Der Krieg der Welten

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6. Der Hitzestrahl in der Chobham Road

Es ist noch immer ein ungelöstes Rätsel, wie die Marsleute imstande sind, Menschen so rasch und lautlos zu töten. Viele meinen, dass sie fähig sind, eine ungeheure Hitze in einem Behälter zu erzeugen, der absolut nicht leitet. Diese ungeheure Hitze übertragen sie in parallelen Strahlen auf jedes beliebige Objekt vermittels eines geschliffenen parabolischen Spiegels von unbekannter Zusammensetzung ähnlich dem Lichtstrahl, den der parabolische Spiegel eines Leuchtturms versendet. Aber noch niemand vermochte diese Einzelheiten zu beweisen. Wie immer es sich verhalten mag, gewiss ist, dass ein starker Wärmestrahl das Wesentliche ist. Hitze und unsichtbares statt sichtbaren Lichtes. Alles irgendwie Brennbare geht bei der Berührung dieses Strahles in Flammen auf; Blei zerfließt wie Wasser; er erweicht Eisen, bricht und schmilzt Glas; wenn er auf Wasser fällt, wird es unverzüglich zu Dampf.

In jener Nacht lagen wohl vierzig Menschen unter dem Sternenlicht um den Krater herum, verkohlt und bis zur Unkenntlichkeit entstellt. Die ganze Nacht blieb das Weideland von Horsell bis Maybury verödet. Nur allmählich brannten die Feuer nieder.

Die Nachricht von dem Gemetzel erreichte Chobham, Woking und Ottershaw wahrscheinlich zur selben Zeit. In Woking waren die Läden schon geschlossen, als das Unglück sich ereignete, und viele Menschen, Geschäftsleute und andere, gingen erregt von den Geschichten, die sie gehört hatten, über die Horsell-Brücke die Straße entlang zwischen den Hecken, die zur Weide führten. Man kann sich vorstellen, wie das junge Volk nach der Arbeit des Tages zusammenströmte und jene Nachricht, So wie jede andere, zum Vorwand für gemeinsame Spaziergänge und landläufiges Liebesgeplänkel benützte. Und man kann sich vorstellen, von wie viel Stimmen die abendliche Straße erfüllt war.

Bis jetzt wussten es freilich nur wenig Leute in Woking, dass der Zylinder bereits geöffnet war, obwohl der arme Henderson einen Boten auf dem Fahrrad zum Postamt geschickt hatte, um einen besonderen Bericht an ein Abendblatt zu senden. Als jene Leute in Gruppen zu zweien und dreien aufs offene Feld kamen, fanden sie kleine Menschenansammlungen in erregter Unterhaltung. Alles blickte auf den wirbelnden Spiegel über den Sandgruben. Und bald hatte sich der Neuangekommenen dieselbe Erregung bemächtigt.

Um halb neun Uhr, als die Deputation vernichtet wurde, hatte sich schätzungsweise eine Menge von dreihundert Leuten an jener Stelle befunden, außer denjenigen, die die Straße verlassen hatten, um sich näher an die Marsleute heranzuschleichen. Auch drei Polizisten, darunter einer zu Pferde, waren zugegen, die, Mr. Stents Weisungen folgend, ihr Möglichstes taten, die Leute zurückzudrängen und sie abzuhalten, sich dem Zylinder zu nähern. Pfiffe und Hohngelächter wurden gehört. Sie kamen von jenen Gedankenlosen und Aufgeregten, denen jedes Gedränge Anlass zu Lärm und rohen Scherzen bietet.

Stent und Ogilvy, die beide die Möglichkeit eines Zusammenstoßes ahnten, hatten von Horsell nach der Kaserne telegraphiert, als die Wesen vom Mars auftauchten. Sie hatten um die Unterstützung einer Kompanie Soldaten gebeten, welche jene fremdartigen Geschöpfe vor Gewalttätigkeiten schützen sollten. Dann waren sie sofort wieder zurückgekehrt, um jenen unglückseligen Vorstoß zu leiten. Die Beschreibung ihrer Ermordung, wie sie von der Menge beobachtet wurde, deckte sich genau mit meinen eigenen Eindrücken: die drei Stöße grünen Rauches, das tiefe summende Geräusch und die aufflammenden Blitze.

