Wolf unter Wölfen

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Er meinte, sich zu sehen, leicht vorgeneigt, mit glänzenden Augen – und zwischen die ein wenig auseinandergespreizten Hände glitt ihm das Papier, wie von einem Winde hineingeweht, all dies verschiedenartige Papier mit den ungeheuren Zahlen, Nullen über Nullen, ein betäubender, nie völlig zu verstehender Reichtum – astronomisch!

Bis diese Stunde kam, war er ein kleiner Freitischgänger des Glücks, ein Hungerleider, der mit den mageren Gewinnchancen des Parispiels vorlieb nehmen mußte. Gerne vorlieb nahm, denn ihm winkte die Aussicht auf Großes!

An diesem Abend war er für seine Verhältnisse nicht schlecht bei Kasse. Spielte er ein wenig vorsichtig, mußte sich ein ausreichender Gewinn nach Haus tragen lassen. Wolfgang Pagel hatte sein bestimmtes, auf Grund sorgfältiger Beobachtungen erdachtes System beim Spiel. Von den sechsunddreißig Zahlen des Roulette waren achtzehn rot, achtzehn schwarz. Zog man die siebenunddreißigste Chance, das Null, bei dem alle die Einsätze der Bank verfielen, nicht in Betracht, so stand die Chance für Rot und für Schwarz gleich. In einem unendlich weitergespielten Roulette mußte nach der Wahrscheinlichkeitsrechnung gleich oft Rot wie Schwarz kommen. Das tat es auch sicher. Aber wie sich im Laufe des Spieles Rot und Schwarz ablösten, darüber schien eine viel geheimnisvollere Regel zu walten, die man halb beobachten, halb im Gefühl haben mußte.

Stand Wolfgang – wie stets, ehe er zum erstenmal setzte – beobachtend am Spieltisch, so sah er etwa, daß Rot kam, und noch einmal Rot, und wieder Rot. Ein viertes, fünftes, sechstes Mal Rot, es konnte bis zum zehntenmal gehen, bis zum fünfzehntenmal, ja, in ganz seltenen Fällen noch höher: Rot, immer Rot. Es war gegen jeden Sinn und Verstand, es widersprach aller Wahrscheinlichkeitsrechnung, es war die Verzweiflung aller ›Spieler mit System‹.

Dann kam auf einmal Schwarz, nach sechs-, achtmal Rot kam Schwarz! Kam zwei-, dreimal; nun kam wieder Rot, und nun ging es mit einem ermüdenden, immerwährenden Wechsel hin und her: Rot und Schwarz, Schwarz und Rot.

Wolfgang aber wartete noch immer. Nichts war zu sagen, kein Einsatz mit einiger Aussicht auf Gewinn zu wagen.

Aber plötzlich fühlte er, wie sich irgend etwas in ihm spannte. Er schaut auf das Fleckchen Spieltisch, das seinem Blicke frei ist. Ihm ist, als sei er eine Weile mit seinen Gedanken fortgewesen, ohne doch zu wissen, wo, als habe er das Spiel nicht verfolgt. Trotzdem weiß er, daß jetzt dreimal hintereinander Schwarz kam, er weiß, daß er nun setzen muß, daß jetzt eine Serie Schwarz begonnen hat – er setzt.

Er setzt drei-, viermal. Öfter getraut er sich nicht. Ach, zwölf-, fünfzehnmal Rot sind eine Ausnahme, da liegen die großen Gewinnchancen: Stehenlassen den Einsatz und Gewinn – verdoppelt! Stehenlassen – verdoppelt … immer weiter, in märchenhafte Zahlen hinein. Aber sein Kapital ist zu klein, er kann keinen Fehlschlag riskieren, er muß mit der hausbackenen Sicherheit vorlieb nehmen. Aber einmal – einmal bestimmt wird die Nacht kommen, und er wird setzen, weitersetzen, immer weiter … Er wird wissen, daß siebzehnmal Rot kommt, er wird es siebzehnmal setzen und keinmal mehr.

