ger Ner­vo­si­tät be­fal­len, er war den gan­zen Abend über sehr un­ru­hig und stand in ei­nem fort fie­ber­haft auf, um sich wie­der zu set­zen.

Ge­gen zehn Uhr sag­te er plötz­lich zu mir:

»Bist du be­reit?« Ich stand auf, und als er mir selbst mei­ne Flin­te brach­te, frag­te ich: »Soll ich mit Ku­gel oder Schrot la­den?« Er war ver­blüfft, dann ant­wor­te­te er: »Oh, nur mit Schrot, das ist ge­nug, ver­lass dich drauf!« Und nach ei­ni­gen Mi­nu­ten setz­te er in ei­gen­tüm­li­chem Tone hin­zu: »Mit dei­ner Kalt­blü­tig­keit kannst du dich wirk­lich se­hen las­sen!« Ich muss­te la­chen. »Ich – warum? Kalt­blü­tig­keit, um einen Fuchs zu schie­ßen? Was du dir denkst, mein Freund!«

Wir gin­gen also mög­lichst ge­räusch­los durch den Park. Das gan­ze Haus schlief. Der Voll­mond be­glänz­te das Schie­fer­dach des al­ten düstren Ge­bäu­des, das er ganz in fah­les Gelb zu tau­chen schi­en. Die bei­den Sei­ten­türm­chen tru­gen auf ih­rem First zwei sil­ber­ne Fähn­chen. Kein Laut stör­te das Schwei­gen die­ser hel­len, trü­ben Nacht, die weich und schwer war und wie tot auf der Erde lag. Kein Lüft­chen reg­te sich, kein Un­ken­ruf er­tön­te, kein Nacht­kauz seufz­te; eine trü­be Star­re las­te­te auf al­lem.

Als wir un­ter den Bäu­men des Parks wa­ren, er­griff mich ein leich­ter Schau­der und ein Duft von ge­fal­le­nen Blät­tern wall­te auf. Mein Gat­te sag­te nichts, aber horch­te, späh­te und wit­ter­te im Dun­keln; er schi­en vom Kopf bis zu Fü­ßen von der Jagd­pas­si­on er­fasst.

Bald ka­men wir an den Rand der Tei­che. Un­be­weg­lich stand das Schilf; kein Hauch reg­te sich dar­in. Nur über den Was­ser­spie­gel lief ein lei­ser, kaum wahr­nehm­ba­rer Schau­er. Bis­wei­len be­weg­te sich auch et­was auf der Ober­flä­che, und er­reg­te leich­te Was­ser­rin­ge wie leuch­ten­de Run­zeln, die ins Wei­te zer­flos­sen.

Als wir die Hüt­te er­reicht hat­ten, die uns zum Hin­ter­halt die­nen soll­te, ließ mein Mann mir den Vor­tritt und lud dann lang­sam sein Ge­wehr. Das tro­ckene Knacken sei­ner Häh­ne ver­ur­sach­te mir einen ei­gen­tüm­li­chen Ein­druck. Er sah mich zu­sam­men­fah­ren und frag­te: »Soll­te die­se Pro­be dir ge­nü­gen, dann sprich.« Sehr über­rascht ant­wor­te­te ich: »Kei­nes­wegs. Ich bin nicht hier­her­ge­kom­men, um wie­der um­zu­keh­ren. Bist du son­der­bar heu­te Abend!« – »Wie du willst,« mur­mel­te er.

So blie­ben wir, ohne uns zu rüh­ren.

Un­ge­fähr eine hal­be Stun­de ver­ging, ohne dass et­was die las­ten­de, kla­re Stil­le die­ser Herbst­nacht stör­te. Da frag­te ich mei­nen Mann ganz lei­se: »Bist du auch si­cher, dass er hier vor­bei­kommt?«

Her­vé zuck­te zu­sam­men, als ob ich ihn ge­bis­sen hät­te, und hielt den Mund an mein Ohr. »Ich bin si­cher, ver­lass dich drauf!«

Wie­der Schwei­gen.

Ich glau­be, ich be­gann ein­zu­schla­fen, als mein Mann mich plötz­lich am Arme zerr­te und mit schar­fer, ver­än­der­ter Stim­me zisch­te: »Da – siehst du ihn? Da un­ten, un­ter den Bäu­men?« Ich blick­te hin, er­kann­te aber nichts. Her­vé leg­te lang­sam an, in­dem er mich fest im Auge be­hielt. Ich selbst hielt mich schuss­be­reit, und plötz­lich, kei­ne drei­ßig Schritt vor uns, tauch­te ein Mensch im vol­len Mond­licht auf; er ging mit ra­schen Schrit­ten, vorn­über­ge­beugt, als ob er flö­he, und eil­te an uns vor­über.

Ich war der­ma­ßen ent­setzt, dass ich einen furcht­ba­ren Schrei tat. Aber ehe ich mich um­wen­den konn­te, flamm­te es vor mei­nen Au­gen auf, ein be­täu­ben­des Kra­chen folg­te, und der Mann roll­te am Bo­den, wie ein Wolf, der eine Ku­gel be­kom­men hat.

Ich stieß ein schril­les, ent­setz­tes, wahn­sin­ni­ges Ge­schrei aus. Eine wü­ten­de Hand, Her­vés Hand, pack­te mich an der Gur­gel. Ich wur­de zu Bo­den ge­wor­fen und von star­ken Ar­men hoch­ge­ho­ben. Er lief, wäh­rend er mich hoch in der Luft hielt, auf den ins Gras ge­streck­ten Kör­per zu und warf mich ge­walt­sam dar­auf, als ob er mir den Kopf zer­bre­chen woll­te.

Ich hielt mich für ver­lo­ren; er woll­te mich tö­ten. Schon setz­te er den Ha­cken auf mei­ne Stirn, – als er sel­ber um­schlun­gen und nie­der­ge­wor­fen wur­de, ohne dass ich noch be­griff, was ge­sch­ah.

Ich fuhr jäh auf und sah Pa­qui­ta, mei­ne Zofe, auf ihm kni­en. Sie hat­te sich fest­ge­krallt wie eine wü­ten­de Kat­ze, und riss ihm in ra­sen­der Wut den Bart und die Haut vom Ge­sich­te.

Dann schnell­te sie, wie von ei­nem an­de­ren Ge­dan­ken er­grif­fen, wie­der em­por, warf sich über den Leich­nam, um­schlang ihn mit bei­den Ar­men, küss­te ihn auf die Au­gen, auf den Mund, schob sei­ne Lip­pen mit den ih­ren aus­ein­an­der und such­te einen letz­ten Le­bens­hauch, eine in­ni­ge Lieb­ko­sung in des To­ten Mun­de.

Mein Mann war auf­ge­sprun­gen und blick­te starr zu. Er be­griff und fiel mir zu Fü­ßen. »Ver­zei­hung, mei­ne Teu­ers­te!« fleh­te er. »Ich hat­te dich im Ver­dacht und ich habe den Ge­lieb­ten die­ses Mäd­chens ge­tö­tet. Mein Wäch­ter hat mich be­tro­gen.«

Ich schau­te den selt­sa­men Küs­sen die­ses To­ten und die­ser Le­ben­den zu und hör­te ihr Schluch­zen und die Aus­brü­che ih­rer ver­zwei­fel­ten Lie­be.

Und von Stun­d’ an be­griff ich, dass ich mei­nem Man­ne un­treu sein wür­de.

*

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