Aber die Gefahr, in der jene Volksmenge schwebte, war noch größer als die meine. Nur der Umstand, dass ein Sandhügel den unteren Teil des Hitzestrahls aufhielt, rettete sie. Wäre die Stange mit dem parabolischen Spiegel nur einige Yards höher gewesen, es wäre niemand übriggeblieben, um den Vorgang zu berichten. Sie sahen die Blitze, beobachteten, wie die Männer hinstürzten, wie gleichsam eine unsichtbare Hand das Gebüsch in Brand steckte, wie die Flamme im Zwielicht auf sie zuraste. Dann sauste mit einem pfeifenden Laut, der das Surren in der Grube übertönte, der Strahl dicht über ihre Köpfe hinweg, entzündete die Wipfel der Buchen, welche die Straße säumten, zersplitterte die Ziegel, zerschmetterte die Fenster, verbrannte die Fensterrahmen und zertrümmerte einen Teil des Giebels eines Eckhauses.

Bei diesem plötzlichen Aufschlag, dem Zischen und dem blendenden Lichtschein der brennenden Bäume schien die Menge einige Augenblicke zögernd hin- und herzuschwanken. Funken und brennende Zweige und einzelne Blätter fielen wie flammende Geschosse auf die Straße. Hüte und Kleider fingen Feuer. Von der Weide hörte man erschreckte Rufe. Kreischende Schreie gellten von allen Seiten. Plötzlich kam ein berittener Schutzmann gegen die Menge herangesprengt. Er schlug die Hände über dem Kopf zusammen und schrie aus Leibeskräften.

»Sie kommen!« kreischte eine Frau, und sofort kehrten sich alle um und drängten die Rückwärtsstehenden, um den Weg nach Woking frei zu machen. Wie eine Herde erschreckter Schafe stob die Menge blindlings auseinander. Zwischen den hohen Böschungen, wo die Straße eng und dunkel wurde, staute sich die Masse und ein verzweifelter Kampf begann. Nicht alle konnten sich retten; drei Personen, zwei Frauen und ein kleiner Junge, wurden erdrückt und niedergetreten. Man ließ sie liegen und in dem Schrecken der Finsternis sterben.

7. Wie ich nach Hause kam

Was mich betrifft, so erinnere ich mich an keine Einzelheiten meiner Flucht, außer dass ich an Baumstämme stieß und im Heidekraut strauchelte. Alles um mich herum unterlag der unsichtbaren Gewalt der Marsleute; jenes erbarmungslose Schwert aus Feuer schien auf und nieder zu sausen, funkelnd mir zu Haupte, bevor es niederfuhr, mir das Leben zu nehmen. Ich erreichte die Straße zwischen Horsell und den Kreuzwegen und lief darauf bis zu den Kreuzwegen.

Endlich konnte ich nicht weiter; ich war von der Heftigkeit meiner Erregung und meiner Flucht erschöpft. Ich taumelte und stürzte nieder. Das war nahe der Brücke, welche bei den Gaswerken den Kanal kreuzt. Ich fiel und blieb still liegen. Ich muss eine ganze Weile dort gelegen haben.

Seltsam verwirrt richtete ich mich endlich auf. Einen Augenblick vielleicht war mir nicht klar, wie ich hierhergekommen war. Wie ein Kleidungsstück war mein Schrecken von mir gefallen. Mein Hut war verschwunden, und mein Kragen war vom Hemdenknopf gerissen. Einige Minuten vorher standen nur drei Dinge greifbar vor mir die Unermesslichkeit der Nacht, des Raumes und der Natur, meine eigene Schwäche und Angst und das Nahen des Todes. Nun aber war es mir, als hätte sich alles gewendet, und sofort verschob sich mein Gesichtspunkt. Ich konnte keinen merklichen Übergang von einem Gemütszustand in den andern wahrnehmen. Ganz unvermittelt war ich wieder mein eigenes alltägliches Selbst, ein gewöhnlicher, ehrbarer Bürger. Die schweigende Heide, meine gehetzte Flucht, die aufschießenden Flammen, alles erschien mir jetzt wie ein Traum. Ich fragte mich, ob sich alle diese Dinge wirklich zugetragen hätten. Ich konnte es nicht glauben.

Ich erhob mich und stieg unsicher die steile Brücke hoch. In mir war nichts als eine große Verblüffung. Muskeln und Nerven schienen alle Kraft verloren zu haben. Ich kann wohl sagen, dass ich wie ein Betrunkener taumelte. Über dem Brückenbogen tauchte ein Kopf auf, und die Gestalt eines Arbeiters, der einen Korb trug, erschien. Ein kleiner Junge lief neben ihm her. Er ging an mir vorüber und wünschte mir gute Nacht. Ich wollte mit ihm sprechen, konnte es aber nicht. Ich erwiderte seinen Gruß mit einem bedeutungslosen Gemurmel und ging weiter über die Brücke.