Und dann wird er nie wieder spielen. Dann werden sie mit dem Gelde etwas Geruhiges anfangen, ein Antiquitätengeschäft zum Beispiel. Er hat Sinn für so etwas, er geht gerne mit diesen Dingen um. Das Leben wird dann sanft und ruhig strömen, keine äußerste Anspannung mehr, nichts von tiefster Verzweiflung, keine Raubvogelgesichter mehr, die ihn gesträubt mustern, keine ganz unzweifelhaften Halbweltdamen mehr, die ihm seinen Einsatz stehlen …

Er hat seinen Platz am andern Ende des Spieltischs gesucht, um nicht in der Nähe des Valutenvamps zu sein, aber es hilft ihm nichts. Er setzt grade, da hört er schon ihre Stimme: Machen Sie doch Platz! Stehen Sie doch nicht so breit da! Andere möchten auch spielen.

Er macht eine Verbeugung, sieht sie nicht an und räumt ihr das Feld. Er findet einen andern Platz und fängt wieder an zu setzen. Er denkt daran, daß er heute besonders vorsichtig spielen, etwas mehr als sonst nach Haus bringen muß: morgen um halb eins wollen sie heiraten.

Nun gut. Nun gut. Sie ist ein ausgezeichnetes Mädel, es wird nie eine geben, die ihn selbstloser liebt, so wie er ist, ohne ihn mit einem lästigen Ideal zu vergleichen. Sie werden also morgen heiraten, warum eigentlich, ist im Augenblick nicht feststellbar. Es kommt nicht darauf an, es wird schon richtig sein. Aber er wünschte, er würde ein bißchen aufmerksamer spielen, eben hätte er keinesfalls Schwarz setzen dürfen. Dahin! Dahin! Also jetzt …

Plötzlich hört er wieder die böse, gereizte Stimme hinter sich. Sie streitet jetzt mit einem andern Herrn, spricht sehr hoch und empört. Natürlich: ihre Nase ist ganz weiß, die schnupft Schnee, das Luder, kokst. Keinen Zweck, mit ihr anzubinden, die weiß schon nüchtern nicht, was sie will oder tut. Und jetzt erst recht –!

Er sucht sich wiederum einen andern Platz und fängt von neuem zu spielen an.

Diesmal geht alles gut. Er setzt vorsichtig, und holt wieder auf, was er bisher zugesetzt, ja, er kann schon sein ganzes Betriebskapital zurückziehen und mit dem Gewinn operieren. Neben ihm steht ein Jüngling mit flackernden Augen und fahrigen Bewegungen, der todsicher sein Jungfernspiel macht. Solche bringen Glück. Es gelingt ihm, dem Jüngling, ohne daß er es merkt, über den Rücken zu streichen, mit der linken Hand, der linken Hand – so etwas steigert die Gewinnaussichten! Daraufhin läßt er den Einsatz einmal länger stehen, als er sonst gewagt hätte. Er gewinnt wieder. Der Raubvogel schießt ihm einen kurzen, bösen Blick zu. Gut.

Er hat jetzt genug für morgen, für ein paar Tage länger noch (wenn der Dollar nicht gar zu sehr steigt), er könnte nach Haus gehen. Aber es ist noch ganz früh; er weiß, er würde nur Stunden wach im Bett liegen und über das Spiel nachdenken, er weiß, er würde von Reue gepackt sein, daß er diese Glückssträhne nicht ausgenützt hat …

Er steht ruhig da, seine gewonnenen Jetons in der Hand, hört auf die Kugel, die Rufe des Croupiers, das leise, kratzige Scharren der Harken auf diesem Spielsaal, aber vielleicht ist er ganz woanders. Das Klappern der Kugel erinnert an ein klapperndes Mühlrad. Ja, es ist einschläfernd; das Leben, wenn man es spürt, erinnert immer an Wasser, fließendes Wasser; panta rhei, alles fließt, hieß es auf der Penne, noch vor der Kadettenanstalt. Auch weggeflossen.

Er fühlt, daß er sehr müde ist, außerdem ist seine Mundhöhle ledrig vor Trockenheit. Eine Schweinerei, daß es hier nichts zu trinken gibt. Er müßte an den Wasserhahn auf der Toilette gehen. Aber dann weiß er nicht, wie das Spiel weitergeht. Rot – Schwarz – Schwarz – Rot – Rot – Rot – Schwarz … Natürlich, etwas anderes gibt es nicht: rotes Leben und schwarzer Tod. Etwas anderes wird nicht gereicht und erfunden, sie mögen erfinden, soviel sie wollen, Leben und Tod, darüber hinaus gibt es nichts …

Null!

Natürlich – Null hatte er vergessen, das gab es natürlich auch noch. Die Parispieler vergaßen immer Null, und plötzlich war ihr Geld fort. Aber wenn es Null gab, so war Null der Tod, und das war auch ganz richtig. Dann war Rot die Liebe, eine etwas übertriebene Sache, aber nun gut: angenehm, wenn man es hatte. Aber Schwarz – was war Schwarz dann? Nun, für Schwarz blieb noch das Leben, auch wieder übertrieben, aber nach der andern Seite hin. Nicht völlig schwarz, grau hätte auch gereicht. Oft ein lichtes, fast silbriges Grau. Gewiß, Peter ist ein gutes Mädchen.

Ich habe ja Fieber, dachte er plötzlich. Aber ich habe, glaube ich, jeden Abend Fieber. Ich müßte wirklich Wasser trinken. Jetzt gehe ich sofort.

Statt dessen schüttelte er die Spielmarken in der Hand, tat eilig die aus der Tasche dazu und setzte alles, grade als der Croupier rief: Nichts mehr! auf Null. Auf Null.

Das Herz blieb ihm stehen. ›Was tue ich da?‹ fragte er sich verwirrt. Das Gefühl der Trockenheit in seinem Munde verstärkte sich zum Unerträglichen. Die Augen brannten, über den Schläfen spannte pergamenten die Haut. Unfaßbar lange schnurrte die Kugel, ihm war, als sähen ihn alle an.

›Alle sehen mich an. Ich habe auf Null gesetzt. Alles, was wir haben, habe ich auf Null gesetzt – und Null bedeutet Tod. Morgen ist Trauung …‹

Die Kugel schnurrte noch immer; unmöglich war es, den Atem noch länger wartend anzuhalten. Er atmete tief auf – die Spannung ließ nach …

Sechsundzwanzig! rief der Croupier. Schwarz, ungleich, passe … Pagel stieß durch die Nase die Luft, beinahe erleichtert. Es war richtig gewesen: der Spielsaal hatte sein Geld behalten. Der Valutenvamp hatte ihn nicht umsonst verwirrt. Grade sagte das Mädel halblaut: Diese kleinen Nebbichs! Spielen wollen sie – in der Sandkiste sollten sie spielen! Der raubvogelhafte Croupier schoß einen scharfen, triumphierenden Blick auf ihn ab.

Einen Augenblick stand Wolfgang noch wartend. Das Gefühl der Befreiung aus quälender Spannung verging. ›Hätte ich noch eine Spielmarke‹, dachte er. ›Nun, es ist egal. Einmal wird der Tag kommen.‹

Die Kugel schnurrte schon wieder. Langsam ging er hinaus, an dem traurigen Wachtmeister vorüber, die dunkle Treppe hinab. Lange stand er in dem Hauseingang, bis ihn ein Schlepper hinausließ.

8

Was konnte er von allen diesen Dingen seinem kleinen, guten Peter erzählen? Fast nichts. Es ließ sich auf den Satz zusammendrängen: Erst habe ich gewonnen, dann habe ich Pech gehabt. Es war also nichts Besonderes zu berichten, in letzter Zeit hatte er dies öfter sagen müssen. Natürlich konnte sie sich darunter kaum etwas vorstellen. Sie dachte vielleicht, es sei etwas Ähnliches, wie wenn jemand beim Skat verliert oder bei der Lotterie mit einer Niete herauskommt. Von dem Auf und Ab, dem Glück und der Verzweiflung war ihr nichts begreiflich zu machen. Nur das Ergebnis war mitzuteilen: eine leere Tasche – und das war dürftig.

 

Sie aber wußte von allen diesen Dingen viel mehr, als er glaubte. Zu oft hatte sie sein Gesicht gesehen, nachts, wenn er heimkam, noch halb erhitzt. Und das erschöpfte Gesicht im Schlaf. Und das böse, bewegliche Gesicht, wenn er vom Spiel träumte. (Wußte er eigentlich gar nicht, daß er fast jede Nacht davon träumte, er, der sich und ihr einreden wollte, er sei kein Spieler –?) Und das ferne, dünne Gesicht, wenn er auf ihr Reden nicht hörte, gedankenlos ›Wie?‹ fragte und doch nicht hörte, das Gesicht, auf dem seine Vision einen so starken Ausdruck fand, daß man meinte, sie abheben zu können wie etwas, das Gestalt gewonnen hat. Und das Gesicht beim Haarekämmen vor dem Spiegel, wenn er plötzlich sah, was er für ein Gesicht hatte.