Über den Maybury-Viadukt brauste südwärts ein Zug, ein wogendes Wallen weißen, feurigen Rauches, eine lange Raupe erleuchteter Fenster: ein Poltern und Rasseln und Klirren, und fort war er. Eine spärliche Gruppe von Leuten stand plaudernd im Flur eines hübschen Giebelhauses. Das alles war so wirklich und vertraut. Und alles, was hinter mir lag, wie unsinnig und phantastisch! Solche Dinge, sagte ich mir, konnte es ja gar nicht geben.

Ich bin vielleicht ein Mann von ganz besonderen Stimmungen. Ich weiß nicht, wieweit meine Erfahrungen allgemeiner Natur sind. Ich habe Zeiten, in denen ich von den seltsamsten Empfindungen heimgesucht werde, als sei ich von mir selbst und meiner Umgebung losgelöst. Mir ist, als beobachtete ich alles von außen her, aus einer unfasslich großen Entfernung, außerhalb der Zeit, außerhalb des Raumes, jenseits von allem, was bedrückt und traurig macht. Diese Empfindung war in jener Nacht sehr stark. Das war ein anderer Teil meines Traumes.

Aber was mich verwirrte, war der schreiende Widerspruch zwischen der Heiterkeit, die meine Augen sahen, und dem pfeilschnellen Tod, der dort drüben, nicht zwei Meilen entfernt, umherraste. Von den Gaswerken her scholl geschäftiger Lärm, und die elektrischen Lampen strahlten hell. Als ich zu der plaudernden Menschengruppe kam, machte ich halt.

»Was gibt’s Neues auf der Weide?« fragte ich.

Zwei Männer und eine Frau standen beim Tor.

»Was?« rief einer der Männer, sich mir zuwendend.

»Was es Neues auf der Weide gibt?« wiederholte ich.

»Ja, sind Sie denn nicht gerade dort gewesen?« fragten die Männer.

»Die Leute scheinen ja ganz verrückt zu sein wegen der Weide«, ließ sich jetzt die Frau vom Flur her vernehmen. »Was ist denn eigentlich los?«

»Haben Sie denn nichts von den Marsleuten gehört?« fragte ich. »Von den Geschöpfen vom Mars?«

»Mehr als genug«, sagte die Frau. »Danke«, und alle drei lachten.

Ich fühlte mich beschämt und verärgert. Ich versuchte, ihnen mitzuteilen, was ich gesehen hatte, und konnte es nicht. Sie lachten immer nur über meine gebrochenen Sätze.

 

»Ihr werdet noch mehr davon hören«, sagte ich und ging fort zu meinem Haus.

Schon im Hausflur erschreckte ich meine Frau durch meine eingefallenen Züge. Ich ging in das Speisezimmer, setzte mich, trank etwas Wein, und sowie ich mich etwas gesammelt hatte, erzählte ich ihr, was ich gesehen hatte. Das Essen, das aus kalten Gerichten bestand, war schon aufgetragen, blieb aber unberührt auf dem Tisch, während ich alles erzählte.

»In einem kann ich dich beruhigen«, sagte ich, um die Furcht, die ich in ihr geweckt hatte, wieder abzuschwächen. »Es sind die plumpsten Geschöpfe, die ich je kriechen sah. Sie mögen die Grube besetzt halten und alle Leute, die ihnen nahe kommen, umbringen; aber sie können nicht aus ihr heraus … Aber scheußlich sind sie!«

»Bitte, nicht!« sagte meine Frau. Sie zog ihre Brauen zusammen und legte ihre Hand auf die meine.

»Der arme Ogilvy!« sagte ich. »Zu denken, dass er da draußen tot liegt!«

Meine Frau wenigstens fand meine Erlebnisse nicht unglaubwürdig. Als ich sah, wie die Totenblässe ihr Gesicht bedeckte, brach ich plötzlich ab.

»Sie könnten hierher kommen«, sagte sie immer wieder.

Ich bat sie, Wein zu trinken, und bemühte mich, sie zu beruhigen.

»Sie können sich ja kaum bewegen«, sagte ich.