Nein, sie wußte genug; er brauchte nichts zu sagen, sich nicht mit Erklärungen und Entschuldigungen zu quälen.

Es ist ja ganz egal, Wolf, sagte sie rasch. Uns ist doch Geld immer egal gewesen.

Er sah sie nur an, dankbar, daß sie ihm diese Erklärung abgenommen. Natürlich, sagte er dann. Das hole ich schon wieder nach. Vielleicht heute abend schon.

Nur, sagte sie und war zum erstenmal beharrlich, daß wir heute um halb eins aufs Standesamt müssen.

Und ich, sagte er rasch, will deine Kleider zum Onkel bringen. – Kann der Standesbeamte dich nicht als eine Schwerkranke im Bett trauen?

Auch für Schwerkranke wirst du zahlen müssen! lachte sie. Du weißt doch, nicht einmal der Tod ist umsonst.

Aber vielleicht muß man bei Kranken erst nachher zahlen, sagte er, halb lachend, halb nachdenklich. Und wenn dann nichts da ist: getraut ist getraut.

Eine Weile schwiegen sie beide. Die verbrauchte, mit dem Steigen der Sonne immer überhitztere Luft stand fast greifbar im Zimmer, machte sich trocken auf der Haut bemerkbar. In der Stille hörte man den Lärm der Blechstanzerei lauter, dann plötzlich die plärrende, weinerliche Stimme der Frau Thumann, die vor der Tür mit einer Nachbarin ratschte. Die überfüllte Menschenwabe des Hauses summte, schrie, sang, klapperte, rief, weinte mit vielen Stimmen darein.

Du weißt, du mußt mich nicht heiraten, sagte das Mädchen mit einem plötzlichen Entschluß. Und nach einer Pause: Kein Mensch hat so viel für mich getan wie du.

Er sah ein wenig verlegen zur Seite. Das in der Sonne glitzernde Fenster glühte in weißlicher Glut. ›Was habe ich denn eigentlich für sie getan?‹ dachte er betreten. ›Ihr beigebracht, wie man Messer und Gabel hält – und richtiges Deutsch.‹

Er wandte den Kopf und sah sie an. Sie wollte noch etwas sagen, aber ihre Lippen zuckten, als kämpfe sie mit einem Schluchzen. Er fühlte in dem dunklen Blick, der ihn ansah, solche Intensität, daß er lieber weggesehen hätte.

Da sprach sie schon. Sie sagte: Wenn ich wüßte, du fühltest dich bloß verpflichtet, mich zu heiraten, nie wollte ich es.

Er schüttelte, langsam, verneinend, den Kopf.

Oder aus Trotz gegen deine Mutter, fuhr sie fort. Oder weil du denkst, es macht mir Freude.

Er verneinte weiter.

(›Aber weiß sie es denn, warum wir heiraten?‹ dachte er verwundert, verloren.)

… Aber ich glaube immer, du willst es auch, weil du spürst, wir beide gehören zusammen, sagte sie plötzlich. Sie stieß es hervor, nun standen in ihren Augen Tränen. Sie konnte freier sprechen, als sei das Schwerste gesagt. Ach, Wolf, Lieber, wenn es nicht so ist, wenn du aus irgendeinem andern Grunde heiratest, laß es, ich bitte dich, laß es. Damit tust du mir nicht weh. Nicht so weh, sagte sie eilig, wie wenn du mich heiratest, und wir gehören gar nicht zusammen.

Sie sah ihn an, plötzlich fing sie an zu lächeln, in ihren Augen standen noch Tränen. Du weißt doch, ich heiße ›Ledig‹, ich habe von je Ledig geheißen – du warst immer mit dem Namen einverstanden, nur Petra war dir zu steinig.

Ach, Petra, Peter, Peter Ledig! rief er, irgendwie überwältigt in seiner einsamen, eigensüchtigen Höhle von ihrer demütigen Lieblichkeit. Wovon redest du denn?! Er nahm sie, schloß sie in seine Arme, schaukelte sie wie ein Kind und sagte lachend: Wir haben nicht das Geld für die Standesamtsgebühren, und du redest von den tiefsten Dingen?!

Und muß ich nicht davon reden? sagte sie leiser und hielt den Kopf an seiner Brust geborgen, muß ich nicht davon reden, da du selbst davon schweigst – immer und alle Tage, alle Stunden –?! Ich denke so oft, selbst wenn du mich in deinen Armen hältst wie jetzt und küßt wie jetzt, daß du ganz weit fort bist von mir – von allem –

Jetzt redest du aber vom Spiel, sagte er und hielt sie loser.

Nein, ich rede nicht vom Spiel, widersprach sie eilig und lehnte sich fester an ihn. Oder vielleicht rede ich auch davon. Das mußt du wissen, ich weiß ja nicht, wo du bist und was du denkst. Spiele, soviel du willst – aber wenn du nicht spielst, könntest du dann nicht ein bißchen hier sein –? Ach, Wolfi, sagte sie, und jetzt war sie von ihm fortgeglitten, hielt aber seine beiden Arme über den Ellbogen gefaßt und sah ihn fest an. Du denkst immer, du müßtest dich wegen des Geldes entschuldigen oder mir etwas erklären – nichts hast du zu erklären und nichts mußt du entschuldigen. Wenn wir zusammengehören, ist alles richtig, und gehören wir nicht zusammen, ist doch alles falsch – mit und ohne Geld, mit und ohne Trauung.

Sie sah ihn erwartungsvoll an, sie hoffte auf ein Wort, ach, hätte er sie nur auf die rechte Art in seine Arme gezogen, sie hätte es schon gespürt –!

›Was will sie eigentlich von mir?‹ hatte er über ihrem Reden gedacht. Aber er wußte wohl, was sie wollte. Sie hatte sich ganz in seine Hand gegeben, von eh und je, von jenem ersten Morgen an, als sie ihn gefragt hatte, ob sie nicht mit ihm kommen dürfe. Ihr war nichts geblieben. Nun bat sie ihn, ihr einmal, doch nur einmal sein dunkles, fernes Herz zu öffnen …

›Aber wie soll ich das denn tun?‹ fragte er sich. ›Wie mache ich das?‹ Und blitzartig, erleichtert: ›Daß ich das nicht weiß, zeigt ja, sie hat recht: ich liebe sie nicht. Ich will sie bloß so heiraten. Hätte ich gestern‹, dachte er eilig weiter, ›nur nicht auf Null gesetzt. Dann wäre das Geld dagewesen fürs Standesamt. Es hätte keine solche Auseinandersetzung gegeben. Natürlich wäre es jetzt, da ich dies weiß, richtiger, wir heirateten nicht. Aber wie soll ich ihr das sagen? Ich kann nicht mehr zurück. Sie sieht mich noch immer an. Was soll ich ihr sagen –?‹

Die Stille war schwer und drückend zwischen ihnen geworden, sie hielt noch seinen Arm, aber nur lose, als hätte sie vergessen, daß sie ihn hielt. Er räusperte sich. Peter … fing er an.

Da ging die Flurtür, und das Schlurren der Thumannschen wurde hörbar.

Schnell, Wolf, mach die Tür zu! sagte Petra eilig. Frau Thumann kommt, wir können sie jetzt nicht brauchen.

Sie hatte ihn losgelassen. Er ging gegen den Flur, aber ehe er noch die Zimmertür gefaßt hatte, kam die Vermieterin schon in Sicht.

Warten Se noch imma? fragte sie. Ick hab doch schon gesacht: Kaffe is nich ohne Jeld.

Hören Sie, Frau Thumann, sagte Wolfgang eilig. Ich will gar keinen Kaffee. Ich gehe jetzt sofort mit unsern Sachen zum Onkel. Und unterdes geben Sie der Petra Schrippen und Kaffee, sie ist ja halb verhungert.

Kein Laut in seinem Rücken.

Und mit dem Gelde komme ich dann auf der Stelle zu Ihnen und bezahle alles, behalte nur so viel für mich, daß ich in den Grunewald fahren kann. Da habe ich einen Freund, vom Militär her, Zecke heißt er, von Zecke, der pumpt mir sicher was …

Er wagte jetzt einen Blick ins Zimmer. Geräuschlos hatte sich Petra aufs Bett gesetzt, saß dort mit gesenktem Kopf, er sah ihr Gesicht nicht.

So?! antwortete die Thumann, halb fragend, halb drohend. An det Frühstück for det Mächen soll es nich fehlen – heute nich un morgen ooch noch nich – aba wie is es denn mit de Trauung –? Sie stand da, in fließendem Gewande, mit zerfließenden Formen, den Pott in der hängenden Hand – und wie sie so dastand, konnte sie nun freilich einem jeden die Lust an aller Trauung und Bürgerlichkeit für ein langes Leben austreiben.