Ich begann nun sie und mich selbst dadurch zu trösten, dass ich alles wiederholte, was Ogilvy mir über die Unmöglichkeit eines dauernden Aufenthaltes der Marsbewohner auf der Erde gesagt hatte. Besonderes Gewicht legte ich auf die Schwierigkeiten der Gravitation. Auf der Oberfläche der Erde ist die Schwerkraft dreimal so groß wie auf der des Mars. Ein Marsbewohner würde daher hier dreimal so viel wiegen, seine Muskelkraft aber würde gleich bleiben. Sein eigener Körper würde ihn daher drücken wie ein Bleigewicht. Wirklich war das die allgemeine Ansicht. Sowohl die »Times« wie der »Daily Telegraph« unter anderen Blättern übersahen, genauso wie ich, zwei diese Tatsachen offenbar umstoßende Erscheinungen.

Wie wir inzwischen wissen, enthält die Atmosphäre der Erde weit mehr Sauerstoff oder, anders ausgedrückt, weit weniger Argon als die des Mars. Der kräftigende Einfluss von so viel Sauerstoff auf die Marsleute trug unstreitig viel dazu bei, der erhöhten Schwere ihrer Körper das Gleichgewicht zu halten. Und zum Zweiten übersahen wir die Tatsache, dass die technische Intelligenz der Marsleute sie vollkommen befähigen würde, sich im Notfall ohne jede Muskelkraft zu behelfen.

Zu jener Zeit aber erwog ich diese Punkte nicht und übersah so die gefährlichen Möglichkeiten jener Eindringlinge. Durch Wein und Speise und die Notwendigkeit, meine Frau zu beruhigen, wurde ich selbst nach und nach beherzter und sorgloser.

»Sie haben eine große Dummheit begangen«, sagte ich, während ich mein Weinglas ergriff; »sie sind gefährlich, weil sie zweifelsohne selbst aus Furcht ganz toll geworden sind. Vielleicht erwarteten sie nicht, hier lebende Wesen zu finden, gewiss aber nicht intelligente Lebewesen. Schlimmstenfalls bombardiert man die Grube. Dadurch werden sie alle zu Tode kommen.«

Die immense Aufregung über die letzten Ereignisse hatte meine Auffassungskraft ohne Zweifel in einen Zustand großer Reizbarkeit versetzt. Ich erinnere mich jener Mahlzeit noch jetzt mit großer Deutlichkeit. Das liebliche Gesicht meiner Frau unter dem rosafarbenen Lampenschirm, wie sie mich voller Angst ansah, das weiße Tischtuch mit den silbernen und gläsernen Gerätschaften denn in jenen Tagen erlaubten sich selbst philosophische Schriftsteller so manch kleinen Luxus -, der purpurne Wein in meinem Glas, das alles sehe ich fotografisch genau vor mir. Ich selbst saß am Ende des Tisches, spielte mit meiner Zigarette, beklagte den Übereifer Ogilvys und verwünschte die kurzsichtige Furchtsamkeit der Marsianer. Ich ahnte nicht, dass dies die letzte normale Mahlzeit vor vielen seltsamen und schrecklichen Tagen sein sollte.

8. Freitag Nacht

Von all den merkwürdigen und erstaunlichen Dingen, die sich an jenem Freitag ereigneten, war für mich am seltsamsten das Verhältnis der Alltagsgewohnheiten unserer gesellschaftlichen Ordnung zu den ersten Anzeichen jener Ereignisse, welche diese gesellschaftliche Ordnung über den Haufen werfen sollten. Hätte man am Freitag Nacht mit einem Zirkel einen Kreis von fünf Meilen im Halbmesser rund um die Wokinger Sandgruben gezogen, man hätte nach meiner Überzeugung außer etwa den Angehörigen Mr. Stents oder der paar Radfahrer aus London, die tot auf der Weide lagen kein menschliches Wesen außerhalb dieses Kreises gefunden, dessen Empfindungen oder Gewohnheiten nur im geringsten von den Neuankömmlingen berührt wurden. Viele Leute hatten natürlich von dem Zylinder gehört; wenn sie Zeit hatten, sprachen sie wohl auch darüber; sicherlich aber machte die Geschichte längst nicht die Sensation aus, die etwa ein Ultimatum an Deutschland gemacht haben würde.

In London wurde in jener Nacht das Telegramm des armen Henderson, das die allmähliche Aufschraubung des Geschosses beschrieb, allgemein für eine Ente gehalten, und sein Abendblatt telegrafierte an ihn um eine aufklärende Bestätigung; da aber keine Antwort von ihm eintraf der Mann war ja tot beschloss man, keine Sonderausgabe zu veranstalten.