Oh! sagte Wolfgang leichthin und war im Augenblick wieder obenauf. Wenn es mit dem Frühstück für Peter in Ordnung ist, ist es auch mit der Trauung in Ordnung.

Er sah rasch nach dem Mädchen, aber Peter saß noch wie vorher. In der Pfandleihe werden Se anstehen müssen und Jrunewald is weit, sagte die Thumannsche. Ick hör imma Trauung, aber ick trau nich!

Doch, doch! sagte Petra plötzlich und stand auf. Sie dürfen schon trauen, Frau Thumann, wegen des Geldes und wegen der Trauung, beides. – Komm, Wolf, ich helfe dir die Sachen einpacken. Wir nehmen wieder den Handkoffer, dann braucht er nur einen Blick hineinzutun, und sieht, es ist alles wieder beisammen. Er kennt es ja nun schon. Und sie lächelt ihm zu.

Frau Thumann wandte den Kopf beobachtend von einem zum andern, langsam, wie ein alter, weiser Vogel. Wolfgang rief unendlich erleichtert: Ach, Peter, du bist doch immer die Allerbeste, und vielleicht schaffe ich es wirklich noch bis halb eins. Wenn ich Zecke nun treffe, pumpt er mir sicher genug, daß ich mir ein Auto nehmen kann …

Jewiß doch! sagte statt Petra die Thumannsche. Und denn raus mit det Mächen aus de Betten und rin mit ihr aufs Standesamt, wie sie jeht und steht, mit ’em Herrenpaletot, ohne alles drunter. Wir sind ja janz jroß!!! Sie funkelte giftig. Wenn ick so wat bloß höre! Und det Schlimme is, die Jänse wer’n nich alle, die euch Männern so ’nen Schmus jlooben tun, un wie ick det Mächen kenne, sitzt se de janze Zeit nachher bei mir in de Küche rum und tut, wie wenn se mir helfen will. Aber se will mir jar nich helfen, nich die Bohne, se will bloß een Oje uff de Küchenuhr haben, un halb eens pünktlich sagt se: Ick fühle, er kommt, Frau Thumann! – Aba er kommt jar nich, und wahrscheinlich sitzt er denn jrade bei seinem hochjeborenen Freunde und se kümmeln eenen in aller Jemütsruhe und paffen eene, und wenn er wirklich wat denkt, denkt er: die trauen ja alle Tage! Und wat heute nich is, braucht morgen noch lange nich kommen …

Und damit schoß die Thumann einen vernichtenden Blick auf Wolfgang, einen verächtlich-mitleidigen auf Petra ab, machte mit dem Pott eine kleine Bewegung als Schlußpunkt, Ausrufe- und Fragezeichen in einem, und zog die Tür zu. Die beiden aber standen in ziemlicher Verlegenheit und wagten kaum sich anzusehen, denn man mochte von dem Erguß der Zimmerwirtin denken, was man wollte: angenehm war er nicht.

Schließlich aber sagte Petra: Mach dir nichts draus, Wolfgang. Die und alle andern können sagen, was sie wollen, das ändert doch gar nichts. Und wenn ich vorhin so weinerlich war, vergiß das. Manchmal hat man so eine Stimmung, als wäre man ganz allein, und dann fürchtet man sich und möchte gerne einen Trost hören.

Und jetzt bist du nicht mehr allein, Peter? fragte Wolfgang seltsam bewegt. Jetzt brauchst du keinen Trost mehr?

Ach, sagte sie und sah ihn verloren-verlegen an. Du bist doch da …

Aber, drängte er plötzlich, vielleicht hat Pottmadamm ganz recht, daß ich um halb eins sitze und denke: trauen tun sie alle Tage – was meinst du?

Daß ich trau! rief sie, hob den Kopf und sah ihn mutig an. Und wenn ich dir auch nicht trauen würde, ändert das denn was? Ich kann dich nicht binden. Trauung oder nicht – wenn du mich magst, ist alles gut, und wenn du mich nicht magst … Sie brach ab und lächelte ihn an. Und nun lauf, Wolf. Der Onkel macht um zwölf Mittagspause, und vielleicht stehen wirklich viele an. Sie gab ihm den Koffer in die Hand, sie gab ihm noch einen Kuß. Mach’s gut, Wolf!

Er hätte ihr gerne noch etwas gesagt, aber es fiel ihm nichts ein. So nahm er den Koffer und ging.

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