Selbst innerhalb des Fünf-Meilen-Kreises blieb die große Mehrheit der Leute gleichmütig. Das Betragen der Männer und der Frauen, mit denen ich sprach, beschrieb ich bereits. Im gesamten Umkreis gingen die Leute mittags und abends zu Tisch; Arbeiter besorgten nach dem Tagwerk ihren Garten, Kinder wurden zu Bett gebracht; junge Leute und Liebespaare lustwandelten in den Heckenwegen; Gelehrte saßen über ihren Büchern.

Es mag sein, dass in den Dorfstraßen Gerüchte umgingen und in den Gaststätten ein neuer Gesprächsstoff auftauchte, dass ab und zu ein Bote, oder sogar ein Augenzeuge der jüngsten Ereignisse, einen Sturm von Aufregung, wildes Geschrei und erschreckte Zusammenläufe verursachte. Aber im Großen und Ganzen ging das alltägliche Treiben Arbeiten, Essen, Trinken, Schlafen weiter wie seit ungezählten Jahren als ob es keinen Planeten Mars am Himmel gäbe. Selbst auf der Bahnstation von Woking, in Horsell und in Chobham war das der Fall.

Am Knotenpunkt von Woking sah man noch in später Stunde Züge halten und abfahren, andere wurden verschoben, Reisende stiegen aus und warteten, und alles ging in der gewohnten Weise vor sich. Ein Zeitungsjunge von der Stadt verkaufte, unbekümmert um Mr. Smiths Monopol, die Blätter mit den Neuigkeiten des Nachmittags. Das Klirren und Stoßen der Wagen und die gellenden Pfiffe der Lokomotiven vermischten sich mit seinem Geschrei: »Menschen vom Mars!«

Gegen neun Uhr kamen ein paar erregte Leute mit unglaubwürdigen Berichten auf den Bahnhof, riefen aber keine größere Verwirrung hervor als etwa Betrunkene. Menschen, die in der Richtung London fuhren und durch die Wagenfenster in die Dunkelheit hinausbückten, sahen nur einen seltsamen flackernden, immer wieder erlöschenden und erneut auftauchenden Lichtschein vor Horsell schimmern, sahen eine rote Glut und einen dünnen Rauchschleier zum Himmel treiben; und sie hielten es höchstens für einen Heidebrand. Nur am letzten Stück des Weidelandes konnte man etwas Aufregung wahrnehmen. An der Gemeindegrenze von Woking brannten etwa sechs Landhäuser. In allen Häusern der drei Dörfer auf der Weideseite brannte Licht und die Leute wachten bis Tagesanbruch.

Neugierige Menschenhaufen hielten sich hartnäckig auf den Brücken in Chobham und in Horsell; Leute kamen und gingen, aber die Menge blieb. Einige waghalsige Gesellen schlichen sich, wie man später hörte, in die Dunkelheit hinaus und krochen ganz nahe an die Marsleute heran, aber sie kehrten nie wieder zurück; denn von Zeit zu Zeit strich ein Lichtstrahl wie der Scheinwerfer eines Kriegsschiffes über die Weide, und der Hitzestrahl folgte unmittelbar darauf. Von diesen Unterbrechungen abgesehen schien jene große Fläche schweigend und verlassen; und die verkohlten Leichname lagen hier die ganze Nacht unter den Sternen und blieben dort den ganzen nächsten Tag. Ein hämmerndes Geräusch aus dem Krater wurde von vielen Leuten gehört.

Das war der Stand der Dinge Freitagnacht. Im Mittelpunkt der Zylinder, der in der Rinde unseres alten Planeten wie ein vergifteter Wurfspeer steckte. Doch das Gift war bisher kaum wirksam. In der übrigen Welt floss der Strom des Lebens weiter wie schon seit undenklichen Jahren. Das Fieber des Krieges, das in kurzem das Blut in den Adern gerinnen lassen, Nerven erröten und das Hirn zerstören sollte, musste erst aufkommen.

Eine ganze, schlaflose Nacht hindurch hämmerten die Marsleute offenbar unermüdlich an Maschinen, die sie instand setzten. Immer wieder fuhr eine Masse grünlichweißen Rauches zum sternenhellen Himmel auf.

Ungefähr gegen elf Uhr kam ein Zug Soldaten durch Horsell und verteilte sich am Rand der Weide, um eine Kette zu bilden. Später marschierte ein zweiter Zug durch Chobham, um sich auf der Nordseite zu verteilen. Einige Offiziere von der Inkerman-Kaserne waren schon früh am Morgen bei der Weide angekommen, und einer, Major Eden, wurde als vermisst gemeldet. Der Oberst des Regiments kam um Mitternacht zur Brücke von Chobham und fragte die Menge eifrig aus. Die militärischen Behörden waren sich des Ernstes der Lage zweifellos vollkommen bewusst. Am nächsten Morgen konnten die Zeitungen vermelden, dass um elf Uhr eine Schwadron Husaren, zwei Maximgeschütze und rund vierhundert Mann des Cardigan-Regiments von Aldershot aufbrachen.

Einige Sekunden nach Mitternacht sah die Menge in der Chertsey Road in Woking einen Stern in nordwestlicher Richtung in den Fichtenhain einfallen. Er fiel unter grünlichen Lichterscheinungen und blendete wie ein Blitz im Sommer. Dies war der zweite Zylinder.

9. Der Kampf beginnt

Der Samstag verbleibt in meiner Erinnerung als ein Tag Gnadenfrist. Er war auch ein Tag der Abspannung, heiß und schwül; wie man mir mitteilte, wechselte das Barometer unaufhörlich. Meiner Frau gelang es, bald einzuschlafen; ich jedoch hatte nur wenig Schlaf gefunden und stand schon früh auf. Vor dem Frühstück ging ich in den Garten und blieb dort lauschend stehen. Aber in der Richtung gegen die Weide regte sich nichts als eine Lerche.

Der Milchmann kam wie gewohnt. Ich hörte das Rasseln seines Karrens und ging ums Haus herum zur Seitenpforte, um mir von ihm die letzten Neuigkeiten anzuhören. Er erzählte mir, dass im Laufe der Nacht die Marsleute von den Truppen umzingelt wurden und dass man die Geschütze erwarte. Ich hörte (ein vertrautes, beruhigendes Geräusch!) einen Zug nach Woking fahren.

»Man will sie nicht töten«, sagte der Milchmann, »wenn man es nur irgendwie vermeiden kann.«

Ich sah einen Nachbarn in seinem Garten arbeiten, unterhielt mich eine Weile mit ihm und schlenderte langsam ins Haus zurück, um zu frühstücken. Es war ein ganz normaler Morgen. Mein Nachbar war der Ansicht, dass es den Truppen gelingen würde, die Marsleute während des Tages entweder gefangen zu nehmen oder zu vernichten.

»Es ist wirklich bedauerlich, dass sie sich so unzugänglich machen«, sagte er. »Es wäre doch interessant zu erfahren, wie man auf einem anderen Planeten lebt; und wir könnten das eine oder andere von ihnen lernen.«

Er kam an den Zaun heran und hielt mir eine Hand voll Erdbeeren hin; denn er gärtnerte ebenso freigebig wie leidenschaftlich. Währenddessen teilte er mir mit, dass das Fichtengehölz bei den Byfleet Golf Links in Flammen stehe.

»Man sagt«, erzählte er, »dass dort noch so ein verdammtes Ding eingefallen sei Nummer zwei. Aber eines ist wirklich genug. Diese Bescherung wird die Versicherungsleute ein schönes Stück Geld kosten, bis alles wieder in Ordnung ist.«

Er lachte mit der Miene eines überaus gutgelaunten Mannes, als er das sagte. Das Gehölz, erzählte er weiter, brenne noch immer, und er zeigte mir eine dunstige Rauchwolke. »Sie werden es noch tagelang heiß unter den Füßen spüren wegen des Torfes und der dichten Schicht glühender Fichtennadeln«, sagte er. Dann wurde er ernst und sprach von dem armen Ogilvy.

Nach dem Frühstück entschloss ich mich, statt zu arbeiten, einen Gang zur Weide zu machen. Unter der Eisenbahnbrücke traf ich eine Gruppe von Soldaten Pioniere, wie ich glaube, Leute mit kleinen runden Mützen, schmutzigen offenen roten Jacken, unter denen man ihre blauen Hemden sah, in dunklen Hosen und Stiefeln, die bis zur Wade reichten. Sie sagten mir, dass niemand über den Kanal dürfe; und als ich meine Blicke die Straße entlang auf die Brücke richtete, sah ich dort einen Mann des Cardigan-Regiments Wache schieben. Mit diesen Soldaten unterhielt ich mich eine Zeitlang; ich erzählte ihnen von meiner Begegnung mit den Marsleuten am vorigen Abend. Keiner von ihnen hatte die Marsleute gesehen, und sie hatten nur ganz unklare Vorstellungen von ihnen. So bestürmten sie mich mit Fragen. Sie sagten, dass sie nicht wussten, wer das Eingreifen der Truppen veranlasst hätte; sie vermuteten, dass bei der berittenen Garde eine Auseinandersetzung stattgefunden habe. Der gewöhnliche Pionier ist bei weitem gebildeter als der gemeine Soldat, und sie besprachen die sonderbaren Bedingungen des voraussichtlichen Kampfes mit ziemlich viel Scharfsinn. Ich schilderte ihnen den Hitzestrahl, und sie fingen an, sich darüber zu streiten.

 

»Sich unter Bedeckung herankriechen und dann erst auf sie losstürzen, sage ich«, meinte einer.

»Hör auf!« wandte ein anderer ein, »wozu denn eine Bedeckung bei dieser Hitze? Höchstens um dich besser zu braten. Nein, wir müssen so nahe heranrücken, wie das Terrain es erlaubt, und dann einen Graben ziehen.«

»Zum Kuckuck mit deinen Gräben! Du brauchst immer Gräben. Du hättest als Kaninchen zur Welt kommen sollen, Snippy.«

»Haben sie also wirklich keinen Nacken?« fragte mich plötzlich ein dritter, ein kleiner dunkler nachdenklicher Mann, der eine Pfeife rauchte.

Ich wiederholte meine Beschreibung.

»Oktopoden«, sagte er, »sind das für mich. Da spricht man von Menschenfischern diesmal heißt es Fische bekämpfen!«

»Es ist kein Mord, solche Bestien zu töten«, sagte der erste Sprecher.

»Warum diese verfluchten Dinger nicht zusammenschießen und ein Ende mit ihnen machen?« meinte der kleine Dunkelhaarige. »Ihr könnt nicht wissen, was sie sonst noch alles anstellen.«

»Wo sind denn deine Bomben?« höhnte der erste. »Dazu ist nicht mehr Zeit. Macht einen Überfall, das ist mein Plan, und macht ihn sofort.«

In dieser Weise besprachen sie den Fall. Nach einer Weile verließ ich sie und ging zum Bahnhof, um mir so viel Morgenzeitungen wie möglich zu beschaffen.

Doch will ich den Leser mit einer Beschreibung dieses langen Morgens und des noch längeren Nachmittags nicht ermüden. Es glückte mir nicht, auch nur einen Blick auf die Weide zu werfen, denn selbst die Kirchtürme von Horsell und Chobham waren in den Händen des Militärs. Die Soldaten, an die ich mich wendete, wussten nicht das Geringste. Die Offiziere waren ebenso geheimnisvoll wie geschäftig. Die Leute in der Stadt fühlten sich vollkommen sicher bei der Anwesenheit des Militärs, so meinte ich. Damals erst hörte ich von Marshall, dem Tabakskrämer, dass sich sein Sohn unter den Toten auf der Weide befand. Die Bewohner am Rand von Horsell waren von den Soldaten genötigt worden, ihre Häuser abzuschließen und zu verlassen.

Sehr müde kehrte ich ungefähr gegen zwei Uhr zum Mittagessen nach Hause zurück, denn, wie schon erwähnt, war der Tag drückend heiß; und um mich etwas zu erfrischen, nahm ich nachmittags ein kaltes Bad. Um halb fünf ging ich zum Bahnhof, um mir eine Abendzeitung zu kaufen, denn die Morgenblätter hatten nur sehr dürftige Berichte vom Tode Stents, Hendersons, Ogilvys und der andern enthalten. Auch sonst stand wenig darin, das ich nicht schon wusste. Die Marsleute ließen nicht einen Zoll von sich sehen. Sie schienen in ihrer Grube sehr geschäftig zu sein; man vernahm ein unausgesetztes Hämmern und sah ständig Rauchsäulen aufsteigen. Sie waren offensichtlich beschäftigt, sich für einen Kampf vorzubereiten. »Neue Versuche, eine Verständigung zu erzielen, wurden gemacht, jedoch ohne Erfolg«, das war eine stereotype Wendung der Zeitungen. Ein Pionier erzählte mir, der Annäherungsversuch habe darin bestanden, dass ein Mann in einer Grube an einer langen Stange eine Fahne schwenkte. Die Marsleute schenkten solchen Maßnahmen ebenso große Beachtung, wie wir etwa dem Brüllen einer Kuh.

Ich muss zugeben, dass mich der Anblick aller dieser Ausrüstungen und Vorbereitungen aufs äußerste erregte. Meine Einbildungskraft wurde kriegerisch und besiegte die Eindringlinge auf dutzendfache hervorragende Weise. Ein Rest meiner Schuljungenfantasien von Schlacht und Heldentum erwachte wieder in mir. Diesmal aber schien es mir kein ehrlicher Kampf zu sein. So hilflos erschienen mir jene in ihrer Grube.

Um drei Uhr etwa hörte man von Chertsey oder Addlestone her in abgemessenen Zwischenräumen die ersten Kanonenschüsse. Ich erfuhr, dass man das glühende Fichtengehölz, in welches der zweite Zylinder gefallen war, beschoss; man hoffte, dadurch das Rohr zu zerstören, bevor es sich öffnete. Derweil dauerte es bis gegen fünf Uhr, ehe eines der Feldgeschütze Chobham erreichte, um gegen die erste Abteilung der Marsleute gerichtet zu werden.

Gegen sechs Uhr abends, als ich mit meiner Frau im Gartenhaus beim Tee saß und eifrig den bevorstehenden Kampf besprach, hörte ich gedämpften Donner von der Weide her dröhnen, und direkt danach ein überaus heftiges Geschützfeuer. In blitzartiger Folge vernahm ich ein furchtbares prasselndes Krachen, das den Boden erschütterte. Ich stürzte auf den Rasenplatz hinaus, da sah ich, wie die Wipfel der Bäume beim Oriental College in rauchenden roten Flammen standen und der Turm der kleinen Kirche daneben einstürzte. Die Kuppel der Moschee war verschwunden, und der Dachstuhl der Schule sah aus, als hätte ihn ein Hundertpfünder beschossen. Einer der Schornsteine unseres Hauses zerbarst, wie von einer Bombe getroffen; seine Hauptmasse kam über die Dachziegel herabgepoltert und bildete einen Haufen roter Trümmer auf dem Blumenbeet vor dem Fenster meines Studierzimmers.

Ich und meine Frau blieben wie betäubt stehen. Mir wurde jetzt klar, dass der Kamm des Maybury Hill im Bereich des Hitzestrahls der Marsleute liegen müsse, jetzt, da das Schulgebäude aus dem Weg geräumt war. Da fasste ich meine Frau am Arm, und ohne weitere Überlegung stürzte ich mich auf die Straße hinaus. Dann holte ich das Dienstmädchen und versprach ihr, den Koffer, nach dem sie jammerte, selbst herabzubringen.

»Wir können unmöglich hier bleiben«, sagte ich, und während ich sprach, hörte man einen Augenblick später erneutes Geschützfeuer auf der Weide.

»Aber wohin sollen wir gehen?« fragte meine Frau entsetzt. Verwirrt überlegte ich. Dann erinnerte ich mich an ihre Verwandten in Leatherhead.

»Leatherhead!« schrie ich, den plötzlichen Lärm übertönend.

Sie blickte den Hügel hinunter. Die Leute stürzten erschrocken aus ihren Häusern.

»Wie sollen wir nach Leatherhead kommen?« fragte sie.

Am Fuße des Hügels sah ich einen Trupp Husaren unter der Eisenbahnbrücke hinreiten; sie sprengten durch die offenen Tore des Oriental College. Zwei stiegen vom Pferd und liefen von Haus zu Haus.

Die Sonne leuchtete durch den Rauch, der von den Wipfeln der Bäume aufstieg. Sie schien blutrot und warf auf alles einen ungewohnten, düsteren Schein.

»Bleib hier stehen«, sagte ich, »hier bist du sicher«; dann eilte ich sofort zu dem »Gefleckten Hund«, denn ich wusste, dass der Wirt ein Pferd und einen Dogcart besaß. Ich eilte, denn ich sah voraus, dass in kürzester Zeit jeder diese Seite des Hügels verlassen würde.

Ich fand den Wirt in seinem Schankzimmer, völlig unwissend über alles, was hinter seinem Hause vorging. Ein Mann, der mir den Rücken zuwandte, sprach mit ihm.

»Ich will ein Pfund«, sagte der Wirt, »und außerdem habe ich keinen Kutscher.«

»Ich gebe Ihnen zwei Pfund«, sagte ich über die Schulter des Fremden hinweg.

»Wofür?«

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